Minority Report - Philip K. Dick - E-Book

Minority Report E-Book

Philip K. Dick

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Beschreibung

Drei Mutanten, die ›Precogs‹, haben die außergewöhnliche Fähigkeit, Verbrechen in der Zukunft sehen zu können. Aus diesem Grund werden sie von der Polizeiorganisation ›Precrime‹ in einem abgeschirmten Bereich der Zentrale angezapft und benutzt, um zukünftige Verbrecher zu jagen - schon bevor diese ihre Tat ausführen können. Als der Precrime-Polizist John Anderton jedoch entdeckt, dass es eine Vorhersage gegeben hat, dass er selbst bald einen Mord begehen wird, begibt er sich auf die Jagd nach seiner alternativen Zukunft und entdeckt, dass die Vorhersagen der Precogs bei weitem nicht immer so nahe beieinander liegen, wie er gedacht hat. Die 1956 erstmals erschienene Story gehört nach der Verfilmung im Jahr 2002 mit Tom Cruise in der Hauptrolle zu den bekanntesten Erzählungen von Philip K. Dick und stellt in Frage, ob wir überhaupt einen freien Willen haben.

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Seitenzahl: 73

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Philip K. Dick

Minority Report

Story 5 aus: Total Recall Revisited. Die besten Stories

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Minority Report

I

Als Anderton den jungen Mann sah, war sein erster Gedanke: Ich werde langsam kahl. Kahl, fett und alt. Doch das sprach er nicht laut aus. Stattdessen schob er seinen Stuhl nach hinten, stand auf und kam resolut um seinen Schreibtisch herum, die rechte Hand steif ausgestreckt. Er zwang sich zu einem liebenswürdigen Lächeln und schüttelte dem jungen Mann die Hand.

»Witwer?«, erkundigte er sich; es gelang ihm, die Frage wohlwollend klingen zu lassen.

»Stimmt genau«, sagte der junge Mann. »Aber für Sie natürlich Ed. Das heißt, falls Sie meine Abneigung gegen unnötige Förmlichkeiten teilen.« Die übertrieben selbstbewusste Miene des blonden jungen Mannes verriet, dass er die Sache damit als erledigt betrachtete. Dann also Ed und John: Von Anfang an würde alles angenehm harmonisch verlaufen.

»War es sehr schwierig, hierherzufinden?«, fragte Anderton vorsichtig; er ignorierte die überfreundliche Einleitung. Um Gottes willen, er musste sich an irgendetwas festhalten. Angst beschlich ihn, und er fing an zu schwitzen. Witwer benahm sich, als wäre es bereits sein Büro – als würde er Maß nehmen. Konnte er denn nicht ein paar Tage warten – anstandshalber?

»Kein Problem«, antwortete Witwer vergnügt, die Hände in den Taschen. Eifrig inspizierte er die voluminösen Aktenordner, die an der Wand aufgereiht standen. »Sie glauben doch nicht etwa, dass ich völlig ahnungslos bei Ihnen antrete. Ich kann mir sogar ziemlich genau vorstellen, wie das bei Prä-Verbrechen so läuft.«

Mit zitternden Fingern steckte Anderton seine Pfeife an. »Und wie läuft das bei Prä-Verbrechen? Das würde ich nun doch gern wissen.«

»Nicht übel«, sagte Witwer. »Eigentlich sogar ziemlich gut.«

Anderton blickte ihn fest an. »Ist das Ihre Privatmeinung? Oder bloß scheinheiliges Gerede?«

Offen begegnete Witwer seinem Blick. »Sowohl privat als auch öffentlich. Der Senat ist mit Ihrer Arbeit zufrieden. Eigentlich ist er sogar begeistert.« Er setzte hinzu: »Soweit man bei diesen Greisen noch von Begeisterung sprechen kann.«

Anderton zuckte zusammen, blieb nach außen hin jedoch gelassen. Das kostete ihn allerdings einige Mühe. Er fragte sich, was Witwer tatsächlich dachte. Was ging in diesem kurzgeschorenen Schädel wirklich vor? Die Augen des jungen Mannes waren blau, hell – und beängstigend intelligent. Witwer ließ sich nichts vormachen. Und war offenbar reichlich ehrgeizig.

»Wenn ich recht verstehe«, sagte Anderton vorsichtig, »arbeiten Sie als mein Assistent, bis ich in Rente gehe.«

»Genau so hab ich das auch verstanden«, erwiderte der andere, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern.

