Mister Smithfield - Louise Bay - E-Book

Mister Smithfield E-Book

Louise Bay

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Beschreibung

Nanny gesucht: Darf keine Berührungsängste mit CEOs haben!

Anwalt Gabriel Chase ist einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner Londons, doch seine ganze Aufmerksamkeit gehört seiner vierjährigen Tochter. Für Beziehungen oder so etwas wie Liebe hat der alleinerziehende Vater keine Zeit - bis er die Amerikanerin Autumn Lumen trifft. Als Gabriels Nanny unerwartet kündigt und Autumn dringend einen Job braucht, stellt er sie kurzerhand als Kindermädchen ein. Obwohl Gabriel alles strikt professionell halten möchte, bringt Autumn mit ihrer fröhlichen und optimistischen Art sein streng geordnetes Leben schon bald gewaltig durcheinander. Und dabei erobert sie nicht nur das Herz seiner Tochter im Sturm ...

"Für mich ist Louise Bay eine der Königinnen der Gentlemen-Romances: heiße Geschäftsmänner, starke Frauen und unterhaltsame Geschichten mit einer guten Prise Sexyness und Gefühl." TANJASBUCHWELT

Band 3 der MISTER-Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Louise Bay

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Seitenzahl: 465

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

Vor-Epilog

Epilog

Erweiterter Epilog

Die Autorin

Die Romane von Louise Bay bei LYX

Leseprobe

Impressum

LOUISE BAY

Mister Smithfield

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anne Morgenrau

ZU DIESEM BUCH

Anwalt Gabriel Chase ist einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner Londons. Doch seit seine Frau ihn vor drei Jahren verlassen hat, gehört seine ganze Aufmerksamkeit seiner vierjährigen Tochter Bethany. Für Beziehungen oder so etwas wie Liebe hat der alleinerziehende Vater keine Zeit – bis die Amerikanerin Autumn Lumen in sein Leben tritt. Bereits bei ihrer ersten Begegnung fühlte er sich unwiderstehlich zur zukünftigen Schwägerin seines besten Freundes hingezogen, und Autumn will ihm seitdem einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Und als Gabriels Nanny unerwartet die Kündigung einreicht und Autumn dringend einen Job braucht, stellt er sie kurzerhand als Kindermädchen ein. Um Bethanys willen möchte er alles strikt professionell halten, auch wenn es ihm schwerfällt, die hübsche Nanny aus seinen Gedanken zu verbannen. Aber schon bald bringt Autumn mit ihrer fröhlichen und optimistischen Art Gabriels streng geordnetes Leben gewaltig durcheinander und erobert nicht nur das Herz seiner Tochter im Sturm.

1. KAPITEL

AUTUMN

Er war dreiunddreißig, alleinerziehender Vater einer hinreißenden Vierjährigen und zufällig auch noch der einzige mir bekannte Mann, der mich mit seinem Blick buchstäblich erzittern ließ. Wo mochte dieser Typ nur seinen Pfannenwender aufbewahren?

Ich hatte bereits in jeder Schublade und jedem Schrank in der Küche nachgeschaut, ohne einen zu finden. Dabei wollte ich mir nur ein Omelett braten. Ich suchte seit etwa einer halben Stunde, und gefunden hatte ich nur Tupperware, ein altes Rezeptbuch à la Die moderne Hausfrau aus den Siebzigern und etwas, das aussah wie die geschrumpfte Version eines Teils, mit dem man Holz glatt schleift. Aber keinen verdammten Pfannenwender. Vielleicht lagerten Briten ihre unverzichtbare Küchenausrüstung ja gewohnheitsmäßig im Badezimmer oder so? Ich holte mein Handy heraus und rief meine Schwester an. Hollie kannte sich mit Briten besser aus als ich.

»Wo bewahren die Leute hier ihre Utensilien auf?«

»Meinst du ihr Werkzeug?«, fragte sie zurück.

»Na klar, Hollie, mir knurrt der Magen, es ist fast neun Uhr abends, und ich suche in der Küche nach Werkzeug.« Ich ließ mich auf die weichen marineblauen Kissen der Holzbank sinken, die über die gesamte Länge des Küchentisches verlief. »Ich will mir ein Omelett machen und brauche einen Pfannenwender.«

»Also, erstens nennen sie diese Art von Pfannenwender einen Fischheber«, sagte Hollie wie üblich in sachlichem Ton.

Ich war mir ziemlich sicher, dass sowohl in England als auch in den Vereinigten Staaten nach wie vor Englisch gesprochen wurde, aber seit ich wenige Wochen zuvor nach London gezogen war, musste ich mich manchmal auf Wikipedia davon überzeugen, dass sich daran tatsächlich nichts geändert hatte. Bereits für einen Aufenthalt in der Küche brauchte ich einen Dolmetscher. Ich hatte entdeckt, dass Herdplatten Kochfelder hießen. Küchentheken wurden Arbeitsflächen oder Sides genannt. Sides? Sides wovon? Einer gründlichen Google-Suche zufolge, auf die ich nicht gerade stolz war, konnte jede beliebige erhöhte waagerechte Oberfläche in jedem beliebigen Raum eine Side sein – also eben gerade nicht die Seite von irgendetwas. Und nun waren Pfannenwender auch noch Fischheber.

»Okay, und was ist, wenn ich weder Fisch damit braten noch etwas anheben will?«

Vor meinem inneren Auge sah ich, wie Hollie mit den Schultern zuckte. »Dann ist es immer noch ein Fischheber.«

»Okay, hast du eine Ahnung, wo ich … so etwas in einer normalen englischen Küche finden kann?«

»Soweit ich weiß, bewahren Briten solche Sachen an denselben Orten auf wie Amerikaner. In der Küche, in einer Schublade oder in einem Gefäß auf der Theke … in der Richtung.«

Vielleicht besaß Gabriel keine Küchenausrüstung oder er versteckte sie hinter der abgeschlossenen Tür am anderen Ende der Küche. Außer dem Badezimmer war dies der einzige Raum in dem Haus, der ein Schloss hatte. Gabriels unausgesprochene, aber glasklare Botschaft an mich, die angestellte Haushaltshilfe, lautete: Betreten verboten. Und genau darum wollte ich mir diesen Raum unbedingt ansehen.

»Geht es dir gut?«, fragte Hollie.

»Na ja, ich habe Hunger«, sagte ich, stand auf und ging zum Kühlschrank. Omeletts standen offenbar nicht auf der Speisekarte, also würde ich mir etwas anderes suchen müssen.

»Ist Gabriel noch bei der Arbeit?«

»Ja.«

Kein Wunder, dass er für Bethany eine Nanny brauchte, die bei ihm im Haus wohnte. An diesem Morgen war er um sechs Uhr aufgebrochen und noch immer nicht zurückgekehrt. Alle hatten mir diesen Job ausreden wollen. Sogar Gabriel selbst hatte mich zu entmutigen versucht, indem er mir erzählte, sein Kindermädchen müsse in den nächsten Monaten eine Menge Überstunden machen, da er bei der Arbeit besonders stark eingespannt sein werde. Ich würde also auch nachts und am Wochenende arbeiten müssen. Doch all das konnte mich nicht abschrecken. Warum auch? Bethany war bezaubernd, und Gabriel lebte mitten in London in einem Herrenhaus, das aussah wie aus einem Roman von Dickens. Auch mit einem Akademikergehalt hätte ich mir niemals eine Wohnung in Smithfield leisten können. Ein weiterer Grund, warum ich es nicht als Weltuntergang empfand, dass mein Traineeprogramm auf September verschoben worden war. Auf diese Art konnte ich London genießen und stand nicht unter dem Druck, gleichzeitig meine Karriere in Gang bringen zu müssen. Dieser Job war ein Silberstreif am Horizont, und ich musste nicht einmal blinzeln, um ihn zu erkennen.

Anfangs war es mir schwergefallen, einen Vorteil darin zu sehen, dass mein Start in den Job um ein halbes Jahr verschoben wurde. Die seit Ende des vorangegangenen Jahres herrschende Rezession hatte zahlreiche Unternehmen in Schwierigkeiten gebracht, sogar die Fortune-500-Firma, die mich einstellen würde. Ich war total begeistert, dort anfangen zu können, vor allem, weil mein erster Einsatz in London erfolgen würde. Eigentlich sollte ich jetzt bereits Cocktails mit meinen Kollegen trinken und über Papierstaus im Kopierer lachen – oder worüber Büroangestellte in der Happy Hour eben sonst so lachen. Anstatt einer Vierjährigen den Po abzuwischen, sollte ich mit einem Fuß auf der Karriereleiter stehen.

