Moby Dick - Herman Melville - E-Book

Moby Dick E-Book

Herman Melville.

0,0

Beschreibung

"Moby Dick" ist das bedeutendste Prosawerk des amerikanischen Symbolismus. Eine bis ins kleinste Detail recherchierte Abenteuergeschichte und philosophische Reflexion über das Leben, die Rache und einen wahnsinnigen, alles vernichtenden Hass. "Nenne mich Ismael" - einer der berühmtesten Anfänge der Literaturgeschichte. Zu Lebzeiten von Melville stieß "Moby Dick" auf ein geteiltes Echo, noch schien die Welt nicht reif für diese komplexe Erzählstruktur. Heute gehört das Werk unbestreitbar zu den größten Romanen der Literaturgeschichte. Ein Buch, das man gelesen haben muss. Die vorliegende digitale Ausgabe beinhaltet die vollständig neu überarbeitete und erstmalig mit 100 Fußnoten kommentierte deutsche Erstausgabe, welche ursprünglich 1927 von Thomas Mann und H. G. Scheffauer veröffentlicht wurde, nebst einem einführenden Aufsatz zu Leben und Werk des Autors. "Oh, hätte ich das geschrieben." - Thomas Mann Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 384

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Herman Melville

Moby Dick

Gekürzte und kommentierte Fassung

Herman Melville

Moby Dick

Gekürzte und kommentierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Wilhelm Strüver, J. Schulze EV: Berlin, Knaur, 1928 2. Auflage, ISBN 978-3-954183-70-8

www.null-papier.de/mobydick

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Der Au­tor und sein Werk

Ers­ter Teil – Ka­pi­tän Ahab

Zwei­ter Teil – Moby Dick

Drit­ter Teil – Die Jagd

Epi­log

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

die Neu­er­schei­nun­gen aus dem Pro­gramm

Neu­ig­kei­ten über un­se­re Au­to­ren

Vi­deos, Lese- und Hör­pro­ben

at­trak­ti­ve Ge­winn­spie­le, Ak­tio­nen und vie­les mehr

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Das Buch

Mo­by Dick ist das be­deu­tends­te Pro­sa­werk des ame­ri­ka­ni­schen Sym­bo­lis­mus. Eine bis ins kleins­te De­tail re­cher­chier­te Aben­teu­er­ge­schich­te und phi­lo­so­phi­sche Re­fle­xi­on über das Le­ben, die Ra­che und einen wahn­sin­ni­gen, al­les ver­nich­ten­den Hass.

»Nen­ne mich Is­ma­el« – ei­ner der be­rühm­tes­ten An­fän­ge der Li­te­ra­tur­ge­schich­te.

Zu Leb­zei­ten von Mel­ville stieß Mo­by Dick auf ein ge­teil­tes Echo, noch schi­en die Welt nicht reif für die­se kom­ple­xe Er­zähl­struk­tur. Heu­te ge­hört das Werk un­be­streit­bar zu den größ­ten Ro­ma­nen der Li­te­ra­tur­ge­schich­te. Ein Buch, das man ge­le­sen ha­ben muss.

Die vor­lie­gen­de di­gi­ta­le Aus­ga­be bein­hal­tet die voll­stän­dig neu über­ar­bei­te­te und erst­ma­lig mit 100 Fuß­no­ten kom­men­tier­te deut­sche Erst­aus­ga­be, wel­che ur­sprüng­lich 1927 von Tho­mas Mann und H. G. Schef­fau­er ver­öf­fent­licht wur­de, nebst ei­nem ein­füh­ren­den Auf­satz zu Le­ben und Werk des Au­tors.

»Oh, hät­te ich das ge­schrie­ben.« – Tho­mas Mann

Der Autor und sein Werk

Mo­by Dick ge­hört zu den Klas­si­kern der in­ter­na­tio­na­len Aben­teu­er­li­te­ra­tur. Das Werk er­schi­en 1851. Au­tor ist Her­man Mel­ville.

Her­man Mel­ville

Der Au­tor von »Moby Dick«, Her­man Mel­ville, wur­de am 1. Au­gust 1819 in New York ge­bo­ren. Er wuchs in ei­ner kin­der­rei­chen Kauf­manns­fa­mi­lie mit schot­ti­schen und nie­der­län­di­schen Wur­zeln auf. Auf­grund des Kon­kur­ses sei­nes Va­ters muss­te Mel­ville mit zwölf Jah­ren die Schu­le ver­las­sen. Zeit sei­nes Le­bens ver­such­te er die man­geln­de Schul­bil­dung mit Selbst­stu­di­um zu kom­pen­sie­ren. Nach dem Tod des Va­ters ar­bei­te­te der Jun­ge als Hilfs­kraft bei ei­nem On­kel und im Pelz­ge­schäft des Bru­ders.

1839 fuhr Her­man Mel­ville erst­mals zur See. Auf ei­nem Post­schiff er­reich­te er Li­ver­pool, ar­bei­te­te dort kurz­fris­tig als Leh­rer, be­vor es ihn wie­der aufs Meer zog. Von 1841 bis 1844 un­ter­nahm er auf ei­nem Wal­fän­ger eine Rei­se in den Pa­zi­fi­schen Ozean. Auf­grund an­geb­lich un­zu­mut­ba­rer Be­din­gun­gen de­ser­tier­te er mit ei­ni­gen an­de­ren Ma­tro­sen auf den Mar­que­sas-In­seln.1 Auf ei­nem wei­te­ren Wal­fän­ger ent­kam Mel­ville nach Ta­hi­ti, fiel je­doch er­neut ne­ga­tiv auf und wur­de ver­haf­tet. Er konn­te wie­der­um flie­hen und ge­lang­te über dem Um­weg nach Ha­waii nach Bo­ston, wo er 1847 Eli­sa­beth Shaw hei­ra­te­te und mit ihr zwei Söh­ne be­kam. Er be­gann Bü­cher zu schrei­ben und fand mit »Ty­pee« und »Omoo« ers­te Aner­ken­nung. Den li­te­ra­ri­schen Durch­bruch er­lang­te er 1851 mit »Moby Dick«. Zu je­ner Zeit leb­te er auf ei­ner neu ge­kauf­ten Farm in Massa­chu­setts als Nach­bar des Li­te­ra­ten Na­tha­niel Haw­thor­ne, zu dem sich eine Freund­schaft ent­wi­ckel­te. Rasch wur­de der schrift­stel­le­ri­sche Er­folg je­doch wie­der von Mis­ser­fol­gen ein­ge­holt, so­dass Mel­ville ab 1866 bis 1885 als Zol­l­in­spek­tor im Ha­fen ar­bei­te­te. Sein letz­tes, heu­te eben­falls be­rühm­tes Werk »Bil­ly Budd« ver­fass­te der Au­tor 1891, sei­nem To­des­jahr.

Mo­by Dick – ein klas­si­scher Aben­teu­er­ro­man

Der Ro­man Moby Dick wur­de zeit­gleich 1851 in Lon­don und New York her­aus­ge­bracht und ent­wi­ckel­te sich zu Her­man Mel­vil­les größ­tem Er­folg. Der Au­tor wid­me­te das Buch sei­nem Freund Na­tha­niel Haw­thor­ne. In­halt­lich dreht sich das Buch, wel­ches in Deutsch­land auch un­ter dem Ti­tel »Der wei­ße Wal« be­kannt wur­de, um die Ge­schich­te des Wal­fangs im 19. Jahr­hun­dert. Der ers­te Satz des Bu­ches »Call me Is­ma­el« wur­de welt­be­rühmt. Es ist of­fen­sicht­lich, dass die Fi­gur des Is­ma­el, des­sen voll­stän­di­ger Name nie er­wähnt wird, au­to­bio­gra­fisch mit Her­man Mel­ville ver­bun­den ist.

Is­ma­el reist nach New Bed­ford, wo er sich noch an Land mit dem Po­ly­ne­si­er Qui­queg an­freun­det. Die Rei­se der bei­den geht bald schon wei­ter nach Nan­tucket, wo sie auf dem Wal­fän­ger »Pe­quod« an­heu­ern. Der Ka­pi­tän des Schif­fes of­fen­bart sich ih­nen erst, als sie schon längst ei­ni­ge Tage auf ho­her See sind. Ahab, so sein Name, hat einst im Kampf mit dem wei­ßen Wal »Moby Dick« sein Bein ver­lo­ren. Sein ein­zi­ger Le­bens­in­halt ist seit die­sem Vor­fall die Ra­che an »Moby Dick«. Auch die Cre­w­mit­glie­der kann er da­für ein­neh­men – mit ei­ner Gold­du­blo­ne als Be­loh­nung für den­je­ni­gen, der den Wal zu­erst sich­tet. Ein­zi­ger Ge­gen­spie­ler von Ahab ist Star­buck, der ers­te Steu­er­mann, der in ei­ner Nacht so­gar er­wägt, den Ka­pi­tän zu tö­ten.

Mel­ville schil­dert im wei­te­ren Ver­lauf des Bu­ches aus­führ­lich die Be­ge­ben­hei­ten der See­fahrt – Be­geg­nun­gen mit Pi­ra­ten, Un­wet­ter, Wal­fang. Qui­queg er­krankt wäh­rend die­ser Zeit schwer und lässt sich schon sei­nen Sarg zim­mern, der je­doch nach des­sen Ge­sun­dung un­ge­nutzt bleibt.

