Millionäre küsst man (nicht) - H.C. Hope - E-Book
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Millionäre küsst man (nicht) E-Book

H. C. Hope

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Beschreibung

Gegensätze küssen gut …
Der humorvolle Liebesroman vor der wunderschönen Kulisse Londons

Tessie liebt ihren Job als Postbotin – eigentlich. Denn nach einer Beförderung muss sie täglich die Post der Reichen und Schönen zustellen, obwohl sie die oberflächliche Welt der High Society hasst. Doch damit nicht genug: Als Tessie den arrogante CEO Quinn McLion spontan aus einer prekären Situation rettet, müssen die beiden ungewollt einige Tage miteinander verbringen. Und es kommt noch schlimmer. Quinn bittet sie, in die Rolle seines Dienstmädchens zu schlüpfen. Eine mittlere Katastrophe für Tessie, dennoch stimmt sie zu. Wenn Quinn allerdings glaubt, dass Tessie ihn von vorne bis hinten bedient, hat er sich geschnitten. Zwischen den beiden sprühen sofort die Funken, und als Tessie einen Blick hinter Quinns Fassade erhascht, bröckelt das Bild, das sie von dem reichen Kotzbrocken hat …
Wird Tessie ihre Vorurteile ablegen können oder stehen sie zwischen den beiden?
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des Romans Millionäre küsst man nicht

Erste Leserstimmen
„humorvoll und knisternd, genau die richtige Mischung“
„Das Setting ist super! Es macht Spaß, sich mit Tessie in die Welt der Schönen und Reichen zu begeben, vor allem weil sie so viele Vorurteile hat ...“
„Dieser Liebesroman hat mir das Wochenende versüßt und mich nach London enführt, ich wünschte, ich wäre immer noch dort!“
„die Autorin hat einen unglaublich angenehmen Stil, mit dem sie die Charaktere detailliert und liebenswert darstellt“
„Ich konnte diesen Roman nicht aus der Hand legen, denn die Protagonistin hat mich so sehr an mich selbst erinnert – einfach toll.“

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Seitenzahl: 408

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Über dieses E-Book

Tessie liebt ihren Job als Postbotin – eigentlich. Denn nach einer Beförderung muss sie täglich die Post der Reichen und Schönen zustellen, obwohl sie die oberflächliche Welt der High Society hasst. Doch damit nicht genug: Als Tessie den arrogante CEO Quinn McLion spontan aus einer prekären Situation rettet, müssen die beiden ungewollt einige Tage miteinander verbringen. Und es kommt noch schlimmer. Quinn bittet sie, in die Rolle seines Dienstmädchens zu schlüpfen. Eine mittlere Katastrophe für Tessie, dennoch stimmt sie zu. Wenn Quinn allerdings glaubt, dass Tessie ihn von vorne bis hinten bedient, hat er sich geschnitten. Zwischen den beiden sprühen sofort die Funken, und als Tessie einen Blick hinter Quinns Fassade erhascht, bröckelt das Bild, das sie von dem reichen Kotzbrocken hat … Wird Tessie ihre Vorurteile ablegen können oder stehen sie zwischen den beiden?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des Romans Millionäre küsst man nicht.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Juli 2021

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96817-588-1 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-938-4 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-961-2

Copyright © 2019, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH, Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2019 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH, erschienenen Titels Millionäre küsst man nicht (ISBN: 978-3-96087-857-5).

Covergestaltung: Anne Gebhardt Bildnachweis unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © deagreez , © kbarzycki Lektorat: Lektorat Reim

E-Book-Version 09.04.2024, 11:46:16.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Millionäre küsst man (nicht)

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Millionäre küsst man (nicht)
H.C. Hope
ISBN: 978-3-96817-961-2

Gegensätze küssen gut …Der humorvolle Liebesroman vor der wunderschönen Kulisse Londons

Das Hörbuch wird gesprochen von Sarah Dorsel.
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Für meinen kleinen Löwen, dessen Tatzen die Welt erkunden, und für alle Postboten, die jeden Tag pünktlich unsere Post ausliefern.

Vorwort

Wow. Millionäre küsst man (nicht) bekommt einen Relaunch. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als die E-Mail meiner Projektmanagerin Alex dazu eintrudelte.

Die Geschichte rund um Tessie, Quinn und Pudeldame Princess war und ist noch heute etwas Besonderes für mich. Sie ist der Grundstein meines Einstiegs in das Romance-Genre, das ich noch gut ein Jahr, bevor diese Geschichte entstand, verteufelte. Ich, als eingefleischte Fantasy- und Romantasyleserin, wollte nicht zugeben, dass auch das Romance Genre seinen Charme besitzt. Und wisst ihr was? Mittlerweile schreibe ich diese Liebesgeschichten gerne.

Tessie fiel mir in den Schoß, als ich mich (nicht ganz freiwillig) dazu entschlossen habe, mich an einer Romance zu versuchen. Sofort war Tessies tollpatschiges Wesen in meinem Kopf und die giftige kleine Pudeldame Princess, die vermutlich von der ehemaligen Rauhaardackeldame meiner Patentante inspiriert wurde. Diese war zeitlebens wählerisch, wem sie wohlwollend begegnete und wer ihrer Meinung nach ein paar Wadenbisse verdient hatte (meine Waden blieben heil ...).

Ich fing also Feuer, um eine wählerische Pudeldame zu erschaffen, und nach nur zwei Stunden saß ich vor dem fertigen Exposè zu Tessies und Quinns Geschichte. Zunächst war das unfassbar, dass es mir so leicht fiel, diesen Plot zu spinnen. Auch mit den ersten Sätzen des Manuskriptes spürte ich, wie mühelos mir die Szenen aus den Fingern flossen und wie viel Spaß mir die Royal-Mail-Touren durch London bereiteten. Ein Volltreffer! 

Sowieso, weil ich Londons Kulisse liebe. Warum also hatte ich mich gegen das Schreiben von Liebesgeschichten gewehrt?

Ich weiß es nicht.

Wäre Tessie nicht gewesen, würde ich vermutlich heute noch hadern, ob ich einen Liebesroman schreibe, oder nicht. Und nun feiere ich bald die dritte Liebesroman-Veröffentlichung. Verrückt, oder?

Das Leben spielt manchmal so herrlich unerwartet, mitunter chaotisch, aber immer so, dass es einen aus der Komfortzone wirft. Und wisst ihr was? Das ist gut so, denn sonst würden wir stagnieren und der großartige Fluss an Möglichkeiten, die das Leben bietet, ungenutzt an uns vorbeiziehen.

Heute sehe ich mich als Autorin für Liebesgeschichten, realistische Jugendbücher, Jugendthriller, New-Adult-Bücher, Young-Adult-Bücher, Fantasyromane und Romantasyromane. Ich kann noch nicht mal ausschließen, dass irgendwann ein historischer Roman folgt ;).

Springt man einmal über seinen Schatten, springt man auch ein zweites Mal ... 

Ich hoffe, ihr seid gerüstet für euren Sprung!

Alles Liebe!

Eure H.C. Hope / Heidi 

Kapitel 1

„Shit!“ Mein Blick verfolgte entsetzt die Briefe, die der raue Wind auf Londons Asphalt fegte. Die Schnallen meiner roten Royal-Mail-Austragetasche hatten sich geöffnet. Der Inhalt, mein Job, präsentierte sich mir nun wild verstreut auf dem Boden.

„Argh!“ Ich warf die Hände in die Luft und musste das Bild eines trotzigen Kleinkindes abgeben. Zugegeben, das war mir egal. Mein heutiger Tag war definitiv alles andere als der wünschenswerte „happy monday“. Er gehörte eher zur Kategorie „worst day ever“.

Mrs Macintosh, deren braune Augen neugierig blitzten, rückte ihr graues Haarnestchen mit pikiertem Gesichtsausdruck zurecht. Sie sah mich vorwurfsvoll an.

Verdammt! Ich hatte kurzzeitig die Fassung verloren und gegen die Freundlichkeitsgebote der Royal Mail verstoßen.

