Mehrsprachigkeit in der Schule -  - E-Book

Mehrsprachigkeit in der Schule E-Book

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Beschreibung

Der Band richtet sich gleichermaßen an Forschende und Lehrende in Bildungseinrichtungen für die verschiedensten Altersstufen, die sich nicht nur für die vielfältigen Dimensionen und Potenziale von Mehrsprachigkeit und ihrer Didaktik interessieren, sondern die den Wunsch der Herausgeber:innen teilen, Brücken zwischen Erkenntnissen der Forschung und ihrer unterrichtspraktischen Umsetzung zu schlagen, Phänomene der Mehrsprachigkeit in ihrer ganzen lebensweltlichen Fülle zu verstehen und kritisch zu beurteilen und schließlich daran mitzuwirken, dass der Fremdsprachenunterricht durch seine Öffnung für sprachenübergreifendes Lernen einen konstitutiven Beitrag zu einer zeitgemäßen Erziehung in einer wesentlich durch Vernetzung gekennzeichneten Welt leistet.

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Christian Helmchen / Sílvia Melo-Pfeifer / Julia von Rosen

Mehrsprachigkeit in der Schule

Ausgangspunkte, unterrichtliche Herausforderungen und methodisch-didaktische Zielsetzungen

© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 2197-6384

ISBN 978-3-8233-8305-5 (Print)

ISBN 978-3-8233-0290-2 (ePub)

Inhalt

Einleitung: Warum ein weiteres Buch über Mehrsprachigkeit in der Schule?1 Ausgangspunkte und Desiderate für eine erneute Forschungsagenda für die Mehrsprachigkeitsdidaktik2 Zusammenfassung der Kapitel2.1 Mehrsprachigkeit in der Schule: Theoretische und politische Ausgangspunkte2.2 Konkrete unterrichtliche Herausforderungen und methodisch-didaktische Zielsetzungen3 LiteraturZur curricularen Verankerung sprachenübergreifender Kompetenzen1 Einführung2 Sprachenübergreifende Kompetenzen im Verständnis der Thüringer Lehrpläne für den Sprachunterricht3 Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren – ein neuer Lernbereich für den Sprachunterricht in Thüringen4 Sprachenübergreifende Kompetenzentwicklung im Lern-und Leistungsraum5 Sprachenübergreifendes Lernen und Lehren als ein Element von Schulentwicklung6 Literatur20 ans d’études sur l’Intercompréhension plurilingue: « empire des sens » ou « liaisons dangereuses » ? Une étude exploratoire du réseau conceptuel de l’intercompréhension1 Introduction2 La nature des concepts: y-a-t-il des concepts contre nature?3 Étude empirique3.1 Contexte de recherche et la base de données3.2 La méthodologie: conceptualisation d’un modèle gravitationnel pour le concept d’IC4 Analyse des résultats: description du réseau conceptuel4.1 L’empire des sens4.2 Liaisons dangereuses5 Questions et problèmes6 Synthèse, limites et perspectives7 RéférencesMehrsprachige Kompetenz evaluieren – Der Fall der Interkomprehension1 Einleitung2 Evaluation der kommunikativen Kompetenz3 Evaluation der mehrsprachigen Kompetenza. Das Konzept der mehrsprachigen Kompetenz in Evaluationsverfahrenb. Ansätze zur Evaluation der mehrsprachigen Kompetenzc. Beispiele4 Perspektiven5 LiteraturDas Europäische Sprachenportfolio als Spiegel von Mehrsprachigkeit: Förderung der Language Awareness1 Einleitung2 Language Awareness2.1 Language Awareness – Sprach(en)bewusstheit2.2 Mehrsprachigkeitsdidaktik: Sprachenbewusstheit2.3 Plurale Ansätze: Éveil aux langues3 Das Europäische Sprachenportfolio4 Empirischer Forschungsstand zur Language Awareness im Europäischen Sprachenportfolio5 Implikationen für die Förderung der Language Awareness mittels des Europäischen Sprachenportfolios5.1 Kritik an den bestehenden Verknüpfungen5.2 Weiterentwicklungen5.3 Schlussfolgerungen für den Fremdsprachenunterricht auf Basis der Kritik und Weiterentwicklungen6 Ausblick7 LiteraturvezeichnisMultilingualism at school: starting points, teaching challenges and methodological-didactic objectives1 Introduction2 Multilingual Sydney3 Languages Education provision in New South Wales4 Language provision in early childhood and primary years5 Language provision in primary years6 Language provision in secondary years7 Aboriginal Languages8 Language learning silhouettes9 The inclusion of languages – what do our pre-service teachers think about multilingualism in Australia?10 Conclusion11 ReferencesTeaching Portuguese as a Heritage and a Pluricentric Language: insights from an ethnographic study in a bilingual primary school in Germany1 Introduction2 On Heritage and Pluricentric Languages3 Portuguese Language Diversity in the first school years4 Moving towards an understanding of Portuguese as a Pluricentric Language at school5 Pluricentric Language Competence Framework for the teaching of PHL: pedagogical implications6 Conclusion7 ReferencesFörderung mehrsprachiger literaler Kompetenzen durch plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen – Überlegungen zum Beitrag von Schule und Elternhaus1 Einleitung2 Mehrsprachige literale Kompetenzen3 Mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz3.1 Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen3.2 Der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA)4 Vorschläge zur Förderung mehrsprachiger literaler Kompetenzen mit Unterrichtsmaterialien und Projekten4.1 Der Éveil aux langues-Ansatz im Fremdsprachenunterricht4.2 Elternarbeit im Kindergarten und in der Vorschule4.3 Integrierte Sprachendidaktik und mehrsprachige Textarbeit in der Sekundarstufe I4.4 Unterstützende Elternarbeit in der Schule (Sekundarstufe I)5 Abschließende Überlegungen6 Literatur„Muttersprachler/innen“ im Fremdsprachenunterricht1 Problemaufriss und Hinweise zum Forschungsstand2 Zwischenergebnisse des Projekts „Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Unterricht der romanischen Sprachen“3 Die Perspektive der Schülerinnen und Schüler – 10 ausgewählte Aspekte aus Befragungen zum Spanischen, Portugiesischen und Italienischen als schulischen Fremdsprachen4 Schulpraktische Aspekte – state of the art der unterrichtsmethodischen Forschung5 BibliographieSprachbewusstheit durch Sprachvergleich: Überlegungen und Vorschläge aus der Schulpraxis1 Einleitung1.1 Was wird in der Fremdsprachendidaktik erörtert?1.2 Was fordert die Bildungspolitik?2 Sprachenübergreifendes Arbeiten in der Schulpraxis2.1 Sprachvergleich als ergänzende Methode des Fremdsprachenunterrichts2.2 Sprach(en)bewusstheit und Sprachlernkompetenz3 Schulische Ausgangssituation3.1 Das Prinzip der sprachenübergreifenden Module3.2 Vorstellung von zwei exemplarischen Modulen4 Zusammenfassung und Ausblick5 Fazit6 BibliographieSchülerseitige Interaktion in der Sekundarstufe I bei der Bearbeitung von Aufgaben im Bereich der Mehrsprachigkeitsdidaktik1 Einleitung2 Das Projekt „mehrsprachigkeitsdidaktisch ausgerichtete Aufgaben und schülerseitige Interaktion in der Sekundarstufe I“3 Analyse der Interaktion der SchülerInnen4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen5 Literatur(Mis)adventures of a teacher of Portuguese for refugee women in Brazil1 Introduction2 Portuguese Welcoming Language: what does it mean?3 Methodology3.1 Autoethnography3.2 Context3.3 Data organization3.4 Participants4 Analysis4.1 Initial confrontation4.2 Teacher towards sensitization5 Conclusions6 ReferencesAnnexPor qué integrar la intercomprensión en la formación de estudiantes de Letras y de qué manera es posible hacerlo a partir de la experiencia de la Universidad Federal de Paraná (UFPR), Brasil.1 Introducción2 Curricularización de la intercomprensión en las universidades latinoamericanas3 La experiencia en los grados de Letras de la UFPR4 La programación de la optativa ICLR como curso de verano en 20205 Apuntes sobre las actividades: producción y evaluación5.1 Primera actividad: Lectura integrada de noticias en varias lenguas5.2 Segunda actividad: Intercomprensión oral en una entrevista5.3 Tercera actividad: Lectura y audio de cuentos en occitano5.4 Cuarta actividad: Reflexión metalingüística6 Conclusiones y perspectivas7 Referencias bibliográficasDie Förderung der Mehrsprachigkeit in der Schule: die neue Evidenz!1 Einleitung und Kontext2 Interkultureller Dialog als Grundpostulat3 Die Grenzen der Lingua franca4 Die Wege zu den sog. Pluralen Ansätze zu Sprachen und Kulturen4.1 Was versteht man eigentlich unter Mehrsprachigkeit ?4.2 Das mehrsprachige Repertoire4.3 Proximität und Distanz5 Synthese und Schlussfolgerung6 BibliographieBeiträger und Beiträgerinnen

Einleitung: Warum ein weiteres Buch über Mehrsprachigkeit in der Schule?

Sílvia Melo-Pfeifer / Julia von Rosen

1Ausgangspunkte und Desiderate für eine erneute Forschungsagenda für die Mehrsprachigkeitsdidaktik

Die Mehrsprachigkeitsdidaktik, die wir in diesem Buch nicht auf Interkomprehension reduzieren, sondern im Prinzip auf alle Pluralen Ansätze und andere pädagogische Herangehensweisen (wie „translanguaging“, García & Li 2014; für die pluralen Ansätze, Candelier et al. 2012; Melo-Pfeifer & Reimann 2018; für sprachübergreifende pädagogische Herangehensweisen Kirsch & Duarte 2020; Morkötter, Schmidt & Schröder-Sura, 2020) erweitern, hat in den letzten Jahrzehnten eine beachtliche Entwicklung erfahren, sowohl theoretisch als auch empirisch. Wie Hu feststellt, „ist gerade in den didaktischen Forschungsbereichen eine Hinwendung zu spezifisch mehrsprachigkeitsorientierten Ansätzen, die die traditionelle Ausrichtung auf eine sogenannte Zielsprache zugunsten einer mehrsprachigen Perspektive öffnen und die Sprachlernerfahrungen sowie die mehrsprachigen Praktiken der Lernenden wie z. B. Translanguaging als Lernpotential zu erkennen (Hu 2016, 11). Laut Lüdi bringen diese Forschungsentwicklungen zwei Neuerungen mit sich: „die Überwindung langlebiger Vorurteile, die auf der Basis einer „Ideologie der Einsprachigkeit“ in der sprachlichen Vielfalt Nachteile für die Kohäsion der Gesellschaft und für die Einheit der Persönlichkeit befürchteten“ (Lüdi 2018, 134) und „[den] Abschied von der Vorstellung der „doppelten Einsprachigkeit“ (ibidem).