Aber als Babysitterin für Bethany hatte ich einen Job in London, Punkt. Und jeder Job in dieser Stadt war aufregender als einer in Oregon, vor allem, seitdem Hollie und ihr zukünftiger Ehemann hier lebten. Meine Schwester wollte, dass ich kellnerte oder als ihre Assistentin arbeitete, egal was, Hauptsache, ich zog nicht zu Gabriel. Aber als Badeaufsicht am Gemeinschaftspool zu Hause in Oregon hatte ich eine Ausbildung in Erster Hilfe für Kinder genossen, und außerdem hatte ich als Babysitterin bereits jede Menge Erfahrung. Dieser Job bedeutete darüber hinaus mietfreie Unterkunft und damit die komplette Unabhängigkeit von Hollie. Meine Schwester hatte dreiundzwanzig Jahre lang dafür gesorgt, dass ich ein Dach über dem Kopf hatte, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als sie zu entlasten und endlich auf eigenen Beinen zu stehen.

Babysitting war nicht meine erste Wahl, aber es hätte deutlich schlimmer kommen können. Ich war in London. Ich war nicht auf meine Schwester angewiesen. Und mein Boss war so heiß wie die Hölle. Das Leben entwickelte sich anders, als ich geplant hatte, aber es war in Ordnung.

»Na ja, vielleicht solltest du früh zu Bett gehen«, sagte Hollie.

»Ich brauche was zu essen«, gab ich zurück und holte Schinken und Käse aus dem Kühlschrank. Gabriel zahlte sogar für mein Essen, darum konnte ich meinen Verdienst komplett für meine Reise im nächsten Sommer zurücklegen. Im Geist machte ich mir eine Notiz, einen Teil meines Gehaltsschecks für einen Pfannenwender auszugeben. »Und außerdem bin ich nicht müde.«

»Natürlich bist du das. Du bist den ganzen Tag hinter einer Vierjährigen hergelaufen.«

Tatsächlich war Babysitting harte Arbeit. Aber das würde ich Hollie gegenüber nicht erwähnen, denn sie sollte sich keine Sorgen machen. Bethany hatte ein ansteckendes Lachen, sie liebte es, gekitzelt zu werden, und ihre Neugier kannte keine Grenzen … aber sie hatte die Energie eines Cockerspaniels auf Crack. Abends fühlte ich mich immer, als wäre ich von einem Mack Truck überrollt worden.

»Gabriel wird wahrscheinlich nicht wollen, dass du ihm im Weg bist, wenn er nach Hause kommt«, sagte Hollie.

Sie versuchte, fröhlich zu klingen, so als wollte sie mir keineswegs nahelegen, mich möglichst von Gabriel fernzuhalten. Doch selbst wenn ich auf Distanz bleiben wollte – was nicht der Fall war –, es würde sich nicht umsetzen lassen. Wir lebten unter einem Dach, und häufig war er der einzige Erwachsene, den ich den ganzen Tag lang zu sehen bekam.

»Er hat bestimmt sehr hart gearbeitet und will sich entspannen, aber er wird zu höflich sein, um dir das zu sagen. Also geh lieber ins Bett.«

Ich spähte zu der abgeschlossenen Tür am anderen Ende der Küche hinüber. Ich hatte erst einen Abend und eine Nacht bei Gabriel und Bethany verbracht, und jeder musste sich noch mit den Gewohnheiten des anderen vertraut machen. Als Gabriel nach Hause gekommen war, hatte er sich in den ersten Stock zurückgezogen, um seinen schönen marineblauen Anzug auszuziehen … den Anzug, der seine grünen Augen leuchten ließ, als wäre er ein Gott. Er sah so verlockend aus. So mächtig. Er sah aus wie ein Mann, dessen Kuss mich von den Socken hauen würde. Zurückgekommen war er in ausgeblichenen Jeans, die sich an seine kräftigen Oberschenkel schmiegten. Dazu trug er ein altes T-Shirt, das ein winziges Stück hochrutschte, als er nach einem Weinglas griff, sodass ich einen Blick auf seinen muskulösen Bauch erhaschte. Und das Loch im Saum an der Schulter schien förmlich darum zu betteln, dass ich einen Finger hineinschob und genau erkundete, wie heiß, wie glatt und angenehm zu berühren seine Haut war. Am liebsten hätte ich ihn angefleht, nie wieder etwas anderes zu tragen. Ich spürte bereits, wie mein Mund trocken wurde, während ich nach Worten suchte, die ich an diesen derart seriösen, souveränen, schönen Mann richten konnte, da entschuldigte er sich abrupt und verschwand ohne ein Wort der Erklärung in dem Raum hinter der verschlossenen Tür.

Entspannte er sich hinter dieser Tür?

Und wenn ja, womit entspannte sich ein Mann wie Gabriel Chase?

Mir fielen da ein paar Sachen ein, und keine davon brachte es mit sich, dass er Anzug oder Jeans trug. Tatsächlich würde die angesehene Entspannologin Doktor Autumn Lumen zur optimalen Erholung eine Dusche zu zweit und einen Kuss für das Kindermädchen vorschlagen.

»Wir müssen uns mal über Gabriel unterhalten«, fing Hollie an, deren Tonfall sich veränderte, als ihr klar wurde, dass ich ihren Versuch-unaufdringlich-zu-sein-Vorschlag nicht aufgegriffen hatte. Sie sprach mit ihrer Vernünftige-Schwester-Stimme, die sie auch benutzt hatte, als wir über meine Dates mit Darren aus Eagle Creek und mit Stuart aus Portland gesprochen hatten. »Er ist Vater und ein überaus seriöser Anwalt. Und er ist …«

»Du weißt schon, dass wir kein Paar sind, oder?«

»Ja. Aber ich weiß auch, dass du gerade bei ihm eingezogen bist und dass ihr einander ständig sehen werdet und …«

»Befürchtest du, dass ich ihn verführe, um Vorteile daraus zu ziehen?«

Ich wusste nicht recht, was ihr Problem war. Bei Darren und Stuart hatte ich es verstanden. Zu Hause in den Staaten hatte Hollie mich zu schützen versucht. Sie wollte nicht, dass ich am Ende schwanger von irgendeinem Kerl wurde, der es nie zu etwas bringen würde, sodass ich mein Studium hinschmeißen und mein Leben ruinieren würde. Aber jetzt sah die Sache anders aus. Gabriel war anders. Er hatte es bereits zu etwas gebracht. Wir waren in London, nicht in Oregon. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich Sex mit ihm haben müsste, um schwanger zu werden.

»Wohl kaum. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gabriel jemals etwas tut, das er nicht will.«

Interessant. Diese Seite von ihm hatte ich bislang noch nicht gesehen, aber ich kannte ihn auch erst seit Kurzem. Die Vorstellung, dass er über stählerne Entschlossenheit verfügte, gefiel mir.

»Ich mache mir nur Sorgen, weil er … na ja … Er ist attraktiv.« Und das ist noch milde ausgedrückt, Sis. »Ich befürchte, dass du dich in ihn verlieben könntest.«

»Oh, keine Sorge, die Frage kann ich dir eindeutig beantworten. Ich bin jetzt schon total verknallt in ihn. Aber das bedeutet nur, dass ich ein Mensch bin. Ich bin mir sicher, jede Frau in London ist in Gabriel Chase verschossen.«

Hollie lachte. »Okay, da hast du wahrscheinlich recht. Ich will nur nicht, dass du dich in eine Lage bringst, die du später vielleicht bereust.«

Ich seufzte. »Hör zu, Gabriel hat garantiert kein Interesse an einem Chick aus dem Armeleuteviertel, das sich zufällig gerade um sein Kind kümmert. Das ist mir vollkommen klar.«

Okay, ich hatte der Versuchung widerstanden, meinen Lieblingspyjama aus Flanell anzuziehen, und in letzter Zeit trug ich zu meinem chaotischen Haarknoten einen Hauch Mascara und Rouge, aber ich machte mir nichts vor. Ich war keine raffinierte Frau von Welt, die acht Zentimeter hohe Bleistiftabsätze trug, nach teurem Parfüm duftete, auch wenn sie überhaupt keines trug, und die jede Woche zur Maniküre in ihren Lieblingsspa ging wie vermutlich die meisten Frauen, mit denen Gabriel in seiner Anwaltskanzlei zu tun hatte. Sein Blick entfachte zwar ein Feuer in mir, das ich nur mit einer Reise in die Arktis löschen könnte, aber ich war nicht dumm. Er hatte mich als Kindermädchen eingestellt. Meine Schwärmerei war eine einseitige Fantasie, und das würde sie auch bleiben.

Am Ende des Flurs erregte das Klicken der drei Schlösser an der Wohnungstür meine Aufmerksamkeit.

Mein Boss war nach Hause gekommen.

2. KAPITEL

AUTUMN

Die Luft veränderte sich, wenn Gabriel abends zur Tür hereinkam. Er schien den grauen Nieselregen des Aprils mitzubringen. Seine stets gerunzelte Stirn und die angespannte Linie seines Mundes ließen vermuten, dass in seinem Inneren ständig ein Sturm tobte.