Als Briefträger sollte man stets ein Lächeln auf den Lippen tragen, höflich sein und den Menschen ein gutes Gefühl vermitteln. Auch wenn der Stapel Briefe, den sie entgegennehmen, manchmal nur Rechnungen enthält.

Seufzend zwang ich mich zu einem entschuldigenden Lächeln, aber Mrs Macintosh war schon hinter ihren Buchsbaumhecken verschwunden. Sie war eine typische Londoner Lady, die großen Wert auf Manieren legte.

Frustriert sammelte ich die Briefumschläge auf und verstaute sie in meiner Austragetasche, die auf dem klapprigen Gepäckträger des Royal-Mail-Fahrrads festgezurrt war. Ich konnte nicht ausschließen, dass einer der Umschläge im Gulli gelandet oder vom Wind weitergefegt worden war.

Nach meinem Kaffee-Desaster heute Morgen, bei dem ich das braune Gebräu im Post Office gekonnt auf einige Pakete verteilt hatte, war das nun das zweite Vorkommnis, das ich meinem Chef melden müsste.

Diese Tollpatschigkeit würde mir noch den Lebenslauf versauen, denn ich liebte meinen Job und wollte bei der Royal Mail bleiben.

Rasch sah ich auf die Armbanduhr und stellte fest, dass sich trotz Malheur noch kein erheblicher Zeitverzug in meine Planung eingeschlichen hatte. Erleichtert checkte ich die Lavender Hill, in der sich unser Delivery Office befand. Jeden Morgen startete ich meine Tour dort und bog dann links in die Dorothy Road ab.

Kurzerhand zog ich das Diensthandy aus meiner roten Uniform und wählte grimmig die Nummer des Office.

Die Ansage unserer Sekretärin Abby schallte durch das Telefon und ich verdrängte meinen Ärger, um einigermaßen freundlich zu bleiben. „Abby, hi, ich bin es, Tessie“, nuschelte ich ins Handy.

„Tessie, wie gut, dass du dich meldest. Was gibt es?“, schnarrte ihre glockenhelle Stimme und ich musste trotz mieser Laune lächeln.

Abby war eine blonde Frohnatur, die jeder direkt ins Herz schloss. Mit ihrer offenen Art schaffte sie es, dem grimmigsten Londoner Rentner ein Schmunzeln auf die Lippen zu zaubern. Sie war die gute Seele des Office und ihr zahnpastaweißes Lächeln hatte zeitweise auf den roten Bussen geprangt, die bildungshungrige Touristen durch die Straßen bugsierten. Sie war unser Aushängeschild.

„Mir ist da was passiert …“, begann ich und wurde durch ihr hohes Kichern unterbrochen.

„Okay, was ist es dieses Mal? Hast du wieder einen verlassenen Kater gefunden, der ins Tierheim muss? Oder deine Uniform mit Chai Latte verziert?“

„Das ist nicht witzig!“, schimpfte ich und erinnerte mich ungern an die Szene, als ich Kitty, einen ungepflegten Kater, unbedingt während meiner Schicht ins Tierheim befördern musste, um dann festzustellen, dass er Mrs Macintosh gehörte.

Jepp, bei der alten Dame war ich mit meinem bravourösen Auftritt von vorhin jetzt erst recht unten durch.

„Also Schätzchen, du hast später sowieso einen Termin bei Larry. Kann es bis dahin warten?“ Ich hörte ihr Tastaturtippen.

„Ich habe einen Termin bei Larry?“, fragte ich entsetzt und sah sein wutentbranntes Gesicht mit den braunen Glubschaugen schon vor mir. Er würde toben.

„Ja, gleich nach deiner Schicht.“

„Weißt du, worum es da geht?“ Ich schickte Stoßgebete in den Himmel, die meine Kündigung verhindern sollten.

Ich wusste, dass es nicht leicht mit mir war. Denn die verlorenen Briefe waren jetzt schon der dritte Fauxpas diesen Monat. Aber mich deswegen zu kündigen wäre vermutlich ungerecht.

Larry war der typische Chef, der Wert auf Etikette, Höflichkeit und Zahnpastalächeln legte.

Sicher, ich war keine unfreundliche Person, im Gegenteil, die meisten meiner Kunden öffneten mir gerne die Tür oder versorgten mich mit Gebäck und Tee. Trotzdem lieferte mich meine Tollpatschigkeit oftmals Larrys Ärger aus.

„Nein, Darling. Aber es klang wichtig und er hat gute Laune heute“, merkte Abby zuversichtlich an.

Ich holte tief Luft und seufzte. Immerhin hatte er gute Laune. Das bedeutete, meine Kaffeesprenkelpakete waren keine Katastrophe für ihn.

„Bist du noch dran?“, erkundigte sich Abby, die ich mit meinem Schweigen wohl hingehalten hatte.

„Ja.“

„Nimm es nicht so schwer. Larry steht auf deinen Hundeblick. Das weißt du doch. Er hat dir bisher alles verziehen. Das liegt auch an deiner schnuckeligen Stupsnase.“

Ich zog eine Grimasse. Mit meinen grünen Augen, den zarten Sommersprossen und der kleinen Stupsnase war ich eine durchschnittlich attraktive Londoner Briefträgerin.

„Okay“, antwortete ich und schob mein Fahrrad an die Kreuzung zur Dorothy Road, während ich das Handy mit der Schulter an mein Ohr drückte.

„Falls es nicht wieder ein heimatloser Kater ist oder ein verschütteter Chai Latte auf deiner Uniform, ist es halb so wild, Tessie.“

„Na ja, also da war dieser Windstoß …“, erklärte ich zögernd und Abby kicherte.

„Ich schätze, ein paar Briefe sind jetzt auf dem Weg nach Timbuktu“, presste ich schuldbewusst hervor.

„Halb so wild Tessie, ich erstelle eine Verlustanzeige, wenn du mir nach deiner Schicht verrätst, bei wem du keine Post eingeworfen hast. Das ist jedem schon passiert. Frag mal Larry nach seiner aktiven Zeit, der hat einige Schoten auf dem Kerbholz“, erklärte sie und gab mir das Gefühl, nicht nur aus tollpatschigen Flausen im Kopf zu bestehen.

„Danke, Abby“, erwiderte ich erleichtert und fuhr den Fahrradständer aus, um das rote Gefährt abzustellen.

„Alles klar, das kostet dich einen Drink im Finnigan’s nach Dienstschluss.“ Das konnte ich ihr nicht abschlagen.

Ich mochte Abby vom ersten Tag an bei der Royal Mail. Sie nahm mich unter ihre gütigen Fittiche und weihte mich in die Geheimnisse der Postroboter, die jeden Morgen geschäftig die Post sortierten, ein.

Außerdem wusste sie gefühlt alles über die Mitarbeiter. Die Kenntnisse von Singlestatus, Fremdgehstatus und Exbeziehungen waren nur einige Vorzüge ihres allumfassenden Wissens. Wobei ich mich zum Singlestatus dazuzählen konnte.

Gott, ich wusste gar nicht mehr, wie lange meine letzte Beziehung schon her war. Definitiv zu lang!

Mit meinen fünfundzwanzig wünschte ich mir wie jede andere Frau in dem Alter endlich den EINEN Kerl zu treffen.

Bevor meine Gedanken zum Traumprinzen in weißer Rüstung auf dem rassigen Hengst schweifen konnten, erinnerte ich mich, dass Abby auf meine Antwort wartete.

„Okay, der Drink nach Dienstschluss geht auf mich“, sagte ich und beendete das Gespräch. Rasch schob ich das Handy in meine Royal-Mail-Jacke und griff zur Austragetasche, um die Briefe für die nächsten Häuser der Dorothy Road herauszukramen.

Das vertraute Geräusch der klappernden Briefschlitze besänftigte meine Nervosität wegen des bevorstehenden Termins mit Larry. Ich hatte keine Vorstellung davon, was er von mir wollte und hoffte, er war nicht auf ein Date oder Ähnliches aus. Sicher, mir waren seine Blicke im Office nicht entgangen. Das nette Grinsen hier, das zufällige Berühren meines Armes dort.