Al­les strebt im Buch dem Hö­he­punkt, der Be­geg­nung mit »Moby Dick«, ent­ge­gen. Der Wal wird vor Ja­pan ge­sich­tet und dar­auf­hin drei Tage lang von Ka­pi­tän und Ma­tro­sen ge­jagt. Am drit­ten Tag zer­stört der Wal die »Pe­quod«. Ahab hält aber trotz des sin­ken­den Schif­fes an sei­nem Wahn fest und wird letzt­end­lich von sei­nem ei­ge­nen Har­pu­nen­seil in die Tie­fe ge­ris­sen. Am Ende ist der Wal der Sie­ger die­ses un­glei­chen Kamp­fes. Is­ma­el ist der ein­zi­ge Über­le­ben­de der Ka­ta­stro­phe: Er klam­mert sich an den Sarg, der einst für Qui­queg be­stimmt war.

Man möch­te den­ken, dass die Jagd nach dem wei­ßen Wal das The­ma des Bu­ches ist. Doch »Moby Dick« gilt dar­über hin­aus nicht um­sonst als ei­nes der prä­gends­ten Wer­ke so­wohl der Aben­teu­er­li­te­ra­tur, als auch des Sym­bo­lis­mus. Es sind die phi­lo­so­phi­schen Re­fle­xio­nen über das The­ma »Su­che« bei den bei­den Haupt­per­so­nen Is­ma­el und Ahab, wel­che das Buch zu et­was Be­son­de­rem ma­chen.

In sei­nem Buch hat Her­man Mel­ville vie­le rea­le Er­leb­nis­se ver­ar­bei­tet. Of­fen­kun­dig ist da­bei na­tür­lich sei­ne Zeit auf Wal­fän­ger-Schif­fen zwi­schen 1841 und 1843. Au­ßer­dem ver­ar­bei­te­te er den Un­ter­gang des Wal­fang­schif­fes Es­sex im Pa­zi­fi­schen Ozean, nach­dem die­ses von ei­nem Pott­wal ge­rammt wor­den war. Mel­ville lern­te den Sohn ei­nes Über­le­ben­den ken­nen und er­hielt von die­sem die Schil­de­rung der Er­leb­nis­se sei­nes Va­ters.

Zu­dem gab es tat­säch­lich zur da­ma­li­gen Zeit Schil­de­run­gen ei­nes Jour­na­lis­ten im »New York Knicker­bo­cker Ma­ga­zi­ne«, wel­che einen wei­ßen Wal im Pa­zi­fik be­schrie­ben, der für sei­ne be­son­de­re Wild­heit be­kannt war. Wei­te­ren Ein­fluss auf den Ro­man hat­te auch die »Uni­ted Sta­tes Ex­plo­ring Ex­pe­di­ti­on« in den Pa­zi­fik, dank der Mel­ville eine le­ben­di­ge Schil­de­rung des Po­ly­ne­si­ers Qui­queg ge­lang.

Re­zep­ti­on in der mo­der­nen Kul­tur

In der mo­der­nen Kul­tur spielt »Moby Dick« so­wohl in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten als auch Groß­bri­tan­ni­en, Deutsch­land und wei­te­ren eu­ro­päi­schen Län­dern eine wich­ti­ge Rol­le in der Schul­li­te­ra­tur. Nach sei­nem Er­schei­nen wa­ren die Kri­ti­ken zu­nächst bes­ten­falls ge­mischt, ten­dier­ten je­doch zu ei­ner ne­ga­ti­ven Re­zep­ti­on des Bu­ches. 100 Jah­re nach Mel­vil­les Ge­burt wur­de der Ro­man je­doch zum Klas­si­ker. Wil­liam Faulk­ner, ei­ner der be­kann­tes­ten ame­ri­ka­ni­schen Au­to­ren des 20. Jahr­hun­derts, er­klär­te in den 20er Jah­ren, dass »Moby Dick« das Buch wäre, wel­ches er am liebs­ten selbst ge­schrie­ben hät­te.

Die Film­welt wid­me­te der Ge­schich­te meh­re­re Hol­ly­wood-Ad­ap­tio­nen. Die ers­te Ver­fil­mung ent­stand 1926 un­ter dem Ti­tel »The Sea Beast« mit dem Haupt­dar­stel­ler John Bar­ry­mo­re, der die­se Rol­le 1930 in »Moby Dick« noch­mals ver­kör­per­te. Berühmt wur­de vor al­lem die Ver­fil­mung aus dem Jahr 1956 un­ter der Re­gie von John Hu­ston, in der Gre­go­ry Peck die Haupt­fi­gur Ka­pi­tän Ahab ver­kör­per­te. Der Film ge­wann zahl­rei­che Prei­se. 1998 gab es eine wei­te­re Be­ar­bei­tung als Fern­seh­film mit Pa­trick Ste­wart, wel­che mit ei­nem Gol­den Glo­be Award aus­ge­zeich­net wur­de. Mitt­ler­wei­le exis­tie­ren so­gar Zei­chentrick-Ad­ap­tio­nen von »Moby Dick«, wel­che selbst­ver­ständ­lich sehr kind­ge­recht auf­be­rei­tet wur­den und mit der ei­gent­li­chen Ge­schich­te von Her­man Mel­ville kaum noch et­was ge­mein­sam ha­ben.

Die Mar­que­sas-In­seln (franz.: Archi­pel des Mar­qui­ses) ge­hö­ren geo­gra­fisch und po­li­tisch zu Fran­zö­sisch-Po­ly­ne­si­en. Sie lie­gen 1.600 Ki­lo­me­ter nord­öst­lich von Ta­hi­ti, süd­lich des Äqua­tors im Pa­zi­fi­schen Ozean.  <<<

Erster Teil – Kapitän Ahab

Nen­ne mich Is­ma­el. Hör zu, was ich dir zu er­zäh­len habe. – Es gibt Jah­re ohne Ge­sicht, man hat we­nig oder gar kein Geld in der Ta­sche, weiß nichts Be­son­de­res an­zu­fan­gen an Land, da packt einen das Ver­lan­gen, auf See zu fah­ren und den wäs­se­ri­gen Teil der Welt zu se­hen. Das ist so mei­ne Art und Wei­se, den Mies­ma­cher aus mei­nem Her­zen zu ver­ja­gen und das Blut in Be­we­gung zu set­zen. Wenn ich Bit­ter­keits­fal­ten spü­re um den Mund, wenn mei­ne See­le wie ein nass­kal­ter und nie­seln­der No­vem­ber ist, wenn ich mich da­bei er­tap­pe, dass ich vor je­dem Sarg­ma­ga­zin ste­hen­blei­be und wie von selbst je­dem Lei­chen­zug fol­ge, dann… und haupt­säch­lich, wenn mein Mies­ma­cher der­ma­ßen Ober­hand ge­winnt, dass ich an mich hal­ten muss, um nicht auf die Stra­ße hin­un­ter­zu­stei­gen und den Leu­ten die Hüte vom Kopf zu schla­gen…, dann be­grei­fe ich, dass es höchs­te Zeit für mich ist, auf See zu ge­hen. Das er­setzt mir den Ge­brauch von Pis­to­le und Ku­gel. Mit ei­ner großen Ge­bär­de stürz­te sich der Phi­lo­soph Cato in sein Schwert, ich – ge­trost, neh­me das Schiff. Nichts über­rascht hier­bei. Je­der Mensch, in et­wel­chen Sta­di­en sei­nes Le­bens, hat den glei­chen Durst nach Ozean ver­spürt. Schau dir mal eure Stadt an auf den Man­hat­to­es. Sie ist um­ge­ben von Werf­ten wie eine in­di­sche In­sel von Koral­len­rif­fen. Der Han­del um­schäumt sie, und rechts und links füh­ren dich die Stra­ßen zum Was­ser. Der äu­ßers­te Punkt der un­te­ren Stadt heißt »Bat­te­rie«, ihr hoch­mü­ti­ges Boll­werk wird von den Wel­len ge­wa­schen und ge­kühlt von Win­den, die vor ei­ni­gen Stun­den noch nicht wuss­ten, was un­ser Land ist. Schau dir die vie­len Leu­te an, die eine ver­lan­gen­de Sehn­sucht ans Was­ser treibt.

Das soll nun al­ler­dings nicht hei­ßen, dass ich mei­ne See­rei­sen als Pas­sa­gier ma­che, denn dazu braucht man einen Geld­beu­tel, und wenn er leer ist, dann ist er nicht mehr als ein wert­lo­ser Lap­pen. Au­ßer­dem wer­den Pas­sa­gie­re see­krank, wer­den streit­süch­tig, kön­nen des Nachts nicht schla­fen und ha­ben im Gan­zen kei­ne Freu­de an der Rei­se. Nein, ich bin nie als Pas­sa­gier ge­fah­ren, auch nicht als Kom­mo­do­re,1 Ka­pi­tän oder Koch, ob­wohl ich doch ein al­ter, er­fah­re­ner See­mann bin. Die­se eh­ren­vol­len Stel­lun­gen über­las­se ich gern de­nen, die sich da­nach drän­gen. Ich habe ge­nug mit mir sel­ber zu tun und kann mich nicht auch noch um Schif­fe, Bar­ken, Briggs, Scho­ner2 und der­glei­chen küm­mern. Und als Koch zu fah­ren? Nun, ich gebe zu, das ist ein an­ge­se­he­ner Pos­ten, denn der Koch ist eine Art Of­fi­zier an Bord. Aber es hat mir nie Freu­de ge­macht, Ge­flü­gel zu bra­ten, ob­wohl ge­ra­de ich ein gut ge­würz­tes und in zar­ter But­ter ge­bra­te­nes Huhn be­son­ders zu schät­zen weiß. Nein, wenn ich zur See gehe, dann fah­re ich vor dem Mast3 als ge­wöhn­li­cher Ma­tro­se. Ge­wiss, sie het­zen mich um­her, und ich muss sprin­gen wie ein Gras­hüp­fer im Mai. Und zu­erst ist das ein höchst un­an­ge­neh­mer Job. Es geht ei­nem so­gar ge­gen die Ehre, vor al­lem, wenn man aus ei­ner alt­ein­ge­ses­se­nen Fa­mi­lie stammt. Be­son­ders schlimm ist es aber, wenn man kurz vor­her noch als Dorf­schul­meis­ter Herr über eine Klas­se war und nun mit dem blü­ten­wei­ßen Hemd in einen Teer­topf lan­gen muss. Der Über­gang ist schwer, aber auch das gibt sich mit der Zeit. Was macht es denn schon, wenn mich ein fil­zi­ger al­ter Ka­pi­tän nach dem Be­sen schickt und das Deck fe­gen lässt? Wer wäre denn, so be­trach­tet, kein Skla­ve? Das möch­te ich wis­sen! Sol­len mich also die Ka­pi­tä­ne her­um­kom­man­die­ren und her­um­schin­den. Je­der kriegt auf sei­ne Wei­se sei­nen Teil ab.

