Marschlandung - Manuela Ross - E-Book

Marschlandung E-Book

Manuela Ross

0,0

Beschreibung

Maren hat genug! Seit Jahren tingelt sie von Job zu Job und schlittert ständig von einer Katastrophe in die nächste. Aber was will sie denn eigentlich? Um sich genau darüber klar zu werden, beschließt sie, Berlin für ein paar Tage zu verlassen und zu ihrem kauzigen Onkel an die nordfriesische Küste zu fahren. Doch anstatt sich mal tüchtig den Wind um die Nase pusten zu lassen, verbringt sie ihre Zeit lieber in Neles traumhaftem Café. Dort schlägt sie sich nicht nur den Magen mit Milchkaffee und köstlichen Torten voll, sondern trifft eine Menge skurriler Leute und den charmanten Abenteurer Henrik. Ach, und da ist ja auch noch ihre alte Ferienliebe Tom. Maren wäre auf jeden Fall nicht Maren, wenn sie selbst in der beschaulichen Provinz nicht wieder über einen ganzen Sack voller Probleme stolpern würde ... Romantische Komödie voller Gegensätze, ungeahnter Möglichkeiten, Freundschaft und Liebe.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 203

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



»Bringen Sie mir einen Espresso und für meine kindische Freundin den Eisbecher Pinocchio.«

Dass der Espresso nicht für mich gedacht war, sagt doch schon alles. Nein? Okay, dann stelle ich mich kurz vor:

Gestatten, Maren Christiansen, und ich bin nicht etwa zwölf, sondern zweiunddreißig. Gemeinsam mit meinen Freundinnen Elena und Danni lebe ich in einer schicken Altbauwohnung, mitten in Berlin. Leider tingele ich seit Jahren von Job zu Job und schlittere ständig von einer Katastrophe in die nächste. Durchsetzungsvermögen gehört nun mal nicht zu meinen Stärken. Aber, hey, ich habe ein riesengroßes Herz! Ist das etwa nichts? Och, und verlieben würde ich mich auch ganz gerne mal wieder. Da werde ich wohl dringend etwas ändern müssen…

Maren hat genug! Aber was genau will sie denn eigentlich? Um sich endlich darüber klar zu werden, beschließt sie, ein paar Tage zu ihrem kauzigen Onkel an die nordfriesische Küste zu fahren. Doch anstatt sich mal tüchtig den Wind um die Nase pusten zu lassen, verbringt sie ihre Zeit lieber in Neles traumhaftem Café. Dort schlägt sie sich nicht nur den Magen mit Milchkaffee und köstlichen Torten voll, sondern trifft eine Menge skurriler Leute und den charmanten Abenteurer Henrik. Ach, und da ist ja auch noch ihre alte Ferienliebe Tom. Maren wäre auf jeden Fall nicht Maren, wenn sie selbst in der beschaulichen Provinz nicht wieder über einen ganzen Sack voller Probleme stolpern würde …

Romantische Komödie voller Gegensätze, ungeahnter Möglichkeiten, Freundschaft und Liebe.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

1

Camilla lächelte. Irrte ich mich oder blitzte da Schadenfreude in ihren Augen? Sie schaute wie sonst auch, aber zum ersten Mal fiel mir auf, dass immer etwas Triumphierendes in ihrem Blick mitschwang.

Sie hatte mir doch noch, vor meinem Gespräch mit Schröder, auf dem Weg zum Chefbüro wohlwollend zugezwinkert. Sollte ich mich in meiner Kollegin so getäuscht haben?

Gut, ich arbeitete erst seit vier Monaten in dieser Steuerkanzlei, aber ich war mir sicher, dass Camilla mich mochte. Warum hätte sie sonst so oft in mein Büro kommen, mir Kaffee mitbringen und alles über sich erzählen sollen? Selbst die pikanten Details über die Affäre mit unserem gemeinsamen Chef hatte sie leider genüsslich vor mir ausgebreitet. Diese hatte ich offen gestanden nie hören wollen, damit bloß keine Bilder vor meinem geistigen Auge auftauchten, igitt! Aber wenn sie sich mal wieder bei mir darüber ausgeheult hatte, dass Schröder das Wochenende mit seiner Familie verbringen musste, hatte sie mir einfach so leidgetan. Außerdem war ich nun mal der Typ, dem sich alle anvertrauten, ob ich es wollte oder nicht. Und meistens wollte ich lieber nicht.