Angesichts der Fülle an innovativen Forschungsprojekten im nationalen und internationalen Kontext, die alle auf der Einsicht in die vielfältige Relevanz von Mehrsprachigkeitsdidaktik beruhen, ist es erstaunlich zu beobachten, dass eine dauerhafte Diskrepanz zwischen politischen und theoretischen Aufforderungen zur systematischen Implementierung vernetzten Sprachenlernens im Fremdsprachenunterricht gegenüber einer alltäglichen Praxis der Lehrkräfte besteht, die so stabil wie immer zu sein scheint, obwohl Studien gezeigt haben, dass zahlreiche Lehrkräfte eine positive Einstellung gegenüber individueller, gesellschaftlicher und schulischer Mehrsprachigkeit haben (Heyder & Schädlich 2014; Lundberg 2020; Melo-Pfeifer 2020). Dieses Phänomen genauer zu verstehen und nach Lösungsansätzen zu suchen, ist ein erklärtes Ziel dieses Bandes.

Im Bereich der Sprachendidaktik haben sich in der Fachliteratur einige spezielle Bereiche herauskristallisiert, von der Untersuchung der Vorstellungen von Lehrkräften und Schüler*innen über Mehrsprachigkeit und mehrsprachige Didaktik bis hin zu wahrgenommenen und realen Schwierigkeiten bei der Integration von Mehrsprachigkeit in verschiedenen Unterrichtssettings und Fächern und der Notwendigkeit, Lehrkräfteausbildungsprogramme zu implementieren, die besser in der Lage sind, die Kompetenzen, das Wissen und die Einstellungen von Lehrkräften zu entwickeln, um Mehrsprachigkeitsdidaktik als zeitgemäße Pädagogik anzunehmen (z. B. Vetter 2013).

Das bedeutet, dass die Forschung, um die Persistenz des monolingualen Habitus (Gogolin 1994) im Fremdsprachenunterricht zu verstehen, über den üblichen Forschungsapparat und -modus hinausgehen muss. Statt selbstberichteter Praktiken und Einstellungen von Lehrkräften und Schüler*innen durch Interviews und Fragebögen könnten neue Erkenntnisse aus der direkten Beobachtung des Fremdsprachenunterrichts gewonnen werden, nämlich daraus, wie Lehrkräfte mit mehrsprachigen Ressourcen arbeiten bzw. wie sie tatsächlich mit mehrsprachigen Kontexten und mehrsprachigen Schüler*innen umgehen. Auch die Wirksamkeit mehrsprachiger Didaktik beim Fremdsprachenlernen ist noch schlecht erforscht, und abgesehen von kurzfristigen und kleinräumigen empirischen Studien fehlt es noch an empirischen Belegen für die Nachhaltigkeit mehrsprachigkeitsorientierter Ansätze für die Entwicklung von fremdsprachlichen Kompetenzen der Lernenden im schulischen Kontext. Trotz des Wunschdenkens und der erneuerten Diskurse (die von einer unausweichlichen Normativität geprägt sind) rund um Mehrsprachigkeit sind die monolingualen Praktiken im Klassenzimmer also die widerständigen „Gaulois“ in der Arena der widersprüchlichen didaktischen und pädagogischen Theorien, der Lehrer*innenpraktiken, der Fremdsprachenunterrichtspolitik und der gesellschaftlichen Perspektiven und Diskurse.

Eine weitere, noch unzureichend beantwortete Frage betrifft die Bewertung mehrsprachiger Repertoires, die Evaluation mit mehrsprachigen Ansätzen und die Instrumente, die es erlauben, eine monolinguale Denkweise in der Praxis und der Bewertung zu überwinden. Trotz der Aufforderung an Lehrkräfte, schulische und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit zu nutzen, um das Sprachenlernen zu verbessern, werden die Verwendung von Lehrmaterialien und die Praxis der Bewertung durch einen fortgesetzten monolingualen Habitus ausgebremst, der wenig Platz für einen „multilingual turn“ (May 2014) in der Sprachausbildung lässt (vgl. Hülsmann, Ollivier & Strasser 2020, für Innovationen in Bereich Interkomprehension und Bewertung).

Hinzu kommt, dass trotz aller Fortschritte auf dem Gebiet der Mehrsprachigkeitsdidaktik praktizierte Mehrsprachigkeit in der Regel nicht von den Lehrkräften selbst dargestellt wird, die solche pädagogischen Konzepte umsetzen, und auch nicht aus einer Perspektive, die die Überschneidungen zwischen den mehrsprachigen Repertoires der Schüler*innen, ihrem Geschlecht und ihrer soziokulturellen Identität berücksichtigt. Diese Themen werden in einigen Beiträgen dieser Publikation behandelt. Das bedeutet, dass die Forschung über Mehrsprachigkeitsdidaktik und plurilinguale Ansätze eher ohne Lehrkräfte als Mitforschende entwickelt wurde. In dieser Publikation wollen wir dieser Tendenz entgegenwirken, indem wir Berichte von Lehrkräften aus ihrer eigenen Praxis vorstellen, indem sie entweder auf die Perspektive der Aktionsforschung zurückgreifen oder eine autoethnographische Haltung (Chang 2008) einnehmen. Der Fragenkomplex, wie sich Mehrsprachigkeit mit anderen Aspekten individueller Identitäten überschneidet, wird in dieser Publikation als ein Forschungsfeld in den Vordergrund gerückt, das weiterentwickelt werden sollte.

Als Forschungsdesiderate sehen wir ebenfalls die präzise Beobachtung des dynamischen Geschehens im Klassenzimmer in mehrsprachigen und interkulturellen Settings, die unter einer kaleidoskopischen Perspektive erfolgen sollte, um genauer zu analysieren, wie Integration, Diskriminierung, Machtverhältnisse und Hierarchien im Sprachunterricht etabliert werden, die aus der Beziehung zwischen Sprecher*innen unterschiedlicher Sprachen (wo wir sowohl die Schülerschaft, Lehrkräfte aber z. B. auch Eltern inkludieren) hervorgehen. Auch wenn Studien zu den Auswirkungen von Geschlecht, sexueller Orientierung, soziokultureller Identität und Ethnie sowie Mehrsprachigkeit getrennt voneinander zu vielen validen Ergebnissen darüber kommen, wie sich Machtdynamiken entwickeln und ausgeübt werden, haben die Studien zur Mehrsprachigkeit überwiegend Fragen analysiert, die sich „nur“ auf die Sprache(n) – und nicht so sehr auf Sprachvarietäten – beziehen. Obwohl dies ein aus unserer Sicht gültiger Standpunkt ist, behaupten wir, dass diese Studien davon profitieren könnten, andere, erweiterte Perspektiven einzunehmen, wie z. B. die der „raciolinguistic perspective“ (Rosa & Flores 2017).

2Zusammenfassung der Kapitel

Dieses Buch ist in zwei Abschnitte gegliedert, die klar definiert sind, aber eng miteinander zusammenhängen. Der erste Teil trägt den Titel „Mehrsprachigkeit in der Schule: Theoretische und politische Ausgangspunkte“ und der zweite trägt den Titel „Unterrichtliche Herausforderungen und methodisch-didaktische Zielsetzung“.

2.1Mehrsprachigkeit in der Schule: Theoretische und politische Ausgangspunkte

Der erste Teil umfasst vier Kapitel, die explizit auf die theoretischen Grundlagen für eine kontinuierliche und strukturierte Arbeit mit Mehrsprachigkeit im Regelschulwesen hinweisen. Diese strukturierte Arbeit beinhaltet die Kenntnis der Dokumente, die die Umsetzung der Pluralen Ansätze im Sprachunterricht einrahmen, sowie das kritische Verständnis von Begriffen und die Notwendigkeit, Evaluation auch als eine mehrsprachige Praxis zu konzeptualisieren.

Der Beitrag von Ursula Behr zeigt anhand der Genese und der methodisch-didaktischen Ausrichtung der Thüringer Lehrpläne, inwiefern die von politischen Institutionen (u.a. der Kultusministerkonferenz in den von ihr formulierten Bildungsstandards) und der einschlägigen fremdsprachendidaktischen Forschung erhobenen Forderungen nach einem verstärkten mehrsprachigkeitsorientierten Konzept des Sprachunterrichts für Deutschland in Thüringen Realität geworden sind. Behr erläutert u.a. anhand konkreter Rahmenplanauszüge, welche Kompetenzen, Operatoren und Methoden für die jeweiligen Jahrgangsstufen gelten und betont dabei einerseits die Bedeutung von Sprachlernkompetenz und Sprachbewusstheit als den beiden zentralen „Querschnittskompetenzen“, die für das sprachenübergreifende Lernen wesentlich sind; andererseits weist sie darauf hin, dass die Einbeziehung der eigenen Muttersprache unverzichtbar sei, um das ganze Potenzial des Ansatzes auszuschöpfen. Abschließend geht Behr darauf ein, welche positive Relevanz die systematische Verbindung und Zusammenführung sprachlichen Lernens innerhalb einer Schule für den Bereich der Schulentwicklung haben können, z. B. durch die Einführung einer gemeinsamen „Fachkonferenz Sprachen“.

Sílvia Melo-Pfeifer und Ana Sofia Pinho identifizieren die Forschungsobjekte, die den Studien zur Interkomprehension (IK) zugrunde liegen, durch die Konstruktion eines Analysemodells, das die von J.-P. Calvet vorgeschlagene Metapher des „Gravitationsmodells“ für Sprachen einerseits und die Conceptual Map als Analyse- und Interpretationsinstrument andererseits kreuzt. In Anbetracht der „kompositorischen Heterogenität“ des hier als „hyperzentral“ angenommenen Konzepts der IK werden in dieser Studie die Beziehungen zwischen den verschiedenen „superzentralen“ und „peripheren“ Konzepten, die dieses konzeptuelle Netz bilden, aufgezeigt. Die Zusammenhänge werden mit Hilfe von zwei weiteren Metaphern interpretiert: „Reich der Sinne“ und „gefährliche Beziehungen“ im Zentrum dieses Netzes.

