Moderne Piraten (Kriminalroman) - Hans Dominik - E-Book

Moderne Piraten (Kriminalroman) E-Book

Hans Dominik

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Beschreibung

Hans Dominiks Kriminalroman 'Moderne Piraten' taucht den Leser in eine fesselnde Geschichte über die Machenschaften einer skrupellosen Piratenbande ein. Dominik präsentiert den Lesern einen Mix aus Action, Spannung und moralischen Dilemmata, während er geschickt die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischt. Der Autor nutzt einen klaren und prägnanten Schreibstil, der den Lesern ein einfaches Eintauchen in die düstere Welt der Piraterie ermöglicht. 'Moderne Piraten' ist ein beispielhaftes Werk des Kriminalgenres, das geschickt die Leser mit unerwarteten Wendungen und einem finsteren Setting fesselt. Hans Dominik, bekannt für seine detaillierten Beschreibungen und fesselnden Charaktere, zeigt in diesem Buch sein Talent für die Schaffung von atmosphärischen Szenarien und komplexen Figuren. Seine Hintergrund als Ingenieur spiegelt sich auch in der Präzision und Logik wider, mit der er die Handlung von 'Moderne Piraten' aufbaut. Für Liebhaber von Kriminalromanen und Action-Literatur ist 'Moderne Piraten' ein absolutes Muss. Das Buch bietet nicht nur eine packende Handlung, sondern regt auch zum Nachdenken über moralische Fragen und die Grauzonen zwischen Recht und Unrecht an. Dominiks meisterhafte Erzählkunst und seine Fähigkeit, die Leser in die Welt seiner Geschichten zu ziehen, machen 'Moderne Piraten' zu einem unvergesslichen Leseerlebnis.

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Hans Dominik

Moderne Piraten

(Kriminalroman)

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-7583-160-6

Inhaltsverzeichnis

1. Auf der Fahrt nach Ägypten
2. Zurück nach Hamburg
3. Die »Organisation«
4. Von Gorla nach Genf
5. Auf dem Genfer See
6. Wieder in Gorla
7. Der Kampf geht hart auf hart
8. Der Knoten schürzt sich
9. Die Schlinge zieht sich zusammen

1. Auf der Fahrt nach Ägypten

Inhaltsverzeichnis

Mit einer Stundengeschwindigkeit von achtzehn Knoten schraubte sich die »Usakama« durch die Fluten des Mittelmeeres. Nur ein schwaches Zittern des gewaltigen Körpers verriet die Arbeit der zwanzigtausendpferdigen Turbinen, die das Schiff vorwärts trieben. Vor zwei Tagen hatten die Reisenden in der Straße von Messina zum letzten Male Land gesehen, dann war der rauchende Kegel des Ätnas, das letzte Wahrzeichen Europas, allmählich im Westen hinter ihnen in der See versunken. Nur ruhiges, saphirblaues Meer zeigte sich jetzt nach allen Seiten hin, soweit das Auge reichte, ein ebenso blauer Himmel darüber, von dem das Tagesgestirn mit südlicher Kraft herniederbrannte. Glänzendweiße Sonnensegel, von den Schiffspumpen in kurzen Zeitabständen mit Seewasser benetzt, überspannten die Oberdecks und spendeten Schatten und Kühlung.

Der Lunch im großen Speisesaal der »Usakama« ging mit einer Tasse Kaffee zu Ende. Die letzten Klänge der Schiffskapelle verrauschten, und lauter schlugen nun Gesprächsbrocken von den einzelnen Tischen her durch den Raum. Schon erhoben sich einzelne Gäste.

Auch Doktor Gransfeld, der seinen Platz neben dem Schiffsarzt hatte, schob die leere Kaffeetasse zurück und machte Anstalt, aufzustehen. »Wie wär's mit einem Verdauungsmarsch über das Promenadendeck, Kollege?«

Doktor Lüders, der Schiffsarzt, lachte. »Aha, die alte Regel! ›Nach der Mahlzeit sollst du ruhn oder tausend Schritte tun!‹ Sie haben recht. Man setzt bei unserer Bordverpflegung sonst unweigerlich Speck an. Also auf zum Mittagsbummel!«

Die beiden Medizinmänner – auch Doktor Gransfeld war Arzt – stiegen die Mahagonitreppe zum Promenadendeck empor. Vor der Wanduhr im Treppenhaus, unter der auf einer Seekarte gerade das neue Mittagsbesteck eingetragen wurde, blieben sie stehen.

