Manchmal kommt eben alles anders, als man denkt - Sandra von Kleist - E-Book

Manchmal kommt eben alles anders, als man denkt E-Book

Sandra von Kleist

0,0

Beschreibung

Die 35-jährige Protagonistin Josie Metternich findet sich, nach fünf Jahren Beziehung mit Georg, in einem zunehmenden Albtraum wieder. Immer mehr drängt Georg sie in eine schwache Position, der sie zunächst hilflos gegenübersteht. Als sie dann einen schweren Schicksalsschlag allein bewältigen muss, ist es mit ihren guten Vorsätzen vorbei und endlich beschließt sie sich zu trennen. Aber Georg wäre nicht Georg, wenn er nicht einen Weg finden würde, um sie an sich zu binden. Erst als er einen unverzeihlichen Fehler begeht, trifft sie eine folgenschwere Entscheidung. In diesem Beziehungsdrama, das Sandra von Kleist mit einem feinsinnig, sarkastischen Humor schrieb, werden sich viele wieder finden können. Denn wer ärgert sich nicht mal über seinen Partner? Es darf halt nur nicht zu viel werden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 301

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Fehler

hat so seinen Preis, wie jedermann wohl weiß. Wird der Fehler dann zur Plage, redet man sich gern in Rage. Streitereien werden schlimmer, besser wird es nimmer. Böse Worte und die Wut, zerstören manche Liebesglut. Doch drückt die Plage dann nicht mehr ist das Leben nicht mehr schwer.

Sandra von Kleist

Inhalt

1.Kapitel

2.Kapitel

3.Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15.Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19.Kapitel

20. Kapitel

21.Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26.Kapitel

27.Kapitel

28.Kapitel

29.Kapitel

30.Kapitel

31. Kapitel

32.Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35.Kapitel

36.Kapitel

37. Kapitel

38.Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41.Kapitel

42.Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56.Kapitel

57. Kapitel

Epilog

1.Kapitel

„Wann sollen wir denn bei Tessa sein? Schaffst du es pünktlich?“

„Ich schon, der Gurkensalat geht schnell. Bist du denn schon fertig, Georg? Du siehst so unrasiert aus, Schatz.“

Georg tastete mit einer Hand seine Gesichtshaut ab und fühlte Bartstoppeln. „Verflucht, das habe ich vergessen. Ich beeile mich.“

Josie nahm Georgs neues Messer aus der Schublade. Es hatte knapp 300 Euro gekostet. Sie prüfte die dünne Keramik Klinge und schnitt sich fast in den Finger. Beeindruckt griff Josie nach der ersten Gurke und schnitt sie klein. Plötzlich brach ein Stück Klinge ab. Sie hielt den Atem an. Panik machte sich in ihr breit. Wie sollte sie Georg das beibringen?

Ein ungutes Gefühl überkam Josie, als er plötzlich singend aus dem Bad kam. Georg erfasste die Situation sofort. Unwillig verzog er seine Stirn kraus und ging langsam auf sie zu.

„Was ist passiert? Hast du etwa mein Messer kaputt gemacht?“ Er warf einen Blick auf das Schneidebrett und sah die abgebrochene Messerspitze. Ungläubig griff er danach und hielt das Stück Klinge zwischen seinen Fingerspitzen. „Du bist doch zu dämlich. Noch nicht einmal das kannst du. Dass du einfach nur schlampig bist, ist eine Sache, aber deine Blödheit übertrifft alles.“

„Das glaube ich nicht!“, flüsterte Josie. „Georg, wie redest du mit mir? Ich habe nur eine Gurke geschnitten. Nichts weiter! Vielleicht hatte die Klinge bereits einen Sprung? Das kann doch passieren bei Keramikklingen, oder nicht?“ Josie war verletzt und zornig. Immer öfter kam es vor, dass er sie zutiefst beleidigte und herablassend behandelte. Bis jetzt hatte sie stets versucht, seine verbalen Entgleisungen mit Gleichmut zu ertragen. Aber nun war das Maß voll. Wütend riss sie die obere Schranktür auf und nahm Georgs Lieblingstasse in die Hand. Mit einem provozierenden Blick hielt sie ihm die Tasse unter die Nase. Ihre Augen funkelten gefährlich.

Georg begriff sofort, was sie vorhatte. „Wenn du das machst!“

„Ja, was dann?“ Josie hob bereits ihren rechten Arm und holte Schwung. Bevor Georg eingreifen konnte, flog die Tasse in hohem Bogen gegen die Wand und zerbrach in viele Stücke.

„Jetzt kannst du deine Tasse mit deinem Messer zusammen wegwerfen! Du kannst mich mal! Ich lasse mir von dir nicht doch nicht alles gefallen!“

Georg betrachtete betrübt den Scherbenhaufen, der vorher noch seine Lieblingstasse war. Seine Mutter hatte ihm diese vor zehn Jahren geschenkt, mit den Worten: „für den besten Sohn, den man sich wünschen kann“. Auf der Rückseite der Tasse war ein Foto von ihnen beiden abgedruckt. Diese Tasse spülte er seit zehn Jahren mit der Hand ab. Niemand anders als er durfte sie abspülen und niemand durfte sie in die Geschirrspülmaschine stellen. Sie war eines der wenigen Andenken, die er noch an sie besaß. Georg schloss die Augen. Er verspürte einen starken Drang, handgreiflich zu werden. Nur mühsam konnte er sich beherrschen.

Josie fühlte eine tiefe Genugtuung, als sie Georgs Verzweiflung sah. Sie ahnte nicht, wie nahe Georg daran war, gewalttätig zu werden. Mühsam versuchte sie sich zu beruhigen und schnäuzte kräftig die Nase. Ihre Wuttränen wischte sie ärgerlich mit ihrem Handrücken aus ihrem Gesicht.