Christian Ollivier und Margareta Strasser stellen in ihrem Beitrag verschiedene Konzepte und Modelle von Testverfahren vor, mit denen mehrsprachige Kompetenzen, insbesondere die Interkomprehension, evaluiert werden können. Als zentrale Zielsetzung benennen sie ein möglichst authentisches Testsetting sowie die Integration möglichst vieler (mehr-)sprachiger Kompetenzen. Entsprechend sind die im Beitrag skizzierten Beispiele gegliedert: Ausgehend von introspektiven Verfahren auf der Grundlage von Portfolio-Arbeit über additive Verfahren (z. B. mit dem Konzept EuroComRom) präsentieren die Autor*innen bestehende Modelle, die das Prinzip der Integration zumindest in Teilen bereits realisieren (Intermar, MAGICC), um schließlich das von ihnen entwickelte Projekt EVAL-IC vorzustellen, das dem Anspruch eines holistischen und authentischen Testverfahrens am weitesten gerecht werde. Hier würden die für die Interkomprehension relevanten kommunikativen Kompetenzen (rezeptive und interaktionale Interkomprehension sowie Interproduktion) im Rahmen eines „Szenarios“ bewertet, bei dem die Lernenden (hier Studierende) eine Konferenzsituation simulieren, die von ihnen durch das Durchlaufen der unterschiedlichen organisatorischen, sozialen und kommunikativen Settings verlangt, alle genannten mehrsprachigen Kompetenzen zu zeigen.

Ziel des Artikels von Lisa Marie Brinkmann ist es, auf Grundlage von theoretischen Schlussfolgerungen das Potenzial herauszuarbeiten, wie das Europäische Sprachenportfolio (ESP) Language Awareness fördern kann. Language Awareness wird als Konzept verstanden, das auf unterschiedliche Didaktiken anwendbar ist, darunter die europäische Mehrsprachigkeitsdidaktik und ihr Konzept von éveil aux langues. Das ESP ist ein dreigeteiltes Portfoliodesign des Europarats (geteilt in einen Sprachenpass, eine Sprachenbiografie und ein Dossier), dessen Ziel die Förderung von Lernendenautonomie, Mehrsprachigkeit und interkulturellen Kompetenzen im Kontext des Fremdsprachenunterrichts ist. Es wird hinsichtlich seiner Ziele und Wirkungen bezüglich Mehrsprachigkeit und konkret bezüglich Language Awareness analysiert. Der Forschungsstand zeigt, dass bisherige Verknüpfungen zwischen dem ESP und der Language Awareness sich vor allem auf die Sprachenbiografie beziehen. Die Autorin argumentiert dafür, den Sprachenpass, das Dossier sowie die gesamte Arbeit am ESP für die Förderung der Language Awareness miteinzubeziehen. Es stellt sich heraus, dass dies im Sprachenpass umgesetzt werden kann, indem über Sprache und Kultur reflektiert wird und die Lernenden ihre Sprachenidentität entwickeln; in der Sprachbiografie, indem über Sprache reflektiert wird; im Dossier, indem die Erkenntnisse der Schüler*innen über Sprachen dokumentiert werden; und im gesamten Portfolio, indem das Sprachenlernen vermittelt wird.

2.2Konkrete unterrichtliche Herausforderungen und methodisch-didaktische Zielsetzungen

Der zweite Teil des Buches reflektiert die Herausforderungen und Ziele, die mit der expliziten Arbeit mit Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer in verschiedenen Ländern – von der Grundschule zur Universität –, verbunden sind, sowie Methoden, die die Integration von mehrsprachiger und interkultureller Pädagogik erleichtern können. Alle Kapitel stellen eine komplexe Reihe von Prinzipien und Aktivitäten vor, die zur Entwicklung von Wissen, Einstellungen und Fähigkeiten der Schüler*innen in Bezug auf ihre mehrsprachige und interkulturelle Kompetenz führen. In allen Fällen wird auch eine detaillierte Darstellung der Makro- und/oder Meso-Dimensionen, die die Interaktionen auf der Klassenebene beeinflussen, präsentiert, denn wie Sprachen verwendet und legitimiert werden (oder auch nicht), ist von einer Konstellation von sozialen, politischen, wirtschaftlichen u.a. Faktoren abhängig, die zusammenwirken, um den Sprachgebrauch zu fördern oder zu begrenzen.

Das Kapitel von Alice Chik und Diane Alperstein führt kurz in die Migrationsgeschichte Australiens ein, um den Hintergrund für die Entwicklung der Sprachenpolitik zu liefern. Obwohl Sydney eine multikulturelle und mehrsprachige Stadt ist, ist die Sprachbildungspolitik nicht auf die Mehrsprachigkeit Sydneys abgestimmt. Die Ergebnisse der zwei dargestellten Forschungsprojekte zeigen, dass aufgrund einer schwachen Sprachbildungspolitik die Studierenden vor der Ausbildung nur sehr begrenzte Erfahrungen mit dem Sprachenlernen haben und auch nur ein begrenztes Verständnis von Mehrsprachigkeit zu zeigen scheinen.

Marília Pereira präsentiert einen Vorschlag für den Unterricht des Portugiesischen als plurizentrische Sprache im Kontext der Herkunftssprache, entwickelt aus den Daten der Forschung, die in einer bilingualen portugiesisch-deutschen Schule in Deutschland durchgeführt wurde. Die Studierenden und Lehrkräfte, die an der Forschung teilnehmen, gehören verschiedenen Varietäten der portugiesischen Sprache an und nehmen, ohne Unterscheidung der Varietäten, an der gleichen Lernumgebung teil. Aus dieser Forschung wird ein Weg zur Entwicklung kommunikativer und mehrsprachiger Kompetenz in einer plurizentrischen Sprache ab den frühen Schuljahren vorgeschlagen.

Anna Schröder-Sura zeigt in ihrem Artikel, wie auf der Grundlage der Pluralen Ansätze und des Referenzrahmens für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) Potenziale zur Entwicklung von „Pluriliteralität“ und „Multiliteralität“ identifiziert und gezielt gefördert werden können. Ihr Fokus liegt dabei auf der aktiven Einbeziehung des Elternhauses durch die jeweiligen Bildungsinstitutionen, weil auf diese Weise die häufig komplexe sprachliche und kulturelle Identität der Kinder anders in den Blick genommen werden kann. Die Eltern können als Repräsentant*innen und Vermittler*innen von Sprachen und Kulturen pädagogische und soziale Unterstützung leisten, indem sie sich z. B. mit dem Vorlesen von Geschichten im Rahmen von Sprachprojekten einbringen, die durch einen Verein koordiniert werden, der sich für die Kooperation zwischen Elternhäusern und Bildungseinrichtungen einsetzt. Schröder-Sura betont abschließend, wie wichtig es sei, ausgehend von diesen und vielen anderen Einzelprojekten systematische und alle Altersgruppen berücksichtigende Strategien zu entwickeln, die die Förderung mehrsprachiger literaler Kompetenzen zum Ziel haben.

Aus romanistischer Perspektive stellt Daniel Reimann in seinem Beitrag „‚Muttersprachler/innen‘ im Fremdsprachenunterricht“ ausgewählte Ergebnisse aus seinen Untersuchungen zu Schüler*innen mit zielsprachlichem Hintergrund im Spanisch-, Portugiesisch- und Italienischunterricht (als Fremdsprache) an deutschen Schulen vor. Dabei werden Ergebnisse der Teilstudie zur Sicht der als Herkunftssprecher*innen der fraglichen Sprachen betroffenen Schüler*innen thesenartig zusammengefasst und in der Folge jeweils ausführlicher vorgestellt. Weiterhin wird der Forschungsstand zu unterrichtsmethodischen Fragen der Inklusion von Herkunftssprecher*innen der Zielsprachen von Fremdsprachenunterricht, der sich in benachbarten Disziplinen abzeichnet, aufgearbeitet, um unter Integration der Ergebnisse der vorgestellten Studie und der z. B. in den USA und in der slawistischen Fachdidaktik entwickelten Maßnahmen erste Anregungen für die Praxis im Unterricht der romanischen Sprachen zu geben.

Aus ihrer eigenen schulpraktischen Tätigkeit heraus entwickelt Julia von Rosen Vorschläge für kurze sprachenübergreifende Module im Anfangsunterricht Französisch, die für jeweils zwei bis drei Doppelstunden konzipiert sind, in denen zentrale sprachliche Phänomene (z. B. thematischer Wortschatz oder das Verhältnis Laut und Schrift) thematisiert und von Schüler*innen erkundet werden. Neben der konkreten Beschreibung zweier exemplarischer Module, legt die Autorin Wert darauf, nach den Ursachen für die auffällige Diskrepanz zwischen Forderungen der Bildungspolitik und der fremdsprachendidaktischen Forschung nach vielfältiger sprachlicher Vernetzungsarbeit in den Schulen auf der einen Seite und einer gewissen Verweigerung, Überforderung oder Ignoranz gegenüber mehrsprachigkeitsorientierten Ansätzen in den Schulen auf der anderen Seite zu fragen. Die Gründe, so die Autorin, seien nur teilweise sprachendidaktischer Natur. Vielmehr zeige sich, dass häufig kollegiale Strukturen, Haltungen von Lehrkräften, ein bestimmtes Verständnis von Fachlichkeit und insbesondere ein eng gefasstes Ressourcenmanagement den Blick für die umfassenden Potenziale verstellten, die als Impulse aus dem vernetzten Sprachenlernen auf die Lernkultur einer ganzen Schule ausgehen könnten.

Steffi Morkötter und Melanie van Iersel führen in ihrem Beitrag anschaulich vor Augen, welche vielfältigen und aufschlussreichen Erkenntnisse sich im Bereich der Mehrsprachigkeitsdidaktik gewinnen lassen, wenn man z. B. den authentischen Dialog von zwei Schüler*innen untersucht, die im Anfangsunterricht Spanisch gemeinsam Aufgaben zu einem spanischen Text bearbeiten. Bewusst wird bei diesem Setting die Verbindung der Pluralen Ansätze IK und integrierte Sprachendidaktik verfolgt, um zu untersuchen, welche Strategien Schüler*innen anwenden, die Spanisch als zweite Fremdsprache nach Englisch erlernen. Anhand von Mikroanalysen der Schüler*innenäußerungen werden Rückschlüsse auf den Umgang mit fremdsprachlichem (englischen) Vorwissen, die Aktivierung allgemeinsprachlichen Wissens (z. B. Wortarten, Satzbau) und lernstrategisches Verhalten (z. B. Arbeit mit Hypothesen) gezogen. Dabei werden insbesondere auch diejenigen Äußerungen reflektiert, die die Schüler*innen zu unvollständigen oder falschen Annahmen über die Bedeutung des Textes führen. Entscheidend sei, so die Autorinnen, dass die Schüler*innen nicht nur gemeinsam im Dialog arbeiten, sondern ihren Arbeitsprozess reflektieren, um Sprachlernkompetenz und Sprachbewusstheit zu entwickeln.

