Manchmal denkt man, es sei Liebe. - Anna Lena Stapelfeldt - E-Book

Manchmal denkt man, es sei Liebe. E-Book

Anna Lena Stapelfeldt

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Beschreibung

Sophia und Jesper sind glücklich. Jedenfalls vor den Kulissen. Doch was passiert, wenn man die sorgfältig angelegten Bühnenbilder wegschiebt und das Licht anmacht? Sophia ist zufrieden, wie es ist und wünscht sich einen Heiratsantrag von Jesper. Als dieser kommt, bricht Sophias Welt Stück für Stück auseinander. Ein Buch über Liebe, Manipulation, Verlust und Freundschaft. Aber vor allem über die innere Strahlkraft, die von niemandem gedimmt werden sollte. Leserstimmen: "Berührend und ermutigend." "Hat es verdient, gelesen zu werden."

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Seitenzahl: 223

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Prequel „Der Ball"

auf der Website der Autorin unter annalenastapelfeldt.de/der-ball/ herunterladen.

Für meinen Mann, dessen Liebe vollkommen fehlerfrei ist.

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

TEIL 1: SZENEN EINER LIEBE

ALLTAG

KOMMUNIKATION

WUNSCHGEDANKE

VORFREUDE

URLAUBSGEFÜHLE

WERTSCHÄTZUNG

NEUSTART

WAHRHEITEN

ZUKUNFTSPLÄNE

ERNSTHAFT

TEIL 2: DIE WICHTIGERE LIEBE

ALLTAG 2.0

KOMMUNIKATION 2.0

WUNSCHGEDANKE 2.0

VORFREUDE 2.0

URLAUBSGEFÜHLE 2.0

WERTSCHÄTZUNG 2.0

NEUSTART 2.0

WAHRHEITEN 2.0

ZUKUNFTSPLÄNE 2.0

ERNSTHAFT 2.0

EPILOG

PROLOG

Knack. Ganz schön laut. Ob alle anderen das wohl auch hören? Noch eine Haselnuss wandert in ihren Mund, während Sophia sich mit gesenktem Blick umsieht. Keiner im Lesesaal schenkt ihr Beachtung. Volle Konzentration. Knack. Irgendwo hat sie gelesen, dass der Verzehr von Nüssen die Konzentration steigern soll. Vor ihren Augen verschwimmen schon wieder die Buchstaben. Sie streckt den Rücken durch und atmet einmal tief ein. Vielleicht fehlt ihr einfach noch das richtige Lehrbuch. Eins, das sie richtig fesselt. Sie schmunzelt. Schulterzuckend erhebt sie sich und dringt tiefer in die Regalgänge der zentralen Universitätsbibliothek ein. Der Blick schweift über abgegriffene Buchrücken. Ihre Schritte klingen dumpf auf dem Industrieteppichboden, der diesen ganz besonderen alten Duft verströmt. Es klingt fast so, als würde sie über einen mit Moos bewachsenen Waldboden gehen. In der richtigen Abteilung angekommen, nimmt sie einzelne Bücher in die Hände. Das Gewicht der Bücher lässt auf deren Inhalt schließen. Sophia verdrängt den Gedanken an ihre Rolle hier. Sie wurde angenommen. Irgendeinen Grund wird das haben.

„Na, unentschlossen?" Neben ihr steht ein hoch gewachsener Schönling, dem man das Jurastudium von den Haaren bis in die Fußspitzen ansieht. Gestyltes blondes Haar, legeres, aber eng geschnittenes, hellblaues Hemd, eine Jeans mit genau der richtigen Dosis an Löchern, braune Lederslipper.

„Kann man so sagen. Steht doch eh überall das gleiche drin." Sophia streicht ihren Wollrock glatt und kontrolliert mit einem kurzen Blick nach unten, ob die Knöpfe ihrer Bluse alle geschlossen sind. Kurz hängt ihr Blick an dem kleinen Sternenarmband: Ein Geschenk ihrer besten Freundin. ‚Damit du immer deinem Stern folgen kannst‘, hatte sie in der Glückskarte zum Studienbeginn geschrieben. Sophia lächelt und hebt den Blick wieder.

Der Typ lächelt und tippt sich dabei leicht mit dem linken Zeigefinger aufs Kinn. Sophia fallen seine vollen Lippen auf. Hoffentlich wird sie nicht rot.

„Ich kann dir das hier empfehlen", sagt ihr Gegenüber und zieht einen dicken Wälzer aus dem Regal.