Nein, ich tat Camilla unrecht. Warum sollte sie sich über meine fristlose Entlassung freuen? Das machte alles keinen Sinn, schließlich wusste sie genau, dass ich niemals etwas ausgeplaudert hätte (schon allein, weil ich sonst wieder darüber hätte nachdenken müssen ... igitt!).

Sie lächelte mich wahrscheinlich einfach nur aufmunternd an. Das war’s. Ich hatte diese Kündigung schließlich meiner eigenen Schusseligkeit zuzuschreiben.

Glücklicherweise hatte Camilla mir bereits das Aus- und Abräumen meines Schreibtisches abgenommen, dazu wäre ich sicherlich nicht in der Lage gewesen und hätte dabei womöglich noch geheult. Sie hatte meine persönlichen Sachen in eine ihrer bunten Plastiktüten gepackt. Schade, im Film gab es dafür immer ganz schicke Kisten. So viel Stil hätte ich mir schon gewünscht. Nicht, dass es irgendetwas an meiner Situation geändert hätte, aber ich hätte mich wenigstens wie eine dieser Karrierefrauen gefühlt, die soeben freigesetzt wurden, dabei immer noch umwerfend gut aussahen und Hoffnung auf eine Mega-Abfindung hatten.

Aber so war es eben: Ich, Maren Christiansen, war nun mal keine dieser toughen Ladys, sondern einfach nur unfähig, einen Job länger als ein paar Monate zu behalten. Vielleicht war es aber auch eine Schnapsidee gewesen, als arbeitslose Journalistin in einem Steuerbüro zu arbeiten. Aber ich dachte ja echt, ich würde mich im Laufe der Zeit einarbeiten. Immerhin hatte ich verschiedene Buchhaltungskurse absolviert.

Tja, aber man konnte sich nicht immer die Rosinen rauspicken. Schließlich musste auch ich von irgendwas meine Schrippen bezahlen und unsere Mädels-WG kostete selbst für Berliner Verhältnisse ein Vermögen.

Berlin war klasse und man kam mit weit weniger Geld aus als in München, wo Elena und ich herkamen.

Allerdings galt auch hier »mit jar nüscht kannste ooch nüscht machen«, wie Danni, unsere Dritte im Bunde, immer treffend sagte.

Ausgerechnet heute hatte meine Lieblingskollegin Caro frei. Sie hätte wenigstens versucht, mich mit einem lockeren Spruch zu trösten, und mich in die Arme genommen. Vermutlich hätte ich aber ihr Büro ohnehin nicht mehr betreten dürfen, so als unehrenhaft Entlassene.

Womöglich würde ich gleich von zwei kräftigen Männern, unsanft links und rechts untergehakt, zum Ausgang geleitet. Also machte ich mich lieber mit meiner Tüte, dem darin befindlichen Schokohasen, ein paar Haargummis, meinem Montblanc-Kuli, den ich von Omi zum Studienabschluss bekommen hatte, ein paar ollen Kaffeepads und der tonnenschweren Schneekugel, die mir die Kollegen erst letzte Woche zum Geburtstag geschenkt hatten, schleunigst aus dem Staub.

***

Sie wirbelte durch die nostalgische Drehtür wie ein Herbststurm. Ihr schokobraunes Haar umwehte die schmalen Schultern. Nicht nur die Gäste in der Hotellobby, sondern selbst der Luftstrom schien sich in ihrer Nähe an ein Drehbuch zu halten, umspielte lediglich sanft ihr Gesicht und brachte damit ihre Schönheit einmal mehr zur Geltung. Eine Windmaschine beim Fotoshooting hätte keinen besseren Effekt erzielen können. Als gefragte Fotografin stand sie zwar hinter der Kamera, wäre aber auch davor bestens aufgehoben.