»Einen Augenblick, Kollege! Wollen mal sehen, wo wir sind. – 24 Grad 10 Minuten östlicher Länge, 33 Grad 45 Minuten nördlicher Breite. Alle Wetter, sollte denn da im Norden nichts von Kreta zu sehen sein?«

Doktor Lüders schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen! Unser Kurs steht zwanzig Meilen südlich von der Insel. Von Europa bekommen Sie nichts mehr zu sehen, erst in Port Said wieder afrikanisches und asiatisches Land zur gleichen Zeit. Stellen wir unsere Uhren gleich auf die neue Schiffszeit dreißig Minuten vor! Eine halbe Stunde ist uns bei der Ostfahrt verloren gegangen. Ein Trost, dass wir sie auf der Rückreise wiederfinden.«

Auch Gransfeld zog seinen Chronometer und richtete ihn neu. »So, Punkt eins des Programms wäre erledigt. Jetzt mal nach vorn! Vielleicht gibt's Delphine.«

»Meinetwegen! Aber da sind keine Sonnensegel. Es wird ein bisschen warm werden.«

Sie schritten über Promenaden- und Vorderdeck bis zur Spitze des Schiffes und schauten in die Flut. In der klaren See umschwärmte ein Rudel Delphine das Schiff, und geraume Zeit betrachteten sie die munteren Fische.

Doktor Lüders brach das Schweigen. »Besser Delphine als Haie.«

»Haie? Gibt's die hier auch?« fragte Gransfeld.

»Leider! Die Biester müssen durch den Suezkanal kommen. Im Hafen von Port Said wimmelt es manchmal davon. Ich möchte niemand empfehlen, dort über Bord zu fallen.«

»Es sind wohl nur Katzenhaie und keine richtigen Menschenhaie?«

»Ob Katzenhai oder Menschenhai soll mir gleich sein. Beißen tun alle beide. – Doch jetzt haben wir hier genug geschmort. Gehen wir lieber nach hinten in kühlere Gegenden!«

»Sie wollen Ihren Onkel in Syut besuchen?« setzte Doktor Lüders auf dem Rückwege die Unterhaltung fort. »Ich habe inzwischen allerlei über ihn gehört. Das muss ja ein ganz bedeutender Herr sein, Chefingenieur der Egyptian Irrigation Company, Leiter sämtlicher Bewässerungsarbeiten im Abschnitt Syut, schon seit langem dort tätig, dabei unverheiratet. Nach meiner Schätzung muss der Mann ein Vermögen zurückgelegt haben. So einen Erbonkel könnte ich auch brauchen.«

Gransfeld machte eine abweisende Bewegung. »Ich wünsche meinem Onkel ein langes Leben. Leider ist seine Gesundheit nicht die beste, seitdem er vor zwei Jahren einen Unfall auf einer Baustelle hatte. Ein Sturz, der an sich gar nicht so gefährlich war, aber die Aufregung, die Nervenerschütterung. Obwohl ich Arzt bin, kann ich mir kein klares Bild machen. Jedenfalls muss der Unfall ein anderes Leiden, das innerlich schon vorhanden war, zum Vorschein gebracht haben.«

»Das wäre nicht das erste mal«, warf Doktor Lüders ein »Jeder Europäer, der jahrzehntelang in subtropischem Klima lebt, hat mehr oder weniger einen Knacks weg. Wenn Ihr Onkel noch etwas von seinem Leben haben will, sollte er die Irrigation Company sich selbst überlassen und schleunigst nach Deutschland zurückkehren.«

»Das wird schwerhalten, Kollege. Er hängt mit Leib und Seele an seinem Beruf. Aber ich will versuchen, in diesem Sinne auf ihn zu wirken.«

Sie waren in ihrer Unterhaltung bis zum Heck des Schiffes gekommen. Hier war ein Sonnensegel gespannt, in dessen Schatten ein Teil der dienstfreien Schiffsbesatzung Ruhe und Erfrischung suchte.

