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Ausgewählte Texte zum 25-jährigen Jubiläum der Autorengruppe LipPen.
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Lippe, Schreibgruppe, Detmold, Lage-Hörste, Jubiläum
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Seitenzahl: 213
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Von Ursula Adam, Ingo Althöfer,
Rosemarie Beckmeier, Resi Diekmann,
Helga Feuerabend, Ingrid Fliedner,
Elke Hanfmann, Klaudia Herzog,
Dr. Arnold Hesse, Werner Himmel,
Ulrich Klappstein, Christine Kosmol,
Anneliese Leding-Albani, Thomas Marienfeldt,
Helga Mohrmann, Miriam Pereluk,
Dr. Annette Prollius, Friederike Pruša,
Livia Püttmann, Gudrun Rehmann,
Gaby Siedenhans, Edith Totzek,
Emmchen Voss, Barbara Vothknecht
und Ruth Welsch
URSULA ADAM (IM GEDENKEN)
Der Weg
Gedanken
Verlorene Worte
INGO ALTHÖFER
Besuch einer älteren Dame
Ein Schüler will zum Mond
Himmelhunde
Der Santa Fu-Code
Darmstädter Null-Toasterinnen
Die Wäsche
Hartmanns Kolumne: Viel Aroma, alle Höhen, jede Größe
Törtels Roman
ROSEMARIE BECKMEIER (IM GEDENKEN)
Der Sommertraum
Die Bank
Gottes Garten
RESI DIEKMANN
Hoffnung
In der Nacht
HELGA FEUERABEND (IM GEDENKEN)
Frühlingsahnen
Wenn heut’ der letzte Tag meines Lebens wär’
INGRID FLIEDNER (IM GEDENKEN)
Gestörte Poesie
ELKE HANFMANN
Herbststimmung
KLAUDIA HERZOG
AURORAS SCHLEIER
DAS SPIEL
Lippe kulinarisch
Das Strahlen der Kometen
kristallvögel
DR. ARNOLD HESSE (IM GEDENKEN)
Alle Jahre wieder
WERNER HIMMEL
Himmel und Erde
Einer der »Letzten Menschen« berichtet:
Signalfarbe Rot
Überschwemmung
Vorübergehende
Abgesang
Ungewiss
Wahrnehmung
Herbstanfang
HoBoLo
Zeit und Mut
Die Turnstunde
Die Reise
Die Aufgabe
INGRID KAMPLING
Pflegeversicherung
Wolkenreise
AUS-ZEIT
Lilles Lieblingsspeise
Mutprobe
ULRICH KLAPPSTEIN
Betrachtung eines Gemäldes
Kino-Impressionen
Stimme der Stille
Auf eine Ode des Horaz
Vulkan
Auswege suchen
Die Erde im Gespräch mit dem Menschen
Blitze
Das große Laboratorium
Mariupol
Trepanationen
Der Frühling
Essend
Orang-Utan
Schâchzabel
Ostwestfälische Limericks
CHRISTINE KOSMOL
Eine einfache Frage
Die Sache mit dem Fliegen
Aufbruch
Das Taschengeld
Fünfeinhalb Stunden
Weihnachtslärm
Zu Hause? Wann ist das?
Die Flucht
ANNELIESE LEDING-ALBANI
Der 70. Geburtstag
Die Chippendales
Der ideale Mann
Schleiereule Fiona
THOMAS MARIENFELDT
Der alte Drache
Der Aufprall
Als Albert ein Schwarzes Loch erschuf
Verbundenheit
Onkel Franz und der Dreißigjährige Krieg
HELGA MOHRMANN (IM GEDENKEN)
Rückruf
Das Neue
Depression
Herbst
Spaziergang
Umstellung
Fließe, mein Fluss
MIRIAM PERELUK
Noch 24 Stunden
Die Hundertjährige
Der Geldschein
Träume
Grenzen?
Leben
Dankbarkeit
Bei Lidl piept’s ja
Der gespeicherte Dank
Die Quelle
Mord oder Selbstmord?
Wie geht es dir?
