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Dieses Buch mit dem Untertitel "Philosophie des Lebens" nennt Eucken selbst sein systematisches Hauptwerk. Er beschreibt darin die Krise, in die sich die Menschheit durch den Verlust des Glaubens an Gott und die Vernunft selbst gebracht hat.
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Seitenzahl: 521
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Mensch und Welt
Rudolf Eucken
Inhalt:
Rudolf Eucken – Biografie und Bibliografie
Mensch und Welt
Vorwort
I. Rechtfertigung der Hauptthese
1. Einführung des Problems
2. Die Behandlung des Problems in der Philosophie
3. Der Aufstieg des Lebens
II. Entwicklung der Hauptthese
1. Die Weiterbildung des Grundgefüges des Lebens
2. Die Überwindung niederer Stufen durch das schaffende Leben
a) Die Überwindung der Stufe der Natur
b) Die Überwindung der Unzulänglichkeit des menschlichen Seelenstandes
c) Die Überwindung der Zersplitterung des Geisteslebens
Die Überwindung des Zwiespalts zwischen Mensch und Welt durch die weltgeschichtliche Arbeit
Vorbemerkungen
Die Größe und die Grenze der altgriechischen Lebensordnung
Das Wesen und die Probleme der christlichen Lebensordnung
Die Lebensbewegung der Neuzeit
Rückblick und Ausblick
III. Wendung zur weltgeschichtlichen Lage der Gegenwart
1. Die Aufgabe
2. Festlegung der Hauptrichtung
3. Gesamtbeleuchtung des Menschheitslebens
4. Folgerungen für die Erkenntnisarbeit
a) Die Hauptzüge des Erkennens
b) Die menschliche Bedingtheit des Erkennens
c) Das Erkenntnisproblem unter den Bedingungen der weltgeschichtlichen Lage
Mensch und Welt, Rudolf Eucken
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849612153
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com
Deutscher Philosoph und Träger des Literatur-Nobelpreises, geb. am 5. Januar 1846 in Aurich, verstorben am 15. September 1926 in Jena.
E. lehrt, unter dem Einfluss besonders von Plato und Fichte, einen objektiven Idealismus als Weltanschauung, der aber nicht intellektualistisch ist, sondern auf selbständige, aktive Gestaltung des Lebens gerichtet ist (Aktivismus). Es ist ihm überall um eine Erhöhung des Lebens zu tun, um Gewinnung eines festen Standpunktes, von dem aus das Leben Sinn und Wert erhält, indem es als in einem universalen Geistesleben verankert erscheint, zu dein es sich aktiv im Kampfe gegen alles bloß Naturhafte und Hemmende zu erheben hat. E. geht nicht von der Psyche des Einzelnen, nicht psychologisch vor, sondern »noologisch«, vom geistigen Lebensprozess und großen geistigen Zusammenhängen aus. Das »Geistesleben«, umspannt Gott und Welt, Subjekt und Objekt in einer selbständigen, übergeordneten Einheit. – Die einheitlichen Zusammenhänge von Lebensanschauungen und Lebenstendenzen nennt E. »Lebenssysteme« oder »Syntagmen«. Die Einseitigkeiten derselben, des Naturalismus, Intellektualismus, Ästhetizismus, werden von E. scharf beleuchtet. Die wahre geistige Kultur muss dem Menschen eine selbständige Stellung in der Natur geben, eine neue Art des Seins, eine Erhöhung seines Wesens, eine Innerlichkeit und Kraft, die über Natur und Intellekt hinausführt in das Reich des Geistes und seiner Werte. Dass Geistesleben muss in uns immer voller und reiner zum Durchbruch kommen, unser Leben sinnvoll erfüllen, uns erhöhen und vom Drucke des Daseins, des Ichs befreien.
Der bei sich selbst befindliche Lebensprozess ist Geist. Dieser »erzeugt aus seinem Schaffen eine neue Wirklichkeit und will die vorgefundene Lage damit umwandeln«. Im schaffenden Geistesleben erfolgt ein »Aufsteigen der Wirklichkeit zu einer inneren Einheit und zu voller Selbständigkeit«. Durch Kampf und Selbsttätigkeit muss die geistige Welt immer neu erobert werden; das Geistige ist aktive Selbstentwicklung. In der Geschichte eröffnet sich uns das – an sich selbständige – Geistesleben durch die Arbeit der Gesamtheit. Das Geistesleben ist eine an sich bestehende, selbständige Wirklichkeit, aber für unser Bewusstsein und unsere Tätigkeit ist es erst zu gewinnen und anzueignen, nur damit kann es eine deutliche Gestalt und einen bestimmten Inhalt gewinnen. Die Geschichte der Menschheit ist nur dadurch möglich, dass hier »eine Eröffnung des Geisteslebens als einer neuen Stufe der Wirklichkeit in Fluss kommt und vordringt«. Ein Gesamtgeschehen trägt alles Einzelne, treibt alles einem gemeinsamen Ziele zu. Die Natur ist Vorstufe des Geistes, ein Trieb zum Geistigen wirkt schon in ihr. Die Wirklichkeit ist nichts Abgeschlossenes, daher auch nicht rein begrifflich erschöpfbar. Unser seelisches Leben wird von der (transzendenten und zugleich immanenten) Einheit der göttlichen All-Person getragen und zu einem »personalen Lebenssystem« verknüpft. Von vornherein gehören die Einzelwegen einem universalen Personalleben an. Die Entfaltung eines wahrhaft personalen (einheitlich-aktiven) Geisteslebens ist eine unendliche Aufgabe, die einerseits durch unsere Selbsttätigkeit, anderseits durch das uns tragende, in unser Leben hineinreichende Wirken der geistigen Überwelt ermöglicht wird. Daher ist die (universale) Religion eine wahre Lebensmacht. Es gehört zu ihr, dass sie »der nächsten unmittelbar vorhandenen Welt eine andere Art des Seins, eine neue überlegene Ordnung der Dinge entgegenhält«.
Von E. beeinflusst sind O. Siebert, J. Goldstein, O. Braun, M. Scheler, H. Leser, E. Fuchs, O. Trübe, O. Kästner u. a.
SCHRIFTEN: Geschichte der philos. Terminologie, 1879. – Beiträge zur Geschichte 4. neueren Philosophie, 1886; 2. A. 1906. – Geschichten Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart, 1878; 4. A, 1909 (Geistige Strömungen der Gegenwart). – Prolegomena zu Forschungen über d. Einheit d. Geisteslebens, 1885. – Die Einheit des Geisteslebens in Bewußtsein und Tat der Menschheit, 1888. – Die Lebensanschauungen der großen Denker, 1890; 8. A. 1909. – Der Kampf um e. geistigen Lebensinhalt, 1896; 2. A. 1907. – Das Wesen der Religion, 1901. – Der Wahrheitsgehalt der Religion, 1901. 2. A. 1905. – Thomas von Aquino u. Kant, 1901; 2. A. 1910. – Gesammelte Aufsätze, 1903. – Hauptprobl. d. Religionsphilos., 3. A. 1909. – Grundlin. e. neuen Lebensansch., 1907. – Der Sinn u. Wert des Lebens, 1908; 2. A. 1910. – Einfuhr, in eine Philos. des Geisteslebens, 1908, u. a. – Vgl. O. SIEBERT, R. E.s Welt- und Lebensanschauung, 1904.
Eine Philosophie des Lebens
Die folgenden Untersuchungen gehen von der Überzeugung aus, daß wir uns heute in einer geistigen Krise befinden, wie sie in solcher Tiefe und Weite die Menschheit noch niemals erlebt hat. Die alten Lebenszusammenhänge und mit ihnen die leitenden Ziele sind völlig erschüttert worden, und was als ihr Ersatz geboten wird, das genügt den geweckten Bedürfnissen bei weitem nicht, das ist meist von kläglicher Flachheit. Die Menschheit – nicht alle Einzelnen, wohl aber der Hauptzug des gemeinsamen Lebens – hat zuerst den Glauben an Gott verloren, dann den an eine der Welt innewohnende Vernunft, sie beginnt nun auch den an sich selbst und damit den letzten Halt zu verlieren; im Gesamtergebnis wäre damit das Leben einer völligen inneren Leere und Sinnlosigkeit ausgeliefert. Sich solcher Zerstörung aber wie einem unentrinnbaren Schicksal zu ergeben, dem widersteht schon die Erwägung, daß jene Auflösung selbst nicht ohne eine Hilfe positiver Kräfte möglich war. Denn es gibt keine erfolgreiche Verneinung, in der nicht irgendwelche, wenn auch zurückliegende Bejahung wirkt. Was im Leben der Gegenwart aber an Bejahung steckt, das bleibt einstweilen zerstreut, das faßt sich nicht zu einem Ganzen zusammen, das gewinnt daher weder eine ausgeprägte Gestalt noch eine genügende Stärke. Solche Lage treibt zu der Aufgabe, jenes Bejahende aufzusuchen und in eine Einheit zu fassen, was schwerlich ohne ein Überschreiten des Erfahrungsstandes, ohne ein Vordringen zu begründenden Kräften gelingen kann. Künstlich bereiten läßt sich nämlich jene Einheit nicht, sie muß irgendwie in uns angelegt sein, um unserem Leben eine Befestigung und eine Erhöhung bringen zu können. Solcher Aufgabe möchten nun nach besten Kräften auch die folgenden Untersuchungen dienen; sie können bei der waltenden Ungewißheit über das Ganze nicht einen fertigen Aufbau liefern, ein durchgebildetes System, sie haben sich zu bescheiden mit der Sicherung der Hauptrichtung des Suchens, mit der Ermittlung der Grundlagen des Baues, der Entwerfung der bestimmenden Umrisse; sie würden vollauf zufrieden sein, in dieser Richtung etwas zu bieten. Sie können dabei aber nur dem etwas sein, der mit ihnen die erschütternde Krise anerkennt und auch für sich selbst ein Problem darin findet; wer den gegenwärtigen Stand des Menschheitslebens, sei es befriedigt, sei es gelassen, hinnimmt, dem können sie nichts bedeuten, zu dem sprechen sie nicht. Aber sie sind überzeugt, daß nicht alle so leichtherzig jene Fragen von sich schieben, an denen die geistige Selbsterhaltung der Menschheit hängt.