Das war sie. Elena. Meine beste Freundin seit Kindertagen, mit der ich vor ein paar Jahren in die Hauptstadt gezogen war.

Trotz meiner miesen Laune musste ich angesichts dieser Situation grinsen. Mir selber wären die Haare unkontrolliert ins Gesicht geklatscht und ich hätte natürlich unsagbar bescheuert ausgesehen, vor allem mit dieser dämlichen Plastiktüte. Keiner der Hotelgäste hätte mir auch nur eine Sekunde Aufmerksamkeit geschenkt oder gar mit offenem Mund nachgesehen, wie jetzt bei Elena.

Wir verabredeten uns gelegentlich hier unter der bunten Glaskuppel aus sentimentalen Gründen. Dann gönnten wir uns den Afternoon-Tea mit ausgewählten Teesorten und einer altmodischen Etagere voller Köstlichkeiten, weil es uns an die ersten Wochen in Berlin erinnerte.

Damals waren wir von dem gediegenen Luxus, der kosmopolitischen Ausstrahlung und den Gurken-Lachs-Canapés überwältigt gewesen.

Angesichts meiner Lage verzichtete ich heute allerdings auf das prunkvolle Tee-Arrangement und beließ es bei einem herrlich cremigen Milchkaffee.

»Welch ein Auftritt, du Diva.« Ich zwinkerte Elena zu. »Wie du das nur immer hinkriegst.«

Elena umarmte mich gehetzt und drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

»Hallo, Maren. Übertreib nicht immer so.« Sie zog an ihrem Seidenschal und schwang ihn über die Lehne. Selbst diese banale Bewegung sah schon wieder viel zu elegant aus, um den Blick einfach so von ihr zu lösen.

»Gut, dass du so ein Schatz bist, Elena, sonst würde ich dich für deine Schönheit einfach nur hassen.«

Sie ließ sich in einen der prächtigen Jugendstilsessel sinken. »Kommt jetzt wieder die Leier vom kleinen, hässlichen Entlein?«

Niedergeschlagen seufzte ich.

»Das ist doch alles eine Frage des Blickwinkels«, sagte Elena sanft. »Du bist einfach zu selbstkritisch.«

Nachdenklich runzelte ich die Stirn.

»Blickwinkel. Ha! Als ich heute Morgen nach dem Duschen in den Spiegel gesehen habe, hat mir mein Blickwinkel die schonungslose Wahrheit offenbart: Hängebrüste, Hängebacken – nicht nur im Gesicht – und hängende Schultern. Also insgesamt ein deutlicher Abwärtstrend. So ist es nun mal.« Missmutig ließ ich mich tiefer in den Sessel sinken.

Elena warf mir einen bösen Blick zu und beugte sich vor.

»Du spinnst doch! Wir sind schließlich keine zwanzig mehr. Du bist superschlank und hast trotzdem weibliche Proportionen, makellose Zähne und ein hübsches Gesicht.«

Ich wollte protestieren, aber sie fuhr unbeirrt fort.

»Außerdem bist du lustig, kreativ und hast auch intelligenztechnisch einiges auf demKasten.«

Sie lehnte sich wieder zurück und winkte dem Kellner.

»Äh, apropos Intelligenz«, ich rutschte auf meinen Pobacken etwas hin und her, »also, da kann ich dir jetzt nicht so ganz zustimmen ... äh ... weißt du ...«

»Drucks nicht so rum. Was ist los?«, fiel mir Elena energisch ins Wort.

»Nun ja, so weit ist es mit meiner Intelligenz offensichtlich nicht her. Schröder hat mich entlassen.«

Elena riss ihre ohnehin schon großen Augen noch weiter auf.

»Was? Der Dreckskerl hat dich rausgeschmissen? Warum das denn?«

»Das sind ja gleich drei Fragen auf einmal?«, kicherte ich und stellte mir die Ü-Ei-Reklame vor.

»Hör auf mit dem Blödsinn!«, polterte Elena streng.

Sie hatte ja recht, das war unpassend. Aber so war ich eben. Selbst in der schlimmsten Situation fiel mir reflexartig irgendeine blöde Bemerkung ein.