Der Beitrag von Eleonora B. Bottura und Sandra R. B. Gattolin basiert auf einer Doktorarbeit, die darauf abzielt, die Praxis von Lehrkräften und die Lehrkräfteausbildung hinsichtlich der Rolle von Lehrenden für Portugiesisch als Willkommenssprache / Zweitsprache (PWL) zu untersuchen, basierend auf einer autoethnographischen Perspektive. Für diesen Vorschlag wird ein Teil der anfänglichen Kämpfe von Lehrkräften für Flüchtlinge und autoethnographischer Forscher*innen in einem Kurs vorgestellt, der speziell für sich als weiblich definierende Teilnehmende von Portugiesischkursen an einer Bundesuniversität in Brasilien konzipiert wurde. Das Hauptziel ist es zu zeigen, wie wichtig es ist, zu verstehen und Fachleute für Aspekte zu sensibilisieren, die die Praxis von Lehrkräften anders und vielfältig machen, wenn es darum geht, gefährdete Einwandererinnen und Flüchtlinge zu unterrichten. Wir heben die Hauptbeiträge der PWL-Definition und die Eignung der Autoethnographie für Untersuchungen auf der Suche nach lokalen Wahrheiten und Praktiken hervor.

Francisco Calvo del Olmo und Karine Marielly Rocha da Cunha stellen in ihrem Artikel die Erfahrung eines Curriculums für IK in romanischen Sprachen (ICLR) vor, das sie an der Universität UFPR seit 2014 im Kontext lateinamerikanischer und europäischer Universitäten durchführen. Dabei berücksichtigen die Verfasser*innen die Ausbildungsbedürfnisse ihrer Studierendenschaft und die aktuellen geostrategischen und pädagogischen Herausforderungen. Auf diese Weise versuchen die Autor*innen, auf die Gründe für die Präsenz des ICLR in der sprachlichen und kulturellen Ausbildung von Studierenden in der künstlerischen Laufbahn einzugehen. Sie beschreiben auch die Inhalte des ICLR-Wahlfachs in den Ausgaben, die als Semesterkurs und als Sommerkurs konzentriert im Februar 2020 unterrichtet wurden. Abschließend präsentieren sie eine Reihe von Schlussfolgerungen und Perspektiven für zukünftige Forschung.

Der Band richtet sich also gleichermaßen an Forschende und Lehrende in Bildungseinrichtungen für die verschiedensten Altersstufen, die sich nicht nur für die vielfältigen Dimensionen und Potenziale von Mehrsprachigkeit und ihrer Didaktik interessieren, sondern die den Wunsch der Herausgeberinnen teilen, Brücken zwischen Erkenntnissen der Forschung und ihrer unterrichtspraktischen Umsetzung zu schlagen, Phänomene der Mehrsprachigkeit in ihrer ganzen lebensweltlichen Fülle zu verstehen und kritisch zu beurteilen und schließlich daran mitzuwirken, dass der Fremdsprachenunterricht durch seine Öffnung für sprachenübergreifendes Lernen einen konstitutiven Beitrag zu einer zeitgemäßen Erziehung in einer wesentlich durch Vernetzung gekennzeichneten Welt leistet.

 

Hamburg im Frühjahr 2021,

Sílvia Melo-Pfeifer, Julia von Rosen

 

Anmerkung: Die Herausgeber*innen dieses Buches danken Ana Luísa Oliveira, die für die Formatierung aller Kapitel verantwortlich war.

3Literatur

Candelier, Michel / Camilleri-Grima, Antoinette / Castellotti, Véronique / De Pietro, Jean-François / Lörincz, Ildikó / Meißner, Franz-Joseph / Schröder-Sura, Anna / Molinié, Muriel (ed.). 2012. Le CARAP – Un Cadre de Référence pour les Approches Plurielles des langues et des cultures – Compétences et ressources. Straßburg: Europarat. [http://carap.ecml.at/, 06.02.2010].

Chang, Heewon. 2008. Autoethnography asMethod. London: Routledge.

García, Ofelia / Li Wei. 2014. Translanguaging. Language, Bilingualism and Education. Hampshire: Palgrave MacMillan.

Gogolin, Ingrid. 1994. Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster: Waxmann.

Heyder, Karoline H. / Schädlich, Birgit. 2014. „Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität – eine Umfrage unter Fremdsprachenlehrkräften in Niedersachsen“, in: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht, 19(1), 183-201.

Hu, Adelheid. 2016. „Mehrsprachigkeit“, in: Eva Burwitz-Melzer / Grit Mehlhorn / Claudia Riemer / Karl-Richard Bausch / Hans-Jürgen Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremsprachenunterricht. Tübingen: A. Francke Verlag, 10-15.

Hülsmann, Christian / Ollivier, Christian / Strasser, Margaret (Hrsg.). 2020. Lehr- und Lernkomptenzen für die Interkomprehension. Perspektiven für die mehrsprachige Bildung. Salzburg: Waxmann-Verlag.

Kirsch, Claudine / Duarte, Joana. 2020. Multilingual Approaches for teaching and learning. From acknowledging to capitalizing on multilingualism in European mainstream education. London: Routledge.

Lüdi, Georges. 2018. „Mehrsprachigkeit“, in: Ingrid Gogolin / Viola Georgi / Marianne Krüger-Potratz / Drorit Lengyel / Uwe Sandfuchs (Hrsg.): Handbuch Interkulturelle Pädagogik. Verlag Bad Klinkhardt: Bad Heilbrunn, 133-139.

Lundberg, Adrian. 2020. Viewpoints about educational language policies. Multilingualism in Sweden and Switzerland. Malmö: Malmö University.

May, Stephan. 2014. The Multilingual Turn. Implications for SLA, TESOL and Bilingual Education. London: Routledge.

Melo-Pfeifer, Sílvia. 2020. „‚Plurale Ansätze werden mich in der zukünftigen Unterrichtsvorbereitung beeinflussen‘ – Dilemmas und Einstellungen künftiger Spanischlehrer_innen zu Pluralen Ansätzen“, in: Steffi Morkötter / Katja Schmidt / Anna Schröder-Sura (Hrsg.): Sprachen- und sprachfamilienübergreifendes Lernen – lebensweltliche und schulische Mehrsprachigkeit. Tübingen: Narr Verlag, 97-117.

Melo-Pfeifer, Sílvia / Reimann, Daniel (Hrsg.). 2018. Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland. State of the art, Implementierung des REPA und Perspektiven. Tübingen: Narr.

Mörkotter, Steffi / Schmidt, Katja / Schröder-Sura, Anna (Hrsg.) (2020). Sprachübergreifendes Lernen. Lebensweltliche und schulische Mehrsprachigkeit. Tübingen: Narr.

Rosa, Jonathan / Flores, Nelson. 2017. „Unsettling race and language: Toward a raciolinguistic perspective“, in: Language in Society, 46, 621-647.

Vetter, Eva (Hrsg.). 2013. Professionalisierung für sprachliche Vielfalt. Baltmannsweiler: Schneider Verlag.

Zur curricularen Verankerung sprachenübergreifender Kompetenzen

Ursula Behr

1Einführung

Nachdem in den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss (Bista 2003, 7) für den Unterricht in einer ersten Fremdsprache dezidiert gefordert wird, Bezüge zwischen den von den Schülerinnen und Schülern erlernten Sprachen herzustellen und durch entsprechende Methoden und Einsichten Fähigkeiten zu lebenslangem, selbstständigem Sprachenlernen weiter zu entwickeln sind, führen die Standards für die Allgemeine Hochschulreife (2012, 12) Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz als verbindliche Kompetenzbereiche ein (Abb. 1).

Abb 1:

Kompetenzbereiche Bildungsstandards, Allgemeine Hochschulreife

Mit den Kompetenzbeschreibungen der Bildungsstandards sind Erkenntnisse der psycho- und neurolinguistischen Forschung sowie mehrsprachigkeitsdidaktische Konzepte nunmehr bildungspolitisch legitimiert. Schröder (2012, 30) verweist darauf, dass in Zukunft der Unterricht in jeder der angebotenen Schulfremdsprachen über die jeweils zu lernende Sprache hinausreichen muss. Damit geht es im eigentlichen Sinn um die Entwicklung von Sprachenbewusstheit (cf. Behr 2015, 11).

Mit dieser Forderung ist ein veränderter unterrichtlicher Zugang zu Sprache als System und als Medium verbunden, der für jeglichen Sprachunterricht auf allen Niveaustufen von Bedeutung ist. D. h. die Schülerinnen und Schüler

erkennen, erklären und reflektieren die Funktionalität sprachlicher Formen und Strukturen,

erkennen Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Besonderheiten sprachlicher und nichtsprachlicher Mittel und ihrer Verwendung,

nutzen dieses Wissen für das Verstehen und Sich-Verständigen,

erklären an ausgewählten Beispielen das Zusammenwirken von Sprache und Kultur,

wenden Strategien zur Förderung der Kommunikation an und reflektieren sie.

Hieraus erwächst ein erhöhter Anspruch an kognitives, metakognitives, entdeckendes und schließlich sprachenübergreifendes Lernen. Es wird folglich „Formen sprachlichen Lernens geben müssen in einem Unterricht, der sprachlichen Phänomenen im Rahmen des schulisch Möglichen auf den Grund geht, sowohl in funktionaler wie auch in interkultureller Hinsicht […]. Anstelle von „Kochbuch-Regeln“ („wenn … dann“) werden Einsichten in Sprachfunktion und Sprachform geweckt, das Bewusstsein für deren Besonderheiten und Gemeinsamkeiten wird geschärft und die Sensibilität für die eigenen sprachlichen Lernpotenziale gefördert“ (Schröder 2012, 38).

Der notwendige Paradigmenwechsel, im Sinne eines integrativen Mehrsprachigkeitskonzeptes und der Ergänzung einzelsprachlicher Unterrichtsroutinen durch sprachenübergreifende Lehr- und Lernansätze, ist nicht erfahrungsgeleitet zu erreichen. Er setzt flankierende Maßnahmen grundsätzlicher und begleitender Art voraus. Eine grundsätzliche Voraussetzung für die Installierung integrativer Mehrsprachigkeit ist deren curriculare Verortung neben einer darauf ausgerichteten Lehrerausbildung.

Die curriculare Verortung sprachenübergreifenden Lernens bezieht sich auf dessen Verankerung in

den zentralen Steuerungsinstrumenten, d.h. in den Lehr- oder Bildungsplänen bzw. (Rahmen)Richtlinien für den Sprachenunterricht,

der schulinternen Lehr- und Lernplanung,

den Lehrwerken.