Die Reste seines teuren, empfindlichen japanischen Messers schob sie beiseite und griff nach ihrem alten, bewährten Küchenmesser.

Schnell schnitt sie die erste Zwiebel klein und versuchte, sich auf das Schneiden zu konzentrieren.

Auch Georg versuchte, sich zusammenzureißen und beseitigte mit Handfeger und Schaufel die Scherben seiner Tasse. Nun, wo die größte Wut verraucht war, schämte er sich ein wenig. Er wusste nicht, warum er sich so aufregte. Josie hatte sicher nicht absichtlich die Klinge seines Messers abgebrochen. Sie hätte allerdings vorsichtiger damit umgehen müssen. Manchmal war sie halt nicht die hellste. Eigentlich wusste er es doch. Er hätte gar nicht auf das kaputte Messer reagieren sollen.

„Wir wollen uns den Abend nicht verderben, oder Schatzi?“, versuchte er großzügig einzulenken und ging zu ihr hinüber, um sie zu küssen.

Josie wich ihm geschickt aus und gab die letzten Zwiebeln, Zucker, Salz und Pfeffer zum Salat, rührte ihn einmal um und schmeckte zufrieden ab.

„Ist der Gurkensalat fertig?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, schob er sie beiseite. Neugierig schaute er in die Schüssel. „Na, dann lass mich jetzt mal ran!“ Georg nahm aus dem Gewürzschrank die Dose mit der gekörnten Brühe.

Mit bösen Blicken betrachtete sie das Szenario. Ihr Puls schwoll wieder an. Er würde doch nicht?

Er nahm einen Esslöffel, drehte die Dose mit der Brühe auf und streute zwei Esslöffel gekörnte Brühe auf den Gurkensalat. Völlig begeistert von seinem Können, rührte Georg den Salat kräftig um und schmeckte ihn noch einmal ab.

„Nun schmeckt er richtig gut! Ich habe es dir schon oft gesagt, du solltest einen Kochkurs machen. Aber ich will jetzt nicht mehr mit dir streiten.“

Josie spürte in ihrem Inneren eine heiße Glut aufsteigen. Sie versuchte, ihren Zorn herunterzuschlucken und es nicht persönlich zu nehmen. Dennoch zogen gefährliche Bilder vor ihre Augen und todbringende Gedanken erfüllten sie.

Am liebsten hätte sie den Salat in die Tonne geworfen, aber stattdessen ging sie in die Hocke und kroch in den Küchenschrank, um den Deckel zu suchen.

„Schatzi, findest du ihn bald? Wir müssen los. Du solltest besser Ordnung halten“, drängelte Georg.

Josie resignierte und ärgerte sich über sich selbst.

Sie musste einsehen, dass er in diesem Punkt recht hatte! In dieser Unordnung konnte sie nichts finden. Frustriert kroch sie aus dem Schrank hervor und bändigte ihre langen blonden Haare.

„Georg, du hast Recht. In diesem Punkt stimme ich dir zu.“ Verwirrt schielte er Josie von der Seite an. Seit wann gab sie ihm recht?

„Dann muss es halt ohne Deckel gehen. Vielleicht magst du die Schüssel auf deinen Schoß stellen?“

Sie reichte ihm ein Handtuch. „Das kannst du darunter legen. Dann kann nichts passieren.“

Georg guckte sie empört an: „Josie, ich kleckere mir doch nicht meine gute Hose voll. Was du mit deinem Auto machst, ist deine Sache. Ich nehme die Salatschüssel nicht auf meinen Schoß. So wie du fährst, ist die Schüssel nach wenigen Minuten leer, weil der Salat auf meiner Hose verteilt ist. Da hilft weiß Gott kein Handtuch.“ Bei diesen Worten warf er das Handtuch in die Spüle. „Bei der ersten Kurve passiert das Malheur. Sollte wider Erwarten ein Rest in der Schüssel bleiben, erledigt dein abruptes Bremsen den Rest. Nein, Nein. Das kannst du vergessen.“

Du liebe Güte! Wie konnte man sich nur anstellen? Dachte Josie und verdrehte die Augen.

„Das habe ich gesehen! Du brauchst gar nicht die Augen verdrehen. Josie, du bist eine so unordentliche Frau. Das Problem in diesem Haus bin gewiss nicht ich, sondern du! Fahr doch allein zu Tessa, so langsam reicht es mir für heute!“ Georg ging beleidigt zu seinem „Lieblings-och-wie gemütlich-Sessel“ und schaltete den Fernseher ein. Fassungslos starrte sie ihn an und presste ihre Lippen zusammen. Als sie begriff, dass er es wirklich ernst meinte, griff sie wutentbrannt nach der Salatschüssel und feuerte sie in die Küchenspüle. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schnappte sie Jacke und Handtasche und verließ mit lautem Türenknall das Haus.

Georg hörte den aufheulenden Motor und die quietschenden Reifen ihres alten Golfs, dann waren er und Friedhelm allein.

2.Kapitel

Josie versuchte unterwegs, ihre Fassung zurückzuerlangen. An der ersten Kreuzung verwechselte sie vor Aufregung die Gänge ihres Golfes. Beim Anfahren erwischte sie den vierten Gang und würgte den Wagen ab. Verzweifelte Tränen liefen ihr Gesicht hinunter. Ungeduldiges Hupen hinter ihr, ließ sie hektisch werden. Josie startete ihren Wagen erneut und kuppelte vom vierten in den fünften. Dann gab sie Gas. Ihr VW machte einen plumpen Satz nach vorn, das Motorengeräusch verstummte. Ein Blick in den Rückspiegel machte sie zornig. Ihr Hintermann zeigte ihr, durch seine Frontscheibe, wild gestikulierend einen Vogel. Empört startete sie ihren Golf erneut. Und diesmal klappte alles auf Anhieb. Sie fand den ersten Gang, fuhr langsam an und schaltete hoch. Josie atmete tief durch. Ihr Hintermann überholte sie mit aufheulendem Motor und zeigte ihr erneut einen Vogel. Diesmal ließ sie sich nicht provozieren und winkte ihm lachend zu.

