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Alex Winslow war wie ein Wirbelsturm - wunderschön aus der Ferne, doch wenn man ihm zu nah kam, konnte er einen zerstören
Indigo Bellamy zögert nicht lange, als sie das Jobangebot erhält: Sie soll Alex Winslow, den größten Rockstar der Welt, auf seiner Tournee begleiten und dafür sorgen, dass er nicht wieder auf die schiefe Bahn gerät. Doch das ist leichter gesagt als getan. Nicht nur ist Alex alles andere als begeistert von der Babysitterin, die ihm an die Seite gestellt wird - vom ersten Moment an knistert es zwischen ihm und Indigo heftig. Dabei haben beide mit den Dämonen ihrer Vergangenheit zu kämpfen und sind nicht bereit, ihr Herz erneut zu riskieren ...
"Ein wunderschönes, herzzerreißendes Must-Read." HELENA HUNTING
Nach den SINNERS OF SAINT - der neue Roman von SPIEGEL-Bestseller-Autorin L.J. Shen
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Seitenzahl: 533
Titel
Zu diesem Buch
Playlist
Zitat
Widmung
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von L. J. Shen bei LYX
Impressum
L. J. SHEN
Midnight Blue
Roman
Ins Deutsche übertragen von Patricia Woitynek
Verpasste Shows, Sex, Drogen, Alkohol – Alex Winslow, der größte Rockstar der Welt, ist in unzählige Skandale verwickelt. Damit er bei seiner anstehenden Tournee nicht wieder auf die schiefe Bahn gerät, engagiert seine Managerin eine Assistentin, die ihn auf Schritt und Tritt begleiten und dafür sorgen soll, dass sich sein Image wieder erholt. Für Indigo Bellamy ist das Jobangebot ein Geschenk des Himmels. Die Einundzwanzigjährige braucht dringend Geld – nicht nur, weil sie ihrem Bruder nicht länger auf der Tasche liegen will, sondern vor allem, weil ihr zweijähriger Neffe krank und auf teure medizinische Hilfe angewiesen ist. Dafür nimmt Indigo auch in Kauf, drei Monate lang einem arroganten Kerl hinterherlaufen zu müssen, selbst wenn der Job alles andere als ein Kinderspiel ist. Denn Alex ist kein bisschen begeistert von der Babysitterin, die ihm an die Seite gestellt wurde, und er lässt keinen Zweifel daran, dass er sie am liebsten schnellstmöglich wieder loswerden will. Doch je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto intensiver wird die Verbindung zwischen ihnen. In Indigos Gegenwart – um Mitternacht, wenn die Konzerte längst vorbei sind – gelingt es Alex endlich wieder, Songs zu schreiben. Er und Indigo kommen sich näher und näher. Dabei haben sie beide mit den Dämonen ihrer Vergangenheit zu kämpfen …
»Gimme Shelter« – The Rolling Stones
»Daddy Issues« – The Neighbourhood
»Love Song« – The Cure
»Young God« – Halsey
»An Honest Mistake« – The Bravery
»Cigarette Daydreams« – Cage the Elephant
»One« – U2
»Shake the Disease« – Depeche Mode
»What You Know« – Two Doors Cinema Club
»Do Re Mi« – Blackbear
»April« – Deep Purple
»London Calling« – The Clash
»Handsome Devil« – The Smiths
»Brianstorm« – Arctic Monkeys
Wie geht es heute deiner Seele?
»Hier ist mein Geheimnis. Es ist sehr einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.«
Antoine de Saint-Exupéry – Der Kleine Prinz
Für Amanda Soderlund und Lin Tahel Cohen
Alex Winslow weiter in der Abwärtsspirale: Festnahme wegen Trunkenheit am Steuer und Kokainbesitzes.
Von Beth Stevenson, The Daily Gossip
Der britische Sänger Alex Winslow wurde Dienstag Abend erneut festgenommen, in diesem Fall wegen Trunkenheit am Steuer sowie Kokainbesitzes. Der Siebenundzwanzigjährige wurde nach einer Nacht in Haft auf der Polizeiwache von Lost Hill, Kalifornien, freigelassen, welche er angeblich damit verbrachte, an den Gitterstäben seiner Zelle hin und her zu schwingen und den Text seines Songs »Wild Heaven« mit einem blauen Filzstift an die Wände zu kritzeln. Gerüchten zufolge hatte er diesen von einer betörten Beamtin bekommen und damit später ihr Dekolleté signiert.
Neben dem Besitz von drei Gramm Kokain, das im Handschuhfach seines azurblauen Cadillac-Oldtimers gefunden wurde, wird dem Frauenschwarm zudem der Versuch vorgeworfen, sich mit einem unmoralischen Angebot aus der Affäre zu ziehen, als er, eine fast leere Flasche Whiskey zwischen die Beine geklemmt, in den frühen Morgenstunden auf dem Pacific Coast Highway in eine Verkehrskontrolle geriet.
Es heißt, der zwölfmalige Grammy-Gewinner habe die Polizistin – eine dreiundvierzigjährige Mutter von drei Kindern – mit seinem berühmten Megawattlächeln angestrahlt und zu ihr gesagt: »Sie sind echt zum Niederknien, Schätzchen, aber ich denke, heute Nacht werden Sie das übernehmen.«
Der Sänger von »Man Meets Moon« geriet zuletzt vor acht Wochen in Verruf, als er wegen einer Prügelattacke auf Steven Delton, Betreiber der Website Simply Steven, und des Diebstahls einer Grammy-Trophäe festgenommen wurde. Winslow stürmte inmitten der Preisverleihung auf die Bühne, als gerade sein britischer Kollege William Bushell für das Beste Album ausgezeichnet wurde. Er riss Bushell den Grammy aus der Hand, zündete sich eine Zigarette an und holte zu einem Schlag unter die Gürtellinie aus:
»Amüsiert ihr euch gut? Hebt die Hände, wenn ihr ernsthaft für diesen Wichser gestimmt habt, ohne dass ihr zum Dank mit einer sexuellen Gefälligkeit entlohnt wurdet. Na los. Traut euch, verdammt. Sein Album klingt von vorn bis hinten wie Musikberieselung bei McDonald’s. Soll keine Beleidigung sein. Ich meine McDonald’s. Nicht Bushell. Da ist nicht ein einziger kreativer Titel auf dem gesamten Album. In Wahrheit ist es so, dass die Kreativität schreiend davonliefe, würde sie in einer dunklen Gasse auf diesen Loser stoßen. Ich werde den hier mit nach Hause nehmen. Fühlt sich nicht gut an, wenn ein anderer sich an etwas vergreift, was dir gehört, oder, Kumpel? Tja, blöd für dich. So spielt das Leben. Diese Lektion hast du mich gelehrt.«
Zwischen den ehemals engen Freunden Bushell und Winslow, die sich früher in London eine Wohnung teilten, kam es vor zwei Jahren wegen des berühmten Models und It-Girls Fallon Lankford zum Zerwürfnis, seither gelten sie als Erzfeinde. Medienberichten zufolge wurde von beiden Briten bestätigt, dass zwischen ihnen böses Blut herrscht. Es wird behauptet, Winslows letztes und schlechtestes Album, »Cock My Suck« – das gerade mal Platz neun in den Charts erreichte und kurze Zeit später wieder daraus verschwand –, habe ihn in die Alkohol- und Kokainabhängigkeit getrieben.
Kurz nach Bekanntwerden von Winslows Verhaftung veröffentlichte Simply Steven einen Artikel mit der Überschrift: »Alex Winslow: Das Ende einer Ära.« Winslow dürfte sich wohl auf eine Anzeige Mr Deltons gefasst machen, nachdem er dessen Frage nach Fallon Lankfords neuem Freund, Will Bushell, mit einer Ohrfeige beantwortet hat.
Wenige Stunden nach seiner zweiten Freilassung bot Winslow über seine langjährige Agentin Jenna Holden folgende Entschuldigung an:
»Alex Winslow bereut zutiefst, dass er sich zu einer Reihe von Handlungen hinreißen ließ, die eindeutig falsch waren und für die er sich schämt. Er möchte sich bei der Polizeibeamtin, die ihn verhaftete, entschuldigen, ebenso bei deren Ehemann und Kindern sowie ihrer Kirchengemeinde, für die sie ehrenamtlich tätig ist. Mr Winslow hat eingesehen, dass sein unkontrolliertes Verhalten nicht länger tolerierbar ist, und wird sich seinen Angehörigen und seinen Fans zuliebe in einer Entzugsklinik im Staat Nevada einer Therapie unterziehen. Wir möchten Sie höflich darum bitten, seine Privatsphäre zu respektieren, während er diesen sehr persönlichen Kampf gegen seine inneren Dämonen austrägt.«
Winslows früherer PR-Manager Benedict Cowen, der sich von dem Sänger nach dessen Ausraster bei den Grammy Awards trennte, war zu keiner Stellungnahme bereit.
Kommentare (1937)
xxLaurenxx
Er ist total von der Rolle. Und außerdem ultraheiß.
Pixie_girl
Musikberieselung bei McDonald’s? Geht’s noch? Winslows letztes Album war so grottig, dass meine Ohren danach zwei Wochen lang geblutet haben.
Cody1984
#LeaveAlexAlone
(Nur Spaß. Aber er wird vermutlich den Finger in eine Steckdose rammen oder so was, wenn wir nicht ein Auge auf ihn haben.)
James2938
Der Typ ist ein Soziopath. Seine Musik ist der beste Beweis.
BellaChicaYass
Da stimme ich dir zu … flachlegen würde ich ihn trotzdem. ;)
xxLaurenxx
Geht mir auch so! Lol
Pixie_girl
Damit sind wir schon drei. Leider.
James2938
Mehr als einen Quickie hat dieser Typ sowieso nicht zu bieten. Er taugt nichts. In JEDER Hinsicht.