»Hallo«, rief ich. An diesem und am Abend zuvor hatte ich in den Stunden, nachdem ich Bethany ins Bett gebracht hatte, meine Sachen ausgepackt, mich mit dem Grundriss des Hauses vertraut gemacht und Karten von Londons öffentlichem Verkehrssystem studiert.

»Guten Abend.« Seine Stimme war beinahe ein Knurren, und sie sorgte dafür, dass mir ein sinnlicher Schauer über den Rücken lief.

An meinem Standort in der Küche drehte ich mich um und sah meinem unfassbar attraktiven Arbeitgeber ins Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, woran es lag, aber wenn ich ihn sah, war ich jedes Mal wieder überrascht, wie groß er war. Oder wie markant sein Kinn wirkte. Oder wie gern ich seine glänzenden schwarzen Locken berührt hätte. Es war, als käme mein Gedächtnis mit einem derart attraktiven Menschen nicht klar und schaltete einen Gang zurück, bis ich erneut mit der Realität konfrontiert war. An diesem Abend war sein Blick ein bisschen durchdringender als sonst.

»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte er barsch. Er schüttelte sich den allgegenwärtigen Londoner Regen aus dem Haar und streifte die Schuhe ab, was ich für eine bezaubernde Gewohnheit hielt. Einen Mann in einem Maßanzug, der nur ungern Schuhe trug, wusste schließlich jede Frau zu schätzen, nicht wahr?

Ich fragte mich, was für ein Geräusch er meinte, bis mir klar wurde, dass es um mein Handy ging. Ich griff danach und regelte die Lautstärke herunter. »Ein Musicalmix«, sagte ich und wedelte mit dem Gerät vor seiner Nase herum. »Manchmal tauche ich gern in den kompletten Soundtrack ein, aber manchmal hört man sich auch lieber nur die besten Stellen an, nicht wahr?«

Gabriel legte den Kopf schief, als betrachte er ein Tier im Zoo, das er nicht identifizieren konnte.

»Musicals«, erklärte ich. »Sie wissen schon, so was wie Show Boat, West Side Story, Der König und ich.« Aber seine Miene blieb ausdruckslos. Da gab es nur eins. Ich musste singen, und das tat ich: Ich stimmte ein Lied aus The Sound of Music an. War dies nicht das Musical, von dem jeder in der nördlichen Hemisphäre schon einmal gehört hatte?

Er zuckte zusammen. »Sie singen ja.«

»Natürlich singe ich. Jeder sollte das tun.« Ich hörte gleich wieder auf. Zum einen, weil es ihn nicht zu amüsieren schien, vor allem aber, weil ich keinen Musicalsong singen konnte, ohne gleichzeitig zu tanzen. Und ich wusste aus Erfahrung, dass ich auf diesem Fußboden nicht in Socken tanzen konnte, ohne auf die Nase zu fallen. Also zuckte ich mit den Schultern und sagte: »Keine Ahnung, warum, aber wenn ich dieses Lied singe, bin ich einfach glücklich. So wirken Musicals auf Menschen. Sollten Sie auch mal ausprobieren.«

»Nein, ich glaube nicht«, antwortete Gabriel und steuerte auf den Kühlschrank zu. »Und ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob Sie mit dieser Stimme singen sollten.« Er spähte hinein und holte ein Bier heraus.

»Oh, das ist aber unhöflich. Zugegeben, ich habe keine Stimme mit der man Disney-Songs einsingen kann, aber wer hat die schon?«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.« Er stellte das Bier auf den Küchentisch, während er sich bereits von seinem Jackett befreite.

»Macht nichts«, sagte ich, entschlossen, mich von seiner kurz angebundenen Art und der wenig wohlwollenden Beurteilung meiner Gesangsfähigkeiten nicht angegriffen zu fühlen. »Haben Sie schon gegessen? Ich wollte mir gerade ein Omelett machen. Möchten Sie auch etwas?«

»Ich habe noch zu tun.«

Ich spähte zu der abgeschlossenen Tür am anderen Ende der Küche. Was befand sich dahinter? Ein Verlies? Ein Spa für Männer? Vielleicht war er in seiner Freizeit ja Tierpräparator. Aber warum musste er den Raum abschließen? Sollte das, was sich darin befand, nicht herauskommen, oder sollte niemand hineingelangen?

»Also, Bethany hatte einen wunderbaren Tag. Zufällig waren wir beim Singen. Ich nehme an, es ist okay, wenn Ihre Tochter singt?«

»Natürlich, sie ist schließlich erst vier. Und sie hat eine ziemlich gute Stimme, finde ich. Für ihr Alter jedenfalls.« Seine Augen weiteten sich, als erwartete er meine Zustimmung. Nur wenn es um Bethany ging, hellte sich seine Miene ein wenig auf. Über sie zu sprechen, schien ihn für wenige Minuten aus seiner grüblerischen Finsternis auftauchen zu lassen.

»Ich liebe ihre Singstimme, sie ist entzückend. Und sie hat ein hervorragendes Rhythmusgefühl. Sie ist bei einer Klassenkameradin zum Spielen eingeladen. Sind Sie damit einverstanden?«, fragte ich.

»Werden Sie sie begleiten?«

»Natürlich. Ich würde sie niemals allein lassen.«

»In Ordnung – wenn Sie glauben, dass es ihr gefallen wird.«

»Und wenn wir Zeit dafür finden. Ihr Stundenplan ist ziemlich voll. Morgen haben wir Schwimmen, Donnerstag Gymnastik. Am Freitag Musik. Alles zusätzlich zum Kindergarten. Aber wenn ich den anderen Nannys Glauben schenken darf, sind sämtliche Kinder hier so gründlich verplant wie die Obamas.«

Er lachte in sich hinein, und ich musterte ihn fasziniert. Ein Lächeln von ihm hatte Seltenheitswert, und ich hatte ihm bisher noch keines entlockt. Vielleicht musste er mich ein bisschen besser kennenlernen, um mit mir warm zu werden.

»Aber ich schätze, in New York ist es genauso«, fuhr ich fort. »Und in jeder anderen großen Stadt voller ehrgeiziger, erfolgreicher Eltern auch.«

Weit entfernt von Oregon und meinen Eltern. Die hatten nicht mal gewusst, ob ich in der Schule war, ganz zu schweigen von irgendwelchen Freizeitaktivitäten, die vielleicht angeboten wurden. Was nicht der Fall war. Ein halbes Jahr lang hatte es einen Schachclub gegeben, aber Schach war im Grunde nicht mein Ding. Wenn ich einen Job in dem Trailerpark angenommen hätte, in dem wir wohnten, oder in der Fabrik, in der meine Schwester immer jobbte, wären sie mit Sicherheit so stolz gewesen wie Idina Menzels Eltern, als sie zum ersten Mal Wicked – Die Hexen von Oz sahen. Aber möglicherweise hätten sie es nicht einmal bemerkt.

Gabriel zog eine Schranktür auf und nahm einen Flaschenöffner heraus, der an einem von mehreren Haken an der Innenseite der Tür hing.

»Pfannenwender!«, kreischte ich, als ich das vergeblich gesuchte Küchenutensil erblickte. »Warum habe ich die nicht gefunden? Die Dinger hängen da rum wie in einem Werkstattschuppen.« Warum hatte er sie nicht einfach in eine Schublade gelegt? »Ihr seid seltsam, ihr Briten.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass ein Fischheber einen Menschen so glücklich machen kann«, sagte er und sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren.

»Es sind immer die kleinen Dinge, die die Hoffnung am Leben erhalten, Gabriel. Immer die kleinen.«

Er nahm den sogenannten Fischheber vom Haken und reichte ihn mir.

»Sind Sie sicher, dass ich Ihnen kein Omelett machen soll?«, fragte ich und nahm ihm das Teil ab. Als ich meine Hand um den Griff schloss, streiften sich unsere Finger … und blitzartig stieg mir seine Hitze in die Hand, in den Arm und bis in die Schulter hinauf. Ich atmete hörbar ein.

Es war nur eine zufällige, leichte Berührung seiner Finger, aber ich empfand sie so intensiv, als hätte er mich gepackt und geküsst.

»Verzeihung«, murmelte er. Wofür entschuldigte er sich? Schließlich hatte er mir nicht an die Brüste gefasst oder so. Er räusperte sich. »Ich muss jetzt weitermachen.«

Ich blickte zu der abgeschlossenen Tür. Gabriel musste also weiterhin Fledermäuse ausstopfen oder was er sonst dort drin tat. »Wenn Sie beschäftigt sind, übernehme ich gern das Babyfon.«

»Bethany wird Sie morgen noch genug herumscheuchen. Sie wird Verstecken mit Ihnen spielen, Fahrrad fahren und sich zum Park bringen lassen. Verausgaben Sie sich nicht zu sehr.«

Ich spannte den Bizeps an. »Ich komme schon mit ihr klar«, sagte ich, zog dann aber unwillkürlich den Kopf ein. »Glaube ich jedenfalls.«

Gabriel holte einen einzelnen Schlüssel aus seiner Hosentasche und schob ihn ins Schloss. Einen Augenblick später verschwand er hinter der Tür und sperrte die ganze Welt aus – mich eingeschlossen.