Ich gehe auch des­halb zur See, weil man mir für mei­ne Mü­hen auch noch et­was zahlt, wäh­rend man noch nie ge­hört hat, dass ein Pas­sa­gier Geld be­kom­men hät­te. Im Ge­gen­teil: Er wird zur Kas­se ge­be­ten. Zah­len und Be­zahlt­wer­den, das ist ein ge­wal­ti­ger Un­ter­schied.

Und schließ­lich ist da noch ein letz­ter Grund, warum ich als Ma­tro­se zur See gehe; es ist näm­lich ge­sund, sich in der fri­schen, rei­nen See­luft auf dem Vor­deck kräf­tig zu be­we­gen, wäh­rend der Ka­pi­tän auf dem Ach­ter­deck die Luft nur aus zwei­ter Hand er­hält.

Wa­rum ich aber dies­mal auf die Idee kam, aus­ge­rech­net auf ei­nem Wal­fän­ger an­zu­heu­ern, das kann ich nicht ge­nau sa­gen. Von al­len Be­weg­grün­den war si­cher die über­wäl­ti­gen­de Vor­stel­lung vom großen Wal der stärks­te. Das rie­sen­haf­te, ge­heim­nis­vol­le Un­ge­tüm reiz­te mei­ne Fan­ta­sie; dazu die fer­nen, wil­den Mee­re, durch die er sei­nen Rie­sen­leib wälzt wie eine In­sel, und die un­nenn­ba­ren Ge­fah­ren und die tau­send Wun­der der Süd­see, das al­les lock­te mich un­wi­der­steh­lich, denn ich fah­re für mein Le­ben gern in ver­bo­te­nen Ge­wäs­sern und gehe an den Küs­ten der Bar­ba­ren an Land. Ge­wiss, ich ver­ach­te nicht das Gute und Schö­ne, aber das Grau­en­haf­te zieht mich un­sag­bar an.

Aus die­sen Grün­den war mir die Fahrt auf ei­nem Wal­fän­ger ge­ra­de recht. Die Tore zu ei­ner Wun­der­welt ta­ten sich auf.

Ich stopf­te mei­ne paar Hem­den in einen al­ten See­sack, nahm ihn un­ter den Arm und brach auf nach Kap Hoorn und dem Pa­zi­fik. Dem gu­ten al­ten Man­hat­tan sag­te ich Le­be­wohl und kam glück­lich in New Bed­ford an. Es war an ei­nem Sams­tag­abend im De­zem­ber. Mei­ne Ent­täu­schung war groß, als ich er­fuhr, dass das klei­ne Post­schiff nach Nan­tucket schon ab­ge­fah­ren sei. So muss­te ich bis zum Mon­tag war­ten.

Da die meis­ten jun­gen An­wär­ter für eine Fahrt mit dem Wal­fang­schiff ihre Rei­se be­reits in New Bed­ford an­tre­ten, muss ich aus­drück­lich er­wäh­nen, dass ich ganz an­de­re Plä­ne hat­te. Ich woll­te durch­aus mit ei­nem Schiff aus Nan­tucket fah­ren, denn al­les, was mit die­ser al­ten, be­rühm­ten In­sel zu­sam­men­hing, hat­te et­was Aben­teu­er­li­ches an sich, was mich un­ge­mein an­zog. Wohl hat­te in letz­ter Zeit New Bed­ford den größ­ten Teil des Wal­ge­schäfts an sich ge­ris­sen, und das arme, alte Nan­tucket war be­denk­lich ins Hin­ter­tref­fen ge­ra­ten. Aber Nan­tucket ist das große Vor­bild, denn schließ­lich wur­de hier der ers­te von Ame­ri­ka­nern er­leg­te Wal an Land ge­bracht, und von hier aus fuh­ren die Ur-Wal­fän­ger, die Rot­häu­te, mit Ka­nus hin­aus.

Da ich nun in New Bed­ford eine Nacht, einen Tag und noch eine Nacht vor mir hat­te, ehe ich mich nach mei­nem Be­stim­mungs­ha­fen ein­schif­fen konn­te, muss­te ich mich zu­nächst ein­mal nach ei­nem Quar­tier um­se­hen. Der Ort sah am Abend we­nig ver­trau­en­er­we­ckend aus, und oben­drein war es bit­ter kalt. Ich kann­te kei­ne Men­schen­see­le. Sor­gen­voll kram­te ich in mei­ner Ho­sen­ta­sche her­um und zog schließ­lich ein paar Sil­ber­stücke her­vor. »Auf­ge­passt, Is­ma­el«, sag­te ich zu mir, wäh­rend ich auf der Stra­ße stand und mei­nen See­sack schul­ter­te, »wo du zu über­nach­ten be­schließt, mein lie­ber Is­ma­el, ver­giss nicht, nach dem Preis zu fra­gen, und sei nicht wäh­le­risch.«

Zö­gernd tapp­te ich die düs­te­ren Stra­ßen ent­lang und kam am Wirts­haus »Zu den ge­kreuz­ten Har­pu­nen« vor­über; aber das sah zu teu­er für mich aus. Au­ßer­dem ging es dort laut und aus­ge­las­sen zu. Wei­ter un­ten leuch­te­ten die Fens­ter der »Schwert­fisch-Knei­pe« so strah­lend in die Nacht hin­aus, dass es mir schi­en, als hät­ten sie Schnee und Eis vor dem Haus weg­ge­taut, denn sonst lag der Schnee über­all zehn Zoll hoch und war hart wie Stra­ßen­pflas­ter. All­mäh­lich wur­de ich mil­de. Ei­nen Au­gen­blick blieb ich ste­hen, sah das grel­le Licht, das auf die Stra­ße fiel, und hör­te das Glä­ser­klin­gen von drin­nen. »Nein, auch da geht’s zu lus­tig zu, Is­ma­el«, sag­te ich zu mir, »mach, dass du wei­ter­kommst.«

Ohne lan­ge zu über­le­gen, folg­te ich der Stra­ße, die hin­un­ter zum Was­ser führ­te, dort­hin, wo die bil­ligs­ten, viel­leicht aber auch die net­tes­ten Knei­pen lie­gen.

Trost­lo­se Stra­ßen! Zu bei­den Sei­ten kei­ne Häu­ser, viel­mehr Qua­der aus ra­ben­schwar­zer Fins­ter­nis, hin und wie­der der trü­be Schein ei­ner Ker­ze wie aus ei­nem Grab. Zu die­ser Stun­de, am letz­ten Tag der Wo­che, war das Vier­tel wie aus­ge­stor­ben. Doch bald drang aus ei­nem nied­ri­gen, weit­läu­fi­gen Ge­bäu­de ver­schwom­men ein Schim­mer. Die Tür stand ein­la­dend of­fen und ge­währ­te einen Blick in den ver­wahr­los­ten Vor­raum. Ich hör­te eine lau­te Stim­me von drin­nen, fass­te mir ein Herz und öff­ne­te eine zwei­te Tür.

Hun­dert dunkle Ge­sich­ter wand­ten sich nach mir um, als ich ein­trat. Über ih­nen auf ei­ner Kan­zel stand ein schwar­zer En­gel und schlug hef­tig auf ein Buch. Es war die Kir­che ei­ner Ne­ger­ge­mein­de. Der Text des Pre­di­gers han­del­te von Nacht und Fins­ter­nis, von Heu­len und Kla­gen und Zäh­ne­klap­pern. »O Is­ma­el«, mur­mel­te ich und ging rück­wärts wie­der hin­aus, »wo­hin bist du ge­ra­ten!«

Ich ging wei­ter, bis ich schließ­lich in der Nähe der Docks einen schwa­chen Licht­schim­mer er­späh­te und über mir ein kläg­li­ches Krei­schen ver­nahm. Als ich auf­blick­te, sah ich ein Blech­schild hin und her schwin­gen. Da­rauf stand, un­deut­lich zu le­sen, »Gast­haus zum Wal­fisch – Pe­ter Coffin«.

»Coffin, das heißt Sarg; und dazu Wal­fisch – das ist kein gu­tes Vor­zei­chen in die­ser Zu­sam­men­stel­lung«, sag­te ich mir, »aber der Name soll häu­fig vor­kom­men in Nan­tucket.« Das Licht schi­en trü­be, die Ge­gend war still, und das ver­fal­le­ne Block­haus sah aus, als hät­te man es aus ei­ner Feu­ers­brunst hier­her ge­ret­tet. Aus all dem schloss ich, dass ich hier vor der rich­ti­gen Tür war und mit ei­nem bil­li­gen Quar­tier und ei­nem er­bärm­li­chen Kaf­fee rech­nen konn­te. Et­was ver­däch­tig sah das alte Haus schon aus, wie es so wind­schief an der Ecke stand, als hät­te es die Gicht.

Aber ich hat­te kei­ne an­de­re Wahl.