Larry war Mitte vierzig und sah mit dem schwarzen dichten Haar, das von einzelnen grauen Strähnen durchzogen war, unverschämt attraktiv aus, gehörte aber trotzdem nicht zu meinem Beuteschema. Vom Altersunterschied ganz zu schweigen. Ich schüttelte den Gedanken ab. Okay, ich musste mich definitiv an der Grenze zum Verrücktwerden befinden, wenn ich schon über die Optik meines Chefs nachdachte. Ich hatte dringend mal wieder ein Date nötig.

Ich fasste den Entschluss, meine Mitbewohnerin Kelly, die gleichzeitig meine beste Freundin war, am Wochenende zu einem Discobesuch zu nötigen.

Kelly war zwar glücklich vergeben und liebte den Rugbyspieler Scott abgöttisch. Trotzdem versuchte sie, genügend Zeit für mich und mein Singledasein einzuräumen. Was sie immer wieder zu diversen Verkupplungsaktionen mit Scotts Kumpel verleitete. Doch die Rugbyspieler waren mir zu plump. Denen waren nur ihr toller Oberkörper und ihr sportliches Können wichtig. Grips suchte man bei den meisten vergeblich. Ich wollte keine von den Spielerfrauen sein, die sich als Trophäe zu ihrem Schatz gesellten und die French-Nails-Daumen bei einem relevanten Match drückten.

Okay, ich gebe zu, Scott war eine Ausnahme und ein Glücksgriff. Er war smart, gut aussehend und intellektuell. Das freute mich aufrichtig für Kelly.

Insgeheim hoffte ich, unsere WG würde noch lange Bestand haben, die Realität aber war, dass Scott immer wieder in Nebensätzen andeutete, wie schön ein eigenes Heim zu zweit wäre.

Ein haarsträubender Gedanke für mich, dass Kelly eines Tages ausziehen könnte. Also schob ich ihn schnell beiseite und warf den nächsten Brief in einen silbernen Postschlitz.

Mein weiterer Arbeitstag verlief tatsächlich ohne peinliche Vorkommnisse und ich trudelte zufrieden um Punkt fünfzehn Uhr im Office ein. Abbys warmes Lächeln begrüßte mich und sie hielt mir eine duftende Tasse Kaffee unter die Nase.

„Du bist die Beste.“ Dankbar schälte ich mich aus der Royal-Mail-Jacke und hängte sie über die Stuhllehne. Dann nahm ich Abby das Warmgetränk ab.

Nach einem großen Schluck zählte ich ihr die vierzig postlosen Häuser auf, die ich mir im Handy notiert hatte, damit sie die Verlustanzeige erstellen konnte. Abby verfolgte über das Einbuchungssystem der Royal Mail, ob für die jeweiligen Häuser Post registriert worden war.

Ihre rot manikürten Fingernägel flogen dabei über die Tastatur und sie verzog den geschminkten Mund zu einem zufriedenen Lächeln, als sie das Blatt Papier aus dem Drucker zog.

„Unterschreib“, wies sie mich an und ich setzte meinen Servus unter das Formular.

„Larry muss nichts davon wissen“, erklärte sie und schob das Blatt in ein braunes Kuvert.

„Warum nicht?“

„Erweitertes Aufgabengebiet“, erklärte sie mir stolz und verschloss den Umschlag. „Die Zentrale regelt das.“

Erleichtert trank ich einen Schluck Kaffee. „Danke.“

Abby nickte und widmete sich wieder ihrem Desktop, der gedämpfte Geräusche von sich gab.

„Bist du bereit für Larry?“, fragte sie, ohne aufzublicken.

„Kann man jemals für ihn bereit sein?“

Abby grinste. „Vergiss nicht, er hat gute Laune.“

Ich hörte, wie die Türklinke von Larrys Büro nach unten gedrückt wurde. Ein nervöser Blitz durchzuckte meinen Bauch und ich sah erwartungsvoll zur Tür.

Larry reckte den Kopf durch den geöffneten Spalt und lächelte.

„Tessie, da bist du ja.“ Er blickte mich mit seinen haselnussbraunen Augen an, in denen schon wieder ein Ticken zu viel Aufmerksamkeit lag.

Abby nickte mir aufmunternd zu und ich stellte die Kaffeetasse auf ihren Schreibtisch. Mit klopfendem Herzen folgte ich Larrys schwarzem Haarschopf, der schon hinter der Tür verschwunden war.

Gentlemanlike bot er mir den freien Stuhl vor seinem gläsernen Schreibtisch an und schloss die Tür. Ich setzte mich auf das schwarze Leder und stellte erneut fest, wie unbequem dieser Stuhl war.

Larry trat hinter seinen Schreibtisch und setzte sich. Er faltete die Hände und musterte mich aufmerksam.

Mist! Das fühlte sich verdammt nach Standpauke an.

Rasch überlegte ich, ob er mich schon für den Tierheimbesuch gerügt hatte, und entgegnete unsicher seinen Blick.

Das Braun seiner Augen ruhte auf mir und er räusperte sich verlegen. „Tessie. Wie lange bist du jetzt schon bei uns?“ Er reckte das Kinn leicht nach oben.

Unruhig rutschte ich auf dem Leder herum. Begannen nicht Kündigungsgespräche mit dieser Floskel?

„Larry, ich, also … es tut mir leid. Ich weiß, ich verbocke in letzter Zeit einiges und ich werde mich bemühen, mich zu bessern. Aber, na ja, der arme Kater hatte so ein verfilztes Fell und seine Augen sahen mich derart traurig an. Ich dachte, im Tierheim wäre er besser aufgehoben. Hätte ich ihn denn auf der Straße verhungern lassen sollen?“

Larrys entgeisterter Blick schoss mir entgegen und er neigte sich nach vorn, als ob er keine Ahnung hatte, was ich da von mir gab.

Ich zog die Luft ein. Er hatte definitiv keine Ahnung, was ich da gerade erzählte.

Shit!

Imaginär knallte ich meine Handfläche gegen die Stirn. Abby hatte ihm vermutlich nichts von der Katersache erzählt und ich blöde Kuh servierte ihm meinen Fehltritt auf dem Silbertablett.

Schnell zwang ich mich zu einem unschuldigen Lächeln und beantwortete rasch seine Frage, in der Hoffnung, ihn von meinem Gestammel abzulenken.

„Seit zwei Jahren arbeite ich bei euch.“ Dabei verbot ich meinen Mundwinkeln, auch nur einen Millimeter nach unten zu rutschen.

Larry, der nur verwirrt brummte, löste die verschränkten Hände und fuhr sich durchs Haar. „Tessie, was immer du gerade erklären wolltest, ich bin mir sicher, dass ich es nicht hören will.“ Sein durchdringender Blick bohrte sich in meinen und ließ mich mit ziemlicher Sicherheit rot werden. Ertappt zog ich die Mundwinkel noch ein Stück weiter nach oben. Seine irritierte Miene zeigte, dass das wohl keine gute Idee war, also ließ ich das Mundwinkelsenkungsverbot fallen.

Larry seufzte und lehnte sich in seinen imposanten Chefstuhl, der mit einem Knarzen nachgab. „Okay, du bist eine fähige Mitarbeiterin. Du bist loyal und die Menschen lieben dich. Neulich erst rief mich Mistress Smith an und erzählte mir, wie du ihre Einkaufstaschen nach oben getragen hast. Das ist wirklich sehr engagiert und lieb von dir.“

Oh, das war nicht das, womit ich gerechnet hatte. Aber das Lob ging mir runter wie warme Schokolade und bereitete mir ein wohliges Gefühl im Bauch.

„Danke.“ Ich nickte und wartete gespannt auf den wahren Grund des Meetings.