3. KAPITEL

GABRIEL

Ein Krachen aus dem Erdgeschoss lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Uhr in meinem Computer. Mist. Halb acht. Seit zweieinhalb Stunden war ich nun schon mit diesem Videoanruf beschäftigt, und das an einem Sonntagmorgen.

»Ich muss kurz unterbrechen«, sagte ich. Als ich den Anruf um kurz nach fünf entgegennahm, hatte ich erwähnt, dass ich vor sieben Uhr Schluss machen musste. Aber Mike Green, mein größter Auftraggeber, sprengte mal wieder alle Grenzen.

»Wir kommen gut voran«, sagte er. »Wenn wir so weitermachen, haben wir den Deal gegen Mittag nach Ihrer Zeit unter Dach und Fach. Dann haben Sie den restlichen Tag für sich.«

»Ich habe eine vierjährige Tochter, Mike. Sie können mich heute Abend noch auf den neuesten Stand bringen. Aber beauftragen Sie auf keinen Fall diese nutzlosen Umweltanalytiker. Ich finde bessere.«

»Gabriel, sie sind die Besten der Branche.«

»Ihr letzter Bericht kam vier Tage zu spät. Wir können uns nicht auf sie verlassen.«

»Geben Sie mir einfach noch ein paar Stunden Zeit. Wir können es schaffen.«

Als ich schwieg, seufzte er und nickte enttäuscht. Dafür würde ich büßen müssen. Die Leute glauben immer, dass der Sozius einer Anwaltskanzlei sein eigener Chef ist, aber das ist Blödsinn. Meine Mandanten bestimmten mein Leben auf dieselbe Art, wie anderen Leuten das Leben von ihren Chefs zur Hölle gemacht wurde. Mike war ein Arschloch, aber ein erfolgreiches. Und er leitete eines der wenigen privaten Wertpapierhäuser, die mitten in der Rezession noch Geschäfte abschlossen. Wahrscheinlich, weil er sonst nichts zu tun hatte.

Ich verließ das Meeting und mein Büro und steuerte auf die Küche zu, aus der das krachende Geräusch gekommen war. Pünktlich wie ein Uhrwerk wachte Bethany jeden Morgen zwischen sieben und halb acht auf, und obwohl sie normalerweise einfach in ihrem Zimmer spielte, bis ich sie holen kam, schien sie an diesem Tag im Erdgeschoss unterwegs zu sein.

Ich betrat die Küche, und anstelle von zerschmettertem Geschirr und den nackten Füßen einer Vierjährigen sah ich Autumn, die am Herd stand. Bethany saß auf einem Barhocker.

»Guten Morgen«, sagte ich und schob mir die Finger ins Haar, um mir die Kopfhaut zu reiben, ehe ich meiner Tochter einen Kuss auf den Scheitel drückte. »Können wir die Musik ein bisschen leiser machen?«

Was fand Autumn nur an Musicals?

»Wir machen Pfannkuchen«, verkündete Bethany und fuhr fort, die Mischung in der Teigschüssel vor sich umzurühren. »Und wir singen.«

Gott steh uns bei. Autumn sang wie ein Katzenklo, und Bethany war vier, darum klang sie wie die Katze, der das Klo gehörte. Im Kampf gegen die Taliban mochten die beiden eine praktische Verteidigungsart darstellen, aber meine Trommelfelle würden keinen weiteren Refrain von Let It Go überleben.

Ich betrachtete Autumn und fragte mich, ob sie meine Bitte, die Musik leiser zu drehen, überhaupt gehört hatte. Sie strahlte mich an. Mir war noch nie ein Mensch begegnet, der andauernd dermaßen glücklich war. Ich wusste nicht, ob sie mich beeindrucken wollte oder ob sie sich tatsächlich großartig amüsierte. Und zwar ständig.

»Ich habe diese Woche Ahornsirup und Heidelbeeren mitgebracht, also versuchen wir es einfach mal. Sind Sie bereit, das Versuchskaninchen für uns zu spielen?«, fragte sie, schon wieder lächelnd. Es war halb acht an einem Sonntagmorgen. Was sollte daran ein Grund zur Freude sein?

»Bitte, Daddy!«, bettelte Bethany.

»Okay.« Gegen die Bitte meiner Tochter war ich machtlos. Ich nahm Autumns Handy und brachte das unablässige Kreischen zum Schweigen in der Hoffnung, jede weitere Beteiligung von Amateuren zu verhindern. Dann nahm ich auf dem Barhocker neben meiner Tochter Platz. Hoffentlich konnte Autumn besser kochen als singen. »Ich erwarte übrigens nicht von Ihnen, dass Sie Frühstück für Bethany machen. Und auch nicht für mich. Ich weiß, dass heute Sonntag ist.«

»Ich war schon wach. Und ich bereite das Frühstück für uns alle zu. Hoffe ich jedenfalls.« Sie zwinkerte mir zu. Ich konnte mich nicht erinnern, wann mir das letzte Mal jemand zugezwinkert hatte. Vielleicht der Gärtner, der für uns arbeitete, als ich noch ein Kind war. Inzwischen war ich viel zu seriös, als dass mir jemand zuzwinkern würde.

Außer Autumn offenbar.

»Na also. Bereit für eine Kostprobe, Bethany?« Autumn ließ den ersten Pfannkuchen auf einen Holzteller gleiten. »Nicht zu viel Sirup und jede Menge Heidelbeeren, bitte.«

»Heiß!«, rief Bethany, blickte das Stückchen Pfannkuchen auf ihrer Gabel an und blies darauf, vermutlich ohne etwas zu bewirken.

Ehe Bethany ihr Urteil abgeben konnte, ließ Autumn drei Pfannkuchen auf meinen Teller gleiten und reichte mir ein Messer und eine Gabel.

»Mmh, lecker!«, erklärte meine Tochter. »Daddy, du musst essen.« Sie zeigte auf meinen Teller.

»Keine weiteren Einwände«, antwortete ich und nahm einen Bissen.

»Wie sind sie?«, fragte Autumn.

Ich nickte und versuchte, ihrer Begeisterung gerecht zu werden. Am Abend zuvor hatte sie mir Unhöflichkeit vorgeworfen, und ich hatte keine Zeit, mir ein neues Kindermädchen zu suchen, falls Autumn beschließen sollte, das Handtuch zu werfen. Mehr als eine Nanny hatte mir bereits meine feindselige, undankbare Haltung vorgeworfen.

»Geheimes Familienrezept«, sagte Autumn, als hätte sie soeben ein mit Michelinsternen ausgezeichnetes Gericht serviert.

»Daddy, heute zu den Bärensoldaten, ja?«, sagte Bethany.

»Sie redet pausenlos über Soldaten«, meinte Autumn. »Muss ich befürchten, dass Sie sie bei einer Art Teddybärenarmee anmelden?«

»Ich habe ihr versprochen, mit ihr zum Wachwechsel vor dem Palast zu gehen. Sie findet, dass die Soldaten mit ihren Mützen wie Bären aussehen.«

Autumn schluckte einen Bissen Pfannkuchen hinunter. »Zum Wachwechsel? Wie Christopher Robin und Alice?« Pure Begeisterung stand ihr ins Gesicht geschrieben, als hätte ihr gerade jemand den Mond geschenkt. »So etwas gibt es wirklich?«

»Natürlich«, antwortete ich. Wie kam Autumn darauf, dass es das in Wirklichkeit nicht gab?

»Darf ich mitkommen?« Sie goss noch mehr Pfannkuchenteig in die Pfanne. »Dieses Gedicht von Milne …« Sie schüttelte den Kopf, als spielte der Gedanke keine Rolle. »Ich habe es als Kind oft gehört. Ich würde schrecklich gern sehen, wie all das vor sich geht. Kommt die Queen zum Wachwechsel heraus?«

Ich hatte an diesem Tag nicht mit Gesellschaft gerechnet, die Wochenenden gehörten Bethany und mir. Unter der Woche bekam ich meine Tochter kaum zu sehen, darum versuchte ich, aus jedem Wochenende etwas Besonderes zu machen.