Jena, im Juni 1918. Rudolf Eucken.
Wo immer die Philosophie eine Größe bei sich selbst und eine Bedeutung für die Menschheit gewann, da war sie kein bloßes Betrachten und Beleuchten, sondern ein Weiterbilden und Verwandeln des überkommenen Standes der Dinge, ja auf ihrer Höhe ward sie eine geistige Revolution. Denn nur da trieb es zwingend zu ihr, wo jener Stand einen Widerspruch aufwies, der weder zu ertragen noch innerhalb seiner zu lösen war. Mattere Seelen mochten sich willig solcher Zerklüftung ergeben, kräftigeren wurde sie zu einem geistigen Notstand; das Verlangen, ihm zu entrinnen, führte zwingend auf neue Bahnen und ließ auch ein kühnes Wagnis, eine schroffe Paradoxie nicht scheuen. "Der beste Ratgeber ist die Notwendigkeit" (Goethe).
Bei solchem Unternehmen pflegte aber die Arbeit der Denker in folgender Weise zu verlaufen. Ihr Ausgangspunkt war eine Tatsache oder auch eine Forderung, die ihnen als unbestreitbar und unabweisbar galt; diese Tatsache aber fanden sie in schroffem Widerspruch, fanden sie völlig unvereinbar mit dem nächsten Stande des Lebens und dem nächsten Bilde der Welt; so war eine Entscheidung zu treffen, und wenn diese zugunsten der mit unbeugsamer Energie behaupteten Grundtatsache ausfiel, so war die ihr feindliche Welt bis dahin umzugestalten, daß sie ihrer Entwicklung freie Bahn ließ, ja aus der Hemmung zu einer Förderung wurde.
So zeigen es mit besonderer Klarheit die Denker zu Beginn der Neuzeit. Der Begriff der Innerlichkeit und des Innengeschehens hatte sich in Zusammenhang mit großen Wandlungen des Menschheitslebens ihnen so sehr gesteigert, daß ihn festzuhalten und durchzusetzen ihnen die Hauptsorge war. Das aber zwang sie zu einer entschiedenen Ablehnung einer Wechselwirkung der Dinge, wie der unmittelbare Eindruck sie nahelegt und die Überlieferung sie befestigt hatte. Da sie aber zugleich eine Verbindung der Mannigfaltigkeit nicht aufgeben konnten und wollten, so war das auf Wechselwirkung beruhende Weltbild aufs gründlichste umzuwandeln und ein neues Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit herzustellen. So taten es Spinoza und Leibniz, jeder in seiner Weise, jeder unter Belebung neuer Tiefen. Hinter beider Arbeit stand aber eine gemeinsame Forderung, eine innere Nötigung. Mochte die Zeit diese Forderung entgegenbringen, erst ihr kräftigeres Herausheben und Erleben durch die Denker gab ihr die Kraft zu bewegen und das Leben umzubilden. Daß die Philosophie in dem, was dem Alltage als selbstverständlich gilt und was auch die Zeitlage ohne Bedenken hinnimmt, ein schweres Problem, einen unerträglichen Widerspruch aufdeckt, das hat von altersher ihren Ausgangspunkt gebildet. Sie war aber nur dort im Recht, wo das Problem ein wahrhaftiges und der Widerspruch kein ersonnener war.
Durch das Leben der Gegenwart geht nun zweifellos ein schroffer Widerspruch und stellt der Philosophie ein wahrhaftiges Problem. Der Widerspruch betrifft das Gesamtverhältnis des Menschen zur Welt und zugleich die Hauptrichtung seines Lebens. Tiefgehende Wandlungen sind hiergegen frühere Zeiten erfolgt, sie haben den Schwerpunkt des Lebens verschoben, sie bedrohen allen Sinn und Wert unseres Strebens. Früher war der Hauptstandort des menschlichen Lebens eine unsichtbare Welt, sei es der Religion, sei es einer Idealkultur; in ihrem Licht sah der Mensch die sichtbare Welt, und ihre Güter beherrschten auch sein Wirken in dieser. Nun aber haben die letzten Jahrhunderte eine überwältigende Wendung zur sichtbaren Welt vollzogen, uns immer enger mit ihr verkettet, uns immer mehr in sie aufgehen lassen. Die Natur befreite sich von der Deutung nach menschlichen Größen und Zwecken als von einer argen Verfälschung und gewann auch in unserem Denken eine volle Selbständigkeit; eben damit aber wurde sie uns zu einem unermeßlichen Arbeitsgebiet, unsere Begriffe brachten Klarheit und Ordnung in das sonst undurchsichtige Weltgetriebe, mit wachsender Einsicht aber verband sich eng die Technik und unterwarf die Kräfte der Natur immer mehr unseren Zwecken; alles zusammen machte unser Leben klarer und männlicher, machte es freier von Schmerz und reicher an Lust. Jeder Erfolg treibt dabei neue Fragen hervor, die Kraft wächst an den Problemen, ins Unermeßliche schweifen Phantasie und Hoffnung, gespannt und erwartungsvoll hangen wir an dem Vordringen dieser Arbeit, das immer mehr scheinbar Unmögliches möglich, ja leicht und alltäglich macht. Zugleich hat sich unser Verhältnis zu unserer menschlichen Umgebung, zum Stande der Gesellschaft verändert. Dieser Stand der Gesellschaft dünkte uns früher, als Ganzes angesehen, ein unwandelbares Geschick, unsere Hilfe und Förderung blieb auf einzelne Stellen beschränkt, eine Umgestaltung von der Wurzel her kam uns nicht in den Sinn, sie hätte damals leicht eine frevelhafte Auflehnung gegen höhere Ordnungen gedünkt. Jetzt dagegen ist unsere Kraft so gewachsen, daß wir uns auch an den Gesamtstand wagen und ihn nicht als ein Schicksal, sondern als ein Problem behandeln. Aus solcher Denkweise messen wir die Verhältnisse nach unseren Ideen und Zwecken, wir entwerfen Ideale und wollen sie in Wirklichkeit umgesetzt sehen. Über alle Mühen und Verwicklungen, die das bringt, hebt uns das stolze Bewußtsein hinaus, unser Los selbst in die Hand zu nehmen; auch hier steigern greifbare Erfolge die Kraft und die Zuversicht, und über alle Begrenzung der Gegenwart erhebt die Hoffnung einer besseren Zukunft. Indem so der Mensch an der sichtbaren Welt mehr und mehr zu tun und zu gewinnen findet, wird sie immer mehr seine Hauptwelt und der Hauptstandort seines Lebens; die Entfaltung der Kraft, die sich hier vollzieht, wird mit ihrem unablässigen Wachsen und Siegen mehr und mehr zum Ganzen des Lebens.
So ergreift die Bewegung zur sichtbaren Welt den modernen Menschen mit Zaubergewalt und sucht ihn gänzlich in sich zu ziehen. Ob ihr das freilich gelingen kann, ist nicht so leicht zu entscheiden. Denn bei allen Erfolgen hat diese Bewegung innerlich starre Grenzen, und es fragt sich, ob der Mensch diese hinnehmen kann, ohne unabweisbaren Forderungen seiner Natur aufs schroffste zu widersprechen. Eine solche Grenze erscheint im besonderen bei der Frage nach der Stellung und Bedeutung des Menschen im All; hier ist ein schwerer Verlust gegen die ältere Überzeugung nicht zu bestreiten. Diese Überzeugung gab dem Menschen eine ausgezeichnete Stellung im All und seinem Handeln eine große Bedeutung für dessen Geschicke. So machte namentlich die Religion den Menschen als das freie und moralische Wesen zum Mittelpunkt des Ganzen, zum Haupthelden eines großen Weltdramas; auch was der Einzelne tut, schien hier das Ganze anzugehen und durch Ja oder Nein in es einzugreifen. Wohl veränderte die Idealkultur mit dem Weltanblick auch das menschliche Ziel, aber auch sie ließ dem Menschen eine hervorragende Stellung im All und seinem Handeln einen Wert für dasselbe. Hier erschien die sichtbare Welt als die Entfaltung einer unsichtbaren, diese Entfaltung fand ihre Vollendung aber im Menschen als dem vernünftigen und denkenden Wesen: in ihm erst erlangte das Ganze volle Bewußtheit, Klarheit und Freiheit, erst in ihm ward ein Beisichselbstsein der Wirklichkeit erreicht; jeder einzelne aber hatte diese Stufe aus eigener Kraft zu erklimmen und damit am Ganzen teilzugewinnen. So gaben beide Fassungen dem Menschen und seinem Handeln ein inneres Verhältnis zur Welt und zugleich eine große Bedeutung über das eigene Befinden hinaus. Die Wendung zur sichtbaren Welt hat das alles hinfällig gemacht. Undurchsichtig und rätselhaft liegt um uns diese Welt, ihre endlose Ausdehnung faßt sich nicht in ein Ganzes zusammen, das Geschehen verlegt sich unter Ausschaltung aller Innerlichkeit ganz in die Beziehungen der Elemente, ihr dunkles Getriebe läßt keinen Sinn und Zweck erkennen, es umfängt uns mit bloßer und blinder Tatsächlichkeit. Demgemäß behandelt diese Welt den Menschen als ein gleichgültiges Stück der großen Verkettung, als einen bloßen Tropfen am Eimer. Es erscheint hier keinerlei Sorge um ihn, auch keine Wertschätzung seines Handelns, je nachdem es gut oder böse, die Werte des Menschen haben hier keine Geltung. Das ganze Sein der Menschheit erscheint in diesem Zusammenhange als eine bloße Episode des rast- und sinnlosen Weltprozesses, einsam und verloren ist hier der einzelne Mensch, einsam und verloren auch das Ganze der Menschheit.
