Mila! Ein Hauch von Zimt - Mark A. Maier - E-Book

Mila! Ein Hauch von Zimt E-Book

Mark A. Maier

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Stell dir vor, du machst eine Reise und findest dabei die Liebe deines Lebens. Ihr seid füreinander bestimmt und habt gemeinsame Zukunftspläne. Doch dann kommt alles anders. Du wachst eines Tages auf und kannst dich an nichts von alledem erinnern. Nicht an die Reise und auch nicht an die Person, der du dein Herz geschenkt hast. Dein Leben ist wieder so, wie es immer war. Nur in deinen Träumen erwachen Erinnerungen und Sehnsüchte, denn Träume vergessen nie. Aber reichen Träume aus, um alles stehen und liegen zu lassen und sich auf die Suche nach jemandem zu machen, den es möglicherweise gar nicht gibt?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mark A. Mai­er 

Mila!Ein Hauch von Zimt

Ro­man

Mark A. Mai­er lebt als Au­tor, frei­schaf­fen­der Mu­si­ker und Mu­sik­päd­ago­ge mit sei­ner Frau und sei­nen bei­den Kin­dern in Ti­rol und ist als Do­zent im Ti­ro­ler Lan­des­mu­sik­schul­werk tä­tig. Ne­ben sei­ner mu­si­ka­li­schen Tä­tig­keit für na­ti­o­na­le und in­ter­na­ti­o­na­le Künst­ler zeich­net er sich auch als Pro­du­zent für et­li­che CDs und Wer­be­jingles ver­ant­wort­lich. Mark A Mai­er schreibt Pres­se- und Song­tex­te für di­ver­se Künst­ler und ver­öf­fent­lich­te un­ter ver­schie­de­nen Pseud­ony­men Kurz­ge­schich­ten und Kin­der­bü­cher.

Mila!Ein Hauch von Zimt

© 2021 Mark A. Mai­er

E-BOOK © 2021 BRINKLEY Ver­lag

Ohne schrift­li­che Ge­neh­mi­gung des Her­aus­ge­bers darf kein Teil die­ser Pu­bli­ka­ti­on in ir­gend­ei­ner Form ver­viel­fäl­tigt, über­tra­gen oder ge­spei­chert wer­den.

So­wohl die im Buch vor­kom­men­den Per­so­nen als auch die Hand­lun­gen sind vom Au­tor frei er­fun­den. Na­men und Ähn­lich­kei­ten mit Per­so­nen oder tat­säch­li­chen Hand­lun­gen sind zu­fäl­lig und nicht ge­wollt.

Satz: Con­stan­ze Kra­mer, co­ver­bou­tique.de

Lek­to­rat: Nora Preuß

©Um­schlag­ge­stal­tung: BRINKLEY Ver­lagun­ter Ver­wen­dung von Ad­o­be und free­piks

Ge­druckt und ge­bun­den von: SKA­LA PRINT

ISBN 978-3-903392-05-2

www.brinkley-ver­lag.at

Für De­ni­se, Jo­nas & Fri­da

»Was du liebst, lass frei. Kommt es zu­rück, ge­hört es dir – für im­mer.«

(Kon­fu­zi­us)

Pro­log

Mila hielt be­reits seit Be­ginn der Zug­fahrt Ro­berts Hand festum­klam­mert und lehn­te sich da­bei an sei­ne Schul­ter an. Ihre tief­blau­en Au­gen schim­mer­ten hin­ter ei­nem hauch­dün­nen Film aus Trä­nen her­vor und ihre Un­ter­lip­pe zit­ter­te lei­se, als wür­de sie je­den Au­gen­blick laut schluch­zend los­wei­nen. Mit al­ler Kraft kämpf­te sie da­ge­gen an und ver­such­te, Ro­berts Nähe, sei­nen Ge­ruch und den sanf­ten Druck sei­ner Fin­ger, die sich lie­be­voll um die ih­ren schlos­sen, ein­fach nur zu ge­ni­e­ßen, so­lan­ge sie noch die Mög­lich­keit dazu hat­te.

Doch mit je­der Mi­nu­te, die ver­strich, fiel es ihr schwe­rer und die trü­ben Ge­dan­ken, die Ro­berts Ver­stand in­zwi­schen be­reits zur Gän­ze ein­ge­nom­men hat­ten, grif­fen nun auch im­mer mehr auf sie über und färb­ten ihr an­sons­ten so son­ni­ges Ge­müt in ein glanz­lo­ses Grau ein.

Bei­de starr­ten un­ver­wandt auf die ab­ge­wetz­te Rück­sei­te der Sitz­leh­ne vor ih­nen und ver­weil­ten da­bei, je­der für sich, in den Er­in­ne­run­gen an die letz­ten vier Wo­chen. Doch nicht eine da­von ent­lock­te ih­nen auch nur ein ein­zi­ges Lä­cheln oder we­nigs­tens ein zu­frie­de­nes Schmun­zeln – ganz im Ge­gen­teil. Jede auch noch so schö­ne Er­in­ne­rung be­stärk­te die bei­den nur noch mehr in ih­rer Trüb­heit und Trau­rig­keit. Wäh­rend Ro­bert da­bei nicht einen Ton von sich gab, seufz­te Mila im­mer wie­der lei­se und der hauch­dün­ne Film aus Trä­nen wuchs vor ih­ren Au­gen zu ei­nem klei­nen See her­an, der droh­te, all­mäh­lich über sei­ne Ufer zu tre­ten.

Schließ­lich war es dann auch so weit.

Die ers­te Trä­ne lös­te sich und bahn­te sich lang­sam einen Weg über Mi­las zier­li­che Nase, um am Ende ih­rer kur­z­en Rei­se wie ein ein­zel­ner, ein­sa­mer Re­gen­trop­fen in Ro­berts Schoß zu zer­bers­ten. Mila drück­te ih­ren Kopf noch fes­ter an sei­ne Schul­ter, fast so, als wol­le sie in ihn ein­tau­chen – mit ihm ver­schmel­zen.

Dann schloss sie ihre Au­gen.

Sie woll­te nichts von all­dem um sie her­um se­hen. Kei­ne an­de­ren Fahr­gäs­te, die oh­ne­hin nichts da­von ahn­ten, was ge­ra­de in ihr und Ro­bert vor sich ging; kei­ne Bild­schir­me, wel­che die nächs­ten Sta­ti­o­nen an­zeig­ten; kei­ne Hoch­haus­sied­lun­gen oder Land­schaf­ten, die in Win­desei­le an den Fens­tern vor­übers­aus­ten; und vor al­lem kei­ne an­de­ren ver­lieb­ten Pär­chen, die ki­cher­ten, Händ­chen hiel­ten, schmus­ten oder auch nur ge­lang­weilt ne­ben­ein­an­der sa­ßen und auf ihre Han­dys starr­ten.

Nichts!

Sie woll­te ein­fach nur Ro­bert spü­ren und das Spä­ter noch einen Mo­ment lang aus­blen­den.

Erst als der Re­gi­o­nal Ex­press 5814 in der Sta­ti­on des Ams­ter­da­mer Schi­phol-Flug­ha­fens an­ge­hal­ten hat­te, setz­te sich Mila auf und wisch­te sich da­bei eine wei­te­re Trä­ne aus ih­rem Ge­sicht. Sie griff nach Ro­berts Hand, der be­reits auf­ge­stan­den war, und ließ sich von ihm aus ih­rem Sitz hoch­zie­hen. Als sich ihre Bli­cke da­bei tra­fen, be­rühr­te für einen kaum wahr­nehm­ba­ren Au­gen­blick ein win­zi­ges Lä­cheln ihre ro­si­gen Lip­pen – doch noch vor dem nächs­ten Wim­pern­schlag war es auch schon wie­der ver­schwun­den.