»Ja, Autumn soll mitkommen! Bitte, Daddy!«

Meine Tochter hatte mich um den Finger gewickelt. Und es konnte nicht schaden, nett zu Autumn zu sein, damit sie mich nicht im Stich ließ, sodass ich ohne Kindermädchen dastand. Mal wieder. Die Arbeit war unglaublich stressig, und in den nächsten Monaten würde es noch schlimmer werden. Autumn sollte bis Ende Juli bleiben, dann fuhren meine Auftraggeber alle in Urlaub, und ich würde genug Zeit haben, eine neue Nanny zu suchen.

»Natürlich ist Autumn willkommen, Liebling. Aber vielleicht will sie gar nicht mitgehen, weil wir Ihre Majestät nicht sehen werden. Nur eine Menge Bärenmützen und Touristen.«

Autumn zuckte mit den Schultern, ihre Augen funkelten wie Wasser in der Sonne. »Ich kann es kaum erwarten. Wann müssen wir los?«

Anstatt zu verschwinden, bis es Zeit zum Aufbruch war, holte sie Bethanys Rucksack und begann zu packen.

»Hier«, sagte sie und nahm ein laminiertes Blatt Papier heraus. »Ich habe eine Liste erstellt mit allem, was wir brauchen, wenn wir tagsüber rausgehen.«

»Sie haben eine laminierte Liste?« Es war seltsam, am Wochenende Hilfe zu haben. Bethanys Mutter hatte uns schon vor langer Zeit verlassen.

Erneut zuckte Autumn mit den Schultern. »Warum nicht? Auf diese Art vergisst man nichts. Ich habe auch eine Liste für den Kindergarten. Ich finde, es ist besser, im Leben immer vorbereitet zu sein. So hat man mehr Zeit für unerwartete Dinge.«

Ich wusste nicht, wovon sie sprach, und ich befürchtete, dass sie mich noch mehr verwirren würde, wenn ich sie um eine Erklärung bat.

Eine halbe Stunde später begrüßte Autumn den Taxifahrer, während wir uns in dem Wagen niederließen. »Danke, dass Sie uns zum Palast bringen.« Wusste sie etwa nicht, dass der Mann für seine Dienste bezahlt wurde?

»Klappsitz, Klappsitz. Genau wie Paddington«, sang Bethany sich leise vor, klappte den Notsitz herunter und kletterte darauf. Ich beugte mich über sie, um den Sicherheitsgurt zu schließen, und meine Hand berührte Autumns. Ein Energieblitz fuhr mir in den Arm und ließ mich innerlich erglühen, angefangen bei meinen Eiern. Himmel. Den elektrischen Funken, als ich ihr am Abend zuvor den Fischheber reichte, hatte ich für reinen Zufall gehalten. Was offensichtlich nicht stimmte.

Autumn zog den Arm zurück und schnappte nach Luft.

Hatte sie es auch gespürt? Es war wie eine kleine Explosion gewesen.

»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte ich, ohne sie anzusehen, und schloss Bethanys Gurt.

»Ja«, sagte sie leiser, als ich es von ihr gewohnt war. Also hatte sie auch etwas empfunden.

Autumn war eine attraktive junge Frau. Das war mir schon bei unserer ersten Begegnung aufgefallen. Seitdem Penelope mich verlassen hatte, schenkte ich Frauen keine Beachtung mehr, denn ich hatte mir geschworen, von nun an im Zölibat zu leben. Ich wollte mich ausschließlich auf Dinge konzentrieren, die meine Aufmerksamkeit verdienten: meine Tochter, die Arbeit und die fünf Männer, die eher Brüder als Freunde für mich waren. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Autumn diese Konzentration gestört. Aber das war auch alles … eine vorübergehende Störung. Sie war zweifelsohne bemerkenswert, schön und sehr eindrucksvoll, und etwas in meiner Physiologie hatte darauf reagiert. Doch dieser Moment war längst vorüber. Oder?

Als wir auf die Mall fuhren, hatte ich unseren Zusammenstoß bereits verdrängt. Autumn hatte vermutlich dasselbe getan, so angeregt, wie sie mit dem Taxifahrer plauderte. Ich war überrascht, dass der Mann sie noch nicht zu seinem dreißigsten Hochzeitstag eingeladen hatte, den er im nächsten Monat feiern würde. Indem sie ihn nach prominenten Fahrgästen ausfragte und nach Beinaheunfällen, wenn eine Frau auf der Rückbank zu entbinden drohte, freundete sie sich im Handumdrehen mit ihm an. Offenbar hatte sie dieses sonnige Gemüt nicht mir zuliebe aufgesetzt. Und wenn doch, schloss es nun auch den Taxifahrer mit ein. Sie schien tatsächlich glücklich zu sein. Die. Ganze. Zeit.

Wenigstens stimmte sie kein Lied an.

Wir stiegen aus dem Taxi, und wie üblich setzte ich mir Bethany auf die Schultern. Um diese Jahreszeit würde es zwar nicht allzu voll sein, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Hier oben war Bethany in Sicherheit und hatte außerdem die bestmögliche Aussicht.

»Gibt es etwas, das noch britischer ist, als in einem schwarzen Taxi zum Wachwechsel zu fahren?«, fragte Autumn, und ihr breites Lächeln erhellte den äußerst trüben Aprilmorgen.

»Bären!«, rief Bethany und deutete auf den Palast.

»Gehen wir. Wir müssen uns einen guten Platz suchen«, sagte ich. In diesem Augenblick waren nur wenige Menschen vor dem Palast versammelt, aber innerhalb von zehn Minuten würden Tausende auftauchen wie aus dem Nichts und herumlaufen wie Ameisen auf einem Becher Eiscreme.

Ich spürte mein Handy in der Hosentasche vibrieren, ehe es klingelte, und in meinem Magen schien eine Woche alter Bratensaft zu gären. Ich wusste, dass es Mike war. Am liebsten hätte ich auf ihn und seine Mandate verzichtet, aber da die Wirtschaft am Boden lag, war er der einzige Mensch, der dafür sorgen konnte, dass ich nicht aus der Kanzlei flog. Ich holte das Handy heraus und hielt mit der anderen Hand Bethanys Beine fest. Obwohl meine Tochter mir ihre gespreizten Finger auf Stirn und Auge gelegt hatte, konnte ich auf dem Display sehen, dass es tatsächlich Mike war.

»Arbeit?«, fragte Autumn.

»Ja. Ich habe da einen besonders fordernden Auftraggeber. Er ist kinderlos, darum hat er es nie eilig, sein Büro zu verlassen.«

»Du meine Güte, heute ist doch Sonntag!«

»Sagt die Frau, die ihre Freizeit mit ihrem Chef und ihrem Schützling verbringt.«

Sie lachte. »Das stimmt. Aber es macht Spaß.« Sie klatschte in die Hände, die in Fäustlingen steckten, und sagte zu Bethany: »Ich kann die Bärensoldaten sehen!«

Wenn sie sich amüsierte, würde sie ihren Vertrag erfüllen und bis zum Ende bleiben. Bethany schien Autumn zu mögen, und abgesehen von ihrer Liebe zu Musicals war sie eine recht angenehme Mitbewohnerin. Ich war ohnehin kaum zu Hause, und wenn doch, verbrachte ich den Großteil der Zeit in meiner Werkstatt. Für mich war unsere Abmachung die ideale Lösung.

Wir gingen zu den Palasttoren und drängten uns in eine der verbleibenden Nischen vor den hohen schwarzen Gitterzäunen, die den Palast umgaben.

»Ganz ehrlich? Das hier wollte ich schon sehen, als ich neun war«, sagte Autumn.

»Den Wachwechsel?«

»Ja. Und London. Und die Welt«, fuhr sie fort und legte den Kopf so weit in den Nacken, wie sie konnte. Es sah aus, als suchte sie am Himmel nach Jupiter.

»Sie wollten also immer schon reisen?«, fragte ich.

»Ja, immer. Und als Hollie das erste Mal nach Europa geflogen ist, wusste ich, dass ich ihr bald folgen würde. Ich kann es kaum erwarten, das Kolosseum zu sehen und den Eiffelturm. Ich möchte gleich losfahren und diesen Tanz …« Sie schnippte mit den Fingern. »Sie wissen schon, in Sevilla.«

»Flamenco?«

»Oh ja«, antwortete sie, schloss die Augen und atmete ein, als inhalierte sie den Duft eines Straußes Sommerblumen. »Ich kann es kaum noch erwarten. Ich dachte, ich müsste mich gedulden, bis ich bezahlten Urlaub bekomme, aber nun hat sich herausgestellt, dass ich meinen Job erst im September antrete, was bedeutet, dass ich den ganzen August auf Reisen sein kann. So hat sich alles zum Besten gewendet.«

»Arme goldene Frau. Sie kann nichts sehen«, sagte Bethany und holte mich von meinem Gedankenkarussell. Sie tätschelte mir den Kopf und zeigte auf die vergoldete Siegesgöttin auf dem Victoria Memorial.

