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Das zwischen uns ist alles - nur nicht fake
Stella Londons Leben gleicht einem Scherbenhaufen. Ihr Ex-Freund hat die Verlobung mit ihrer besten Freundin bekannt gegeben - und Stella zur Hochzeit eingeladen! Doch als Immobilienmogul Beck Wilde ihr überraschend anbietet, sie auf die Hochzeit nach Schottland zu begleiten und ihren Verlobten zu spielen, ist Stellas Moment der Rache gekommen. Beck hat seine ganz eigenen Gründe, warum er die Feier auf keinen Fall verpassen darf, erhofft er sich doch, dort den wichtigsten Business-Deal seines Lebens abzuschließen. Dass er dabei sein Herz verlieren könnte, war allerdings nicht Teil des Plans ...
"Beck Wilde ist die Nummer eins der besten Fake-Boyfriends! Louise Bay hat sich mit diesem Roman selbst übertroffen." LOVE & LAVENDER
Band 1 der THE-MISTER-Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Louise Bay
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Seitenzahl: 468
Titel
Zu diesem Buch
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Louise Bay bei LYX
Leseprobe
Impressum
LOUISE BAY
Mister Mayfair
Roman
Ins Deutsche übertragen von Anja Mehrmann
Als Stella London die Einladung zur Hochzeit ihres Ex-Freunds Matt und ihrer besten Freundin seit Kindheitstagen erhält, bricht ihre Welt vom einen auf den anderen Augenblick in sich zusammen. Schließlich war sie davon aus gegangen, dass sie und Matt sich nur auf eine vorübergehende Beziehungspause geeinigt hatten und alles wieder gut werden würde. Zu der Hochzeit zu gehen, von der sie insgeheim selbst geträumt hatte, ist für Stella unvorstellbar. Doch dann erhält sie ein unerwartetes Angebot von Immobilienmogul Beck Wilde: Der attraktive und charmante Millionär will sie auf die Hochzeit nach Schottland begleiten und ihren Verlobten spielen – Stellas Moment der Rache ist gekommen. Beck dagegen hat seine eigenen Gründe, warum er die Feierlichkeiten nicht verpassen darf. Ist dies doch seine Chance, endlich an Henry Dawnay, den Onkel der Braut, heranzukommen und den vielleicht wichtigsten Business-Deal seines Lebens abzuschließen. Aber je mehr Zeit Beck mit Stella verbringt, desto klarer wird ihm, dass er sich offenbar verkalkuliert hat. Denn sein Herz zu verlieren, war absolut nicht Teil des Plans …
»Kevin Bacon erzählt echt nur Bullshit!«, brachte ich keuchend heraus, während ich mit dem Schläger auf den kleinen schwarzen Gummiball eindrosch.
Dexter wich rasch aus, als der Ball vom Boden aufsprang und seine Eier zu treffen drohte. »Was hat er dir denn getan?«
»Diese Geschichte mit den sechs Stadien der Trennung – totaler Schwachsinn, echt.«
»Was?«, fragte Dexter, der nach Luft rang. Ich machte ihn gerade komplett fertig, und mir war klar, wie sehr ich sein empfindliches Ego damit verletzte. Seine Niederlage würde er zweifellos der Skiverletzung ankreiden, über die er nach wie vor klagte. Meiner Meinung nach hatten Leute, die Ski fuhren, jede ihrer Verletzungen verdient – wie sollte es auch anders ausgehen, wenn man mit Metallflossen an den Füßen den Berg hinunterraste?
»Du weißt schon, die Behauptung, dass jeder auf diesem Planeten über sechs Personen mit jedem anderen Menschen verbunden ist. Also der Freund eines Freundes eines …«
»Daran ist nicht Kevin Bacon schuld. Schließlich hat er sich das nicht ausgedacht«, sagte Dexter, ehe er aufschlug.
»Na schön, wenn du unbedingt pedantisch sein willst, dann war eben Frigyes Karinthy derjenige, der lauter Bullshit erzählt hat.«
»Mir ist nicht klar, ob du mich gerade beschimpft oder Ukrainisch mit mir gesprochen hast.«
»Ungarisch«, versetzte ich und wischte mir mit dem Ärmel die Stirn ab. Sportliche Leistung bemaß sich meiner Meinung nach nicht an der Anzahl verbrannter Kalorien oder an der Zeit, die ich im Gym verbrachte, sondern an der Menge Schweiß, die ich dabei vergoss. Jemand müsste eine Maschine erfinden, die das Ausmaß des Schwitzens messen konnte – dafür würde ich eine ordentliche Summe Geld hinlegen. Meiner Meinung nach brachte Anstrengung die besten Resultate. »Das ist der Typ, der die Bullshit-Theorie entwickelt hat. Habe ich bei Wikipedia nachgeschlagen.«
»Fuck!«, fauchte Dexter, als der Ball unterhalb der roten Linie an die verputzte Wand prallte und mir den Sieg schenkte, mit dem ich seit Betreten des Courts gerechnet hatte. Dexter verlor beim Squash nur dann, wenn er geschäftlichen Ärger hatte, also würde ich mich mit meinem Sieg über ihn nicht brüsten. »Ja, schon klar. Aber was ist das Problem?«
Ich bückte mich und hob den Ball, der auf mich zugerollt kam, noch außerhalb des Spielfelds auf. »Die Theorie ist fehlerhaft. Ich habe mich an jeden einzelnen meiner Kontakte gewendet, aber niemand konnte mich mit Henry Dawnay zusammenbringen.«
»Versuchst du immer noch, dich mit diesem ollen Milliardär zu treffen?« Dexter grinste, als könnte ihn mein geschäftliches Scheitern für seine miese Performance auf dem Squashfeld entschädigen. »An deiner Stelle würde ich die Hoffnung allmählich aufgeben.«
»Henry Dawnay ist nicht irgendein oller Milliardär. Er ist der alte Milliardär, der zwischen mir und neun Komma vier Millionen Pfund steht. Und auf dieses Geld werde ich auf keinen Fall verzichten. Ich habe mich durch all meine Kontakte geackert und stehe immer noch mit leeren Händen da. Ich dachte, dass vielleicht einer von euch irgendwie mit ihm in Verbindung steht. Was habe ich von wohlhabenden, erfolgreichen Freunden, wenn sie mir nichts nützen?«
»Einer von uns? Sprichst du etwa von deinen fünf besten Freunden, die für dich durchs Feuer gehen würden?«
So sicher, wie ich wusste, dass Manchester United die Liga gewinnen würde, wusste Dexter, dass ich nur scherzte, denn die Tatsache, dass die Typen, mit denen ich mich bereits als Teenager angefreundet hatte, allesamt reich und erfolgreich waren, war reiner Zufall. Ihre Jobs spielten keine Rolle. Abgesehen von meinem Vater waren sie die besten Männer, die ich kannte, und ich würde für sie ebenso durchs Feuer gehen wie sie für mich. Was mich nicht daran hinderte, mich darüber zu beklagen, dass mir bislang keiner von ihnen ein Treffen mit Henry Dawnay hatte verschaffen können – auch wenn ich mich wie der launische Blödmann anhörte, als den Dexter mich so gern bezeichnete.
Ich verdrehte die Augen und deutete mit einem Nicken auf die Umkleide. Ich brauchte eine Dusche, und danach musste ich mir einen Plan machen. »Ich brauche niemanden, der für mich durchs Feuer geht. Mir reicht jemand, der mich dem Eigentümer des Gebäudes vorstellt, das zwischen mir und zehn Millionen Pfund steht.«
»Eben hast du noch von neun Komma vier gesprochen.«
»Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie nervig du bist?«
»Nicht nur einmal«, sagte Dexter und stieß die Tür zur Umkleide auf. »Hör zu, wenn es niemanden gibt, der dich diesem Dawnay vorstellt, warum machst du ihn dann nicht einfach ausfindig, läufst ihm zufällig über den Weg und stellst dich ihm selbst vor?«
Ich bedachte ihn mit dem Blick, der eigentlich meiner Mutter vorbehalten war, wenn sie mir unerwünschte Ratschläge erteilte. »Das habe ich bereits getan. Vor einem Monat in der Lobby des Dorchester. Er hat mir die Hand geschüttelt und ist hinausgestürmt, ohne mich nach meinem Namen zu fragen.«
Dexter zuckte zusammen, und zwar zu Recht. Es war blamabel gewesen. Ich hatte mich gefühlt wie ein neunjähriger Junge, der Cristiano Ronaldo begegnet.
Ich schloss den Garderobenschrank auf und holte mein Handy heraus, um die neu eingegangenen Nachrichten zu lesen. Zwei weitere verpasste Anrufe von Danielle. Shit. Noch etwas, worum ich mich kümmern musste. »Ich konnte mir Zugang zu seinem Kalender verschaffen, und deshalb –«
»Wie zum Teufel hast du das denn gemacht?«
»Frag nicht. Wenn man nicht im Gefängnis landen will, muss man in der Lage sein, Dinge glaubwürdig abzustreiten.« Soweit ich wusste, hatte ich mehrere britische und auch ein paar international gültige Gesetze gebrochen, indem ich mir diese Information verschafft hatte. Hoffentlich war sie es wert.