„Ich sehe, dass du mit Herzblut dabei bist, auch wenn dir deine beiden linken Beine manchmal im Weg stehen.“ Er schmunzelte und ein spitzbübisches Lächeln huschte ihm über die Lippen. „Trotzdem habe ich eine zentrale Entscheidung getroffen.“ Ich schluckte. Jetzt kam der Moment der Wahrheit.

„Die Royal Mail wird zukünftig neue Dienste aufnehmen. Im Zeichen des Wohlstandes und des Reichtums.“

Ein triumphales Grinsen glitt ihm übers Gesicht und ich stutzte. Mit den Reichen und Schönen war ich bisher nie in Kontakt gekommen. Worüber ich dankbar war, denn der High Society konnte ich nichts abgewinnen. Sie war voll mit aufgeblasenen Gockeln in maßgeschneiderten Anzügen oder superschlanken Models, die sich die kulinarische Vielfalt verboten.

Nein! Das war definitiv nicht meine Welt und ich war zufrieden, dass ich in Londons Randbezirk Briefe verteilen musste und nicht in der City of Westminster, wie der nobelste aller Bezirke genannt wurde.

Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Larry zu, der inzwischen geschäftig Dokumente aus seinem Ablagefach zog. Mit siegessicherem Lächeln präsentierte er mir eine Urkunde, auf der mittig mein Name in goldenen Lettern prangte.

Tessie Neill

Private Post Officer

Unterzeichnet war der pompöse Wisch mit Larrys Unterschrift und ich sah, dass meine auf dem Feld des Inhabers ausstand.

Kurzzeitig wunderte ich mich, dass das Ding keinen Glitzer ausspuckte, bevor ich Larry ungläubig anstarrte.

„Freust du dich?“ Überschwänglich wedelte er mit der Urkunde vor meiner Nase.

Okay, jetzt war er derjenige, der sich wie ein Kleinkind benahm, welches gerade das heiß ersehnte Lego-Harry-Potter-Hogwartsschloss auspackte.

„Was ist das?“, fragte ich skeptisch und mein Blick blieb an dem Titel „Private Post Officer“ hängen. Ich wusste nicht, dass ich eine Fortbildung oder ein Seminar besucht hatte, das mir solch einen Titel hätte verleihen können.

„Das ist dein neuer Job“, verkündete Larry stolz und feierte sich offensichtlich selbst für seine Entscheidung.

Entsetzt zog ich die Luft ein. „Mein neuer Job?“ Gleichzeitig schwante mir Böses, da ich die Verbindung zu Reichtum und Wohlstand, wie Larry vorhin schön erwähnte, zog.

„Dein neuer Job“, bestätigte er und erhob sich, um blitzschnell neben mir zu stehen. Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter, die er kräftig rüttelte.

„Ist das nicht großartig? Komm, lass dich drücken!“

Okay, ich kapierte nur Bahnhof, stand wie ferngesteuert von dem unbequemen Lederstuhl auf und ließ mich in Larrys Arme ziehen. Er roch nach Süßholz und Kaffee. Ich räusperte mich, denn die Umarmung dauerte länger an, als sie sollte, und Larry entließ mich ertappt aus seinen trainierten Armen.

Er griff nach einem roten Kugelschreiber, auf dem sein Name eingraviert war, und hielt ihn mir majestätisch unter die Nase.

„Es fehlt nur deine Unterschrift. Die Gehaltserhöhung ist enorm.“

Ich schüttelte meinen Kopf, um einen klaren Gedanken fassen zu können. „Larry, ich weiß noch nicht mal, was der Titel bedeutet, wie kann ich da blauäugig unterschreiben?“

Verstört neigte er den Kopf. „Hast du den Aushang nicht gelesen?“

„Welchen Aushang?“, entfuhr mir panisch und ich starrte ihn mit finsterer Vorahnung an.

„Na, den über die Chance, ein Private Post Officer zu werden. Die Ehre, in die City of Westminster versetzt zu werden. Die Meldefrist, falls man dagegen sein sollte, ist schon vorige Woche abgelaufen.“

Ich riss entsetzt die Augen auf und verfluchte mich dafür, die alte korkige Pinnwand am Eingang des Briefträgerbüros ignoriert zu haben. Bis auf die hinabfallenden Reißnägel, die ich ab und an vom Boden aufsammelte, war sie mir herzlich egal gewesen.

Verdammt!

„Du hast den Aushang doch gelesen, oder?“

Larrys ernster Ton holte mich zurück ins Gespräch und ich schluckte.

Langsam nickte ich. „Natürlich.“

Nein, die Blöße konnte ich mir jetzt nicht geben, ihm zu sagen, wie geflissentlich ich diese Aushänge ignorierte.

„Na, dann. Herzlichen Glückwunsch.“

Er zog mich noch mal an seinen nach Süßholz duftenden Hals und mir wurde bewusst, was ich angerichtet hatte.

Ich löste mich harsch aus der Umarmung und griff nach dem Kugelschreiber. Die Unterschrift flutschte mir aus meinem Handgelenk, doch es fühlte sich an wie ein Vertrag mit der Hölle.

Vor meinem geistigen Auge tanzten die Bilder von Machos in Anzügen und Models, die ihr Haus nur in High Heels verließen.

Mit zitternden Fingern drückte ich Larry den Kugelschreiber in die Hand, und er nahm ihn zusammen mit der Urkunde dankend entgegen.

„Lassen wir Abby eine Kopie für dich machen. Du wirst es sicher rahmen wollen, oder?“, fragte er freundlich und ich nickte.

Wohl eher den Kamin damit anfeuern, dachte ich grimmig, ließ mir meinen Groll aber nicht anmerken, während mich mein Chef aus dem Raum und an Abbys Schreibtisch schob.

Diese erhob sich mit einem herzlichen Grinsen. „Hätte nicht gedacht, dass du annimmst“, piepste sie und kopierte die Urkunde für mich.

„Tessie ist eben immer für eine Überraschung gut“, kommentierte Larry. „Das schreit nach einem Drink nach Feierabend, was?“

Abby nickte erfreut. „Wir wollten sowieso auf Achse gehen, nicht wahr, Tessie?“

Ihr bedeutungsvoller Blick streifte mich. Was blieb mir anderes übrig, als brav zu nicken?

Larry registrierte das mit Vorfreude und überreichte mir die Kopie der amtlichen Urkunde.

„Hervorragend. Heute Abend um acht? Im Finnigan’s? Die ganze Belegschaft soll kommen, das muss gefeiert werden.“ Damit ging er zurück in sein Büro und Abby schenkte mir ein zufriedenes Grinsen.

„Du hast ihn sehr glücklich gemacht.“

Ich schnaubte und warf ihr das Dokument auf den Schreibtisch. „Na prima.“

Sie kicherte angesichts meiner miesen Laune. „Lass mich raten, du hast weder den Aushang gelesen, noch die kleinste Ahnung davon gehabt, dass wir die große Chance haben, den Private Post Officer zu stellen?“

Ertappt schluckte ich und nickte.

Abbys blaue Augen musterten mich mitleidig. „Das dachte ich mir schon.“

Sie öffnete ihre Schublade und zog eine Schachtel Schnapspralinen hervor. Hastig hob sie den Deckel und bot mir eine an. Dankbar griff ich nach der Schokolade und schob mir die Praline in den Mund.

Mmmh, der Geschmack von schottischem Whisky brannte mir auf der Zunge. Ein Gebräu, das ich heute Abend auf jeden Fall literweise konsumieren würde.

Schnell griff ich nach einer weiteren Praline, um meine Gedanken an die Party zu verdrängen. Abby verstaute kauend die Schachtel.

„Verrats nicht dem Chef“, flüsterte sie und schloss die Schublade.

„Meine Lippen sind versiegelt“, witzelte ich.

Das Mitleid kehrte wieder in Abbys Blick zurück. „Das wird schon. Die City of Westminster ist voller heißer Typen. Außerdem ist das ein klasse Aushängeschild für unseren Royal-Mail-Posten hier. Larry hat sich total ins Zeug gelegt, dass unser Office den Briefträger für die Reichen und Schönen auswählen darf.“

Na prima. Unsere Sekretärin stand also auch hinter der ganzen Schicki-Micki-Sache.