»Sorry, aber ich bin irgendwie durch den Wind. Naja, ich habe ja immer gesagt, dass ich kein Faible für dieses ganze Steuer- und Buchhaltungsgedöns habe. Schließlich bin ich Journalistin.«

»Ja, stimmt, aber du hast noch nie in diesem Beruf gearbeitet und angesichts der ganzen Misere im Verlagswesen wird das vorerst auch so bleiben. Du hast doch extra die ganzen Buchhaltungs- und EDV-Kurse absolviert und dabei gar nicht mal so schlecht abgeschlossen.«

Nachdenklich nickte ich.

»Ja, sogar überdurchschnittlich gut«, gab ich zu. »Aber das war ja alles nur theoretisch, und wie wir wissen, sind Theorie und Praxis zwei Paar Schuhe. Ich habe einfach zu viel falsch gemacht.«

Elena schüttelte den Kopf.

»Nein, nein. Das ist doch kein Grund. Nur weil jemand mal einen Fehler macht, kann man ihn nicht einfach so entlassen.«

Schuldbewusst sah ich sie an.

»Wenn ich nur mal einen Fehler gemacht hätte, vielleicht, aber das waren zu viele. Und dann habe ich auch noch den Rechnungsausgang eines wichtigen Mandanten falsch verbucht, weshalb die Umsatzsteuererklärung nicht mehr gestimmt hat. Es ist eine existenzbedrohende Nachzahlung auf ihn zugekommen und daraufhin ist er nun abgesprungen.«

Meine Freundin warf die Hände in die Höhe.

»So eine Unverschämtheit!«

Der Kellner, der sich soeben unserem Tisch näherte, zuckte zusammen. Elena riss ihm wortlos die Getränkekarte aus der Hand. Irritiert entfernte er sich wieder.

»Pah! Ex-is-tenz-be-dro-hen-de Nach-zah-lung.« Elena betonte jede Silbe übertrieben. »So ein Quark! Das heißt doch nur, dass er das Geld sowieso hätte zahlen müssen, und zwar schon vorher. Und außerdem: Warum kontrolliert das bei euch niemand? Du bist schließlich keine Steuerfachkraft.«

Schwerfällig ließ ich meinen Kopf hin und her wiegen.

»Naja, nach vier Monaten sollte man das schon beherrschen. Eigentlich bin ich mir sicher, dass ich die Buchungen überhaupt nicht vorgenommen habe. Zumal ich diesen Mandanten normalerweise gar nicht bearbeite. Aber Camilla hat gesagt, dass der Buchungsstapel mit meinem Kürzel versehen war.«

»Na, das will ja nichts heißen. So was lässt sich doch bestimmt manipulieren.«

Verdutzt sah ich Elena an.

»Maren, vielleicht hat das auch jemand anderes verbockt und will dir das nun in die Schuhe schieben. Du hast doch schon öfters erzählt, dass Camilla – dieser Name allein – immer etwas an deiner Arbeit auszusetzen hat. Anfangs war dein Chef doch von dir ganz angetan. Kannst du ihn nicht noch mal darauf ansprechen?«

Vehement schüttelte ich den Kopf. »Nein, das geht nicht. Erstens bin ich noch in der Probezeit und zweitens hat Camilla was mit Schröder. Das kannst du vergessen.«

Elena riss erneut die Hände hoch und schrie jetzt fast. »Das kann doch wohl nicht wahr sein!«

Der Kellner wollte gerade wieder zu uns kommen, machte aber geräuschlos auf dem Absatz kehrt und ging zu einem anderen Tisch. Ich wedelte mit der Hand, damit Elena leiser sprach, und sie fuhr gedämpfter, aber nicht weniger erregt, fort.

»Die vögelt mit eurem Chef und dieser kahlköpfige, alte Sack mit Schmierbauch glaubt, sich mit dir alles erlauben zu können, nur weil du noch in der Probezeit bist?«

Elenas Augen sprühten Funken. Sie öffnete ihre überdimensionierte Handtasche und griff nach dem Smartphone.

»So, ich gebe dir jetzt mal die Nummer eines befreundeten Anwalts. Der ist auf Arbeitsrecht spezialisiert. Das wäre doch gelacht.«

Ich seufzte nur und stützte meinen Kopf mit den Händen.