DR. ANNETTE PROLLIUS
Schul-Reife
FRIEDERIKE PRUŠA
Windgeflüster I
Schneeflocken
Windgeflüster II
Advent Advent
Pantun zu GELD
Pantun zu »LIEBE«
Erster Tag im Neuen Jahr
LIVIA PÜTTMANN
Am Rande der Zeit
Krähen
Verwurzelt
GUDRUN REHMANN
»Lieber Mond, du gehst so stille …«
Mond
Mäuse
Peinliche Begegnung
Sommerlicher Rutsch mit der Kutsch’ in den Baggersee:
Zuflucht
GABY SIEDENHANS
Bis dass der Tod euch scheidet
Froschkonzert
Wandel
Höchste Zeit
Wandel und Wechsel liebt, wer lebt
Reife Haikus
Herbst-/Winterzeit
Schatzsammlung
Nur … auf der anderen Seite
EDITH TOTZEK (IM GEDENKEN)
Gedanken
Erquickung
Freiheit
Waldgedanken
Picknick im Mondenschein
EMMCHEN VOSS
Ich bin nicht tot
Juni
Sommertag am kleinen See
BARBARA VOTHKNECHT
Baumhochzeit
Verlorenes Paradies
Waldspaziergang
Der alte Kastanienbaum
RUTH WELSCH (IM GEDENKEN)
Der Wald in seiner Majestät
Die Frage nach dem Glück
Öffne dein Herz
GUDRUN REHMANN
Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Schreibgruppe LipPen legen wir eine Auswahl von Texten vor, die in dieser Zeit entstanden sind.
Die Sammlung vereinigt Gedichte und Prosa von Frauen und Männern, jungen und alten, sie enthält kurze und lange Texte, ernste und heitere. Gemeinsam ist allen, dass sie hinter die »Kulissen« des Lebens schauen wollen, was Christine Kosmol zu Beginn ihrer Erzählung »Fünfeinhalb Stunden« deutlich formuliert. In der dritten Strophe des Liedes »Der Mond ist aufgegangen« wird das Gleiche gesagt: »So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn«.
Es ist also spannend, den einzelnen Autorinnen und Autoren auf ihrem je eigenen Wege zu folgen. Sie, liebe Leserinnen und Leser, sind herzlich dazu eingeladen!
Viel Vergnügen beim Lesen!
MIRIAM PERELUK
Himmel und Erde –
Du bist in beiden zu Haus.
Du weißt es nur nicht.
URSULA ADAM
Wie weit der Weg, der wandelbare,
den du bisher gegangen,
den du weiter gehst,
auch ist, er führt
auf Umwegen,
geradewegs,
stets zu
dir.
URSULA ADAM
Mein Blick lehnt am Fenster,
meine Gedanken gleiten hinaus,
schwingen sich auf dunkle Wolken,
jagen mit ihnen am Himmel dahin.
Durchnässt vom kalten Regen,
erschöpft von der wilden Jagd,
kehren sie zum Fenster zurück,
gereinigt, wieder vereint mit mir.
URSULA ADAM
Eiskalter Wind
reißt den weißen Atem
von meinem Mund,
schneidet meine Worte
in Buchstabenflocken,
wirft sie tiefgefroren
auf den Asphalt.
Achtlose Winterstiefel
gehen über sie hinweg,
zertreten ihren Sinn.
Selbst aufgetaut sind sie
nicht wieder verwertbar.
INGO ALTHÖFER
© Ingo Althöfer
Oktober 1962, NASA-Hauptquartier. Vizepräsident Ron Brownback ließ seinen Blick über die Fotos auf der Bürowand gleiten. Da waren die Pioniere der US-Luftfahrt: zuerst die Brüder Wright, dann die Atlantikflieger Charles Lindbergh, Amelia Earhart und schließlich John Glenn, der erste amerikanische Astronaut. Vor Brownback auf dem Schreibtisch stapelten sich die Mappen von Dutzenden junger Männer, die sich für das Gemini-Projekt als Astronauten beworben hatten.
Seine Sekretärin schaute durch die Tür: »Ron, eine ältere Dame möchte zu Ihnen.«
Brownback: »Keine Zeit.«
Nancy: »Habe ich ihr schon gesagt. Sie lässt sich aber nicht abwimmeln. Es würde nur sieben Minuten dauern. Und sie hat irgendwie eine besondere Ausstrahlung.«
Ron seufzte. »Okay, Nancy, aber nicht länger als fünf Minuten. Zur Not müssen Sie dann reinkommen und mit dem nächsten Termin wedeln.«
Die besagte Dame trat ein, lächelte gewinnend und nahm ohne Umschweife Platz an der freien Seite vom Schreibtisch. Ihr erster Satz: »Guten Tag, Sir. Ich möchte die erste Astronautin der Vereinigten Staaten werden.«
Brownback riss die Augen auf, vergaß für einen Moment zu atmen und ließ seinen Mund offen stehen. Dann schüttelte er den Kopf.