Nun bietet für solche Verluste die Wendung zur sichtbaren Welt einen gewissen Ersatz in der kräftigeren Arbeit am menschlichen Kreise und in dem engeren Zusammenschluß der einzelnen bei dieser Arbeit. Aber so fruchtbar dies Zusammenwirken sein mag, ersetzen kann es das Verlorene nicht. Denn auch das gegenseitige Verhältnis der Menschen muß die dort dem Leben gesetzten Schranken teilen; kennt das Ganze der Welt keine Innerlichkeit, ist alles Geschehen eine bloße Entwicklung von Beziehungen der Elemente und damit nach außen gekehrt, so kommt auch der menschliche Kreis über solche Beziehungen nicht hinaus, so erreicht auch er kein selbständiges und selbstwertiges Innenleben, so kann was in der Seele des einzelnen vorgeht, keine Bedeutung für den andern haben, so kann der Mensch dem Menschen nur durch seine Leistung, nicht mit dem Ganzen seines Lebens, irgendwie wertvoll sein. Es ist ein sonderbarer Unverstand, an der einzelnen Stelle behaupten zu wollen, was im Ganzen aufgegeben ward, und dort als ein Gut zu preisen, was hier als Irrung verworfen ward. Auch mußten die Ziele des Zusammenseins nach Ablösung des Menschen von der Welt in kläglicher Weise sinken. Es bliebe dann nur als Ziel die Hebung des menschlichen Wohlseins als eines subjektiven Befindens, das Glück im Sinne von möglichst viel Lust und möglichst wenig Schmerz; damit aber würde der Mensch auf seinen eigenen Zustand beschränkt und in ihn wie in einen Kerker eingeschlossen; ein solches Leben würde zugleich eng und sinnlos werden. Auch die größten Fortschritte im einzelnen könnten diese Sinnlosigkeit des Ganzen unmöglich verdecken.
So würde schließlich der Mensch von der Welt wie von der Gesellschaft auf sich selbst zurückgeworfen, er müßte im unmittelbaren Befunde des Lebens seine volle Befriedigung finden. Aber was wird dieser Befund, wenn der Mensch ganz und gar in das Verhältnis zur sichtbaren Welt aufgeht? Er wäre nichts anderes als Kraftentfaltung in der Richtung auf die Umgebung, die Steigerung dieser Kraft würde hier das Ziel aller Ziele, der Fortgang des Lebens würde ein Jagen von Erfolg zu Erfolg. Nun kann aber der Mensch wohl zeitweilig sich in diese Bewegung vergessen, nicht aber dauernd in sie erschöpfen. Denn als denkendes Wesen wirkt er nicht lediglich nach außen hin, er überdenkt und erlebt auch dieses Wirken, er kann nicht umhin, es auf eine überlegene Einheit zurückzubeziehen und nach dem Ertrage dafür zu messen. Diese unvermeidliche Wendung zum Inneren aber läßt sofort eine starke Leere empfinden. Was alle Kraftentfaltung erreicht, das erscheint nunmehr als ein bloßer Gewinn von Bedingungen und Mitteln des Lebens, als eine bloße Vorbereitung, nicht schon als Leben selbst. Eine Selbsttäuschung der Menschheit ist an dieser Stelle unverkennbar. Was den modernen Menschen zur Kraftentfaltung trieb und sie ihm wertvoll machte, war der Durst nach einem reicheren und volleren Leben, in jener Entfaltung wurde ein Aufstieg des gesamten Lebens gesucht. Hält nun aber die bloße Kraft alles Streben bei sich fest und verliert damit das Leben einen beherrschenden Mittelpunkt, so löst es sich in einzelne Tätigkeiten auf, es verliert in dem Maße am Ganzen und Innern, wie es im Einzelnen und Äußern gewinnt. Ein einmal geweckter Lebensdurst wird solche Enttäuschung nicht ertragen und dringend nach einem Selbstwert des Lebens und zugleich nach einem Beisichselbstsein verlangen. So ist es die ausschließliche Wendung nach außen hin selbst, welche durch ihren Verlauf einen Rückschlag herbeiführt und das Innere wieder auf den Plan ruft. Aber wie nach der gewaltigen Umwandlung des Lebens jenes Verlangen erfüllen, wie der so mächtig auf uns eindringenden Außenwelt eine Innenwelt entgegenstellen? Das ist das Mißliche der gegenwärtigen Lage, daß alles Verlangen nach Verinnerlichung des Lebens uns nicht schon eine Innenwelt zuführt und mit ihr unserem Leben und Streben eine feste Grundlage sowie leitende Ziele gibt. Eine einfache Wiederaufnahme der älteren Lebensformen in Religion oder Idealkultur ist unmöglich; es hat sich dafür zuviel zwischen uns und die von ihnen beherrschten Zeiten gelegt, es sind zu viel neue Erfahrungen und Aufgaben entstanden, die sich nur künstlich dahin zurückschrauben lassen. Die Religion findet nicht nur in ihren einzelnen Behauptungen und Forderungen harten Widerstand im modernen Leben, es dünkt diesem auch das Ganze ihrer Denkweise viel zu anthropomorph, vor allem aber fehlt dem gemeinsamen Leben die Geringschätzung der Welt und das starke Gefühl der Hilfsbedürftigkeit, der Notwendigkeit einer Rettung durch überlegene Gnade und Macht, das in früheren Zeiten überwältigend zur Religion trieb. Die Idealkultur wird weniger direkt bekämpft, sie pflegt vielmehr mit Lob überschüttet zu werden, aber sie ist uns stark verblaßt, und dieses Verblassen ist gefährlicher als aller offner Angriff. Im besonderen stößt der Gedanke einer alles durchwaltenden Weltvernunft auf so viel Widerspruch sowohl starrer Tatsächlichkeit als zerstörender Unvernunft, daß er ein bloßes Schattengebilde zu werden droht, ein auf ihn gestütztes Leben aber einer Schwäche und Unwahrheit verfällt.
So bleiben wir bei der großen Frage auf uns selbst angewiesen, wir sind gezwungen, das Problem einer selbständigen Innerlichkeit auf dem Boden der Gegenwart aufzunehmen. Wie sehr wir uns aber heute dabei noch im Suchen, in einem unsicheren Suchen und Tasten befinden, wie sehr auch die Wege auseinanderführen und die Bestrebungen in ihrem Zusammenstoß sich gegenseitig schwächen, das steht viel zu deutlich vor Augen, um ein Wort der Erörterung zu bedürfen. So geht denn die Bewegung zur sichtbaren Welt unaufhaltsam weiter und weiter, und immer deutlicher werden die Folgen, welche das Stocken des Innenlebens mit sich bringt, immer größer damit auch die Spannung und die Zerklüftung.
Ein Leben, das sich nicht mehr in ein Ganzes zusammenfaßt und als Ganzes Ziele verfolgt, ist nicht mehr imstande, sich dem Ganzen der Welt entgegenzustellen und sich mit ihm auseinanderzusetzen, es wird ein bloßes Stück des sinnlosen Mechanismus, es verliert bei aller erstaunlichen Leistung nach außen den Charakter innerer Größe. Alle Gebiete, welche auf ein Schaffen von innen her angewiesen sind, wie Kunst, Philosophie und Religion, müssen schwer darunter leiden, das Verblassen der inneren Probleme macht die moralische Regung matt und richtet sie weit mehr nach außen als auf die eigne Seele, die Bildung selbständiger Persönlichkeiten und schöpferischer Individualitäten begegnet schwersten Hemmungen, das viele Anpreisen dieser Größen verrät mehr einen Mangel, als es einen Besitz bekundet. Kurz, unsere Seele droht um so kleiner zu werden, je größer unsere Arbeit wird; Arbeit und Seele finden sich nicht zusammen.