Ihre Gedanken waren längst wieder bei Georg. Das ist nur eine Phase, die geht vorbei, redete sie sich ein, während sie konzentriert weiter fuhr. Als sie schließlich auf Tessas Hof einbog, glaubte sie selbst daran.

Auf dem großen Hofplatz vor Tessas und Manfreds moderner Villa staunte sie nicht schlecht. Sie stellte fest, dass sie anscheinend die ganze High Society Lübecks eingeladen hatte: die teuersten Sportflitzer von Porsche, Mercedes und Audi standen auf dem Parkplatz. Sie kam sich mit dem alten Golf ein wenig verarmt vor und genierte sich. Sie beschloss, ihren betagten Volkswagen bei Tessas Nachbarn abzustellen. Ulf und Inge hatten bestimmt nichts dagegen, sie kannten Josie schon lange.

Sie stellte den Wagen so ab, dass niemand sie beobachten konnte, als sie ausstieg. Hocherhobenen Hauptes stolzierte Josie mit dem Geschenk in der Hand zu Tessas vierzigsten Geburtstag.

Es gab ein großes Hallo. Bussi hier, Bussi da. Viele der Gäste kannte sie gut, manche nur flüchtig. Einige gar nicht. Niemandem fiel es auf, dass sie keinen Salat dabei hatte. Eine Kellnerin bot ihr Champagner an. Überrascht griff sie beherzt zu. Tessa ließ sich ihren 40. was kosten.

Während Josie mit in die Feierlaune der Partygäste einstieg, wartete Georg verdrossen auf seine Josie.

Er war fest davon überzeugt, dass sie reumütig umkehren würde, um ihn abzuholen. Bald musste er aber einsehen, dass er falsch lag. Er hoffte, dass sie wenigstens den Anstand besaß, früher den Geburtstag zu verlassen, um bei ihm zu sein. Aber auch hier wurde er eines Besseren belehrt. Wütend und müde holte er seine Sachen aus dem Schlafzimmer und verschanzte sich mit Friedhelm im Gästezimmer. Sie sollte nicht denken, er würde noch kuscheln wollen, wenn sie nach Hause käme. Die Gästezimmertür war für sie verschlossen!

Eine Stunde und ein paar Gin Tonics später, musste Josie an Georg denken. Ihr Herz wurde schwer. Wie konnte es so weit kommen?

Sie hatten sich vor fünf Jahren kennen und lieben gelernt, vor zwei Jahren zogen sie alle zusammen.

Ihre Kinder, Lissi (elf Jahre), Leanne (zwölf Jahre) und Timmi (dreizehn Jahre), mochten Georg und er die Kinder - sie waren in gemeinsamen Urlauben zu Freunden geworden. Also stand dem Zusammenzug nichts im Weg! Auch Gottfried, ihr Ex und der Vater der Kinder, war einverstanden. Warum auch nicht?

Ihre demütigende Trennung von Gottfried verlief trotz allem harmonisch. Gottfried hatte sich in einen Arbeitskollegen verliebt. Josie musste damit fertig werden. Gottfrieds schlechtes Gewissen ihr gegenüber, half ihr. Sie fanden zusammen einen Weg, die Trennung aufzuarbeiten. Schließlich wollten sie ihren drei Kindern ein liebevolles und loyales Elternhaus bieten.

Nun, nach zwei Jahren des Zusammenlebens, herrschte zwischen ihr und Georg natürlich der Alltag. Georg war viel außer Haus. Als Investmentbanker hatte er oft zehn Stunden Tage. Sie arbeitete halbtags in einer Arztpraxis als Medizinische Fachangestellte im Ort. Ohne Haushaltshilfe mit einem riesigen Garten, drei Kindern und einer ausgewachsenen Dogge namens Friedhelm, hatte Josie abends keine Zeit und Lust zum Kuscheln. Sie war einfach fix und fertig. Manchmal fühlte sie sich nicht wie 35, sondern wie 50 Jahre. Georg fühlte sich wohl in seinen Erwartungen enttäuscht.

Anders konnte sie sich sein Verhalten nicht erklären.

Sie ertränkte ihren Kummer in Alkohol. Gin Tonic hatte Tessa zum Glück reichlich eingekauft.

Bis auf einmal ihre Jugendliebe Andreas lächelnd vor ihr stand. Völlig überrumpelt starrte sie an. Schmetterlinge kamen in einem riesigen Schwarm auf sie zugeflogen und sie konnte es nicht verhindern, dass sie in ihrem Bauch ein Tohuwabohu anrichteten. Von dieser Sekunde des Wiedertreffens nach all den Jahren, war es um sie und um ihre guten Vorsätze geschehen. Ihr Verstand setzte aus und sie tranken gemeinsam einen Gin Tonic nach dem anderen, gemischt mit einigen „Wiederseh- Kräuterschnäpsen”. Sie fühlte sich elektrisiert und berauscht von seinem männlichen Duft.

3.Kapitel

Am nächsten Morgen donnerte es laut an der Haustür.

Es schien fast so, als ob jemand mit seiner Faust durch die Tür hindurch schlagen wollte. Josie lag in Ihrem Bett und überlegte, wo sie war. Sie hörte niemanden rufen. Nur der Lärm eines Irrsinnigen, der auf die Haustür einschlug, drang zu ihr. Sie versuchte, die Augen zu öffnen. Eine Welle der Übelkeit überkam sie und sie schoss aus ihrem Bett empor. Zum Glück erreichte sie gerade rechtzeitig das Bad. Zehn Minuten später schleppte sie sich erschöpft ins Bett zurück.