Die üb­ri­gen Pas­sa­gie­re mit dem­sel­ben Fahrt­ziel dräng­ten in­zwi­schen schon un­ge­dul­dig zu den Aus­gän­gen und kaum, dass sich die Tore mit ei­nem lau­ten Zi­schen ge­öff­net hat­ten, quetsch­te sich die ers­te Men­schen­trau­be auch schon hin­aus auf den Bahn­steig. Ro­bert nahm hin­ge­gen in al­ler Ruhe sei­nen blau-rot ka­rier­ten Ruck­sack aus dem Ge­päck­fach, warf ihn sich über die Schul­tern und griff dann wie­der nach Mi­las Hand. Er zog sie sanft aber be­stimmt zu sich her­an, küss­te sie auf ihre Stirn und nick­te ihr mit ei­nem lei­sen Seuf­zer zu. Dann erst ver­lie­ßen auch die bei­den ge­mein­sam den Wa­gon. Sie schaff­ten es ge­ra­de noch recht­zei­tig, be­vor sich die Tü­ren hin­ter ih­nen schlos­sen und der Zug sei­ne Fahrt wie­der auf­nahm.

Die Welt um sie her­um dräng­te sie.

Die Zeit wur­de knapp.

Auch die Roll­trep­pe nach oben in die gro­ße Ein­gangs­hal­le schien schnel­ler zu ra­sen als ge­wöhn­lich und ih­nen kaum Luft für eine in­ni­ge Um­ar­mung zu las­sen.

Ein lie­be­vol­ler Kuss – für einen zwei­ten reich­te die Zeit nicht mehr.

Es fühl­te sich an, als wäre ihr ge­mein­sa­mes Glück in­zwi­schen an eine Sand­uhr ge­bun­den, de­ren letz­te Kör­ner es kaum noch er­war­ten konn­ten, end­lich durch die Ver­en­gung des Gla­ses zu rie­seln.

Oben in der gro­ßen Bahn­hofs­hal­le an­ge­kom­men durch­quer­ten sie die ver­schie­de­nen Ter­mi­nals, an de­nen gest­ress­te Hor­den von Pend­lern und Rei­sen­den hek­tisch ver­such­ten, ihre Zeit­plä­ne ein­zu­hal­ten – Rem­pe­lei­en und Ge­drän­ge, wo man nur hin­sah. Doch nichts und nie­mand konn­te die bei­den ent­zwei­en. Ro­bert hielt Mi­las Hand fest um­schlun­gen und sie so­mit dicht an sei­ner Sei­te. Sanft zog sein Dau­men da­bei klei­ne Krei­se auf der wei­chen, hel­len Haut ih­res Hand­rü­ckens, wäh­rend ihre schma­len, lan­gen Fin­ger sich im­mer fes­ter um die sei­nen schlos­sen, als kön­ne sie ihn so auf ewig an sich bin­den und ver­hin­dern, ihn doch noch zu ver­lie­ren.

Seit sie sich vor ge­ra­de ein­mal vier Wo­chen zum ers­ten Mal be­geg­net wa­ren, wa­ren die bei­den nicht einen Tag oder auch nur eine Nacht von­ein­an­der ge­trennt ge­we­sen.

Zu Be­ginn hat­te Ro­bert Mila so­gar noch täg­lich zur Ar­beit ge­bracht, sie dann in der Mit­tags­pau­se zum ge­mein­sa­men Es­sen ab­ge­holt und abends vor der klei­nen Buch­hand­lung, in der sie seit zwei Jah­ren an­ge­stellt war, auf sie ge­war­tet. Da­bei hat­te er ihr stets zur Be­grü­ßung einen Be­cher Cappuc­ci­no über­reicht, des­sen wei­ße, luf­ti­ge Schaum­hau­be täg­lich mit ei­ner Ex­tra­por­ti­on Ka­kao und ei­nem Hauch von Zimt be­streut ge­we­sen war. Die ers­ten bei­den Tage hat­te er ihn noch aus Mi­las Lieb­lings­ca­fé ge­holt, doch dann hat­te er be­gon­nen, ihn selbst zu­zu­be­rei­ten.

Ge­nau wie er es von ihr ge­lernt hat­te.

Und vor je­dem ers­ten Schluck hat­te Mila den De­ckel ih­res Be­chers ab­ge­nom­men und dar­an ge­ro­chen, was ihr je­des Mal aufs Neue ein ge­nuss­vol­les Stöh­nen ent­lockt und die­ses zau­ber­haf­te, un­ver­wech­sel­ba­re Lä­cheln ins Ge­sicht ge­zau­bert hat­te.

»Als wäre je­den Tag Weih­nach­ten«, hat­te sie ihm da­bei vor­ge­schwärmt, als er ihr das ers­te Mal einen Be­cher Cappuc­ci­no über­reicht hat­te. »Und wenn du ihn selbst zu­be­rei­test«, hat­te sie ihm zwei Tage spä­ter beim Früh­stück in ih­rer klei­nen, aber ge­müt­li­chen Kü­che ge­schil­dert und auch au­gen­blick­lich de­mon­s­triert, »musst du nur dar­auf ach­ten, dass du zu­erst den Zimt auf die Milch­hau­be gibst. Nur ganz we­nig – und ganz vor­sich­tig. Und dann erst streust du den Ka­kao dar­über. Nie mit ei­nem Löf­fel – im­mer mit blo­ßen Fin­gern. Und wie durch einen Zau­ber brei­tet sich der Duft des Zimts in dem Au­gen­blick aus, wenn der Ka­kao den Milch­schaum be­rührt. Es ist ein­fach wun­der­bar.«

Ro­bert hat­te schon dazu an­ge­setzt, ihr zu er­klä­ren, dass die Milch­hau­be erst durch den grob­kör­ni­gen Ka­kao be­ginnt, mit der Luft zu re­a­gie­ren, und da­durch der Duft des fein­kör­ni­gen Zimts frei­ge­setzt wird, doch als er Mi­las strah­len­des Ge­sicht ge­se­hen hat­te, die ge­ra­de noch ein­mal einen tie­fen Atem­zug des ver­füh­re­ri­schen Ge­ruchs ge­nos­sen hat­te, hat­te er es lie­ber blei­ben las­sen. »Wirk­lich wun­der­voll«, hat­te er statt­des­sen be­stä­tigt und sie da­bei lie­be­voll an­ge­lä­chelt.

Schon nach we­ni­gen Ta­gen hat­te Mila um Ur­laub an­ge­sucht. Und da Edda, die Be­sit­ze­rin des La­dens, in den letz­ten bei­den Jah­ren zu Mi­las bes­ter Freun­din ge­wor­den war, hat­te dies auch auf An­hieb funk­tio­niert und die bei­den Tur­tel­tau­ben wa­ren von da an rund um die Uhr zu­sam­men ge­we­sen – und Mila hat­te kei­ne Se­kun­de da­von un­ge­nutzt ver­strei­chen las­sen.