»Na, ich hoffe jedenfalls, dass ihr im Knast landet, Joshua und du.«
Über seine Annahme, dass mit Joshua ein weiterer unserer Kampfgefährten in die Sache involviert war, ging ich stillschweigend hinweg. Die Vermutung war naheliegend, denn Joshua hackte sich zur Entspannung gern in die Rechner von Regierungsbehörden. Wir anderen spielten Squash. »Ich bin eben gut vernetzt – manche würden sagen, dass ich im Immobiliengeschäft über einen gewissen Einfluss verfüge. Ich habe Geld und Ressourcen. Um Himmels willen, ich weiß sogar, von welcher Marke das Klopapier ist, das dieser Kerl benutzt! Aber offensichtlich reicht nicht mal das aus, um einen Gesprächstermin bei ihm zu bekommen.« Die Sache sähe völlig anders aus, stünde der Name meines leiblichen Vaters auf meiner Geburtsurkunde.
»Du solltest dich lieber beruhigen und eine Lösung finden.«
»Toller Rat«, murmelte ich und scrollte durch meine E-Mails. Eine kam von Joshua und enthielt Henrys Reisepläne und Termine für die kommenden Monate. Ich ließ mich auf die Bank fallen und öffnete den Anhang in der Hoffnung, dass Henry endlich ein Mittagessen oder ein Meeting mit jemandem vereinbart hatte, den ich kannte.
Aber nein. Nichts. Allerdings war eine komplette Woche geblockt. Ob er in Urlaub fahren wollte?
»Das ist der Typ, dem du das Gebäude in Mayfair abkaufen willst, stimmt’s?«
»Ja. Mir gehören sämtliche Grundstücke in der Häuserzeile bis auf dieses eine – es ist das heruntergekommenste von allen, und er macht nichts damit. Es steht leer und muss komplett saniert werden. Es ist reif für eine Komplettsanierung durch mich.« Von diesem Gebäude war ich besessen, solange ich zurückdenken konnte.
»Na schön, im schlimmsten Fall umgehst du es einfach.«
Kopfschüttelnd erwiderte ich: »Ich umgehe keine Probleme. Ich löse sie mit der Abrissbirne.« Ich hatte alles genau durchgerechnet. Ohne Henrys Immobilie würde ich keinen Gewinn machen. Und Verluste akzeptierte ich nicht. Außerdem ging es mir um mehr als nur um Geld.
In diesem Haus hatte meine Mutter gewohnt, als sie feststellte, dass sie mit mir schwanger war.
Es war das Haus, aus dem meine Mutter vertrieben worden war, sobald ihr Freund – Eigentümer des Gebäudes und mein leiblicher Vater – von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte.
Als er starb, erbte es ein entfernter Cousin, und da meine Mutter mir die Geschichte erzählt hatte, als ich ein Teenager war, konzentrierte ich meine Energie wie einen Laserstrahl auf den Plan, dieses Haus zu kaufen. Vielleicht glaubte ich, es würde das Unrecht wiedergutmachen, wenn ich das Haus besaß, das ich eigentlich hätte erben müssen.
Dann könnte ich es abreißen und ganz von vorn beginnen.
Ich würde die Geschichte neu schreiben.
Ich betrachtete die Dokumente, die Joshua mir geschickt hatte. Warum hatte Henry eine ganze Woche geblockt? Dieser Mann machte keinen Urlaub. Ich sah genauer hin. Der einzige Eintrag in der Woche lautete »M&K«. Ich gab die Buchstaben in die Suchmaschine in meinem Handy ein. Wofür konnte M&K stehen? Als ich die Ergebnisse durchscrollte, leuchtete mir nicht ein, inwiefern ein Möbelladen in Wigan oder ein amerikanischer DJ für Henry relevant sein sollten. Henry kam aus einer Familie, die nicht nur reich, sondern auch adlig war – er war ein Earl oder so, obwohl er den Titel offenbar nicht benutzte. Ich war mir ziemlich sicher, dass er weder in Wigan einkaufen gehen noch einen DJ engagieren würde.
Ich öffnete ein weiteres Fenster auf dem Display, und als ich Joshua gerade anrufen und um nähere Informationen bitten wollte, ploppte eine weitere E-Mail mit Anhang auf. Als ich sie öffnete, sah ich die Daten der M&K-Woche als Erstes. Es war eine elegant gestaltete elektronische Hochzeitseinladung. Offenbar war Joshua ebenso neugierig gewesen wie ich. Eine Hochzeit, die eine Woche lang dauerte? Hatten diese Leute und ihre Gäste keine Jobs? M stand für Matthew und K für Karen. Die Braut und der Bräutigam. Ich gab ihre Namen bei Google ein. Niemand, den ich kannte. Aber das überraschte mich nicht. Sie sahen aus, als hätten sie sich auf einem Krocketfeld kennengelernt – Matthew trug auf jedem Bild ein Sportsakko und einen Strohhut. Ich hatte nicht gewusst, dass Eton-Absolventen und Menschen mit ererbtem Reichtum anders aussahen als die meisten normalen menschlichen Wesen, aber so war es. Vermutlich lag es an den halblangen Haaren, diesen modernen Schmachtfransen, oder an der Anspruchshaltung, die sie zur Schau trugen.
Eine High-Society-Hochzeit war der perfekte Ort, um Henry anzusprechen.
Aber seine Leute waren nicht meine Leute.
Mein Geld war so neu wie der junge Morgen, und darum würde ich dieser Hochzeitsfeier fernbleiben, sie mir von außen ansehen müssen und nach vielen abgelehnten Anrufen noch immer nicht in der Lage sein, mich mit Henry Dawnay zu treffen.
»Da wir gerade von Abrissbirnen sprechen: Wie geht es eigentlich Danielle? Hast du die Beziehung schon kaputt gekriegt?«, fragte Dexter und riss mich aus meiner zwanghaften Beschäftigung mit Henry.
Ich blickte von meinem Handy auf. »Wie bitte? Es geht ihr gut.« Ich hatte keine Ahnung, ob das stimmte, ich hatte sie nämlich verärgert. Mal wieder. Bei unserem letzten Dinner hatte sie davon gesprochen, unsere Beziehung zu vertiefen. Aber mir gefiel gerade das Oberflächliche daran – mehrmals pro Woche ein Dinner, gefolgt von einer gemeinsamen Nacht. Für etwas anderes hatte ich keine Zeit. Normalerweise arbeitete ich – ich rechnete den nächsten Deal durch, überprüfte neue Kaufgelegenheiten, spielte Feuerwehr, wenn es auf einer Baustelle dringende Probleme gab. Das ließ mir gerade genug Zeit für regelmäßige Treffen mit meinen fünf besten Freunden. Auch wenn mich das zu einem Arschloch macht: Mir waren Frauen zwar im Allgemeinen wichtig, aber das galt nicht für eine bestimmte. In den letzten Monaten war es also Danielle gewesen. Davor war es Juliet, und am Ende des Sommers würde es vermutlich wieder eine andere sein. Aber ich musste Danielle zurückrufen. Ich war sehr beschäftigt gewesen, und diese Sache mit Henry ging mir ziemlich an die Nieren.
»Wann hast du sie zuletzt zum Dinner ausgeführt? Oder dich auch nur außerhalb des Schlafzimmers mit ihr unterhalten?«
»Himmel, bist du neuerdings mein Therapeut?« Schuldgefühle ließen meine Haut unangenehm kribbeln, und ich richtete den Blick erneut auf mein Handy. Das Dinner an diesem Samstag hatte ich abgesagt. Mal wieder. Sie war stinksauer gewesen, darum war ich für ein paar Tage auf Abstand gegangen. Aber inzwischen war Donnerstag. Mist. Ich hätte sie längst anrufen müssen. Wenn ich das zugab, würde Dexter mich als Arschloch bezeichnen. Dabei hatte ich gar nicht vorgehabt, so lange zu warten. Ich war nur zu sehr mit allen möglichen anderen Dingen beschäftigt, und irgendwie war Danielle mir von der Anrufliste gerutscht. Ich klickte auf ein anderes Fenster und rief meine Sprachnachrichten ab, um am Ton ihrer Stimme zu hören, ob sie sich wieder abgeregt hatte.
Ich löschte die drei Sprachnachrichten, in denen sie mich aufforderte, sie zurückzurufen. Die vierte gipfelte in einem vorwurfsvollen »Wo bist du?«, in der fünften forderte sie mich erneut auf, sie anzurufen. Sie klang ruhiger, entspannter. Perfekt. Genau, wie ich gehofft hatte. Aber mit der sechsten Nachricht hatte ich nicht gerechnet. Oder vielleicht doch. Sie gab mir den Laufpass. Ihre Stimme klang resigniert, die Worte schneidend.