Das kann unmöglich so weiter gehen, die Gesamtbewegung der Weltgeschickte hat viel zu viel Innerlichkeit in uns geweckt und viel zu viel Ansprüche hervorgerufen, als daß der Kampf gegen die Veräußerlichung sich nunmehr einstellen ließe. Auch die älteren Lebensformen wirken trotz des Widerspruches, den das Besondere ihrer Behauptung findet, mit allgemeineren Zügen fort und auch in die Seelen ihrer Gegner hinein, sie halten Aufgaben vor, die sich nicht abweisen lassen, sie haben schon durch ihre Fragen das Leben auf eine Höhe erhoben, die sich nicht wieder aufgeben laßt. So befreite die Religion durch ihr Vorhalten einer neuen Welt den Menschen vom Druck des gegebenen Daseins und flößte ihm zugleich eine tiefe Sehnsucht nach einem Reich der Vollkommenheit ein, mit einer Vertiefung zu reiner Innerlichkeit verband sich hier ein unermeßlicher moralischer Ernst, ein starkes Gefühl der Verantwortlichkeit, die Gedanken der Ewigkeit und der Unendlichkeit wurden treibende Kräfte des menschlichen Lebens, und auch das Dunkle der Wirklichkeit wurde durch eine Heiligung des Leides innerlich überwunden; in dem allen vollzog sich eine starke Entwertung alles dessen, was sonst dem Menschen genügte. Können, wollen wir auf das alles verzichten? Die Idealkultur aber hat im Menschen selbst eine Tiefe aufgedeckt und ihm einen Glauben an diese eingeflößt, sie hat mit ihrer Entwicklung von Wahrheit und Schönheit den Lebenstrieb veredelt und die Lebensfreude gehoben, sie hat den Menschen mit dem All aufs innerlichste verbunden, ihn damit über alle kleinmenschlichen Zwecke hinausgehoben und ihm ein Leben mit der Weite und Wahrheit der Dinge eröffnet. Auch was wir damit an Größe gewannen, wird nicht so leicht abzustreifen sein, es wirkt fort auch gegen unser eignes Wissen und Wollen. Alles Große erzeugt neue Maße und hält sie den künftigen Zeiten vor; diese Maße ergeben miteinander einen weltgeschichtlichen Stand, dem alles entsprechen muß, was gründlich befriedigen soll; solchem weltgeschichtlichen Stande des Lebens entspricht aber nach der Seite der Innerlichkeit keineswegs das Leben der Gegenwart, es verbleibt in einem weiten Abstand; dieser muß um so stärker empfunden werden, er wird um so mehr auch vom einzelnen schmerzlich erlebt, je schwerer uns die steigende Verwicklung der Kultur die Führung des Lebens macht.
So stellt sich uns von verschiedenen Gesichtspunkten aus die heutige Lage als höchst unfertig, ja als unhaltbar dar. Was an Idealen aus der Vergangenheit fortwirkt, das hat keinen festen Grund in unserer eignen Überzeugung, und seine einzelnen Züge schließen sich nicht miteinander zusammen; so kann es keine große Macht gewinnen.– Die einzelnen Gebiete halten oft Schätzungen und Aufgaben fest, denen im Ganzen des Lebens eine Rechtfertigung fehlt, auch widersprechen sie oft einander. – Die Stellung des Menschen in der Wirklichkeit ist völlig unklar geworden, nicht minder ist es der Umfang und die Grenze seines geistigen Besitzes; das muß auch den Sinn seines Lebens und Strebens verdunkeln. So wissen wir nickt, welchen Zweck unser Dasein hat, wir zweifeln, ob es überhaupt einen hat, wir sehen nicht, wohin wir treiben.
Daher können wir uns unmöglich der gegenwärtigen Lage ergeben, wir müssen mit aller Kraft sie zu überwinden suchen. Dazu genügt aber nicht eine neue Beleuchtung des vorliegenden Bestandes – solcher Beleuchtungen haben wir übergenug –, es bedarf vielmehr eines Entdeckens und Belebens neuer Tatsächlichkeit, eines Zusammenschließens zerstreuter Elemente, einer Verfolgung und Durchsetzung begonnener Bewegungen, überhaupt einer Umbildung des Lebens. Eine solche Weiterbewegung muß alle Lebensgebiete ergreifen, sie ist nicht die Sache eines einzelnen Gebietes und so auch nicht der Philosophie. Aber innerhalb des Ganzen fällt dieser eine eigentümliche Aufgabe zu. Wie sie überhaupt an erster Stelle zu einer Besinnung über das Ganze von Welt und Leben berufen ist, wie sie ferner auch die Aufgabe hat, die Probleme von der Zufälligkeit des Augenblicks abzulösen und sub specie aeternitatis zu behandeln, so ist sie auch am meisten befähigt, einen festen Standort gegenüber den Wirren der Gegenwart zu erringen, von ihm aus in freiem Überblick neue Bahnen zu suchen, Möglichkeiten zu entwerfen, Angriffspunkte aufzuweisen, mit dem allen einen neuen Aufbau einzuleiten. Daß der Tatbestand sich hier in Fluß befindet und inmitten heißen Kampfes sieht, das macht ihre Aufgabe schwer, das kann sie aber auch fruchtbar machen. Sicher ist jedenfalls, daß ohne energische intellektuelle Arbeit die geschilderte Stockung des Lebens sick nicht überwinden läßt. Es liegen aber auch für die Philosophie selbst zwingende Gründe vor, sich dieses Lebensproblems anzunehmen. Denn damit gewinnt sie eine enge Verbindung mit der Zeit und mit dem Ganzen der Menschheit und wird dadurch sicher davor behütet, eine bloße Schulwissenschaft zu werden, die an Ergiebigkeit leicht hinter allen Einzelwissenschaften zurücksteht; wollte sie ein solches über das Ganze des menschlichen Daseins entscheidendes Problem als unwissenschaftlich und gleichgültig von sich weisen, so könnte die Menschheit leicht sie selbst für gleichgültig erklären. Ja die Philosophie kämpft an dieser Stelle um ihr eignes Recht und ihre Möglichkeit. Denn die Zusammenfassung der Erkenntnisse, welche sie unternimmt, müßte eine bloße Zusammenstellung der Ergebnisse der Einzelwissenschaften bleiben, bräche nicht in dem Streben zum Ganzen eine neue Art der Betrachtung durch; das aber ist nur möglich, wenn das Innenleben kein bloßer Anhang bleibt, sondern selbständig wird, neue Kräfte entwickelt, neue Aufgaben stellt.
Wir sahen zu Beginn, daß die Philosophie aus einem Widerspruch in der vorgefundenen Lage vornehmlich ihr Recht und ihre Richtung schöpft. Heute besteht der Widerspruch darin, daß der überwiegende Lebensstand mit seinem Weltanblick einer selbständigen Innerlichkeit und Innenwelt durchaus keinen Platz gewährt, daß aber eine solche Innerlichkeit sich nicht nur nicht preisgeben läßt, sondern daß sie die Grundlage und die Voraussetzung aller eigentümlich menschlichen Lebensentwicklung bildet. Stellt dieses Notwendige, dies Axiom der Axiome, sich vom vorgefundenen Lebensstande als unmöglich dar, so ist dieser Stand umzuwandeln, bis das von innen her Notwendige auch in der Ausführung möglich wird. Diese Forderung einer Umwandlung beschränkt sich nicht auf unser Verhältnis zur Außenwelt, sondern der Widerspruch reicht bis in das Innere hinein, indem es den Wirren und Schwankungen des menschlichen Daseins eine selbständige Innenwelt erst zu entringen gilt; das aber verlangt notwendig eingreifende Wandlungen des ersten Anblicks und der ersten Lage.
Von welchem Punkte aus aber die Philosophie jene Hauptfrage anzugreifen hat, kann nach den vorangehenden Erörterungen nicht zweifelhaft sein. Die gesuchte Innenwelt kann keinen Privatbesitz des Menschen bilden, sie ist nur möglich als Tiefe der gesamten Wirklichkeit; als solche aber ist sie nur zu erreichen, wenn der Mensch ein inneres Verhältnis zu jener ausbilden kann. Frühere Zeiten glaubten ein solches Verhältnis zu besitzen, der Neuzeit ist es erschüttert, und wir haben es von neuem zu suchen. Beim Aufnehmen der Frage gewahren wir sofort, daß die Philosophie es von altersher unternommen hat, den Menschen von der Enge einer Sonderexistenz zu befreien und ihm zu einem Teilhaben am Leben des Alls zu verhelfen; dies Unternehmen bildete überall den beherrschenden Mittelpunkt der großen Gedankenwelten. Wir werden die Hauptstufen dieser Bewegung zu durchlaufen haben, um zu sehen, an welchen Punkt sie das Problem gebracht hat, und wie sich nach den Erfahrungen der Jahrtausende heute die Aufgabe darstellt. Es wird zugleich erhellen, daß jede der Stufen eine eigentümliche Lebensgestaltung erzeugte, daß daher in der Entwicklung des Problems zugleich das Leben selbst eine Geschichte erhielt und weitergebildet wurde. Auch beim Bilde des Lebens ging der Kampf überall auf das Leben selbst.