Sophia muss blinzeln und sich kurz schütteln, um wieder in der Realität anzukommen. „Äh – danke."

„Kein Ding." Der Typ stromert bereits zum nächsten Regal. Am Ende des Ganges dreht er sich nochmal um und grinst: „Hi! Ich bin Jesper."

„Sophia." Sie grinst auch.

TEIL 1

SZENEN EINER LIEBE

ALLTAG

Die Tischplatte vibriert kurz und danach leuchtet das Display ihres Handys auf.

„Im Biomarkt um 18:00 Uhr?", steht darauf. Sie schickt einen erhobenen Daumen zurück. In ihr steigt Vorfreude auf. Gemeinsam einzukaufen fühlt sich für sie wahnsinnig erwachsen an.

Einige Akten liegen noch vor ihr. Seufzend beginnt Sophia, letzte Anmerkungen ihrer Chefin in die von ihr vorbereiteten Schriftsätze einzufügen. Als Referendarin steht man nicht gerade oben in der Nahrungskette einer Kanzlei. Korrektur- und Schreibarbeiten sind zur Zeit ihr täglich’ Brot. Aber immerhin kann sie sich mit diesem Nebenjob die wunderschöne Wohnung im Hamburger Norden mit Jesper teilen. Ihr Stolz ließe nicht zu, dass er die gesamte Miete allein trägt. Auch wenn er trotz ihrer Bemühungen weit mehr als die Hälfte zahlt.

Der Heizkörper hinter ihrem Schreibtisch beginnt zu blubbern, langsam wird es kühler und der Hausmeister hat die gesamte Heizung erst vor wenigen Tagen wieder eingeschaltet. Während ihre Finger über die Tastatur fliegen und sie immer wieder einen kontrollierenden Blick nach rechts auf die geöffnete Akte fallen lässt, vibriert ihr Handy nochmals.

„Hast du die Einkaufstaschen dabei?“

„Nein“, antwortet sie schnell und will sich gerade wieder dem Schriftsatz vor ihr widmen.

Da vibriert es erneut: „Schaffst du es vorher noch nach Hause, um die zu holen?“ In Sophia zieht sich etwas in der Magengrube zusammen. Es ist viertel nach fünf. Sie braucht noch mindestens 20 Minuten für ihre Aufgaben von heute. Im Grunde genug Zeit, um entspannt um sechs beim Biomarkt anzukommen. Zuerst in die Wohnung zu fahren, bedeutet einen Umweg von mindestens 25 Minuten. Das wird sehr, sehr eng.

„Können wir da nicht welche kaufen? Muss noch etwas länger arbeiten.“

Kurze Pause. Vibration. „Joa, wenn es sein muss. Das Geld könnten wir halt auch sparen. Wäre schon cool, wenn du es vorher noch schaffst.“

Das Geld. Sein Geld. „Ok, ich beeil mich.“

„Super, du bist die Allerbeste!“ Sophia lässt das Handy in ihre Tasche gleiten. Ohne Konzentration wird es hier nur noch länger dauern. Ihr Herz schlägt so stark, dass sie das Gefühl hat, auch ihre Fingerspitzen auf der Tastatur pulsieren. Sie atmet tief ein und bemüht sich, ruhig wieder auszuatmen. Mit der rechten Hand kratzt sie sich kurz zwischen dem linken Zeigefinger und Daumen. Die Stelle ist schon ganz rot.

„Wie war dein Tag?“, begrüßt Jesper sie, während sie vom Fahrrad absteigt. Sie setzt den Helm ab und lächelt, während sie wieder zu Atem kommt.

„Stressig, wie immer. Und deiner?“

„Super. Ganz entspannt.“ Jesper zieht sie an sich und küsst sie im Halbdunkeln unter der Straßenlaterne, an der sie gerade ihr Fahrrad angeschlossen hat. Er küsst sie, als könnte niemand anderes sie sehen. Für einen kleinen Moment verschwindet die Außenwelt, verstummen die Motorengeräusche von der Straße und die Sirene einige Blöcke weiter weg, verwischen die Lichter und Gestalten, die sich durch die Abenddämmerung bewegen.

„Besser?“, flüstert er ihr ins Ohr.