Von besonderer Bedeutung ist die zentrale Planungsebene, denn Lehrpläne sind ein maßgeblicher Transmissionsriemen für die Installierung des Konzepts einer integrativen Mehrsprachigkeitsdidaktik. Sie können (und müssen) den verbindlichen Rahmen setzen für

die Formulierung sprachenübergreifender (gemeinsamer) Ziele, im Sinne der vom Schüler zu erwerbenden Kompetenzen, Inhalte und mehrsprachigkeitsdidaktischer Prinzipien in allen Sprachenfächern (inkl. des muttersprachlichen Deutschunterrichts),

die Ausweisung von Sprachlernbewusstheit als einer zentralen sprachlernstrategischen Zielgröße in allen Sprachenfächern,

die curricular abgesicherte Nutzung von Synergien und die Vernetzung zwischen der Muttersprache oder Zweitsprache Deutsch und den vor- und nachgelernten Fremdsprachen sowie

den zwischensprachlichen Vergleich auch zu den ‚nicht-schulischen’ verwandten und nicht-verwandten Sprachen (inkl. der Herkunftssprachen von Lernern).

Bausch & Helbig-Reuter (2003, 199) fordern in diesem Zusammenhang einen „neuen Lehrplantypus“. Diesem Anspruch werden die Thüringer Lehrpläne (2011)1 gerecht. Sie formulieren – im Sinne eines curricular verankerten sprachenübergreifenden Lehr-Lernkonzeptes – sprachenübergreifende Kompetenzen als gemeinsame Zielstellungen für den muttersprachlichen Deutschunterricht und für den Fremdsprachenunterricht.

2Sprachenübergreifende Kompetenzen im Verständnis der Thüringer Lehrpläne für den Sprachunterricht

Die Thüringer Lehrpläne für alle Fächer der allgemeinen bildenden Schulabschlüsse folgen einer gemeinsamen Konzeption (cf. dazu die Leitgedanken zu den Thüringer Lehrplänen 2011, 7) und weisen neben zu entwickelnden fachspezifischen Kompetenzen auch fächerübergreifende Zielstellungen aus, die einerseits für die Kompetenzentwicklung in allen Fächern, sog. Lernkompetenzen, und andererseits für Fächer eines Aufgabenfeldes, z. B. gesellschaftswissenschaftliche, naturwissenschaftliche Kompetenzen, relevant und umzusetzen sind. Aufgabenfeldspezifische Kompetenzen sollen gemeinsame Zielsetzungen des Unterrichts in (verwandten) Fächern eines Aufgabenfeldes herausstellen, Treffpunkte für Zusammenarbeit in der jeweiligen Fachkonferenz und Vernetzung von Lehr-/Lernprozessen schaffen, Synergien nutzen und letztlich für Schülerinnen und Schüler Lernunterstützung ermöglichen.

Die Thüringer Lehrpläne für den Unterricht in der Muttersprache Deutsch und in den Fremdsprachen (2011) setzen diesen konzeptionellen Ansatz konsequent um und weisen für die Fächer des sprachlichen Aufgabenfeldes sprachenübergreifende Kompetenzen als gemeinsame Zielsetzung jeglichen Sprachunterrichts aus.

Der Auftrag, aufgabenfeldspezifische Kompetenzen in den Lehrplänen für den Sprachunterricht zu verankern, erforderte ein gemeinsames Begriffsverständnis von sprachenübergreifender Kompetenzentwicklung und deren sinnvolle Abbildung im jeweiligen Fachlehrplan. Hierfür waren die enge Zusammenarbeit und Abstimmung der beteiligten Lehrplangruppen eine unerlässliche Voraussetzung. Wesentlich war ebenso die Verabredung von Prämissen, wie:

das Fachlehrplanprinzip steht nicht zur Disposition,

es darf keine Abstriche im Bereich sprachenspezifischer Kompetenzentwicklung geben,

die Zielstellungen müssen in der lt. Stundentafel für die jeweilige Sprache vorgesehenen Lernzeit zu erreichen sein,

die Beschreibung sprachenübergreifender Zielstellungen muss in der für alle Thüringer Lehrpläne festgelegten Form erfolgen und somit Sach-, Methoden, Selbst- und Sozialkompetenz abbilden,

die Art der Darstellung sprachenübergreifender Kompetenzen muss in allen Lehrplänen als integrativer Bestandteil des Einzelfachlehrplans erfolgen.

Ein erster Diskurs nahm die sprachenspezifische Kompetenzentwicklung in den Fokus. Es konnten für den muttersprachlichen Deutschunterricht und für den Fremdsprachenunterricht gleichermaßen relevante Lernbereiche lokalisiert werden, wie Textrezeption, Textproduktion, Sprachmittlung. Ein Vergleich der in diesen Lernbereichen aus sprachenspezifischer Sicht formulierten Zielstellungen ließ die Abstraktion gemeinsamer, in allen Sprachfächern für die Kommunikation gleichermaßen relevanter Kompetenzen zu. Damit erhielt das Verständnis sprachenübergreifender Kompetenzen eine erste Konkretion:

„Sprachenübergreifende Kompetenzen sind Kompetenzen, die der Schüler gleichermaßen für die erfolgreiche Kommunikation in der Muttersprache wie in den Fremdsprachen benötigt. Ihre Nutzung fördert Synergien zwischen den Sprachen und wirkt lernunterstützend.“ (Lehrplankapitel 1.2)1.

Sprachenübergreifende Kompetenzen bieten somit für die jeweiligen Lernbereiche konkrete Bezugspunkte für eine über den einzelsprachlichen Unterricht hinausgehende Abstimmung von Lehr- und Lernprozessen, für die schulinterne Sprachkonzeptentwicklung sowie für die gemeinsame Arbeit in der Fachkonferenz Sprachen, z. B. im Zusammenhang mit Schwerpunktsetzungen bei der Kompetenzentwicklung, der individuellen Förderungen, der Leistungseinschätzung oder projektartigen Phasen in bestimmten Klassenstufen.

Diesem grundsätzlichen Verständnis und den oben benannten Prämissen folgend werden in den Lehrplänen gemeinsame sprachenübergreifende Kompetenzen für die Lernbereiche Hör-/Hör-Sehverstehen, Leseverstehen, Sprechen, Schreiben sowie Sprachmittlung formuliert.

Derartige gemeinsame Zielsetzungen erscheinen bspw. im Lernbereich Hör-/Hör-Sehverstehens in folgender Form – hier als punktueller Auszug aus dem in allen Lehrplänen für den Sprachenunterricht in Thüringen enthaltenen Kapitel 1.2 „Sprachenübergreifende Kompetenzen“:

 

Sachkompetenz

Der Schüler kann

verschiedene sprachlich angemessene und altersgemäße Hör-/Hör-Sehsituationen in persönlichen und öffentlichen Zusammenhängen bewältigen,

unterschiedliche Sprecher verstehen,

[…]

 

Methodenkompetenz

Der Schüler kann

[…]

verschiedene Hör-/Hör-Sehtechniken funktionsbezogen einsetzen, z. B. Informationen gedanklich verdichten, Sinnzusammenhänge kombinieren, Verstehenslücken ausgleichen,

sprachliches, soziokulturelles und thematisches Wissen sowie Weltwissen als Verstehenshilfe nutzen.

Selbst- und Sozialkompetenz

Der Schüler kann

[…]

den Hör-/Hör-Sehprozess entsprechend der Aufgabe selbstständig bewältigen,

[…]

seine Kompetenzentwicklung einschätzen und ggf. dokumentieren.

3Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren – ein neuer Lernbereich für den Sprachunterricht in Thüringen

Die in den Thüringer Lehrplänen formulierten sprachenübergreifenden Kompetenzen gehen über das unter Punkt 2 beschriebene Grundverständnis hinaus. Impulscharakter hatten dabei v.a. die Ergebnisse von theoriegeleiteten Praxiserkundungen in Thüringen (cf. Behr 2007) als auch bildungspolitische Forderungen nach mehrsprachigkeitsdidaktischen Konzepten und der Entwicklung von Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz, z. B. in den nationalen Bildungsstandards (KMK 2012).

Erprobungserfahrungen in Thüringen zeigen, dass v.a. die Anwendung von Strategien

der bewussten Wahrnehmung,

der Reflexion,

der pro- und retroaktiven Verknüpfung und

des zwischensprachlichen Transfers

von individuell verfügbarem sprachlichem, soziokulturellem und strategischem Wissen in der Muttersprache und den erlernten Fremdsprachen eine wesentliche Reserve für die Erhöhung der einzelsprachlichen Kompetenz darstellen (cf. Behr 2007, 19-33). Dieser Befund entspricht einschlägigen Ergebnissen der mehrsprachigkeitsdidaktischen Forschung, wonach lernrelevantes Vorwissen ein entscheidender Faktor für den Lernerfolg ist und Lerngegenstände miteinander interagieren (cf. z. B. Bausch, Königs & Krumm 2004; Meißner 2003, 2005). Die benannten Praxiserkundungen in Thüringen verdeutlichen, dass durch die Betonung der Kategorien Vergleich, Transfer und Reflexion im Unterricht der reflektierte Umgang mit

der Funktionalität sprachlicher Formen und Strukturen,

Gemeinsamkeiten, Unterschieden und Besonderheiten sprachlicher und nichtsprachlicher Mittel und ihrer Verwendung,

dem Zusammenwirken von Sprache und Kultur,

Strategien zur Förderung der Kommunikation

maßgeblich angeregt und die Evaluation des eigenen Lernprozesses gefördert werden kann (cf. Behr 2007, 184-88).

Für die Lehrplankonzeption erwuchs hieraus die Überlegung, einen eigenständigen Lernbereich verbindlich einzuführen, in dem „[…] die Reflexion über Sprache, ihre Verwendung und den eigenen Sprachlernprozess“ (Lehrplankapitel 1.2.4) im Zentrum steht und der „dezidiert auf die Entwicklung sprachenübergreifenden Lernens ausgerichtet“ (ebd.) ist und die „Entwicklung von Sprach- und Sprachlernbewusstheit“ (ebd.) fördert. Mit dem Lernbereich „Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren“ wurde dieses Anliegen umgesetzt.

Das unter Punkt 2 beschriebene Grundverständnis sprachenübergreifender Kompetenzentwicklung wird hier nun ergänzt um den Fokus auf die pro- und retroaktive Verknüpfung und den zwischensprachlichen Transfer von individuell verfügbarem sprachlichem, soziokulturellem und strategischem Wissen in der Muttersprache und den erlernten Fremdsprachen. Hierbei erfolgte die Zielbeschreibung – der Thüringer Lehrplankonzeption und Diktion folgend – für das fachlich-inhaltliche Lernen (Sachkompetenz), das methodisch-strategische Lernen (Methodenkompetenz) sowie für das sozial-kommunikative (Sozialkompetenz) und das selbstbeobachtende/selbstregulierende Lernen (Selbstkompetenz).

Diesen Ansatz sprachenübergreifender Kompetenzbeschreibung verdeutlicht die nachfolgende Tabelle für die Sekundarstufe I. Sie ist Bestandteil des Lehrplankapitels 1.2.4 und in dieser Form in jedem Sprachenlehrplan enthalten.