„Deine neue Uniform hab ich dir schon in den Spind hängen lassen.“

„Aha. Vermutlich golden und mit Diamanten übersät?“

„Nein.“ Sie lachte auf. „Tatsächlich besteht sie aus einer weißen Bluse, einem marineblauen Blazer und einem gleichfarbigen Rock.“

„Rock?“, entfuhr es mir entsetzt. Ich vermisste schon jetzt meinen roten Anzug.

Abby nickte. „Rock!“

Ich trug nie Röcke oder Kleider. Blue Jeans und ein bequemes Shirt waren mir die liebsten Freizeitbegleiter. Röcke vermasselten jegliches spontane Abenteuer, das man mit einer Blue Jeans erleben könnte. Eislaufen zum Beispiel oder eine Fahrradtour, nicht dass ich in meiner Freizeit sonderlich aktiv gewesen wäre oder auf Eislaufen stand.

Trotzdem machte es mir der Rock unmöglich, weiterhin die Post mit dem Fahrrad auszuteilen. Es sei denn, ich wollte der Welt beherzt mein Höschen vorführen.

Ich schnaubte. „Okay, ein Rock. Das heißt, ich trage zu Fuß aus?“, hakte ich bei Abby nach, die sich wieder ihrem Desktop gewidmet hatte.

Überrascht blickte sie auf.

„Ach nein, du bekommst ein kleines Auto im Golfcar-Style. Ist das nicht klasse?“

„Wunderbar“, presste ich mühselig hervor und griff nach der blöden Urkunde. Ein Golfauto, mit dem ich prestigeträchtig auf Londons teuerstem Asphalt herumcruisen sollte. Jepp, das klang doch nach einem Lebenstraum. Allerdings war es nicht meiner.

„Okay, dann sehen wir uns um acht im Finnigan’s?“ Ich registrierte Abbys Nicken, bevor ich aus ihrem Vorzimmer verschwand.

Draußen auf dem Flur holte ich tief Luft und trat zum Spind. Eigentlich wollte ich ihn nicht öffnen, aber die Neugier trieb mich dazu, es doch zu tun. Ich musste wissen, mit welchem modischen Ungeheuer ich es zu tun hatte.

Zu meiner Überraschung sah die Uniform verhältnismäßig schlicht aus. Zum marineblauen Rock waren ein weißes Top, blauer Blazer und eine Strumpfhose vorgesehen. Abby hatte die Sachen faltenfrei dort verstauen lassen und ich wagte es nicht, sie herauszunehmen.

Lieber fuhr ich morgen früher ins Office, um die Kluft frisch gebügelt anzuziehen, als dass ich sie auf dem Heimweg zerknitterte.

Somit schloss ich den Spind wieder, verließ das Office und nahm mir ein Black Cab in die Bishops Road im Stadtteil Fulham. Ich fuhr am liebsten mit dem Taxi, denn die Tube war meistens stickig und überfüllt mit Menschen. Die Fahrt mit dem Taxi dauerte nur achtzehn Minuten und gewährte mir einen hübschen Ausblick auf die Themse. Wir fuhren die Wadsworth Bridge Road entlang, die direkt über den großen Strom nach Fulham führte. Dieser Anblick war es mir jedes Mal wert, das Taxigeld zu bezahlen.

Vor dem hübschen backsteinfarbenen Häuschen, in dem meine WG untergebracht war, stoppte der Taxifahrer und ich bezahlte ihn angemessen. Ich stieg aus und ging durch den verwahrlosten Vorgarten. Wir waren vier Parteien im Haus und keiner verspürte den Drang, den Vorgarten und den verkümmerten Rasen zu pflegen. Mir war das recht, solang sich dort kein Müll oder eine Sammlung von Gartenzwergen tummelte. Unkraut wucherte in den Beeten, aber hey, auch Unkraut konnte blühen. Grimmig fischte ich den Schlüssel aus meiner Handtasche.

Kapitel 2

Missmutig knallte ich die alte Haustür hinter mir zu und zog scharf die Luft ein. Das war mal wieder ein Tag, der mir nicht in den Kram passte. Genervt hängte ich meine Jacke an die Shabby-Garderobe, die Kelly ausgesucht hatte, und bemerkte Scotts Chucks, die auf dem Fußabtreter neben unseren Schuhen standen. Er war inzwischen wie ein Bruder für mich und nahezu jeden Tag hier.

Seufzend betrat ich die Küche. Ich wollte mir nicht ausmalen, was Kelly und Scott in Kellys Zimmer trieben. Ein Kaffee sollte mich erst mal aufheitern.

Ich startete die Kaffeemaschine, die auf unserem grauen Küchentresen stand. Während ich ihrem Mahlen lauschte, griff ich nach meiner „Der Herr der Ringe“-Kaffeetasse, von der mir Orlando Bloom entgegenlächelte. Ich stellte sie unter die dampfenden Düsen.

„Oh, Tessie, hi.“

Ich hörte Scotts schlurfende Schritte und wandte mich dem Sportler zu. „Hey“, sagte ich gedämpft und zog Orlando von der Kaffeemaschine.

Scott musterte mich berechnend. „Wenn du zu ‚Herr der Ringe‘ greifst, dann ist was passiert. Also raus mit der Sprache.“ Ich grinste. Scott kannte mich einfach schon zu lange und wusste, wie Kelly, wann bei mir Not am Mann war.

Ich nahm einen großen Schluck Kaffee und stellte die Tasse auf unserem hölzernen Küchentisch ab. Er war über und über mit Einkerbungen versehen.

Trotz seines ramponierten Aussehens wollten Kelly und ich nicht auf ihn verzichten. Jede Einkerbung stand für eine legendäre Party, die wir in Jugendzeiten veranstaltet hatten. Unser Küchentisch war dabei ein heiß begehrtes Plätzchen für diverse Trinkspiele gewesen, weshalb Kronkorken und Flaschenöffner darübergeschrappt waren.

Scotts aufforderndes Räuspern riss mich aus meinen bunten Jugenderinnerungen.

„Ach, es gab ein Missverständnis auf der Arbeit. Und hurra, ich darf jetzt die Post für Londons Prominenz im Golfcar austragen.“ Ich fuhr mit dem Zeigefinger die größte Einkerbung auf der Tischplatte entlang. Sie war enorm tief, denn sie zeigte jenen Abend, an dem Kelly mir beichtete, mit Scott zusammen zu sein. Mein Stolz war immens verletzt gewesen und ich neigte damals zu feurigen Ausbrüchen. Weshalb ich kurzerhand nach dem Korkenzieher gegriffen und ihn quer über die Tischplatte gezogen hatte. Kelly nannte die Einkerbung liebevoll Meilenstein, während ich ihr mit gemischten Gefühlen gegenüberstand.

Sicher, es war mitunter der Alkohol gewesen, der mich dazu verleitet hatte, und ich hatte massig davon an jenem Abend getrunken. Allerdings war er auch keine Entschuldigung für meinen Ausraster. Deshalb war mir die Kerbe noch immer unangenehm. Meine Rumwüterei hatte ich mittlerweile unter Kontrolle, glaubte ich.

Ich spürte Scotts auffordernden Blick auf mir und wusste, dass ihm meine knappe Schilderung der Tatsachen nicht genügte.

„Tessie“, erklang seine sonore Stimme neckend und ich schnaubte.

„Ist ja schon gut“, wehrte ich weitere Aufforderungen ab und ergab mich.

„Ich wurde zum Privat Post Officer ernannt. Daran ist mal wieder meine eigene Schusseligkeit schuld, denn ich habe es verpasst, mich von der Liste der Interessenten herunternehmen zu lassen. Tja, der Glücksgott ist gönnerhaft zu mir. Ich sollte heute definitiv Lotto spielen oder ein Kind adoptieren. Ich bin mir sicher, es würde von einem Millionär stammen, der mich nach Haiti entführt und dort kleine Wellensittiche züchten lässt.“ Ich hörte nicht, dass Kelly den Raum betreten hatte, aber nun stand sie kichernd neben Scott.