»Il dolce far niente, das süße Nichtstun«, meinte Doktor Lüders, »hier lernen sie's alle. Nicht nur die Levantiner und Griechen, die wir unter der Besatzung haben, auch unsere Hamburger geben sich dieser Beschäftigung mit lobenswerter Ausdauer hin. Sehen Sie mal unsern kleinen Steward da, den Rudi! Ein Berliner Junge übrigens, ein fixes Kerlchen. Macht schon seine achte Reise mit der ›Usakama‹. Der hat sich da wie ein Igel hinter dem Rettungsboot zusammengerollt. Geschickt, wie er sich den Platz gesucht hat! Liegt im Bootschatten und hat das bisschen Seebrise aus erster Hand. – Na, Rudi, mein Sohn, bald wird die Glocke schlagen, die dich zu neuen Taten ruft! – Sein Chef Rasati, der Obersteward, ist übrigens ein ziemlich brutaler Kerl.« Lüders wandte sich wieder an Gransfeld. »Der wird sacksiedegrob, wenn seine Leute nicht pünktlich zum Dienst kommen. Er ist übrigens auch ein Levantiner, aber in Zug hält er seine Kolonne, das muss der Neid ihm lassen.«

Sie waren an dem letzten Rettungsboot vorbei bis an die Heckreling gekommen und blickten eine Weile auf das schaumige Schraubenwasser, das sich kilometerweit auf dem ruhigen blauen Seespiegel verfolgen ließ.

»Hier könnten wir Haie sehen, wenn welche da wären«, meinte Doktor Lüders. »Das Viehzeug ist gefräßig; es bleibt immer hinter dem Schiff, um jeden Abfall zu erwischen, den der Koch über Bord wirft.«

»Weiter, Kollege! Unsere tausend Schritte sind noch nicht um.« Gransfeld suchte zur Fortsetzung des Spazierganges zu ermuntern.

Doch Lüders lehnte sich behaglich mit dem Rücken an den Stock der Heckflagge. »Einen Augenblick noch! In zwei Minuten muss die Glocke die neue Wache schlagen. Ich möchte gern sehen, wie die Leutchen hier mobil werden.«

So blieben sie stehen. Außer Gransfeld befanden sich nur noch zwei Fahrgäste der ersten Klasse auf dem Achterdeck. In ein eifriges Gespräch vertieft standen sie dicht neben dem letzten Backbordrettungsboot. Gransfeld warf einen Blick dorthin und fragte Lüders: »Was sind das für Leute? Die sind mir schon aufgefallen.«

»Fahrgäste wie Sie und viele andere. Nur die Schiffsliste kennt ›Nam und Art‹; aus der kann ich's Ihnen verraten. Der Lange mit der Schirmmütze ist ein Schotte, ein Mister Morton aus Edinburg, der andere, kleinere, namens van Holsten, stammt irgendwoher aus dem Lande der Mynheers. Engländer, Holländer, Levantiner und so weiter, wir führen alles an Bord, was Sie wünschen. Wenn ich mich nicht irre, habe ich die beiden schon einmal auf einer früheren Fahrt an Bord der ›Wadoni‹ gesehen.«

»Merkwürdig!« warf Gransfeld ein.

»Durchaus nicht, Kollege. Gewisse Leute werden Sie immer wieder auf bestimmten Schiffsstrecken treffen. Das hängt wohl mit ihren Geschäften zusammen.«

In diesem Augenblick schrillte die elektrische Glocke. Sofort sprang Rudi, der junge Steward, der unmittelbar neben den beiden Fahrgästen gelegen hatte, auf und wollte zum Dienst eilen. Erst jetzt, wie erschreckt, bemerkten diese seine Anwesenheit. Der Holländer packte ihn am Rockärmel und fuhr ihn grob an: »Qu'est-ce que vous avez fait ici?«

Während der Gefragte noch mit der Antwort zögerte, mischte sich der lange Schotte dazwischen und wiederholte die Frage: »What did you do here?«

Rudi antwortete englisch: »Ich habe hier geschlafen und höre eben das Signal, dass ich zum Dienst kommen muss.«

»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«

»Ich verstand nicht, was der andere Herr auf französisch sagte«, entschuldigte sich Rudi und wollte weitergehen.