Sechs Monate später
Tapp-tapp. Tapp-tapp-tapp-tapp-tapp.
Unermüdlich wie ein Specht trommelten meine Schuhsohlen auf den Granitboden. Ich grub die Fingernägel in meine Schenkel, damit sie aufhörten, im Takt meines törichten, flatternden Herzens zu zucken.
Sei still, Herz.
Entspann dich, Herz.
Mach nicht so einen Wirbel, Herz.
Es gab keinerlei Grund zur Panik. Nicht den geringsten.
Ich würde den Job kriegen.
Ich hob den Kopf und schenkte der Frau mir gegenüber mein sonnigstes, enthusiastischstes Lächeln.
»Als wir den Posten einer persönlichen Assistentin ausschrieben, haben wir gewissermaßen – nun ja, wie soll ich es ausdrücken …? Gelogen.« Sie klappte ihr silbernes MacBook zu und klopfte mit ihren schmalen, manikürten Fingern darauf, die ein Ring zierte, für dessen Gegenwert man schätzungsweise mein halbes, zunehmend populär werdendes Wohnviertel hätte kaufen können.
Mir schnürte sich die Kehle zu, ich strich meinen verschossenen Bleistiftrock glatt. Er war mir um die Taille zwei Nummern zu weit, und eigentlich gehörte er gar nicht mir, sondern Natasha, der Frau meines Bruders. Da ich sonst immer nur Rückmeldungen von Kettenrestaurants bekam, die keine formelle Kleidung verlangten, hatte ich improvisieren müssen. Ich ließ meine gekreuzten Fußknöchel unter dem Stuhl verschwinden, um meine silbernen Stiefeletten dem Blick meiner Gesprächspartnerin zu entziehen. Diesen Teil meiner Persönlichkeit hatte ich vergessen zu kaschieren.
Das komplette Büro der Frau strotzte vor Luxus. Der elegante weiße Schreibtisch, die mit alabasterfarbenem Leder bezogenen Sitzgelegenheiten, der bronzene Kronleuchter, der sich zwischen uns von der Decke ergoss wie ein Regen aus goldenen Tropfen. Vom Panoramafenster ging der Blick auf das Hollywood Sign – dieses glamouröse Symbol für gebrochene Versprechen. Es war so nah, dass man die Schmutzschicht auf den weißen Lettern erkennen konnte. Der Raum hatte die Größe eines Ballsaals. Es war kein Zufall, dass es darin nicht einen Hauch von Farbe oder Persönlichkeit gab.
Jenna Holden, mächtige Agentin großer Hollywoodstars und Eigentümerin der JHE-Gruppe, hatte nicht die Zeit, sich von ihrer persönlichen Seite zu zeigen. Schon gar nicht jemandem wie mir.
»Sie suchen gar nicht nach einer persönlichen Assistentin?« Das künstliche Lächeln rutschte mir vom Gesicht. Ich war auf diesen Job so dringend angewiesen wie der Film Boogie Nights auf Mark Wahlbergs beachtliche Ausstattung. Ich brauchte ihn unbedingt. Nicht zuletzt deshalb, weil ich bei meinem Bruder, seiner Frau und ihrem Kind wohnte und sie es, sosehr sie mich liebten, mit Sicherheit vorziehen würden, ihre Zweizimmerwohnung nicht mit einem einundzwanzigjährigen Hippie zu teilen. Mein Fahrrad war mein einziges Transportmittel, um von A nach B zu gelangen, was in Los Angeles dem Ritt auf einer toten Schildkröte gleichkam.
»Ich suche nach … jemand Bestimmten.« Jenna senkte das Kinn und zog eine schmal gezupfte Augenbraue hoch. »Und eine gewisse Form von Assistenz gehört tatsächlich dazu.«
Langsam riss mir der Geduldsfaden. Ich war hungrig und durstig und wollte die Stelle um jeden Preis. Irgendeine Stelle. Der Sommer hatte sich als ein Debakel entpuppt, sämtliche Aushilfsjobs waren von pickelgesichtigen Teenagern besetzt. Dies war schon das dritte Mal in diesem Monat, dass ich wegen der vage beschriebenen Position bei JHE vorstellig wurde. Als Erstes bei der Personalleiterin, die mich vierzig Minuten warten ließ, weil sie sich wegen eines Pediküre-Termins verspätete. Danach hatte Jennas Assistentin mich einem Verhör unterzogen, als käme ich direkt aus einem Trainingslager des IS. Und jetzt traf ich die berühmte Agentin endlich persönlich, nur um zu erfahren, dass man mich die ganze Zeit an der Nase herumgeführt hatte?
»Sagen Sie, Indigo, wie sorgfältig haben Sie die Tätigkeitsbeschreibung gelesen?« Mit einem selbstgefälligen Lächeln lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und flocht die Finger ineinander. Ihr Outfit bestand aus einer eleganten, hochgeschlossenen Bluse und einer schwarzen Samthose, ihr champagnerblondes Haar war zu einem straff sitzenden Knoten aufgesteckt. Die Haut am Haaransatz spannte so sehr, dass mir vom bloßen Hinschauen der Schädel wehtat.
»Sorgfältig genug, um sie auswendig aufsagen zu können.«
»Ach ja? Dann lassen Sie mal hören.«
Meine Nasenflügel blähten sich. Ich beschloss, ihr noch ein letztes Mal entgegenzukommen, bevor ich mir meine Tasche und den letzten Rest meiner Selbstachtung schnappte und ging.
»Persönliche Assistentin gesucht. Folgende Qualifikationen werden vorausgesetzt: Belastbarkeit, Verantwortungsbewusstsein, Geduld, Dickfelligkeit. Kein Konsum von Alkohol oder DROGEN. Sie sind ein lebensbejahender, kunstinteressierter Mensch mit Auge fürs Detail und einer Vorliebe für Headbanging jenseits des Mainstreams? Lange Tage und Nächte machen Ihnen nichts aus? Dann kommen Sie an Bord. *Verschwiegenheitserklärung erforderlich; Überprüfung des Führungszeugnisses.«
Ich schob eine Kopie meiner Bewerbung vor sie hin und tippte mit dem Finger darauf. »Ich erfülle sämtliche Voraussetzungen. Bis auf das Headbanging. Davon kriege ich Migräne. Würden Sie mir jetzt bitte sagen, um was für einen Job es sich handelt?«
»Was ich suche, ist ein Lebensretter. Ein Kindermädchen. Ein Freund. Sie sind die vielversprechendste Person, die ich finden konnte, aber offen gestanden kommt das ganze Unterfangen einer Organtransplantation gleich. Wir können eine Abstoßungsreaktion erst ausschließen, nachdem wir euch beide miteinander bekannt gemacht haben.«
Ich blinzelte und starrte sie an wie ein Fabelwesen. Falls das ein Witz war, musste mir mein Sinn für Humor abhandengekommen sein.
Sie erhob sich und schritt auf und ab, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. »Ich habe einen Klienten. Nein, nicht irgendeinen Klienten. Sondern den Klienten. Einen der angesagtesten Künstler, den die Musikindustrie im letzten Jahrzehnt hervorgebracht hat. Er hat sich kürzlich massiv in die Nesseln gesetzt und muss jetzt zusehen, dass er seinen Namen reinwäscht. Drogen, Frauen, ein Ego so groß wie China – egal was, es trifft auf ihn zu. Es wird nicht Ihre Aufgabe sein, seine Flüge zu buchen oder ihm Kaffee zu kochen. Er hat eine Heerschar von Leuten, die das für ihn erledigen. Aber Sie werden ihn begleiten, wenn er auf Tournee geht. Sie werden sich seiner emotionalen Bedürfnisse annehmen. Sie werden verhindern, dass er Backstage Kokain schnupft, sich die Nächte um die Ohren schlägt oder Auftritte verpasst. Falls er sich mit einem Journalisten oder Paparazzo in die Wolle kriegt, werden Sie ihn bei der Hand nehmen und weglotsen. Kurz gesagt wird Ihr Job darin bestehen, ihn drei Monate lang gesund und am Leben zu erhalten. Sehen Sie sich dieser Herausforderung gewachsen?«
Ihre unverblümten Worte gingen mir mächtig unter die Haut.
Ein Lebensretter. Ein Kindermädchen. Ein Freund.
»Das ist … eine große Verantwortung. Klingt, als hätte der Mann ziemlichen Ärger am Hals.«
»Ärger ist sein zweiter Vorname, ein Teil seines Charmes und der Grund, aus dem ich ständig eine Xanax in meiner Handtasche herumtrage.« Ein freudloses Lächeln glitt über ihr Gesicht.
So genau wollte ich es gar nicht wissen.
»Wieso geht er auf Tournee, wenn er nicht in der Verfassung dazu ist?«
»Eigentlich war sie bereits vor sechs Monaten geplant, aber er hat sie aus persönlichen Gründen abgesagt. Sollte sich das wiederholen, schuldet er den Produktionsfirmen dreißig Millionen Dollar. Die Versicherung wird das nicht übernehmen. Schließlich hat er sich Koks in solchen Mengen reingezogen, dass man daraus eine fünfstöckige Hochzeitstorte backen könnte.«
Ich kaute auf meiner Unterlippe, klopfte wieder mit der Schuhspitze auf den glänzenden Boden. Jenna hörte auf, unruhig herumzulaufen, und blieb vor mir stehen. Ihr schmaler, goldener Prada-Gürtel funkelte mich unheilvoll an.