»Stimmt, Liebling, sie schaut in die falsche Richtung«, antwortete ich.

»Ich glaube, sie sorgt dafür, dass alle hier glücklich sind. Und ich bin mir sicher, dass ihr jemand Fotos zeigen wird«, fügte Autumn hinzu.

»Ja!«, sagte Bethany. »Die Queen.«

Manchmal fragte ich mich, was für Gedanken Bethany zwischen ihren beiläufigen Bemerkungen durch den Kopf gingen. Glaubte sie, dass die Statue zum Leben erwachte, wenn die Leute fort waren, und dass die Siegesgöttin im Anschluss Ihrer Majestät Gesellschaft leistete, um Tee zu trinken und mit ihr über die Zeremonie zu kichern? Vater zu sein war die lohnendste, verwirrendste, forderndste Aufgabe, die ich je übernommen hatte, und obwohl Bethanys Mutter uns verlassen hatte, würde ich diese Rolle ohne zu zögern jederzeit noch einmal übernehmen. Bethany erinnerte mich ständig daran, dass jemand anderes als ich selbst im Mittelpunkt all meiner Handlungen stand. Und das war wichtig. Es sorgte dafür, dass ich selbst Albtraum-Mandanten wie Mike gegenüber fokussiert und entschlossen blieb.

»Dreh dich um«, verlangte Bethany, und ich drehte mich gehorsam auf der Stelle, einmal um die eigene Achse. Bethany lehnte sich zurück wie immer, wenn sie auf meinen Schultern saß, und ich verstärkte den Griff um ihre Fesseln. »Noch mal!« Diesmal vollführte ich zwei Drehungen in die Gegenrichtung. Bald würde ich in die Hocke gehen, aufspringen und mit den Schultern nach rechts und links wippen, als wäre ich Bethanys eigenes Spielplatzkarussell. Ich würde alles tun, nur um ihr Lachen zu hören.

»Ihr zwei zusammen seid ein wundervoller Anblick«, sagte Autumn und lächelte uns beide von unten herauf an.

Jemand tippte mir auf die Schulter, und als ich mich umdrehte, stand eine ältere Frau mit einem dieser Körbe auf Rädern vor mir, in denen Senioren ihre Einkäufe transportieren. »Entschuldigen Sie die Störung, aber ich muss Ihnen einfach sagen, dass Sie drei wie eine überaus glückliche Familie aussehen.«

Hätte sie mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich unwissentlich in Boxershorts vor die Tür gegangen war, wäre ich nicht schockierter gewesen. Es verschlug mir die Sprache. Ich blickte Autumn an, weil ich davon ausging, dass sie die Frau unterbrechen und ihre Annahme richtigstellen würde, aber sie schien sich betont auf die Vorbereitungen hinter den Toren zu konzentrieren.

Die Frau blickte zu Bethany auf. »Du wirst mal genauso hübsch sein wie deine Mama.«

Sie hielt Autumn für meine Frau. Für Bethanys Mutter. Sah sie denn nicht, dass ich viel älter als Autumn war? Dass ich der Mann war, der ihren Gehaltsscheck unterschrieb?

Die Lady tätschelte mir den Arm und fuhr fort: »Sie haben eine hübsche kleine Familie. Passen Sie gut auf sie auf.«

Wenn die wüsste!

Fünf Jahre lang hatten Penelope und ich versucht, eine hübsche kleine Familie zu erschaffen. Nun war ich mir sicher, dass es so etwas gar nicht gab. Diese Lektion hatte mir nicht mein Vater beigebracht – meine Ex-Frau musste sie mir in die Seele brennen, und ich würde denselben Fehler kein zweites Mal begehen.

Ich war fest entschlossen, Bethany der bestmögliche Vater zu sein. Das bedeutete, dass ich sehr hohe Ansprüche an meine Lebensführung stellte. Ich würde ihr Vorbild sein. Ihr Versorger. Und vor allem wollte ich ein Anker sein, eine Leine, die ihr Beständigkeit und Sicherheit gab. Ich wusste, wie ein Kind sich fühlte, dem ständig der Boden unter den Füßen schwankte, weil es nicht wusste, ob seine Eltern noch da sein würden, wenn es am nächsten Morgen aufwachte. Bethanys Mutter hatte sich von uns losgemacht, aber das hatte nur dazu geführt, dass ich mich noch fester an meine Tochter band.

Was konkret bedeutete, dass ich keine Geschäftsreisen mit Übernachtung übernahm, damit ich immer da war, wenn sie nachts aufwachte. Es bedeutete, dass es in meinem Bett keine Frau gab, denn eine Beziehung könnte Bethany verwirren oder verletzen. Und es hieß, dass ich aufhören musste, Nannys zu verbrauchen wie Briefpapier im Büro. Ob sie es nun wusste oder nicht: Solange Autumn in London blieb, war ihr Platz bei uns gesichert.

4. KAPITEL

AUTUMN

Normalerweise brauchte ich nicht so lange, um mich für ein Samstagabend-Dinner mit meiner Schwester fertig zu machen. Und mit Sicherheit hätte ich mir nichts Neues zum Anziehen gekauft.

Aber ich war jetzt in London. Es fühlte sich wie ein Neustart an, obwohl ich mich in einer Art Schwebezustand befand, bis meine richtige Karriere beginnen konnte. Außerdem trieb Hollie sich inzwischen in Kreisen herum, in denen die Sneaker der Leute mehr kosteten als der komplette Inhalt meines Kleiderschranks. Es handelte sich zwar nur um ein Dinner mit meiner Schwester, ihrem Mann und ein paar Freunden der beiden, aber es fand in Knightsbridge statt. Ich kannte nur einen einzigen Menschen, der reicher war als mein zukünftiger Schwager, und das war mein derzeitiger Boss, sodass ein Abendessen in Dexters Hausdurchaus die Anschaffung eines neuen Kleides rechtfertigte.

Vor allem weil besagter superreicher Boss dabei anwesend sein würde.

Nicht dass ich ihn bewusst zu beeindrucken versuchte. Aber ich wünschte mir vermutlich schon, dass Gabriel mich hübsch fand … denn in meinen Augen war er atemberaubend attraktiv. Ja, er war kalt und unnahbar, wenn ich mit ihm allein war, aber wenn ich ihn mit seiner Tochter erlebte, konnte ich den Mann sehen, der er hinter seiner rauen Fassade war. Und das ließ mich dahinschmelzen wie Schnee in der Sahara.

Das Kleid, das ich mir ausgesucht hatte, war nicht raffiniert. Es bestand aus schlichtem rotem Jersey, endete knapp über dem Knie und hatte einen Bindegürtel. Als ich mich vor dem Spiegel umdrehte, konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich den U-Boot-Ausschnitt auf einer Seite schulterfrei tragen sollte oder nicht. Zunächst würde ich mir überlegen, welche Schuhe dazu passten.

Ich besaß vier Paar, die ich allesamt nach London mitgenommen hatte: Flip Flops – die hätte ich selbst bei besserem Wetter nicht zu einer Dinnerparty in Knightsbridge anziehen können –, Sneakers, die vielleicht funktioniert hätten, wenn sie weniger abgewetzt wären, ein Paar High Heels, die ich für sechs Dollar bei Century im Schlussverkauf ergattert hatte, und schließlich ein Paar kniehohe schwarze Stiefel, auf die ich drei Monate lang gespart hatte und die fast wie neu aussahen, obwohl ich sie bereits seit mehreren Jahren besaß. Ich entschied mich für die Stiefel. Wenn ich die High Heels anzog, würde meine Schwester denken, dass ich jemanden zu beeindrucken versuchte. Sie würde glauben, dass dieser Jemand Gabriel war. Und damit würde es zu einer Sache werden.

»Sind Sie bereit?«, rief Gabriel unten an der Treppe in den ersten Stock hinauf.

Obwohl wir nur zusammen ausgingen, weil er einer von Dexters besten Freunden war, löste seine Frage eine Welle der Erregung tief in meinem Bauch aus. Als hielte mein Körper ihn für meinen Liebhaber, obwohl ich ihn tatsächlich kaum zu Gesicht bekommen hatte, seit wir uns beinahe zwei Wochen zuvor gemeinsam den Wachwechsel angesehen hatten. An jenem Tag war er weicher gewesen als üblich, aber inzwischen hatte er wieder ständig schlechte Laune. Der warme, freundliche Gabriel kam nur zum Vorschein, wenn Bethany in der Nähe war. Obwohl er diesen Teil seiner selbst verbarg, wusste ich, dass es ihn gab. Und ich wollte wissen, warum er so tief vergraben war.

»Komme«, rief ich und griff nach der Clutch, die Hollie mir zu Weihnachten geschenkt hatte.

Als ich am unteren Treppenabsatz ankam, wartete ich, bis Gabriel dem Babysitter alle Anweisungen gegeben hatte.