»Madam, das geht leider nicht. Die Bewerbungsfrist endete vor einer Woche.«
»Ach, für eine ausgezeichnete Kandidatin wird sich trotzdem ein Weg finden.«
»Madam, die Altersgrenze für Bewerber ist bei 34 Jahren.«
»Das mache ich durch Erfahrung wett.«
»Waren Sie denn schon mal im All?«
»Nein, aber als Pilotin bin ich um die ganze Welt geflogen.«
»Bewerben durften sich aber nur Angehörige der US-Streitkräfte.«
Die Dame überlegte kurz und stimmte ihm dann zu: »Sie wissen doch selbst, dass Frauen für den fliegenden Dienst in den Streitkräften nicht zugelassen sind.«
»Ja, und auch deshalb kann eine Bewerbung von Ihnen nicht berücksichtigt werden.« Damit glaubte Ron, das Gespräch beenden zu können. Aber er hatte nicht mit ihrer Hartnäckigkeit gerechnet.
»Wie oft haben wir im All etwas vor den Russen erreicht?«
Brownback wurde kleinlaut: »Noch nie, Madam.«
Die Dame: »Sehen Sie, und ich wäre die allererste Frau im Weltraum, und zwar keine Russin, sondern eine waschechte Yankee! Will sich die NASA diese Chance entgehen lassen? Außerdem wäre ich die erste Person im All, die schon die 60 überschritten hat. Zwei 'Firsts' in einer Mission!«
Ron dachte einen Moment nach: »Das stimmt. Andererseits – so etwas können wir unseren Jungs nicht antun. Was denken Sie, wie die reagieren, wenn wir ihnen eine Frau vorziehen, die ihre Mutter sein könnte?«
»Bitte, geben Sie mir eine Chance! Sie können mich bei allen Tests genau so fordern wie die jungen Männer.«
In dem Moment klopfte Nancy und öffnete gleichzeitig die Tür: »Sir, der Präsident erwartet Sie sofort in seinem Büro!« Ron schaute zur Besucherin: »Sie sehen, es geht einfach nicht, Frau …?«
»Earhart, Sir.«
Jetzt war Brownback überrascht: »Earhart? Sind Sie etwa mit Amelia Earhart verwandt?«
»Ich bin die Schwester ihrer Schwester. Auf Wiedersehen.« Schon war sie verschwunden.
Brownback kam ins Grübeln. Wie konnte das sein? Sein Blick fiel wieder auf die Galerie an der Wand: Eine gewisse Ähnlichkeit war schon da. Aber das konnte doch einfach nicht sein.
© Ingo Althöfer
Am 24. Juli 1963 brachte die US-Post eine Gedenk-Briefmarke an Amelia Earhart heraus. Aber schon einen Monat vorher war die Sowjetrussin Walentina Tereschkowa als erste Frau ins All geflogen.
INGO ALTHÖFER
2023
Hermann Lietz (1868–1919) war Reformpädagoge und der Gründer der Landerziehungsheime. 1928 wurde auf der Insel Spiekeroog das nach ihm benannte Hermann-Lietz-Internat gegründet. Die Anfänge waren klein und mühsam. Im Herbst 1929 passierte ein Unglück: Der Haupt-Mathematiklehrer fiel krankheitsbedingt lange aus. Wer sollte jetzt die Oberprima in Mathe zum Abitur führen?
Der Direktor hatte eine verwegene Idee. In der Unterprima gab es einen etwas anstrengenden Schüler, der andererseits unbedingt Physik und Mathematik lernen wollte für seinen Traum, eine Rakete zum Mond zu schicken.
Der Direx bat diesen Schüler zu sich und fragte ihn wie natürlich: »Wernher, Sie wissen ja, dass unser Mathelehrer für länger ausfällt. Können Sie die Oberprima in Mathe übernehmen und zum Abitur führen?«
Einen Moment lang war Schweigen. Dann nickte der Schüler langsam und antwortete: »Ich will es versuchen.«
Er hatte Erfolg. Alle 13 Schüler der Klasse bestanden das Abitur in Mathe. Wernher bekam als Belohnung sein Abitur schon am Ende der Unterprima, zur großen Überraschung der Eltern in Berlin.