»Sie wären drei Monate unterwegs. Im Privatjet. Würden in den weltbesten Hotels absteigen. Falls Sie es irgendwie geschafft haben, sich in dieser Stadt einen Rest Unschuld zu bewahren und ihn behalten wollen, rate ich Ihnen, das Angebot auszuschlagen. Wenn Sie hingegen ein dickes Fell und Lust auf ein Abenteuer haben, wird sich dieser Job nicht nur positiv auf Ihren Kontostand, sondern auch auf Ihren weiteren Lebensweg auswirken.«
Sie klang ernst, beinahe besorgt. Jedes ihrer Worte drückte wie ein Gewicht auf meine Brust. »Sie werden eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschreiben und alles, was Sie sehen, mit ins Grab nehmen. Im Gegenzug wird man Sie fürstlich entlohnen.«
Fürstlich? Wer redete so? Antwort: die Leute im Hollywood-Showbiz.
»Fürstlich?«, echote ich.
»Hunderttausend Dollar im Monat.«
Poch.
Poch.
Poch.
Drei Herzschläge vergingen, ehe ich merkte, dass ich den Atem anhielt, und wieder Luft holte.
Von fern hörte ich das Lachen einiger Büromitarbeiter am Verkaufsautomaten. Einen Drucker, der Papier ausspuckte. Das Klimpern eines Löffels, der in einer Tasse rührte. Wie immer, wenn bei mir die Nerven blank lagen, verstärkte sich mein Lippenkauen, bis ich den metallischen Geschmack von Blut im Mund schmeckte.
Drei Monate.
Dreihunderttausend Dollar.
Das Ende all meiner finanziellen Sorgen.
»Wer ist er?«, fragte ich mit einer Stimme brüchig wie Eierschalen und sah hoch. Spielte es eine Rolle? Nicht wirklich. Und wenn es der Teufel höchstpersönlich wäre, ich würde ihn ohne Zögern auf einem ausgedehnten Trip durch die Hölle begleiten. Bei Natasha und Craig türmten sich die unbezahlten Rechnungen. Meinem Neffen Ziggy mussten dringend Paukenröhrchen eingesetzt werden. Jeden Winter weinte und schrie er sich in den Schlaf. Wir mussten seine Händchen mit Socken umwickeln, um zu verhindern, dass er sie an die Ohren krallte, bis sie bluteten. Seine molligen Beinchen verklemmten sich ständig zwischen den Gitterstäben seines Kinderbetts, weil wir uns kein größeres leisten konnten. Dieses Stellenangebot war ein Geschenk des Himmels. Der einzige Wermutstropfen würde die Trennung von meiner Familie sein, gleichzeitig spürte ich bei diesem Gedanken auch eine ungeheure Erleichterung. Mein Bruder war momentan nicht der umgänglichste Zeitgenosse.
Darüber hinaus hütete ich den inzwischen zweijährigen Ziggy seit dem Tag seiner Geburt. Wie schwer konnte es sein, ein Auge auf einen erwachsenen Mann zu haben?
»Es handelt sich um Alex Winslow«, klärte Jenna mich auf.
»Ein Ding der Unmöglichkeit«, käme der Antwort auf meine Frage wohl am nächsten.
Winslow war ein Superstar. Seine Songs wurden von sämtlichen Radiosendern in Dauerschleife gespielt, als wäre er das einzige Gesangstalent auf dem gesamten Kontinent. Aber am meisten Sorge machte mir, dass er ungeheuer arrogant rüberkam. Alex Winslow machte praktisch eine olympische Disziplin daraus, andere Menschen wie Dreck zu behandeln, was einer der Gründe dafür war, wieso er mit nahezu ganz Hollywood im Clinch lag. Das war selbst mir bekannt, obwohl ich Klatsch und Tratsch mied wie die Pest. Wo immer er auftauchte, hatte er Horden von Reportern und vernarrten Groupies im Schlepptau. Seine Fans würden mir ordentlich einheizen, sobald sie mich an seiner Seite sähen. Außer auf die Toilette folgten die Paparazzi ihm überallhin. Während eines Zahnarzttermins hatte ich in einer Zeitschrift von einer jungen Frau gelesen, die ihren Instagram-Account nach einer Party mit Winslow löschen musste, weil auf einer Darknet-Webseite ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt worden war. Zwanzigtausend Dollar für denjenigen, der ihren Todeszeitpunkt korrekt prognostizierte. »Dabei nachzuhelfen, ist absolut zulässig«, hatte es geheißen.
Hinzu kam, dass Winslow der rebellischste Vertreter des Mainstreams in ganz Hollywood war. Erst neulich hatte man ihn wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen, und ich hasste und verabscheute Alkohol ebenso wie Drogen aus tiefster Seele. Was bedeutete, dass die geplante »Organtransplantation«, wie Jenna es ausgedrückt hatte, höchstwahrscheinlich in einem Riesenflop mit zwei Opfern enden würde.
Seufzend vergrub ich das Gesicht zwischen meinen Händen.
»Jetzt sind Sie dran.« Jenna schürzte ihre kirschrot geschminkten Lippen.
Ich räusperte mich und nahm wieder Haltung an.
Es wird Zeit, dass du dich wie eine Erwachsene benimmst. Und stell sicher, dass du die nächsten drei Monate dein Höschen anbehältst, auch wenn er aussieht wie Sean O’Prys heißester Bruder.
»Ich verspreche, dafür zu sorgen, dass er gesund und munter bleibt, Ms Holden.«
»Gut. Ach, und noch etwas, nur, um mein Gewissen zu beruhigen. Verlieben Sie sich nicht in ihn. Er ist nicht der nette Junge von nebenan.« Jenna unterstrich ihre Worte mit einer Handbewegung, bevor sie durch ihr Telefon scrollte und eine Nummer wählte.
»Ich werde mein Bestes versuchen.« Meine Kiefermuskeln zuckten, als ich mir ein spöttisches Lächeln verbiss. Von Alex Winslow ging eine Faszination aus, die vergleichbar war mit der eines Wirbelsturms. Man durfte ihm nur nicht zu nahe kommen, sonst würde er einen mit sich fortreißen und vernichten. Das würde ich tunlichst vermeiden.
»Vorausgesetzt, Ihr Bestes ist gut genug, werden Sie diese Sache heil überstehen. Dann lasse ich meine Sekretärin mal den Papierkram ausdrucken. Noch irgendwelche Fragen?« Sie erteilte ihrer Mitarbeiterin telefonisch die entsprechenden Anweisungen und stöckelte zur Tür.
»Wann werden wir zu der Tournee aufbrechen?« Ich krallte die Fingernägel in die Seitenlehnen und sah über die Schulter nach hinten.
»Am Mittwoch.«
»Aber das ist in zwei Tagen.«
»Sie können Kopfrechnen.« Jenna grinste. »Das ist ein unerwarteter zusätzlicher Pluspunkt. Ich hole flugs die Unterlagen. Übrigens lautet der Name der Tour ›Letters from the Dead‹. Sie soll seiner Karriere neuen Auftrieb verschaffen. Bin gleich wieder da.«
Ich erinnerte mich an diesen Song. Er war sozusagen der Soundtrack zu meinem letzten Schuljahr, als alles so endgültig und falsch schien.
Love is just a fraud
Excuse me for being goddamn bold
You asked me to believe
As if I had some fucks to give
Sowie die Tür hinter ihr zugefallen war, lehnte ich mich zurück und blies eine blaue Haarsträhne aus meinem Gesicht. Ein irres Lachen stieg in meiner Kehle auf, fast wäre es mir entschlüpft.
Ich würde drei Monate mit dem größten Rockstar der Welt verbringen und dafür dreihunderttausend Dollar kassieren. Ich blickte hoch, und der Kronleuchter zwinkerte mir verschwörerisch zu.
Ich wertete das als ein Omen.
Meine Seele kämpfte mit dem Tode.
Keine Übertreibung.
Der letzte Schimmer Hoffnung, alle meine Träume waren aus ihr entschwunden und in den von Zigarettenasche und Körpersekreten verklebten Fußboden gesickert. Mit einem Brummen verkündete mein Handy den Eingang einer Nachricht, und ich zwang mich, den Blick von der Zimmerdecke loszureißen.
Unbekannt
Hi, Alex!
Ich
Foto?
Unbekannt
???
Ich
Wer immer dir meine Nummer gegeben hat, dürfte dir gesagt haben, dass ich beim Sexting nicht die Katze im Sack kaufe.
Unbekannt
Hier ist Elsa, von The Brentwood Club. Ich wollte Ihnen auf diesem Weg persönlich dafür danken, dass Sie heute bei unserer Benefizveranstaltung zugunsten von Kindern mit ASD auftreten werden.
Ich würde an diesem Abend für lau spielen. Was war bloß in mich gefahren? Meistens stellte ich mich nicht mal gegen Bezahlung für irgendetwas zur Verfügung. Genau genommen war es eine Ewigkeit her, dass ich meinen Arsch überhaupt hochgekriegt hatte.
Verflucht seien mein Manager Blake, meine Agentin Jenna und mein Leben, weil sie mich dazu nötigten, mein Zimmer, meinen Zufluchtsort, meine Privatsphäre zu verlassen. Und verflucht sei Elsa, die jetzt wusste, wie verkommen ich wirklich war.