Klassenstufen 5 – 10

Sachkompetenz

Der Schüler kann

die Funktionalität sprachlicher Mittel erkennen und unter Verwendung von Fachterminologie erklären,

vorhandene sprachliche und nichtsprachliche Mittel in der deutschen Sprache, ggf. in seiner Herkunftssprache und in den erlernten Fremdsprachen für das Verstehen und Sich-Verständigen nutzen,

Hypothesen zur Erschließung sprachlicher und nichtsprachlicher Mittel formulieren,

an ausgewählten Beispielen das Zusammenwirken von Sprache und Kultur erklären,

Methoden und Strategien des Spracherwerbs beschreiben.

Methodenkompetenz

Der Schüler kann

Techniken des Sprachenvergleichs selbstständig anwenden,

das Ergebnis und die Vorgehensweise beim Sprachenvergleich

dokumentieren,

präsentieren,

kommentieren,

Strategien des Sprachenlernens erklären und die für den individuellen Lernprozess in der jeweiligen Sprache geeigneten auswählen und anwenden.

Selbst- und Sozialkompetenz

Der Schüler kann

sprachliche und nichtsprachliche Phänomene aufmerksam und bewusst wahrnehmen,

über eigene Sprachlernstrategien reflektieren,

seine Kompetenzentwicklung einschätzen und ggf. dokumentieren.

Tab. 1:

Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren (aus: Lehrplankapitel 1.2.4).

Die o.g. sprachenübergreifenden Zielformulierungen erfahren für den Unterricht in der jeweiligen Sprache eine sprachen- sowie altersspezifische Ausprägung und werden in den Lehrplanteilen der gymnasialen Oberstufe fortgeführt. Dabei werden „in Abhängigkeit von der jeweiligen sprachlichen Kompetenz […] die deutsche Sprache und/oder die Fremdsprache als Medium für Erläuterungen von Ergebnissen und entsprechenden Vorgehensweisen beim Sprachenvergleich, für das Bilden von Hypothesen und für die Reflexion genutzt“ (Lehrplankapitel 1.2.4).

Die Abbildung des Lernbereichs „Über Sprache, Sprachenlernen und Sprachverwendung reflektieren“ in einem einzelsprachlichen Lehrplan, die Zuordnung von sprachenübergreifenden Zielen zu bestimmten Klassenstufen und die damit verbundene Progression der Kompetenzentwicklung werden in der folgenden Übersicht am Beispiel einer zweiten Fremdsprache – hier des Französischlehrplans für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife – für die Sach- und die Methodenkompetenz in der Sekundarstufe I abgebildet.

Die Progression zeigt sich in

der Verwendung unterschiedlicher Operatoren,

einem unterschiedlichen Grad an erwarteter Selbstständigkeit,

der Bindung an die jeweiligen niveauspezifischen sprachlichen Mittel sowie Rezeptions- und Produktionsstrategien (diese zeigt sich in der Tabelle durch den Verweis auf das jeweilige klassenstufenbezogene Lehrplankapitel),

der Ausweisung unterschiedlicher Gegenstände für den Sprachen- bzw. Kulturvergleich,

dem Grad der Komplexität zu nutzender Techniken und Strategien,

dem Anwendungsspektrum für Techniken des Sprachenvergleichs.

Sachkompetenz

Klassenstufen 5/6 – A1

Klassenstufen 7/8 – A2

Klassenstufen 9/10 – B1

Der Schüler kann

vorhandene sprachliche und nichtsprachliche Mittel in der deutschen Sprache, ggf. in seiner Herkunftssprache, und in den erlernten Fremdsprachen für das Verstehen und das Sich-Verständigen im Französischen nutzen und darüber reflektieren,

die Funktion bekannter sprachlicher Phänomene, z. B. Wortarten, Satzglieder, Tempusformen (vgl. 2.4.3) erkennen und unter Verwendung lateinischer Fachtermini benennen,

die Funktion bekannter sprachlicher Mittel z. B. Wortarten, Satzglieder, Tempusformen (vgl. 2.4.3) erkennen und unter Verwendung der Fachterminologie erklären,

Hypothesen zur Erschließung von elementarem Wortschatz sowie von einfachen Strukturen auf der Grundlage von Vorwissen unter Anleitung bilden,

Hypothesen zur Erschließung von elementarem Wortschatz sowie von einfachen Strukturen auf der Grundlage von Vorwissen, ggf. unter Anleitung, bilden,

Hypothesen zur Erschließung sprachlicher und nichtsprachlicher Mittel formulieren,

über die Angemessenheit einfacher sprachlicher Mittel, z. B. Anrede- und Höflichkeitsformen, sowie nichtsprachlicher Mittel, z. B. Mimik und Gestik, unter Anleitung reflektieren,

über die Angemessenheit einfacher sprachlicher Mittel, z. B. Anrede- und Höflichkeitsformen, sowie nichtsprachlicher Mittel, z. B. Mimik und Gestik, ggf. unter Anleitung, reflektieren,

an ausgewählten Beispielen das Zusammenwirken von Sprache und Kultur erklären, z. B. bezogen auf die Verwendung von Wortschatz in chansons, Märchen, ideomatischen Redewendungen, Werbetexten,

Methoden und Strategien unter Anleitung beschreiben für

das Einprägen von Wortschatz und Strukturen im Französischen (vgl. 2.4.3),

die Rezeption französischsprachiger Texte (vgl. 2.1.1)

die Produktion französischsprachiger Texte (vgl. 2.1.2)

das Lösen von Aufgaben zur Sprachmittlung (vgl. 2.1.3).

Methoden und Strategien, ggf. unter Anleitung, beschreiben für

die Rezeption französischsprachiger Texte (vgl. 2.2.1),

die Produktion französischsprachiger Texte (vgl. 2.2.2),

das Lösen von Aufgaben zur Sprachmittlung (vgl. 2.2.3).

Methoden und Strategien selbstständig beschreiben für

die Rezeption französischsprachiger Texte (vgl. 2.3.1.)

die Produktion französischsprachiger Texte (vgl. 2.3.2),

das Lösen von Aufgaben zur Sprachmittlung (vgl. 2.3.3).

Methodenkompetenz

Klassenstufen 5/6 – A1

Klassenstufen 7/8 – A2

Klassenstufen 9/10 – B1

Der Schüler kann

einfache Techniken des Sprachenvergleichs, z. B. Identifizieren, Kontrastieren, Ordnen unter Anleitung anwenden,

einfache Techniken des Sprachenvergleichs, z. B. Identifizieren, Kontrastieren, Klassifizieren, ggf. unter Anleitung, anwenden,

Techniken des Sprachenvergleichs auf der Ebenen der sprachlichen und nichtsprachlichen Mittel bewusst anwenden,

sprachliche Einzelphänomene isolieren und dabei gezielt nach Bekanntem und Ähnlichem suchen,

Vergleichbares unter Anleitung in anderen Sprachen, gerade auch in seinen Schulsprachen, erkennen, bestimmen und nutzen,

Vergleichbares in anderen Sprachen, gerade auch in den Schulsprachen, ggf. unter Anleitung, erkennen, bestimmen und nutzen,

über sprachliche und nichtsprachliche Mittel Verbindungen zu anderen Sprachen, besonders zu jenen aus der romanischen Sprachfamilie, herstellen,

das Ergebnis und die Vorgehensweise beim Sprachenvergleich festhalten und anderen mitteilen,

das Ergebnis und die Vorgehensweise beim Sprachenvergleich

dokumentieren,

präsentieren und

kommentieren,

eigene Regeln für die Sprachverwendung und das Sprachenlernen formulieren und anwenden.

die für das eigene Erlernen der französischen Sprache geeigneten Methoden und Strategien erklären und anwenden.

Tab. 2:

Darstellung der Kompetenzentwicklung im Lernbereich „Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren“ für den Französischunterricht am Gymnasium gemäß Thüringer Lehrplan für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife Französisch 2011.

Mit den 2011 veröffentlichten Thüringer Lehrplänen sind die Forderungen der Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss, „Bezüge zwischen den von den Schülerinnen und Schülern erlernten Sprachen herzustellen und durch entsprechende Methoden und Einsichten Fähigkeiten zu lebenslangem, selbstständigem Sprachenlernen weiter zu entwickeln“ (KMK 2003, 7) und gleichermaßen die in den Standards für die Allgemeine Hochschulreife verbindlich eingeführten Kompetenzbereiche Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz (vgl. KMK 2012, 12) in Thüringen curriculare Wirklichkeit geworden.

4Sprachenübergreifende Kompetenzentwicklung im Lern-und Leistungsraum

Vom Lehrplan führt kein direkter Weg in den Unterricht. Kompetenz kann man nur vermittels konkreter (Lern-) Handlungen entwickeln und erschließen. Hieraus erwächst auch für den Lernbereich „Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren“ die Rolle adäquater Übungs- und Aufgabengestaltung.

Die Lernenden sollen einerseits zu Einsichten in Struktur und Gebrauch der Zielsprache sowie anderer Sprachen und andererseits zu deren bewusster Nutzung in der mündlichen und schriftlichen Kommunikation geführt werden. Hierfür sind didaktisch-methodische Szenarien erforderlich, die Schülerinnen und Schüler anregen,

sprachliche Phänomene bewusst, d.h. mit erhöhter Aufmerksamkeit, wahrzunehmen,

Einzelphänomene aus komplexen Zusammenhängen zu isolieren, mit vorhandenen Sprachbeständen in der deutschen Sprache, ggf. in der Herkunftssprache und der/den anderen erlernten Fremdsprache/n sowie anderen verwandten Sprachen zu vergleichen, nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu suchen,

sinnvoll Vergleichbares zu erkennen,

Erklärungshypothesen auf der Grundlage von Vorwissen oder anhand von Oberflächenmerkmalen zu entwerfen,

Hypothesen zu überprüfen,

ihre Vorgehensweise beim Sprachenvergleich und dessen Ergebnisse zu dokumentieren und zu präsentieren,

über ihr Sprachenlernen (beim Wortschatzerwerb, beim Lesen, bei der Sprachmittlung etc.) zu reflektieren.

Derartige Schülertätigkeiten können angeregt und gelenkt werden durch Instruktionen zur:

Unterstützung der Wahrnehmung und Steuerung der Aufmerksamkeit, z. B.: Schau Dir an, (wie …), Finde heraus, (wie …), Überlege, wie/ob…, Stelle fest…, Ergänze…, Unterstreiche…;

Anregung vergleichender Operationen, z. B. Vergleiche…, Ordne (zu)…, Finde/Markiere Gemeinsamkeiten und Unterschiede;

Verbalisierung der Vorgehensweise und der Ergebnisse, z. B. Erkläre, wie du vorgegangen bist, Stelle dein(e) Ergebnis(se) vor, Besprich deine Ergebnisse mit einem Partner;

Zusammenfassung, Speicherung der persönlichen Erkenntnisgewinnung, z. B. Formuliere eine Regel und schreibe sie auf, Notiere deine Ergebnisse.