45 Jahre später erzählte Wernher von Braun dem deutschen Showmaster Wim Thoelke im persönlichen Gespräch: »Sie mögen es nicht glauben. Aber der Mathekurs auf Spiekeroog mit den 13 Abitur-Schülern war für mich anstrengender als später die Leitung von zehntausend Ingenieuren bei der NASA.«
Mit der von Wernher von Braun konstruierten Saturn-V-Rakete flogen 1969 Astronauten zum Mond und landeten dort.
INGO ALTHÖFER
Nach einer wahren Begebenheit
2023
Kein Mathematiker, der über die natürlichen Zahlen hinaus arbeitet, kommt in den Himmel.
***********
»Hi, Sascha!«
»Bobby? Du hier im Himmel?«
»Das wollte ich Dich auch gerade fragen. Irgendetwas stimmt nicht.«
»Tja, der Crash.«
»Ich wollte Dir nur eine Lektion erteilen, Sascha.«
»Ist aber grandios schief gegangen. Wie lange ist das jetzt her?«
»Weiß ich nicht, das Zeitgefühl ist mir hier im Himmel abhanden gekommen.«
Sascha: »War es 1974?«
»Richtig. Priscilla und Du, ihr wart die Leiter der Oberwolfach-Tagung zur 6-dimensionalen Topologie. Wie üblich, sollte am Mittwochabend von sieben bis neun eine Open-Problem-Session sein, bei der Tagungs-Teilnehmer ihre interessanten ungelösten Mathe-Probleme vorstellten. Das Ganze auch in der Hoffnung, dass davon bis zum Ende der Woche vielleicht eines gelöst würde. Eure Absprache war, dass Du zu Beginn eine 15-Minuten-Präsentation über den aktuellen Stand in Eurem Gebiet gibst, und dass dann Prisca die eigentliche Problem-Session moderiert. Für Prisca war es das erste Mal überhaupt, dass sie Oberwolfach mitleiten durfte. Du fingst an, ganz vernünftig, mit Kreide an der riesigen Tafel. 15 Minuten, 20 Minuten, 30 Minuten, 60 Minuten, die ersten Kollegen waren schon eingeschlafen. Prisca saß die ganze Zeit auf heißen Kohlen und wartete auf ihren Einsatz als Moderatorin. 75 Minuten, 90 Minuten – inzwischen hattest Du alle von uns abgehängt – dann schließlich 120 Minuten.
Insgesamt vier Mal hattest Du die Tafel vollgeschrieben und zwischendurch wieder sauber gewischt. Du schlossest Deine Präsentation mit einem Schulterzucken: 'Oh, so late already. Hmm, no more time left for open problems. I wish us all a fruitful night.' Dann verschwandest Du direkt in Dein Zimmer. Wir anderen gingen noch an die Bar und versuchten, Prisca bei einem Wein zu trösten. Sie war total frustriert. Keiner von uns konnte ihr erklären, was Dein Alleingang sollte. Wenn Du wenigstens ein großes Problem gelöst gehabt hättest. Aber nichts. Einfach nur eine zugegebenermaßen ordentliche Darstellung des Status quo.«
Sascha nahm sich einen Moment für die Erwiderung. »Hmm, weißt Du, Bobby. Ich bin der große Sascha, und Priscilla musste noch viel lernen. Es war das Beste, die ganze Zeit für meinen Überblicksvortrag zu nutzen. Aber dann Du mit Deiner Kamikaze-Aktion, vollkommen hirnrissig. Ich hätte einen Herzinfarkt bekommen können. Wann hattest Du den Plan für den Höllenritt gefasst?«
»Noch direkt an dem Mittwoch am Bartresen. Prisca wollte sofort abreisen. Wir überredeten sie zum Bleiben, und mir kam die Idee für die Abreise-Lektion. Schon zu Beginn der Woche hatten wir ja abgesprochen, dass ich Dich am Samstag von Oberwolfach nach Frankfurt zum Flieger bringe. Und mein 911er Porsche war wirklich gut. So entstand der Plan, 'etwas schneller' als normal den Weg vom Schwarzwald zum Airport zu nehmen. Dein Flug zurück in die Staaten stand mit 12:40 Uhr im Plan. Eigentlich wollten wir uns in Oberwolfach um 8:30 Uhr auf den Weg machen. So hatten wir es auch am Freitagabend nochmals bestätigt.«
Sascha: »Um 8:20 Uhr saß ich mit meinem Koffer im Eingangsbereich des Instituts.«
»Ich aber ließ mir Zeit.