„Hi, Kelly“, begrüßte ich meine beste Freundin, deren Blick zur „Herr der Ringe“-Tasse wanderte.

„Okay. Legolas-Krise. Was ist los?“ Sie zog ihre graue Weste aus und setzte sich. Ihr brauner Bob wiegte dabei sanft hin und her.

Ihre Auffassungsgabe überraschte mich nicht, denn wir kannten uns seit dem Sandkastenalter. Sie wusste von meinen Macken, meiner glorreichen Tollpatschigkeit und meiner Abneigung gegenüber all dem, was mit Luxus zu tun hatte.

Über Scotts Gesicht huschte ein Grinsen. „Sie muss zukünftig die Post für die Reichen und Schönen austragen.“ Seine Augen blitzten frech und ich streckte ihm die Zunge raus. Die Schadenfreude kroch ihm aus jeder Pore.

Kellys Mundwinkel verrieten das kleine Grinsen, das sie zu verbergen versuchte. „Das ist ja eine Katastrophe.“

Ich funkelte Scott triumphal an. Endlich jemand, der mich verstand!

Scott lachte auf und fuhr sich durch die braune Haarpracht. „Ich werde das Tessie-Kelly-Ding nie verstehen.“ Damit entfernte er sich mit meiner Legolas-Tasse aus der Küche. Ich widerstand dem Drang ihm hinterherzurufen, dass es meine war, denn Scott gehörte mehr oder weniger zur Familie. Freiwillig hätte ich ihm die Tasse aber nicht angeboten.

Kellys mitfühlender Blick streifte mich und ich erzählte ihr vom beruflichen Desaster. Sie hörte geduldig den Schimpftiraden zu und lehnte sich an die morsche Holzlehne des Stuhls.

„Oh, Tessie. Da hast du wieder direkt in die Vollen gegriffen!“ Sie seufzte. „Aus der Nummer wirst du nicht mehr herauskommen.“

Ich schnaubte und verdrehte die Augen. „Ich weiß. Das Schlimmste ist, dass der Höllenpakt heute Abend im Finni gefeiert wird.“

Kellys Blick schwebte teilnahmsvoll zu mir und ich versuchte zu lächeln. „Yay, das wird ein Spaß.“

„Puh, wenn du so drauf bist wie jetzt, dann ganz sicher.“

„Blöde Kuh“, schimpfte ich und ihre weinrot geschminkten Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

„Sieh es positiv. Dein Chef schmeißt dir zu Ehren eine Party. Das solltest du nutzen, um deine Kollegen besser kennenzulernen“, riet sie mir.

Ein typischer Kelly-Rat, denn sie war immer offen für neue Kontakte und pflegte ein gutes Verhältnis zu ihren Kollegen. Ich war eher der Typ Einzelgänger, der ein paar wenige Freunde um sich scharte. Mit Abby und Kieran hatte ich meine beiden Kontaktpole im Office, mit denen ich rundum zufrieden war.

„Du wirst deine Klienten vermissen, stimmt’s?“ Ihre haselnussbraunen Augen musterten mich, während sie meine Gedanken unterbrach.

Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber meine beste Freundin hatte recht. Ich würde einige von den Klienten vermissen. Sogar Mrs Macintoshs perfektes Haarkränzchen.

Das Ehepaar Samson, das mir jeden Morgen frisch gebrühten Kaffee mit auf den Weg gab und das Gebäck von Elly, die sich als Bäckerin versuchte und dabei königlich scheiterte. Sie würden mir allesamt fehlen. Auch Ellys steinharte Rührkuchen.

„Nimm es nicht so schwer“, holte mich Kelly aus meinen Gedanken. „Ich wette, in der City of Westminster gibt es auch liebenswerte Prominenz.“

Ja, das sah Kelly ähnlich, in allem das Gute zu sehen. Ich war da eher pessimistisch veranlagt und froh, wenn so wenig Veränderungen wie möglich meinen Alltag aufwirbelten.

„Liebenswerte Prominenz“, zischte ich verächtlich und starrte auf die große Kerbe. „Ich denke, das wird der unpersönlichste Job aller Zeiten.“

Kelly stand fix auf, kramte im obersten Schrankfach und zog eine Flasche klaren Schnapsbrand hervor. „Hier.“

Sie gab mir die Pulle und holte zwei Schnapsgläser aus dem Geschirrschrank im Wohnzimmer. „Der wird deine trübseligen Gedanken schon vertreiben.“

Beherzt öffnete sie den Verschluss der Flasche und goss mir ein.

„Ich kann doch jetzt nicht vorglühen“, gab ich empört zurück. „Was denkt mein Chef, wenn ich schon blau im Finni aufkreuze?“

Kelly, die sich nicht beirren ließ, prostete mir zu. „Von ein bisschen Birne ist noch niemand blau geworden. Außerdem könntest du echt lockerer werden.“ Entschieden exte sie ihren Schnaps und schaute mich herausfordernd an.

Da ließ ich mich nicht zweimal bitten und trank den Schnapsbrand in einem Zug leer. Eine wohlige Hitze breitete sich in meinem Bauch aus und ich stellte das Schnapsglas in die Spüle. Kelly sollte nicht auf die Idee kommen, mir nachzugießen.

„So, und jetzt suchen wir dir ein hammermäßiges Outfit, damit du deinen neuen Job wenigstens für heute Abend kurzzeitig vergisst, okay?“

Sie hakte sich bei mir unter und zog mich in mein Zimmer.

Darin angekommen öffnete sie den Kleiderschrank und warf einen schwarzen Minirock und ein weißes Seidentop auf mein nicht gemachtes Bett. Die Lichtgeschwindigkeit, mit der Kelly das Outfit auswählte, beeindruckte mich.

„Das ist zu aufdringlich“, kommentierte ich die Auswahl und dachte an Larry, der mir damit sicher am Rockzipfel hängen würde.

Entschlossen trat ich zum Kleiderschrank und zog eine Jeans heraus. Den Minirock wischte ich beiseite.

„Wenn du könntest, würdest du in Jeans wohnen, hab ich recht?“ Kelly griff beherzt nach der Hose. „Such dir was anderes aus!“

„Das Top passt doch auch zu der Jeans.“ Ich versuchte, ihr die Hose aus der Hand zu reißen, aber Kelly war schneller und warf sie vor meine Zimmertür, die sie lautstark zuknallte. Angriffslustig positionierte sie sich davor. „Wage es nicht.“

„Ich komme mir echt vor wie im Kindergarten“, schnaubte ich und wandte mich dem Schrank zu. Dabei stellte ich fest, dass ich tatsächlich mehr Jeans besaß, als ich vermutete, und entschied mich für eine schwarze, die Kelly wohlwollend absegnete. Zum weißen Seidentop kombinierte ich einen karamellbraunen Cardigan und ließ mir von Kelly eine lange Goldkette um den Hals legen.

„Perfekt“, kommentierte sie mein Outfit.

Ich drehte mich vor dem Spiegel und musste ihr recht geben. Damit fühlte ich mich schick, aber nicht overdressed. „Okay, den Rest kann ich selbst“, versuchte ich, Kelly aus meinem Zimmer zu locken, um ein wenig Ruhe zu haben, bevor ich mich auf den Weg ins Finni machen musste.

Kelly legte die Hand auf die Türklinke. „Alles klar. Aber bevor du gehst, will ich dich noch mal abchecken.“ Ich nickte und Kelly verließ mein Zimmer.

Während ihr modisches Selbstbewusstsein unter Scott zugenommen hatte, schrumpfte meins zu einer vergammelten Zwiebel.

Ich hasste es, zu shoppen und wenn, dann suchte ich nur bequeme Sachen aus. Das Seidentop, das ich trug, hatte ich nur auf Kellys Anraten gekauft. Allein wäre ich niemals auf die Idee gekommen, mir so einen Hauch von Nichts anzuziehen.