Das Problem einer inneren Verbindung des Menschen mit der Welt fand eine deutliche Antwort zuerst auf der Höhe der griechischen Philosophie, im besonderen bei Plato und Aristoteles. Die naive Denkart, welche den Menschen als ein zugehöriges Stück der sinnlichen Welt behandelt, ist hier überwunden, aber die Überwindung ist mehr eine Weiterbildung und Veredlung als ein schroffer Bruch und eine Umwälzung. Der Mensch hat sich noch nicht von der Welt abgelöst und ihr gegenübergestellt, sondern er weiß sich vom großen All umfangen und schöpft sein Leben aus ihm; wohl genügt seinem Wahrheitsverlangen nicht die sinnliche Welt mit ihrem unsteten Fluß, aber das Denken scheint stark genug, über jene Welt hinaus zu dem Grundbestande der Wirklichkeit vorzudringen. Denn es gilt hier als jenem Bestande von Haus aus wesensverwandt, die Seele des Menschen scheint im Keime schon zu enthalten, was die Berührung mit der Welt entfaltet. Mensch und Welt scheinen hier zueinander zu streben und im Erkennen einander zu finden, das in der völligen Einigung beider durch künstlerische Anschauung seine abschließende Höhe findet. Daß ein Zusammenhang besteht und nur entwickelt zu werden braucht, daß daher eine Wahrheitserkenntnis möglich ist, daran wird hier gar nicht gezweifelt; so wird, was der Mikrokosmos enthält, als ein unverfälschter Ausdruck des Makrokosmos verstanden, dessen Grundbestand uns damit zugänglich wird. Dabei gilt das All, dem sich unsere Seele verbindet, als eine fertige und geschlossene Größe; so hat der Mensch hier nichts zu verändern und weiterzubilden, sondern lediglich aufzunehmen und anzueignen. Aus solcher Überzeugung schufen Plato und Aristoteles großartige Gedankenbilder der Welt, jener mehr mit leuchtenden Farben und in starker persönlicher Erregung, dieser in ruhiger Arbeit und energischer logischer Durchbildung. So groß ihre Unterschiede sind, sie liegen innerhalb einer gemeinsamen Art. Vom Menschen aus werden Gedankengrößen in die Welt hineingetragen und damit der Kleinheit menschlicher Vorstellung und menschlicher Zwecke entwunden. Aber im Grunde bleiben sie Größen menschlicher Art, es fehlt eine genügende Auseinandersetzung von Mensch und Welt; so sieht der Mensch in die Welt nur ein vergrößertes und veredeltes Bild seiner geistigen Kräfte hinein, es ist ein Anthropomorphismus höherer Art, aber ein Anthropomorphismus. Späteren Geschlechtern mußte ein solches Hineintragen menschliche Größen in das All als ein bedenklicher Irrtum erscheinen, namentlich dünkte das Netz von Begriffen, das Aristoteles, der große Systematiker, um die Welt geschlungen hatte, eine Verfälschung der Wirklichkeit. Waren hier doch Kräfte, Strebungen, Zwecke, auch modale Begriffe wie Möglichkeit und Notwendigkeit, in die Dinge selbst versetzt und diese damit vermenschlicht.
Auch das Leben, das aus so enger Verbindung von Mensch und Welt hervorgeht, hat neben unverkennbarer Größe unbestreitbare Schranken. Es ist stark in seiner Frische, Freude und Zuversicht, es führt statt eines Verweilens bei zager und schwankender Reflexion den Menschen rasch an die Dinge heran und läßt ihn ihre Ordnung und Schönheit teilen, zugleich gibt es dem Streben den Zug ins Weite und Große. Aber wie die Welt, so erscheint auch die geistige Art des Menschen hier viel zu sehr als eine gegebene Größe, sie bedarf lediglich einer Herausarbeitung und Zusammenschließung, keiner wesentlichen Umbildung, sie ist mehr Natur als Tat. Damit hängt eng zusammen, daß dies Leben die Verwicklungen und Widersprüche im menschlichen Dasein nicht vollauf anzuerkennen und daher auch nicht mit genügender Kraft zu bekämpfen vermag; das Erkennen ergibt eine volle Versöhnung mit der Wirklichkeit, indem es sie vom Ganzen her und aus den ewigen Beständen sehen läßt und auch das menschliche Handeln zu den rechten Zielen führt; so bildet es den Kern des Lebens.
In der Sache durchbrach schon das alte Christentum diese Lösung des Wahrheitsproblems, indem seine Vertiefung und Selbständigmachung des Innenlebens den unmittelbaren Zusammenhang des Menschen mit seiner Umgebung zerriß und ihn durch schwere Erschütterung hindurch eine neue Welt suchen hieß. Aber das Denken blieb noch im Gefolge antiker Art, es vermochte nicht dem neuen Lebensstand einen wissenschaftlichen Ausdruck zu geben. Erst der Beginn der Neuzeit brachte das Problem in Einklang mit den Wandlungen und Forderungen der weltgeschichtlichen Lage. Diese Lage trieb aber den Menschen nach entgegengesetzten Richtungen und erzwang zugleich eine eingreifende Umwandlung des nächsten Bildes der Welt. Es wird hier nämlich dem Menschen die Welt zugleich nahe- und ferngerückt. Einerseits weicht die weltflüchtige Stimmung des Mittelalters – einem Thomas von Aquino hieß das Jenseits schlechtweg das Vaterland (patria) – einem starken Verlangen zur Welt, die nun vornehmlich als eine Stätte unendlichen Lebens und herrlicher Schönheit gilt; mit "heroischer Liebe" strebt der Mensch sie zu eigen zu gewinnen, sich damit von aller Kleinheit seiner Sondernatur zu befreien und sein Leben zu ungetrübter Größe zu erheben. Auch nachdem der stürmische Drang der Renaissance sich in der Aufklärung zu ruhiger und zielbewußter Arbeit geklärt hat, bleibt das Leben vornehmlich auf die Welt gerichtet und mit der Welt befaßt, auch in Religion und Ethik weicht die Sorge um den Stand der Seele dem Verlangen nach einer Größe des Lebens durch Ausbreitung über die Weite und Fülle des Alls. Dieselbe Zeit aber, die im Menschen eine glühende Liebe zur Welt erweckt und ihn zur vollen Einigung mit ihr treibt, reißt eine scheinbar unüberwindliche Kluft zwischen ihm und ihr; denn wachsende Selbstbesinnung und gesteigerte Schärfe des wissenschaftlichen Denkens läßt erkennen, daß der Mensch unmittelbar nur sich selbst besitzt, und zugleich erkennen, daß seine besondere Art, seine Subjektivität, umwandelnd in alles einfließt, was an Bildern von der Welt in ihm aufsteigt. So rückt ihm die Welt bei aller äußeren Nähe innerlich in weiteste Ferne, es läßt sich nicht mehr wie früher unmittelbar mit ihr verkehren, sondern ein Weg zu ihr ist erst zu finden; es wird unsicher, ob das überhaupt möglich sei und nicht der Zweifel das letzte Wort behalte. Beharrt zugleich ein starkes Verlangen zur Welt, so entsteht eine ungeheure Spannung, Subjekt und Objekt stoßen einander ab und können doch voneinander nicht lassen. Das ist eine Lage, die zwingend eine Umwandlung des ersten Anblicks der Dinge verlangt und dafür die Denkarbeit zur Hilfe rufen muß.
Wir wissen, wie in dieser Bewegung Descartes eine führende Stellung einnahm, wie er ganzen Jahrhunderten ihre Bahn vorgezeichnet hat. Indem die Scheidung von Subjekt und Objekt mit vollster Schärfe vollzogen wird, erscheint das Subjekt als das einzig Gewisse, als der archimedische Punkt, der alle Arbeit zu tragen hat. Die Welt wird damit zum Problem, selbst ihr Dasein wird zweifelhaft. In Wahrheit aber bleibt auch bei solcher Wendung zum Subjekt die Welt dem Denker gegenwärtig und fährt fort ihn zu bemühen; nur insofern besteht eine große Verschiebung, als der unmittelbare Zusammenhang mit ihr zerbrochen ist und sich erst durch Gedankenarbeit wieder herstellen läßt. Die Hauptbewegung des Lebens geht nunmehr nicht mehr von der Welt zum Menschen, sondern vom Menschen zur Welt, vom Mikrokosmos zum Makrokosmos. Descartes gibt dem Leben von innen heraus die Richtung zur Welt, indem er als seinen Kern das Denken faßt und dabei unvermerkt den allgemeinen Begriff zum spezielleren des erkennenden Denkens verengt. Nun gilt es nur einen Prüfstein dafür zu finden, was in unserem Erkennen als wahr gelten dürfe; als solcher wird die Klarheit und Deutlichkeit erklärt, und daraus die Aufgabe abgeleitet, all unser Erkennen auf den Stand der vollen Klarheit und Deutlichkeit zu bringen, alles aus ihm zu entfernen, was diese Forderung nicht erfüllt. Zur Begründung seines Vertrauens auf die Gültigkeit dieses Verfahrens zog Descartes bekanntlich die Gottesidee heran; seine Beweisführung hat dabei große Schwächen, aber diese Schwächen selbst bezeugen die Unentbehrlichkeit des Grundgedankens: das menschliche Denken muß in einem absoluten gegründet sein, um einen Weltaufbau vollziehen zu können, der Glaube an das Denken verlangt den Glauben an eine Weltvernunft. Immerhin war der Weg, den Descartes hier einschlug, ein Umweg, der bald graderen Linien weichen mußte.
Mag aber in der Beweisführung vieles hier unausgeglichen sein, eine große und folgenreiche Wendung des Lebens findet hier einen wissenschaftlichen Ausdruck. Indem alle Lebensentwicklung auf die Arbeit des Denkens gestellt wird und durch sie hindurchgehen muß, erlangt der Mensch mehr Aktivität, und verschieben sich ihm alle Größen aus dem Sinnlichen ins Gedankliche, Ideelle. Das aber wird ein Hauptzug der Neuzeit, ohne diese Verschiebung hätte die Gedankenarbeit nicht so ihr Leben bis in die politischen und sozialen Fragen hinein zu führen vermocht, hätte man in ihr nicht so leidenschaftlich um Gedankengrößen und Prinzipien streiten können. Nicht minder verschiebt sich von Descartes und dem Ganzen der Aufklärung aus die Art der Begründung des Lebens. An die Stelle der Geschichte mit ihrer Autorität tritt jetzt die zeitüberlegene Vernunft, sie ruft das Leben zu voller Selbständigkeit und Ursprünglichkeit auf, sie stellt es weit mehr auf sich selbst und läßt es sich mündig fühlen. In solchem Bewußtsein seiner Kraft wirft das Denken sich zum höchsten Richter auf, vor dem aller überkommene Bestand sich zu rechtfertigen hat; alles was dazu unfähig, wird energisch ausgetrieben; was aber die Prüfung des Denkens besteht, das wird durchleuchtet und verstärkt, auch enger miteinander verbunden. So ist eine große Umwälzung unverkennbar, eine kräftige Konzentration, ein Sichten und Scheiden, ein Erwecken und Sammeln durch den ganzen Lebensbereich.