Um zwei Minuten nach halb neun kam ein von Dir geschickter jüngerer Teilnehmer auf mein Zimmer mit der Frage, wo ich denn bliebe.
Die Antwort wurde Dir übermittelt: 'Es geht bald los, Bobby rasiert sich im Moment.'
Um kurz nach 9 der nächste Bote: Wann es denn endlich losgehe. Meine Antwort: Rasieren ist fertig, ich fange jetzt an, den Koffer zu packen.
Um 9:45 Uhr wieder der andere Bote: Wann es denn endlich losginge, es sei jetzt wirklich dringend.
Ich: 'Der Koffer ist fast fertig gepackt, aber ich finde den einen Waschlappen nicht.'
Inzwischen hattest Du zwei andere Teilnehmer gefragt, ob einer von ihnen dich sofort zum Frankfurter Flughafen bringen könne, zum 12:40 Uhr-Flug.«
Sascha: »Ihre Antwort 'Den Flug würden wir sowieso nicht mehr kriegen. Tut uns leid' versetzte mich in helle Wut. Um 10 Uhr schickte ich wieder jemand: 'Time is running like a wild horse. When will we finally start?' Und Deine Antwort nur: 'Im Prinzip sofort, ich will nur noch etwas über ein offenes Problem nachdenken.'«
Bobby: »Du warst am Überkochen, wie mir Prisca mit einem Grinsen berichtete. Um 10:15 Uhr kam ich frohgelaunt die Treppe zur Eingangshalle runter und grüßte Dich überschwänglich: 'Oh, Sascha, schon in Marschbereitschaft?' Wir zum Porsche, und um 10:19 Uhr begann der Höllenritt. Erst noch moderat durch die Orte: Oberwolfach – Wolfach – Hausach und bis zur Autobahnauffahrt vor Offenburg. Dann aber voll Stoff. Jetzt lernte ich, dass der 911er die 210 km/h wirklich über lange Strecken hielt.«
Sascha: »Schlimm fand ich, dass während des Höllenritts im Autoradio 'Seasons of the Sun' von Terry Jacks lief: 'Good bye, Papa, it's hard to die'.«
»Um 12:20 Uhr kam schon die Ausfahrt zum Flughafen in Sicht. Und dann scherte dieser bescheuerte LKW-Fahrer direkt vor uns in die Spur. Da war ich in Gedanken gerade dabei, mir einen Satz für Deine Verabschiedung zu überlegen.«
Sascha: »Hmmm. Vorher hatten wir die ganze Strecke kein einziges Wort gewechselt. Rrrrtsch, klemmte der Porsche unter dem LKW, und bum, explodierte unser Tank. Nur gut, dass wir vor dem Verbrennen bewusstlos wurden.«
In dem Moment riss eine sehr tiefe Stimme im Kommando-Ton die beiden aus den Erinnerungen: »Ich habe euch nicht zum Quatschen in den Himmel geholt. Macht euch endlich an die Struktur-Theorie für eine 6-dimensionale Hölle. Die wird dringend gebraucht!«
Epilog
Sehr geehrter Herr Kollege A!
Über Ihre Geschichte bin ich entsetzt. Ich werde Ihnen nie wieder – ich betone NIE WIEDER – aus meinen Oberwolfach-Erinnerungen erzählen. Sie sind ein böser Wicht!
Mit förmlichen Grüßen, B
INGO ALTHÖFER
2022
Es passierte im Radisson Blu, dem Hamburger Hochhaus-Hotel. In der 22 betraten sie den Fahrstuhl und wollten nach unten. Aber der Käfig rutschte nur ein paar Meter und stoppte dann abrupt. Einen Moment gewartet, ob es von alleine weiterging. Als das nicht passierte, den Notrufknopf gedrückt – es tat sich wieder nichts. Kein Gong, kein Rückruf. In der Kabine dämmriges Notlicht. Gut, dass sie nur zu zweit waren: Helen, eine toughe Geschäftsfrau, und Manfred in seiner Cordjacke.