Be­trat man das Gast­haus »Zum Wal­fisch«, dann kam man in einen wei­ten, nied­ri­gen Vor­raum mit ei­ner alt­mo­di­schen Holz­tä­fe­lung, die an das Schanz­kleid ei­nes al­ten, ab­ge­wrack­ten Schif­fes er­in­ner­te. Auf der einen Sei­te hing ein rie­si­ges Öl­ge­mäl­de, das so ver­räu­chert und ent­stellt war, dass man, bei dem un­ge­wis­sen Licht, nur nach ein­ge­hen­der Be­trach­tung und Be­fra­gung der Nach­barn über­haupt et­was er­ken­nen konn­te. Un­er­klär­li­che Mas­sen von Schat­ten und Schat­tie­run­gen türm­ten sich auf­ein­an­der, so­dass man zu­nächst glaub­te, ein ehr­gei­zi­ger jun­ger Künst­ler habe sich be­müht, einen He­xen­tanz aus Neu­eng­lands frü­hen Ta­gen dar­zu­stel­len.

Be­son­ders rät­sel­haft und wirr war eine lang­ge­streck­te, un­heil­dro­hen­de, schwar­ze Mas­se in der Mit­te des Bil­des, die über drei senk­rech­ten Li­ni­en aus bläss­li­chem Blau schweb­te. In der Tat glich das gan­ze Ge­mäl­de ei­ner schwabb­li­gen, quabb­li­gen Mas­se, die einen emp­find­sa­men Men­schen wohl be­un­ru­hi­gen konn­te. Und doch ging von dem Bild eine ei­gen­ar­ti­ge Wir­kung aus. Was moch­te es dar­stel­len? Ei­nen Sturm zur Mit­ter­nacht über dem schwar­zen Meer? Den Kampf der vier Ele­men­te? Eine ver­dorr­te Hei­de­land­schaft? Eine nor­di­sche Win­ter­land­schaft? Doch alle Deu­tungs­ver­su­che schei­ter­ten zu­letzt an dem un­heil­vol­len schwar­zen Et­was in der Mit­te. Wenn das Rät­sel ge­löst war, dann war al­les üb­ri­ge klar. Erin­ner­te es nicht von fer­ne an einen rie­sen­haf­ten Fisch? Soll­te es etwa der große Le­via­than selbst sein?

Die Ab­sicht des Künst­lers war es wohl ge­we­sen, einen Kap-Hoorn-Fah­rer im Or­kan dar­zu­stel­len. Von dem sin­ken­den Schiff wa­ren nur noch die drei ab­ge­ta­kel­ten4 Mas­ten zu se­hen. Ein wü­ten­der Wal, der mit ei­nem ge­wal­ti­gen Satz über das Schiff hin­weg­s­prin­gen woll­te, spieß­te sich da­bei auf den Mast­spit­zen auf.

Die ge­gen­über­lie­gen­de Wand des Vor­raums war über und über mit furchter­re­gen­den Keu­len und Spee­ren be­han­gen. Man­che wa­ren dicht mit blin­ken­den Zäh­nen be­deckt und er­in­ner­ten an el­fen­bei­ner­ne Sä­gen, an­de­re wa­ren mit Sträh­nen aus Men­schen­haar ge­schmückt. Auch eine si­chel­för­mi­ge Waf­fe war dar­un­ter, mit der man wohl un­ter den Fein­den wü­ten konn­te wie ein Schnit­ter in fri­schem Gras. Mich schau­der­te al­lein vom Hin­se­hen. Da­zwi­schen hin­gen ros­ti­ge, alte Wal-Lan­zen und Har­pu­nen, alle zer­bro­chen und ge­knickt. Mit die­ser Lan­ze da, die jetzt völ­lig ver­bo­gen war, tö­te­te vor fünf­zig Jah­ren Na­than Swain fünf­zehn Wale an ei­nem ein­zi­gen Tag. Und die­se Har­pu­ne dort, die jetzt aus­sah wie ein Kor­ken­zie­her, wur­de einst ins Meer bei Java ge­schleu­dert, von dem ge­trof­fe­nen Wal da­von­ge­tra­gen und erst nach Jah­ren wie­der­ge­fun­den, als der Wal bei Kap Blan­co er­legt wur­de. Die Waf­fe war da­mals am Schwanz ein­ge­drun­gen und dann wie eine Na­del im mensch­li­chen Kör­per wei­ter­ge­wan­dert, bis man sie schließ­lich, im Hö­cker ein­ge­bet­tet, wie­der­fand.

Durch einen düs­te­ren, ge­wölb­ten Flur, wohl durch den ehe­ma­li­gen Haupt­ka­min ge­bro­chen, ge­lang­te man in die Gast­stu­be, wo es noch dunk­ler war. Die mäch­ti­gen De­cken­bal­ken wa­ren so nied­rig und die Bo­den­plan­ken so ab­ge­tre­ten, dass man sich fast ins Raum­deck ei­nes al­ten Kahns ver­setzt fühl­te, be­son­ders an ei­nem Abend, wo der Sturm heul­te und die schlecht ver­täu­te alte Ar­che in al­len Fu­gen ächz­te. Auf der einen Sei­te stand ein lan­ger, nied­ri­ger Tisch mit ei­ni­gen zer­sprun­ge­nen Glas­käs­ten dar­auf, ge­füllt mit al­ler­lei ver­staub­ten Ra­ri­tä­ten aus den ent­le­gens­ten Win­keln der Welt. Ganz hin­ten rag­te ein schwärz­li­ches Ge­bil­de in den Raum, die The­ke – eine rohe, un­ge­schick­te Nach­bil­dung ei­nes Wal­fisch­kop­fes. Dar­über wölb­te sich ein Wal­kie­fer so rie­sen­groß, dass bei­na­he eine Kut­sche hät­te hin­durch­fah­ren kön­nen. Dar­un­ter stan­den ein paar schä­bi­ge Re­ga­le mit al­ten Fla­schen und Kar­af­fen. Und mit­ten in dem mör­de­ri­schen Ra­chen stand wie ein zwei­ter von Gott ver­fluch­ter Jona – so wur­de er üb­ri­gens auch ge­ru­fen – ein dür­res, al­tes Männ­chen, das den Ma­tro­sen für gu­tes Geld die ab­scheu­lichs­ten Ge­trän­ke ver­kauf­te.

Als ich ein­trat, sa­ßen da ein paar jun­ge Ma­tro­sen um einen Tisch und prüf­ten beim trü­ben Licht ei­ner Ker­ze al­ler­lei Schnit­ze­rei­en aus Mu­scheln und Wal­fisch­bein. Ich trat auf den Wirt zu und frag­te ihn nach ei­nem Nacht­quar­tier, er­hielt aber zur Ant­wort, das Haus sei voll, kein Bett sei mehr frei. »Doch halt«, füg­te er hin­zu und griff sich an die Stirn, »ha­ben Sie et­was da­ge­gen, mit ei­nem Har­pu­nier das Bett zu tei­len? Sie wol­len doch ver­mut­lich auch auf Wal­fang aus­fah­ren. Da kön­nen Sie sich bei­zei­ten dar­an ge­wöh­nen.«

Ich er­wi­der­te ihm, ich hät­te noch nie ger­ne zu zweit un­ter ei­ner De­cke ge­schla­fen; wenn es aber sein müs­se, so hän­ge es ganz da­von ab, was der Har­pu­nier für ein Kerl sei. Wenn es aber wirk­lich kei­nen an­de­ren Platz gebe und ge­gen den Har­pu­nier nichts ein­zu­wen­den sei, dann sei es bes­ser, mit ei­nem an­stän­di­gen Bur­schen die Bett­de­cke zu tei­len, als bei der bit­te­ren Käl­te noch län­ger durch eine frem­de Stadt zu strol­chen.

»Das habe ich mir ge­dacht. Geht also in Ord­nung. Set­zen Sie sich. Wol­len Sie noch es­sen? Wird gleich fer­tig sein.«

Ich ließ mich auf ei­ner al­ten Holz­bank nie­der, in die Ge­ne­ra­tio­nen von See­leu­ten ihre Zei­chen ge­schnitzt hat­ten. An der an­de­ren Ecke saß, ganz in sich ge­kehrt, ein See­bär und be­ar­bei­te­te ein Stück Holz.

End­lich wur­den wir, vier oder fünf Mann, zum Es­sen in den Ne­ben­raum ge­holt. Dort herrsch­te ei­si­ge Käl­te, kein Feu­er im Ka­min, denn der Wirt be­haup­te­te, er kön­ne es sich nicht leis­ten. Ei­lig knöpf­ten wir un­se­re Ja­cken zu und grif­fen mit klam­men Fin­gern nach dem ko­chend­hei­ßen Tee. Das Es­sen war je­den­falls sehr kräf­tig, denn es gab nicht nur Fleisch und Kar­tof­feln, son­dern so­gar Klö­ße – Don­ner­wet­ter, auch noch Klö­ße! Ein jun­ger Bur­sche im grü­nen Man­tel wid­me­te sich denn auch den Klö­ßen mit ei­nem ge­ra­de­zu ent­setz­li­chen Ap­pe­tit.

»Mein lie­ber Freund«, sag­te der Wirt, »nach die­ser Por­ti­on wirst du heu­te Nacht Alp­träu­me ha­ben.«

»Herr Wirt«, flüs­ter­te ich ihm zu, »das ist doch nicht etwa der Har­pu­nier?«

»Nein, nein«, er­wi­der­te er, und man merk­te, dass es ihm einen ganz teuf­li­schen Spaß mach­te, »der Har­pu­nier ist ein dunk­ler Bur­sche, der isst nie­mals Klö­ße. Der frisst nur Steaks, je ro­her, de­sto lie­ber.«

»Zum Teu­fel, wo steckt er denn ei­gent­lich? Ist er hier?«, frag­te ich.