Sie hat­te Ro­bert tag­täg­lich in einen an­de­ren Win­kel ih­rer ge­lieb­ten Stadt ent­führt und ihm da­bei nicht nur Ams­ter­dam son­dern auch ihr ei­ge­nes Le­ben nä­her­ge­bracht. Zu bei­na­he je­dem Platz, je­der Gas­se und zu al­len nur er­denk­li­chen Se­hens­wür­dig­kei­ten, die sie pas­siert hat­ten, hat­te sie Ge­schich­ten aus ih­rer Ver­gan­gen­heit zu er­zäh­len ge­wusst. Sie wa­ren zwar nicht im­mer ganz pas­send ge­we­sen und hat­ten auch nicht im­mer voll­ends der Wahr­heit ent­spro­chen, da Mila in ih­ren Aus­schmü­ckun­gen im­mer wie­der den sprich­wört­li­chen Bo­den un­ter ih­ren Fü­ßen ver­lo­ren hat­te, aber sie hat­ten Ro­bert stets zum La­chen ge­bracht und er hat­te je­des ein­zel­ne Wort ih­rer fan­tas­ti­schen Ge­schich­ten ge­nos­sen – egal wie un­glaub­lich und ab­surd sie manch­mal auch ge­we­sen wa­ren.

Bei ei­nem ih­rer täg­li­chen Stadt­rund­gän­ge hat­te Mila Ro­bert in ei­ner der en­gen Gas­sen so­gar dazu ge­bracht, mit ihr zu den Klän­gen ei­nes eng­li­schen Stra­ßen­mu­si­kers, der völ­lig in sei­ner In­ter­pre­ta­ti­on von Hey Jude auf­ging, zu tan­zen. »Die sind doch nur nei­disch«, hat­te sie ihm da­bei ins Ohr ge­flüs­tert, als sie Ro­berts pa­ni­schen Blick be­merkt hat­te, nach­dem sie sich wie aus dem Nichts mit ihm zu dre­hen be­gon­nen hat­te und die ers­ten Pas­san­ten ih­nen plötz­lich mehr Auf­merk­sam­keit als dem Mu­si­kan­ten ge­schenkt hat­ten. Für Ro­bert, der sich Frem­den ge­gen­über für ge­wöhn­lich im­mer et­was be­deckt hielt, hat­ten sich die­se ers­ten Tanz­schrit­te na­he­zu so an­ge­fühlt, als wür­de er völ­lig nackt durch die bre­chend vol­le Fuß­gän­ger­zo­ne lau­fen. Doch mit je­dem Ton, der ih­ren Tanz be­glei­tet hat­te, mit je­der Dre­hung, die sie über den As­phalt hat­te schwe­ben las­sen, und mit je­dem La­chen, das da­bei über Mi­las Ge­sicht ge­huscht war, wa­ren Ro­berts Hem­mun­gen mehr und mehr ver­flo­gen. Er hat­te so­gar be­gon­nen, es zu ge­ni­e­ßen, sich wohl und le­ben­dig zu füh­len und im­mer mehr eins mit die­ser wun­der­vol­len Frau zu wer­den, die ihre Arme da­bei sanft um sei­nen Nacken ge­schlun­gen hat­te – bis es ir­gend­wann über­haupt nur noch sie und ihn ge­ge­ben hat­te.

Auch Mila, für die der Tanz aus pu­rer Le­bens­freu­de her­aus be­gon­nen hat­te, hat­te ge­spürt, wie sich mit je­der Se­kun­de, in der sie sich ge­mein­sam dreh­ten, lach­ten und nach und nach im­mer mehr mit­ein­an­der ver­schmol­zen, al­les um sie her­um ver­än­dert hat­te.

Die Welt war zwar noch da aber nicht mehr die­sel­be ge­we­sen, als wä­ren sie mit ei­nem ih­rer Tanz­schrit­te, ohne es zu mer­ken, in einen die­ser kit­schi­gen Fil­me der sech­zi­ger Jah­re ein­ge­taucht, in dem ein Hap­py End vor­pro­gram­miert war. Die Welt war plötz­lich kei­ne Her­aus­for­de­rung mehr ge­we­sen, die es zu be­wäl­ti­gen galt, son­dern zu ei­nem Ge­schenk ge­wor­den – ei­ner Büh­ne, die ih­nen nicht mehr vor­ge­schrie­ben hat­te, was es auf ihr zum Bes­ten zu ge­ben galt. Sie war zu ei­ner Platt­form ge­wor­den, auf der al­les mög­lich und er­laubt ge­we­sen war.

Sie wa­ren frei ge­we­sen.

Frei von al­ler Last und al­lem Druck.

Frei, ganz und gar sie selbst zu sein.

Frei, zu­sam­men eins zu wer­den.

Im­mer noch be­flü­gelt von die­sem Ge­fühl hat­te Mila Ro­bert an­schlie­ßend so­fort in einen klei­nen Su­per­markt am Rem­brandtp­lein ge­zerrt. Ro­bert war ganz be­nom­men ge­we­sen und hat­te im­mer noch nicht recht fas­sen kön­nen, was er ge­ra­de vor den Au­gen un­zäh­li­ger Men­schen ge­tan hat­te.

Er hat­te ge­tanzt – ein­fach so.

Am Ein­gang zum Su­per­markt hat­te Mila ihm so­fort einen die­ser klei­nen Me­tal­lein­kaufs­kör­be in die Hand ge­drückt.

»Lass uns al­les neh­men, wor­auf wir Lust ha­ben«, hat­te sie ge­sagt. »Wein, Käse, Obst, Scho­ko­la­de. Pack ein­fach al­les ein.«

Zwei voll­ge­füll­te Pa­pier­tü­ten spä­ter hat­ten sie den La­den auch schon wie­der ver­las­sen.

»Und jetzt?«, frag­te Ro­bert.

»Auf zum Strand«, er­wi­der­te Mila strah­lend. »Ich will pick­ni­cken – und mit dir al­lei­ne sein.«

Und das hat­ten sie dann auch ge­tan. Ganz al­lei­ne. Ab­seits vom Tru­bel der Stadt. Nur er und sie.

Doch das Es­sen hat­ten sie kaum an­ge­rührt. Sie hat­ten sich statt­des­sen im knie­ho­hen Gras ge­liebt – im­mer und im­mer wie­der, bis sie im Schein des Voll­mon­des, be­glei­tet vom Rau­schen des Mee­res, eng­um­schlun­gen auf ei­ner der Dü­nen ein­ge­schla­fen wa­ren.

Ein wun­der­vol­les Er­eig­nis hat­te das an­de­re ge­jagt. Doch ihre ge­mein­sa­men Tage wa­ren ein­fach viel zu kurz ge­we­sen, um all das Herr­li­che und die­se Ma­gie, die hin­ter all dem zu ste­cken schien, un­ein­ge­schränkt ge­ni­e­ßen zu kön­nen. Die Re­a­li­tät hat­te nie lan­ge auf sich war­ten las­sen und je­der neue Son­nen­auf­gang war im­mer mehr zu ei­ner mah­nen­den Er­in­ne­rung an das un­aus­weich­li­che Ende ih­rer Zwei­sam­keit ge­wor­den.