»Eigentlich sollte ich mich um sie kümmern«, sagte ich, als Gabriel die Haustür hinter uns schloss.

»Nein«, widersprach er mit einer Stimme, die jede Diskussion ausschloss. »Sie sollen zum Dinner zu Ihrer Schwester fahren. Es ist Samstagabend.«

»Aber Kindermädchen sollen doch babysitten, und wir haben vereinbart, dass …«

Gabriel öffnete die Tür des Taxis, das am Straßenrand wartete.

»Sie spielen sehr oft die Babysitterin«, sagte er, während er neben mir Platz nahm und mein Kleid musterte. Ich folgte seinem Blick, bis er auf dem Schlitz an der Seite meines Schenkels verweilte. Himmel, war ich unangemessen gekleidet? Ich hatte mich auch vorher schon mit Hollie, Dexter und ihren Freunden zum Dinner getroffen und immer geglaubt, das Richtige ausgesucht zu haben. Lag ich mit meiner Kleiderwahl denn völlig daneben?

»Das Kleid ist neu. Ich dachte, es wäre für heute Abend okay«, sagte ich, beinahe verlegen angesichts seiner offensichtlichen Missbilligung. Was verstand ich schon von Londoner Dresscodes? Ich war in einem Trailerpark aufgewachsen. Mir kamen sogar Papierservietten mit aufgedrucktem Motiv nobel vor.

Er stieß eine Art Knurren aus, ehe er den Blick abwandte. »Sie sehen hübsch aus«, murmelte er, zum Fenster gewandt.

Mühsam verkniff ich mir ein Lächeln. Anstatt mein Outfit zu missbilligen, hatte er mich also nur eingehend betrachtet? Zwischen meinen Schenkeln wurde es heiß, und ich hätte geschworen, dass ich die Wärme seines Körpers über die dreißig Zentimeter Abstand hinweg spüren konnte, die in dem Taxi zwischen uns lagen.

»Danke«, flüsterte ich, halb atemlos vor Freude, weil mich ein Mann wie Gabriel hübsch fand, halb verwundert, weil er das Kompliment mit derart gequälter Miene aussprach. Fiel es ihm wirklich so schwer, freundlich zu jemandem zu sein, der nicht Bethany war?

Er seufzte und schüttelte den Kopf, als täte ihm das Wort Danke körperlich weh.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich.

»Ja«, gab er zurück, noch immer auf die Szenerie hinter dem Fenster fixiert. »Ich hätte das nicht sagen sollen. Tut mir leid.«

»Ich bin nicht beleidigt«, sagte ich. »Es ist schön, ein Kompliment zu bekommen. Vor allem von Ihnen.«

»Vor allem von mir?« Er warf mir einen Blick zu und schaute dann erneut aus dem Fenster, als müsste er sich zwingen, mich nicht anzusehen.

Vor allem von jemandem, der so unglaublich attraktiv war. Von einem derart weltgewandten, cleveren, fürsorglichen und umsichtigen Mann. Einem Mann, in den ich schwer verknallt war. »Ja«, sagte ich nur. Er musste doch wissen, dass jede Frau im Radius von einigen Kilometern in ihn verliebt war. In dieser Hinsicht war ich nichts Besonderes.

»Wie lief es gestern mit Bethany?«, fragte er mit veränderter Stimme, als hätte er zuvor im Schlaf gesprochen und wäre gerade aufgewacht.

»Sie ist hinreißend. Ich war mit ihr im Schwimmbad, wie ich gesagt hatte. Sie liebt Wasser.« Ich erwähnte nicht, dass dort meiner Meinung nach ein Bademeister im Dienst hätte sein müssen, auch wenn zwei Lehrer vor Ort waren. Ich wusste, dass ich wegen meiner Ausbildung zur Rettungsschwimmerin in solchen Dingen manchmal übervorsichtig war, und ich wollte ihn nicht beunruhigen.

»Letztes Jahr im Sommer war ich mit ihr in Griechenland, und sie wollte die ganze Zeit im Pool sein.«

»Griechenland?«, fragte ich und sah vor meinem geistigen Auge weiß getünchte Villen und leuchtend pinkfarbene Blumen, die einen perfekten Kontrast zum Blau des Meeres bildeten. »Da wollte ich immer schon mal hin. Ist es so großartig, wie ich glaube?«

»Außer dem Pool haben wir nicht viel von dem Land gesehen. Hatten Sie nicht gesagt, dass Sie nach Paris und Rom wollen?«

»Ja«, bestätigte ich. »Und nach Griechenland auch. Ich möchte die Mittelmeerbrise im Haar spüren, den weißen Sand zwischen den Zehen, und nicht mehr nur die Filmaufnahmen aus Mamma Mia als Bezugspunkt haben. Dasselbe gilt für Paris.«

»Lassen Sie mich raten … Ihr derzeitiger Bezugspunkt lautet American Werewolf in Paris?«

Hatte Gabriel Chase gerade einen Witz gemacht? Ich fühlte mich geehrt. Ich grinste und genoss schweigend meinen Sieg. »Eigentlich eher Moulin Rouge.«

»Nie gesehen.«

»Moment mal. Sie haben Moulin Rouge nicht gesehen? Das ist Baz Luhrmanns genialster Film. Vielleicht mein Lieblingsfilm aller Zeiten. Und Mamma Mia ist auch ein Musical, falls Sie das nicht wussten.«

»Genau, den habe ich auch nicht gesehen.«

Am liebsten hätte ich die Hand nach ihm ausgestreckt und sein Gesicht zu mir gedreht, um herauszufinden, ob er mich auf den Arm nahm. Bestimmt zog er mich nur auf. Mamma Mia hatte doch jedergesehen. Ich rutschte auf der Rückbank nach vorn, um so viel wie möglich von seinem Gesicht zu sehen.

»Holy Shit,Gabriel!«

Er drehte sich zu mir, seine breiten Schultern nahmen die halbe Breite der Bank ein. »Ist es in den Staaten ein Straftatbestand, keine Musicals zu mögen?«

»Allerdings«, sagte ich ungläubig. »Okay, ich muss ganz offensichtlich Ihren Horizont erweitern. Wenn Sie abends einmal nicht allzu spät nach Hause kommen, werde ich mich um Ihre Bildung in Sachen Musicals kümmern. Oh Gott …«

»Wie bitte?«, fragte er und blickte nach vorn, als hätte ich dort gerade etwas entdeckt.

»Heißt das etwa, dass Sie all das auch Bethany vorenthalten haben?«

Er verdrehte die Augen. »Ich glaube, sie hat mit ihrem letzten Kindermädchen Mary Poppins gesehen. Vielleicht war es auch der Zauberer von Oz.«

Ich schnaubte. »Anfängerkram. Sie ist vier,Gabriel. Vier. Sie hätte längst Du sollst mein Glücksstern sein sehen müssen. Und Ein Amerikaner in Paris und …«

Gabriels Stirn glättete sich, seine Schultern schienen sich zu senken, und er blickte mich an. Er blickte mich tatsächlich an, es schien fast, als suchte er in meinem Gesicht nach einer Gebrauchsanweisung oder so. Fand er mich dermaßen merkwürdig?

»Da habe ich ja einiges zu tun«, fuhr ich fort und lachte in mich hinein. »Überlassen Sie die Sache ruhig mir, ich werde Bethanys Bildungslücke schon schließen.«

»Wenn Sie meinen«, sagte Gabriel, der nun wieder ganz sein altes, launisches Selbst war.

Ich tippte mir gerade an die Nase, da hielt das Taxi vor Hollies und Dexters Haus. Ehe wir aus dem Wagen steigen konnten, hatte Hollie bereits die Tür geöffnet. Dexter stand lächelnd hinter ihr.

»Wie schön, dass ihr da seid.« Sie umarmte mich und drückte mich derart fest an sich, dass ich befürchtete, sie würde mir eine Rippe brechen. »Hey«, sagte sie, ließ mich los und musterte mich von oben bis unten. »Schönes Kleid.« Sie schwieg, während Gabriel ihr einen Kuss auf die Wange gab, dann folgte sie Dexter ins Haus. »Willst du jemanden beeindrucken?«

Die Vernünftige-Schwester-Phase hatte sie hinter sich gelassen und befand sich nun entschieden im Modus der besorgten älteren Schwester. Bislang hatte ich ihr mit Entschiedenheit versichern können, dass ich zwar in Gabriel verknallt war, aber niemals etwas zwischen uns laufen würde. Ich spielte nicht in seiner Liga, und er schien mir nicht der Typ zu sein, der das Dienstmädchen flachlegt. Angesichts seines Verhaltens in meiner Gegenwart war ich davon überzeugt, dass er mich kaum wahrnahm. Bis zu diesem Abend.