»Das könnte schon dieses oder nächstes Jahr sein – vielleicht aber auch erst in zehn Jahren.« Die Pfeife in Andertons Hand zitterte. »Ich fühle mich keineswegs gezwungen, in Rente zu gehen. Ich habe Prä-Verbrechen gegründet, und ich mache weiter, solange ich will. Das ist allein meine Entscheidung.«

Witwer nickte, seine Miene blieb unverändert offen. »Selbstverständlich.«

Mit Mühe beruhigte Anderton sich ein wenig. »Ich wollte das lediglich klarstellen.«

»Von Anfang an«, räumte Witwer ein. »Sie sind der Boss. Was Sie sagen, wird gemacht.« Sichtlich aufrichtig fragte er: »Hätten Sie was dagegen, mir die Behörde zu zeigen? Ich würde mich gern so schnell wie möglich mit der allgemeinen Routine vertraut machen.«

Während sie die geschäftigen, gelb erleuchteten Reihen von Büros entlanggingen, sagte Anderton: »Die Theorie von Prä-Verbrechen ist Ihnen selbstverständlich geläufig. Ich nehme doch an, das dürfen wir voraussetzen.«

»Ich habe auch nur die Informationen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind«, erwiderte Witwer. »Mit Hilfe Ihrer Präkog-Mutanten und dank Ihrer Courage ist es Ihnen gelungen, das System der Post-Verbrechensbestrafung mit seinen Gefängnissen und Geldbußen endgültig abzuschaffen. Wir sind uns doch alle darüber im Klaren, dass Strafe nie ein sonderlich geeignetes Mittel zur Abschreckung war und einem Opfer, das bereits tot ist, wohl kaum ein großer Trost gewesen sein kann.«

Sie waren beim Fahrstuhl angekommen. Während der sie rasch nach unten brachte, sagte Anderton: »Was die strikte Einhaltung des Gesetzes angeht, haben Sie das grundlegende Hindernis bei der Umsetzung der Methodologie von Prä-Verbrechen vermutlich erkannt. Wir erfassen Individuen, die gegen keinerlei Gesetz verstoßen haben.«

»Was sie aber mit Sicherheit tun werden«, bekräftigte Witwer voller Überzeugung.

»Glücklicherweise nicht – wir schnappen sie uns nämlich, noch bevor sie ein Gewaltverbrechen begehen können. Also ist die Tat an sich rein metaphysisch. Wir behaupten, sie sind schuldig. Sie wiederum behaupten ununterbrochen, sie seien unschuldig. Und in gewissem Sinne sind sie unschuldig.«

Der Fahrstuhl spuckte sie aus, und wieder gingen sie einen gelben Korridor entlang. »In unserer Gesellschaft gibt es keine Schwerverbrechen«, fuhr Anderton fort, »dafür haben wir ein Straflager voller Pseudoverbrecher.«

Türen gingen auf und zu, und schon waren sie im Analyseflügel. Vor ihnen erhob sich ein beeindruckender Berg von Apparaturen – die Datenrezeptoren und Rechenmechanismen, die das eintreffende Material prüften und neu strukturierten. Und hinter den Maschinen saßen die drei Präkogs, die in dem Labyrinth von Netzleitungen beinahe untergingen.

»Da sind sie«, sagte Anderton trocken. »Was halten Sie von ihnen?«

Im düsteren Halbdunkel saßen die drei lallenden Idioten. Jedes zusammenhanglose Wort, jede unkontrollierte Silbe wurde analysiert, verglichen, in Form visueller Symbole wieder zusammengefügt und auf konventionelle Lochkarten übertragen, die dann in verschiedene kodierte Schlitze ausgeworfen wurden. Den ganzen Tag lallten die Idioten vor sich hin, gefangen in einer starren Haltung, mit Metallbändern, Kabelbündeln und Klammern an Spezialstühle mit hohen Lehnen gefesselt. Ihre körperlichen Bedürfnisse wurden automatisch befriedigt. Geistige Bedürfnisse hatten sie nicht. Dumpf grummelten, dösten und vegetierten sie dahin. Ihre Sinne waren stumpf, verwirrt, in Schatten versunken.

Aber nicht in den Schatten der Gegenwart. Die drei seibernden, brabbelnden Kreaturen mit ihren überdimensionalen Köpfen und nutzlosen Körpern betrachteten die Zukunft. Die Analysemaschinen zeichneten Prophezeiungen auf, und wenn die drei Präkog-Idioten redeten, hörten die Maschinen aufmerksam zu.