Am Be­ginn ih­rer drit­ten ge­mein­sa­men Wo­che hat­te Ro­berts be­vor­ste­hen­de Ab­rei­se – ob­wohl bis da­hin noch gut zwei Wo­chen Zeit ge­we­sen wa­ren – be­reits einen der­art mäch­ti­gen Schat­ten über ih­ren ge­ra­de erst lang­sam ent­ste­hen­den All­tag ge­wor­fen, dass all das Schö­ne, das sie er­leb­ten, kaum noch im Stan­de ge­we­sen war, dar­aus her­vor­zu­tre­ten und zu strah­len. Ro­bert hat­te be­son­ders dar­un­ter ge­lit­ten. Es war ihm im­mer schwe­rer ge­fal­len, das Un­aus­weich­li­che zu ak­zep­tie­ren und das Jetzt über­haupt noch ge­ni­e­ßen zu kön­nen, ohne da­bei im­mer wie­der in die­sen läh­men­den Zu­stand der Trau­rig­keit zu ver­fal­len.

Er hat­te durch Mila eine neue Art zu le­ben ken­nen­ge­lernt, und je­der Ge­dan­ke dar­an, die­ses Le­ben bald wie­der zu ver­lie­ren und er­neut in sei­nen al­ten, ge­wohn­ten Trott zu­rück­zu­keh­ren, hat­te ihn ge­ängs­tigt – ganz zu schwei­gen da­von, Mila mög­li­cher­wei­se nie wie­der zu se­hen. Die­ser Ge­dan­ke hat­te ihm na­he­zu kör­per­li­che Schmer­zen be­rei­tet.

»Ich hab eine Idee!«, hat­te Mila ei­nes Mor­gens ver­kün­det, nach­dem sie ne­ben ihm auf­ge­wacht war und Ro­bert be­reits wie­der in die­se trü­ben Ge­dan­ken ver­sun­ken am Bett­rand ge­ses­sen hat­te. Ohne jede wei­te­re Er­klä­rung war sie ein­fach aus dem Bett auf­ge­sprun­gen, hat­te Ro­bert zu­erst einen Kuss und dann sei­ne Kla­mot­ten vom vor­he­ri­gen Tag zu­ge­wor­fen und war dann mit ih­rem Han­dy in der Hand im Ba­de­zim­mer ver­schwun­den.

»Komm schon! Zieh dich end­lich an! Wir müs­sen los!«, hat­te sie ihn un­ge­dul­dig auf­ge­for­dert, als sie wie­der aus dem Ba­de­zim­mer her­aus ge­kom­men war und Ro­bert noch im­mer un­ver­än­dert da­ge­s­es­sen hat­te. Und ob­wohl es ihm zu Be­ginn noch schwer ge­fal­len war, aus sei­ner Le­thar­gie auf­zu­t­au­chen, hat­te Mila es mit Hil­fe ei­nes zärt­li­chen Kus­ses und ih­res un­wi­der­steh­li­chen, strah­len­den Lä­chelns doch ge­schafft, dass die bei­den schon we­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter in die Pe­da­le ih­rer Fahr­rä­der ge­tre­ten hat­ten.

Mila war vor­aus­ge­fah­ren und Ro­bert war ihr ohne Wi­der­wor­te und ohne nach­zu­fra­gen, wo­hin ihr mor­gend­li­cher Aus­flug ei­gent­lich ge­hen soll­te, durch die schma­len Gas­sen Ams­ter­dams ge­folgt.

»Komm schon! Nicht so lahm!«, hat­te sie im­mer wie­der über ihre Schul­ter hin­weg nach hin­ten ge­ru­fen und Ro­bert, der die Vor­zü­ge ei­nes vier­und­zwan­zig Gang star­ken Moun­tain­bi­kes ge­wohnt ge­we­sen war, hat­te sich auf dem al­ten, schwa­r­zen Swift-Rad, das Edda ih­nen ge­lie­hen hat­te, schon ziem­lich ins Zeug le­gen müs­sen, um mit Mila mit­hal­ten zu kön­nen. »Schnel­ler!«, hat­te er noch ein­mal ge­hört, wäh­rend er ge­ra­de über eine stark re­no­vie­rungs­be­dürf­ti­ge Kopf­stein­pflas­ter­stra­ße ge­don­nert war und es ihn da­bei so rich­tig durch­ge­beu­telt hat­te.

Zum ers­ten Mal an die­sem Tag hat­ten sich Ro­berts Mund­win­kel je­doch zu ei­nem Lä­cheln ver­zo­gen. Und mit je­dem Schlag­loch, über das die bei­den hin­weg­ge­braust wa­ren, wur­de das Lä­cheln grö­ßer, bis es schon bald in ein lau­tes und aus­ge­las­se­nes Ge­läch­ter ge­mün­det war. Auch Mi­las La­chen war von den Häu­ser­fron­ten wi­der­ge­hallt, und bei je­dem Blick zu­rück zu Ro­bert, der mit aus­ge­streck­ten Bei­nen über das Kopf­stein­pflas­ter ge­pol­tert war und da­bei recht un­be­hol­fen aus­ge­se­hen hat­te, war das La­chen nur noch lau­ter und lau­ter ge­wor­den.

Es war ein­fach nur herr­lich ge­we­sen, durch die fast men­schen­lee­ren Stra­ßen der Stadt zu sau­sen, als wä­ren sie noch Kin­der, de­nen mög­li­che Kon­se­quen­zen nie und nim­mer hät­ten Ein­halt bie­ten kön­nen.

Kurz dar­auf hat­ten sie die In­nen­stadt hin­ter sich ge­las­sen und wa­ren die Beach Line ent­lang in Rich­tung Strand ge­fah­ren. Bei ei­nem klei­nen Back­stein­haus mit grü­nen Fens­ter­lä­den, ei­ner wei­ßen Ein­gangs­tür und ei­nem be­zau­bern­den klei­nen Vor­gar­ten, das sich di­rekt an ei­nem der Ka­nä­le zum Meer be­fand, ganz in der Nähe der Düne, wo Mila und Ro­bert das Pick­nick bei Son­nen­un­ter­gang ge­nos­sen hat­ten, hat­te Mila plötz­lich an­ge­hal­ten. Im sel­ben Au­gen­blick war aus der wei­ßen Tür eine in einen hell­grü­nen flau­schi­gen Mor­gen­man­tel ein­gehüll­te äl­te­re Dame auf­ge­taucht und di­rekt auf sie zu­ge­eilt, als hät­te sie ihre An­kunft be­reits un­ge­dul­dig er­war­tet. Ohne vie­le Wor­te mit ihr zu wech­seln, hat­te sie Mila einen Schlüs­sel­bund über­reicht und war dann auch schon wie­der im Nach­ba­r­haus ver­schwun­den.

Ro­bert hat­te Mila ver­dutzt an­ge­st­arrt.

»Was soll das hier?«

Doch Mila hat­te ein­fach nur ge­lä­chelt.

Dann hat­te sie Ro­bert, ohne auf sei­ne Fra­ge ein­zu­ge­hen, an der Hand ge­nom­men und zum Haus ge­führt.

Vor der Tür war Ro­bert je­doch ste­hen ge­blie­ben. Mila hat­te zwar an ihm ge­zerrt und ge­zo­gen, aber ihr um zwei Köp­fe grö­ße­rer Freund hat­te sich kei­nen Mil­li­me­ter von der Stel­le ge­rührt. Auch die fle­hen­den Bli­cke aus ih­ren tief­blau­en Au­gen, die un­ter ih­rem kur­z­en, blon­den Haar her­vor­strahl­ten, hat­ten ihn nicht dazu ge­bracht, einen Schritt wei­ter­zu­ge­hen.

»Ich geh da erst rein, wenn du mir sagst, was das hier soll!«

»Musst du im­mer al­les so­fort wis­sen?«

Die­ses Mal hat­te Ro­bert nur ge­lä­chelt.