»Nur Ge­duld, der kommt schon noch«, war die Ant­wort.

Die­ser dunkle Bur­sche wur­de mir all­mäh­lich un­heim­lich. Auf je­den Fall, so be­schloss ich bei mir, soll­te er sich als ers­ter aus­zie­hen und ins Bett krie­chen, wenn wir schon zu­sam­men schla­fen soll­ten.

Nach dem Es­sen gin­gen die an­de­ren Gäs­te wie­der in den Schan­kraum, und da ich nichts wei­ter vor­hat­te, ent­schied ich mich, den Abend als Zuschau­er zu ver­brin­gen.

Da plötz­lich gab es Lärm auf der Stra­ße. Der Wirt sprang auf und rief: »Das sind die Leu­te von der ›Gram­pus‹, drei Jah­re un­ter­wegs und voll bis oben hin. Hol­la, Jungs, jetzt er­fahrt ihr das Neues­te von den Fid­schi-In­seln!«

Sees­tie­fel tram­pel­ten durch den Vor­raum, die Tür wur­de auf­ge­ris­sen, und her­ein tor­kel­te eine wil­de Rot­te von Ma­tro­sen. Ein­gehüllt in ihre rau­en Wach­män­tel, zer­lumpt und zu­sam­men­ge­flickt, mit steif­ge­fro­re­nen Bär­ten, aus de­nen die Eis­zap­fen hin­gen, schie­nen sie ge­ra­de­wegs aus La­b­ra­dor zu kom­men. Sie wa­ren eben an Land ge­gan­gen, und dies war das ers­te Haus, das sie be­tra­ten. Kein Wun­der, dass sie so­gleich auf den Wal­fisch­ra­chen zu­steu­er­ten, wo ih­nen der dür­re, klei­ne Jona die Glä­ser bis zum Rand voll­schenk­te. Ei­ner be­klag­te sich über sei­nen fürch­ter­li­chen Schnup­fen, wor­auf ihm der Alte ein pech­zä­hes Ge­tränk zu­sam­men­brau­te und hei­li­ge Eide schwor, das sei die bes­te Arz­nei für alle Ar­ten von Er­käl­tun­gen und Ka­tarrh, die man sich in La­b­ra­dor oder auf der Wet­ter­sei­te ei­nes Eis­bergs ho­len kön­ne.

Der Schnaps stieg ih­nen bald zu Kopf, und sie be­gan­nen, wie nicht an­ders zu er­war­ten war, Krach zu schla­gen.

Ich hat­te in­des­sen be­merkt, dass sich ei­ner von ih­nen et­was ab­ge­son­dert hat­te, an­de­rer­seits aber of­fen­bar be­strebt war, den an­de­ren durch sei­ne Nüch­tern­heit die Stim­mung nicht zu ver­der­ben. Er er­weck­te mein In­ter­es­se, weil er sich so still ver­hielt. Als das Ge­la­ge sei­ner Ge­fähr­ten auf dem Hö­he­punkt an­ge­langt war, ver­schwand er un­be­merkt, und ich sah ihn erst wie­der, als er mein Ka­me­rad auf See wur­de. We­nig spä­ter ver­miss­ten ihn sei­ne Ge­sel­len. Sie er­ho­ben eine großes Ge­schrei: »Bul­king­ton! Bul­king­ton!« und stürm­ten hin­aus auf die Stra­ße.

Es war jetzt etwa neun Uhr, der Raum schi­en bei­na­he un­na­tür­lich still nach die­ser Sau­fe­rei. Glück­li­cher­wei­se hat­te ich mir, ehe die Ma­tro­sen her­ein­ge­pol­tert wa­ren, einen Plan zu­recht­ge­legt.

Nie­mand schläft ger­ne mit ei­nem an­de­ren in ei­nem Bett, und wenn es sein ei­ge­ner Bru­der wäre. Im Schlaf ist man eben am liebs­ten al­lein. Wenn man nun gar mit ei­nem Frem­den in ei­ner frem­den Wirt­schaft in ei­ner frem­den Stadt zu­sam­men schla­fen soll und der Frem­de oben­drein ein Har­pu­nier ist, dann stimmt das noch weit be­denk­li­cher. Und auch für einen See­mann gibt es kei­nen ein­leuch­ten­den Grund, mit ei­nem an­de­ren sein Bett zu tei­len, denn schließ­lich hat auch ein See­mann sei­ne ei­ge­ne Hän­ge­mat­te und sei­ne ei­ge­ne De­cke.

Je mehr ich nun über die­sen Har­pu­nier nach­dach­te, de­sto un­an­ge­neh­mer war mir der Ge­dan­ke, mit ihm zu­sam­men schla­fen zu müs­sen. Im üb­ri­gen wur­de es all­mäh­lich auch spät, und ein an­stän­di­ger Har­pu­nier hät­te schon längst zu Hau­se und im Bett sein müs­sen. Wenn er nun gar erst ge­gen Mit­ter­nacht her­ein­tor­keln soll­te! Und wer konn­te denn schon wis­sen, aus wel­cher ge­mei­nen Knei­pe er kom­men moch­te?

»Hal­lo, Wirt! Ich habe mir’s an­ders über­legt. Mit dem Har­pu­nier schla­fe ich nicht. Ich will mir’s hier auf der Bank be­quem ma­chen.«

»Wie Sie wol­len. Scha­de, dass ich kein Tisch­tuch üb­rig habe. Sie könn­ten sonst dar­auf schla­fen, denn das Brett hier ist ver­dammt rau. Ei­nen Au­gen­blick, ich habe da einen Ho­bel hin­ter der The­ke. Sie sol­len’s ganz be­quem ha­ben.« Mit die­sen Wor­ten hol­te er den Ho­bel, staub­te erst ein­mal mit ei­nem al­ten Sei­den­tuch die Bank ab und be­gann aus Lei­bes­kräf­ten, mein Bett glatt­zu­ho­beln. Da­bei grins­te er wie ein Affe. Die Spä­ne flo­gen nach al­len Sei­ten, bis plötz­lich das Ei­sen ge­gen einen Knor­ren stieß, der nicht nach­gab. Ich sag­te ihm, er sol­le jetzt um Got­tes wil­len auf­hö­ren, das Bett sei mir schon weich ge­nug, und aus Fich­ten­bret­tern wür­den eben mal kei­ne Ei­der­dau­nen. Er grins­te wie­der, kehr­te die Spä­ne zu­sam­men und warf sie in den großen Ofen mit­ten in der Gast­stu­be. Dann mach­te er sich wie­der hin­ter der The­ke zu schaf­fen und ließ mich mit mei­nen düs­te­ren Ge­dan­ken al­lein.

Nun maß ich die Bank aus und fand, dass sie einen Fuß zu kurz war. Doch konn­te man im­mer­hin einen Stuhl an­stel­len. Aber sie war auch um einen Fuß zu schmal, und die zwei­te Bank in der Stu­be war um vier Zoll hö­her als die ab­ge­ho­bel­te, so­dass sie nicht zu­ein­an­der pas­sen woll­ten. Schließ­lich rück­te ich die ers­te Bank an die Wand und ließ einen klei­nen Zwi­schen­raum, um mei­nem Rücken Platz zu schaf­fen. Aber bald merk­te ich, dass vom Fens­ter her ein eis­kal­ter Luft­zug kam; und da es auch von der Tür her zog, ent­stand fort­wäh­rend ein klei­ner Wir­bel­wind ge­ra­de an der Stel­le, wo ich mein La­ger auf­ge­schla­gen hat­te.

Der Teu­fel soll den Har­pu­nier ho­len, dach­te ich bei mir. Doch halt! Könn­te ich ihm nicht zu­vor­kom­men, die Tür von in­nen ver­rie­geln und ins Bett stei­gen? Mag er dann klop­fen, ich wach’ nicht auf. Kein üb­ler Plan. Aber wer konn­te mir ga­ran­tie­ren, dass mir nicht mor­gen der Har­pu­nier den Schä­del ein­schlägt, wenn ich aus der Tür tre­te?

Wie­der sah ich mich um, fand aber kei­ne Ge­le­gen­heit, die Nacht an­ge­neh­mer zu ver­brin­gen, es sei denn, zu­sam­men mit ei­nem an­de­ren. Vi­el­leicht wa­ren es doch nur grund­lo­se Vor­ur­tei­le ge­gen den Har­pu­nier? War­ten wir noch ein Weil­chen, dach­te ich mir, er muss ja bald kom­men. Dann schaue ich mir den Bur­schen ein­mal ge­nau an. Vi­el­leicht wer­den wir noch ganz gute Bett­ge­nos­sen.

Nach und nach ka­men die an­de­ren Schlaf­gäs­te her­ein, al­lein, zu zweit, zu dritt – aber von mei­nem Har­pu­nier kei­ne Spur.

»Herr Wirt«, sag­te ich, »was ist denn das für ein Kerl? Bleibt der im­mer so lan­ge aus?« Es war fast Mit­ter­nacht.

Der Wirt ließ wie­der sein dün­nes Ge­me­cker ver­neh­men. Ir­gend et­was schi­en ihm mäch­tig Spaß zu ma­chen, nur wuss­te ich nicht, was. »Nein«, sag­te er, »im All­ge­mei­nen ist er früh dran, zei­tig im Bett, zei­tig wie­der ’raus. Mor­gen­stund hat Gold im Mund. Aber heu­te will er was ver­kau­fen. Weiß der Teu­fel, wo er sich so lan­ge her­um­treibt. Vi­el­leicht wird er sei­nen Kopf nicht los.«

»Sei­nen Kopf nicht los? Er­zäh­len Sie kei­ne Mär­chen!« Ich wur­de wü­tend. »Wol­len Sie tat­säch­lich be­haup­ten, dass die­ser Har­pu­nier heu­te am hei­li­gen Sams­tag­abend oder viel­mehr Sonn­tag­mor­gen un­ter­wegs ist, um sei­nen Kopf feil­zu­bie­ten?«

»Genau so ist es«, er­wi­der­te der Wirt, »und da­bei habe ich ihm doch ge­sagt, dass er ihn hier nicht los­kriegt. Es gibt zu viel von die­sem Zeug.«

»Was für Zeug?«, schrie ich ihn an.