Wütend sprang der Schotte ihm nach und versetzte ihm einen Schlag, der ihn fast zu Fall brachte. Schreck und Entrüstung erpressten dem Getroffenen einen lauten Schrei. Augenblicklich hatte Rudi sich umgedreht, die Fäuste geballt, die Arme angezogen, bereit, jedem weiteren Angriff auf Boxerweise zu begegnen.

Morton zog es vor, sich zurückzuziehen, während er laut schimpfte. »Ich will dich lehren, hinter den Fahrgästen her zu spionieren und fremde Gespräche zu belauschen!«

Gransfeld und Lüders waren inzwischen hinzugekommen, um der Szene ein Ende zu machen. Auf einen Wink des Schiffsarztes ging der Steward ruhig fort.

»Mr. Morton«, wandte sich Doktor Lüders in gutem Englisch an den Schotten, »es ist nicht erlaubt, Leute der Besatzung zu schlagen. Wenn Sie glauben, Grund zu einer Beschwerde zu haben, wollen Sie diese gefälligst an der zuständigen Stelle, das heißt beim Kapitän, vorbringen!«

Den Herren Morton und van Holsten war das Dazwischentreten des Schiffsarztes offenbar peinlich, peinlicher vielleicht noch der scharfe, durchdringende Blick, mit dem Gransfeld sie während der ganzen Zeit musterte. Verlegen wandten sie sich ab, während Lüders und Gransfeld nach dem Promenadendeck gingen.

»Die beiden Herren haben mir von allem Anfang an nicht gefallen«, sagte Gransfeld. »Weiß der Kuckuck, woran das liegt! Ich fühle eine unwillkürliche Abneigung. Dabei sind es eigentlich ganz gewöhnliche Durchschnittsgesichter. Aber die Roheit gegen den Jungen – warum, weshalb?«

»Viel Scharfsinn gehört nicht dazu, Kollege, um das zu erraten. Der Mister und der Mynheer haben sich wohl über Dinge unterhalten, die kein Dritter hören soll. Wer weiß, was für dunkle Geschäfte die betreiben! Ihr schlechtes Gewissen hat unserm Freunde Rudi unverdientermaßen zu einem blauen Fleck verholfen. Na, das kann bei der Seefahrt schon mal vorkommen!« –

Wie ein Purpurball war die Sonne versunken. Nur noch kurze Zeit leuchtete das Meer im Westen in roten und goldenen Tönen. Schnell kam die volle Dunkelheit der Nacht. In stillem Glanz schimmerte das Firmament, während eine leichte Westbrise Kühlung brachte.

Die Abendmahlzeit war vorüber. Auf dem Promenadendeck hatte Gransfeld es sich bequem gemacht und sich ein Bier bestellt. Es war Rudi, der es ihm brachte. Gransfeld sprach ihn an. »Sie hatten heute ein unangenehmes Zusammentreffen mit dem langen Engländer. Ist alles wieder in Ordnung, oder haben Sie sich etwa über ihn beschwert?«

Der Junge zuckte die Achseln. »Es kommt nichts dabei heraus, Herr. Am liebsten hätte ich dem Menschen sofort einen soliden Kinnhaken verpasst, aber meine Stellung an Bord … Ich darf mir so etwas nicht erlauben. Gott sei Dank hat unser Doktor ihm wenigstens die Meinung gesagt.«

Es waren nur wenige Fahrgäste auf Deck, und die Dienste des Jungen wurden kaum beansprucht. So konnte sich Gransfeld ungestört mit ihm unterhalten und erfuhr im Verlauf einer halben Stunde seine ganze Lebensgeschichte. Er hieß Rudi Wagner und war ein gebürtiger Berliner, achtzehn Jahre alt. Schulbildung? Hier wurden die Angaben Rudis lückenhaft; nur das Wort Obertertia war gefallen. Dann kam eine Lehrzeit in einem Berliner Hotel. Vor Jahresfrist waren beide Eltern schnell hintereinander gestorben. Da hielt ihn nichts mehr in Berlin. Durch die Vermittlung eines Verwandten in Hamburg hatte er die Stellung als Steward auf der »Usakama« bekommen. »Warum soll ich in Berlin kleben, Herr Doktor? Man ist jung und will die Welt kennenlernen. Außerdem habe ich hier Gelegenheit, mich in Sprachen zu vervollkommnen, die für bessere Hotelstellungen nötig sind. Zwei Reisen mache ich noch mit der ›Usakama‹. Dann will ich auf einem der großen afrikanischen Dampfer unserer Linie anmustern.«

Als Rudi ihn verließ, um andere Gäste zu bedienen, ging Doktor Gransfeld das Gehörte noch geraume Zeit durch den Kopf. Ein netter, anstelliger Junge! dachte er. Der wird mal seinen Weg machen.