Aber das neue Leben unterliegt bei aller Größe auch vielfachem Zweifel. Ist wirklich das Denken das ausschließliche Maß und das Erkennen der Hauptinhalt des Lebens? Wird damit nichts manches verworfen oder doch weit zurückgestellt, was ein gutes Recht auf Geltung und Wirkung hat, gerät das Leben bei aller äußeren Weite nicht innerlich in eine zu enge Bahn? Vor allem aber: bildet es nicht einen inneren Widerspruch, das Leben auf sich selbst zu stellen und es zugleich ganz und gar in ein Welterkennen zu verwandeln? Denn damit wird es doch an etwas Fremdes gebunden, zu dem es kein inneres Verhältnis gewinnen kann. Das bleibt ein Widerspruch, an dem die ganze Aufklärung leidet: sie zerstört den unmittelbaren Zusammenhang von Mensch und Welt, aber sie läßt eine Welt neben dem Menschen stehen und richtet ihn zwingend darauf; von der Denkarbeit wird nun verlangt, den zerrissenen Zusammenhang wiederherzustellen. Das führte unvermeidlich zu künstlichen Konstruktionen, und diese Künstlichkeit übertrug sich auf das Leben selbst und ließ es nicht zu einem gehaltvollen Beisichselbstsein gelangen. Es sollte bei sich selber sein und wurde zugleich über sich Hinausgetrieben.
Wenn Descartes einen Abschluß nur erreicht mit Hilfe der alten Denkart, der sein eignes Verfahren widersprach, so verbindet Spinoza noch mehr Altes und Neues zu gemeinsamer Wirkung. Auch er läßt eine Welt neben den Menschen stehen und fordert ihn zu ihrer Aneignung auf, aber er versucht einen neuen Weg zur Herstellung einer Gemeinschaft. Dieser besteht darin, daß im menschlichen Leben selbst zwischen einer höheren und einer niederen Art geschieden wird, von denen jene einen Weltcharakter trägt, diese dagegen dem bloßen Menschen angehört und in Weltbegriffe nicht einfließen darf. Jene Art findet Spinoza im Denken, einem von sachlicher Notwendigkeit beherrschten, über die Vorstellungen, Triebe, Zwecke des Menschen erhabenen Denken, diese im sinnlichen Vorstellen sowie in dem es beherrschenden Getriebe der subjektiv menschlichen Zustände und Affekte. Das gilt ihm als der Quell unsäglicher Irrung und Verwirrung, daß der Mensch seine besondere Art in das unermeßliche All hineinlegt, Wertunterschiede in es hineinträgt, sich selbst als den Mittelpunkt des Ganzen behandelt; eine Befreiung davon und ein sicherer Aufstieg zur Wahrheit, ein Einswerden mit der Wirklichkeit scheint aber erreichbar, wenn der Mensch den Schwerpunkt seines Lebens in ein Denken verlegt, das nicht in vereinzelte Akte aufgeht, sondern eine feste Verkettung bildet, eignen Gesetzen folgt, in sich selbst seine Triebkraft trägt. Daß aber, was so im Menschen vorgeht, unmittelbar auch der Welt angehört und den Menschen ihr Leben teilen läßt, das steht und fällt mit einer besonderen Voraussetzung. Ein einziges Sein und Geschehen muß alle Mannigfaltigkeit in sich tragen, muß im besondern den Gegensatz von Subjekt und Objekt umspannen; nur bei Begründung in einem solchen Ganzen kann die einzelne Stelle die Welt als eigen erleben. Es geschieht das aber bei Spinoza in zwiefacher Weise. Einmal bildet das wissenschaftliche Denken mit seiner aus sich selbst bewegten Kausalverkettung ein Gegenstück zur Natur, indem die Ordnung der Ideen genau der Ordnung der Dinge entspricht; sodann aber scheint das Denken in Erhebung zur Intuition imstande, mit dem tragenden und belebenden Grunde des Alls völlig eins zu werden und von ihm aus die ganze Unendlichkeit zu eignem Besitz zu gewinnen. Indem so die Welt dem Menschen sowohl in ihrem Grunde als in ihrer Entfaltung (als natura naturans wie als natura naturata) sich eröffnet, gewinnt sein Leben eine unermeßliche Weite und zugleich das stolze Gefühl, in sicherer Wahrheit zu stehen. Es ist sehr begreiflich, daß das Ganze mit seinen großen und einfachen Zügen starken Eindruck auf die Menschheit machte, daß namentlich künstlerische Naturen der hier verkündigte enge Zusammenhang von Mensch und Welt überwältigend fortriß; auch sind zweifellos bedeutende Weiterbildungen der Welt des Menschen von hier ausgegangen. Aber zugleich ist gegenwärtig zu halten, daß die Größe des allgemeinen Entwurfs nicht das Nähere der Ausführung deckt; je mehr wir uns mit ihm befassen, desto mehr Verwicklungen werden ersichtlich. Die Einigung des Menschen mit der Welt wird hier nur erreicht durch ein Zusammenwirken alter und neuer Denkart. Denn das Ausgehen vom All als dem sicheren Grunde widerspricht direkt der neuen Art, deren Wendung zum Menschen das All in die Ferne gerückt und in ein Problem verwandelt hatte. Nur durch einen kühnen Sprung wird bei Spinoza die Kluft überbrückt. Auch gestaltet sich das Verhältnis zum All und der Inhalt des Lebens grundverschieden, je nachdem der schaffende Grund oder die Entfaltung zur Welt es beherrscht. Bei der Weltgestaltung entsteht ein Parallelismus zwischen Gedankenreich und Natur, wobei diese das Hauptgeschehen bildet, das Innenleben aber zu einer bloßen Begleitung sinkt und als solche seine Kraft und seine Gesetze gänzlich der Natur entlehnt. Wenn dagegen die Intuition weit über den Parallelismus hinaus eine völlige Einigung mit dem Grunde der Wirklichkeit herstellt, so erscheint dieser bei aller Erhabenheit über die Begriffe des Menschen als von innerem Leben erfüllt, als geistiger Natur. Die sichtbare Welt aber wird hier zur Entfaltung dieses Lebens, zum herrlichen Kleide der Gottheit. So wölbt sich über dem breiten Gebiet, das der Naturalismus beherrscht, eine Welt der Mystik mit ihrer Innerlichkeit. Bei allem Unterschiede, ja Gegensatz stimmen aber beide darin zusammen, dem Leben zum einzigen Inhalt ein Erkennen zu geben; das Erkennen allein mit seiner Affektlosigkeit scheint das menschliche Leben von seiner Enge befreien und zu einem Teilhaben am Ganzen des Weltalls führen zu können. Der damit begonnene Kampf gegen menschliche Enge und Selbstsucht war ein berechtigter Rückschlag gegen die ältere Denkart, welche namentlich im Durchschnitt des Alltags die Welt unbedenklich nach menschlichen Größen und Zwecken deutete und alles Geschehen auf den Menschen als Mittelpunkt der Wirklichkeit bezog; aber deckt sich die Grenze zwischen Kosmischem und Bloßmenschlichem in unserem Leben mit der von reinem Denken und sonstigem Leben, geht die Scheidung zwischen höherer und niederer Art nicht durch alle Seiten des Seelenlebens hindurch? Überschreitet nicht Spinoza selbst das bloße Denken, wenn er den Menschen nicht der Welt der Wahrheit schon zugehörig findet, sondern von ihm eine Versetzung dahin und damit eine Umwälzung seines ganzen Seins verlangt? Jedenfalls ist die Folge der spinozistischen Scheidung, daß je mehr sich das Leben hier zur Welt erweitert, es desto mehr an Kraft und Wärme einbüßt, es desto mehr allen seelischen Inhalt preisgibt; die Erweiterung müßte zu einer Zerstörung werden, wenn nicht unablässig aus der älteren Lebensführung eine Ergänzung käme, wenn die Welt des Denkers nicht viel weiter und reicher wäre als seine Begriffe es sind.
Aber mag Spinoza weder die Verbindung des Menschen mit der Welt hinlänglich sichern noch auch dem Leben einen genügenden und einen eindeutigen Inhalt geben, wir verdanken ihm trotzdem große Weiterbildungen und förderliche Anregungen. Er zuerst hat den Kampf gegen das Kleinmenschliche im Bereich des Menschen selbst aufgenommen, er konnte das aber nur, indem er hier ein zusammenhängendes Gefüge entdeckte und in ihm das Weltleben unmittelbar ergriff. Eigentümlich wirkt dabei der Kontrast, daß das Leben hier in seinem Kern die stille und freudige Ruhe der Kontemplation erreicht, daß aber der Weg dahin eine völlige Umkehrung, eine Tat des ganzen Wesens fordert. Auch das mag ein Widerspruch sein, jedenfalls ist es ein Widerspruch, der Leben weckt und das Streben vorwärts treibt.