»He, Waitrose! Ein neuer Wohltätigkeitsfall.« Ich warf Lucas – Spitzname Waitrose, benannt nach der Feinkostladenkette, die er sich dank seiner reichen Eltern von Kindesbeinen an leisten konnte – mein Handy zu, und er fing es seufzend auf. Er war mein Drummer und eigentlich nicht dafür zuständig, meinen Hintern aus der Schusslinie zu halten, aber er konnte bekanntermaßen gut mit Schlipsträgern. Ich persönlich hasste diese Blutsauger. Sie widerten mich an. Weil ich ein Rockstar war und tonnenweise Geld scheffelte, wollte jeder ein Stück vom Kuchen abhaben. Einem Kuchen, den ich gebacken hatte. Aus von mir gekauften Zutaten. Keiner von denen hatte sich einen Dreck für mich interessiert, als ich noch tagein, tagaus vor der U-Bahn-Station King’s Cross saß, wo ich auf meiner akustischen Gitarre, Tania, spielte, die Passanten anbettelte und ihnen Demo-Bänder in die Hand drückte, nur um zuzusehen, wie sie sie in den nächstbesten Mülleimer warfen. Keiner der Schlipsträger kam von seinem hohen Ross herunter, als ich im strömenden Regen, in Eis und Schnee an ihre Türen klopfte und sie mit Flehen und Argumenten davon zu überzeugen versuchte, mich vorspielen zu lassen. Sie waren nicht da, als ich drei Jahre in Folge im Vorprogramm größerer Bands in Glastonbury auftrat und ausgebuht oder aus Jux mit halbleeren Bierbüchsen beworfen wurde oder als ein betrunkenes Mädchen mich als Billigkopie von Morrissey bezeichnete und dabei auf mein einziges Paar Schuhe kotzte.
Sie bewahrten mich auch nicht davor, dass ich meine Seele ein paar anderen Schlipsträgern verkaufte, die zwar mein Talent erkannten, jedoch einen »eingängigen, knackig-kurzen Song mit Wiedererkennungswert« verlangten. Schließlich gab ich nach und lieferte. Wie schon erwähnt, rang meine Seele mit dem Tode. Vielleicht gehörte sie auch einfach nur anderen Leuten. So oder so, ich brauchte eine neue. Dummerweise zählte das zu den wenigen Dingen, die ich nicht mit Geld kaufen konnte.
Ich hasste jeden, mit dem ich zusammenarbeitete. Angefangen bei den Plattenfirmen, über die Führungskräfte, Produzenten, PR-Leute, Marketing-Querdenker, die großen Unternehmen, die mich als Testimonial benutzten, bis hin zu jeder einzelnen Schickse, die je um eine Gehaltserhöhung gebeten hatte, weil sie angeblich so unverzichtbar für die Marke Alex Winslow war. Eilmeldung: Die Marke war ich.
Ich besorgte die Zutaten.
Ich backte den Kuchen.
Ich würde das verflixte Ding essen.
Und zwar allein. Bis zum letzten Krümel und Klecks. Es war meiner.
Meine mangelnde Bereitschaft zu teilen war einer der Gründe, warum mich die Presse als schäbigen Mistkerl abstempelte. Aber das war mir, gelinde ausgedrückt, scheißegal. Die Medien waren nicht meine Freunde, eher würde der Himmel einstürzen und Katy Perry einen anständigen Song rausbringen, als dass ich mich freiwillig von einem Paparazzo ablichten ließe. Was nichts daran änderte, dass ich drei Jahre hintereinander zu dem Promi gewählt wurde, der am nettesten mit seinen Fans umgeht. Das war der echte, authentische Alex. Ich liebte meine Fans. Sogar mehr als den Reichtum, den Ruhm und die Frauen, die mit beidem einhergingen.
»Alter. Ich pack’s einfach nicht, dass du dir mit der fünfzigjährigen Vorsitzenden einer gemeinnützigen Organisation versexte Nachrichten schreiben wolltest. Ist dir gar nichts peinlich?« Lucas versetzte mir mit dem Fuß einen Rempler gegen die Schulter und tippte mit fliegenden Daumen in meinem Namen eine aufrichtige Entschuldigung in mein Handy. Was das bringen sollte, wusste ich selbst nicht. Mein Image war mittlerweile komplett demoliert. Es nervte Waitrose, hinter mir herwischen zu müssen, aber er tat es. Zum Teil stand er nur deshalb noch auf meiner Gehaltsliste.
Ich mochte ihn nicht, ertrug ihn kaum in meiner Nähe nach dem, was vor zwei Jahren vorgefallen war.
Wir lümmelten alle zusammen auf »meinem« rostroten Samtsofa, das in Wahrheit zum Eigentum des Chateau Marmont gehörte. Ich quartierte mich jedes Mal, wenn ich in L. A. war, in dieser Suite im Cottage-Stil ein. Unterm Strich summierte sich das auf sieben Monate pro Jahr, trotzdem weigerte ich mich, diese Stadt mein Zuhause zu nennen. Los Angeles war wie eine billige Hure. Sie machte optisch nichts her, ließ jeden herein, und sobald man drin war, stellte man fest, dass ein zu hohes Verkehrsaufkommen herrschte und der letzte Besucher eine Sauerei hinterlassen hatte. Wenn man dazu noch die Umweltverschmutzung und die Starlets mit ihren blitzweißen Zähnen zählte, die auf alles von einem scharf waren – deinen Schwanz, deinen Starruhm, deine schwarze American-Express-Karte –, was kam am Ende heraus? Meine persönliche Definition von Fegefeuer.
Ich zündete mir noch eine Zigarette an und zappte durch die Kanäle. Eine Reality-Show. Eine Kochsendung. Ein Umstyling-Format. TMZ. Ein Rudel Leute, die ein Haus renovierten, was Tränen zur Folge hatte. Eine künstlich gebräunte Tussi, die einen Nervenzusammenbruch bekam, weil ihre Hochzeitseinladungen im falschen Roséton geliefert worden waren. Ich pfefferte die Fernbedienung durchs Zimmer. Sie knallte gegen den Flatscreen und hinterließ Risse in Form eines Spinnennetzes. Niemand zuckte auch nur mit der Wimper.
Alfie, mein Bassgitarrist, furzte. Dann sagte er: »Ich müsste mich am Hintern kratzen, aber ich bin zu schlapp, um mich zu bewegen.«
»Ich müsste Sex haben, aber ich bin zu schlapp, um an die Hotelbar zu gehen«, konterte Blake mit einer Lüge. Er hatte Augen nur für eine Frau, und sie war die falsche.
»Lucas stellt sich bestimmt bereitwillig zur Verfügung. Sex ist sein Lieblingssport.« Alfie stieß ein Schnauben aus, woraufhin Blake ihm mit dem Finger gegen das Ohr schnippte.
Woher ihre Müdigkeit rührte, war mir ein Rätsel. Aktuell sammelten wir Mützen voll Schlaf wie andere Leute antike Schreibmaschinen, akribisch und mit Feuereifer. Die nächsten drei Monate würden hart werden.
Nachdem es Lucas erfolgreich gelungen war, das neueste von mir gelegte Feuer zu löschen, griff ich mir mein Handy und scrollte durch meine Kontaktliste. Ich hatte mehrere Dutzend Bekanntschaften in der Stadt, wollte aber keine von ihnen zum Essen ausführen, und das war ein Problem. Jede bastelte an irgendeiner Promikarriere und erwartete, dass ich Hand in Hand mit ihr ins The Grove spazierte oder ihr im The Ivy zärtlich über die Wange streichelte. Nur war es leider so, dass ich meinen Schwanz eher in eine halb geöffnete Konservendose zwängen würde, als die hochfliegenden Träume dieser Ladys zu sponsern. Folglich war mein Liebesleben in etwa so aufregend wie eine beige gestrichene Wand. Ich ließ mich weder mit Groupies ein – aus Achtung vor meinen Fans – noch auf romantische Beziehungen – teuflische Exfreundin, dazu später mehr –, sondern begnügte mich in der Regel mit einem »Notnagel«, um es mal so auszudrücken. Einsame Stewardessen, Karrierefrauen in den Dreißigern, die an der Hotelbar abhingen, Touristinnen auf der Durchreise, die es nicht interessierte, wer ich war. Es waren nicht immer Schönheiten, aber zumindest fühlte ich mich bei ihnen nicht wie das Kunstprodukt, zu dem meine Plattenfirma mich gemacht hatte.
Es klingelte an der Tür.
»Erwartest du jemanden?« Alfie würgte einen Klumpen Schleim in seiner Kehle hoch und spuckte ihn in den Aschenbecher auf dem Couchtisch. Der Kerl war ekelhaft bis zum Gehtnichtmehr.
Ich ignorierte ihn und scrollte weiter durch mein Handy.
»Hey.« Lucas, der mir gegenüber auf der Couch fläzte, stupste mich erneut mit dem Fuß an, dabei kratzte er sich mit einem seiner Drumsticks den Rücken. »Hältst du dich für zu berühmt, um auf eine Frage zu antworten? Wer ist da an der Tür?«
»Der Sensenmann. Wahlweise Jenna. Läuft aufs Gleiche hinaus.« Ich nahm einen Zug von meiner Coke – leider nicht das Zeug, das man sich durch die Nase reinpfeift –, als mein Finger bei einem Namen in meiner Kontaktliste innehielt.
Fallon.
Fick dich, Fallon.
Und das würde ich. Schon bald wieder. Allerdings würde sie dieses Mal auf allen vieren knien und sich davor als Strafe für das, was sie mir angetan hat, meinen Namen wie eine Fußfessel um ihren Knöchel tätowieren lassen. Ich hatte eine ellenlange Liste von Dingen, die ich von Fallon Lankford wollte, und sie würde sie mir geben, weil sie mich tief in ihrem Herzen immer noch liebte. Es stand ihr ins Gesicht geschrieben. Dieses Gesicht, das sich zunehmend veränderte, um dem Hollywood-Standard zu entsprechen. Vollere Lippen, schmalere Nase, längere Wimpern. Ich erinnerte mich gut an die Frau hinter der Maske, und sie war verrückt nach mir. Nur leider war ihre Gier nach Ruhm größer.
Blake stand auf und marschierte zur Tür. Er sah aus, als würde er in den Krieg ziehen, jeder Muskel vibrierte vor Anspannung. Er und Jenna waren nie einer Meinung, und ich sah keinen Anlass, zwischen ihnen zu vermitteln. Im Eingangsbereich ertönte Stimmengewirr. Es klang schroff und gereizt, dann ließ Jenna ihr metallisch klirrendes Lachen hören, das verriet, dass sie kurz davor war, jemandem ins Gesicht zu spucken. Wenige Sekunden später kamen sie und Blake herein, gefolgt von einer jungen Frau.