»Alles okay?«, fragte Dexter und sah mir forschend ins Gesicht.
Ich beendete den Anruf. »Ja. Ich bin ein mieser, egoistischer Workaholic. Und Danielle Fishers Ex-Freund.«
Zum zweiten Mal an diesem Morgen zuckte Dexter zusammen – berechtigterweise.
Ich zuckte mit den Achseln, als könnte ich nichts dafür. Als wäre es nicht ganz allein meine Schuld. »Ich hätte sie eher zurückrufen müssen.«
Dexter nickte, während er sich ein Handtuch um die Hüften wickelte.
»Ja, das hättest du. Aber andererseits: Wenn sie die Richtige für dich wäre, hättest du sie längst angerufen. Du hättest ihre Anrufe nicht ignoriert, weil du nämlich mit ihr hättest sprechen wollen.«
»Und was zum Teufel weißt du darüber, wie man mit der Richtigen umzugehen hat?«
»Ich weiß es eben«, sagte er.
»Aber Stacey ist es nicht, stimmt’s?«, fragte ich und meinte die Frau, mit der er sich derzeit das Bett teilte.
»Nein, nicht Stacey. Aber dass ich bei der Richtigen Mist gebaut habe, heißt noch lange nicht, dass du es auch tun musst. Lerne aus meinen Fehlern.«
Ich verdrehte die Augen und wandte mich wieder Joshuas E-Mail zu. »Wenn ich Stacey das nächste Mal sehe, vergesse ich hoffentlich nicht, ihr zu sagen, dass sie nur deine Übergangsfrau ist.«
»Hör auf, den Idioten zu spielen.«
»Hör du doch auf«, erwiderte ich. Aber ich benahm mich tatsächlich idiotisch. Danielle hatte irgendwie resigniert geklungen, so als hätte ich ihre Erwartungen enttäuscht, und das versetzte mir einen Stich. In demselben Ton hatte meine Klassenlehrerin mit mir gesprochen, als ich ihr sagte, dass ich nicht die Absicht hatte, zur Uni zu gehen. Meine Noten waren gut, aber ich hatte kein Interesse daran, noch länger zu lernen. Das war eine Welt, zu der ich nicht gehörte. Ich wollte durchstarten und Geld verdienen. Ich bezweifelte, dass meine Lehrerin in demselben Ton mit mir reden würde, wenn ich ihr jetzt über den Weg liefe. Sie hatte mich für faul gehalten, dabei war ich genau das Gegenteil. Die Uni war gut für Leute wie Henry und für diesen Matthew und seine Karen, wer auch immer die beiden sein mochten – ich hingegen hatte Besseres zu tun. Ich musste mir mein Vermögen erst verdienen.
Aber egal, wie reich ich wurde, ich konnte mich trotzdem nicht unter die Leute mischen, mit denen sich Henry Dawnay umgab.
Und das musste sich ändern. Irgendwie würde ich es fertigbringen, eine Einladung zur Hochzeit des Jahres zu ergattern.
Ich fuhr zum zweiten Mal mit dem Finger über die Gästeliste. Irgendetwas musste ich übersehen haben. Oder jemanden.
»Ich habe die Liste dreimal überprüft, Sir«, sagte Roy, mein Assistent, der vor meinem Schreibtisch stand. »Ich habe sogar die Kontakte Ihrer Kontakte gecheckt.«
Als ich nach dem Duschen wieder an meinem Schreibtisch saß, hatte Joshua mir bereits die Gästeliste der Hochzeit geschickt, bei der Henry zu Gast sein würde, und ich war fest entschlossen, mir Zugang zu dem Event zu verschaffen. Der Vater des Bräutigams war in der City allgemein bekannt – er war Teilhaber einer der ältesten Investmentbanken Londons. Ich kannte den Typus – diese Männer hassten es, wenn Clubs in London gezwungen waren, Frauen zuzulassen, und sie sehnten die Tage herbei, an denen nach dem Lunch niemand mehr im Büro auf sie wartete. Ich sollte ihnen dankbar sein, denn dies waren die Männer, die genug Fleisch am Knochen ließen, damit ich es verschlingen konnte. Der Vater der Braut war ein Gutsbesitzer, und das bedeutete, dass er nicht viel mehr tat, als in Tweedklamotten in einem Land Rover durch die Gegend zu fahren. Hätte ich nur jemanden gekannt, der hinging! Dann hätte ich ihn überreden können, Henry auf der Hochzeit anzusprechen und mich lobend zu erwähnen, ihm zu versichern, dass ich vertrauenswürdig und ehrlich war – vielleicht könnte dieser Jemand sogar erwähnen, dass ich Henry ein Geschäft vorschlagen wollte. Ich musste mir gut überlegen, wen ich darum bat. Dexter und ich stichelten uns zwar ständig, aber wenn er zu dieser Hochzeit ging, würde Henry mich am Ende für seine gute Fee halten – und jeder von uns sechs hätte für die anderen dasselbe getan. Wir trugen unterschiedliche Namen, aber abgesehen davon waren wir Brüder.
Wer käme sonst noch in Frage? Ich bezweifelte, dass ich jemandem, der nicht zu unserem Kreis gehörte, eine derart wichtige Aufgabe anvertrauen konnte. Besser wäre es, ich könnte selbst als Gast zu der Hochzeitsfeier gehen. Dann wäre Henry gezwungen, mich anzuhören, und ich würde ihn mit Sicherheit dazu bringen, auf der gepunkteten Linie zu unterschreiben.
»Und Sie sind sicher, dass ich niemanden dort kenne?« Ich hatte vielleicht die falschen Schulen besucht und war auch nicht in den richtigen Kreisen aufgewachsen, aber ich war seit Jahren erfolgreich. Ich verdiente mehr Geld als der größte Teil aller Londoner zusammengenommen, und ich hatte jeden Tag von morgens bis abends mit Anwälten und Geschäftsleuten zu tun. Dennoch kannte ich keinen einzigen Menschen, der an dieser Hochzeitsfeier mit ihren dreihundertfünfzig Gästen teilnehmen würde.
»Absolut sicher. Ich habe Ihre Kontakte mit Ihrer LinkedIn-Seite abgeglichen. Und ich habe die Listen für die Weihnachtskarten der letzten fünf Jahre überprüft, um herauszufinden, ob ich jemanden übersehen habe.«
Das Ganze überraschte mich nicht sonderlich. Wir waren zwar allesamt Briten und wohnten in derselben Stadt, aber für diese Menschen lebte ich nach wie vor auf einem anderen Planeten.
»Es gibt vermutlich keine alleinstehenden Frauen auf der Liste, oder?« Es musste doch Frauen geben, die ohne Mann dort auftauchen würden. Ich war Single. Also würde ich diese Frauen ausfindig machen, sie verführen und zukünftig als Begleitung für Hochzeiten und Bar-Mizwas zur Verfügung stehen. Nein, das war ein bescheuerter Plan. Ich musste dafür sorgen, dass ich Zutritt zu dieser Hochzeit bekam – und das würde ich auf keinen Fall dem Zufall überlassen. Ich wollte eine Art Garantie – einen Vertrag oder so was.
»Die eingeladenen Frauen mit unbenanntem Begleiter stehen unten auf der Liste«, sagte Roy. Ich drehte die Seite um und las einen Männer- und drei Frauennamen.
»Wissen Sie, wie alt die sind?« Vielleicht hatte er Fotos von ihnen.
»Nein, Sir. Aber das kann ich für Sie in Erfahrung bringen.«
Ich musste genau wissen, wer diese drei Frauen waren.
Candice Gould
Suzie Dougherty
Stella London
Drei Singlefrauen – mit einer von ihnen würde ich mir Zutritt zu der Feier verschaffen können. Als geladene Gäste zu M&Ks Hochzeit besaßen sie etwas, das ich dringender benötigte als Sauerstoff. Möglicherweise würde es mir nicht gelingen, eine von ihnen zu verführen, sodass sie mich garantiert als Begleiter akzeptieren würde, aber irgendetwas begehrte jeder Mensch. Und mir standen beträchtliche Mittel zur Verfügung. Ich musste nur herausfinden, was sie sich wünschten und einen Tauschhandel vereinbaren – Begleitung zu der Feier gegen ein Pony oder eine Woche auf einer Yacht oder was auch immer sich Leute, die nicht arbeiteten, wünschen mochten. Ich musste diese Frauen nur finden und ihnen ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen würden.
Eine dieser Frauen war der Schlüssel zu Dawnays Gebäude.