Auf ihrem Gesicht spürte sie warme Sonnenstrahlen, die durch die breite Fensterfront des Schlafzimmers fielen. Es war Juni und eigentlich zu heiß. Da das Fenster ein Spalt weit geöffnet war, konnte sie das rege Treiben von der gegenüberliegenden Bootsanlegestelle hören. Es war eine kleine Anlegestelle an einem großen See. Platz war dort nur für kleine Optimisten-Jollen der Kinder aus der Umgebung.

Möwen kreischten aufgeregt: Die Eltern und Kinder hatten, wie immer, reichlich Verpflegung mit. Irgendein Kind würde mit seinem Brötchen unachtsam sein, das wussten die Möwen. Sie liebte diese Geräusche. Sie erdeten sie.

Aber nun störte dieses wahnsinnige Hämmern ihre kleine Welt. Was zum Teufel sollte dieser Lärm? Warum wurde sie so gequält?

Josie atmete tief ein und legte sich auf den Rücken. Sie nahm einen abgestandenen Geschmack in Ihrem Mund wahr und spürte ein fürchterliches Stechen in Ihrem Kopf.

Sie beschloss, den lauten Störenfried zu ignorieren. Irgendwann würde er es aufgeben. Sie wollte sterben. Ein leichter Schwindel erfüllte sie, als sie auf die Uhr auf ihrem Nachttisch schauen wollte. Eine weitere Welle der Übelkeit erreichte sie. Warum hatte sie nur keinen Eimer hochgenommen? Flink flitzte sie erneut in das Badezimmer.

Diesmal brauchte sie zwanzig Minuten. Entkräftet kroch Josie ins Bett zurück und schloss die Augen. Ihr Nacken schmerzte. Behutsam setzte sie sich etwas auf und massierte ihn. Sie bog den Kopf hin und her. Merkwürdig. Ein komisches Kribbeln durchfuhr ihren Nacken. Josie schüttelte den Kopf, legte sich vorsichtig in ihr Kissen zurück und schlief endlich wieder ein.

Nach einer Stunde weckte sie der Durst. Auf dem Nachttisch stand zum Glück ein Glas Wasser. Gierig trank sie einen großen Schluck. Josie starrte an die weiße Decke. Was war nur passiert? Verzweifelt über ihren Zustand, lauschte sie: Der Lärm war abgeklungen, nichts war mehr zu hören. Der Ruhebrecher war endlich fort! Na, wenigstens was! Langsam kehrte ihre Erinnerung zurück. Es beschlich sie ein ungutes, unglückliches Gefühl.

Sie fragte sich, wo Georg war. Seine Betthälfte war unberührt. Vielleicht schlief er im Gästezimmer? Aber dann wäre er zur Haustür gegangen. Oder war er mit Friedhelm Gassi? Eigentlich war es einerlei, seufzte Josie traurig und schloss die Augen wieder. Gedankenverloren griff sie zu ihrem Nasenspray und sprühte zweimal. Sie bekam wieder Luft. Plötzlich kratzte es in ihrem Hals und sie bekam einen Hustenanfall.

„Lieber Gott, bitte hilf mir“, stöhnte und jammerte sie kläglich, während sie versuchte, ihre wiederkehrende Übelkeit in den Griff zu bekommen. Das leichte Piksen im Kopf entwickelte sich zu einem diabolischen Stechen. Nie wieder würde sie Gin trinken. Und sie würde mit dem Rauchen aufhören! Josie setzte sich auf und wischte die Hustentränen aus den Augen.

Ihr fiel der fürchterliche und lächerliche Streit mit Georg wieder ein. Dieses bescheuerte Messer und der blöde Gurkensalat.

Aber wie zum Kuckuck war sie nach Hause gekommen?

Sie wird doch nicht gefahren sein? Beim besten Willen konnte sie sich nicht erinnern. Hm. Josie musste auf die Toilette. Ganz vorsichtig stand sie auf, zog sich den Bademantel über und ging ins Bad.

Als sie fertig war, wusch sie sich die Hände, das Gesicht und putzte Zähne. Sie nahm die Packung Schmerzmittel aus dem Spiegelschrank und schluckte rasch zwei Tabletten mit einem Schluck Wasser. Ihr Blick wanderte zum Fenster. Ein Blick hinaus bestätigte ihre Befürchtungen: Dort stand Ihr Auto! Sie ging zum Spiegel zurück und schaute sich vorwurfsvoll an. Josie spürte wieder eine Welle der Übelkeit in sich aufsteigen. Sie versuchte, sich auf ihre Iris zu konzentrieren und tief einzuatmen. Ihr wurde schwindelig. Sie schloss die Augen und klammerte sich am Waschbecken fest. Einen Moment später öffnete sie die Augen und sah auf ihre langen, strähnigen Haare. Vier hässliche Pickel strahlten auf ihrem Gesicht. Der Bademantel war verrutscht und sie entdeckte noch etwas.

Ihre Fingerspitzen berührten ihre Haut. Verzweifelt versuchte sie sich zu erinnern. Wo kam dieser Knutschfleck her?

Plötzlich hörte sie Lärm und ein tiefes Gebell an der Haustür. Automatisch zog sie den Bademantel zu.

„Schatzi! Wir sind wieder da! Wo steckst du? Bist du schon wach?“

Panisch lief Josie ins Schlafzimmer, um einen Schal zu suchen. Obwohl, dachte sie, während sie den Schrank aufriss, das sieht blöd aus. Das fällt ihm sofort auf. Wer trägt einen Bademantel und wickelt sich im Sommer dabei noch einen Schal um den Hals?

„Ich habe Brötchen geholt!“, erscholl es im ganzen Haus gut gelaunt. „Ja, du bist ein ganz Guter. Ja, so ein braves Hündchen!“ Friedhelm bellte wild.