Leibniz, der nächste große Denker in dieser Reihe, ist zunächst gegen Spinoza vielfach im Nachteil. Ihm fehlt dessen schlichte Größe und Einfalt; als der klassische Denker der Barockzeit schätzt er vielmehr das Gewagte und Künstliche, kühne und überraschende Konstruktionen, auch fehlt ihm die Kraft der Verneinung und zugleich die Schärfe der Scheidung, worin Spinoza groß ist. Aber seine Freude am Bauen und seine Neigung zu bejahen und auszugleichen ist der Ausdruck eines kräftigeren Lebensgefühls, das mehr in der Wirklichkeit sehen und mehr aus ihr machen möchte, das in Wahrheit mehr inneres Leben, mehr Reichtum, mehr Zusammenhang in ihr entdeckt. Im besondern ist es der Gedanke der Individualität, der dabei kräftig hervortritt und auch die Behandlung unseres Problems auf neue Bahnen treibt.
Voraussetzungen wie Forderungen teilt Leibniz mit der Aufklärung, ja er bildet dabei ihre Höhe. Der unmittelbare Zusammenhang des Menschen mit der Welt ist aufgegeben, und alle Wechselwirkung wird verpönt. Aber zugleich verbleibt die Forderung, den Menschen mit der Welt zu verbinden, ihr Leben ihm zuzuführen. Die Hochschätzung des Individuums gibt dieser Forderung die Richtung dahin, in jedem einzelnen das Weltleben zu entwickeln, der Mikrokosmos soll alle Fülle des Makrokosmos teilen. Eine Lösung dieser Aufgabe wird im Begriff der Monade gesucht, er bezeichnet das Einzelwesen, das, von allen Zusammenhängen abgelöst, lediglich auf sich selber steht und nur sich selber lebt, das in diesem Leben aber ein Vorstellungsreich erzeugt, an seiner Stelle ein Gedankenbild der ganzen Welt hervorbringt. Es kann aber dieses Bild nach Leibnizens Überzeugung dem Bestande der Wirklichkeit nur entsprechen und damit Wahrheit erlangen, wenn eine höhere Macht von vornherein alle Mannigfaltigkeit aufeinander bezogen und zueinander gestimmt hat, so daß dasjenige, was an der einzelnen Stelle aus dem eigenen Innern aufsteigt, genau ihrer wirklichen Lage im Ganzen der Welt entspricht. So das vielerörterte System der prästabilierten Harmonie. Dies System verläßt die natürliche Betrachtung der Dinge und verlangt zu seiner Begründung ein Wunder, es verlegt dies Wunder aber lediglich an den Anfang und stellt alle weitere Entwicklung auf eigene Kräfte und Gesetze.
Die Bedenklichkeit dieses Gedankenganges steht uns heute viel zu deutlich vor Augen, um einer Erörterung zu bedürfen; das Notwendigwerden eines so künstlichen Auswegs darf als ein Anzeichen dafür gelten, daß die Aufgabe schief gefaßt war, daß sie widersprechende Forderungen in sich trug. Die hier gebotene Lösung des Problems ist unzulänglich, weil sie nicht nur die Verbindung mit der Welt an eine höchst gewagte Hypothese knüpft, sondern auch dem Leben mit dieser Art der Verbindung bei aller Weite keinen rechten Gehalt verleiht. Denn da hier die Grundelemente der Wirklichkeit lediglich Vorstellungskomplexe sind, wir also im Vorstellen ihrer immer nur wieder etwas Vorstellendes ergreifen, so kommt das Leben über ein Vorstellen des Vorstellens, ein Spiegeln des Spiegelns nicht hinaus, die Wirklichkeit wird damit immer mehr in ein Schattenbild verwandelt. Nirgends mehr als hier zeigt der Intellektualismus die Gefahr, alle Wirklichkeit zu verflüchtigen; eine Eindämmung dieser Gefahr wird nur durch eine ständige Entlehnung aus einer andersartigen gehaltvolleren Welt erreicht.
Aber nirgends mehr als bei Leibniz tritt zutage, daß sehr problematische Begriffskonstruktionen große und folgenreiche Bewegungen des Lebens einführen können. Das Entdecken einer Welt im Einzelwesen machte unvergleichlich viel mehr aus ihm, gab zugleich der Forschung die Richtung auf das Kleine, ja im Verschwinden Begriffene, und ließ in eindringender Analyse das Hauptwerkzeug der Forschung sehen; das Gesamtbild der Wirklichkeit, die nunmehr aus einer einzigen Welt eine Welt von zahllosen Welten wurde, stellte sich unermeßlich reicher, belebter, feiner dar. Die gänzliche Verlegung der Bewegung in das Einzelwesen selbst gab ihr den Charakter einer Entwicklung von innen heraus, und da sich die in jenem Wesen angelegte Welt erst in endlosem Fortschritt herausarbeiten läßt, so wird hier der Gedanke eines kontinuierlichen Fortschritts aufs tiefste begründet und vollauf gesichert. In diesen Zusammenhängen wurzeln die Gedanken, welche das Schaffen des deutschen Humanismus beherrschten: die Erhebung der weltumspannenden Persönlichkeit zum Hauptelement des Lebens, der für Geschichte und Bildung höchst fruchtbare Gedanke einer Entwicklung von innen heraus, das Verlangen nach rastloser, aber geordneter Tätigkeit gegenüber dem Ungestüm der Renaissance, der feste Glaube an die Menschheit und ihren Fortschritt, an eine Menschheit aber, welche zum Weltall strebt und aus ihm eine Größe schöpft, nicht in ein enges Philistertum aufgeht, durch alles zusammen ein herzhaftes Wohlgefallen an der Wirklichkeit und eine freudige Lebensstimmung. Alles das knüpft an Leibniz an, nur bedarf es einer Befreiung von der schulmäßigen Verpuppung und einer Ergänzung aus weiteren Zusammenhängen.
So wie Leibnizens Leistung bei unserem Probleme vorliegt, teilt sie den Widerspruch, der durch die ganze Aufklärung geht und ihren Charakter zum guten Teile bestimmt. Das Denken hat den unmittelbaren Zusammenhang des Menschen mit der Welt zerstört, aber es läßt dabei eine Welt neben dem Menschen stehen und kann sich daher der Aufgabe nicht entziehen, irgendwelche Verbindung auf einem Umwege herzustellen. Dadurch wird es zu einer gewagten Metaphysik getrieben, die um so künstlicher werden muß, je tiefer der Riß zwischen Mensch und Welt gezogen war. Es ist diese besondere Art der Metaphysik, welche Kant zerstört hat, keineswegs hat er damit alle und jede Metaphysik zerstört. Auch die Selbständigkeit und die Ursprünglichkeit des Lebens schien bei solcher Künstlichkeit der Verbindung des Menschen mit der Welt arg bedroht. Kant wie der deutsche Humanismus waren demgegenüber darin einig, einen unmittelbaren Zusammenhang und ein ursprünglicheres Leben zu fordern.
In eine neue Epoche tritt das Problem des Verhältnisses des Menschen zum All bei Kant. Kant durchschaute mit voller Klarheit die Unmöglichkeit, eine außer dem Menschen befindliche Welt ihm innerlich nahezubringen; das war für ihn schon deshalb ausgeschlossen, weil sich einer Übereinstimmung des Gedankenbildes mit dem Gegenstand in keiner Weise gewiß werden läßt; so galt es, einen neuen Weg zu suchen, wenn nicht der Zweifel das Feld letzthin behalten sollte. Einen solchen Weg fand Kant in der bekannten Kopernikanischen Umwälzung: unser Erkennen hat sich nicht nach den Dingen, sondern die Dinge haben sich nach uns zu richten, d. h. wir erkennen Dinge nur so weit als sie in unsere Anschauungs- und Denkformen eingehen, wir erkennen sie nur als Erscheinungen, nicht in dem, was sie bei sich selber sind; die Erscheinungen aber verbinden wir nach unserer geistigen Organisation zum Ganzen einer Welt; die dabei geübte Tätigkeit klar herauszustellen, wird nunmehr zur Hauptaufgabe der Philosophie. Das besagt eine durchgreifende Verschiebung des Denkens und Lebens zum Subjekt, eine gründliche Befreiung vom Druck einer fremden Welt und zugleich von allen Versuchen, zu dieser Welt auf künstlichen Wegen zurückzugelangen. Diese Wendung ergab zugleich eine innere Umgestaltung des Erkennens. Aus einem Streben über den Menschen hinaus wurde es jetzt ein Streben zu ihm zurück, wurde es ein Selbsterkennen des sich seine Welt bereitenden Geistes. Allerdings ist dieses Erkennen nicht absoluter Art, denn es kann seinen Inhalt nicht gänzlich von sich aus erzeugen, sondern es muß den Stoff von einer Welt der Dinge geliefert erhalten, um ihn dann nach seinen Gesetzen zu ordnen und zusammenzufügen; über eine formende Tätigkeit kommt es nicht hinaus. Daher bleibt die Gedankenwelt, die hier entsteht, auf den Menschen beschränkt, sie darf nicht über ihn hinaus gelten wollen. Darin liegt eine starke Verneinung und ein Verzicht auf alte Wünsche, aber der Beschränkung nach außen hin entspricht eine innere Weiterbildung fruchtbarster Art. Indem das Subjekt zum Träger eines Weltaufbaus wird, erweist es bei sich selbst eine Tiefe, eine geistige Struktur; ein Stammbesitz des Geistes wird aufgedeckt, von dem sich erst unserem Denken aufhellt, was in den Leistungen greifbar vorliegt. Zugleich wird der Kern des Geschehens hinter das empirische Bewußtsein des Individuums zurückverlegt, ein eigentümliches Verfahren entspringt aus der Forderung, die Gesamtgebilde auf die erzeugenden Kräfte zurückzuführen, die Möglichkeit dessen aufzuweisen, was uns als Wirklichkeit gilt. So scheidet sich von der empirischen Betrachtung eine transzendentale und gibt dem Tatbestand mehr Tiefe, mehr Zusammenhang, mehr Belebung. Das Bild der Welt aber wird in allen seinen Teilen aufs gründlichste umgewandelt, wenn alles, was es an Verbindung aufweist, nicht als den Dingen selbst angehörig, sondern als vom Menschen aufgebracht gilt. "Der Verstand schöpft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor."