Und wieder war ein Tag geschafft, wie die Redensart so schön heißt. Aber für mich bedeutete dieser Tag lediglich weitere zwölf Stunden in einem miesen Büro mit der miesesten Chefin aller Zeiten. Dass ich Leute, die ich nicht kannte, in Jobs stecken musste, die sie nicht wollten, war das Schlimmste daran. Ich hatte die Stelle als Personalberaterin zwar erst seit zwei Monaten, aber an diese Arbeit würde ich mich niemals gewöhnen.
Mein Handy summte neben mir auf dem Schreibtisch, und ich blickte über die Schulter zum leeren Büro meiner Chefin. Sie hasste es, wenn die Leute private Anrufe entgegennahmen. Hätte Atmen Zeit gekostet, hätte sie auch das verboten.
Es war Florence. Eigentlich rief sie mich nie auf der Arbeit an. Ich beschloss, selbst über mein Leben zu bestimmen, und wischte über das Display, um den Anruf anzunehmen. »Hey«, flüsterte ich.
»Sitzt du am Computer?«, fragte sie.
»Natürlich. Ich bin daran angekettet, was hast du denn …«
»Ich bin nur fünf Minuten entfernt. Was auch immer du tust, check nicht deine E-Mails. Hol deinen Mantel, wir treffen uns gleich unten.«
Florence war offenbar verrückt geworden. Ich checkte meine Mails ständig. »Ich habe den Posteingang direkt vor der Nase, Florence.«
»Ich meine deine privaten Mails. Versprich es mir. Log dich aus und komm runter, sonst komme ich zu dir ins Büro und schleife dich da raus.«
»Es ist gerade erst sechs. Ich kann nicht einfach gehen. Was ist denn los?« Offenbar war es etwas Ernstes. »Ist mit dir und Gordy alles okay?« Florence und Gordy waren das perfekte Paar, und wenn es Ärger im Paradies gab, war nichts mehr unmöglich.
»Ich bin gerade in die Monmouth Street abgebogen. Hast du deine Jacke an?«
Oh Gott. Sie hatte nicht gesagt, dass alles in Ordnung war. Florence brauchte mich, und sie war mir wichtiger als der Zorn meiner Chefin. »Ich komme«, sagte ich und klemmte mir das Handy zwischen Kinn und Schulter, während ich mich bereits ausloggte.
Ich nahm meine Jacke von der Stuhllehne, strebte dem Ausgang zu und achtete nicht darauf, dass die Assistentin demonstrativ auf die Uhr blickte, als sie mich hinausgehen sah.
Sobald ich aus dem Aufzug trat, entdeckte ich Florence vor der Glastür des Bürogebäudes. Mit hängenden Schultern, gerunzelter Stirn und leichenblassem Gesicht stand sie da. Etwas Katastrophales war passiert, daran bestand kein Zweifel.
Ich würde Gordy umbringen.
»Es tut mir so leid, Florence«, sagte ich und breitete die Arme aus, um sie an mich zu ziehen.
Sie drückte mich so fest, dass ich kaum Luft bekam. Vermutlich war sie am Boden zerstört. Und dabei hatten alle geglaubt, Gordy sei ein anständiger Typ.
»Ich wollte, dass du es von mir hörst«, sagte Florence, als sie sich von mir löste und mir den Arm um die Schultern legte.
»Natürlich. Ich bin für dich da«, antwortete ich und griff nach ihrer Hand. »Wenn du willst, helfe ich dir, seine Leiche zu verbrennen.«
Sie runzelte die Stirn, als überraschte sie mein Angebot. Aber warum? Es gab nichts, was ich für Florence oder meine anderen besten Freundinnen nicht tun würde.
Wir überquerten die Straße und steuerten auf einen Tisch vor der Bar in der Monmouth Street gegenüber meinem Büro zu. Einer der wenigen Pluspunkte meines Arbeitsplatzes bestand darin, dass er sich im West End befand und von Bars und Restaurants umgeben war. »Ich glaube, wir brauchen Wein«, sagte ich.
Und wir würden eine Schaufel brauchen. Wenn sie Gordy nicht umbrachte, würde ich es tun.
Wir bestellten eine Flasche Wein und nahmen Platz. »Du hast es also gesehen?«, fragte Florence. »Du wirkst sehr gefasst.«
»Was habe ich gesehen?«, fragte ich. »Ach ja.« Ich holte mein Handy heraus. »Du hast gesagt, da ist etwas in meinem privaten Postfach.«
»Du hast es noch nicht gesehen?«, fragte Florence.
»Was denn?«
Sie entwand mir das Handy und griff nach meiner Hand. »Welche Leiche hilfst du mir zu begraben?«, fragte sie. »Gordys natürlich. Erzähl mir, was er angestellt hat.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es geht nicht um Gordy. Es geht um Matt.«
Mir rutschte das Herz in die Hose, und ich erstarrte. Wenn Florence an einem Mittwochabend um sechs von ihrem Arbeitsplatz in der City hierhergerast kam, konnte das nichts Gutes bedeuten. Hatte er einen Unfall gehabt? War sein Vater gestorben?
»Er heiratet«, sagte sie und drückte mir beide Hände.
Ich wich zurück, versuchte zu verarbeiten, was sie gerade gesagt hatte. »Er heiratet natürlich nicht. Wir sind erst seit zwei Monaten auseinander.« Ich sagte nur ungern, dass wir uns getrennt hatten, denn das war keine zutreffende Beschreibung dessen, was zwischen uns vor sich ging. Wir waren im Augenblick nicht zusammen, das war alles. Es war nur vorübergehend. Matt hatte Panik bekommen, weil all unsere Freunde heirateten und uns ständig fragten, wann es bei uns endlich so weit sei. Es war dieses typische Männerding, eine Art kleiner Nervenzusammenbruch, kurz bevor er mir die Frage aller Fragen stellen würde. Siehe Prinz William und Kate Middleton. Die beiden hatten drei Monate Beziehungspause, bevor William ihr einen Antrag machte.
»Es tut mir so leid, Stella.«
Florence hob den Kopf und sah mich an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und erst jetzt begann mein Herz zu rasen. Sie meinte es ernst. »Wie bitte? Wen denn? Woher weißt du das?«
»Die Einladung ging an Gordys Büro. Und dann kam eine E-Mail mit dem Ablaufplan. Ach, vergiss es!«
Ich versuchte zu schlucken, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich griff nach dem Glas Wein, das Florence mir eilig eingegossen hatte. »Das verstehe ich nicht. Es muss sich um einen Fehler handeln.« Wie war es möglich, dass Matt heiratete? Er hatte mir nie einen Antrag gemacht, obwohl wir seit sieben Jahren zusammen waren. Florence musste da etwas in den falschen Hals bekommen haben.
Sie schüttelte den Kopf. »Es kommt noch schlimmer, Stella. Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, aber … er heiratet Karen.«
Ich zitterte, und auf einmal wurde mir am ganzen Körper kalt.
Ich konnte nicht sprechen.
Ich konnte nicht atmen.
Ich konnte nicht denken.
Florence schob mir eine weiße Karte über den Tisch zu.
Ich fuhr mit einer Fingerkuppe über die erhabene Schrift, während sich mein Magen zu drehen begann, langsam, aber unerbittlich, ein bisschen wie ein Betonmischer. Es war die Einladung, die ich mir für meine eigene Hochzeit ausgesucht hätte – dickes weißes Papier, ein dünner goldfarbener Rand und eine elegante schwarze Schrift. Schlicht. Klassisch. Kultiviert.
Offenbar reichte es nicht, dass sie mir die Liebe meines Lebens stahl. Meine beste Freundin musste auch noch bei der Hochzeitseinladung denselben Geschmack haben wie ich.
»Karen und Matt?« Ich blickte Florence forschend ins Gesicht, als könnte ich dort eine Antwort auf meine Frage finden. »Mein Matt? Meine Karen?«
Florence legte den Kopf schief. »Aus irgendeinem Grund haben sie dich eingeladen. Ich wusste nicht mal, dass sie etwas miteinander hatten. Gordy auch nicht.«
Sie hatten mir eine Einladung geschickt? Vermutlich, weil ich ihr gemeinsamer Nenner war. »Wie lange sind sie schon …?« War dies der wahre Grund, warum Matt mich verlassen hatte? Die Gründe, die er für die Trennung angeführt hatte, wirkten rückblickend wenig überzeugend …
Ich weiß nicht, ob wir wirklich füreinander bestimmt sind.
Wir haben nicht dieselbe Vorstellung vom Leben.
Ich hatte angenommen, dass er nur nervös geworden war, weil die Zeit der Hochzeiten und Babys immer näher rückte.
Offensichtlich hatte ich mich getäuscht.