Dar­auf­hin hat­te Mila, zum Zei­chen, dass sie sich sei­ner Stur­heit beu­gen wür­de, ein­mal laut­stark ein- und wie­der aus­ge­at­met und da­bei vor­wurfs­voll ge­seufzt. »Also gut!« Dann hat­te sie ihn zärt­lich an bei­den Hän­den ge­fasst und be­gon­nen zu er­klä­ren. »Ich hab das Haus hier für die nächs­ten zwei Wo­chen ge­mie­tet. So sind wir nicht mehr bei mir in der Woh­nung und du bist nicht nur ein Gast. So ha­ben wir un­ser ge­mein­sa­mes Nest – un­ser ge­mein­sa­mes Häus­chen. Kei­ne Ver­gan­gen­heit – nur das Jetzt. Und viel­leicht fällt es uns ja hier drau­ßen auch leich­ter, nicht dar­an zu den­ken, dass …« Sie hat­te mit­ten im Satz ein­fach auf­ge­hört zu spre­chen, um nach der rich­ti­gen Um­schrei­bung zu su­chen, die Ro­bert nicht au­gen­blick­lich wie­der in sei­ne Trau­rig­keit ver­fal­len ließ. Doch das war nicht mehr nö­tig ge­we­sen. Ro­bert hat­te sich zu ihr ge­beugt, sie ge­küsst und dann wie aus dem Nichts hoch­ge­ho­ben, um sie auf sei­nen Ar­men über die Ein­gangs­schwel­le zu tra­gen.

Mila war der­art über­rascht ge­we­sen, dass sie es ein­fach hat­te ge­sche­hen las­sen. Und es hat­te sich wun­der­voll an­ge­fühlt – wie in ei­nem Traum.

Die nächs­ten bei­den Wo­chen wa­ren voll von solch glü­ck­li­chen und schö­nen Mo­men­ten ge­we­sen und Mila und Ro­bert hat­ten je­den ein­zel­nen da­von ge­mein­sam ge­nos­sen. Der Ge­dan­ke an Ro­berts Ab­rei­se war zwar nicht völ­lig ver­schwun­den ge­we­sen, aber zu­sam­men hat­ten sie es ge­schafft, ihn nicht zu groß und mäch­tig wer­den zu las­sen.

In ih­rer letz­ten ge­mein­sa­men Nacht je­doch, war dies nicht mehr mög­lich ge­we­sen. Sie hat­ten bis spät in die Nacht auf der klei­nen Bank in ih­rem Vor­gar­ten ge­ses­sen und schwei­gend hin­aus ins Dun­kel ge­st­arrt. Auch als sie sich dann für die letz­ten drei Stun­den eng um­schlun­gen in ihr Bett ge­ku­schelt hat­ten, war an Schlaf nicht zu den­ken ge­we­sen. Vier mit Trä­nen ge­füll­te Au­gen hat­ten un­auf­hör­lich Lö­cher in die Zim­mer­de­cke ge­st­arrt, bis beim ers­ten Son­nen­strahl, der durch das klei­ne Schlaf­zim­mer­fens­ter di­rekt auf ihre Bett­de­cke ge­fal­len war, auch schon ihr Han­dy­we­cker ge­läu­tet hat­te. Ohne auch nur ein Wort zu wech­seln, wa­ren sie auf­ge­stan­den und hat­ten sich zur Ab­fahrt be­reit ge­macht.

Am Check-In Schal­ter stan­den die bei­den noch im­mer Hand in Hand in ei­ner schier end­lo­sen Schlan­ge von War­ten­den an. Doch auch die­se Mi­nu­ten ver­stri­chen viel zu schnell und nach­dem Ro­bert ein­ge­checkt und sei­nen Ruck­sack ab­ge­ge­ben hat­te, mach­ten sie sich lang­sam auf den Weg zum an­ge­ge­be­nen Gate.

Auf ih­rem Weg ka­men sie an ei­nem Café vor­bei.

»Wir hät­ten noch et­was Zeit«, sag­te Ro­bert lei­se.

Mila nick­te nur.

Noch nie in ih­rem Le­ben hat­te sie so we­nig ge­spro­chen wie in den letz­ten zwölf Stun­den.

Sie setz­te sich an einen frei­en Tisch, wäh­rend Ro­bert zwei Be­cher Cappuc­ci­no an der Bar be­stell­te. Er reich­te Mila einen da­von und nahm dann ne­ben ihr Platz. Mila hielt sich aus pu­rer Ge­wohn­heit den Be­cher un­ter die Nase und roch dar­an, doch ob­wohl sie es ei­gent­lich nicht er­war­tet hat­te, wur­de sie nicht ent­täuscht. Ein kur­z­er Au­gen­blick der Zu­frie­den­heit über­kam sie.

»Dan­ke«, flüs­ter­te sie.

«Wür­de ich doch nie ver­ges­sen», er­wi­der­te Ro­bert und nahm einen ers­ten Schluck. Der her­be und doch süß­li­che Duft von Zimt stieg ihm da­bei in die Nase und für den Bruch­teil ei­nes Mo­ments war auch für ihn al­les gut.

An der Si­cher­heits­kon­trol­le, die zu den ein­zel­nen Gates und zum Duty-free-Be­reich führ­te, stan­den nur eine Hand­voll Men­schen an.

»Das war’s dann wohl«, sag­te Mila mit zitt­ri­ger Stim­me und um­klam­mer­te Ro­berts Fin­ger noch fes­ter als zu­vor. Ihre Mund­win­kel zuck­ten und ihre Au­gen füll­ten sich er­neut mit Trä­nen.

»Ich kann das nicht«, sag­te Ro­bert plötz­lich.

»Was kannst du nicht?«, schluchz­te Mila.

»Von dir fort­ge­hen«, ant­wor­te­te er knapp. In sei­nem Kopf über­schlu­gen sich die Ge­dan­ken und form­ten da­bei ohne sein Zu­tun plötz­lich einen völ­lig neu­en Plan – eine völ­lig neue Zu­kunft.

Ab­rupt ließ er Mi­las Hand los, drück­te ihr einen fes­ten Kuss auf die Lip­pen und lä­chel­te. Kein er­zwun­ge­nes Lä­cheln wie vor­hin. Nein. Zum ers­ten Mal an die­sem Tag lä­chel­te er sie von Her­zen an. Sei­ne Au­gen fun­kel­ten da­bei und sein Ge­sicht strahl­te ver­schmitzt, als wäre er ein klei­ner Jun­ge, der ge­ra­de et­was aus­heck­te, das ihm mit Si­cher­heit Är­ger ein­brin­gen wür­de.

»Willst du, dass ich blei­be?«

Mi­las Atem stock­te und sie sah Ro­bert ir­ri­tiert an.