Josies Kopf pochte unerträglich. Sie bekam nicht einmal ein Krächzen heraus. Resigniert ging Josie ins Bad zurück. Hoffentlich geht er in die Küche und macht erst Frühstück, betete sie. Aber sie sollte enttäuscht werden. Schon hörte sie Georgs Schritte auf der Treppe.

Josie spähte vorsichtig durch den Türspalt und beobachtete, wie Georg und Friedhelm ins Schlafzimmer gingen. Langsam verzweifelte sie. Mit letzten Kräften versuchte sie, ihre Blessuren zu überschminken.

„Frauchen ist ja gar nicht hier, ob sie im Bad ist? Was meinst du Friedl Maus? Wollen wir mal nachschauen?“ Mit wenigen Schritten waren die beiden im Bad. „Ah, Schatzi! Da bist du ja! Du siehst noch nicht frisch aus, geht es dir nicht gut?“, fragte er scheinheilig.

Josie ignorierte ihn, achtete aber auf den Bademantel und huschte vorbei, um ins Schlafzimmer zu gelangen.

Natürlich kam er hinterher - mit Friedhelm im Schlepptau. Rasch legte sich Josie – mit Bademantel – ins Bett.

Georg schaute auf sie hinunter: „Was ist denn mit dir los? Ist es spät geworden?” Ohne eine Antwort von ihr zu erwarten, fuhr er fort: „Du, ich war ja vorhin Brötchen holen und habe Rolf getroffen. Macht es dir was aus, wenn ich mit ihm für ein, zwei Stunden segeln gehe?“

Seit wann fragte er sie um Erlaubnis?

„Das macht doch nichts, ich bin eh nicht fit und schlafe noch ein wenig“, flüsterte Josie friedfertig und zog ihre Bettdecke hoch. Sie wollte ihre Ruhe haben. In der Hoffnung, ihn schnell loszuwerden, beschrieb sie kurz Tessas Geburtstagsfeier.

„Ich habe eine ganz fürchterliche Migräne. Es war gestern sehr schön, du hast was verpasst. Tessa versteht es groß zu feiern. Es gab reichlich Champagner, eine Band spielte dezent im Hintergrund Tanzmusik. Zahlreiche Feuerschalen hatte sie aufstellen lassen. Als es dunkel wurde, war es dadurch sehr gemütlich. Das war eine schöne Idee von ihrem Event Planer! Ich soll dich übrigens grüßen! Friedhelm kannst du ruhig bei mir lassen. Du musst keine Rücksicht auf mich nehmen, geh ruhig.“ Josie schloss die Augen und hoffte, er würde endlich gehen.

Als sie keine Geräusche mehr von Georg hörte, öffnete sie ihre Augen und schaute überrascht direkt in sein Gesicht.

Er schaute sie merkwürdig an.

„Eigentlich ist ja noch kurz Zeit für einen Quicky, dreh dich doch mal um!“ Er riss die Decke weg und drehte sie an Ihrem Becken herum, so dass sie auf dem Bauch lag. Er öffnete den Reißverschluss seiner Hose und zog sie rasch aus, um auch schon auf ihr zu liegen. „Schnell kurz das Stöckchen verstecken … jaa… so ein schönes Stöckchen habe ich“, grunzte Georg. Stöckchen verstecken? Josie kamen die Tränen.

Sie ließ ihn gewähren, dann war es schneller vorbei. Für weitere Auseinandersetzungen und Streitereien hatte sie keine Kraft mehr.

Aber sie hatte Glück: Die Dogge hatte auch „Stöckchen verstecken“ gehört und warf sich ohne Vorwarnung auf Georgs nackten Hintern. Klar, nun wollte Friedhelm das Stöckchen suchen.

Georg schrie wie ein Stier. Die Panik überkam ihn. Er hatte Angst um sein geliebtes Stöckchen.

Da Friedhelm nicht wusste, wo das Stöckchen war, interpretierte er Herrchens Geschrei als Aufforderung zum Suchen. Er schnüffelte zwischen Georgs Beinen und schmatzte voller Vorfreude.

Josie fand schon immer, dass der Hund etwas unintelligent war, womit das nun bewiesen wäre! Vieles bekam Josie nicht mit, was die beiden hinter ihr trieben, aber ihr Gefühl sagte ihr, sie müsse schnell flüchten. Sie rutschte rasch unter Georg heraus und verschloss ihren Bademantel. Nun konnte sie dem Schauspiel folgen: In Fäden lief der Speichel aus Friedhelms Maul auf Georgs nackten Hintern. Friedhelm hechelte begeistert und fixierte Georgs Hintern.

Er konnte sich nicht wehren – die graue Dogge war zu groß und zu schwer. Es gab eine arge Rauferei, weil Georg nicht stillhalten wollte und Friedhelm mit seiner Schnauze immer tiefer suchte. „Friedhelm, böser Junge! Friedhelm aus! Josie, um Gottes Willen, ruf ihn zurück - lenk ihn doch irgendwie ab!“

Die Nachttischlampe ging zu Bruch. Josie hörte Friedhelms Geschnaufe. Das Schauspiel, das sich hier bot, war zu komisch. Sie vergaß die Übelkeit und ihre pochenden Kopfschmerzen. Herzhaft musste sie lachen.

Plötzlich flogen Hunderte von Federn durch die Luft. Es erinnerte an einen Schneesturm. Nun musste Josie eingreifen – das sah ganz nach ihrem Kopfkissen aus!

Schnell sprang sie aufs Bett und stand breitbeinig über den Beiden. Sie griff in Friedhelms Nacken und erfasste sein Halsband. Josie riss ihn zurück, wobei sie sich mit ihren Zehen ins Laken festkrallen musste. Nur mit vollem Körpereinsatz gelang es, den Hund aus dem Bett zu zerren. Siegessicher schaute sie auf Georg herab, der sein Gesicht im Laken vergraben hatte.