»Na, Köp­fe. Gib­t’s nicht so­wie­so zu vie­le Köp­fe auf der Welt?«

»Ich will Ih­nen was sa­gen, Herr Wirt«, sag­te ich ganz ru­hig, »hö­ren Sie auf mit dem Un­sinn. Ich bin kein grü­ner Jun­ge mehr.«

»Grün viel­leicht nicht«, er nahm ein Stück­chen Holz und schnitz­te sich einen Zahn­sto­cher zu­recht, »aber viel­leicht wer­den Sie braun und blau ge­schla­gen, wenn der Har­pu­nier er­fährt, dass Ih­nen sein Kopf nicht passt.«

»Ein­schla­gen wer­de ich ihm sei­nen Schä­del«, gab ich zu­rück, denn all­mäh­lich mach­te mich das un­sin­ni­ge Ge­re­de wü­tend.

»Der ist schon ein­ge­schla­gen«, sag­te er.

»Ein­ge­schla­gen? Wirk­lich ein­ge­schla­gen«, frag­te ich, »was soll das hei­ßen?«

»Ein­ge­schla­gen. Und ge­ra­de des­we­gen kriegt er ihn wohl nicht los.«

»Herr Wirt«, ich trat auf ihn zu, »jetzt aber Schluss mit dem Ge­schnit­ze da. Wir müs­sen klar­kom­men, und zwar so­fort. Ich kom­me hier her­ein und will ein Bett. Sie kön­nen mir nur ein hal­b­es an­bie­ten, weil die an­de­re Hälf­te ei­nem ge­wis­sen Har­pu­nier ge­hört. Und von die­sem Har­pu­nier, den ich noch nicht ge­se­hen habe, er­zäh­len Sie mir die merk­wür­digs­ten und haar­sträu­bends­ten Ge­schich­ten, bis es mir vor dem Men­schen graut, mit dem ich zu­sam­men schla­fen soll. Of­fen und ehr­lich: Was ist mit die­sem Har­pu­nier los? Bin ich denn mei­nes Le­bens si­cher? Und dann er­klä­ren Sie mir ge­fäl­ligst die Ge­schich­te mit dem ver­hö­ker­ten Schä­del. Denn wenn die Ge­schich­te stimmt, dann ist der Har­pu­nier ver­rückt, und ich den­ke nicht dar­an, mit ei­nem Irr­sin­ni­gen das Zim­mer zu tei­len. Und Sie, Herr Wirt, ja, Sie, wenn Sie mich wis­sent­lich in eine sol­che Lage brin­gen, dann ge­hö­ren Sie vor Ge­richt ge­stellt.«

»Schon recht, schon recht«, sag­te der Wirt und hol­te tief Luft, »das war eine lan­ge Pre­digt für einen ar­men Teu­fel, der hin und wie­der auch gern ein­mal das Maul zu weit auf­macht. Im­mer mit der Ruhe. Der Har­pu­nier, von dem ich er­zähl­te, kommt eben von der Süd­see. Und von dort hat er einen gan­zen Sack voll ein­bal­sa­mier­ter Neu­see­län­der­köp­fe mit­ge­bracht, lau­ter Ku­rio­si­tä­ten. Und die hat er alle bis auf einen ver­kauft, und den will er heu­te Abend ver­hö­kern, weil doch mor­gen Sonn­tag ist. Und wenn die Leu­te in die Kir­che ge­hen, dann kann er doch den Kopf nicht auf der Stra­ße an­bie­ten. Ver­gan­ge­nen Sonn­tag habe ich ihn ge­ra­de noch im letz­ten Au­gen­blick er­wi­scht, als er eben mit vier Köp­fen, schön wie Zwie­beln auf ei­ner Schnur auf­ge­reiht, aus dem Haus woll­te.« Der Be­richt klär­te das Ge­heim­nis auf und be­wies, dass der Wirt mir we­nigs­tens kei­nen Bä­ren auf­ge­bun­den hat­te – aber an­de­rer­seits, was soll­te ich von ei­nem Har­pu­nier hal­ten, der sich bis in den hei­li­gen Sonn­tag hin­ein auf der Stra­ße her­um­trieb, um sei­nen kan­ni­ba­li­schen Ge­schäf­ten nach­zu­ge­hen und Köp­fe von to­ten Hei­den an­zu­bie­ten?

»Glau­ben Sie mir, Herr Wirt, der Har­pu­nier ist ein ge­fähr­li­cher Bur­sche.«

»Im­mer­hin, er zahlt pünkt­lich«, war die Ant­wort. »Kom­men Sie, es ist spät. Es ist ein schö­nes, ein brei­tes Bett. Los, ich ma­che Ih­nen Licht.« Da­mit zün­de­te er eine Ker­ze an, reich­te sie mir und woll­te schon vor­an­ge­hen. Aber ich zö­ger­te noch. Er sah auf die Uhr in der Ecke: »Was? Schon Sonn­tag?«, rief er er­staunt. »Da wer­den Sie den Har­pu­nier heu­te Nacht nicht mehr zu Ge­sicht krie­gen. Der hat ir­gend­wo An­ker ge­wor­fen. Also, vor­wärts jetzt! Oder wol­len Sie nicht?«

Ei­nen Au­gen­blick stand ich noch da, dann stie­gen wir die Trep­pe hin­auf. Die Kam­mer war zwar eis­kalt, aber das Bett, das drin­nen stand, war so groß, dass tat­säch­lich vier Har­pu­nie­re be­quem Platz ge­fun­den hät­ten.

»So«, sag­te der Wirt und stell­te die Ker­ze auf eine alte See­kis­te, die als Wasch­tisch und Ess­tisch diente, »jetzt ma­chen Sie sich’s be­quem. Gute Nacht.« Als ich mich um­wand­te, war der Wirt schon ver­schwun­den.

Ich schlug die De­cke zu­rück und beug­te mich über das Bett. Ele­gant war es nicht, aber es sah or­dent­lich aus. Dann sah ich mich in der Kam­mer um. Au­ßer Bett und Tisch war kein an­de­res Mö­bel­stück zu er­bli­cken, nur ein grob ge­zim­mer­tes Bord, die vier Wän­de und ein ta­pe­zier­ter Ka­min­schirm mit ei­nem Mann dar­auf, der einen Wal er­leg­te. In ei­ner Ecke auf dem Fuß­bo­den lag eine Hän­ge­mat­te, dazu ein See­sack, der die Klei­der des Har­pu­niers ent­hielt. Fer­ner lag auf dem Ka­min­sims ein Bün­del fremd­län­di­scher, bei­ner­ner An­gel­ha­ken, und am Kop­fen­de des Bet­tes stand eine lan­ge Har­pu­ne.

Doch was lag dort auf der See­kis­te? Ich nahm es in die Hand und hielt es nahe ans Licht, be­fühl­te es, beroch es und such­te her­aus­zu­be­kom­men, was es wohl sein moch­te. Es ließ sich am ehe­s­ten noch mit ei­ner großen Fuß­mat­te ver­glei­chen, die an den Kan­ten mit klin­gen­den Stäb­chen ver­ziert war. In der Mit­te be­fand sich ein Loch oder viel­mehr Schlitz wie bei ei­nem süd­ame­ri­ka­ni­schen Pon­cho. War es denn wirk­lich denk­bar, dass ein ehr­li­cher Har­pu­nier sich eine Fuß­mat­te über den Kopf zog und in die­ser Auf­ma­chung durch die Stra­ßen ei­ner christ­li­chen Stadt stol­zier­te! Ich steck­te mei­nen Kopf durch den Schlitz, um es selbst ein­mal aus­zu­pro­bie­ren. Das Ge­wicht drück­te mich nie­der, so un­ge­wöhn­lich zot­tig und dicht war das Ge­we­be und auch ein we­nig feucht, als hät­te es der ge­heim­nis­vol­le Har­pu­nier an ei­nem reg­ne­ri­schen Tag ge­tra­gen. Ich be­sah mich in dem Spie­gel­scher­ben an der Wand. Ein un­ver­ge­ss­li­cher An­blick! Has­tig be­frei­te ich mich wie­der von der Mat­te und ver­renk­te mir da­bei fast den Hals.

Ich setz­te mich auf die Bett­kan­te und dach­te über den Kopf­händ­ler und Har­pu­nier nach. Dann stand ich auf, leg­te mei­ne Ja­cke ab, stell­te mich mit­ten ins Zim­mer und dach­te im­mer noch nach. Doch dann wur­de mir kalt, und da der Wirt ge­sagt hat­te, der Har­pu­nier wer­de wohl in die­ser Nacht nicht mehr zu­rück­keh­ren, zog ich mir rasch Stie­fel und Hose aus, lösch­te das Licht, fiel ins Bett und emp­fahl mich dem Schutz des Him­mels.

Ob die Ma­trat­ze mit Mais­kol­ben ge­füllt war oder mit Topf­scher­ben, dar­über schwei­ge ich mich aus. Je­den­falls wälz­te ich mich un­ru­hig hin und her und konn­te lan­ge nicht ein­schla­fen. End­lich fiel ich doch in einen lei­sen Schlum­mer und war schon bei­na­he tief ein­ge­schla­fen, als ich auf dem Flur schwe­re Schrit­te hör­te. Un­ter der Tür drang ein schwa­cher Licht­schim­mer in die Kam­mer.