»Wie meinst du das?«

»So wie ich es sage! Willst du, dass ich blei­be? Rich­tig blei­be! So für im­mer mein’ ich!«

Mi­las Herz poch­te wie wild, so dass sie es hoch bis in ihre Keh­le spü­ren konn­te, und ihre Hän­de be­gan­nen zu zit­tern. Die­se Fra­ge kam so über­ra­schend, dass sie nicht im Stan­de war, einen kla­ren Ge­dan­ken zu fas­sen. Sie starr­te Ro­bert an und in ih­rem Kopf schwirr­ten statt ei­ner Ant­wort nur un­zäh­li­ge Fra­gen her­um, die sie auch au­gen­blick­lich los­wer­den muss­te. »Und dein neu­er Job? Dei­ne Fa­mi­lie? Dein gan­zes Le­ben in Ti­rol? Dei­ne …«

»Das ist jetzt al­les egal«, un­ter­brach Ro­bert sie. »Willst du es? Ja oder Nein?«

Ob­wohl sich auf ih­ren Lip­pen ein Lä­cheln ab­zeich­ne­te, ran­nen Mila Trä­nen über ihre Wan­gen. »Na­tür­lich will ich das, du Idi­ot! Nichts wür­de ich mir mehr wün­schen!«

In Ro­bert tat sich eine Welt auf, von der er zu­vor nicht ein­mal ge­ahnt hat­te, dass sie über­haupt exis­tier­te. Al­les, wirk­lich al­les in sei­nem Le­ben er­gab plötz­lich Sinn. Sei­ne gan­ze Ver­gan­gen­heit hat­te ihn hier her an die­sen Ort und zu die­ser Frau ge­führt; die Ge­gen­wart half ihm da­bei, sei­ne Au­gen zu öff­nen; und auch sei­ne Zu­kunft be­grüß­te ihn mit of­fe­nen Ar­men und ers­ten mög­li­chen Bil­dern, ohne ihm da­bei je­doch einen vor­ge­ge­be­nen Weg zu wei­sen. Sie prä­sen­tier­te ihm le­dig­lich eine Rich­tung, in der nichts mehr un­mög­lich schien. Er fühl­te sich le­ben­dig wie an je­nem Tag, als sie auf der Stra­ße ge­tanzt hat­ten – und zum ers­ten Mal in sei­nem Le­ben zwei­fel­te er sei­ne ei­ge­nen Ge­füh­le und Be­dürf­nis­se nicht mehr an, son­dern ließ sie ein­fach zu.

End­lich war er be­reit, Mila das zu sa­gen, was vom ers­ten Au­gen­blick an, als er ihr in die­ser Bä­cke­rei ge­gen­über­ge­stan­den hat­te, schon klar ge­we­sen war, ihm je­doch auf­grund ih­rer be­grenz­ten ge­mein­sa­men Zeit als un­pas­send und Mila ge­gen­über als un­fair er­schie­nen hat­te.

»Ich lie­be dich«, flüs­ter­te er.

Nun war es end­lich raus.

»Ich lie­be dich auch«, hauch­te Mila, ohne auch nur eine Se­kun­de zu zö­gern.

All ihre trü­ben Ge­dan­ken wa­ren mit ei­nem Schlag er­lo­schen und ihr Herz ju­bi­lier­te. Durch ih­ren Bauch schwirr­ten tau­sen­de Schmet­ter­lin­ge. Sie hat­te sich so sehr nach die­sen Wor­ten aus Ro­berts Mund ge­sehnt. Nun war es end­lich so weit. Sie warf ihre Arme um Ro­bert und drück­te sich so fest sie nur konn­te an ihn.

Eng um­schlun­gen und frei von al­lem Kum­mer und al­len Zwei­feln ver­harr­ten sie, bis eine me­tal­lisch klin­gen­de weib­li­che Stim­me aus den Laut­spre­chern er­tön­te.

»Fi­nal boar­ding call for flight 996, non­stop ser­vice to Inns­bruck air­port, now boar­ding through gate nine!”

»Und jetzt?«, frag­te Mila, ließ Ro­bert los und starr­te ihn mit gro­ßen, fra­gen­den Au­gen an.

»Ganz ein­fach«, be­gann Ro­bert. »Jetzt wird al­les gut. Ich steig’ in die­sen ver­damm­ten Flie­ger ein, sag mei­nem Va­ter, dass ich den Job in sei­ner Fir­ma nicht an­neh­men wer­de, kün­di­ge mei­ne Woh­nung, pa­cke mei­ne Sa­chen ins Auto und bin spä­tes­tens in ei­ner Wo­che wie­der hier bei dir. Okay?«

»Okay«, er­wi­der­te Mila noch et­was zag­haft, da sie erst all­mäh­lich be­griff, dass dies hier kein Ab­schied son­dern der Be­ginn ih­rer ge­mein­sa­men Zu­kunft war. Trotz­dem fiel es ihr schwer, Ro­bert nun doch ein­fach so ge­hen zu las­sen – auch wenn es nur für we­ni­ge Tage war. »Eine Wo­che?«, wie­der­hol­te sie. »Eine Wo­che«, be­stä­tig­te Ro­bert.

»Gut!« Er­neut schlang sie ihre Arme um ihn. »Eine Wo­che und kei­nen Tag mehr«, flüs­ter­te sie und küss­te dann im­mer und im­mer wie­der sein Ge­sicht. »Ver­spro­chen?«

»Ver­spro­chen!«, er­wi­der­te Ro­bert und muss­te da­bei la­chen. »Ich muss jetzt los!«

»Oh! Klar! Sor­ry!« Mila ließ von Ro­bert ab und strahl­te ihn glü­ck­lich an.

»Also! Bis gleich«, sag­te Ro­bert und hät­te bei die­sen schlich­ten, doch für ihn so be­deu­tungs­vol­len Wor­ten am liebs­ten die gan­ze Welt um­armt.

»Bis gleich«, hauch­te Mila.

Sie ga­ben sich noch einen schnel­len, aber da­durch nicht we­ni­ger lie­be­vol­len Kuss und Ro­bert be­gab sich zum Si­cher­heits­kon­troll­punkt, wäh­rend sich Mila, die nicht mehr auf­hö­ren konn­te zu lä­cheln, nicht vom Fleck rühr­te und ihre gro­ße Lie­be kei­nen Mo­ment aus den Au­gen ließ.

Ro­bert leg­te sei­ne Geld­ta­sche, den Schlüs­sel, sei­nen Gür­tel und das Han­dy in den klei­nen, blau­en Plas­tik­korb am Fließ­band, ging durch den Kör­pers­can­ner, sam­mel­te sei­ne Hab­se­lig­kei­ten wie­der ein, warf Mila noch einen letz­ten Blick und einen letz­ten Kuss zu und ver­schwand dann hin­ter der au­to­ma­ti­schen Schie­be­tür zum Si­cher­heits­be­reich.

Mila stand noch ei­ni­ge Mi­nu­ten da und ihr Blick ver­harr­te auf der Tür, durch die ihr Liebs­ter ge­gan­gen war. »Bis gleich«, flüs­ter­te sie noch ein­mal und ver­ließ dann mit dem­sel­ben Lä­cheln im Ge­sicht, das sie Ro­bert zu­vor mit auf den Weg ge­ge­ben hat­te, den Flug­ha­fen.

Auch Ro­bert trug wäh­rend des ge­sam­ten Flug­es ein lei­ses Schmun­zeln auf den Lip­pen. We­der sei­ne Ge­dan­ken an das an­ste­hen­de Ge­spräch mit sei­nem Va­ter noch sein grim­mi­ger Sitz­nach­bar, der sich mit Ro­bert einen un­er­bitt­li­chen Kampf um die Arm­leh­ne lie­fer­te und ihn schon bei der kleins­ten Kör­per­be­rüh­rung mit ei­nem bit­ter­bö­sen Blick straf­te, konn­ten ihm sei­ne Leich­tig­keit und sein Strah­len neh­men.