Andere Leute an Bord dachten anders über Rudi. Mister Morton und der Obersteward Rasati standen in einem Winkel im Mitteldeck. Rudi, der Erfrischungen auf das Promenadendeck brachte, kam an ihnen vorbei.

»Rasati, versteht der Lümmel da Französisch?«

»Selbstverständlich. Spricht nicht gerade fließend, aber doch einigermaßen.«

»Würde er es verstehen, wenn man ihn fragte: ›Was machen Sie hier?‹«

»Natürlich, Morton, das muss er verstehen; hat ja lange genug französische Gäste bei Tisch bedient.«

»So? Der Bursche versteht Französisch?« Danach gab es im Flüsterton ein langes vertrauliches Gespräch zwischen Rasati und Morton, dessen Gegenstand Rudi bildete.

Geräuschlos glitten die nackten Sohlen des indischen Boys über die Veranda des Bungalows. Schweigend setzte er eine mit Eiswasser gefüllte Karaffe vor seinen Herrn hin und blieb abwartend stehen.

»Es ist gut, Himati. Du kannst gehen.«

Der Boy verschwand, George Gransfield blieb allein zurück. Mühsam, als ob er Schmerzen dabei empfände, richtete er sich von seinem Lager empor, schenkte ein Glas voll und stürzte den kühlen Trunk hinab. Dann ließ er sich in das Kissen zurückfallen, während seine Blicke die helle Landschaft vor ihm umfassten.

Breit und wuchtig strömten die grünen Wassermassen des Nils zu Tale. Von den Strahlen der Abendsonne beleuchtet, zogen sich jenseits des Flusses die rötlichen Berge bis zum Osthorizont. Grellweiß wie ein gewaltiger, von Titanenhand dorthin gestellter Würfel reckte sich am Flussufer das große Kraftwerk von Syut. Dreißigtausend Pferdestärken waren in ihm Tag und Nacht an der Arbeit, das Nilwasser zu heben, weithin in das Land zu treiben und Fruchtbarkeit zu verbreiten.

Lange blieb der Blick des Liegenden an dem weißen Bau hängen, glitt dann weiter an Dämmen und Wällen entlang, zwischen denen das von den Pumpen gehobene Wasser landeinwärts bis hin zu den rosig schimmernden Ostbergen strömte. Saftig grün war alles Land um die Kanäle herum, das er vor fünfundzwanzig Jahren als trostlose Sandwüste vorgefunden hatte.

Sein Werk war das alles, das Werk Georg Gransfelds, aus dem nun schon seit Jahrzehnten ein George Gransfield geworden war, das Werk eines Deutschen, der einst in die Fremde gezogen war, um in englischen Diensten sein Können und Wissen als Ingenieur zu verwerten. Ein Menschenalter erfolgreicher Arbeit war ihm beschieden, bis vor zwei Jahren ein Sturz ihm die Gesundheit nahm.

Ein neuer Anfall ließ die Gestalt des Liegenden zusammenzucken. Mit schwacher Hand schwang er eine Glocke. Ein Tablett in den Händen, huschte der Boy herein. »Der Sahib hat befohlen?«

»Himati, gib mir die Schachtel da!« Während der Boy das Gewünschte herbeiholte, fragte Gransfield: »Was bringst du da?«