Den Bademantel ordentlich verschlossen und froh, dass der Kelch an ihr vorbeigegangen war, schaute sie Georg spöttisch an: „Deine Männlichkeit ist vorerst gerettet, das war es wohl mit Stöckchen ver- stecken, wie?“

Georg drehte sein Gesicht zu ihr herum. Die nackte Angst stand noch in seinem Gesicht geschrieben.

Friedhelm verzog sich in die hinterste Ecke. Jetzt, wo sein Anfall vorüber war, schämte er sich augenscheinlich.

„Wartet Rolf nicht auf dich?“, fragte Josie etwas ungeduldig.

Georg war froh, dass Josie keine weitere Erektion von ihm erwartete. Dazu war er momentan nicht in der Lage. Und es wäre ihm unsagbar peinlich gewesen, es ihr gegenüber eingestehen zu müssen.

Er sprang aus dem Bett, schnappte sich seine Sachen und floh aus dem Schlafzimmer. Sie hörte die Dusche, kurz darauf seine Schritte auf der Treppe.

„Du bist eine so verständnisvolle Frau - ich liebe dich! Bis später!“, rief er zum Abschied durch das Haus.

Endlich!

Josie sah ihm aus dem Fenster gedankenverloren hinterher. Georg hielt seine Hände schützend an seinem Po.

Schade, dass Friedhelm nicht zugebissen hatte.

Wo sollte das alles enden? Ihre Fingerspitzen berührten die Haut an Ihrem Hals. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es Mittagszeit war! Na, dann würde sie jetzt hier aufräumen.

Seufzend machte sie sich an die Arbeit. Das Kissen und die Lampe konnte sie getrost vergessen. Sie holte aus dem Gästezimmer ein anderes und sammelte die Federn auf.

Immer wieder schossen ihr Tränen in die Augen und die Wellen des Selbstmitleids überfielen sie.

Als sie endlich fertig war und sie wieder ins Bett wollte, klingelte ihr Handy. Sie schaute auf das Display und blickte in Tessas lachendes Gesicht.

Josie setzte sich auf die Bettkante. Eigentlich war ihr nicht zum Reden zumute, aber sie kannte Tessa. Würde sie jetzt nicht rangehen, würde sie gar keine Ruhe haben! Dieser Quälgeist konnte sehr hartnäckig sein.

„Na, wie geht’s dir? Bist du gut nach Hause gekommen? Ich habe mir vielleicht Sorgen gemacht! Kann es sein, dass du mit deinem Wagen gefahren bist? Du bist mir vielleicht eine! Erst den Schlüssel abgeben und beteuern, dir ein Taxi zu nehmen, um dann mit dem Zweitschlüssel zu verschwinden! Sowas von total bescheuert! So breit wie du warst noch Auto zu fahren! Da hätte sonst was passieren können!“

Wie gut es war eine Freundin zu haben! Tessas laute Stimme schmerzte in Josies Kopf und sie hielt das Handy weit von Ihrem Ohr weg. Wenigstens war dieses jetzt geklärt! Nun wusste sie sicher, wie ihr Auto nach Hause gekommen war. Tessa redete weiter erbarmungslos auf Josie ein. „Und die Haustür hast du heute Morgen auch nicht geöffnet. Lässt mich da draußen einfach stehen.“ Tessa redete und redete.

Josies Gedanken schweiften ab. Ihre Blicke glitten durch das weiße Schlafzimmer, durch das große Galerie Fenster zum See. Das Wasser funkelte verführerisch. Eigentlich hatten sie es hier schön! Josie kaute nachdenklich an Ihrer Unterlippe.

Wenn sie bloß wüsste, wie sie mit Georg reden könnte. Wie sie es hinkriegen könnten, dass es wieder so schön zwischen ihnen würde, wie es einmal war.

Ihr Herz, ihre Seele tat so unfassbar weh. Und dann brach es aus ihr hervor: Sie weinte und weinte und weinte. Sie konnte gar nicht aufhören und legte einfach auf.

Sie wollte und konnte jetzt nicht reden.

Nach einer Weile des Redens bemerkte Tessa, dass am anderen Ende keine Geräusche mehr zu hören waren. Die Leitung hörte sich merkwürdig tot an. Ein Blick auf ihr Display bestätigte ihren Verdacht. Sie wählte Josies Nummer - aber niemand ging ran.

Tessa reagierte unmittelbar.

Sie schnappte sich Handtasche und Autoschlüssel und sauste zu Josie. Da musste was passiert sein!

Die Haustür war dieses Mal unverschlossen.

Sie verzichtete auf das Klingeln und stürmte ins Haus. „Was hat er dir angetan? Josie!“ Die Nachbarn konnten Tessas schrille Stimme deutlich hören.

Frau Müller von gegenüber reckte bereits den Hals gefährlich weit aus ihrem Fenster und ihr Polsterkissen, das sie auf das Fensterbrett gelegt hatte, fiel ins Blumenbeet.

Tessa warf schwungvoll die Haustür zu. Sie hörte Josies Weinen und Schluchzen aus dem Schlafzimmer.

Ich mache ihn kalt…, wenn Georg ihr was angetan hat…, dieses egoistische Arschloch, hämmerte es in Tessas Kopf.

Sie eilte die Treppe hoch, nahm zwei Stufen auf einmal und stürzte ins Schlafzimmer.

Josie saß auf der Bettkante, nur mit einem Bademantel bekleidet. Mit wirren Haaren, das Gesicht in den Händen vergraben, das Handy lag neben ihr.

Tessa spürte Friedhelms Blick und schaute ihn an. Er hockte in der Ecke und blickte zu ihnen hinüber. Riesige Blasen bildeten sich an seinen Lefzen. Sie zerplatzten und liefen in einem kleinen Rinnsal hinab und tropften schließlich auf den Boden. Tessa schüttelte sich, sagte aber nichts.