Manchmal, wenn Kelly einen speziell großen Hass auf meine Klamotten entwickelte, bestellte sie mir was von ihrem Lieblingsonlineshop mit. Das schmuggelte sie dann heimlich in meinen Kleiderschrank. In die Kellyabteilung, wie ich das Fach liebevoll nannte. Dort lagen unberührte Schönheiten, die ich mir nicht antun wollte.

Doch Kelly gab nie auf, mich von der Modewelt zu überzeugen. Als Bankangestellte achtete sie stets auf ihr Äußeres und ihr Kleiderschrank war so groß wie mein gesamtes Zimmer. Von ihrem Schminktisch ganz zu schweigen.

Seufzend setzte ich mich an meine altmodische Frisierkommode, die ich von Großmutter geerbt hatte. Ich liebte das antike Mahagoni, aus dem sie geschaffen war.

Schon als kleines Mädchen hatte ich Omas Parfumflaschen darauf bewundert. Heute stapelten sich dort Socken, Unterwäsche und das bisschen Make-up, das ich besaß. Zweckentfremdet gefiel mir die Kommode trotzdem.

Mürrisch klatschte ich mir das Make-up ins Gesicht und trug Rouge auf. Danach tuschte ich meine Wimpern und zog einen Lidstrich. Das musste genügen, ganz nach dem Motto „weniger ist mehr“.

Ich konnte nur hoffen, dass Abby allen optisch die Show stahl und ich nicht in den Fokus der Party rückte.

Grimmig griff ich nach meiner Bürste und bearbeitete mein Haar. Der Friseur war längst überfällig, also fasste ich mein schulterlanges braunes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Die vorderen Strähnen ließ ich mir locker in die Stirn fallen und steckte mir goldene Kreolen ins Ohr. Zufrieden betrachtete ich mein Äußeres und bestäubte mich mit Parfum.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon nach sieben war und ich schleunigst aufbrechen sollte.

Leise öffnete ich die Zimmertür und hob meine Lieblingsjeans vom Boden auf. Kurz überlegte ich, ob ich die Hosen nicht lieber austauschen sollte, als ich die Türklinke von Kellys Zimmer hörte.

Rasch warf ich die Jeans auf mein Bett und schloss die Tür.

„Schick bist du.“ Scott ließ anerkennend seinen Blick über mein Outfit wandern und ich zog eine Grimasse.

„Geht sie?“, erklang es vom Inneren des Zimmers und Kelly kam zum Vorschein. Sie nickte zufrieden, während sie mich musterte. „Dazu die schwarzen Pumps, ja?“

Ich schüttelte brüsk den Kopf. „Nur über meine Leiche.“

Mit den Dingern würde ich mehr fallen als laufen. Die Begabung, mit hochhackigen Schuhen anmutig zu stolzieren, hatte mich bei meiner Geburt ausgelassen. Zumal ich überhaupt keine Ambitionen hatte, diese Model-Gangart jemals zu beherrschen.

„Die passen aber besser zum Outfit“, beharrte Kelly und lehnte sich an den Türrahmen.

„Okay“, flötete ich und huschte in den Hausgang. Die Pumps ignorierte ich und schlüpfte in das schwarze Paar ausrangierter Ballerinas, das mir seit Jahren treue Dienste leistete. Dann huschte ich schnell durch die Haustür, um Kelly die Schimpftirade zu meinen Lieblingsschuhen zu verweigern.

Zwanzig Minuten später war ich vor der grün gestrichenen Holztür meines liebsten Pubs angekommen.

Davor tummelten sich Grüppchen auf dem Gehsteig, der durch die schwarzen Straßenlampen milde beleuchtet wurde. Rauch hing über den Leuten und ich ließ den Blick über die Grüppchen wandern. Von meinen Kollegen erkannte ich niemanden darunter. Allerdings musste ich zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht mal die Hälfte der Belegschaft kannte.

„Da ist ja mein Goldtäubchen“, tönte Larrys Stimme über die Straße und meine Hände verkrampften sich. Ich zwang mich zu einem Lächeln und drehte mich um die eigene Achse, um zu sehen, woher er kam.

Larry empfing mich mit offenen Armen und zog mich an sein weinrotes Shirt. Sein herbes Aftershave hüllte mich ein und ich spürte sein Herz wild pochen. Seinen Atem fühlte ich im Haar. Das war eindeutig zu viel Nähe. Abrupt löste ich mich von ihm.

„Äh ja, hier bin ich“, erklärte ich, trat zur Tür und fasste die Goldklinke. „Wollen wir?“ Ich stand mit einem Bein schon in der Kneipe.

Dabei bereute ich es, keinen Kurzen mehr mit Kelly in der Küche getrunken zu haben. Ein nervöses Kribbeln breitete sich in meiner Magengegend aus.

Der Pub war hauptsächlich mit jungen Leuten zwischen zwanzig und dreißig gefüllt. Nur unter der Woche gesellten sich auch die älteren Semester an die hölzernen Stehtische. An der holzvertäfelten Wand hingen Bierdeckel aus aller Welt und Poster diverser englischer Rockbands, deren Musik durch Lautsprecher an der Decke dröhnte. Ein uriges Flair, das wir Engländer schätzten. Ich fühlte mich seit meinem ersten Besuch im Finni wohl, denn urig und eigen passte zu mir. Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen und entdeckte Abbys blonden Haarschopf. Direkt an der Bar, die aus dunklem Holz bestand, schien sie zwei Herren zu bezirzen.

„Da vorne ist Abby“, informierte ich Larry, der dicht hinter mir war. Der Kerl nutzte den Vorteil der üppig bestückten Kneipe für beiläufigen Körperkontakt voll aus.

Über Larrys Gesicht glitt ein wachsamer Ausdruck und er folgte mir zu Abby, deren Schulter ich beherzt antippte. Der Herr neben ihr trat überrascht beiseite.

„Schätzchen, endlich bist du da.“ Sie umarmte mich, dann griff sie galant nach ihrem Guinness und rang Larry damit einen ungläubigen Gesichtsausdruck ab.

„Du trinkst Guinness?“, fragte er angetan und manövrierte sich sofort zwischen Abby und mich. Darüber konnte ich nur lächeln, denn offenbar war sein Flirtmodus sofort angesprungen und sein Radar auf Abby gepolt. Die beiden Herren neben ihr nahmen das missmutig zur Kenntnis.

Abby nickte eifrig. „Ja, ich gönne mir ab und zu ein Guinness. Ein tolles Getränk.“ Sie suchte meinen Blick. Ich konnte mir ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen und las den Vorwurf in ihren blauen Augen.

„Sollte die Belegschaft nicht ein paar Flaschen Sekt bekommen?“, erkundigte sich Abby engelsgleich bei Larry, der vor lauter Staunen beinah sein Amt als Chef vergessen hatte.

Ich wollte nicht darüber nachdenken, wann er sein letztes Date gehabt hatte oder ob er überhaupt zu daten pflegte. Diese kleine Vorstellung hier ließ genügend Spielraum für Interpretationen wildester Art. Seien wir mal ehrlich, es gibt Dinge, die wollte man einfach nicht über seinen Chef wissen.

„Eine treffende Idee, erst mal Sekt auszugeben“, pflichtete ich Abby bei und Larry bat einen der Barkeeper mit einer Handbewegung zu sich. Er bestellte den halben Sektvorrat des Pubs, was dem Barkeeper ein unverschämt strahlendes Lächeln abrang.

Abby kicherte und ich schob mich von Larry weg, um mehr Beinfreiheit zu haben.

„In Zukunft wirst du wohl in nobleren Pubs verkehren, was?“ Kieran trat grinsend zu mir. Er arbeitete wie ich als Briefträger und war mein bester Freund aus dem Office. Ich war froh, dass er zu der kleinen Feier gekommen war. Seine blauen Augen strahlten mich an und die blonden Haare hatte er, passend zu seinem blumigen Hawaiihemd, schick nach oben frisiert. Kieran nutzte seine Surferboy-Optik voll aus.