Sie grinst. „Ja, vielen Dank.“ Hand in Hand mit fest verschlungenen Fingern gehen die beiden in den Biomarkt. Es fühlt sich immer noch an, als würde die Welt um sie herum in Zeitlupe agieren. Die Lautstärke der Hintergrundmusik im Laden ist dezent. Leise Klavierklänge bahnen sich den Weg in die Gehörgänge der Kunden und verlangsamen scheinbar deren Bewegungen. Der Obststand am Anfang verströmt den Duft verschiedener tropischer Früchte, die sich frisch aufgeschnitten als Probierhäppchen präsentieren. Sophia vergisst den draußen mit großen Schritten heranrückenden Herbst und genießt den sommerlichen Geschmack auf ihrer Zunge. Während sie noch dabei ist, die gelbe Frucht herunterzuschlucken, dreht Jesper sich mit einer ausschweifenden Armbewegung um, als wolle er einen imaginären Boxsack treffen.

„Alter, was macht ihr denn hier? Samuel, Moin! Wie geht’s?“, fragt er seinen besten Freund, der gerade gemeinsam mit seiner Freundin den Biomarkt betreten hat. Die beiden klatschen ihre Handflächen ineinander und ziehen sich dann gegenseitig an den Händen in eine kurze Umarmung, die eher ein gegenseitiges Schulter- oder Biszepsabklopfen ist. Sophia begrüßt lächelnd Karla, die sich zu ihr beugt, um Sophia links und rechts Luftküsschen in die Nähe ihrer Ohren zu hauchen.

„Läuft alles bestens“, erklärt Samuel, um Jespers Frage zu beantworten. „Hab gerade heute ne’ fette Beförderung bekommen. Da können wir morgen Abend in der Distille drauf anstoßen. Mehr Geld und nen Firmenwagen, was will man mehr?“

Jesper nickt mit herausgestülpter Unterlippe. „Geil Mann, und wie viele Stunden musst du dafür mehr arbeiten?“ Er lacht über seinen eigenen Witz. Samuel geht nicht weiter auf die Frage ein und wechselt das Thema.

„Und bei euch? Sophia, was macht der Job?“, fragt er an Sophia gerichtet. Sophia setzt gerade an, um zu antworten, da ergreift Jesper das Wort.

„Meine Süße hat es voll drauf. Ihre Chefin kann sich so auf sie verlassen, dass sie jetzt schon eigene Akten bearbeitet. Ich bin echt stolz auf sie. Sie ist halt nicht nur zu Hause der Wahnsinn“, fügt er hinzu, als würde Sophia nicht direkt neben ihm stehen. Ihr werden in diesem Moment ihre Arme ausgesprochen bewusst, die einfach so an ihr herunterhängen. Jesper hat sie schon oft darauf aufmerksam gemacht, wie gern er es hat, wenn sie etwas mehr „post“, sobald Freunde von ihm dabei sind. ‚Die sollen doch auch sehen, was für Vorzüge du hast‘, klingt es in ihrem Kopf, während sie den Rücken durchstreckt und die Haare ihres kinnlangen, blonden Bobs mit der linken Hand hinter die Ohren streicht.

Samuel nickt und lächelt. „Wir haben schon Glück mit unseren Mädchen“, sagt er und zieht Karla näher an sich heran. Sophia erkennt, dass auch Karlas Wangen leicht rosa anlaufen. „Wie auch immer, morgen Abend steht, oder?“

„Klar Mann, wie immer“, bestätigt Jesper. „Und vergiss nicht, was Ordentliches anzuziehen. Nicht, dass ich wieder besser aussehe als du.“

„Sagt genau der Richtige“, antwortet Samuel, während er Karlas Hand nimmt und sie in Richtung der Kassen führt.

KOMMUNIKATION

„Wann wollen wir heute Abend los?“ Die Morgensonne scheint gerade in das kleine Küchenfenster. Sophia hält ihr Gesicht in die Richtung und beißt in das frisch aufgebackene Brötchen. Ihre blonden Haare fallen nach hinten, während sie ihren Nacken streckt und versucht, die Alltagsverspannungen zu lösen.

„Abends irgendwann. Können wir doch spontan entscheiden.“ Jesper legt seine Füße auf den Stuhl neben sich und hält sein Gesicht ebenfalls in die warme Herbstsonne. Der kleine Tisch zwischen ihnen ist beladen mit Köstlichkeiten. Der Geruch von Rührei mit Bacon liegt in der Küche, genauso wie der frisch gemahlene und aufgebrühte Kaffee. Den Kaffeevollautomaten haben sie erst seit einigen Wochen, aber er gehört schon jetzt zu Sophias Lieblingsgeräten in der Küche.

„Soll ich dir noch einen machen?“, fragt Jesper und deutet auf ihren leeren Latte Macchiato Becher.