Sie setzte sich zu Josie und nahm sie in den Arm.

„Ist ja gut, meine Süße. Wir kriegen alles wieder hin“, flüsterte sie, ohne die geringste Ahnung zu haben, was sie wieder hinkriegen sollten.

Josie sagte nichts. Sie schnaufte und putzte die Nase geräuschvoll.

Tessa sah wieder zu Friedhelm, schaute ihm fragend in die Augen – als ob er ihr die Antwort geben könnte.

Friedhelm fühlte sich absolut überfordert, erhob sich schwerfällig und ging hinunter. Unter seinem Gewicht ächzte die alte, weiß lackierte Holztreppe.

Josie griff zum Nasenspray und fing an zu reden, während sie sich schluchzend das Nasenspray in die Nase sprühte.

Endlich wurde die Nase freier und sie bekam wieder Luft.

Sie berichtete vom Gurkensalat-Streit und vom Aufwachen.

„Weißt du …, bei dem ganzen Desaster, hatte ich noch ein Riesenglück! Als Georg mit Friedhelm vom Brötchenholen nach Hause kam … . Er kam sofort zu mir ins Schlafzimmer. Sein „Stöckchen” wollte er bei mir verstecken. Stell dir das mal bitte vor! Einfach so… ohne Liebe, ohne Romantik - einfach nur von hinten. Ich fühle mich so erbärmlich und benutzt.”

Traurig guckte sie ihre Freundin an.

„Aber hätte er es mit Liebe und Romantik gemacht, dann säße ich jetzt wohl auf gepackten Koffern.“

Zur Erklärung öffnete Josie den Bademantel am Hals, strich die Haare zurück und zeigte Tessa ihren Hals.

„Oh, was?!“ Tessa bekam riesengroße Augen.

Sie sah ein, dass Josie wortwörtlich ein Riesenproblem am Hals hatte.

„Das kann ja wohl nur Andreas gewesen sein?“ Tessa schaute sie prüfend an. „Du weißt nichts mehr? Gar nichts?

Josie schüttelt den Kopf.

„Tsss. Ihr habt euch gestern Abend sehr gut verstanden und sehr gefreut, dass ihr euch auf meinem Geburtstag, nach den vielen Jahren wieder getroffen habt. Ihr wart so voll. Vielleicht hätte ich dir erzählen sollen, dass ich ihn vor einem halben Jahr durch Zufall getroffen und daraufhin eingeladen habe. Aber ich dachte, das sei nicht mehr wichtig, nach all den Jahren. Mann… Da kannst du echt von Glück sprechen, dass Georg den nicht gesehen hat! Das wird ein Katz- und Mausspiel für dich! Eine Woche bleibt der locker. So groß wie der Fleck ist und so dunkelblau - lila.“ Ungläubig schüttelte sie ihre dunkel-braunen, kurzen Locken. Ihre dunkelrot geschminkten Lippen zerkaute sie mit ihren perfekten, weißen Zähnen.

„Eigentlich hatte ich dich den ganzen Abend im Visier. Wann bist du mir entwischt? Wehe, ihr wart in unserem Schlafzimmer!“ Tessa lachte. Josie schaute sie zerknirscht an. „Nun ja, lass den Kopf nicht hängen! Das wird schon wieder. Wenn du Glück hast, hat der gnädige Herr viele Termine wie immer und pennt eh im Gästezimmer.“

„Weißt du, Tessa, so oft habe ich schon gedacht: Josie, packe doch endlich deine Sachen! Gestern Abend hätte ich ihn töten können. Meine Finger juckten unerträglich, als ich die „Gusseiserne“ im Küchenschrank sah. Es geht schon so lange schief. Ich lebe doch nur einmal. Und ich liebe ihn! Und Streit gibt es überall! Es liegt wahrscheinlich an meiner Art, damit umzugehen. Immer wieder beiße ich die Zähne zusammen und warte auf ein liebes Wort oder eine zärtliche Geste. Es ist wohl auch der Alltag, aus dem wir nicht herauskommen. Denke ich…. Wie machen andere Frauen es denn? Sind denn alle glücklich? Oder tun sie alle nur so?“

„Josie, das kann ich genau sagen! Aber auf dem Ohr bist du taub! Suche dir einen anderen Mann! Entweder trennst du dich oder suche dir eine Affäre. Dann hältst du Georg besser aus! Hol dir die Liebesgefühle woanders! Schöne Momente genießen! Die Entscheidung musst du treffen, aber eines sage ich dir: Georg wird sich nicht ändern! Die meisten von uns haben Affären. Diese Frauen erleben Wollust, Höflichkeit, Prickeln im Bauch, Komplimente, sie werden beachtet. Wie du schon sagtest: Du lebst nur einmal! Lass es dir durch den Kopf gehen. Und habe kein schlechtes Gewissen wegen dem Knutschfleck! Kleb dir ein Pflaster drauf und sag darunter ist ein ekliger Eiterpickel. Falls er dich mal angucken sollte.“ Tessa schaute auf ihre Uhr.

„Ups, ich muss los, habe noch einen Termin. Denk an meine Worte. Du kannst mich jederzeit anrufen, das weißt du! Und besorge dir eine Putze!“ Bei den letzten Worten warf sie einen ungläubigen Blick auf die Fenster.

Tessa drückte Josie an sich und küsste sie zum Abschied auf die Wange.

4. Kapitel

Nachdem Tessa fort war, zog Josie sich endlich an und ging in die Küche.

Der Gurkensalat war fort, alles sauber und aufgeräumt! Das muss Georg heute in der Früh gemacht haben. Ein Gefühl der Dankbarkeit erfüllte sie. Wenigstens etwas.