Sie machten es sich in gegenüberliegenden Ecken des Käfigs so bequem wie möglich und hofften auf baldige Weiterfahrt. Aber es dauerte. Plötzlich Klopfzeichen. Kamen die aus einem Treppenhaus oder einem anderen Fahrstuhlschacht? Manfred lauschte sehr konzentriert. Dann fing er an, selbst an die Kabinenwand zu schlagen. Jetzt schien der andere Klopfgeist zu lauschen. Es entwickelte sich ein Klopf-Pingpong.
Irgendwann platzte Helen mit einer Frage heraus: »Was machen Sie denn da? Und mit wem klopfen Sie?«
Manfred wartete zuerst das Ende der aktuellen Nachricht aus der Wand ab und erklärte dann: »Sie hören gerade Santa Fu-Code.«
»Santa Fu?«
»Ja, der Knast in Fuhlsbüttel. Dort kommunizieren Gefangene zwischen den Zellen, indem sie mit ihren Emaille-Tassen oder Messern an die Gitterstäbe schlagen.«
Helen wurde flau.
Manfred erriet ihre Gedanken und beruhigte sie: »Keine Sorge. Ich bin nicht gewalttätig.«
Plötzlich schoss ihr ein anderer Gedanke durch den Kopf: Was, wenn in dem anderen Fahrstuhl auch ihre beiden Kolleginnen feststeckten? Sie hatten in der 22 nur kurz vor Helen einen der anderen Fahrstühle genommen.
Manfred funkte die Frage und erhielt wenig später Antwort: »Hier sind in der Tat zwei junge Damen in der Kabine. Aber die haben ziemliche Scheu vor mir.«
Ojeh, Anne und Babs steckten also tatsächlich zusammen mit einem Ex-Verbrecher in einer Zelle. Sie bat Manfred, zu funken, dass Helen bei ihm sei und es ihr gut gehe. Was das helfen würde, war natürlich unklar, aber etwas Besseres fiel ihr nicht ein.
Bald kam eine Nachricht zurück: Auch den beiden Chicks gehe es den Umständen entsprechend gut.
Irgendwann bekam die Haustechnik mit, dass zwei Fahrstühle feststeckten. Jedenfalls sprang nach einer gefühlten Ewigkeit die richtige Beleuchtung wieder an und die Kabinen schwebten sanft ins Erdgeschoss. Aus der anderen Schiebetür kamen drei Passagiere: Anne, Babs und der Santa-Fu-Funker, der nicht nur komplett tätowiert war, sondern auch wie eine Kampfmaschine in der 100-kg-Klasse aussah. Aus den Augen von Anna und Babs sprach noch die Angst vor dem Fremden.
Später saßen Helen und Manfred in einem Café, und er erzählte über seine Zeit im Santa Fu: »Ich kam unvorbereitet in den Knast, die ersten Tage waren schrecklich. Einzelhaft, nur eine Freistunde (alleine!) pro Tag im Hof, zwei Besuche des Anwalts in der Woche. Schlimm fand ich, dass oft irgendwelche Mitgefangenen an die Gitterstäbe ihrer Zellfenster klopften. Der Klang von Metall auf Metall ging mir sehr auf die Nerven.
Als ich das meinem Pflichtanwalt erzählte, war er erstaunt. ›Wissen Sie denn nicht, dass Santa Fu für diese Klopf-Kommunikation in der Knastszene berühmt ist?‹ ›Nein, was soll das ein?‹ ›Im Laufe der Jahrzehnte haben die Gefangenen gelernt, wie man zwischen Zellen kommunizieren kann – unter anderem dadurch, dass man mit dem Essgeschirr an die Zellenstäbe klopft, und zwar nicht irgendwie, sondern nach einem bestimmten Code. Ich bringe Ihnen nächstes Mal was mit.‹
Der Anwalt hielt Wort und steckte mir drei Tage später einige eng beschriebene Blätter mit den Basisregeln des Santa Fu-Codes zu. Das Material verschlang ich, hatte ja auch nichts anderes zu tun. Wegen meiner schnellen Auffassungsgabe konnte ich schon nach drei Tagen mitfunken. Manchmal, wenn ich nachts wach lag, sehnte ich den Morgen und das Klopfen der Mitgefangenen herbei. So, als ob ein Vogelfreund die Morgendämmerung mit dem Gesang der Vögel erwartet. Jeder Insasse hat sein spezielles Anfangssignal, wie eine Kennung beim CB-Funk; die meisten Mitgefangenen erkennt man aber auch am Klang ihres Gitterstabes – wie eine speziell gestimmte Gitarren-Saite.«