„Liebend gern, danke.“

Jesper steht auf und sie spürt, wie er seine Hände auf ihren Nacken legt und beginnt, sie zu massieren. Sein Mund ist jetzt direkt neben ihrem Ohr.

„Oder…“, haucht er und fährt mit der Hand in ihr Spitzennégligé, das sie unter dem warmen Bademantel trägt.

„Oder?“ Ihre Oberschenkel ziehen sich zusammen, während sie die Luft zischend durch die geöffneten Lippen einzieht.

Eine viertel Stunde später. Der Küchenboden ist kalt und Sophia spürt Krümel an der nackten Haut, die sich gerade schmerzhaft in ihren Rücken bohren.

„Ich glaube, wir müssen hier mal wieder saugen“, lacht sie und dreht ihren Kopf zu ihrer Rechten. Neben ihr liegt Jesper, der noch nach Atem ringt, während er mit seinen Fingern um ihren Bauchnabel fährt. Er lacht auch und zieht sie an sich. Ein langer Kuss. Ruhe kehrt ein. Sophia merkt, wie die Endorphine sich Blutgefäß für Blutgefäß durch ihren Körper bewegen. Die Energie kribbelt in ihren Fingern. Sie ist angekommen in ihrem gemeinsamen Leben. Mehr wollte sie nie. Sie streicht unbewusst mit ihren Fingern über ihren leeren linken Ringfinger. Vielleicht etwas mehr.

„Trink nachher bitte nicht so viel.“ Am Abend steht Sophia vor dem Badezimmerspiegel und trägt ihre Wimperntusche auf.

„Wie immer.“

„Wir wollen doch morgen früh zu meinen Eltern.“

„Ach stimmt ja, das hab ich vergessen. Gut, dass du mich erinnerst.“

„Also reißt du dich etwas zusammen?“

Jesper blinzelt kurz. „Was soll das denn jetzt? Willst du mich blöd von der Seite anmachen?“

Ein Stich in der Magengrube. Sophia zieht die Schultern zusammen und sieht Jesper an. Ihre Augen sind weit geöffnet.

„Was? Nein. Ich will nur, dass du morgen früh fit bist. Wenn du zu viel trinkst, bleiben wir immer zu lange und du bist am nächsten Morgen zu nichts zu gebrauchen.“

Jesper zieht die Augenbrauen hoch. „Schön. Dann versuche ich es.“

„Danke.“ Sophia schminkt sich weiter und Jesper verlässt den Raum ohne ein weiteres Wort. Im Spiegel blicken Sophia zwei mit Tränen gefüllte Augen an. Heute morgen war noch alles perfekt, wie konnte die Stimmung so umschlagen?

In der Bar um die Ecke, sitzt die Clique wie gewöhnlich am Ecktisch. Klirrende Gläser zum Anstoßen paaren sich hier zu einem Konzert mit Gelächter und herzlichen Begrüßungen.

„Die erste Runde geht heute aufs Haus“, verkündet Antonio, der Eigentümer. „Wir hatten gestern Zehnjähriges. Das müssen wir doch mit unseren Stammkunden feiern.“ Begeisterungsbekundungen wechseln sich nun mit Bestellungen der feinsten Getränke ab. Sophia verdreht lächelnd die Augen. Stammkunden und gemeinsam feiern. Marketing vom Feinsten. Aber auch sie bestellt einen Gin Tonic und lässt sich auf dem Loungesessel nieder, der den besten Blick auf den gesamten Laden zulässt.

Zwei Stunden und mindestens sieben Runden später, legt Sophia ihre Hand auf Jespers Arm, der gerade zur Bar starten will.

„Denkst du an morgen früh?“, fragt sie so leise, dass niemand anderes es hören kann.

„Ja, ja.“ Er dreht ihr den Rücken zu und setzt sich in Bewegung. Wenig später kehrt er mit zwei Drinks zurück. Sophia lächelt, bis er den zweiten Drink Michelle in die Hand drückt.

„Auf uns, weil wir nur einmal leben.“ Michelle kichert und stößt mit Jesper an. Jesper legt seine Hand auf deren Knie und schaut ihr immer wieder direkt in die Augen. Sophias Mundwinkel ziehen sich mechanisch nach oben und bleiben dort für die nächste Stunde. Perfekt trainiert und dressiert. ‚Du bist echt die Beste, wie cool du bleibst, wenn ich mit anderen flirte. Einfach genial. Du bist ja überhaupt nicht eifersüchtig. Hast du ja auch keinen Grund für, aber es wäre mir wirklich zu anstrengend, wenn du ständig irgendwo ne Szene machen würdest.‘ Sie glühte vor Stolz bei dieser Erklärung. Der Ritterschlag für die coolste Freundin der Welt. Den Titel würde sie nicht wieder hergeben.