Zum ersten Mal wich das forsche Selbstvertrauen aus Witwers Gesicht. Ein angewiderter, entsetzter Blick schlich sich in seine Augen, eine Mischung aus Scham und moralischer Erschütterung. »Ist nicht gerade – angenehm«, murmelte er. »Ich war mir nicht darüber im Klaren, dass sie so –« Gestikulierend suchte er nach dem richtigen Wort, »So deformiert sind.«

»Deformiert und zurückgeblieben«, pflichtete Anderton augenblicklich bei. »Vor allem das Mädchen da. ›Donna‹ ist fünfundvierzig Jahre alt. Aber sie sieht aus wie zehn. Die Begabung verschlingt alles; der Psi-Lappen lässt den Rest des Stirnbereichs zusammenschrumpfen. Aber was interessiert uns das? Wir kriegen ihre Prophezeiungen. Sie liefern uns das, was wir brauchen. Sie haben von all dem keine Ahnung, wir schon.«

Zögernd ging Witwer quer durch den Raum zu den Maschinen. Aus einem Schlitz klaubte er einen Stapel Karten. »Sind das Namen, die dabei rausgekommen sind?«, fragte er.

»Sieht ganz danach aus.« Stirnrunzelnd nahm Anderton ihm den Stapel weg. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, sie zu überprüfen«, erklärte er; ungeduldig verbarg er seinen Ärger.

Fasziniert schaute Witwer zu, wie die Maschine eine neue Karte in den jetzt leeren Schlitz spuckte. Es folgte eine zweite – und eine dritte. Aus den schwirrenden Scheiben kam eine Karte nach der anderen. »Die Präkogs sehen wohl ziemlich weit in die Zukunft«, stieß Witwer hervor.

»Sie sehen nur eine ziemlich begrenzte Zeitspanne«, erklärte ihm Anderton. »Allerhöchstens ein oder zwei Wochen. Ein Großteil ihrer Daten ist wertlos für uns – für unsere Tätigkeit schlicht und einfach irrelevant. Die geben wir an die zuständigen Behörden weiter. Dafür beliefern die uns dann wiederum mit ihren Daten. In jeder wichtigen Dienststelle gibt es einen ganzen Keller voll strenggehüteter Affen.«

»Affen?« Witwer starrte ihn verlegen an. »Ach so, schon kapiert. Nichts sehen, nichts hören und so weiter. Sehr amüsant.«

»Sehr passend.« Automatisch griff Anderton nach den neuen Karten, die die rotierende Maschine inzwischen ausgeworfen hatte. »Manche Namen werden sofort aussortiert. Und auf den restlichen Karten sind größtenteils Bagatelldelikte registriert: Diebstahl, Steuerhinterziehung, Überfall, Erpressung. Wie Sie sicher wissen, gibt es dank unserer Arbeit heute neunundneunzig Komma acht Prozent weniger Schwerverbrechen. Einen richtigen Mord oder Hochverrat haben wir nur noch selten. Schließlich weiß der Täter, dass wir ihn eine Woche, bevor er Gelegenheit bekommt, das Verbrechen zu begehen, in ein Straflager stecken.«

»Wann ist denn das letzte Mal ein richtiger Mord begangen worden?«, fragte Witwer.

»Vor fünf Jahren«, sagte Anderton stolz.

»Wie ist das passiert?«

»Der Verbrecher ist unseren Einheiten entwischt. Wir hatten seinen Namen – im Grunde hatten wir sogar alle Einzelheiten der Tat, auch den Namen des Opfers. Wir kannten den genauen Zeitpunkt und Ort des geplanten Verbrechens. Aber trotz unserer Bemühungen hat er es geschafft.«

»Ein Mord in fünf Jahren.« Witwers Selbstvertrauen kehrte zurück. »Recht beachtliche Leistung … darauf können Sie stolz sein.«

»Ich bin stolz darauf«, sagte Anderton ruhig. »Vor dreißig Jahren habe ich die Theorie entwickelt – damals, als diese Egoisten nichts anderes im Sinn hatten, als an der Börse das schnelle Geld zu machen. Ich hatte etwas Beständiges vor Augen – etwas von enormer sozialer Bedeutung.«

Er warf seinem Assistenten Wally Page, der für den Affenblock zuständig war, das Kartenpäckchen zu. »Schauen Sie mal, welche wir brauchen können«, sagte er zu ihm. »Entscheiden Sie selbst.«