So­gar nach­dem er ge­lan­det war, war die­ses be­le­ben­de Ge­fühl im­mer noch so prä­sent wie bei sei­nem Ab­flug und er durch­quer­te lie­bes­trun­ken und leicht­fü­ßig die An­kunfts­hal­le des Inns­bru­cker Flug­ha­fens. Er trat hin­aus ins Freie und war be­reit, sich in al­ler Wür­de und mit rei­nem Ge­wis­sen von sei­ner Hei­mat­stadt und sei­nem bis­he­ri­gen Le­ben zu ver­ab­schie­den. Mi­las Lä­cheln be­glei­te­te ihn auf je­dem Me­ter und ihre süße, zar­te Stim­me hall­te mit den schlich­ten Wor­ten »Bis gleich« in sei­nen Oh­ren nach.

Das Auto, das viel zu schnell die Ga­ra­ge­n­aus­fahrt her­aus­ge­schos­sen kam, hat­te er we­der ge­hört noch ge­se­hen. Ro­bert spür­te nur noch den dump­fen Auf­prall und die Welt um ihn her­um ver­sank in ei­nem tief­schwa­r­zen Nichts.

Ka­pi­tel 1

Ein lei­ses Knar­ren riss An­drea aus ih­rem oh­ne­hin leich­ten Schlaf. Sie öff­ne­te die Au­gen, konn­te aber le­dig­lich die Um­ris­se ei­nes Schat­tens er­ken­nen, der sich lang­sam ne­ben ihr er­hob – aber die­ser schreck­te sie nicht. Sie knips­te ihre Nacht­tisch­lam­pe an, setz­te sich auf und sah ih­ren Ver­lob­ten, wie schon so oft in den letz­ten Näch­ten, mit dem Rü­cken zu ihr am Bett­rand sit­zen. Zärt­lich leg­te sie die Hand auf sei­ne Schul­ter.

»Al­les okay, Lieb­ling?«

»Ja, al­les gut«, er­wi­der­te er. »Schlaf ru­hig wei­ter.«

An­drea beug­te sich zu ihm hin­über, küss­te ihn sanft auf den Nacken und ließ sich dann wie­der gäh­nend zu­rück auf ihr Kis­sen sin­ken. Es dau­er­te kei­ne Mi­nu­te und sie war auch schon wie­der ein­ge­schla­fen.

Ro­bert blieb noch einen Au­gen­blick lang sit­zen, dann stand er lei­se auf. Er schlüpf­te in sei­nen grau­en Mor­gen­man­tel und ver­ließ ihr ge­mein­sa­mes Schlaf­zim­mer. Er ging in die Kü­che, schenk­te sich ein Glas Milch ein, stell­te sich ans Fens­ter, trank einen Schluck und be­ob­ach­te­te den sich lang­sam aus­brei­ten­den Mor­gen. Sei­ne Ge­dan­ken kreis­ten da­bei wie im­mer in den letz­ten Ta­gen um das ewig sel­be The­ma – um den ewig sel­ben Traum. Doch er war zu­ver­sicht­lich, dass es bald so­weit sein wür­de und das al­les ein Ende oder bes­ser ge­sagt einen Neu­an­fang mit sich brin­gen wür­de.

Nach­dem er eine Wei­le so da­ge­stan­den hat­te, knips­te er die in­di­rek­te Be­leuch­tung der Kü­chen­zei­le an. Die Welt vor dem Fens­ter war mit ei­nem Schlag in der noch vor­herr­schen­den Dun­kel­heit ver­schwun­den und in der Fens­ter­schei­be spie­gel­te sich nur noch sein Ge­sicht wi­der. Wie fern­ge­steu­ert ließ er den Zei­ge­fin­ger über die si­chel­för­mi­ge Na­r­be wan­dern, die über sei­nem lin­ken Auge prang­te. Er konn­te nach all der Zeit noch im­mer die leich­te Wöl­bung spü­ren, die – egal ob im Win­ter oder Som­mer – stets blas­ser als der Rest sei­nes Ge­sichts war. Und so­gar in sei­nem leicht ver­schlei­er­ten Spie­gel­bild stach sie hell schim­mernd her­vor. Zum ers­ten Mal je­doch ließ sich bei die­sem An­blick ein Lä­cheln auf Ro­berts Lip­pen nie­der. Ro­bert war vol­ler Hoff­nung.

Frü­her hat­te Ro­bert die­se Na­r­be und al­les wo­für sie in sei­nen Au­gen ge­stan­den hat­te ge­hasst. Sie war für ihn das Sinn­bild der Amne­sie ge­wor­den, un­ter der er seit sei­nem schwe­ren Un­fall litt – sei­ner Be­hin­de­rung, wie es sein Va­ter nann­te. Und auch wenn sich die Amne­sie auf nur vier Wo­chen be­schränk­te – ein ver­hält­nis­mä­ßig kur­z­er Zeit­raum, wenn man ihn den üb­ri­gen ein­und­drei­ßig Jah­ren sei­nes Le­bens ge­gen­über­stell­te – in de­nen er oh­ne­hin nichts wei­ter als eine Ver­gnü­gungs­rei­se quer durch Eu­r­o­pa ge­macht hat­te, hat­te sich Ro­bert des­we­gen stets un­voll­stän­dig, um Er­fah­run­gen be­tro­gen und nicht zu­letzt im­mer ir­gend­wie krank und schwäch­lich ge­fühlt.

»Oh Mann, jetzt jamm­re nicht rum«, hat­te Kris, Ro­berts bes­ter Freund, be­reits vor knapp zwei Jah­ren zu ihm ge­sagt, nach­dem Ro­bert ver­sucht hat­te, ihm sei­ne be­klem­men­den und al­les er­drü­cken­den Ge­füh­le auf­grund der Amne­sie und eben die­ser Na­r­be zu schil­dern. »Da fehlt mir ein­deu­tig mehr Zeit aus mei­ner Ver­gan­gen­heit als dir. Und ich habe da­für kei­nen Un­fall ge­braucht. Ein paar gute Par­tys und so ei­ni­ge durch­ge­mach­te Näch­te ha­ben da­für ge­reicht. Und glaub mir, bei so man­chen Er­in­ne­run­gen bin ich froh, dass sie sich aus mei­nem Ge­dächt­nis ver­ab­schie­det ha­ben.« Da­bei hat­te Kris kurz ge­grinst und sich eine neue Zi­ga­ret­te mit der Glut der al­ten an­ge­zün­det. »Sei froh, dass du über­haupt noch hier bist – dass du lebst. Du hät­test bei die­sem ver­damm­ten Un­fall auch ge­nau­so gut ab­krat­zen kön­nen. Bist du aber nicht. Und dein Kör­per war wirk­lich im Arsch. Kannst du dich noch an die ers­ten bei­den Mo­na­te er­in­nern, in de­nen ich dich im Roll­stuhl vor mir her­ge­scho­ben habe? Ich mich noch sehr gut! Ich kann mich auch noch dar­an er­in­nern, dass du da­mals nie rum­ge­jam­mert hast. Du hast ein­fach nur hart und kon­se­quent an dir ge­ar­bei­tet, trai­niert und nie­mals auf­ge­ge­ben. Du brauchst in­zwi­schen nicht ein­mal mehr Krü­cken – und das grenzt schon bei­na­he an ein Wun­der. Aber we­gen ei­ner Na­r­be und ein paar Er­in­ne­run­gen willst du jetzt plötz­lich ein­kni­cken? Schei­ße! Hör ein­fach nur da­mit auf, in dei­ner Ver­gan­gen­heit rum­zu­wüh­len, und schau nach vor­ne, dann spielt das al­les bald kei­ne Rol­le mehr. Die Ver­gan­gen­heit ist vor­bei, dei­ne Zu­kunft aber steht dir noch völ­lig of­fen.«

Die­se Wor­te hat­ten da­mals Wir­kung ge­zeigt. Zwar hat­te Ro­bert sei­ne Na­r­be des­we­gen nicht bes­ser lei­den kön­nen, aber er hat­te da­mit be­gon­nen, sie ein­fach zu igno­rie­ren. Und egal ob er sich von da an im Spie­gel oder auf ei­nem Foto be­trach­tet hat­te, sein Ver­stand war im­mer bes­ser dazu im Stan­de ge­we­sen, die Na­r­be ein­fach aus­zu­blen­den, als wäre sie gar nicht da ge­we­sen.