Die Geräusche um sie herum klingen heute jedoch dumpf in ihren Ohren. Sie spürt, wie ihre Hände beginnen, zu schwitzen und sich ihr Puls erhöht. In ihren Stiefeletten verkrampfen sich ihre Zehen. Aber sie lächelt.

Dann erhebt sie sich und greift nach ihrer Jacke und ruft in die Runde: „Leute, ich muss ins Bett. War cool, bis zum nächsten Mal!“ Worte der Empörung gepaart mit gespielt enttäuschten Gesichtern.

Sophia beugt sich zu Jesper: „Kommst du mit?“

„Jetzt schon?“

Ohne Lust auf weitere Diskussionen erwidert sie: „Wie du willst, kannst auch nachkommen.“

Sie verlässt die Bar allein und holt ihr Handy aus der Tasche. Wenigstens für den Heimweg quer durch den dunklen Park will sie ihre beste Freundin anrufen. Doch dann öffnet sich hinter ihr die kleine Flügeltür. Jesper steht da.

„Warte, ich komme.“ Er legt seinen linken Arm über ihre Schultern und geht mit ihr Richtung nach Hause. In Sophias Augen sammeln sich die Tränen. Ihr Körper ist müde und ihre Nerven immer noch angespannt. Erleichtert atmet sie tief durch. Sie lässt das Telefon aus ihrer Hand wieder in die Handtasche gleiten.

„Ist irgendwas?“, fragt Jesper sie etwas zu laut. Seine Ohren fühlen sich wahrscheinlich genauso taub an wie ihre nach der Geräuschkulisse der Bar.

„Nein, alles gut.“ Vor Sophias Augen tauchen wieder die Bilder von Jespers Hand auf Michelles Knie auf. Tränen laufen ihr stumm über das eiskalte Gesicht. Sie wischt sie weg und hofft, dass Jesper nichts bemerkt hat. Er ist jetzt da. Das zählt.

Im Fahrstuhl zu ihrer Wohnung lässt Jesper seine Hand langsam von ihren Schultern über ihren Rücken nach unten gleiten.

„Jesper, es ist spät, ich will nur noch ins Bett…“ Er scheint sie gar nicht zu hören und drückt sie gegen den Spiegel im Fahrstuhl. Sie spürt seinen Körper auf sich.

„Ich will dich. Jetzt. Du siehst heute so wahnsinnig gut aus.“

Sophia seufzt und drückt Jesper mit beiden Händen von sich weg. „Nein, ich bin wirklich nicht in Stimmung.“ Der Fahrstuhl kommt mit einem Ping zum Stehen und die Türen öffnen sich. Sophia betritt den Flur dicht gefolgt von Jesper. Sie öffnet die Wohnungstür und legt die Jacke auf der Garderobe ab. Während sie ihren Schal vom Hals abwickelt, beobachtet sie aus den Augenwinkeln, wie Jespers Gesichtszüge sich verhärten.

„Soll ich dir mal ein Glas Wasser holen?“, fragt sie.

„Mach ich schon selber. Ich esse dann auch noch was.“ Er biegt um die Ecke und verschwindet in der Küche.

Sophia legt sich ein paar Minuten später ins Bett. Sie schließt die Augen. Öffnet sie wieder. Dreht sich auf die Seite. Auf die andere Seite. Hört auf die Geräusche aus der Küche. Ist hellwach.

Im Dunkeln steht sie wieder auf und geht in die Küche. Sein Blick wandert über ihren nur noch leicht bedeckten Körper, während er von seinem Käsebrot abbeißt.

„Tut mir leid, ich hab das Gefühl, dass wir uns streiten. So kann ich nicht einschlafen.“, flüstert sie. Ihre normale Stimme wäre viel zu zittrig in diesem Moment.