Einer jungen Frau, die ich nicht kannte.
Noch so ein Scheißbabysitter.
Die vielen Lampen im Zimmer tauchten ihr herzförmiges Gesicht in ein goldenes Licht, während sie über den dunklen Holzfußboden tippelte und ich an nichts anderes denken konnte als daran, wie ich sie am schnellsten wieder loswürde. Sie sah … annehmbar aus. Aber nicht mein Geschmack. Jenna entschied sich nie für die wirklich Hübschen, um mich nicht dazu zu verleiten, ihnen die Seele aus dem Leib vögeln zu wollen, gleichzeitig durften sie auch nicht so hässlich sein, dass ich sie nicht in meiner Nähe tolerieren konnte. Dieses Exemplar war deutlich kleiner geraten als der Durchschnittsbürger. Winzig wie Däumelinchen, mit olivfarbener Haut, flachen Brüsten und einer kleinen Stupsnase. Und langen, eisblauen Haaren – stünde ich auf Hipster, würde ich mir einen unter den vielen kreischenden Fans rauspicken, die sich in den Backstage-Bereich zu schmuggeln versuchten. Was sie anhatte, konnte ich nicht genau definieren, und ich weigerte mich zu glauben, dass sie dafür auch nur einen Cent berappt hatte. Irgendein orangefarbenes Vintage-Kleid mit ausgestellten Ärmeln und Blumenstickerei, das kaum ihre knubbligen Knie bedeckte. Woher ich solche Fachbegriffe kenne? Weil ich seelenloser Idiot Werbung für Armani und Balmain gemacht habe, um einen Kokainkonsum zu finanzieren, der Charlie Sheen vor Neid erblassen ließe.
Willkommen in meinem Schlamassel, neues Mädchen. Dir steht ein holpriger Ritt bevor.
Ich trank noch einen Schluck von meiner Cola, dann biss ich knirschend die Zähne zusammen. Die Neue würde binnen einer Woche Schnee von gestern sein, genau wie alle ihre Vorgängerinnen. Dafür würde ich sorgen. Ich war drauf und dran, mit dem Daumen auf Fallons Namen zu tippen, bevor ich mich noch rechtzeitig beherrschte und das Handy missmutig in meiner Gesäßtasche verschwinden ließ.
Nicht jetzt.
Nicht hier.
Nicht in Gegenwart dieser ganzen Schwachköpfe.
Jenna, Nordamerikas Spielverderberin Nummer eins, verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte mich mit einem Blick, der die Hölle samt ihren Nachbarregionen in Eisstarre versetzen konnte. »Hallo, Alex. Wie wär’s, wenn du aufstehen und deine neue Mitarbeiterin begrüßen würdest, anstatt deine Gammelorgie auf dem Sofa fortzusetzen?«
Ich respektierte Jenna. Sie war die Einzige unter den Schlipsträgern, die mich nie um eine sexuelle Gefälligkeit, ein Selfie oder ein verdammtes Pony zu ihrem Geburtstag gebeten hatte. Hauptsächlich deshalb hatte ich zugestimmt, dass sie mir für die »Letters from the Dead«-Tour eine Aufpasserin an die Seite stellte. Der Posten sollte eigentlich schon seit meiner Entlassung aus der Entzugsklinik vor zwei Monaten besetzt sein, aber natürlich hatte ich nichts Besseres zu tun gehabt, als die ersten neun Kandidatinnen zu vergraulen. Sie hatten heulend hingeschmissen, eine war sogar in einen anderen Bundesstaat gezogen, um räumlichen Abstand zu mir zu schaffen. Nach der achten Kündigung hatte ich gehofft, Jenna würde ihr Vorhaben endlich aufgeben, doch war sie leider niemand, der einfach so das Handtuch warf.
Allerdings konnte ich ein genauso sturer Esel sein.
Widerwillig wuchtete ich mich von der Couch hoch und schlurfte zu ihnen.
»Nur fürs Protokoll …« Ich zog an meiner Zigarette und blies den Rauch durch die Nasenlöcher aus wie ein wütender Stier. »An dem strengen Geruch hier im Zimmer ist Alfie schuld. Er kann die Finger nicht von mexikanischem Essen lassen.«
»Da hast du verdammt recht«, gackerte Alfie vom Sofa aus und verlieh seinen Worten mit einem Rülpser Nachdruck. »Tacos für den Weltfrieden! Ich sollte eine gemeinnützige Organisation gründen.«
Ich streckte dem neuen Mädchen die Hand hin. Ich war über eins achtzig groß, sie nicht mal eins sechzig. Damit befand sie sich gewissermaßen auf Augenhöhe mit meinem Schritt, was praktisch gewesen wäre, hätte ich irgendetwas mit ihr zu tun haben wollen. Sie hob den Kopf und sah mich an. Ihre Augen waren blau wie ihre Haare, nur dunkler. Da war etwas Wildes in ihnen. Die Tiefgründigkeit eines gut komponierten Riffs.
Nicht völlig konturlos. Schön für dich, Baby.
»Alex Winslow.«
»Indie Bellamy.«
»Dein Name ist Indie?« Ich musterte sie von oben bis unten. Ihre zierliche, feuchtwarme Hand versuchte, meine große, kalte zu umgreifen.
»Eigentlich Indigo. Wie die Farbe.«
»Das macht es wohl kaum besser«, spöttelte ich, aber mein Interesse an ihr war verraucht. Ich warf meine noch glühende Kippe aus dem Fenster, stützte den Unterarm gegen die Wand und durchforstete mein Gehirn nach der Frage, die ich Jenna hatte stellen wollen. Es ging um eine Werbekampagne, für die ich Mitte des Jahres vor der Kamera stehen würde. Versace? Pepsi? Als würde das einen Unterschied machen.
»Gut zu wissen. Ich konnte es kaum erwarten, deine Meinung zu meinem Namen zu hören«, antwortete das Mädchen.
Sie war immer noch da.
Sie war immer noch da, und sie hatte mir Kontra gegeben.
Was zum Henker?
Jenna schob sich in mein Blickfeld, fischte ihr Handy aus ihrer Hermès-Tasche und deutete damit abwechselnd auf mich und auf Indie. »Lernt euch kennen, ihr zwei. Aber nicht zu gut. Und behaltet auf jeden Fall eure Klamotten an. Ich muss kurz telefonieren. Bin gleich wieder da.« Das geräuschvolle Klipp-klapp ihrer Absätze begleitete ihre Schritte bis hinaus auf die Terrasse.
Der Blick, mit dem Indigo mein Gesicht beäugte, erinnerte mich vage an einen Welpen. Ich hielt ihn unverwandt fest, weil ich ein kleinkarierter Arsch war und Anstarrwettbewerbe eindeutig zu meinen Stärken zählten – neben der sexuellen Belästigung fünfzigjähriger Vorsitzender von Wohltätigkeitsorganisationen per Textnachrichten.
»He, Neuling.« Ich beugte mich vor, bis meine Lippen fast ihr Ohr berührten. Aber anders als die meisten meiner bisherigen Babysitter zuckte sie nicht zurück. Das brachte mich zwar leicht aus dem Konzept, aber nicht von meiner Mission ab. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«
Ihr Schweigen war mein Stichwort weiterzusprechen. »Ich nässe mich im Schlaf ein. Nacht für Nacht. Allerdings passiert es mir während der Tournee vor lauter Lampenfieber immer und überall. Und gelegentlich mischt sich mein Urin mit den Körperflüssigkeiten meiner letzten Sexpartnerin. Ich bitte immer meine persönlichen Assistentinnen, das Bett frisch zu beziehen, weil sie im Gegensatz zu den Hotelangestellten eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet haben. Glaubst du, du kommst damit klar, Herzblatt?«
Ich richtete mich auf und sah ihr forschend ins Gesicht. Dies war die Stelle, an denen ihnen der Mund offen stehen blieb, ihre Augen riesengroß und sie blass um die Nase wurden. Nicht so diese hier. Nein, sie strahlte mich mit einem liebenswürdigen, honigsüßen Lächeln an.
»Keine Sorge, Mr Winslow. Ich werde Ihnen gern eine Packung Erwachsenenwindeln besorgen. In Anbetracht Ihres Benehmens dürften sie Ihnen passen wie angegossen.«
Wo hatte Jenna diese Göre aufgetrieben, und wie konnte ich sie wieder in der Versenkung verschwinden lassen, bevor sie am Mittwoch mit uns in den Flieger steigen würde? Meinen Ellbogen noch immer an der Wand angelehnt, fuhr ich mir spöttisch grinsend mit meinen schwieligen Fingern durch die langen Haare.
»Hast du auch nur den blassesten Schimmer, worauf du dich da einlässt?« Der Gleichmut war aus meinem Tonfall verschwunden, die Zeit für Spielchen dank ihrer patzigen Antwort vorbei.
»Oh ja.« Sie kam einen Schritt näher. »Ich befreie mich aus einer extrem misslichen finanziellen Lage, darum schreckt mich dein pubertäres Verhalten kein bisschen. Ich brauche das Geld. Ich werde diese drei Monate durchstehen und dich von Drogen fernhalten, komme, was da wolle.«
»Du weißt nicht, was da alles kommen kann, deshalb würde ich an deiner Stelle keine voreiligen Versprechen abgeben.«
Sie funkelte mich theatralisch an, und ich verlor langsam ernsthaft die Geduld mit ihr. »Und trotzdem tue ich genau das. Verklagen Sie mich doch, Mr Winslow.«
Treib’s bloß nicht zu weit, neues Mädchen.