»Ach, das bringt doch sowieso nichts. In der Probezeit kann er mir jederzeit kündigen. Lass mal. Ist ja vielleicht auch besser so. Diese Arbeit ist einfach nichts für mich.«

Elena schaute von ihrem Smartphone auf und mich an.

»Darum geht es nicht, Süße. Dann soll er zumindest bluten und dieses Aktenflittchen erst recht.«

Solche Gedanken mochte ich gar nicht.

»Was soll das schon bringen? Das ist doch reine Energieverschwendung. Hilf mir lieber etwas Neues zu finden.«

Elena zuckte mit den Achseln und sah mich unzufrieden an.

»Ich verstehe dich nicht. Hier geht es doch ums Prinzip. Werd endlich erwachsen. Aber wie du willst.«

Sie verschränkte die Arme und sank wieder zurück.

Nachdem sich Elenas Gesichtszüge einigermaßen entspannt hatten, wagte der Kellner einen erneuten Versuch, ihre Bestellung aufzunehmen.

»Bringen Sie mir einen Espresso und für meine kindische Freundin den Eisbecher Pinocchio.«

Der Kellner blickte mich fragend an.

»Nein, das war nur ein Spaß«, sagte ich lächelnd. »Ich hätte gerne noch einen Milchkaffee.«

2

Für den Heimweg ließ ich mir Zeit. Menschenmassen eilten an mir vorbei, um gerade noch die U-Bahn zu erreichen. Ich ging die Treppe zum Bahnsteig hinunter. Überall lagen bunte to-go-Becher herum und ich musste im Gewühl aufpassen, nicht zu stürzen. Warum hatten es alle immer so eilig? Die nächste Bahn kam doch laut Anzeigetafel sowieso schon in drei Minuten. Immer diese Hektik.

Selbst Elena hatte es eilig gehabt. Während unseres Treffens hatte sie noch gefühlte zweihundert Mal telefoniert. Ich hatte noch nicht ausgetrunken, da war sie auch schon wieder aufgesprungen.

»Wir sehen uns später zuhause, Süße. Ich muss nur noch kurz diesen grandiosen Auftrag an Land ziehen.«

Sie hatte mir noch aufmunternd zugezwinkert, Smartphone, Schal und Shopper gepackt und war genau so, wie sie gekommen war, auch wieder zur Tür hinausgewirbelt.

Die erste U-Bahn hatte gerade, aus allen Nähten platzend, den Schacht verlassen, da kam tatsächlich schon die nächste. Das war doch das Schöne an Berlin:

Man ging zum Bahnsteig, konnte gleich in eine Bahn steigen und hatte, wenn man ankam, praktisch ohne lange Warterei gleich wieder Anschluss. Naja. Meistens. Und auch nur dann, wenn man sowieso Zeit hatte. Tja ..., die hatte ich ja nun.

Ich bekam sogar noch einen Sitzplatz, ganz ohne Rangelei. Die Leute um mich herum hirnten entweder über Sudoku, schliefen oder telefonierten. Alles ganz belanglos.

Aber was war denn überhaupt wichtig? Meine Arbeit fiel ja jetzt schon mal weg. Elena und Danni, meine besten Freundinnen, mit denen ich mir seit ein paar Jahren unsere gemütliche, aber hippe Wohnung teilte, waren mir sehr wichtig. Dann hatte ich ja auch noch Caro, meine witzige Kollegin. Oh! Ex-Kollegin. Schon traurig. Naja, wir blieben sicherlich in Kontakt. Mal überlegen, wer oder was war mir noch wichtig?

»U-Bahnhof Osloer Straße!«

Die Durchsage riss mich aus meinen existenziellen und essentiellen Gedanken und ich stieg aus. Als ich gerade die Stufen zur Tram-Haltestelle hinaufging, kam auch schon meine Straßenbahn. Hatte ich es nicht gesagt?