„Hey“, begrüßte ich ihn und nahm Larry das Glas Sekt ab, das er mir auffordernd entgegenstreckte.

„Unser kleiner Goldschatz hier wird uns würdig in der City of Westminster vertreten.“ Mein Chef legte mir den Arm um die Schultern.

Ich bemerkte Kierans skeptischen Blick und führte das Sektglas an meine Lippen. Den würde ich brauchen, um den Abend unbeschadet zu überstehen. Insgeheim hatte ich die These entwickelt, dass Larry eifersüchtig auf meine Freundschaft mit Kieran war, was den Chefarm auf der Schulter erklären würde.

Nichtsdestotrotz wollte ich Larry, der um die Aufmerksamkeit der Belegschaft buhlte, nicht vor allen bloßstellen und lies den Arm an Ort und Stelle. Ich konnte nur hoffen, dass er nicht wieder eine seiner ellenlangen Reden schwingen würde.

Kieran kniff die Lippen zusammen, während er zum Sektglas griff.

„Heute stoßen wir an, hochverehrte Kolleginnen und Kollegen.“ Larry reckte sein Glas in die Höhe, als wäre es der Champions-League-Pokal.

„Wir haben Grund zu feiern und ich freue mich, dass ich endlich offiziell verkünden darf, dass unsere liebe Tessie ab morgen das Amt des Privat Post Officer bekleiden darf.“

Schaulustige Gesichter scharten sich um uns. Ich war mir sicher, dass jeder im Pub daran interessiert war, was Larry zu sagen hatte.

Wie ich es hasste, im Mittelpunkt zu stehen. Meine Zehen krallten sich nervös in die Sohlen der Ballerinas. Der Duft von Larrys Aftershave kroch mir in die Nase und bescherte mir langsam aber sicher Kopfschmerzen.

„Ab Morgen ist sie unser Aushängeschild unserer Dienste für die Reichen und Schönen. Die ganze City of Westminster wird ihr Augenmerk auf uns richten. Ich hoffe, dass wir dabei in den Fokus der Postzustellungen privater Angelegenheiten der High Society geraten werden.“

Bla, bla, bla … das Gerede über die Schnösel-Gesellschaft war mir jetzt schon zu viel. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie das die nächsten Tage ablaufen würde, wenn ich von meiner Route in der City of Westminster ins Office zurückkehrte. Vermutlich sollte ich einen Bodyguard engagieren, der mich von den wissbegierigen Kollegen abschirmte.

„Für all diejenigen, die sich diesen Job erhofft hatten, tut es mir aufrichtig leid“, entschuldigte sich Larry mit charmantem Grinsen. „Meine Wahl lässt keine Zweifel zu. Ich hoffe, dass Tessie“, er wandte sich mir zu und seine Augen glommen vor Stolz, „die Nachfrage nach einem zweiten Private Officer pushen wird. Denn wir wissen alle wie charmant, verlockend und großartig sie ist.“

HALLELUJA! Rasch leerte ich mein Sektglas, denn ich konnte es nicht glauben, dass er mich öffentlich dermaßen anflirtete.

Sein Arm lag schwer auf meiner Schulter und ich hätte ihn am liebsten abgeschüttelt.

Den Applaus der zwanzig Post-Office-Angestellten nahm ich nur gedämpft wahr, denn Larry zog mich an seine Bartstoppelwange.

„Ich glaube, ich sollte Tessie auch gratulieren“, hörte ich Kierans Aufforderung, mich loszulassen. Ich war ihm unendlich dankbar. Larry gab mich frei und ich flüchtete mich in Kierans trainierte Arme. Er schloss sie fest um mich.

„Alter, was war das denn?“, flüsterte er. „Es wundert mich, dass er dir nicht vor versammelter Mannschaft an den Hintern gefasst hat.“

Ich stieß meinen besten Freund sanft weg und zog eine Grimasse. „Ich brauch was Stärkeres“, jammerte ich und stellte das Sektglas auf den Tresen.

„Whisky?“, fragte Kieran und winkte den Barkeeper zu sich, der seine Bestellung aufnahm.

Ich drückte Kieran dankbar einen Kuss auf die Wange. „Peinlicher geht es kaum noch.“

Er nickte. „Wir wissen beide, dass Larry einen Narren an dir gefressen hat.“ Prompt servierte uns der Kellner den Whisky.

„Leider hat er das“, pflichtete ich ihm bei und nippte an dem Getränk. Der hölzerne Geschmack brannte auf meiner Zunge. Das war genau das, was ich jetzt brauchte.

Der Alkohol rann meine Kehle hinab und hinterließ eine kleine feurige Spur. Unter Larrys skeptischem Blick trank ich gleich noch einen Zug und wiegte das Glas in der Hand, wie es die Whisky-Kenner machten.

„Er beobachtet dich“, informierte mich Kieran amüsiert und ich stellte das Glas ab. Nervös zupfte ich einen imaginären Fussel von meinem Cardigan.

„Das macht er viel zu offensichtlich. Was denken denn die Kollegen?“, fragte ich genervt. Mein bester Freund grinste nur.

„Die wissen das eh schon.“

„Die wissen was?“, bohrte ich nach und bemerkte, wie Abby sich in dem Gemenge tummelte, um ihren Flirt mit einem schwarzhaarigen Kerl zu vertiefen. Dabei glitt mein Blick zu Larry, der das missmutig beobachtete. Der dachte wohl, er könnte alle haben, der kleine Überflieger.

„Die Kollegen wissen, dass Larry auf dich steht.“ Kieran riss mich aus meinen Gedanken und ich schaute ihn entgeistert an. „Und warum weiß ich davon nichts?“

„Weil du fast nie im Aufenthaltsraum bist?“

Damit hatte Kieran ins Schwarze getroffen. Ich mied den Aufenthaltsraum, weil mir der Tratsch der Kollegen auf die Nerven ging. Meine Klienten, bei denen ich die Post verteilte, informierten mich zur Genüge.

Brummend nahm ich das Whiskyglas in die Hand und stürzte die orangebraune Flüssigkeit runter. Der Feuerball in meinem Bauch tat sein Übriges, damit ich mich beschwingt fühlte.

Kierans blaue Augen musterten mich noch immer amüsiert. „Was?“, fauchte ich.

„Nichts. Du bist einfach … mmmh … Tessie“, sagte er und ein Lächeln umspielte seine Lippen.

„Jepp, Tessie, die ab morgen die Reichen und Schönen bedient. Ich finde, das braucht zwingend nochmal einen Whisky.“

Bevor mich Kieran von der Idee abhalten konnte, eilte ich zur Bar, um meinen Whisky on the Rocks bestellen zu können. Ich trank ihn am liebsten auf Eis, auch wenn die echten Whisky-Liebhaber mich dafür hassten.

Nachdem meine Bestellung auf dem Weg war, drehte ich mich zu Abby, die noch immer mit dem schwarzhaarigen Mann flirtete. Ich schätzte ihn auf Anfang dreißig und musterte seine harten Gesichtszüge. Seinen kantigen Kiefer, der in einem spitzen Kinn endete und seine Wangenpartie, die ein gepflegter Drei-Tage-Bart bedeckte. Er trug ein schwarzes Jackett, das die breiten Schultern des Kerls nicht kaschieren konnte. Mein Blick glitt weiter an seiner großgewachsenen Statur hinab. Jepp, er hatte passend zu Jackett und weißem Shirt eine schwarze Anzughose gewählt. Wer bitte trug in einer Kneipe einen Anzug?

Er wirkte wie ein Jäger auf der Lauer und das Grün seiner Augen hielt mich in seinem Bann. Amüsement und Erstaunen gleichermaßen lagen darin.

Ob er wohl frisch beim Friseur war? Das vordere Haar hatte er nach hinten gegelt und die Seiten kurz gehalten. Die Frisur ließ ihn noch autoritärer wirken.

Interessiert spähte er über Abbys Schulter zu mir. Rasch wandte ich den Blick ab und überprüfte, ob er zur teuren Anzughose auch piekfeine Lederschuhe trug.