Für die Konstruktion von Aufgaben zur zielgerichteten Förderung von Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz sind die nachfolgenden Anforderungen sehr wesentlich:

die gleichzeitige Ausrichtung der Schülertätigkeiten auf die jeweilige Zielsprache und mindestens eine weitere Sprache sowie die Einbeziehung der deutschen Sprache,

die Bereitstellung einer hinreichenden und erschließbaren Vergleichsbasis für die jeweilige Zielsprache zu anderen Sprachen,

das Schaffen von Anknüpfungspunkten für die Wahrnehmung von Gemeinsamem, Ähnlichem und Unterschiedlichem,

die Lernerperspektive, insbesondere im Sinne von kommunikativer Relevanz und Gegenwartsorientierung,

die Unterstützung entdeckenden Lernens,

die Anregung von Reflexion und Dokumentation von Lernprozessen und Lernergebnissen (cf. Behr 2010, 109-113).

Hilfreich sind in diesem Zusammenhang Aufgaben, die vom Schriftbild ausgehen, da mit der geschriebenen Sprache durch die selbstbestimmte Verweildauer der bewusste Umgang mit der Sprache geübt werden kann. Ferner kann durch optische Anordnung das Vergleichen erleichtert werden, und schließlich sind Selbstkontrolle und Ergebnisdarstellung besser möglich angesichts der Fixiertheit der Ausgangsbasis.

Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich in ihren Lernvoraussetzungen und -bedingungen z. T. erheblich. Es obliegt folglich der Lehrkraft, Aufgaben unter Berücksichtigung der jeweiligen metakognitiven Dispositionen der Lernenden, ihrer Vorkenntnisse und Sprachlernerfahrungen differenziert einzusetzen, ggf. zusätzliche lernberatende bzw. aktivitätssteuernde Impulse vorzusehen, um Erfolge sprachenübergreifenden Lernens erlebbar zu machen und zu würdigen.

Mit zunehmender Sprachbeherrschung wächst der Grad der Selbstständigkeit bei der Aufgabenbewältigung und nimmt die Komplexität der in den Sprachenvergleich einbezogenen sprachlichen oder nichtsprachlichen Phänomene zu. Zudem gewinnen Aspekte des Zusammenwirkens von Sprache und Kultur an Bedeutung. Schließlich wird mit zunehmender Sprachbeherrschung die jeweilige Zielsprache sukzessive das Medium, das der Schüler/die Schülerin für Erläuterungen von Ergebnissen und entsprechenden Vorgehensweisen beim Sprachenvergleich, für das Bilden von Hypothesen und für die Reflexion nutzt. Die dazu benötigten sprachlichen Mittel müssen demzufolge konsequent in den Unterrichtsprozess einbezogen werden.

Publikationen des Thüringer Instituts für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien der Reihe „Materialien“, z. B. die Hefte 105, 1291 sowie Anregungen im Thüringer Schulportal2 zeigen Möglichkeiten der unterrichtspraktischen Umsetzung von Lehrplanzielen zum sprachenübergreifenden Lernen.

Mögliche leistungsrelevante Merkmale, die der Fremd- und Selbsteinschätzung zu Grunde liegen können, ergeben sich aus der Zielbeschreibung für die Kompetenzentwicklung im Lernbereich „Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren“ und betreffen:

die Kenntnis und Nutzung sprachenübergreifender Lernstrategien, inkl. der Einbeziehung von Welt- oder Kontextwissen,

die Arbeitsweise, auch in verschiedenen Sozialformen,

die Dokumentation von Erschließungs-/Vergleichsprozess und/oder -ergebnis,

die Reflexion auf Erschließungs-/Vergleichsprozess und/oder -ergebnis,

die Nutzung von Möglichkeiten zur Überprüfung des Erschließungs-/Vergleichsergebnisses.

Konkrete Anregungen zur Umsetzung in Form einer Klassenarbeit finden sich in Behr 2020, 67 ff.

5Sprachenübergreifendes Lernen und Lehren als ein Element von Schulentwicklung

Die schulentwicklerische Potenz sprachenübergreifenden Lernens und Lehrens besteht in der notwendigen Kooperation und Abstimmung der Lehrkräfte der Mutter- und Fremdsprachen(n) und in der möglichen Verbindung zu interkulturellen Zielsetzungen des Schulprofils oder Schulprogramms.

Kooperation und Abstimmung beziehen sich vor allem auf das prozedurale, deklarative und soziokulturelle Vorwissen der Schülerinnen und Schüler, auf mögliche Transferbasen sowie auf Sprachlern- und Reflexionstrategien aus der jeweils vor- oder nachgelernten Sprache und deren sprachenübergreifende Einordnung in den Spracherwerbsprozess. Dabei geht es sowohl um die Bestimmung von Ziel und Position sprachenübergreifender Übungssequenzen als auch um die Festlegung von Organisationsformen, um auch Nachhaltigkeit bei den Lernern zu bewirken. Daraus erwachsen konkrete Bezugspunkte für die schulinterne Sprachenkonzeptentwicklung sowie für die gemeinsame Arbeit in der Fachkonferenz Sprachen, z. B. im Zusammenhang mit Schwerpunktsetzungen bei der Kompetenzentwicklung, der individuellen Förderungen, der Leistungseinschätzung oder projektartiger Phasen in bestimmten Klassenstufen.

Schließlich hilft die Kooperation der Sprachenlehrkräfte dabei, das vermeintliche Defizit bezogen auf Sprachen, die man selbst nicht beherrscht, zu mindern. Hier zeigen die Erfahrungen bei der Erprobung von sprachenübergreifenden Übungsangeboten sowie in der Lehrerfortbildung, dass Lehrkräfte sich schwer tun, Schülern gegenüber fehlende Expertise einzugestehen. Der nachfolgende Auszug aus der Rückmeldung einer Kollegin aus einem Gymnasium macht die beschriebene Problematik deutlich. „Da ich als Lehrkraft leider nicht über ausreichende Französisch- und Lateinkenntnisse verfüge, konnte ich nur auf die Kenntnisse der Schüler zurückgreifen. Es war mir nicht möglich, sie zu werten oder zu korrigieren, so dass ich mich mit dem gegenseitigen Korrigieren durch die Schüler begnügen musste.“ (cf. Behr 2007, 187).

An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass Sprachlehrerinnen und -lehrer Expertise vornehmlich an der Sprachbeherrschung und nicht an Strategiekompetenz festmachen. In diesem Fall fällt es dann schwer, Lernern den Wert von sprachenübergreifenden Lernstrategien überzeugend zu vermitteln.

Die Auswertung der Erprobung von sprachenübergreifenden Übungsangeboten in Thüringer Schulen (cf. Behr 2007) sowie Erfahrungen im Kontext der Implementation des gemeinsamen Lehrplankonzeptes für alle Sprachen zeigen, dass Lehrkräfte der modernen Fremdsprachen (v.a. der s.g. zweiten Fremdsprachen) sich in stärkerem Maße mit sprachenübergreifendem Arbeiten identifizieren und dies auch wahrnehmbar für die Schülerinnen und Schüler praktizieren. Hier könnte die Arbeit in einer Fachkonferenz „Sprachen“ das Bewusstsein für die gemeinsame Verantwortung der Sprachen/Sprachenlehrer füreinander an der Schule fördern und die innere Überzeugung entwickeln, dass die Entwicklung von Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz ein Ziel ist, das die Lehrkräfte der Mutter- und Fremdsprachen verbindet und nur gemeinsam erreicht werden kann und von dem alle gleichermaßen profitieren – vor allem die Schülerinnen und Schüler.

Das schulentwicklerische Potential sprachenübergreifender Kooperation bezieht sich auch auf einen weiteren Bereich – die Reflexion auf die eigene Arbeit. Sprachenübergreifendes Lernen als Ziel und Gegenstand des Sprachenunterrichts und gemeinsamer Fachkonferenzarbeit setzt im Interesse der Stärkung synergetischer Effekte gleichermaßen vorbereitende Abstimmung und nachbereitende Auswertung voraus und kann somit die Reflexionskultur im Kollegium befördern.

6Literatur

Bausch, Karl-Richard / Helbig-Reuter, Beate. 2003. „Überlegungen zu einem integrativen Mehrsprachigkeitskonzept: 14 Thesen zum schulischen Fremdsprachenlernen“, in: Neusprachliche Mitteilungen, 56(4), 194-201.

Bausch, Karl-Richard / Königs, Frank G. / Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.). 2004. Mehrsprachigkeit im Fokus. Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr.

Behr, Ursula. 2007. Sprachenübergreifendes Lernen und Lehren in der Sekundarstufe I. Ergebnisse eines Kooperationsprojektes der drei Phasen der Lehrerbildung. Tübingen: Narr.

Behr, Ursula. 2010. „Zur Typologie von Übungen zum sprachenübergreifenden Lernen in der Sekundarstufe I“, in: Peter Doyé / Franz-Josef Meißner (Hrsg.): Lernerautonomie durch Interkomprehension. Tübingen: Narr, 107-116.

Behr, Ursula. 2015. „Sprach(en)bewusstheit und Sprachlernkompetenz. Ihre Bedeutung für das Sprachenlernen“, in: PRAXIS Fremdsprachenunterricht, Basisheft 4/2015, 11-13.

Behr, Ursula. 2020. „Anregungen für die Leistungseinschätzung beim sprachenübergreifenden Lernen im Russischunterricht“, in: Steffi Morkötter / Katja Schmidt / Anna Schröder-Sura (Hrsg.): Sprachenübergreifendes Lernen. Lebensweltliche und schulische Mehrsprachigkeit. Tübingen: Narr, 67-93.

[KMK] Kultusministerkonferenz. 2003. Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) für den Mittleren Schulabschluss (www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2003/2003_12_04-BS-erste-Fremdsprache.pdf, 31.10.2018).

[KMK] Kultusministerkonferenz. 2012. Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Köln: Carl Link.

Meißner, Franz-Joseph. 2003. „Grundüberlegungen zur Praxis des Mehrsprachenunterrichts“, in: Franz-Joseph Meißner / Ilse Picaper (Hrsg.): Mehrsprachigkeitsdidaktik zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland. Tübingen: Narr, 92-106.

Meißner, Franz-Joseph. 2005. „Mehrsprachigkeitsdidaktik revisited: über Interkomprehensionsunterricht zum Gesamtcurriculum“, in: Fremdsprachen Lehren und Lernen, 34, 125-145.