»Karen schwört, dass es erst seit eurer Trennung ist, aber–«
»Du hast mit ihr gesprochen?« Bei genauerem Nachdenken fiel mir auf, dass ich mit Karen kein richtiges Gespräch mehr geführt und mich auch nicht mit ihr getroffen hatte, um Neuigkeiten auszutauschen, seit … Nun, ich hatte vergessen, seit wann wir uns nicht mehr gesehen hatten. Wir tauschten Textnachrichten aus. Ständig. Fast jeden Tag. Aber ich hatte sie seit Wochen weder gesehen noch mit ihr gesprochen.
»Als Gordy mir von der Einladung erzählt hat, habe ich Karen sofort angerufen. Die Karte haben sie ihm ins Büro geschickt, was ich ziemlich sonderbar fand, denn irgendwann hätte ich es sowieso erfahren.«
Ich registrierte nur die Hälfte von dem, was Florence mir erzählte. »Was hat sie gesagt?«
»Nur dass …« Florence zögerte und atmete durch. »Sie und Matt hätten gemerkt, dass sie etwas füreinander empfinden, und es sei ernst, mehr hat sie nicht gesagt. Als ich dich erwähnte, hat sie sich mit einem Anruf herausgeredet, den sie angeblich noch machen musste, und hat aufgelegt.«
Mein Freund heiratete also. Mein Ex-Freund. Was aufs Gleiche herauskam. Der Mann, mit dem ich bis zwei Monate zuvor sieben Jahre lang ein Bett geteilt hatte, würde heiraten. Etwas Schlimmeres konnte eigentlich nicht passieren. Aber noch dazu meine beste Freundin?
Warum?
»Ist sie schwanger?«
Florence lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Glaubst du, das ist der Grund?«
Was ging hier vor sich?
Warum heiratete Matt eine andere, obwohl er doch mich heiraten sollte?
Warum heiratete meine beste Freundin und sagte mir nichts davon?
Warum heirateten sie einander?
»Ich weiß nicht, ob es überhaupt eine Erklärung dafür gibt«, sagte ich. »Aber wenn sie gevögelt haben und Karen schwanger geworden ist, wäre das zumindest ein logischer Grund für eine rasche Heirat.« Und dieser Grund war mit Sicherheit leichter zu verstehen als die Erklärung, meine beste Freundin habe Gefühle für meinen Freund entwickelt, denn das führte unweigerlich zu weiteren Fragen – seit wann empfanden sie bereits etwas füreinander? Hatte Matt sich insgeheim nach Karen gesehnt, wenn er mit mir zusammen war? Hatten sie eine Affäre? Seit ein paar Monaten? Seit Jahren? Vom Beginn unserer Beziehung an?
»Ich verstehe nicht, warum sie mir das verschwiegen hat«, sagte ich. »Irgendwann musste ich es doch mitbekommen, aber sie hat gewartet, bis ich die Einladung bekomme und es auf diese Art erfahre.«
»Dafür fällt mir nur ein Grund ein: Sie ist ein verdammtes Miststück.«
Damit würde ich mich zufriedengeben müssen. Vorerst. »Vermutlich hat sie mich nur eingeladen, um mir die Neuigkeit zu verkünden. Diese Verräterin war viel zu feige, um mir ins Gesicht zu sagen, dass sie mir den Freund ausgespannt hat.«
»Glaubst du, die beiden hatten eine Affäre, als ihr beiden noch zusammengewohnt habt?«
»Diese Frage steht ganz oben auf meiner Liste.« War mir irgendetwas aufgefallen? Seit wir nach London gezogen waren, hatte Matt häufig bis spät abends gearbeitet. Aber wir waren aus Manchester hierhergezogen, weil man ihm seinen Traumjob angeboten hatte. Natürlich hängte er sich mit Leib und Seele rein.
Wann hätte er da noch Zeit für eine Affäre gehabt?
Wir waren in dem Stadium angelangt, in dem ich Matt die Unterhosen kaufte und er mich daran erinnerte, dass ich meinen Bruder seit drei Wochen nicht angerufen hatte.
Wir waren ein Team.
Wir liebten uns.
Wir wollten den Rest unseres Lebens miteinander verbringen.
Das hatte ich zumindest geglaubt.
Eigentlich hätte ich weinen sollen, aber aus irgendeinem Grund blieben die Tränen aus. Vielleicht konnte ich es einfach nicht glauben, vielleicht hatte aber auch der Ärger, der leise in mir zu köcheln begann, meine Tränen versiegen lassen.
Seit unserem ersten Schultag war Karen ein Teil meines Lebens gewesen. Im Vergleich zu ihr war ich mir immer ein wenig verwahrlost vorgekommen, sogar damals schon. Als sie fünf war, rutschten ihr nie die weißen Kniestrümpfe hinunter oder warfen Falten um die Fesseln, wie es bei mir der Fall war. Mit dreizehn hatte sie keine Akne und musste sich nicht mit vergeblichen Versuchen herumquälen, ihre Pickel abzudecken, und als wir Twens waren, habe ich sie kein einziges Mal mit klumpiger Mascara oder verschmiertem Eyeliner gesehen.
Karen hatte Matt bereits gekannt, bevor wir ein Paar wurden. Während des ersten Semesters an der Uni hatte sie mich in Manchester besucht. Sie war hereingestürmt wie ein Wirbelwind, hatte die Jungs in Verzückung versetzt und mit den Mädels in meinem Wohnblock Schminktipps ausgetauscht. In Exeter hatte sie nicht recht dazugehört, was für mich keinen Sinn ergab. All meine Freunde liebten sie.
Als Matt mich beim Sommerball auf die Tanzfläche zog, mir erzählte, dass ich das Beste in ihm zum Vorschein brachte und dass er meinen Busen mochte, fand ich es großartig, dass Karen ihn bereits kannte, denn auf diese Art konnte sie mir helfen, unsere Beziehung bis ins Detail zu analysieren.
Sieben Jahre später kannte sie Matt beinahe genauso gut wie ich.
»Vielleicht solltest du zu ihrer Hochzeit gehen, und wenn die Frage nach Ehehindernissen kommt, stehst du auf und fragst ihn nach dem Grund«, schlug Florence vor. »Aber natürlich wirst du nicht hingehen.«
»Nein, natürlich nicht«, sagte ich. Obwohl sie mich eingeladen hatten, war ich mit ziemlicher Sicherheit der letzte Mensch, den Karen auf ihrer Hochzeit sehen wollte. Schließlich stand es auch auf meiner Wunschliste für den Sommer nicht obenan, zuzusehen, wie mein Ex-Freund meine ehemalige beste Freundin heiratete.
»Wirst du hinfahren?« Ich liebte Florence wie eine Schwester, und wenn Karen fähig war, mit meinem Freund zu schlafen, konnte sie Florence vermutlich noch Schlimmeres antun.
»Natürlich nicht«, antwortete sie.
»Aber Gordy wird dabei sein wollen, und bestimmt nicht ohne dich. Wenn die Trennung schon länger zurückläge, wenn ich verheiratet oder wenigstens mit jemandem zusammen wäre, würde ich definitiv hingehen.« Ich hätte zu gern Karens Gesicht gesehen, wenn sie meine Zusage bekam.
»Mit der Einladung ist ein Programm gekommen«, sagte Florence.
Ich runzelte die Stirn. Ich war dermaßen auf die weiße Karte fokussiert gewesen, die so sehr derjenigen ähnelte, die ich mir selbst ausgesucht hätte, dass ich die E-Mail völlig vergessen hatte.
»Das Ganze findet in Schottland statt und wird ungefähr eine Woche dauern.«
Ich ließ mich erneut auf meinen Stuhl sinken und war froh, dass meine Jacke die dicke Gänsehaut bedeckte, die sich auf meinen Armen gebildet hatte. »Im Schloss seines Onkels?«, fragte ich.
Florence nickte, und das dumpfe Grollen in meinem Magen wurde lauter; wie ein Wagen, der vom Leerlauf in den ersten Gang geschaltet wird.
»Er hat immer schon gesagt, dass er dort heiraten will.« Im Sommer zuvor waren wir in dem Schloss zu Besuch gewesen. Wir waren gewandert und geritten und hatten unter dem Sternenhimmel geschlafen. Ein wundervolles, geradezu magisches Erlebnis.
»Er ist wirklich ein Riesenarschloch«, sagte Florence.
Matt Gordon führte das Leben, das er und ich uns immer gewünscht hatten – mit einer anderen.
Ich starrte in das Glas Wein, das Florence mir hingestellt hatte. Seit sie mir von Matt und Karen erzählt hatte, hatte sie jeden Tag einen Grund gefunden, mich im Büro zu besuchen, und das bedeutete, dass ich nicht allein dasaß und trank.
Dieselbe Bar. Ein weiteres Glas Wein.
In den vorangegangenen drei Wochen hatte ich das Gefühl gehabt, in einem dicken Nebel festzustecken, in dem ich nichts sehen und an nichts anderes denken konnte als an Karen und Matt. Es war der Nebel des Verrats.
Ich war zwar täglich ins Büro gegangen, konnte mich aber nicht erinnern, etwas anderes getan zu haben, als mich morgens ein- und abends wieder auszuloggen.