Kurz bevor ich unser Haus mit seinem prachtvollen Jugendstilportal erreichte, fing es an zu regnen. Auch so eine Tatsache:WenigeMeter vor der Haustür musste man entweder furchtbar dringend pullern und suchte vergeblich den Schlüssel oder es fing an zu regnen und man hatte keinen Schirm dabei. Oder beides.

»Bin daaahaa!«, rief ich beim Öffnen der Wohnungstür und sprang klatschnass Richtung Toilette. Sekunden später verstummte Dannis fröhlicher Gesang, der soeben noch den Flur erfüllt hatte.

»Och nee, Maren!«, quiekte Danni. »Ich hab doch gerade erst geputzt.« Dannis Zeigefinger wies streng auf meine Stiefel, als ich das Bad verließ.

Verlegen sah ich auf die nassen Schuhabdrücke.

»Sorry, aber ich musste so dringend. Ich wische es gleich auf.«

Danni schüttelte den Kopf und ging in die Küche.

In Filmen zogen die hippen Frauen und megacoolen Männer nie die Schuhe aus und hinterließen trotzdem keine Matschklumpen auf dem Parkett. Sie warfen sich sogar mit Schuhen auf Sofas und Hotelbetten. Und putzen mussten die sowieso nie. Pfff. Ich war vielleicht kein Filmstar, aber immerhin hatte ich megahippe Stiefel und die zog ich jetzt aus.

In meinem Zimmer tauschte ich meinen purpurfarbenen sexy Wildleder-Business-Mini gegen meine geliebte rosa Schlabberhose, streifte die geringelten Flauschesocken über und wickelte meine blonde Mähne zu einem Zopfknödel. So, jetzt musste ich noch schnell über die alten Dielen wischen, etwas Leckeres kochen und dann mit den Mädels überlegen, wie ich an einen neuen Job kam.

Danni hatte ich bereits unmittelbar nach meinem Rauswurf angerufen, um mir ihren seelischen Beistand einzuholen. Als Heilpraktikerin für Psychotherapie konnte sie immer geduldig zuhören und ihre Ratschläge bewundernswert sachlich verpacken. Aber anders als bei ihren Patienten konnte sie Freunden auch unverblümt die Meinung geigen. Wenn man dann kurz davor war, die Freundschaft aufzukündigen, pflegte sie mit rechthaberischer Miene zu sagen: »Medizin muss bitter schmecken. Von nüscht kommt nüscht.«

Als Elena nach Hause kam, empfing sie bereits eine Duftwolke aus Basilikum, Thymian und einer ganzen Ladung Knoblauch. Da ich ja nun arbeitslos war und somit die nächste Zeit auf mein Geld achten musste, zauberte ich aus den vorhandenen Küchenvorräten meine berühmte Pasta alla Mare. Meeresfrüchte suchte man darin allerdings vergeblich. Der Name kam nämlich nicht vom italienischen Mare, sondern ganz banal von Maren. Okay, ein wenig irreführend vielleicht, aber mindestens genauso sensationell und vor allem ohne dieses ganze Schwabbel- und Tentakelzeug.

Es war doch immer wieder erstaunlich, was man mit einfachen Nudeln, einer Handvoll aromatischer Tomaten, gutem Öl und duftenden Fensterbankkräutern zaubern konnte. Das war zumindest eine anständige Basis, die sich natürlich spielend toppen ließ. Im Gemüsekorb fand ich eine Chilischote und der Kühlschrank gab noch einen Brocken Parmesan her. Auf Elena, als unsere hauptamtliche Weinregalbestückerin, war wie immer Verlass. Sie kredenzte einen erfrischenden Pinot Grigio. Danni brummelte zwar etwas von kräftigem Rotwein, der wegen seiner ausgezeichneten Tannine und irgendwelcher Polyphenole zu bevorzugen sei, um gleichzeitig unserer Gesundheit nützen zu können, aber nach Elenas Argumentation »Nix da! Wir müssen einen klaren Kopf behalten. Schließlich ist Brainstorming angesagt, und Maren verträgt ja bekanntlich keinen Alkohol«, gab sich selbst unsere Gesundheitsexpertin Daniela Hartmann geschlagen. Ich war fast ein wenig beleidigt.