»Gott steh mir bei«, dach­te ich, »das muss der Har­pu­nier sein, der höl­li­sche Kopf­händ­ler.« Ich lag mäus­chen­still da und be­schloss, kein Ster­bens­wört­lein zu sa­gen, bis er mich an­re­de­te. Ein Licht in der einen Hand, in der an­de­ren den be­kann­ten Neu­see­län­der­kopf, so trat der Frem­de ins Zim­mer. Dann stell­te er, ohne einen Blick aufs Bett zu wer­fen, die Ker­ze in eine ent­fern­te Ecke auf den Bo­den und mach­te sich an dem schon er­wähn­ten See­sack zu schaf­fen. Ich woll­te un­be­dingt sein Ge­sicht se­hen, aber er hielt es ab­ge­wen­det, wäh­rend er an dem See­sack her­um­nes­tel­te.

Als der Sack end­lich of­fen war, wand­te er sich um. Gott im Him­mel, welch ein An­blick! Was für ein Ge­sicht! Dunkles Gelb mit Pur­pur, da­zwi­schen große, schwärz­li­che Vier­e­cke! Also doch: ein grau­en­vol­ler Bett­ge­nos­se! Der war na­tür­lich bei ei­ner Mes­ser­ste­che­rei, wo man ihm das Ge­sicht so grau­sam zu­ge­rich­tet hat­te; und jetzt kommt er eben vom Wund­arzt. Doch in die­sem Au­gen­blick dreh­te er sich zu­fäl­lig so, dass das Licht voll auf sein Ge­sicht fiel. Ich sah nun deut­lich, dass die Qua­dra­te kei­ne Wund­pflas­ter sein konn­ten. Es wa­ren ein­fach Fle­cken, über de­ren Her­kunft ich mir al­ler­dings auch nicht im kla­ren war. Dann aber er­in­ner­te ich mich an eine Ge­schich­te von ei­nem wei­ßen Mann, ei­nem Wal­fän­ger üb­ri­gens, der den Kan­ni­ba­len in die Hän­de ge­fal­len und von ih­nen tä­to­wiert wor­den war. Vi­el­leicht war das auch dem Har­pu­nier auf sei­nen wei­ten Rei­sen zu­ge­sto­ßen. Und wenn schon, dach­te ich mir, un­ter je­der Haut kann ein an­stän­di­ger Kerl ste­cken. Aber wie soll­te ich mir die un­ge­wöhn­li­che Haut­far­be rings um die dunklen Fle­cken er­klä­ren? Vi­el­leicht ein tro­pi­scher Son­nen­brand, ge­wiss, aber ich hat­te nie ge­hört, dass ein Son­nen­brand einen wei­ßen Mann in einen pur­pur­gel­ben ver­wan­delt. Al­ler­dings war ich noch nie in der Süd­see ge­we­sen. Wohl wäh­rend mir all die­se Ge­dan­ken blitz­schnell durch den Kopf schos­sen – mög­lich, dass die Son­ne dort solch ei­gen­ar­ti­ge Far­ben­spie­le her­vor­ruft –, nahm der Har­pu­nier über­haupt kei­ne No­tiz von mir. Als er sei­nen See­sack mit vie­ler Mühe end­lich ge­öff­net hat­te, wühl­te er dar­in her­um und zog dann eine Art To­ma­hawk5 und einen Beu­tel aus See­hund­fell her­vor. Bei­des leg­te er auf die alte Kis­te in der Mit­te Kam­mer, pack­te dann den Neu­see­län­der­kopf, das grau­si­ge Ding, und stopf­te ihn in den Sack. Als er sei­nen Hut, eine Art Zy­lin­der, ab­nahm, da hät­te ich vor Über­ra­schung bei­na­he laut ge­schri­en: Sein Kopf war völ­lig kahl, nur über der Stirn hat­te er eine klei­ne Skal­plo­cke, kaum der Rede wert. Der pur­pur­ro­te Glatz­kopf sah bei­na­he wie ein ver­mo­dern­der To­ten­schä­del aus. Wenn mir der Frem­de nicht den Weg zur Tür ver­sperrt hät­te, ich wäre auf und da­von ge­lau­fen. Ich dach­te so­gar einen Au­gen­blick dar­an, durch das Fens­ter zu ent­wi­schen, aber das Zim­mer lag im zwei­ten Stock.

Ich bin kein Feig­ling. Aber der pur­pur­ro­te Bur­sche, die­ser Kopf­händ­ler, er­schi­en mir zu die­ser mit­ter­nächt­li­chen Stun­de wie der Teu­fel. Ich hat­te tat­säch­lich sol­che Angst, dass ich es nicht über mich brach­te, ihn an­zu­spre­chen und ihn zu fra­gen, was das al­les be­deu­ten soll­te.

In­des­sen zog er sich wei­ter aus, bis auch Brust und Arme zum Vor­schein ka­men. So wahr ich lebe, sein gan­zer Kör­per war ge­nau­so ge­fleckt wie sein Ge­sicht; auch der Rücken war über­sät mit den dunklen Qua­dra­ten, als wäre er mit knap­per Not und mit ei­nem Hemd aus Wund­pflas­tern dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg ent­ron­nen. Selbst sei­ne Bei­ne wa­ren ge­zeich­net, als klet­ter­te eine Schar von grü­nen Fröschen an den Stäm­men jun­ger Pal­men em­por.

Jetzt war mir al­les klar: Der Kerl muss­te ein gräu­li­cher Wil­der sein, der in der Süd­see an Bord ei­nes Wal­fän­gers ge­langt und auf die­se Wei­se in un­ser christ­li­ches Land ge­ra­ten war. Ich schau­der­te, wenn ich nur dar­an dach­te. Und noch dazu mit Köp­fen han­deln, viel­leicht gar mit den Köp­fen sei­ner ei­ge­nen Brü­der! Wo­mög­lich ge­fiel ihm auch der mei­ne – und dann noch die­ser To­ma­hawk!

Doch ich hat­te gar kei­ne Zeit mehr, mei­ne Ge­dan­ken wei­ter­zu­spin­nen, denn nun tat der Wil­de et­was, was mei­ne gan­ze Auf­merk­sam­keit in An­spruch nahm und mich end­gül­tig über­zeug­te, dass ich einen Hei­den vor mir hat­te. Er nahm sei­ne schwe­re See­manns­ja­cke vom Stuhl, wühl­te in den Ta­schen her­um und brach­te schließ­lich ein merk­wür­di­ges, buck­li­ges Fi­gür­chen zum Vor­schein, so schwarz wie ein drei Tage al­tes Kon­go-Baby. Im Hin­blick auf den ein­bal­sa­mier­ten Kopf glaub­te ich zu­nächst, die Pup­pe sei viel­leicht tat­säch­lich ein prä­pa­rier­ter, ech­ter Säug­ling. Als ich aber sah, dass es nur ein Stück po­lier­ten Eben­hol­zes war, schloss ich, dass es wohl ein Göt­zen­bild aus Holz sein müs­se, und da­mit hat­te ich schließ­lich recht. Denn nun trat der Wil­de an den lee­ren Ka­min her­an, schob den Schirm zur Sei­te und stell­te sei­nen buck­li­gen Göt­zen wie einen Ke­gel­kö­nig zwi­schen die bei­den Feu­er­bö­cke. Die Wän­de und Back­stei­ne im In­ne­ren wa­ren so ver­rußt, dass sie einen pas­sen­den Hin­ter­grund, eine Art Ka­pel­le für den klei­nen Kon­go-Göt­zen ab­ga­ben.

Ich fühl­te mich et­was un­be­hag­lich, aber ich konn­te kein Auge ab­wen­den, denn ich muss­te se­hen, was jetzt ge­sch­ah. Zu­erst nahm er zwei Hand­voll Sä­ge­spä­ne aus sei­ner Jack­en­ta­sche und streu­te sie an­däch­tig dem Göt­zen zu Fü­ßen, dann leg­te er oben­drauf ein Stück Schiffs­zwie­back und setz­te mit der Ker­ze die Spä­ne in Brand, bis das Op­fer­feu­er auf­flamm­te. Dann zog er, nicht ohne sich die Fin­ger zu ver­sen­gen, den Zwie­back aus der Glut, rei­nig­te ihn sorg­fäl­tig und hielt ihn dem klei­nen Göt­zen hin. Das Teu­fel­chen schi­en aber nicht den ge­rings­ten Ap­pe­tit zu ha­ben, denn es be­weg­te nicht ein­mal die Lip­pen. Das gan­ze Ze­re­mo­ni­ell be­glei­te­te der Wil­de mit merk­wür­di­gen Kehl­lau­ten, mög­li­cher­wei­se ei­nem Ge­bet oder ir­gend­ei­nem heid­nischen Sings­ang. Da­bei zuck­te sein Ge­sicht ganz ei­gen­ar­tig. Als er das Feu­er schließ­lich ge­löscht hat­te, pack­te er ohne Um­stän­de den Göt­zen und stopf­te ihn höchst un­fei­er­lich wie­der in die Ja­cke. Der gan­ze Ho­kus­po­kus war nicht dazu an­ge­tan, mich zu be­ru­hi­gen, und da ich jetzt merk­te, dass er sich an­schick­te, ins Bett zu stei­gen und das Licht zu lö­schen, hielt ich den Au­gen­blick für ge­kom­men, et­was zu un­ter­neh­men.