»Eine Depesche, Sahib.«

Dieser riss das Telegramm auf und überflog es. Es war eine Funkdepesche von Bord der ›Usakama‹. Er schob das Papier zur Seite und griff nach der Schachtel, der er zwei weiße Tabletten entnahm. Mit einem Schluck Wasser nahm er sie und blieb eine Weile regungslos liegen. Dann schien die Arznei ihm die ersehnte Linderung zu bringen. Der gespannte Ausdruck wich aus seinen Zügen. Mit neugewonnener Frische richtete er sich auf. »Wir bekommen Besuch, Himati. In zwanzig Stunden wird die ›Usakama‹ Port Said anlaufen. Übermorgen werde ich meinen Neffen hier haben. Sorge dafür, dass die Fremdenzimmer im Stande sind!«

Der Boy verneigte sich nach indischer Weise. »Es wird alles besorgt, Sahib.«

Gransfield hatte, während er sprach, einen Schlüssel aus der Tasche gezogen, den er dem Inder hinhielt. »Die Statuette, Himati! Stelle sie mir hierhin!«

Kurz darauf kehrte der Boy aus dem Nebenraum zurück. In seinen Armen trug er eine etwa zwei Fuß hohe Statuette aus grünlich geädertem Nephritstein. Behutsam stellte er das Bildwerk auf das Tischchen vor seinem Herrn hin und verließ die Veranda.

Lange ruhten Gransfields Blicke auf der Statuette, einem Bildnis des Sethos, den die Griechen Sesostris nannten. Die Meisterhand eines Künstlers hatte vor mehr als dreitausend Jahren die Züge des gewaltigen Herrschers aus dem harten Stein gebildet. Noch jetzt schienen diese Mienen zu leben, schien dieser befehlsgewohnte Mund zu sprechen.

Gransfield gedachte des Tages, an dem ein Händler aus dem Sudan ihm das Kleinod brachte. Fast Wort für Wort kam ihm die Verhandlung wieder ins Gedächtnis, die er damals mit dem zähen Araber zu führen hatte. Erst nach vielem Hin und Her war es ihm geglückt, das Bildnis für eine Summe zu erwerben, die auch für das Einkommen des hochbesoldeten Chefingenieurs der Egyptian Irrigation Company recht fühlbar war. Manche Werke altägyptischer Kunst hatte er während seines langjährigen Aufenthaltes im Pharaonenland erstehen können; diese Statue hier war die schönste und kostbarste von allen, das Schmuckstück seiner Sammlung. Während er sie noch betrachtete, kehrten die Schmerzen zurück. Mühsam richtete er sich auf, griff nach der Schachtel mit den Tabletten und nahm aufs neue von der lindernden Arznei. Arznei? War's nicht eigentlich ein Gift, nach dem er immer wieder greifen musste, wenn die quälenden Anfälle kamen? Ein Gift, das ihn das Unerträgliche ertragen ließ, ihm Milderung und erlösenden Schlummer brachte?

Damals, als er nach jenem Unfall in Kairo im Hospital lag, als die Schmerzen Tage und Nächte hindurch nicht weichen wollten, hatte er die befreiende Wirkung dieses Mittels zuerst schätzen gelernt. Und dann – wie war's später gewesen? Die zweite Dosis des Mittels begann zu wirken. Verschwunden waren die Schmerzen, und traumhaft wurden Gransfields Gedanken. Als er wieder in sein Haus hier nach Syut zurückgekehrt war, als die Schmerzen in längeren oder kürzeren Pausen immer wieder auftraten, war's nicht Megastopoulos gewesen, der ihm die Wege wies, wie man das unentbehrliche Mittel auch ohne die Hilfe der Ärzte erhalten könne, Megastopoulos, der damals mit ihm zusammen im Hospital gelegen hatte?

Noch während er an den Namen dachte, trat der Boy auf die Veranda. Erst als er sich durch ein stärkeres Geräusch bemerkbar machte, gewahrte ihn Gransfield. »Was gibt's Himati?«

»Ein Besuch, Sahib. Der griechische Herr, der öfter hier war.« Er reichte seinem Herrn die Besuchskarte.

Dieser überflog sie. Megastopoulos? Hatte er nicht eben erst an den Mann gedacht? Wie eigenartig, dass er im gleichen Augenblick hierher kam! Auf seinen Wink führte der Boy den Besucher auf die Veranda.