»Was soll das denn heißen? Solange ich nicht aggressiv werde und anfange mich zu prügeln, ist doch alles im Lot.«

»Nein, ist es nicht. Erst redest du bloß Stuss«, Elena sah mich streng an und zog ploppend den Korken aus der Flasche, »und dann schläfst du auch noch ein, egal wo du gerade bist.«

»Jaaa. Und das ist auch besser so«, sagte Danni und nickte dabei stupide wie ein Wackel-Dackel. Ich wusste genau, dass sie damit auf meinen angeblichen Alkoholexzess anlässlich Elenas letzter Fotoausstellung anspielte.

Mir wurde unterstellt, mein vertrautes Anlehnen und Einschlafen an der Schulter eines Fremden in der U-Bahn hätte mich vor weiteren lautstark angekündigten Peinlichkeiten bewahrt. (Ganz entgegen meiner Persönlichkeit hätte ich mich ausziehen und The Lion sleeps tonight nicht nur singen, sondern auch noch auf allen Vieren kriechend performen wollen.) Pfff, ich glaubte ihnen kein Wort. Ich kann nämlich gar nicht singen.

Zwei riesige Teller köstlicher Pasta und ein halbes (!) Glas Wein später lehnte ich mich zufrieden zurück.

»Vielleicht solltest du dich einfach mal als Köchin bewerben. Also, das muss man dir lassen: Du zauberst auch noch aus den einfachsten Zutaten etwas Großartiges.« Danni leckte ungeniert ihren Teller sauber.

Auch Elena hatte bis zum letzten Kräuterfitzelchen aufgegessen und lehnte sich zurück. »Mmmm, das war wirklich sehr, sehr gut.«

Sie ignorierte mein Glas und schenkte Danni und sich noch einmal nach.

»Das ist überhaupt die Idee, Süße. Ich höre mich gleich morgen mal um, ob sich da nicht etwas machen lässt. Es wär doch gelacht, bei deinen Fähigkeiten und meinen Kontakten.«

Elena prostete Danni zu und leerte ihr Glas in einem Zug, was so viel bedeutete wie »Damit wäre ja alles geklärt und wir können den einzigen Tagesordnungspunkt abhaken.«

»Schön, dass ihr euch einig seid.« Ich zog die Brauen zusammen.

Danni zuckte mit den Schultern.

»Du kannst super kochen, machst das auch noch gerne und suchst Arbeit. Wo ist das Problem?«

»Das Problem ist, dass ich keine Köchin bin.«

Ich blickte hoffnungsvoll in Elenas Richtung.

»Es ist doch etwas ganz anderes, ob ich gemütlich für Freunde koche oder in einem Restaurant für irgendwelche anspruchsvollen Gäste.«

»Ich hatte nicht vor, dich in einem Sterneschuppen unterzubringen«, sagte Elena einen Tick überheblich. »Ich kenne eine Menge kleiner, aber feiner Lokale, und die können bestimmt Hilfe gebrauchen.«

»Na super, jetzt werde ich auch noch zum Tellerwäscher degradiert. Odel zum Flühlingslollenlollel. Das wird ja immer besser.«

Ich schnappte mir die Weinflasche und goss trotzig ein. Und zwar ein ganzes (!) Glas.

»Ach, und ich kann auch ganz toll Müllbeutel zubinden, damit qualifiziere ich mich doch sicher für die Müllabfuhr.«

»Sei doch nicht albern!«

Jetzt waren es Elenas Brauen, die sich zusammenzogen.

»Vielleicht sollten wir alle erst mal eine Nacht darüber schlafen.« Danni biss die Zähne zusammen und setzte ein übertriebenes Grinsen auf. »Und morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.«

Seufzend ließ ich die Schultern sinken.

»Entschuldigt, bitte. Ich weiß, ihr meint es ja nur gut. Aber es ist so frustrierend. Vielleicht sollte ich wirklich erst mal eine Nacht darüber schlafen, um mir über die neue Situation klar zu werden.«

3

Elena hatte sich getäuscht: Der Alkohol hatte rein gar nichts bewirkt, denn ich konnte absolut nicht einschlafen. Eingepackt in meine Kuscheldecke, rollte ich hin und her, wie eine Roulade beim Anbraten.