Schröder, Konrad. 2012. „Sprachbewusstheit und Sprachlernbewusstsein in den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife der Kultusministerkonferenz Modellierungen, Tragweite und Ansätze zur schulischen Realisierung“, in: Die Neueren Sprachen, 3, 27-48.

Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Hrsg.). 2011. Leitgedanken zu den Thüringer Lehrplänen für den Erwerb der allgemein bildenden Schulabschlüsse (https://www.schulportal-thueringen.de/web/guest/media/detail?tspi=1382, 31.10.2018).

20 ans d’études sur l’Intercompréhension plurilingue: « empire des sens » ou « liaisons dangereuses » ? Une étude exploratoire du réseau conceptuel de l’intercompréhension

Sílvia Melo-Pfeifer / Ana Sofia Pinho

1Introduction

« Tout concept est en droit et essentiellement inscrit dans une chaîne ou dans un système à l’intérieur duquel il renvoie à l’autre, aux autres concepts, par jeu systématique de différences. » (Derrida 1968)

Le concept d’Intercompréhension (IC) s’avère très productif en ce qui concerne l’évolution de la Didactique des Langues (DL), étant à la base de l’évolution épistémologique de cette discipline (Alarcão et al. 2009b). Ceci est visible dans plusieurs dimensions de la discipline:

Formative: en se rapportant à l’enseignant et à l’apprenant, cette dimension praxéologique de la DL vise la formation de professeurs à une didactique de l’intercompréhension encadrée par une éducation plurilingue, dans une logique de développement professionnel centré sur la pratique didactique, tout en considérant celle-là comme un espace de développement des élèves eux-mêmes en tant que sujets plurilingues. Ça c’est évident dans la reconfiguration des propositions et pratiques didactiques qui s’ouvrent à une nouvelle conception des objets langues-cultures, plus interactive, amplifiée et transversale;

Recherche: dans cette dimension, l’analyse chronologique des études en DL met en évidence l’intérêt progressif pour le thème de l’intercompréhension. Aussi, les implications des études se montrent-elles orientées vers l’approfondissement de nouveaux concepts, notamment celui d’intercompréhension (voir, par exemple, les études présentées au Colloque «Diálogos em Intercompreensão» (Capucho et al. 2017);

Politique, ici entendue comme « le discours concernant la pensée et les décisions qui concernaient les macro-orientations stratégiques qui influencent les lignes d’action réalisées dans l’organisation des systèmes éducatifs […] et le pouvoir d’exprimer une opinion à l’intention critique et transformatrice, influençant éventuellement les macro-décisions » (Alarcão et al. 2009b, 16). Le rôle de l’intercompréhension dans la reconceptualisation de la DL est évident dans la forte liaison entre DL et politiques linguistiques, notamment en ce qui concerne les orientations d’une politique du plurilinguisme, qui sont à la base de plusieurs études.

Malgré cette productivité, déclinée sur les terrains des pratiques et des théories, le concept d’IC reste difficile à cerner, surtout quand on essaye d’envisager ses traits communs dans les travaux des chercheurs qui s’en occupent. Concept pluriel, méta-concept ou concept seuil (Capucho 2009; Degache & Melo 2008; Meissner 2008; Melo & Santos 2008; Pinho & Andrade 2008), les frontières conceptuelles de l’IC vis-à-vis d’autres notions restent à étudier, ainsi que les lieux d’ombre et de passage entre elles (comme exceptions, Castellotti 2007 et Ferrão Tavares 2007, pour des rapports avec les notions de Compétence Plurilingue et de Compétence de Communication, respectivement), ainsi que l’histoire, certes naissante, de ses variations diachroniques et synchroniques.

Prenant appui sur le base de données du projet Galapro1 (qui compte 71 entrées relatives à la production totale de ses chercheurs), nous chercherons à esquisser la toile de rapports du concept d’IC (son écologie conceptuelle) et à rendre compte de sa variabilité synchronique, à travers l’analyse des titres des travaux des chercheurs et des mots-clés qu’ils y ont ajoutés (cette méthodologie permettant de combler des manques dans le cas où les titres ne sont pas suffisamment précis ou les textes n’incluent pas de mots-clés).

Pour le faire, nous prendrons comme référence conceptuelle la théorie du modèle gravitationnel de Calvet pour les langues (1999) et essayerons, d’un coté, d’établir des rapports entre le concept hyper-central d’IC avec des concepts à de différents degrés de centralité – super-centrales, centrales et périphériques – à travers une étude de fréquence des occurrences, et, de l’autre coté, de saisir une toile des rapports sémantiques entre eux (une carte conceptuelle de l’IC). Notre but sera de contribuer à la compréhension de l’état actuel du concept d’IC, de son environnement conceptuel et de saisir son « hétérogénéité compositionnelle » (Foucault 1969).

2La nature des concepts: y-a-t-il des concepts contre nature?

Le souci de scientificité dans les Sciences Humaines, en général, et dans la DL, en particulier, a souvent poursuivi le rêve de se voir bâtir un sens unique pour leurs concepts, en tant que signe de rigueur et d’indépendance par rapport aux disciplines affines (Holtzer 1995). Toutefois, comme nous le rappelle G. Kleiber (1990), ces sens uniques mènent assez souvent à des impasses, puisqu’ils restent fréquemment en marge des problématiques qu’ils cherchent à cerner. C’est dans ce cadre, et parce que la nature des problématiques didactiques couvertes par le concept « Intercompréhension » a évoluée, que le concept lui-même s’est vu attribuer de nouvelles ou complémentaires acceptions (Gueidão et al. 2009; Jamet 2009; Melo & Santos 2008). Comme l’affirme G. Holtzer, « le lien entre la vie des mots et l’histoire de la société est un fait reconnu » (1995, 7). Ainsi, nous pouvons conclure que l’IC est, à chaque reprise dans le discours des chercheurs, à différentes époques, un terme qui contient à la fois de l’ancien et du nouveau (ceci ne mettant pas fin à l’ancien), pouvant être un concept auquel il semble prometteur d’additionner de nouveaux glissements sémantiques, pour augmenter ses possibilités heuristiques.

L’IC est à présent étudiée sous plusieurs perspectives (en tant que compétence ou compétence partielle, en tant que stratégie,…), dans plusieurs contextes (compréhension orale et écrite, interaction verbale, dans et dehors de familles linguistiques) et comme étant capable de développer de multiples sphères attachées à l’éducation linguistique (l’éveil aux langues et « language awareness », la compétence plurilingue et interculturelle, l’autonomie dans l’enseignement-apprentissage, la motivation, …). Cette richesse et variété, où l’on peut voir, en quelque sorte, une « auberge espagnole » (Tost 2009, 20), peuvent être analysées sous deux perspectives:

l’une plutôt pessimiste, ancrée sur une vision mono- des concepts et des conceptions, que l’on pourrait résumer comme suit: « If our concepts become too general, they may be subject to ‹theoretical vaporization›. They may suffer from ‹defective denotation›, in that they cease to offer productive empirical differentiation » (Collier & Gerring 2009, 3, sur la pensée de G. Sartori sur les concepts et la méthodologie);

l’autre plus constructive, qui envisage l’ambiguïté en tant qu’opportunité de développement conceptuel et empirique, à la lumière d’un paradigme de la complexité et d’une perspective écologiste des concepts: « l’histoire à venir de ce concept, au service de la DL, implique l’acceptation de sa richesse et l’exploitation de ses subtilités et des parcours qu’il intègre » (Gueidão et al. 2009, 62).

Il est possible de reconnaître l’IC en tant que concept « équivoque » et « flottant », si nous suivons une perspective immanente du langage reposant sur les sens uniques et la chimère de l’objectivité, qui semblent être à la base des déclarations suivantes:

« The lower the discrimination power of a conceptual container, the more facts are misgathered, i.e., the greater the misinformation » (Sartori 1970; republié 2009, 20);

« Concepts are not only elements of a theoretical system, but equally tools for fact-gathering, serving as data containers » (idem, 36).

Prenant appui sur ces mots, nous pourrions nous interroger: si les concepts sont peu clairs, s’ils sont toujours soumis à « conceptual stretching1 » (idem, 16), comment peuvent les chercheurs sélectionner leurs objets d’étude et leurs méthodologies de travail ? Comment peuvent-ils comparer et évaluer leurs travaux? Comment peut-on légitimer leurs résultats ?

Plusieurs de ces questions, que l’on reconnaît comme valides au sein d’un paradigme de recherche précis et issu des Sciences (dites) Exactes, peuvent cependant être surmontées à l’aide d’une perspective émique appliquée à la recherche et aux chercheurs. Cette perspective, qui a été conceptualisée en tant que choix méthodologique permettant la prise en compte des sujets étudiés, montre

« the importance of taking into account [not the view of the researcher defining competence from above, but] the local operations of the participants toward their definition of mutual competence, of locally available resources, of actually possible choices, of situated and emerging categorizations of speakers, situations, troubles and tasks » (Mondada 2004, 19).

Si nous appliquons cette perspective aux chercheurs eux-même (comme l’ont fait Gueidão et al. 2009), compris en tant que participants actives à la recherche, cela signifie que tous les chercheurs portent en soi des intuitions « informées » sur leurs objets et concepts de recherche et sur leurs potentialités et limitations. En conséquence, pour apprécier la façon dont ils comprennent l’IC en DL et leurs façons de travailler avec elle, il faut reconnaître que les représentations des chercheurs, leurs instincts avisés, ainsi qu’un certain sens d’opportunité (faut-il rappeler, notamment, les conditions qui cadrent la recherche en Europe ?), influencent les cheminements de recherche (Gueidão et al. 2009). Dans ce sens, la fluidité des frontières conceptuelles de l’IC serait à la base même de la diversité de points de vue et de l’évolution de la DL et aurait un effet démultiplicateur d’objets d’étude et de méthodologies de travail.

Dans ce sens, l’IC a un sens, mais il est multiple (Kleiber 2008). Nous pouvons, en effet, dire que le concept d’IC a, actuellement, une « carrière » et une « valeur sociale » (Gentilhomme 1997; Holtzer 1995, 6) et scientifique et qu’il s’est installé au sein d’une communauté de recherche, à l’aide de la politique linguistique de l’UE, et qu’il façonne, de nos jours, l’« imagination scientifique » des chercheurs (Kuhn 1995, 25) et leurs « habitus » de recherche (Bourdieu 1982). Dans ce sens, l’évolution et la complexification du concept sont marquées par « l’horizon scientifique » de ses chercheurs (la Didactique des Langues et du plurilinguisme) et elles participent au changement de la biographie épistémologique de la discipline (Pinho et al. 2009). Le fait même que le mot « intercompréhension » existait déjà et qu’il s’est vu accéder au statut de « signe idéologique et épistémologique », nous montre comment le contexte politique et linguistique était prêt à le recevoir (Holtzer 1995).