Helen unterbrach ihn: »Das ist ja spannend. Davon hatte ich noch nie gehört. Wie lange waren Sie denn im Knast?«
Manfred zögerte: »Fast fünf Jahre, davon mehr als die Hälfte in Einzelhaft.«
»Und jetzt?«
»Am Ende der Zeit hatte ich Glück, mir wurde ein Job als Taxifahrer hier in Hamburg angeboten. Zuerst stundenweise als Springer, und nach erfolgreicher Probezeit eine reguläre Fahrerstelle. Jetzt bin ich schon im siebten Jahr dabei.«
»Und Ihr Kollege?«
»Ähnlich. Viele Jahre im Santa Fu, und nach der Entlassung auch Taxifahrer geworden. In einer fahrgastarmen Nacht am Bahnhof Dammtor merkten wir, dass wir die Begeisterung für den Santa Fu-Code teilten. Der Kollege hatte in seiner Knastzeit sogar ein neues Funkwort erfunden, was in den allgemeinen Santa Fu-Code einging. Das war für ihn wie ein Ritterschlag.«
»Und weibliche Gefangene? Funken die auch?«
»Weiß ich nicht wirklich. Im Knast sind Männlein und Weiblein strikt getrennt. Aber ich vermute, Frauen funken anders.«
Jetzt überlegte Helen, bevor sie mit einer Frage fortsetzte: »Was hatten Sie und Ihr Kollege heute im Radisson zu tun?«
»Wir hatten Fahrgäste für die Vernissage in der 22, irgendwelche Promis. Einer von denen plauderte im Taxi. Weil zu einer Vernissage meist ein Buffet mit Häppchen gehört, guckten der Kollege und ich eine knappe Stunde später selbst hoch – hat sich gelohnt. Wissen Sie, das ist eine der Grundregeln der Großstadt-Taxifahrer: Aufpassen, wo es was zu schmausen gibt.«
Helen unterbrach ihn: »Ich leite übrigens eine Eventagentur. Zufällig genau die, die heute die Vernissage in der 22 organisiert hat. Als wir den Fahrstuhl für den Heimweg betraten, waren Sie zufrieden wegen der guten Happen und ich, weil unsere Veranstaltung insgesamt ein Erfolg war.«
Manfred wurde rot.
Aber Helen war noch nicht fertig: »Ihre Geschichte mit dem Santa Fu-Code ist soo strange. Ich mache Ihnen ein Angebot. Manchmal werden wir gefragt, ob wir besondere Ideen für ein Unterhaltungsprogramm haben. Könnten Sie zusammen mit Ihrem Kollegen den Santa Fu-Code anschaulich und mit Anekdoten vorstellen? Ich denke mir das so: Einer von Ihnen ist im Publikum und klopft plötzlich mit einem Messer oder Löffel laut an sein Weinglas – und dann kommt von irgendwo aus der Kulisse eine Klopf-Antwort. Das Ganze ein paar Mal hin und her, bis alle im Publikum aufmerksam geworden sind. Und dann stehen Sie beide mitten im Saal, erzählen von Santa Fu, führen den Basiswortschatz des Codes vor und geben die eine oder andere Erinnerung aus Ihrer Knastzeit zum Besten. Ihr Kumpel könnte dabei ruhig auch seine Tätowierungen sehen lassen, damit den Leuten ein kleines bisschen schaurig wird. Erst ganz zum Schluss würde ich als feine Dame kurz andeuten, wie wir uns im Fahrstuhl kennengelernt haben.
Wäre das was? Natürlich nicht als Vollzeitjob, sondern neben dem Taxifahren. Zuerst ein oder zwei Mal auf Probe, und wenn die Nummer gut ankommt, öfters. Für unsere Agentur wäre ein so schräger Akt ein tolles Alleinstellungsmerkmal. Bezahlen würden wir ordentlich, wenn Ihre Show gut ist.«
Manfred grinste. Er würde Uwe fragen – und hatte auch schon Ideen für die Show.
INGO ALTHÖFER
Eine wahre Geschichte
Die natürlichen Zahlen sind von Gott: 1, 2, 3, auch 4710 und 4712. Die Null ist nicht natürlich. Plus, Minus und Mal funktionieren mit ihr, aber man darf nicht durch die Null teilen!