Denn an diesem Abend hatte er definitiv mein Kleid bemerkt. Und mir gesagt, dass ich hübsch war. Aber das zuzugeben schien ihm Qualen zu bereiten. Was mochte in diesem klugen Geist nur vor sich gehen?

»Es stammt aus dem Schlussverkauf bei Uniqlo, Hollie.« Ich seufzte.

»Entschuldige. Du siehst wirklich schön aus. An dir sah immer schon alles hundertmal teurer aus, als es tatsächlich war. Ich hatte dich nur in Jeans erwartet. Das ist alles.«

»Vielleicht erfinde ich mich ja gerade neu«, antwortete ich. »Darf ich jetzt reinkommen? Mir ist kalt.«

»Ja. Komm rein und hilf mir, die Getränke zu holen. Die Jungs sind alle hier, und sie trinken Whiskey … na ja, abgesehen von Beck. Was möchtest du trinken?«

»Was hast du denn?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Dexter hat Champagner heraufgeholt«, sagte sie und zwinkerte verschwörerisch.

»Wer aus dem Sunshine Trailerpark würde uns glauben, dass dies jetzt unser Leben ist?« Während wir auf die Küche zusteuerten, hakte ich mich bei ihr unter.

»Ich weiß. Es ist, als wäre ich mit einem Mitglied des Königshauses verlobt oder so.«

»Aber im Gegensatz zu den meisten Royals hat Dexter keinen Stock im Arsch.«

Ich blickte zu ihm und Gabriel hinüber, die mit ihren Freunden vor dem Kamin saßen. Gabriel hatte sich zurückgelehnt, sein Arm lag auf der Sofalehne, während Tristan, der geselligste der Clique, mit den Händen eine Art explodierende Bombe zu beschreiben schien. Gabriel wirkte sehr ruhig. Sehr kontrolliert. Als nähme er alles genau wahr, ohne jemals etwas von sich selbst preiszugeben.

»Wie läuft’s?«, fragte Hollie, als sie eine Champagnerflasche aus dem Eiskübel nahm, der auf dem mit einem Leinentuch gedeckten Tisch mit den Drinks stand. »Mit Bethany, meine ich.«

»Gut.« Diese Antwort hatte ich ihr auch immer gegeben, wenn sie mich nach dem College gefragt hatte. Selbst wenn nicht alles nach Plan verlief, schien sie ein allumfassendes »Gut«, begleitet von einem Lächeln, zu beruhigen. »Bethany ist süß. Und ich habe schon einiges von London gesehen, weil ich sie zu ihren Kursen und Gruppen bringen muss. Montag fahren wir zum Barbican Centre. Obwohl ich nicht genau weiß, was das eigentlich ist. Die einen sagen, es ist ein Theater, jemand anderes hat es als Buchhandlung bezeichnet, aber offensichtlich kann man dort auch wohnen. Kinder lieben es jedenfalls. Klingt vielleicht komisch, aber …«

»Wer hat dich denn auf die Idee gebracht? Gabriel?« Hollie schob mir das erste gefüllte Glas zu.

»Nein, eine der anderen Nannys aus Bethanys Kindergarten.«

»Seht ihr euch oft?« Sie hob ihr Glas, und ich stieß mit ihr an. »Ich meine, du und Gabriel.« Ihr Feingefühl war nicht ausgeprägter als bei ihrer letzten Warnung vor dem besten Freund ihres Verlobten.

»Eigentlich nicht. Er arbeitet viel, aber wir schicken uns Textnachrichten wegen Bethany.«

Das stimmte, aber es stimmte auch, dass es sich anfühlte,als sähe ich ihn häufig. Wohin ich mich im Haus auch wandte, überall begegnete ich einem Teil von ihm. Seiner offenbar ausgeprägten Leidenschaft fürs Lesen, nach der Literatur neben seinem Bett zu schließen. Diversen Fotos aus seiner Schulzeit und von der Uni. Sein Eau de Cologne, das noch lange, nachdem er gegangen war, in der Luft hing und das so finster und vielschichtig roch, wie der Mann war, der es trug. Jede Erinnerung an ihn war ein verlockender Bissen, der mir Appetit auf mehr machte. Die kleinen Schnipsel seiner Persönlichkeit ließen mich hungrig zurück. Ich sorgte stets dafür, dass ich eine großartige Aussicht hatte, wenn er sich reckte, um etwas aus dem Küchenschrank zu holen. Oder wenn er sich bückte, um seine Brieftasche aufzuheben. Und seine Stimme, die beinahe ein Knurren war, ließ mich erschauern. Ich sammelte jedes Teilchen von ihm und setzte sie in meiner Fantasie zusammen. In der Dunkelheit in meinem Schlafzimmer. Unter den Laken. Es war Gabriel, an den ich dachte, wenn ich mich selbst berührte.

»Das ist gut«, sagte Hollie, nahm einen kleinen Schluck von ihrem Drink und tat dabei so, als versuche sie nicht, mich auszufragen.

»Tatsächlich?« Ich liebte meine Schwester. Sie hatte mir eine Zukunft ermöglicht, von der ich ohne ihre Opfer nicht einmal hätte träumen können, aber manchmal wünschte ich mir, sie würde mich in Ruhe lassen und sich weniger Sorgen um mich machen. Wenn ich mich Fantasien über einen Mann wie Gabriel hingeben wollte, war das mein gutes Recht.

»Na ja, es ist gut, wenn ihr euch nicht allzu nahekommt.«

»Ich weiß wirklich nicht, warum du dir so viele Gedanken machst.«

»Dein Arbeitsantritt wurde verschoben, und du musst als Nanny arbeiten. Das reicht. Ich will nicht, dass du noch mehr Enttäuschungen erlebst. Ich möchte einfach, dass alles gutgeht.«

Ich griff nach ihrer Hand. »Das wird es. Das tut es immer. Wir Lumen-Schwestern machen aus Zitronen einfach Limonade, ist es nicht so?« Es war sinnlos, sich auf das Schlechte zu konzentrieren, das geschehen war oder noch geschehen konnte. Was vor mir lag, würde kommen, ob ich mir nun Sorgen darüber machte oder nicht. Also machte ich lieber das Beste aus dem Guten, das inzwischen passierte, denn auf diese Art würde es mir ein wenig leichter fallen, mit den weniger guten Ereignissen fertigzuwerden. Weil ich das Thema wechseln wollte, drückte ich Hollie einen Kuss auf die Wange und trank einen Schluck Champagner. »Obwohl ich das hier jeder Limonade vorziehen würde.«

Hollie hatte sich zwar ihr Leben lang um mich gekümmert, aber inzwischen war ich in der Lage, selbst auf mich aufzupassen. Und die Schwärmerei für meinen Boss war bestimmt nicht das Schlimmste, das mir im Leben zustoßen würde. Natürlich verschwieg ich ihr, dass er mich früher am Abend genauer in Augenschein genommen hatte. Es war nur ein vorübergehender Riss in seiner Rüstung gewesen, der sich inzwischen wieder geschlossen hatte.

»Also, habt ihr jedem einen Sitzplatz zugewiesen?«, fragte ich, überzeugt, dass sie Gabriel und mich an den gegenüberliegenden Enden des Tisches platzieren würde.

»Nein, haben wir nicht.« Sie blickte auf ihre Uhr. »Aber wir sollten uns jetzt setzen. Auf die Art können wir vermeiden, dass Howard ärgerlich wird.«

»Howard?«

Hollie zuckte zusammen. »Der Koch. Dexter hat darauf bestanden, dass wir ihn ganztägig beschäftigen.«

Ich lachte, ich konnte nicht anders. Die Vorstellung, dass meine Schwester einen Koch in Vollzeit eingestellt hatte, nachdem wir als Kinder und Jugendliche oftmals Mühe gehabt hatten, überhaupt genug zu essen zu bekommen, war schlicht bizarr.

»Ich weiß. Ich habe Dexter gesagt, dass es absolut lächerlich ist.« Wir schlenderten zum Esstisch, der ausgesprochen reizvoll mit funkelndem Geschirr und Besteck und ungefähr sechs Gläsern pro Person gedeckt war. Es sah aus, als würde es nach unserem Abgang später am Abend eine Menge Abwasch geben. Vermutlich bestand Dexter darauf, dass sich auch darum ein Angestellter kümmerte.

»Es muss dir nicht peinlich sein. Ich finde es toll, dass du dir ums Kochen keine Gedanken machen musst, geschweige denn darüber, ob du es schaffst, mit zwanzig Dollar unsere Lebensmittel für eine ganze Woche zu bezahlen. Sind diese Blumen echt?«, fragte ich und beugte mich vor, um den Duft der Pfingstrosen in mich aufzunehmen, die in winzigen Goldfischgläsern überall auf dem Tisch verteilt waren. Yep, sie waren echt.

»Es ist ein völlig anderes Leben, so viel steht fest«, sagte Hollie.