Josie befüllte die Kaffeemaschine und schaltete die Maschine an. Während sie auf den Kaffee wartete, schaute sie sich in der geräumigen Küche um. Gedankenverloren rieb sie sich ihren Nacken.

Vor fünf Jahren, als sie den zehn Jahre älteren Georg kennen- und lieben gelernt hatte, war ihnen bei einem Spaziergang dieses alte Reetdachhaus aufgefallen. Sofort hatten sie sich verliebt. Wie das Leben so spielt: Zwei Jahre später stand es zum Verkauf! Für beide war es klar: Hier wollen wir zusammen alt werden und die Kinder großziehen.

Also kauften sie es gemeinsam. Sie sanierten, renovierten und bauten um. Mit Schaudern dachte sie an die Zeit zurück, wo sie alles wochenlang mit Wolldecken und Plastikplanen verhängen mussten, damit der Staub sich nicht im Haus verteilen konnte. Was er aber doch tat. Dieses Haus wurde ihr Zuhause!

Ob sie ihn betrogen hatte?

Nein, diesen Gedanken verwarf sie sofort. Das wäre eine Katastrophe.

Wie ärgerlich, dass sie sich an nichts erinnern konnte.

Sie wusste zwar, dass sie beide heftig miteinander geflirtet hatten. Die Wiedersehensfreude war bei ihnen gleichermaßen groß gewesen. War sie wirklich standhaft geblieben? Sie hoffte es inständig.

Der Kaffee war fertig. Sie setzte sich an den blank polierten Tresen mit einer großen Tasse Kaffee und blickte aus dem nicht so sauberen Holzsprossenfenster. Der Kaffeeduft, der in ihre Nase stieg, ließ ihren Magen rebellieren. Sie erreichte gerade noch rechtzeitig die Toilette, als sie sich übergeben musste. Zehn Minuten lang saß sie auf dem gefliesten Badezimmerboden, bis sie wieder aufstehen konnte. Sie spülte ihren Mund aus und beschloss, es mit einem magenfreundlichen Kräutertee zu versuchen. Immer noch etwas wackelig auf den Beinen, ging sie in die Küche zurück, um sich den Tee zu kochen.

Mit vorsichtigen Schlucken gelang es ihr, den Tee zu trinken. Ihr Magen beruhigte sich, die Übelkeit verschwand.

Ihre Gedanken kamen zurück.

Die Gefahr, ihr Leben mit den Kindern und mit Georg zu gefährden, war sehr groß, wenn sie Andreas nachgegeben hätte.

Es durfte nicht sein! Niemals war sie mit ihm im Bett gewesen!

Dafür war sie sicher nicht der Typ. Es war alles in Ordnung. Sie würde Andreas vergessen. Sie liebte Georg!

Georg war etwas kleiner und älter als Andreas, der mit seinen 1,97 m recht groß war. Georg wachste seine schwarzen Haare immer stark und er hatte bereits mit seinen 45 Jahren einen stärkeren Bauchansatz. Naturgemäß trug er sehr oft Anzüge, die Maßarbeit waren. Als Banker legte er stets den größten Wert darauf. Von der Stange kam ihm kein Anzug ins Haus. Genauso penibel achtete er auf Schuhe und Pullover. Das feinste Leder war gut genug, Kaschmir in dezenten Farben liebte er. Im Privaten war es ihm einerlei. Da durfte es gerne eine Jeans mit Polohemd und Sneaker sein.

Josie kam sich manchmal ein wenig billig vor, wenn sie sich betrachtete und mit Georg verglich. Aber dank ihrer schlanken Figur und ihren langen Beinen konnte sie preiswerte Kleidung tragen. Alles an ihr sah vorteilhaft aus.

Das war ein Erbe ihrer Mutter.

Ihr Blick fiel auf einen grünen Fleck an der Fensterscheibe. Das war definitiv Vogelscheiße!

Sie war noch nicht dazugekommen, die 15 Fenster und 5 Glastüren zu putzen. Wann sie es machen sollte, war ihr ein Rätsel.

Die Idee mit der Haushaltshilfe war längst überfällig! Und einen Gärtner benötigten sie auch! Das Unkraut wucherte bereits zu den Nachbarn herüber.

Sie schaffte es einfach nicht, dem Ganzen Herr zu werden.

Das Rasenmähen war anstrengend und zeitraubend genug. Da Georg zu geizig war, einen Aufsitzmäher zu kaufen, mühte Josie sich Woche für Woche mit einem Benzin Mäher ab. Vier geschlagene Stunden brauchte sie für 1500 Quadratmeter Rasenfläche.

Das sollte Georg endlich einsehen! Das musste dringend besprochen werden.

Josie schaute auf die große Küchenwanduhr. Wo blieb nur Georg? Die Kinder kamen bald.

Josie trank den Tee aus und beschloss, in die Badewanne zu gehen. Bis um fünf hatte sie noch zwei Stunden.

Sie ging nach oben, ließ das Wasser in die große Eckbadewanne laufen und suchte sich bequeme Sachen heraus.

Nackt vor dem großen Badezimmerspiegel sah sie wieder diesen riesigen Knutschfleck. So etwas Dummes! Sie kramte im Spiegelschrank nach der Jodsalbe, nach einem großen Pflaster und legte beides parat. Schließlich schloss sie die Badezimmertür hinter sich ab. Entspannt versank sie in den warmen Schaumfluten.

Eine Stunde später stieg sie aus dem Wasser und machte sich fertig. Sie fühlte sich wie neu geboren.

Überpünktlich klingelte es an der Tür.

Durch das runde Bullauge in der weißen Haustür sah sie ihre drei Kinder und Gottfrieds davonfahrendes Auto. Josie öffnete und ließ sie hinein.

„Hey, Mom“, riefen sie ihr zu und liefen plappernd nach oben in ihre Zimmer.