„Ich streite mich nicht. Ich wollte einfach nur mit meiner Freundin schlafen, für die ich extra früher los bin. Aber wenn du nicht willst…“

„Ich, ich. Was heißt schon wollen? Ich will ja, ich bin nur so müde. Ich muss schlafen. Also ist alles in Ordnung?“

Jespers Augen blitzen und seine Oberlippe kräuselt sich für einen kurzen Moment. „Jap. Kein Ding. Ich wollte ja eh früh ins Bett gehen heute.“

Sophia entgeht der sarkastische Unterton in seiner Stimme nicht. Sie geht einen Schritt auf ihn zu und beugt sich zu ihm herunter. Sie küsst ihn auf den Mund. Er schmeckt nach Käsebrot und Gin. Eine Welle der Zuneigung flutet ihren Körper. Extra für sie ist er früher mit nach Hause gekommen. Sonst wäre er bestimmt in der Bar mit seinen Kumpels und Michelle versackt. Wieso war sie ihm eigentlich böse? Sie küsst ihn nochmal und fährt mit ihrer Hand über seinen Schritt.

„Jetzt wo ich ohnehin nicht schlafen kann…“, haucht sie in sein Ohr. Er erhebt sich und greift gekonnt unterhalb ihrer Pobacken zu, sodass er sie ins Schlafzimmer tragen kann. Er wirft sie rücklings aufs Bett und beugt sich über sie. Während seines Orgasmus laufen wieder stumme Tränen über Sophias nun glühend heißes Gesicht.

Mitten in der Nacht steht sie auf und trinkt etwas Wasser direkt aus dem Wasserhahn. Auf ihren Armen bildet sich eine Gänsehaut. Das kalte Wasser weckt ihre Sinne und die Erinnerungen. Das saure Gefühl, das sich aus ihrer Magengrube nach oben arbeitet, vertreibt sie mit einem weiterem Schluck Wasser. Sie hält sich an der Küchenzeile fest. Hört das Schnarchen aus dem Raum am Ende des Flurs. Schmunzelt bei dem Geräusch. Wie oft hat er schon behauptet, er würde überhaupt nicht schnarchen. Die Watte in den Ohren hilft etwas. Manchmal muss sie ihn trotzdem wecken. Ein Grummeln, vielleicht dreht er sich um. Wenigstens zwei Minuten Ruhe. Ein Zeitfenster fürs wieder Einschlafen.

Die erste Nacht neben ihm schlug ihr Herz viel zu laut, um überhaupt zur Ruhe zu kommen. In der Tasche neben dem Bett noch das am Vormittag ausgeliehene Buch. Sie konnte sich nicht einmal an den Titel erinnern. Nur an die Stelle in der Bibliothek, an der er sie ansprach. Das Kaffeetrinken danach dauerte den ganzen Tag. Voller Koffein und ohne etwas Festes im Magen pumpte ihr Herz nun unerbittlich. Seine Wohnung war größer als ihre. Die Junggesellenbude verdiente ihren Namen. Seine Coolness darüber aber auch. Geschirrstapel in der Spüle: ‚Moderne Kunst‘; T-Shirthaufen auf dem Wäscheständer: ‚Effizientes Arbeiten‘; Ungemachtes Bett: ‚Spart Zeit‘.

Das Bett war groß. Die Decke kuschelig. Er warm. So warm. Er hielt sie fest und sie wollte nie wieder los gelassen werden.

Am nächsten Morgen ging sie in den Klamotten vom Vortag zu sich. Kaufte in der Drogerie einen Rasierer. Hatte seinen Blick kurz davor beim Anziehen auf sich gespürt. Eine Kleinigkeit.

‚Ich hab vergessen, wie es ist, Sex zu haben‘, schrieb sie ihrer besten Freundin. Inga rief sofort an. ‚Wie ist das denn passiert?‘ Fassungslosigkeit auf der anderen Seite der Leitung. Sophia, die brave Studentin, hatte einen One-Night-Stand. Zumindest sagte sie das. Die Verabredung in zwei Stunden zum Mittagessen erwähnte sie nicht. Erzählte erst zwei Wochen später, dass sie diesen vier Jahre älteren wissenschaftlichen Mitarbeiter täglich sah. Konnte ihre Aufregung nicht mehr für sich behalten. Jeden Tag schickte er ihr die süßesten Nachrichten. Jeden Tag spürte sie ihre Dämme brechen. Spürte die Wände einreißen, die sie nach der letzten Trennung Stein für Stein aufgebaut hatte. Überflüssiges Mauerwerk, das nur den Blick auf das Schöne dieser Welt verbaute. ‚Wehrlos‘ nannte sie ihre Mutter. ‚Glücklich‘ nannte es Sophia.