Er hat­te es ge­schafft, einen Teil sei­ner Ver­gan­gen­heit, den er oh­ne­hin nicht kann­te, zu be­gra­ben und nur noch sei­ne Zu­kunft an­zu­vi­sie­ren. Da­durch hat­te er ge­wis­ser­ma­ßen auch sei­ne Amne­sie be­siegt. Zwar wa­ren sei­ne Er­in­ne­run­gen an die­ses eine Mo­nat nie zu­rück­ge­kom­men, aber sie hat­ten ir­gend­wann ein­fach kei­ne Rol­le mehr für ihn und sein wei­te­res Le­ben ge­spielt.

Und das hät­ten sie ver­mut­lich auch wei­ter­hin nicht ge­tan, wenn die­se Träu­me nicht vor we­ni­gen Wo­chen be­gon­nen hät­ten – oder prä­zi­ser aus­ge­drückt, die­ser eine Traum, der sich Nacht für Nacht in sei­ne Ge­dan­ken schlich und des­sen Hand­lung von Tag zu Tag leicht va­ri­ier­te.

Sei­ne Amne­sie war mit ei­nem Male wie­der all­ge­gen­wär­tig. Egal ob er ar­bei­te­te, mit An­drea beim Es­sen saß, eine sei­ner ge­lieb­ten Se­ri­en auf Net­flix schau­te oder in der Stra­ßen­bahn auf sei­nem Ta­blet Zei­tung las.

Doch die­ses Mal fühl­te es sich an­ders an als noch vor zwei Jah­ren. Der Frust von da­mals hat­te sich in eine Art Eu­pho­rie ge­wan­delt. Und die Na­r­be spie­gel­te plötz­lich nicht mehr sei­nen Ver­lust son­dern sei­ne Hoff­nung wi­der – Hoff­nung, dass die­ser eine Traum, der ihn Nacht für Nacht be­such­te, ihm sein ver­ges­se­nes Le­ben zu­rück­brin­gen wür­de.

Den In­halt die­ses Trau­mes konn­te er zwar noch nicht wirk­lich deu­ten, da er et­was Ab­sur­des und nicht Greif­ba­res an sich hat­te und es ihm da­durch schwer fiel, ihn mit re­a­len Be­ge­ben­hei­ten, an­de­ren Er­in­ne­run­gen, die nicht sei­ner Amne­sie zum Op­fer ge­fal­len wa­ren, oder auch Er­leb­nis­sen aus sei­ner Ver­gan­gen­heit in Ver­bin­dung zu brin­gen. Aber er spür­te mit je­der Nacht mehr und mehr, dass die Bil­der, die dar­in vor­ka­men, so­wie die­ses blon­de, weib­li­che, fast schon en­gel­haf­te We­sen, das dort nie von sei­ner Sei­te wich, ihm et­was Be­stimm­tes zei­gen woll­ten. Er wuss­te nur nicht ge­nau, was es war.

An­drea hat­te er noch nichts von die­sem Traum er­zählt. Er hät­te auch nicht die ge­rings­te Ah­nung ge­habt, was er ihr ge­nau hät­te sa­gen sol­len.

Auf die­se Frau, die ihn da­bei stets an der Hand durch die Stra­ßen die­ser ihm nicht be­kann­ten aber trotz­dem so ver­traut wir­ken­den Stadt führ­te und in ihm Ge­füh­le wie Ge­bor­gen­heit, Zu­ver­sicht und Ge­las­sen­heit weck­te, wäre sie mit Si­cher­heit nicht gut zu spre­chen ge­we­sen. Seit sie mich in die­sem Traum be­sucht, wirkt mein re­a­les Le­ben plötz­lich grau und fast schon lieb­los, wäre auch kei­ne ide­a­le Er­öff­nung für ein Ge­spräch ge­we­sen – auch wenn es zum Teil der Wahr­heit ent­sprach. Doch wel­che Ver­lob­te auf die­ser Welt wäre schon glü­ck­lich, dies von ih­rem zu­künf­ti­gen Ehe­mann zu hö­ren?

So hat­te er be­schlos­sen ab­zu­war­ten, die­sen im­mer wie­der­keh­ren­den Traum zu be­ob­ach­ten und wei­ter­hin zu hof­fen, dass ir­gend­wann ein­fach nur ein Schal­ter an­ging, sich sei­ne Er­in­ne­run­gen mit ei­nem Schlag wie­der klar und deut­lich in sei­nem Ge­dächt­nis ein­nis­te­ten und er und sei­ne kom­plet­te Ver­gan­gen­heit wie­der eins wä­ren. Dann erst wür­de er auch An­drea ein­wei­hen, ohne sie zu­vor auf­grund von ir­gend­wel­chen Träu­men un­nö­tig be­un­ru­hi­gen oder gar ver­let­zen zu müs­sen.

Er goss die noch üb­ri­ge Milch aus sei­nem Glas in sei­nen ge­lieb­ten Milch­schäu­mer, den er sich vor knapp drei Jah­ren, kurz nach­dem er aus dem Kran­ken­haus ent­las­sen wor­den war, ge­kauft hat­te, und stell­te ihn an. Er schal­te­te die Kaf­fee­ma­schi­ne ein, war­te­te ge­dul­dig auf den Pieps-Ton, der ihm be­deu­te­te, dass die Ma­schi­ne aus­rei­chend auf­ge­heizt hat­te und be­rei­te­te sich dann sei­nen mor­gend­li­chen Cappuc­ci­no zu. Sorg­fäl­tig ließ er da­bei eine Bri­se Zimt auf die wei­ße Schaum­hau­be rie­seln, griff dann mit blo­ßen Fin­gern in die Ka­kao­pa­ckung und ver­streu­te die gro­ben, brau­nen Kör­ner gleich­mä­ßig auf der luf­ti­gen Kro­ne. Der her­be und doch zu­gleich süße Duft, der sich in die­sem Au­gen­blick ent­fal­te­te, schenk­te ihm für einen Mo­ment Ruhe und Zu­frie­den­heit und sei­nen Ge­dan­ken all­mäh­lich wie­der Platz, um sich ei­nem neu­en Tag zu stel­len – ei­nem re­a­len Tag, der sich au­ßer­halb sei­nes Trau­mes be­fand.

Er setz­te sich an den Kü­chen­tisch, nipp­te an sei­ner Tas­se und be­gann da­mit, die To-do-Lis­te für heu­te auf sei­nem Ta­blet zu no­tie­ren. Auch wenn Sonn­tag war, stand ihm ein ar­beits­rei­cher Tag im Büro be­vor und die­ser ge­hör­te akri­bisch ge­nau ge­plant, um jede Mi­nu­te sinn­voll nut­zen zu kön­nen.

---ENDE DER LESEPROBE---