Noch immer hatte ich auf keine meiner zahlreichen Fragen eine Antwort bekommen.
»Ihr zwei solltet hingehen, dann kannst du mir hinterher erzählen, wie schrecklich die Feier und wie geschmacklos ihr Kleid waren«, sagte ich. Arme Florence. Sie war zweifellos gelangweilt von meinen endlosen Grübeleien über alles, was vorgefallen war. Ich wollte mich ja zusammenreißen. An etwas anderes denken. Aber ich steckte in diesem schrecklichen Niemandsland fest, in dem ich mich immer wieder mit tausend ausgedachten Bildern von Matt und Karen quälte.
Wie sie mich hinter meinem Rücken betrogen.
Wie sie mich auslachten, weil ich dumm genug war, um nicht zu merken, dass Karen diejenige war, die er liebte. Nicht ich.
Wie sie sich zusammen über einen Kalender beugten, um den perfekten Samstag für ihre Hochzeit zu finden.
Wie sie die Gästeliste zusammenstellten.
Die Einladungskarten aussuchten.
Wie sie sich küssten.
Miteinander schliefen.
Ich griff nach dem Weinglas und trank einen großen Schluck in der Hoffnung, meine Fantasien damit zum Verblassen zu bringen.
»Vielleicht solltest du einen heißen, sexy Kerl engagieren und mit ihm dort auftauchen – wie in diesem Film«, sagte Florence. »Der mit der Frau aus Will & Grace.«
»Du meinst Wedding Date?«
Sie nickte begeistert. »Ja, im Ernst. In London gibt es eine Agentur, glaube ich. Du könntest sogar so tun, als wärst du verlobt. Auf die Art kannst du Karen ihren großen Tag versauen, indem du sie beschämst. Erstens, weil sie dir den Freund ausgespannt hat und zweitens, weil sie dich eingeladen hat.«
»Was haben sie dir nur in den Wein getan?«, fragte ich. Florence war Buchhalterin und erträumte sich ständig andere, aufregendere Leben. »Du weißt, dass ich so was nicht kann.«
»Aber du solltest es tun. Karen hat dir den Freund ausgespannt, und du hast Hemmungen, sie in Verlegenheit zu bringen? Du solltest endlich mal anfangen, zuerst an dich selbst zu denken. Immer sind die anderen wichtiger als du, dabei sollten deine eigenen Bedürfnisse an erster Stelle stehen.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass man Dermot Mulroney nicht mieten kann, und der Film berücksichtigt auch nicht, dass es Soziale Medien gibt. Dort kann jeder nachsehen und herausfinden, dass ich mir einen Freund angeheuert habe, der stundenweise abrechnet, und dann stehe ich da wie eine Vollidiotin. Nein, im Ernst: Ich denke durchaus an mich selbst.«
»Okay, kann schon sein. Es müsste irgendein erstklassiger, international operierender Geschäftsmann sein oder ein Hollywood-Schauspieler oder …«
»… zumindest einer, der weiß, wie man einen Anzug trägt«, führte ich den Satz zu Ende.
»Da wir gerade davon sprechen …«, sagte Florence und blickte über meine Schulter.
Ich drehte mich um und sah, worauf Florence den Blick geheftet hatte. Oder vielmehr, auf wen. Eigentlich war er nicht ihr Typ. Groß, okay, aber Florence stand normalerweise auf blonde Männer. Dieser hier hatte dickes, dunkles Haar, einen olivfarbenen Teint und ein markantes Kinn – das entsprach eher meinen Vorlieben. Zumindest theoretisch.
In der Praxis hingegen … Nun, Matt war nicht direkt klein, aber wenn ich High Heels trug, waren wir gleich groß. Er war attraktiv – zumindest in meinen Augen. Allerdings war er kein Mann, der jeder Frau sofort auffiel.
Aber dieser Typ hier war ein Mann, den niemand übersehen konnte.
Er ertappte mich dabei, dass ich ihn anstarrte, und lächelte mich an. Instinktiv erwiderte ich sein Lächeln. Ich drehte mich zu Florence, während sich der Mann an unserem Tisch vorbeischob und die steinernen, von Lorbeerbäumchen flankierten Stufen hinauf in die Bar ging.
»Du müsstest mit so einem Typen zusammen sein und mit ihm zu der Hochzeit gehen«, sagte Florence.
»Der Typ da ist entweder verheiratet oder schwul. Und sollte er wundersamerweise nichts von beidem sein, ist er ein Psychopath. Männer sind für mich tabu. Ich traue mir selbst nicht über den Weg. Wenn ich mich in dem Mann getäuscht habe, mit dem ich sieben Jahre lang das Bett geteilt habe, irre ich mich zweifellos auch in anderer Hinsicht, und bei Menschen, die einen Penis besitzen, liege ich wahrscheinlich grundsätzlich falsch.«
»Ladys.« Ein Kellner näherte sich unserem Tisch mit einem Eiskühler und zwei Champagnergläsern.
»Das haben wir nicht bestellt«, sagte ich, beäugte die Flasche Dom Pérignon und wünschte, das Gegenteil wäre der Fall.
»Es ist von dem Gentleman an der Bar«, antwortete der Kellner und deutete mit einem Kopfnicken zum Fenster.
Ich drehte mich um und sah dem dunkelhaarigen Fremden in die Augen, der mich für einige Sekunden aus meinem Selbstmitleid gerissen hatte.
»Das können wir nicht annehmen«, sagte ich, aber der Kellner goss den Schampus bereits in die Gläser. Etwas an der Art, wie leicht es mir gefallen war, das Lächeln des Typen zu erwidern, flößte mir Unbehagen ein. Wenn er mir trotz meiner gegenwärtigen Stimmung ein Lächeln entlocken konnte, war er definitiv nicht vertrauenswürdig.
»Natürlich können wir«, sagte Florence und prostete dem Fremden mit ihrem vollen Glas zu.
Ich verdrehte die Augen, trank aber einen Schluck, entschlossen, ihn kein zweites Mal anzusehen. »Du findest also, ich sollte die Einladung ignorieren oder Nein auf die Antwortkarte schreiben?«
»Ich finde, du solltest mit einer Briefbombe antworten oder dich gar nicht dazu äußern«, sagte Florence.
»Es wäre schön, wenn ich einen aufregenden Grund für meine Absage hätte – mal abgesehen vom Offensichtlichen«, sagte ich.
»Antworte einfach nicht. Oder denk dir einen Grund aus. Sag, du bist zum Arbeiten auf den Malediven.«
»Quatsch, das glaubt mir doch kein Mensch. Schließlich bin ich Personalberaterin und kein Supermodel.« Die einzige Reise seit meinem Arbeitsbeginn zwei Monate zuvor hatte mich zum Hauptsitz der Firma in Wiltshire geführt, und um eine Tagestour nach Swindon würde mich sicherlich niemand beneiden.
»Vermutlich hast du recht. Aber du könntest wenigstens von deiner Beförderung erzählen.«
»Das ist dasselbe. Leiterin Professional Services bei einem Personalberatungsunternehmen – das interessiert niemanden.« Meine rasche Beförderung war mir willkommen gewesen, hatte aber weder mein Herz noch meine Seele erfüllt. Sie sorgte nur dafür, dass ich die Hypothek bezahlen konnte.
»Hast du die Sache mit der Innenarchitektur komplett aufgegeben?«
Eigentlich hätte mir die Antwort auf Florences Frage leichtfallen müssen. Bei Matts Auszug war ich gerade dabei gewesen, mir ein eigenes Geschäft aufzubauen, aber ich verdiente kein Geld und hatte Rechnungen zu bezahlen, also hatte ich vernünftig sein und den ersten Job annehmen müssen, den ich bekommen konnte. Ich war nach wie vor nicht von der Richtigkeit meiner Entscheidung überzeugt, aber ich hing an der Wohnung, die wir uns geteilt hatten, und hatte darauf bestanden, dort wohnen zu bleiben. Also hatte er sie mir überschrieben – mitsamt der Hypothek und allen anderen Verpflichtungen. In einer hinteren Ecke meines Verstandes hatte ich geglaubt, Matt würde zurückkommen … zu mir und in unser Zuhause. »Ein Job im Personalwesen bedeutet ein regelmäßiges Einkommen, und ich muss die Hypothek bezahlen.«
»Ich kann nicht glauben, dass du wegen ihm dein Geschäft aufgegeben hast und nach London gezogen bist, und dann hat er sich umgedreht und dir das hier angetan.«
»Ich bin nicht wegen ihm nach London gezogen.« Diese Begründung ließ mich schwach wirken, und ich war zwar betrogen worden, aber ich weigerte mich, als Opfer dazustehen.