Jetzt steht sie in der Küche und spürt die kalten Fliesen unter ihren nackten Füßen. Ihre gemeinsame Küche. Jahre später. Erwachsen. Eingewachsen. Zusammengewachsen. Zusammen. Immer noch. Ein lauter Schnarcher aus dem Schlafzimmer. Sie lächelt und schüttelt den Kopf, während sie zurück geht und ihm einmal über die Wange streicht. Er schläft weiter. ‚Nein, du schnarchst wirklich absolut überhaupt nicht‘, denkt sie und kuschelt sich eng an ihn.

WUNSCHGEDANKE

Der Kellner schenkt den bestellten Champagner ein und lässt die Flasche in dem Kühler direkt neben dem kleinen Tisch stehen. Die leise Klavierbegleitung aus dem Hauptraum dringt gedämpft in das Separee, das er für diesen Anlass gebucht hat. Ihr weinrotes Cocktailkleid passt farblich zu den Servietten, die zu Flamingos gefaltet zwischen ihnen aufgebaut sind.

Jesper nimmt sein Glas und prostet ihr zu: „Auf uns.“

„Auf uns und die nächsten sieben Jahre.“ Sophia lächelt ihn an.

Sieben Jahre. Das Gespräch in der Universitätsbibliothek. Ihr ersten Treffen scheint wahnsinnig lang her zu sein:

Schulterzuckend erhebt sie sich und dringt tiefer in die Regalgänge der zentralen Universitätsbibliothek ein. Der Blick schweift über abgegriffene Buchrücken. Ihre Schritte klingen dumpf auf dem Industrieteppichboden, der diesen ganz besonderen alten Duft verströmt. Es klingt fast so, als würde sie über einen mit Moos bewachsenen Waldboden gehen. In der richtigen Abteilung angekommen, nimmt sie einzelne Bücher in die Hände.

„Na, unentschlossen?" Neben ihr steht ein hoch gewachsener Jura-Schönling.

„Kann man so sagen. Steht doch eh überall das gleiche drin." Der Typ lächelt und tippt sich dabei leicht mit dem linken Zeigefinger aufs Kinn. Eine Geste, die Sophia schwer an einen Wichtigtuer aus ihrer Schule erinnert. Sie verdreht im Kopf die Augen. Dann fallen Sophia seine vollen Lippen auf. Hoffentlich wird sie nicht rot.

„Ich kann dir das hier empfehlen", sagt ihr Gegenüber und zieht einen dicken Wälzer aus dem Regal. Sophia muss blinzeln und sich kurz schütteln, um wieder in der Realität anzukommen.

„Äh – danke."

„Kein Ding." Der Typ stromert bereits zum nächsten Regal. Am Ende des Ganges dreht er sich nochmal um und grinst: „Hi! Ich bin Jesper."

„Sophia." Sie grinst auch. Sie steht mit dem Buch in der Hand im Gang und spürt ihren Herzschlag deutlich.

Der Kellner bringt etwas Brot mit diversen Aufstrichen in winzigen Gefäßen als Gruß des Hauses.

„Sag mal, können wir uns den Laden überhaupt leisten?“, flüstert Sophia und kichert.

„Besondere Anlässe erfordern besondere Maßnahmen.“ Er lächelt und bestreicht ein Stück Brot mit etwas das aussieht, als könnte es mal eine Avocado gewesen sein.

„Ohh ist das köstlich. Hier. Das musst du probieren.“ Er hält ihr den angebissenen Rest über den Tisch und während sie sich nach vorn beugt, um zu kosten, wird sie sich der Szenerie um sich herum immer bewusster.

Schickes Restaurant. Hübsche Abendkleidung. Separater Bereich nur für die beiden. Ein schwer verliebtes Paar, das gerade sieben Jahre gemeinsam verbracht hat und zusammen lebt. Er wird doch nicht etwa? Sophias versucht unauffällig zu prüfen, ob ihre Maniküre noch gut ist. Der linke Ringfinger wäre heute auf jeden Fall frei. Zu auffälligen Schmuck, der ablenken könnte, trägt sie ohnehin nicht. Nur ihr dünnes Silberarmband mit Sternen.