Ich machte einen Schritt auf sie zu, rückte ihr so dicht auf die Pelle, dass mein Bauch ihre kleinen Brüste streifte. Die hitzige Entschlossenheit, die in ihren Augen glomm, hätte ausgereicht, um das Hotel bis auf die Grundmauern niederzubrennen. Ich war kurz davor, sie eigenhändig raus auf die Terrasse zu schubsen, als Saint Lucas, alias Waitrose, sie davor bewahrte, indem er hinter mir auftauchte und ihr die Hand hinstreckte.
»Ich bin Lucas Rafferty. Der Schlagzeuger.« Er knipste sein strahlendes Sonnyboy-Lächeln an, das einem Brad Pitt zur Ehre gereicht hätte. Sofort machte ihr misstrauischer Gesichtsausdruck einem Lächeln Platz, sie ließ meine Hand los, um seine zu ergreifen. Erst da realisierte ich, dass wir uns geschlagene drei Minuten die Hand geschüttelt hatten. Dann hatte die Neue also auch noch einen Sprung in der Schüssel.
Nette Geste, Jenna. Zu Weihnachten kriegst du von mir einen Müllsack und einen Skandal in der Boulevardpresse.
»Indie.«
»Hippie-Eltern?« Waitroses leises Lachen ließ sie vermutlich innerlich dahinschmelzen – mit seinem Charme hätte er sogar einen verfluchten Heftapparat ins Bett gekriegt. Obwohl er sein Liebesleben ungewöhnlich streng unter Verschluss hielt, neigten die Frauen dazu, sich ihm an den Hals zu werfen. Das Ironische daran war, dass er diese Aufmerksamkeit nicht verdiente.
Sie zuckte die Achseln. »Der Name hat eine wörtliche Bedeutung. Sie haben mich wegen meiner Augenfarbe Indigo getauft.«
Röte kletterte an ihrem Hals empor, sie färbte ihre Wangen und umkränzte ihren Haaransatz. Kopfschüttelnd schlenderte ich zum Esstisch, lehnte mich mit der Hüfte daran und stopfte mir eine Handvoll Cracker in den Mund.
»Die Augenfarbe eines Menschen kann sich bis zum vierten Lebensjahr noch verändern«, ließ Lucas sich hinter mir vernehmen. Wetteiferten die beiden um die Auszeichnung »Langweiligste Unterhaltung des Jahres«? Wenn ja – meine Stimme war ihnen sicher.
»Ich schätze, sie waren genauso risikofreudig wie ich.« Sie lachte heiser auf.
»Waren?«
»Sie sind gestorben.« Kurzes Schweigen. »Bei einem Autounfall.«
»Das tut mir sehr leid.« Sein hochgestochener Privatschulakzent hallte mir in den Ohren und erfüllte mich mit frischem, flammendem Zorn.
Er klang tief betrübt. Mich stimmte es auch nicht sonderlich froh zu hören, dass dieses Mädchen eine Waise war, aber Lucas fühlte aufrichtig mit ihr, wie nur Kinder das können, bevor sie groß werden und das Leben sie hart macht. Ich war nie zuvor einem Menschen begegnet, der so unerträglich rechtschaffen war wie er. Nach meinem Kenntnisstand war ich die einzige Person, bei der er je eine linke Tour abgezogen hatte. Was womöglich eine Menge über meinen Charakter und meinen Sympathiefaktor – beziehungsweise dessen Nichtvorhandensein – aussagte.
Jenna kam von der Terrasse zurück und steckte ihr Handy ein. Ihr Lächeln verkündete, dass sie mich zur Hölle schicken würde, sollte ich mein Veto gegen den Neuzugang einlegen. Es gab noch andere angesehene, einflussreiche Agenten, aber sie war die Einzige, die mich um drei Uhr morgens auf Kaution aus dem Gefängnis holen würde, nachdem ich mir auf dem Pacific Highway eine Verfolgungsjagd mit einem Streifenwagen geliefert und die Nacht damit beendet hätte, die Brüste einer Beamtin zu signieren. Bei meinem Manager, meinem Schlagzeuger und meinem Bassisten konnte ich mich nicht mal darauf verlassen, dass sie die Klospülung betätigten, geschweige denn, dass sie für mich da wären, wenn ich knietief in der Scheiße steckte. Ich war meinen Freunden auf dieselbe Weise zugetan wie andere einem Haustier: herzlich, aber ohne Erwartungshaltung. Was meine Familie betraf … das war eine völlig andere Geschichte, die ich nicht näher thematisieren möchte.
»Da bin ich wieder«, meldete sich meine Agentin zurück.
Ich nickte knapp.
»Die da kann reden, Jenna.« Ich wies mit dem Kopf auf Indigo.
»Nun, bei der Letzten war das nicht der Fall, und sie hielt nicht mal vier Tage durch. Ich dachte, probieren wir mal was anderes.« Ein gleichmütiges Achselzucken. Ich zündete mir meine x-te Kippe an diesem Tag an und strafte Jenna und mein restliches Umfeld mit Missachtung – mein liebster Zeitvertreib, seit ich aus der Klinik zurück war.
»Darf ich dir etwas sagen?« Jenna hielt sich einen Taschenspiegel vors Gesicht und zog ihren blutroten Lippenstift nach.
»Manieren stehen dir nicht.« Rhetorische Fragen kitzelten den Fiesling in mir wach.
»Du solltest anfangen, dir Gedanken zu deinem neuen Album zu machen, Alex. ›Cock My Suck‹ war ein Rohrkrepierer. Du hast dir die dringend benötigte Auszeit genommen, um dich auf deine Gesundheit zu konzentrieren, wenngleich ich schon ein bisschen überrascht bin, dass du währenddessen nicht einen einzigen Song geschrieben hast.«
Ich legte den Kopf zur Seite und zog eine Braue hoch. »Warst du schon mal in einer Entzugseinrichtung, Jenna?«
»Nein.« Sie klappte den Spiegel zu.
»Ich hatte dort zwar massenhaft Zeit totzuschlagen, aber ich war zu beschäftigt damit, im Trainspotting-Stil die Wände hochzugehen und mich davon abzuhalten, mir die Haut vom Körper zu schälen.«
»Kokainkonsum führt nicht zu physischer Abhängigkeit«, behauptete sie, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Hast du schon mal Koks genommen, Jenna?«, fragte ich sie in exakt demselben Tonfall wie bei meiner ersten Frage.
»Nein.«
»Selbe Antwort.«
Es klingelte erneut an der Tür, und wieder war es Blake, der öffnete, während Lucas und das neue Mädchen noch immer in ihr Gespräch vertieft waren. Meine Bandmitglieder und mein Manager hatten sie bereits als Teil unserer Truppe akzeptiert. Wenigstens hatten sie den Anstand, sie zu ignorieren, als wäre sie eine hässliche Vase, die sich niemand zu entfernen traute. Mit Ausnahme von Waitrose, versteht sich, er hatte es zur Kunstform erhoben, mir ans Bein zu pinkeln.
»Wer von euch hat mexikanisches Essen bestellt?«, bellte Blake.
»Dreimal darfst du raten, Kumpel!«, rief Alfie vom Sofa aus.
»So eine Furzidee. Im wahrsten Sinne des Wortes«, brummelte Lucas und spielte auf Alfies Magen an, der dessen Leidenschaft für die mexikanische Küche nicht teilte.
Ich wandte mich ab und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Jenna.
»Raus mit der Sprache. Wo hast du die kleine Kratzbürste aufgetrieben?« Ich massierte ihr seidenweiches Ohrläppchen. Meine geschickten Finger ließen Frauen dahinschmelzen wie Butter in der Sonne, und meine Agentin bildete keine Ausnahme, nur dass sie sich niemals mit mir einlassen würde, weil sie schlau genug war, um zu wissen, wie die Sache ausgehen würde.
Jenna inspizierte ihre Fingernägel, während sie auf meine Frage antwortete. »Ist das wirklich wichtig? Das Einzige, was du wissen musst, ist, dass ich dir nicht zutraue, aus eigener Kraft enthaltsam zu bleiben. Du bist flatterhaft, zornig und verbittert. Und sie hat viel zu gewinnen – oder auch jede Menge zu verlieren, sollte sich diese Sache nicht auf die von mir gewünschte Weise bezahlt machen. Sorry, Alex, aber dieses Mädchen ist bereit, in den Krieg zu ziehen.«
»Ach, Jenna.« Ich schnalzte mit der Zunge und strich mit dem Daumen über meine Unterlippe. »Sie ist keine Kriegerin. Nicht mal eine ernstzunehmende Wettkämpferin.«
»Wenn das so ist, versprich mir, dass du wenigstens fair spielen wirst. Sie mag eine große Klappe haben, aber sie ist noch sehr jung.«
»Das Wort fair existiert nicht in meinem Vokabular.« Das war kein Witz.
»Sag das lieber deinen unzähligen One-Night-Stands. Auch wenn ich mir sicher bin, dass sie trotzdem mit dir in die Kiste hüpfen würden.« Jenna rollte so stark mit den Augen, dass sie ihr fast aus dem Kopf fielen. Ihre Schulter touchierte meine Brust, als sie zur Tür steuerte. Mit stocksteifem Rücken folgte Indigo ihr dicht auf den Fersen.
Im letzten Moment drehte meine Agentin sich noch einmal zu mir um. »Schreib ein Album, Alex. Sorg dafür, dass es spektakulär wird, um deine offene Rechnung mit Will Bushell zu begleichen.«
Kaum dass sie seinen Namen sagte, wurde in meinem Kopf ein Notschalter umgelegt.
Es gab keine Rechnung zu begleichen. Ich hatte ein mieses Album rausgebracht. Jeder lieferte mal eines ab. Sogar Bad Religion. Aber natürlich würde ich mich weder ihr gegenüber noch generell und schon gar nicht vor meinen Kumpels und der kleinen Göre, die Jenna in mein Territorium geschleppt hatte, verteidigen.