Die Welt, die hier entsteht, ist als das eigne Werk des Menschen sein unmittelbarer Besitz, alle Kluft ist hier verschwunden. Aber zugleich ist die Welt in ein Reich der Erscheinungen umgewandelt, der Gewinn ist teuer erkauft, eine starre Schranke menschlichen Vermögens nicht zu verkennen. Aber die hier gezogene Schranke bildet nicht den letzten Abschluß: was dem Erkennen versagt ist, ein Durchdringen zu den tiefsten Gründen, das wird möglich im Gebiet des Handelns. Beiden Gebieten gemeinsam ist die formende Tätigkeit als die eigentümliche Leistung des Geistes, aber während sie beim Erkennen an die Anregung durch eine fremde Welt gebunden bleibt, gelangt sie nach Kant auf dem Gebiet des Handelns zu voller Selbständigkeit; das aber in der Moral, die eben in der Erhebung des Handelns zu solcher Selbständigkeit ihr echtes Wesen hat. Hier nämlich vermag die formende Tätigkeit aus eignem Vermögen eine Wirklichkeit zu erzeugen, die über der Besonderheit und Begrenztheit des bloßen Menschen liegt und als Kern aller Wirklichkeit gelten darf. Bei solcher Fassung bildet die Moral nicht ein bloßes Stück oder eine bloße Seite eines weiteren Lebens, sondern hier wird sie ganz auf sich selbst gestellt; auch dient sie nicht den Zwecken des bloßen Menschen, sondern sie hebt weit über alle solche Zwecke hinaus; sie trägt ihr leitendes Ziel und ihre bewegende Kraft unmittelbar in sich selbst, sie erlangt damit eine volle Souveränität. Sie kann sich nicht voll entwickeln, ohne sich in Hauptideen ein eignes Gedankenreich zu bilden, das aber nicht sowohl eine Sache wissenschaftlicher Erkenntnis als persönlicher Überzeugung ist. Alles übrige Leben wird dieser Welt der Moral unterworfen, ja die ganze übrige Welt erscheint von hier aus als eine bloße Umgebung. Der Mensch aber, der den tiefsten Grund der Wirklichkeit nicht nur miterlebt, sondern ihn als Träger und Schöpfer mit hervorbringt, erreicht damit eine unvergleichliche Größe und Würde, auch das freudige Bewußtsein eines sicheren Besitzes der Wahrheit. Das alte Problem des Verhältnisses des Menschen zur Wirklichkeit tritt damit in eine neue Phase, die nach den Erfahrungen und Enttäuschungen der Menschheit allein noch übrig blieb. Der Mensch muß unmittelbar eine weltschaffende Tätigkeit entwickeln können, wenn er ein inneres Verhältnis zur Wirklichkeit erreichen soll. Daß Kant aber jene schaffende Tätigkeit in die Moral setzt und diese damit über alles sonstige Leben unvergleichlich hinaushebt, das rechtfertigt erst vollauf die Schätzung, welche jene von altersher im Bewußtsein der Menschheit besaß. So ist dies auch der Punkt, von wo aus Kant am stärksten in das gemeinsame Leben gewirkt hat.
Daß Kants Lebensarbeit den tiefsten Eindruck machte und Bewegungen hervorrief, die sich bis zur Gegenwart in frischer Kraft erhalten, ist vollauf zu begreifen. Eine geistige Revolution ward von ihm vollzogen, und zwar nicht bloß in kühnem Entwurf, sondern mit strenger Durchbildung und zäher Hineinarbeitung in alle Verzweigung des Lebens. Alle bisherige Leistung ward dadurch unzulänglich gemacht und das Leben auf einen neuen Boden gestellt. Hier aber zeigte es so viele Aufgaben und rief auch so viele Fragen und Zweifel hervor, daß alle Ruhe für lange Zeit ausgetrieben war. Im Verlauf der Geschichte stellt sich die Leistung Kants mehr als der Beginn einer unermeßlichen Bewegung denn als ein fertiger Abschluß dar; eben die Männer, welche die kantische Umwälzung mit besonderer Wärme begrüßten, haben eifrig über das kantische System hinausgedrängt, sie konnten und wollten nicht den Punkt als Endpunkt betrachten, an den von Kant das Problem gebracht war. Eine gewaltige intellektuelle Unruhe entsprang namentlich daher, daß der Hauptzug seiner Gedankenwelt, einmal mit voller Klarheit herausgestellt, als eine unabweisbare Notwendigkeit wirkte, daß aber die nähere Ausführung gewichtige Fragen und Zweifel hervorrief und die Geister weit auseinander trieb. Jeder sah dabei in Kant etwas anderes, jeder hatte seinen, vielleicht niemand den echten Kant. Die Zweifel trafen aber sowohl die nähere Fassung der Wendung zum Subjekt als die Scheidung der theoretischen und praktischen Vernunft samt der Gestaltung jedes einzelnen dieser Gebiete.
Die Verschiebung der Wirklichkeit vom Objekt zum Subjekt ist der Kern dieser Gedankenwelt; wie aber haben wir das Subjekt selbst zu verstehen? Es ist nicht das Individuum, sondern die uns gemeinsame Vernunft, Kant spricht auch von einem Bewußtsein überhaupt; aber ist dies eine bloße Abstraktion, eine bloße Heraushebung der den Einzelpunkten gemeinsamen Züge, oder ist es eine selbständige, jenen überlegene und zu ihnen wirkende Macht? Es hängt eng damit die Frage zusammen, ob die Welt, welche aus der Tätigkeit des Subjekts hervorgeht, einen besonderen Kreis neben der großen Welt bedeutet, oder ob darin diese Welt ihre eigne Tiefe findet, ob die geistige Bewegung neben oder innerhalb der Wirklichkeit steht. Offenbar muß je nach der Entscheidung darüber der Wahrheitsbegriff verschieden ausfallen, muß Denken und Leben sich grundverschieden gestalten.
Kant selbst hat nach den verschiedenen Gebieten verschieden entschieden, er hat der theoretischen Vernunft nur eine phänomenale, erst der praktischen eine fundamentale Bedeutung gegeben. Diese Scheidung ist sicherlich wichtig und folgenreich, aber als letztes hingenommen gefährdet sie nicht nur die Einheit des Lebens, sondern schädigt sie auch die einzelnen Gebiete; denn keins von beiden kann in der Absonderung volle Gewißheit erlangen noch auch die notwendige Weite erreichen. Ein Erkennen, das von seinem Bilde der Wirklichkeit die Tatsachen und die Erfahrungen des Innenlebens ausschließt, kann nur einen einseitigen Durchblick geben; viel zu sehr ist es dann die Natur, welche hier das Weltbild bestimmt, viel zu formal wird dann die Leistung des Erkennens. Weiter macht die Rechtfertigung der hier geübten transzendentalen Betrachtung nicht geringe Schwierigkeit. Es wird von Gesamtleistungen ausgegangen, und diese werden auf ihre erzeugenden Kräfte zurückverfolgt. Aber sind sie selbst allem Zweifel enthoben, haben sie sich genügend mit den Einwendungen des Empirismus auseinandergesetzt, der alle Zusammenhänge von einzelnen Vorgängen her allmählich entstehen läßt und ihnen zugleich einen anderen Sinn verleiht? Der Beweisführung ward an dieser Stelle oft ein Zirkel vorgeworfen: das a priori wird begründet von jenen Gesamtleistungen her, diese aber setzen ihrerseits ein a priori voraus. So berechtigt und wichtig daher die von Kant durchgesetzte Zurückverlegung und Abstufung der Denkarbeit ist, die Art ihrer Begründung und näheren Ausführung steht manchem Angriff offen. Kann sich überhaupt das Erkennen mit der ihm hier gesetzten Beschränkung auf die Erscheinungswelt dauernd begnügen? Drängt nicht das Verlangen nach voller Einigung mit den Dingen zwingend darüber hinaus, und hat nicht Kant selbst in der Welt der Moral die gezogene Schranke durchbrochen?
Ähnliches erfahren wir im Gebiete der praktischen Vernunft. Mit unvergleichlicher Energie hat Kant hier das Leben auf eine höhere Stufe gehoben, die sich nun und nimmer wieder aufgeben läßt, er ist hier ein Führer der Menschheit geworden wie wenig andere, er hat dem Menschen durch strenge Verneinung und Zucht hindurch ein weltschaffendes Wirken in der eignen Seele eröffnet. Aber der befreiende und erhöhende Grundgedanke begegnet in der Ausführung mannigfachen Schwierigkeiten. Die Grundtatsache selbst, das Erscheinen einer Welt der Freiheit im Menschen, ist in ihrer Überlegenheit gegen den Mechanismus des seelischen Lebens nicht hinlänglich geschützt, es kann immer wieder der Zweifel entstehen, ob sie wirklich ein Urphänomen und nicht abgeleiteter Art sei. Die Moral entwickelt hier – und sie muß das zur Behauptung ihrer Stellung – eine eigene Gedankenwelt, sie fordert dafür die Ideen Freiheit, Gott und Unsterblichkeit. Aber kann