„Ich dachte wirklich, er macht mir einen Antrag“, erzählt sie zwei Tage später Inga, ihrer besten Freundin, als die beiden sich zu ihrem wöchentlichen Parkspaziergang treffen. Im Kopf tauchen wieder die Bilder auf, wie Jesper vor ihr auf die Knie geht und sie fragt: ‚Meine Liebe, mein Herz, du bist alles für mich! Sophia Kristin Nissen, möchtest du meine Frau werden?‘ Sophia geht ebenfalls in die Knie und küsst Jesper, ohne zu antworten. ‚Bedeutet das ‚Ja‘?‘, fragt er sie, während er eine Schatulle mit einem wunderschönen brillantenbesetzten Verlobungsring aus der Hosentasche zieht und öffnet. Sophia hat Tränen in den Augen und nickt, während sie ‚Ja‘ flüstert. Wie im Film oder besser gleich wie bei Gossip Girl, als Chuck Blair in letzter Minute einen Antrag macht und beide damit in das wohlverdiente Happy End steuern. Nach sechs Staffeln Auf und Ab. Nach dem Ringen um die wahre Liebe. Die pure Leidenschaft. Sophia seufzt innerlich immer noch, wenn sie an diese Liebeshochzeit denkt.

Soweit die Theorie. Während sie sich wieder an der Stelle zwischen Zeigefinger und Daumen kratzt, spürt sie, wie auch ihre Gesichtshaut anfängt zu brennen.

„Musst nicht rot werden“, Inga stupst sie in die Seite. „So abwegig klingt das doch auch gar nicht. Ihr seid beide alt genug, seid ewig und drei Tage zusammen. Warum solltet ihr da nicht heiraten?“

„Ja, oder? Meinst du, ich sollte ihn da mal drauf ansprechen?“

„Keine Ahnung, vielleicht.“

Am Abend nimmt Sophia ihren Mut zusammen und erzählt Jesper von einem Paar aus ihrer Schule, dass seit acht Jahren zusammen ist und sich nun verlobt hat. Er nimmt diese Information achselzuckend zur Kenntnis.

„Wir haben da noch nie so richtig drüber gesprochen. Aber ganz grundsätzlich und hypothetisch gesprochen, kannst du dir schon auch vorstellen, zu heiraten, oder?“

Jesper schiebt seinen Laptop etwas zur Seite und grinst. „Ja Sophia, grundsätzlich und hypothetisch gesprochen, kann ich mir das vorstellen und werde das auch irgendwann vermutlich tun.“

Sophia wartet. Jespers Grinsen breitet sich zu einem Lacher aus. „Sei nicht ungeduldig. Wir haben doch noch Zeit.“

Puh. Das klingt doch schon fast wie ein Versprechen. Sophia lässt das Thema fallen und schmiegt sich an ihn. In Gedanken plant sie schon das Brautkleidshopping mit Inga.

VORFREUDE

Die Tür fällt schwer ins Schloss und sie hört, wie er seine Schuhe in das Schuhregal direkt neben dem Eingang stellt. Die Schranktür öffnet sich und die Jacke wird verstaut. Ein paar Schritte und die Tür zum Wohnzimmer öffnet sich. Er grinst über beide Ohren.

„Naaaa!“ Er grinst weiter. Sophias Mundwinkel ziehen ebenfalls nach oben. Sein Lachen war für sie schon immer ansteckend.

„Erzählst du mir, woher die gute Laune kommt?“

„Jap.“ Jesper lässt sich mit Schwung aufs Sofa nieder und setzt sich in einen Schneidersitz. Er dreht den Kopf zur Seite und schmunzelt, während er ihr in die Augen blickt. Sein Zeigefinger tippt zweimal gegen sein Kinn und er atmet hörbar durch die Nase ein, bevor er beginnt:

„Ich habe uns gerade Flüge nach Malta gebucht.“

Sophia öffnet den Mund. Flüge nach wo? Malta? Flüge? Was? Statt einer Antwort legt sie den Kopf schräg, den Mund weiter geöffnet und zieht die Augenbrauen zusammen. Mit einer Bewegung der Hände bittet sie Jesper um weitere Infos.

„Ich dachte, wir fahren nächste Woche spontan weg. Urlaub haben wir doch eh, dann können wir auch richtig verreisen.“

Langsam fällt bei Sophia der Groschen. Ihre Stimme kehrt zurück: „Und wir fliegen nach Malta? Wie viel kostet das denn?“

„Da wollte ich schon immer mal hin. Keine Sorge, ich lade dich ein. Ich möchte mit dir wegfahren, das ist mir wichtiger. Und außerdem war das ein Last-Minute-Angebot.“

Sophia fängt langsam und leise an, zu lachen. „Wow, Ich weiß nicht was ich sagen soll. Danke?“

„Freust du dich?“

Sophia schüttelt sich kurz. „Ja klar, ich bin nur gerade etwas schockiert.“

„Ach komm schon, wir sind seit sieben Jahren zusammen und du bist immer noch überrascht, wenn ich spontan etwas mache?“