»Ist schon in Arbeit.« Ich zwinkerte ihr zu und richtete die Fingerpistole auf sie, bevor ich mich wegdrehte, damit sie den Zorn nicht sehen konnte, der meine Züge verzerrte.
Die Tür fiel zu.
Ich griff mir Alfies mexikanisches Essen und schleuderte es gegen die Wand, dann sah ich zu, wie die Bohnen als schwarze Pampe zu Boden glitten, während die Guacamole der Schwerkraft trotzte und haften blieb wie Mörtel. Meine Nerven lagen blank, und ich konnte noch nicht mal sagen, warum.
Wegen des neuen Albums?
Der neuen Tournee?
Des neuen Mädchens?
Will Bushell?
Die Dinge waren im Begriff, sich zu ändern, und dieses Mal gab es kein magisches Pulver, um dem Ganzen die Spitze zu nehmen.
»Los, rück raus damit, Süße. Wie ist er so?«
Abstoßend. Hinreißend. Grob. Sexy. Verkorkst. Witzig. Schwermütig. Unausstehlich. Schwierig, schwierig, schwierig. Das alles und noch mehr charakterisierte Alex Winslow, aber meine Familie brauchte das nicht zu wissen. Natasha war schon jetzt krank vor Sorge bei der Aussicht, dass ich drei Monate lang auf Achse sein würde. Ich drehte den Wasserhahn zu, trocknete meine Hände mit einem Geschirrtuch ab und lehnte mich mit dem Rücken gegen den Küchentresen. Wir hausten in einer heruntergekommenen Zweizimmerwohnung auf dem Pico Boulevard, in der der Kühlschrank noch mehr Radau machte als der Highway draußen und die schmucklosen gelben Wände noch deprimierender waren als die Stripperinnen in dem Club direkt unter uns.
»Ganz okay, denke ich. Der typische Rockstar eben. Ein kettenrauchender, selbstverliebter Arsch.« Ich zog die Luft zwischen die Zähne und achtete darauf, sie nicht direkt anzusehen.
Natasha blickte von ihrem Teller Nudeln ohne Sauce hoch, während Craig weiter die Stellenanzeigen in der Tageszeitung durchforstete und zwischendurch an seinem Bier nippte. Er hatte den Punkt erreicht, wo er sich um jede halbwegs infrage kommende Tätigkeit auf Craigslist – die nach ihm benannt war, wie er zu frotzeln pflegte – und auf Monster – in welches er sich laut eigener Aussage verwandeln würde, wenn er nicht bald Arbeit fand – bewarb, und war kurz davor, Klinken putzen zu gehen und die Leute anzuflehen, irgendetwas für sie tun zu dürfen, egal, ob ihren Hund ausführen, ihre Pflanzen gießen oder ihnen eine Niere verkaufen. Es schmerzte mich, meinen klugen und stolzen Bruder katzbuckeln zu sehen. Die Tatsache, dass er sein College-Stipendium drangegeben hatte, um mich, seine kleine Schwester, großzuziehen, machte es nur schlimmer. Unsere Eltern hatten sich an ihrem zwanzigsten Hochzeitstag nach einem Restaurantbesuch zu Fuß auf den Heimweg gemacht, es jedoch nie nach Hause geschafft.
»Hör auf, uns zu verarschen, Indie. Du redest nie schlecht über andere. Ich vermute, er ist ein Riesenarschloch, was mich nicht wirklich überrascht. Nenn mir einen Promi, der keins ist.« Sein Stuhl knarrte unter seinem Gewicht, als er sich zurücklehnte, sein Gesicht unter dem Schopf hellbrauner Haare von Unmut umwölkt. Nat legte klappernd ihr Besteck auf den Teller. Craig kippte den Rest seines Biers hinunter und stellte die Büchse zu den beiden, die er davor geleert hatte.
»Möchtest du einen Nachschlag?« Ich wies mit einem Nicken zu ihrem Teller und gab keinen Kommentar zu Craigs übermäßigem Alkoholkonsum ab. Dabei konnten wir uns noch nicht mal eine Packung Tylenol für Ziggy leisten.
Nat schüttelte den Kopf. »Das Essen reicht noch für morgen. Wir sollten es aufsparen.«
»Jetzt knickern wir schon mit Nudeln. Nicht gerade ein Rockstar-Leben. Bestimmt bist du bald zu gut für uns, Indie«, ätzte Craig. Natasha und ich ignorierten ihn.
Ich spülte das Geschirr. Die Küche war klein und vollgepfropft mit Töpfen, Behältern und gerahmten Fotos, die unsere fröhlichen, traurigen und lustigen Erinnerungen festhielten. Ziggy schlummerte im Wohnzimmer in seinem Gitterbettchen. Seine Ohreninfektion war unter Kontrolle, aber wir wussten alle, dass sich das mit Einbruch des Winters ändern würde.
Nat trat hinter mich, schlang ihre Arme um meine Taille und legte den Kopf an meine Schulter. »Du musst das nicht tun. Du bist noch nie geflogen, schon gar nicht ins Ausland. Wir schaffen das auch so. Ich hab noch bis mindestens Oktober meinen Saisonjob am Venice Beach. Und Craig wird bestimmt bald etwas finden …«
Ich drehte mich zu ihr um und fasste lächelnd ihre Schultern. »Machst du Witze? Dreihunderttausend Dollar, um mit einem Rockstar rumzuhängen. Klingt das nach einem Angebot, das irgendein einundzwanzigjähriges Mädchen ausschlagen würde?«
»Ja«, sagte sie ausdruckslos und strich mit der Hand über den Stoff meines orangefarbenen Vintage-Kleids. »Jedenfalls, wenn du fragliches Mädchen bist. Ich kenne dich. Am liebsten verbringst du deine Zeit damit, zu nähen und mit Ziggy zu spielen. Introvertierter als du geht nicht. Als wir zusammen Bubble Boy geguckt haben … da hast du den armen Jungen um die Einsamkeit, in der er lebte, beneidet.«
Touché.
Man musste mich nicht daran erinnern, dass ich ein einsiedlerischer Loser war. Aber vielleicht reizte mich der Job gerade deswegen. Es würde mir guttun, aus meinem Schneckenhaus herauszukommen. Und ich würde mit einem ganzen Koffer voll einzigartiger und kostbarer Erinnerungen heimkehren. Neuen visuellen Eindrücken, Geruchs- und Geschmackserfahrungen von all den wundervollen Orten, die ich schon immer hatte bereisen wollen.
»Ganz ehrlich, Nat, ich freue mich unbändig darauf.«
»Würdest du es uns auch wirklich sagen, wenn es anders wäre?«, vergewisserte sie sich, und ich fragte mich, ob sie die panische Angst hinter meinem Lächeln sehen konnte.
»Ja, Indie.« Craig stand auf und steuerte das Wohnzimmer an, noch immer im Schlafanzug. »Hab nicht das Gefühl, das tun zu müssen. Wir kommen prima über die Runden. Außer, dass wir mit den Zahlungen für Miete, Strom und Ziggys Kinderarzt im Rückstand sind. Ach ja, dazu kommt auch noch das Leben im Allgemeinen.«
»Craig«, zischte Natasha und kniff verärgert die Augen zusammen.
Sein bitteres Lachen hallte von den Wänden wider, Sekunden später fiel die Schlafzimmertür ins Schloss. Das laute Rumsen weckte Ziggy, der wimmerte. Die Zeit stand still, während Nat und ich darauf warteten, dass sein leises Schnarchen wieder einsetzte.
Es erstaunte mich nicht, dass die Jobsuche meines Bruders nur von mäßigem Erfolg gekrönt war, gleichzeitig durfte ich nicht vergessen, dass er nicht zeit seines Lebens sarkastisch, rüde und allzu sehr dem Alkohol zugetan gewesen war. Noch vor wenigen Jahren war er der liebenswürdige Wide Receiver, der Natasha Brockheimers Herz eroberte, indem er ihr vor ihrem Fenster einen Song von Alex Winslow als Ständchen darbrachte. Sie hatte die blondesten Haare, die längsten Beine und den reichsten Vater in ganz Beverlywood. Natasha störte es nicht, dass Craig das College geschmissen hatte, um sich um mich zu kümmern. Ihre Eltern hingegen schon. Als sie dann mit zweiundzwanzig schwanger wurde, entschieden sie, dass sie nichts mit Nat, Craig, Ziggy und mir zu tun haben wollten.
Craig behielt seine positive Einstellung noch eine ganze Weile bei. Er hatte zwei Jobs, half mit Ziggy, massierte jeden Abend Natashas Füße und sprach mit uns darüber, wie wir es gemeinsam schaffen konnten. Doch dann wurde er gefeuert und fing an zu trinken. Die aufmunternden Worte und die Fußmassagen verschwanden aus unserem Leben, zusammen mit der Hoffnung, dafür senkte sich eine Dunstglocke der Trostlosigkeit über uns und nahm uns die Luft zum Atmen.
»Ich glaube, ich hau mich aufs Ohr. Danke für alles.« Ich zwirbelte eine ihrer hellen Locken zwischen den Fingern. Ich schlief auf der Couch, gleich neben Ziggys Bettchen. Was praktisch war, weil er nachts mehrmals aufwachte und Durst hatte.
Wer wird Ziggy seine Schnabeltasse geben, während ich fort bin? Ich verbannte den Gedanken in den hintersten Winkel meines Kopfes und tappte an der Couch vorbei zu meinem weißen Fahrrad, dem einzigen teuren Ding, das ich je besessen hatte. Meine Mutter hatte es mir gekauft, als ich vierzehn war. Es stammte aus Paris, meiner liebsten Stadt auf der Welt, auch wenn ich sie nie besucht hatte.