Doch wäh­rend ich noch über­leg­te, nahm er den To­ma­hawk vom Tisch, prüf­te flüch­tig das eine Ende und hielt es an die Flam­me, und schon paff­te er Wol­ken von Ta­baks­qualm in die Luft. Im nächs­ten Au­gen­blick er­losch die Flam­me, und der wüs­te Kan­ni­ba­le sprang, mit sei­nem To­ma­hawk im Mund, zu mir ins Bett. Ich stieß einen Schre­ckens­schrei aus, und schon be­gann er un­ter ver­wun­der­tem Grun­zen nach mir zu tas­ten.

Ich stam­mel­te noch et­was Un­ver­ständ­li­ches, roll­te mich zur Wand und be­schwor ihn, wer er auch sei, still lie­gen­zu­blei­ben und mir zu ge­stat­ten, das Licht wie­der an­zu­ma­chen. Die gur­geln­den Lau­te, mit de­nen er mir ant­wor­te­te, über­zeug­ten mich, dass er mich über­haupt nicht ver­stan­den hat­te.

»Wer-är Teu­fel du?«, knurr­te er end­lich. »Du nicht sprä­chen – vär­dammt-rr, ich dich tot­schlärr«, und schon sah ich den qual­men­den To­ma­hawk über mir.

»Herr Wirt! Um Got­tes wil­len, Pe­ter Coffin!«, schrie ich. »Wirt! Hil­fe! Coffin! Ihr En­gel Got­tes! Helft mir!«

»Redä-rr! Wer-är du sein, oder dich tot­scha­gä-rr«, knurr­te er von neu­em, wäh­rend bei dem scheuß­li­chen Her­um­ge­fuch­tel mit dem To­ma­hawk die Asche her­um­flog, so­dass ich schon fürch­te­te, das Bett­zeug könn­te Feu­er fan­gen. Doch Gott sei Dank, in die­sem Au­gen­blick er­schi­en der Wirt mit ei­ner Ker­ze in der Hand. Ich sprang auf und stand schon ne­ben ihm.

»Kei­ne Angst«, sag­te er und grins­te schon wie­der so in­fam. »Qui­queg wird Ih­nen kein Haar krüm­men.«

»Hö­ren Sie doch end­lich auf zu grin­sen!«, schrie ich ihn an. »Und warum ha­ben Sie mir nicht ge­sagt, dass der Höl­len-Har­pu­nier ein Men­schen­fres­ser ist?«

»Ich dach­te, Sie wüss­ten das längst. Ich habe Ih­nen doch ge­sagt, dass er mit Köp­fen hau­sie­ren geht. Aber jetzt marsch ins Bett und gut ge­schla­fen! Und du, Qui­queg, hast mich ver­stan­den, der Mann schla­fen mit dir.«

»Ver­stan­den ge­nug«, grunz­te der und stieß ge­wal­ti­ge Rauch­wol­ken aus.

»Du in Bätt-rr«, füg­te er hin­zu und wand­te sich an mich und schlug die De­cke zu­rück, das al­les auf freund­li­che und durch­aus mensch­li­che Wei­se. Ich stand noch einen Au­gen­blick da und be­trach­te­te ihn, und da fand ich, dass er ei­gent­lich ein ganz ap­pe­tit­li­cher, net­ter Men­schen­fres­ser war, trotz all sei­ner Tä­to­wie­run­gen. Ich hat­te al­len Grund, mich ein we­nig zu schä­men. Lie­ber ein nüch­ter­ner Men­schen­fres­ser als ein be­trun­ke­ner Christ, dach­te ich bei mir.

»Herr Wirt«, sag­te ich, »er soll doch sei­nen To­ma­hawk aus­ma­chen oder die Pfei­fe. Kurzum, er soll auf­hö­ren zu rau­chen. Dann will ich mit ihm schla­fen. Ich kann es nicht aus­ste­hen, wenn ei­ner im Bett raucht, ge­fähr­lich ist es auch.«

Qui­queg war so­fort ein­ver­stan­den und lud mich noch­mals aufs freund­lichs­te ein, ins Bett zu stei­gen, und da­bei drück­te er sich ganz hin­aus auf sei­ne Sei­te, als wol­le er sa­gen, kei­ne Angst, ich tu’ dir nichts.

»Gute Nacht, Wirt, Sie kön­nen jetzt ge­hen«, sag­te ich.

Ich kroch ins Bett und schlief wie nie zu­vor.

Jetzt fie­len mir auch die Er­eig­nis­se des ver­gan­ge­nen abends wie­der ein, und ich emp­fand mei­ne ei­gen­ar­ti­ge Lage. Nach ei­ni­gen ver­geb­li­chen Ver­su­chen ge­lang es mir nun auch, mich von dem Arm zu be­frei­en. Qui­queg grunz­te und schüt­tel­te sich wie ein Neu­fund­län­der.

Als ich beim Mor­gen­grau­en auf­wach­te, lag Qui­quegs Arm lie­be­voll und zärt­lich über mich ge­brei­tet. End­lich, nach krampf­haf­ten Schlan­gen­be­we­gun­gen, um mich frei­zu­win­den, er­reich­te ich, dass er grun­zend den Arm weg­zog, sich wie ein Neu­fund­län­der, der eben aus dem Was­ser kommt, schüt­tel­te und sich stock­steif im Bett auf­setz­te. Er rieb sich die Au­gen und sah mich an, als ent­sän­ne er sich nicht recht, wie ich ei­gent­lich hier­her­ge­kom­men sei. Un­ter­des­sen lag ich ganz still und be­trach­te­te mir die­ses merk­wür­di­ge Pro­dukt der Schöp­fung sehr ge­nau, denn ich hat­te kei­ne Angst mehr vor ihm. Als er sich end­lich über sei­nen Schlaf­ka­me­ra­den im kla­ren zu sein schi­en und ge­gen mei­ne An­we­sen­heit nichts Be­son­de­res ein­zu­wen­den hat­te, sprang er mit ei­nem Satz aus dem Bett und gab mir durch Zei­chen und Lau­te zu ver­ste­hen, falls es mir recht sei, wol­le er sich zu­erst an­zie­hen und mir dann die gan­ze Kam­mer für mei­ne ei­ge­ne Toi­let­te über­las­sen. Qui­queg, dach­te ich, wenn man alle Um­stän­de in Be­tracht zieht, ist das ei­gent­lich ein recht ma­nier­li­ches An­ge­bot.

Mit dem An­klei­den fing er von oben an, in­dem er sich sei­nen rie­si­gen Zy­lin­der auf­stülp­te. Dann mach­te er, noch im­mer ohne Hose, Jagd auf sei­ne Stie­fel. Als nächs­tes kam – warum, weiß nur der lie­be Him­mel –, dass er sich, die Stie­fel in der Hand und den Zy­lin­der auf dem Kopf, un­ters Bett ver­kroch. End­lich kam er wie­der zum Vor­schein, den stark ver­beul­ten Zy­lin­der bis über die Au­gen ver­rutscht. Die gan­ze Kam­mer knarr­te, wie er so um­her­hum­pel­te, denn die Stie­fel wa­ren ihm noch un­ge­wohnt. Die ers­ten Schrit­te in dem feuch­ten, ein­ge­schrumpf­ten Schuh­werk, das be­stimmt nicht nach Maß an­ge­fer­tigt war, müs­sen ihm an die­sem bit­ter­kal­ten Mor­gen schwer­ge­fal­len sein.

Dann be­gann er mit der Mor­gen­wä­sche. Je­der nor­ma­le Chris­ten­mensch hät­te sich zu so frü­her Mor­gen­stun­de zu­erst das Ge­sicht ge­wa­schen. Zu mei­ner Ver­wun­de­rung be­schränk­te sich Qui­queg dar­auf, Brust, Arme und Hän­de ab­zu­spü­len. Dann zog er Hose und Wes­te an, nahm vom Mit­tel­tisch, der zu­gleich Wasch­tisch war, sein Stück Sei­fe, tauch­te es ins Was­ser und seif­te sich das Ge­sicht ein. Ich war neu­gie­rig, wo er sein Ra­sier­mes­ser ha­ben moch­te. Doch sie­he da, er hol­te die Har­pu­ne aus der Ecke am Bett, und nach­dem er die höl­zer­ne Schei­de ent­fernt hat­te, wetz­te er die Stahl­spit­ze am Le­der sei­ner Stie­fel. Nun trat er vor die Glas­scher­be, die den Spie­gel er­setz­te, und schab­te, viel­mehr har­pu­nier­te sich bei­de Wan­gen. Qui­queg, dach­te ich, du hast es her­aus, wie man mit hoch­wer­ti­gen Stahl­wa­ren um­geht. Spä­ter al­ler­dings, als ich aus ei­ge­ner Er­fah­rung wuss­te, aus was für fei­nem Stahl die Har­pu­nen­spit­ze ge­schmie­det ist und wie haar­scharf die lan­gen, glat­ten Schnei­den sind, wun­der­te ich mich nicht mehr.

Er war rasch fer­tig, und in sei­ner der­ben Lot­sen­ja­cke stol­zier­te er er­ho­be­nen Haup­tes hin­aus, wo­bei er sei­ne Har­pu­ne wie einen Mar­schall­stab schwang.

Nicht lan­ge dar­auf ging auch ich hin­un­ter ins Gast­zim­mer und re­de­te den schmun­zeln­den Wirt freund­lich an. Ich heg­te kei­nen Groll mehr ge­gen ihn, ob­wohl er mir mit die­sem Schlaf­ge­nos­sen einen üb­len Streich hat­te spie­len wol­len.

In der Schank­stu­be wim­mel­te es schon von den Lo­gier­gäs­ten, die am Abend vor­her ei­ner nach dem an­de­ren heim­ge­kom­men wa­ren und die ich noch nicht rich­tig in Au­gen­schein ge­nom­men hat­te. Fast alle wa­ren Wal­fän­ger: Steu­er­leu­te,6 und Steu­er­manns­maa­te7 Schiffs­zim­mer­leu­te und