Umständlich wickelte ich mich wieder aus und tastete nach dem Lichtschalter. Pling. Glühbirne im Eimer. Das war doch einfach nicht zu glauben! Barfuß schlurfte ich im Dunkeln Richtung Standlampe. Wo hatte ich doch gleich die Tüte mit dem ganzen Bürokram hingestellt? Aua!

Nachdem ich eine Weile versucht hatte zu lesen, musste ich letztendlich doch eingeschlafen sein, denn als ich erwachte, erinnerte ich mich an eine ganze Reihe wirrer Traumfetzen: Elena in der U-Bahn, die einen Obdachlosen mit ihrem Seidenschal fesselte und dabei The Lion sleeps tonight trällerte; Camilla, nackt wippend auf einem Kellner in einer stylischen Hotellobby; Danni, die aber eigentlich wie meine Mutter aussah, lief mit einer großen Flasche Hustensaft oder so etwas hinter der Tram her; und Caro saß mit Schröder und dessen Frau in einem Strandkorb an der Nordsee und trank Weißwein. Total bescheuert.

Wo war ich eigentlich in diesem Traum? Hmm, keine Ahnung, aber die alkoholische Diurese setzte ein und zwang mich aufzustehen.

Als ich von der Toilette kam, warf ich einen Blick auf die pinke Fake-Schwarzwalduhr im Flur, die verriet, dass es erst halb sechs war. Meine Mädels schliefen um diese Zeit natürlich noch. Ich ging in die Küche und warf erst einmal unser Super-High-Tech-Kaffeeautomaten-Dings an.

»KAFFEESATZ LEEREN«.

Hey, wenigstens einer, der schon zu so früher Stunde mit mir kommunizierte, wenn auch nur in roten Lettern. »Okay, dir auch einen schönen guten Morgen, Schatz.«

Als ich die Schale geleert und wieder eingesetzt hatte, war mein stummer Freund aber keineswegs zufrieden.

»WASSERBEHAELTER«.

Wer zur Hölle brauchte schon einen Mann, wenn er einen so dominanten Apparat im Hause hatte? Ich füllte frisches Wasser in den Tank und wartete geduldig auf den Befehl »KAFFEEBOHNEN«.

Aber nein: Eine grüne Anzeige verriet mir, dass er »BEREIT« war. Na also, ging doch.

Zwei Stunden und geschätzte sechs Tassen Kaffee später (in denen ich noch einmal den »WASSERBE-HAELTER«- und endlich auch den »KAFFEE-BOHNEN«-Befehl zu seiner Zufriedenheit ausgeführt hatte) kam Danni in die Küche gewatschelt.

»Mor’n.«

So gesprächig wie unser elektronischer Freund war sie definitiv nicht. Dabei war das für sie heute beinahe geschwätzig. Normalerweise bekam Danni morgens kaum mehr als ein kurzes Knurren heraus, was bestimmt die Abkürzung war für »Einen wunderschönen, guten Morgen! Hast du auch so himmlisch geschlafen wie ich?«

Nicht, dass sie eine Antwort erwartet hatte, im Gegenteil. Die kommende Stunde durfte man Danni absolut nicht ansprechen, sonst wurde aus dem sanften Knurren ein wildes Gebell. Ihr nicht die morgendliche Anlaufzeit zu gönnen, war so ziemlich das Einzige, was sie auf die Palme bringen konnte.

Danni schlurfte mit ihren riesigen Froschkönig-Puschen zum Regal und holte mit halbgeöffneten Augen ihre große Frosch-Tasse aus dem Geschirrfach. Ich nahm ihr das giftgrüne Ding wortlos aus der Hand, was so viel bedeutete wie »Mach es dir schon mal auf dem kuscheligen Küchensofa gemütlich, ich bringe dir einen wunderbar duftenden Cappuccino mit extra viel Milchschaumund einer Prise Fair-Trade-Schokoraspeln«.

Das war ja das Tolle an guten Freundschaften: Wir verstanden uns auch wortlos.

Nur er hatte das nicht kapiert:

»KAFFEESATZ LEEREN«!