Ich linste zu der großen Reisetasche neben der Tür, und sie starrte herausfordernd zu mir zurück, wie um mich daran zu gemahnen, was auf mich zukam. Es war aussichtslos, dass ich mit diesem Druck auf meiner Brust, meiner Psyche, meinem Herzen Schlaf finden würde. Ich brauchte frische Luft, musste raus aus diesem Haus.
Ich schnappte mir mein Rad.
Draußen schwang ich mich auf den Sattel, stieß mich mit dem Standbein vom Boden ab und sauste die dunkle Straße entlang. Die steife, salzige Brise fegte kalte Luft über mein Gesicht. Die Lichter kleiner Lebensmittelgeschäfte und klassischer Diner zogen an mir vorbei, und zum ersten Mal an diesem Tag konnte ich frei atmen.
Ein Prickeln lief über meinen Rücken, als ich mich an den Moment zurückerinnerte, in dem ich Alex Winslow zum ersten Mal von Nahem gesehen hatte. Seine wie poliertes Holz schimmernden goldbraunen Augen, unergründlich, ausdrucksstark und trügerisch warm. Die gerade Nase, der eckige, wie gemeißelt wirkende Kiefer, die vollen Lippen, die seinen Zügen all seinen Bemühungen zum Trotz etwas Weiches verliehen. Sein seidig glänzendes, verstrubbeltes braunes Haar. Er verströmte den Geruch von altem Leder und einer neuen Obsession. Allerdings änderte seine anziehende Optik nichts daran, dass er niemals zum festen Freund taugen würde. Und auch nicht zu sonst irgendwas. Alex Winslow war ein ungehobelter, aufbrausender Macho und ein Junkie frisch aus dem Entzug.
Ich stieg so hart in die Pedale, dass mir der Schweiß auf die Stirn trat. Winslows Outfit hatte aus abgetragenen Armeestiefeln – die Schnürsenkel offen –, billig aussehenden zerrissenen Jeans und einem schwarzen Muskelshirt mit ausgefransten Armlöchern bestanden, das einen guten Teil seines drahtigen, tätowierten Oberkörpers freigab. Mit seiner schlanken, athletischen Figur, den Ringen und Armbändern an seinen Fingern und Handgelenken war er die Verkörperung von Sex-Appeal schlechthin.
Und ich verabscheute ihn.
Die Art, wie er ging, wie er redete, mich demotivierte. Ich hasste die Macht, die er über mich hatte, und die Weise, auf die er sie gegen mich verwenden könnte.
Ich kurvte fast zwei Stunden lang durch die Gegend, ehe ich nach Hause zurückkehrte. Aufs Duschen verzichtete ich, weil ich niemanden wecken wollte. Bis zum Morgengrauen wälzte ich mich unruhig hin und her und war fast dankbar, als Ziggy zweimal wach wurde und nach seiner Tasse verlangte.
Sobald das erste Tageslicht durch die Wolken kroch, die tief und schwer über meiner Heimatstadt hingen, stand ich auf, griff mir meine Reisetasche und trat an das Gitterbett.
»Ich hole uns aus dieser Misere heraus«, gelobte ich und drückte Ziggy einen Kuss auf die Stirn. Dies war nur ein vorübergehender Abschied, der uns den Weg in eine sichere Zukunft bahnen würde, rief ich mir ins Gedächtnis. Er brummelte etwas vor sich hin und warf mir mit seinem Patschhändchen Luftküsse zu, wie ich es ihm beigebracht hatte.
Und da wusste ich, dass ich mein Versprechen wahr machen würde.
»Was zum Henker?«
Ich schreckte hoch, als ein spitzer Ellbogen mit meinen Rippen kollidierte. Er bohrte sich durch meine Lederjacke und durch meinen schwarzen Kapuzenpulli, folglich musste er diesem affenarmigen Spacko Alfie gehören.
Übellaunig setzte ich mich auf. Monotones Motorengeräusch dröhnte in meinen Ohren; man hätte meinen sollen, dass ich inzwischen daran gewöhnt wäre. Spoilerwarnung: Ich war es nicht.
Alfie zog eine Schnute wie ein Groupie und presste den Handrücken auf seine Stirn. »Ach, Alexander, warum liebst du mich denn nicht?«
»Weil du einen Schwanz hast, furzt, als hättest du dir jedes faule Ei in ganz Amerika einverleibt, und Russel Brand witzig findest. Letzteres ist, nebenbei bemerkt, fast schon kriminell.«
Alfie lachte und warf etwas nach mir, ein blaues Plektrum.
Ich pflückte es aus meinem Schoß und steckte es in meine Gesäßtasche. »Wo brennt’s?«
»Wir sind gleich am Flughafen.«
»Ich dachte, wir säßen schon im Flieger.«
»Bist du immer noch auf Droge? Wir stecken in einem Monsterstau und kriechen im Schneckentempo Richtung LAX.«
»Woher kommt dann dieses nervige Geräusch?« Ich schwenkte den Kopf zum Fenster.
»Dafür dürfte L. A. die Ursache sein, Idiot«, belehrte Blake mich. Sein Blick klebte an seinem Handy, er war wie immer im Arbeitsmodus.
Vierzig Minuten später erreichten wir den Flughafen. Blake ging unseren Reiseplan auf seinem iPad durch. Wir starteten immer am weitest entfernten Ort und arbeiteten uns von dort aus wieder Richtung Staaten. Zuerst Australien – Sydney und Melbourne –, dann Asien und schließlich Europa – mit einer einwöchigen Pause in England, um unsere Familien zu besuchen –, bevor wir nach Amerika zurückkehrten.
»Letters from the Dead« würde das reinste Kinderspiel werden. Eine Best-of-Tournee. Die Songs kannte ich in- und auswendig. Ich hatte keinen neuen, den es zu promoten galt. Darum würde ich meinen Fans den Hintern küssen und darauf bauen, dass die visuellen, kulturellen und olfaktorischen Eindrücke meiner Kreativität neues Leben einhauchten.
Gemäß den Wünschen der Plattenfirma sollte mein nächstes Album »eingängig, unterhaltsam, spritzig, mit einem Touch Rock ’n’ Roll« sein. Selbstverständlich wollte ihnen mein innerer Rebell einen Haufen Vierzehn-Minuten-Tracks, die von Politik und globaler Erwärmung handelten, auf den Tisch klatschen. Dabei war mir Politik echt zuwider … wenn auch nicht ganz so sehr wie meine Plattenfirma.
Im Flughafengebäude angekommen passierten wir die Sicherheitskontrolle und begaben uns in die VIP-Lounge. Der Privatjet war startklar. Das war der Aspekt, der mich am wenigsten an meinem Dasein als Rockstar ankotzte: Ich hatte Zugang zu den absurdesten Privilegien, die man sich vorstellen kann. Noch vor sieben Jahren hatte ich danach gelechzt, einmal in einen Flieger zu steigen – scheiß auf den Flugzeugtyp, die Klasse, den Zielort –, und jetzt beschwerte ich mich regelrecht, weil ich selbst einen besaß.
»Sieh an, die Mutter der Drachen ist im Anmarsch«, stöhnte Blake, als ich Tania aus dem Gitarrenkoffer nahm und ihn auf einem der Tische deponierte. Blake behauptete gern, dass Jenna die Fähigkeit besitze, Menschen, die nicht parierten, bei lebendigem Leib in Asche zu verwandeln.
Ich schälte mich aus meiner Lederjacke und vergewisserte mich, dass ich meine wenigen anderen Habseligkeiten – Handy und Brieftasche – dabeihatte. »Und du teilst mir das mit, weil …«
»Sie nicht allein ist.«
Ich hob den Kopf und beobachtete, wie meine Agentin in einem eleganten Dreitausend-Dollar-Kleid auf mich zustöckelte. Im Schlepptau Babysitter Nummer elf. Sekunden später stand das neue Mädchen vor mir, angetan mit einem gelben, knallengen Gewand, das vollkommen ungeeignet war für einen zwölfstündigen Flug. Ihre blauen Haare waren zu einer kunstvollen Flechtfrisur hochgesteckt. Sie sah aus wie eine farbenblinde Elfe.
»Hallo, Neuzugang«, begrüßte ich sie mit gespieltem Enthusiasmus, um Jenna glauben zu machen, dass ich mich zumindest bemühte, bevor ich sie abservierte. Ich weigerte mich, sie Indie zu nennen, weil der Name a) albern war und ich b) damit einräumen würde, dass sie eine Person war und kein Störfaktor. Ich setzte ein heiteres Lächeln auf und machte mit ausgebreiteten Armen einen Schritt auf sie zu. »Wir sind überglücklich, dich mit an Bord zu haben.«
Ihre scheue Miene wich einem Ausdruck von Irritation. Meine Arme schlangen sich um ihre Schultern, und ich hörte ihr frustriertes Seufzen, als sie die letzte Hoffnung auf ein zivilisiertes Verhalten meinerseits fahren ließ. Jenna stand ein Stück abseits von uns, darum nutzte ich die Gelegenheit, um mich – wieder einmal – zu Indigos Ohr zu beugen und zu flüstern: »Lauf, Herzblatt. Dies ist deine letzte Chance.«
Sie erstarrte, zuckte jedoch nicht zurück, und das nötigte mir dann doch ein bisschen Respekt ab. Das Mädchen bewies Rückgrat. Dabei war ich bisher noch schlimmer mit ihr umgesprungen als mit ihren Vorgängerinnen. Weil sie – im Gegensatz zu ihnen – nicht klein beigab.
»Schön, dass ihr zwei miteinander könnt.« Jenna sah mich durchdringend an, in jedem ihrer Worte klang Argwohn mit. Sie wusste, dass etwas faul war. Aber genau wie die anderen Anwesenden scheute sie davor zurück, in dieses Wespennest zu stechen.