Viele Schüler lernen das Verbot nur auswendig, ohne den Sinn zu verstehen. Heutige Taschenrechner fangen das Problem auf. Wenn man bei ihnen »durch 0 gleich« eingibt, zeigt das Display ein ›E‹ und blockiert. Früher gab es diese Sicherung noch nicht …
Von 1939 bis 1945 existierte in Darmstadt ein Institut für Praktische Mathematik mit geheimen Aufträgen. Auch dort wurde entworfen, was man in Peenemünde unter dem Namen V2 baute. Im Institut schafften ein Dutzend qualifizierte Ingenieure und 30 junge Frauen. Diese waren in Mädchen-Gymnasien rekrutiert worden: Schulleiter hatten alle Abiturientinnen zu melden, die gut in Mathe waren.
Die jungen Damen arbeiteten im Institut mit elektromechanischen Rechenmaschinen (›Mercedes XY‹ usw).
In ihrem Übermut probierten sie auch allen möglichen Unfug aus. Wenn man eine Mercedes durch Null teilen ließ, ratterte die los und hörte nicht mehr auf. Erst das Ziehen des Netzsteckers brachte wieder Ruhe.
Die jungen Kreativen bemerkten auch, dass die Kisten beim Endlos-Rattern warm wurden, sogar heiß. Man konnte das Frühstücksbrot drauf legen und hatte zehn Minuten später Toast! Da schmeckte es in der 9-Uhr-Pause noch mal so gut.
Im Keller des Instituts werkelten zwei Techniker. Zu ihren Aufgaben gehörte die Wartung der Rechenmaschinen.
Das Nullteiler-Toasten belastete natürlich die Mechanik des Mercedessi, was zu mehr Störungen führte.
Die Kellerjungs fanden den Grund und schimpften: »Das sind keine Toaster, sondern Hochleistungs-Rechengeräte. Behandelt sie bitte pfleglich!«
Aber oben fand frau eine Lösung, ohne auf den Toast verzichten zu müssen.
Eine der Rechnerinnen erkannte, dass die meisten Störungen durch verhakte Zahnräder passierten. Die ließen sich mit Dosenöffnern wieder gerade biegen. (Damals waren Ölsardinen-Dosen üblich, bei denen der Deckel mit einem filigranen Stäbchen aufgerollt wurde, was direkt an der Dose steckte.)
Die Mädels bildeten sich entsprechend fort, verbreiteten die Lösung aber erst in der Weihnachtszeitung des Instituts: »Wir brauchen keine Werkstatt mehr. Wir reparieren die Rechenmaschinen nämlich selbst!«
Der Institutsdirektor und die Damen lachten herzlich – die Techniker aber waren beleidigt.
Später änderte sich alles drastisch. Am 8. September 1944 schlug die erste V2-Rakete in London ein, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Am 11. September 1944 wurde Darmstadt von den Briten so heftig bombardiert, dass in der einen Nacht fast 12.000 Einwohner ums Leben kamen. Darunter auch etliche Null-Toasterinnen.
INGO ALTHÖFER
Unser Papagei erzählt Geschichten im Stakkato-Stil:
Die Sonne scheint.
Wäsche will raus, raus!
Doch Maschine unerbittlich.
Bis Wäsche knotet Fäden, macht Seil,
klettert aus Miele.
Freiheit, Freude, Abenteuer.
Trifft böse Spinne, Wäschespinne.
Aber Wäsche stärker, schreit:
Ich will raus, ich werde raus!
Besiegt Spinne.
Lebt glücklich, frei.
Die Sonne scheint.
INGO ALTHÖFER
Guten Tag! Sie sind hier bei Hartmann, dem einzigen deutschen Rauhaardackel mit eigenem Blog. Heute geht es um die Liebhaberei von Herrchen.
Wieder ist ein Paket aus der Bucht für ihn gekommen, und der Duft ist enorm. Herrchen nimmt ihn zwar selbst nicht wahr. Aber am Wedeln meines Schwanzes ahnt er, was in der Schachtel ist. Einmal lief ihm deshalb sogar etwas Sabber aus dem Mund.
Er legt das Paket auf den Küchentisch, schneidet das Klebeband vorsichtig durch, faltet den Karton auf und nimmt ein Exemplar heraus: Eine 38er Tamaris mit 9,5 Prozent und herbem Leder-Schweiß-Aroma. Selig lächelt er mir zu, lässt das Exemplar von einer Hand in die andere gleiten, betrachtet es aus allen Winkeln, klopft vorsichtig mit den 9,5 auf die Anrichte.