»Wenn er dieses Jobangebot nicht bekommen hätte, wärst du immer noch in Manchester.«
»Ja, ich weiß, aber wir waren ein Paar, ein Team, und es war sein Traumjob.«
Meine Firma hatte geblüht. Nach und nach waren die Aufträge hereingekommen, und jeder erledigte Auftrag hatte zu einem weiteren geführt. Matts Jobangebot hatte seinem Traum entsprochen – eine Chance, wie man sie nur einmal im Leben bekommt. »Er war der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte. Er sollte den Job bekommen, den er sich immer schon gewünscht hat.«
»Also hast du ihn an die erste Stelle gesetzt, wie immer.«
»Ich habe mich für unsere Beziehung entschieden – für den Traum einer gemeinsamen Zukunft. Ich dachte, ich sei in der Lage, auch in London eine Einrichtungsfirma aufzubauen.« Die ersten Monate hatte ich damit verbracht, mich einzugewöhnen und Kontakte zu knüpfen, aber als Matt mich verließ, hatte ich nur wenige Kunden und musste für eine Hypothek aufkommen.
Ich hatte getan, was ich tun musste, und mich um jeden in Frage kommenden Job beworben, egal, ob er etwas mit Design zu tun hatte oder nicht.
»Aber du findest diese Personalgeschichte schrecklich. Du hast gesagt, es sei nur vorübergehend, du würdest es nur machen, solange du noch deinen Kundenstamm aufbauen musst.«
»Ja, und dann ist mir das Leben dazwischengekommen.« Personalbeschaffung, all das Anwerben und Rekrutieren, bedeutete viele Stunden Arbeit. Seit ich den Job angenommen hatte, fühlte ich mich nicht mehr als Herrin meines eigenen Lebens. Meine Chefin schien zu glauben, dass ich ihr gehörte. Am Mittwoch zuvor hatte sie mich abends um halb elf noch angerufen. Ich hatte mit meinem iPad im Bett gelegen und Chilling Adventures of Sabrina geguckt, weil ich auf einen Zauberspruch zu stoßen hoffte, der mein Leben umkrempeln würde. Sie entschuldigte sich nicht mal für die Uhrzeit, so als wäre es völlig normal, mich zu Hause anzurufen und zu fragen, ob die Vorstellungsgespräche für einen unserer großen Kunden gut verlaufen waren. »Als Innenarchitektin könnte ich nur wieder arbeiten, wenn ich einen einzelnen Kunden an Land ziehe, der mich für … sagen wir, für ein halbes Jahr beschäftigt hält. Auf die Art hätte ich ein garantiertes Einkommen und ein aktuelles Portfolio, das zu weiteren Aufträgen führen würde.«
»Kannst du dir nicht einen Job bei einer Einrichtungsfirma suchen? Dann könntest du wenigstens tun, was du liebst.«
»Tja, leider gibt es da kaum Jobs, und wenn es welche gibt, ist die Bezahlung grottenschlecht, weil der Markt von Kids mit Treuhandfonds überschwemmt wird. Die brauchen das Geld nicht.«
»Entschuldigung.« Die sehr tiefe und maskuline Stimme ließ meine Fußsohlen vibrieren, und ich bekam eine Gänsehaut.
Ich blickte ins Sonnenlicht und sah den heißen Anzugträger, der uns den Champagner ausgegeben hatte, neben unserem Tisch stehen. Mein Lächeln kam so automatisch, als hätte es meinen Verstand, der es aufhalten wollte, aus dem Weg geschubst. »Ähm … danke für den Champagner«, murmelte ich.
»Sie sind mir im Vorbeigehen aufgefallen, und ich wollte Ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken.«
Ich sagte ihm nicht, dass ihm das bereits im Vorbeigehen gelungen war.
»Ein willkommenes Vergnügen nach einem miesen Tag«, antwortete ich. Er lächelte, und für den Bruchteil einer Sekunde war es, als wäre eine drei Meter hohe Mauer aufgetaucht und hätte uns gegen den Rest der Welt abgeschirmt, sodass nur er und ich übrig blieben und einander anstarrten.
»Tut mir leid zu hören, dass Sie einen schlechten Tag hatten, aber ich freue mich, dass ich ihn ein bisschen angenehmer machen konnte«, sagte er und bedachte mich mit einem Lächeln, bei dem mir die Knie weich geworden wären, hätte ich in diesem Augenblick gestanden. Seine breiten Schultern, die Wärme, die mir unter die Haut kroch, wenn er sprach, sein Amorbogen, so klar, dass ich ihn gern mit der Zunge nachgezeichnet hätte, alles sagte ein und dasselbe: Dieser Typ war ein Wahnsinnskerl.
»Bitte, setzen Sie sich zu uns«, sagte Florence, und ich hätte sie am liebsten umgebracht. Sie wusste, dass ich mir geschworen hatte, von nun an im Zölibat zu leben. Ich konnte es nicht gebrauchen, dass ein Sexgott im Anzug vor mir saß und mir die personifizierte Versuchung ins Gesicht atmete. Außerdem hatte ich vom Mittagessen noch einen Spritzer Misosuppe auf der Bluse – ein weiterer Beweis, dass ich für einen Flirt – oder für ein Date – nicht zu haben war. Ich hatte nicht mal Lust auf Kontakt zu einem Mann.
»Amüsiert euch gut«, sagte ich und bückte mich, um meine Handtasche aufzuheben. »Ich muss jetzt los.«
Auch ohne sie anzusehen, wusste ich, dass Florence mich mit finsterem Blick musterte. Aber es war mir egal. Okay, es war nicht gerade so, dass ich ständig angemacht wurde, aber heute war einfach der falsche Tag dafür. Ich wollte nach Hause, in meinen Schlafanzug schlüpfen, Made in Chelsea gucken und mein eigenes Gewicht in Form von Frozen Yogurt verspeisen.
Als ich aufgestanden war, legte mir der heiße Typ im Anzugeine Hand auf die Schulter.
»Schenken Sie mir fünf Minuten Ihrer Zeit? Ich möchte Ihnen ein Angebot machen, Stella.«
Ich erstarrte, und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, während ich mich fragte, woher zum Teufel dieser Typ meinen Namen kannte.
»Woher wissen Sie, wie ich heiße?«, fragte sie und musterte mich argwöhnisch.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen? Ich erkläre es Ihnen gern.« Sie runzelte die Stirn, sagte aber nicht Nein, also zog ich einen Stuhl vom Nachbartisch heran und nahm Platz. Stella London war die einzige alleinstehende Frau, die zu dieser Hochzeit ging. Hinter den beiden anderen Namen verbargen sich alte Damen. Eine war ans Bett gefesselt, die andere wohnte in Florida und war zum Fliegen nicht mehr in der Lage. Beide waren eindeutig nur aus Höflichkeit eingeladen worden.
Stella war meine letzte Chance. Ich musste unbedingt dafür sorgen, dass sie mitspielte.
Ich war zu Stellas Büro gefahren, um mich ihr vorzustellen. Die Situation war zu kompliziert, um sie in einer E-Mail zu erklären – am Ende würde ich klingen wie ein nigerianischer Anwalt, der einem hundert Millionen versprach, wenn man ihm dreihundert Pfund Verwaltungsgebühr schickte. Also war ich zu dem Schluss gekommen, dass es das Klügste wäre, bei ihr im Büro aufzukreuzen und sie um ein Treffen zu bitten. Schließlich wollte ich ihr ein geschäftliches Angebot machen. Als ich auf der Straße an ihr vorbeigegangen war, hatte sie hübsch ausgesehen und war mir irgendwie vertraut vorgekommen, aber weiter hatte ich nicht gedacht, als ich vor dem Besuch in ihrem Büro die Bar betrat, um auf die Toilette zu gehen. Während ich meinen Schwanz in der Hand hielt, wurde mir klar, wer sie war. Auf keinen Fall würde ich mir die Chance entgehen lassen, sie anzusprechen. Dafür stand viel zu viel auf dem Spiel.
»Soweit ich weiß, sind Sie Personalberaterin«, sagte ich. »Und noch dazu eine ehrgeizige, wenn ich mich nicht irre. Sie sind bei Foster and Associates bereits befördert worden, obwohl Sie erst seit wenigen Monaten dort arbeiten.« Ich zögerte. Ich musste behutsamer vorgehen. Mir Zeit lassen. Auf keinen Fall durfte ich die Sache vermasseln.
Ich lehnte mich zurück und musterte sie. Die Fotos, die ich in den Sozialen Medien von ihr gefunden hatte, wurden ihr nicht gerecht. Ihre Haare waren länger und fielen ihr in weichen, blonden Wellen über die Schultern, und ihre Augen, die ich für blau gehalten hatte, wirkten beinahe violett – sie brachten mich völlig aus dem Konzept. Sie hatte volle Lippen ohne jede Spur von Make-up und einen Schönheitsfleck auf dem linken Wangenknochen, auf den jede Fünfzigerjahre-Sexbombe stolz gewesen wäre.
Stirnrunzelnd blickte sie mich an. »Woher wissen Sie, wie lange ich meinen Job habe? Ach, egal, ich muss jetzt los.«
»Ich weiß, das klingt ein bisschen seltsam.« Ich beugte mich auf dem Stuhl vor. »Bitte geben Sie mir ein paar Minuten Zeit, um es zu erklären. Ich bin hier, weil ich Ihnen ein geschäftliches Angebot machen möchte. Ein Angebot, das vermutlich sehr interessant für Sie ist.«
Ich hatte Erkundigungen über diese Frau eingezogen, wie ich es immer tat, wenn ich eine neue Geschäftsbeziehung einging. Bei Bauprojekten gab es nichts Schlimmeres, als überrascht zu werden, wenn die Arbeiten bereits begonnen hatten. Nichts führte schneller dazu, dass man sich verausgabte. Es war viel einfacher, sich die Mühe bereits im Voraus zu machen – herauszufinden, was die Sache einen kosten würde und sie ins Budget miteinzubeziehen.
Meine Recherchen hatten ergeben, dass Stella in ihrem Job schnell vorangekommen war, seitdem sie in London wohnte. Sie hatte eine neue Laufbahn eingeschlagen, war aber definitiv engagiert und ehrgeizig. Einen Monat zuvor hatte sie einer Fachzeitschrift ein Interview gegeben und davon gesprochen, wie sehr sie die Firma liebte, für die sie arbeitete, und dass sie hoffte, dort Teilhaberin zu werden. Ich musste dafür sorgen, dass sie mein Angebot akzeptierte, darum würde ich ihr sinnvollerweise etwas anbieten, das sie sich wirklich wünschte – einen weiteren Schritt nach oben auf der Karriereleiter, eine Chance, ihre Ziele zu verwirklichen. Ich konnte es mir nicht leisten, Zeit mit langwierigen Verhandlungen zu verschwenden. Stella musste einwilligen.
Ich würde ihr ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen konnte.
»Ich bin Immobilienunternehmer, und ich werde bald ein neues Projekt beginnen. Ich dachte, Sie möchten vielleicht bei der Zusammenstellung des Teams mitwirken.«
»Sie wollen Foster and Associates damit beauftragen?« Anstatt begeistert wirkte sie eher verwirrt. Es war der gleiche Blick, mit dem mich Joshua gemustert hatte, als ich ihn fragte, ob er zu Gabriels Junggesellenabschied nach Vegas gehen würde – als ergäbe meine Frage keinen Sinn.
»Ich glaube, wir würden großartig zusammenpassen. Ich muss mehr als hundert Leute einstellen, und ich könnte den Gesellschaftern Ihrer Firma mein Vorhaben unterbreiten und den Vertrag unter der Bedingung abschließen, dass Sie Teilhaberin werden.« Ein Auftrag dieser Größenordnung konnte ihr unmöglich bereits zuvor in den Schoß gefallen sein. Keine Verhandlungen über die Höhe der Provision oder über die Frage, ob es ein Exklusivvertrag war oder nicht – Stella hatte den Deal in der Tasche. Außerdem konnte sie stolz darauf sein, für Wilde Developments zu arbeiten. Unser Firmenname war weithin bekannt.
»Warum sollten Sie das tun?«
»Aus vielen Gründen. Wie ich bereits sagte, ich glaube, dass wir gut zusammenarbeiten würden, und nach allem, was man so hört, machen Sie Ihre Sache ganz hervorragend.«
Sie verdrehte die Augen, als wäre ich ein wollüstiger alter Knacker, der sie aufforderte, mit in seine Wohnung zu kommen und sich seine Briefmarkensammlung anzusehen, und nicht jemand, der ihr eine Chance bot, wie man sie nur einmal im Leben bekommt. Ich hätte ein bisschen mehr Begeisterung von ihr erwartet.
»Dann schlage ich vor, dass Sie im Büro anrufen. Für Immobilien bin ich nicht zuständig.«
Vielleicht hatte sie mich falsch verstanden. Hätte sie begriffen, was ich ihr anbot, hätte sie mit Sicherheit nicht derart wegwerfend reagiert. »Ich will Ihnen helfen, Teilhaberin zu werden.«
Sie brach in Gelächter aus. War das Mädchen betrunken? Die Sache verlief eindeutig anders, als ich geplant hatte. »Als ob mir das etwas bedeuten würde.«
Ich ballte die Fäuste, und meine Handflächen wurden feucht. Mist. Ich hatte Stella London für karrierebewusst und ehrgeizig gehalten. Hatte ich mich geirrt?
»Sie wollen keine Teilhaberin werden?«, fragte ich und versuchte, möglichst gleichmütig zu klingen.
»Warum interessiert Sie das überhaupt? Wer sind Sie?«
»Ich brauche eine hervorragende Personalberaterin«, sagte ich, und mir schwirrte der Kopf, so angestrengt versuchte ich, die Kontrolle über dieses Gespräch zu behalten.
»Nun, ich bin keine.« Sie atmete durch und drehte sich zu ihrer Freundin: »Dafür bin ich nicht geschaffen.«
Wenn sie sich aus Personalberatung nichts machte, sollte sie mir einfach ihren Preis nennen. Ich war ein Idiot, ich hätte einen Plan B haben müssen, aber nach dem Artikel, den ich gelesen hatte, war ich davon ausgegangen, dass ich keinen brauchen würde. »Ich brauche Ihre Hilfe, Stella.« Wie konnte es dazu kommen, dass das Ziel, auf das ich mein Leben lang hingearbeitet hatte, davon abhing, ob eine Fremde befördert werden wollte oder nicht? Bei jedem anderen Immobiliengeschäft hätte ich bereits Monate zuvor aufgegeben. Aber bei diesem kam das nicht in Frage.
»Im Ernst, jeder andere im Büro würde sich über diesen Job freuen. Rufen Sie Sheila an. Sie ist für Personal im Immobiliensektor zuständig.«
Ich brauchte nicht irgendeine Fachfrau für Personal. Wenn ich Stella nicht verlieren wollte, musste ich nun offen und ehrlich mit ihr sein. »Ja, aber Ihre Kollegin hat nicht, was ich brauche.«
Sie drehte sich zu mir und fragte: »Und das wäre? Ich werde nicht mit Ihnen schlafen, nur weil Sie ein Problem mit der Stellenbesetzung haben.«
Gegen meinen Willen fing ich an zu lachen. »Nein, das meine ich nicht. Ich möchte mit Ihnen über Matthews und Karens Hochzeit reden.«
Ihr Gesicht wurde so weiß wie frisch gefallener Schnee. »Was ist damit?«
»Ich hatte gehofft, als Ihr Begleiter dort aufzutauchen.«
»Tja, da haben Sie Pech gehabt. Denn ich werde auf keinen Fall dorthin gehen, und selbst wenn ich es täte – ich kenne Sie doch überhaupt nicht.«
Es war wie verhext. »Bitte, hören Sie mir einfach zu. Geben Sie mir fünf Minuten.«
Sie blickte ihre Freundin an. »Du hast recht. Ich bin nicht gut darin, zuerst an mich selbst zu denken. Ich sollte jetzt gehen, meinst du nicht auch?«
Ihre Freundin zuckte mit den Schultern. »Wenn du ihn angehört hast, kannst du das immer noch tun.«
Seufzend ließ sich Stella wieder auf ihren Stuhl sinken. »Okay, dann seien Sie ehrlich zu mir. Wer zum Teufel sind Sie, woher kennen Sie mich, und was in aller Welt wollen Sie von mir?«
Sie war definitiv am Ende ihrer Geduld angelangt. Wenn ich mit dem Rücken zur Wand stand, war Ehrlichkeit meiner Erfahrung nach der einzig richtige Weg.
»Ich bin Beck Wilde. Ich bin Projektentwickler im Immobiliensektor. Ein Mann namens Henry Dawnay hält meine Zukunft in Händen. Er besitzt ein Haus, das ich unbedingt kaufen muss.«
Als ich in Hackney Einzimmerwohnungen renovierte, bevor Hackney beliebt war, als ich erschöpft von Vierundzwanzig-Stunden-Schichten und dreckig vom Bodenbretter-Herausreißen und Wände-Abreißen war, war ich hin und wieder mit der Tube zur Bond Street gefahren und mitten in der Nacht durch Mayfair gewandert, um mir Dawnays Haus anzusehen. Es war zu einer Besessenheit geworden.
Ich wollte dieses Haus. Ich wollte es kaufen, um es abreißen zu können. Um es von Grund auf neu zu bauen, neu und besser. Ich wollte es besiegen. Meine Vergangenheit besiegen.
Bei der Jagd nach diesem Haus würde ich vor nichts und niemand haltmachen.
Aber Stella London war meine letzte Hoffnung.
»Karens Patenonkel?«, fragte sie.