Es war eine mittelgroße Gestalt, mit blauschwarzem Haar und dunkelgelber Gesichtsfarbe, der Typus des asiatischen Griechen, in dessen Adern das Blut vieler Völkerschaften sich mengt. Er trug einen grauen Sakkoanzug nach modernstem Londoner Schnitt, Lackstiefel und Gamaschen an den Füßen; die Brillantringe an den Fingern waren etwas zu protzig, das schmale Gesicht war von einem schwarzen Spitzbart umrahmt.

»Willkommen, Herr Megastopoulos! Wollen Sie dem Boy klingeln, dass er Ihnen eine Erfrischung bringt!«

Der Grieche ließ sich geschmeidig auf einem Sessel nieder, während seine brennenden Augen schnell durch den Raum glitten und kurze Zeit an der Statuette des Sethos hafteten. »Ich komme von Assuan«, sagte er in ziemlich fließendem Deutsch, »und wollte nicht durch Syut fahren, ohne Ihnen meine Aufwartung zu machen. Von Ihrem Boy hörte ich, dass es Ihnen gar nicht recht nach Wunsch geht, mein lieber Freund.«

Ein leiser Zug der Abwehr glitt bei den Worten des Griechen über Gransfields Züge. Die Betonung einer Freundschaft ging ihm gegen den Strich. Das ganze Gebaren – katzenfreundlich nannte er es bei sich – war nicht nach seinem Geschmack. Aber – leider – er brauchte den Mann, um in den Besitz des Mittels zu kommen, das ihm über seine Leiden hinweghalf. Er griff nach der Glocke und befahl dem Boy, Soda und Whisky für seinen Gast zu bringen.

Der Grieche zündete sich eine Zigarette an. Während er den Rauch durch die Lippen stieß, sprudelte er eine Fülle von Worten heraus, fragte nach dem Fortgang der Bewässerungsarbeiten und erkundigte sich, ob Gransfield in letzter Zeit die Baustellen besucht habe. Dabei hüllte er sich in dichten Zigarettenqualm. Gransfield konnte seine Blicke nicht sehen, die in unverhohlener Gier an der Statuette des Sethos hingen.

Langsam und unzusammenhängend beantwortete der Chefingenieur die Fragen seines Gastes. So wohlig, so müde fühlte er sich. Schlafen! Lange traum- und schmerzlos schlafen! Wie dumm, dass der Besuch ihn daran hinderte! Kaum wusste er noch, was er auf dessen Rede erwiderte. Mühsam suchte er die Worte zu irgendeiner Antwort zusammen, während seine Gedanken ganz woanders wanderten. Megastopoulos, der griechische Kunsthändler, hatte der ihm nicht immer die Statuette abkaufen wollen, das Kunstwerk, das ihm um keinen Preis feil war? »Die Statuette des Sethos, ich verkaufe sie niemals! Mein Neffe soll sie einmal …« stieß er unvermittelt hervor.

»Mein lieber Freund, ich bitte Sie, niemand will sie Ihnen nehmen.« Wie durch einen Schleier hörte Gransfield die Worte des Griechen.

»Ich verkaufe sie nicht«, wiederholte Gransfield automatisch.

»Mein lieber Freund, Sie sind sehr angegriffen. Gestatten Sie, dass ich Ihnen etwas Soda mit Whisky mische! Das wird Sie erfrischen.«

Mit geschickter Hand mischte Megastopoulos die Flüssigkeiten. Einen Augenblick glitt seine Rechte in die Tasche. Als er sie wieder über das Glas hielt, fiel weißes Pulver hinein. Mit einem Teelöffel verrührte er den Trank und trat mit dem Glase zu Gransfield. »Trinken Sie, mein Freund! Es wird Ihnen guttun.« Er brachte das Glas an Gransfields Lippen und zwang ihn mit sanfter Gewalt, es bis auf die Neige zu leeren.

Mit einem tiefen Seufzer streckte sich der Ingenieur auf sein Lager. Noch einmal umfasste sein Auge die Fluren und Berge, die von der Abendsonne tief rot überstrahlt waren, dann wurde das Schlafbedürfnis übermächtig, die Lider sanken ihm herab.

Leise ging Megastopoulos in das Haus, warf sich seinen weiten Raglan über und griff nach Hut und Stock. »Dein Herr schläft, Himati. Ich will ihn nicht länger stören. Er ist wohl kränker, als ich dachte. Vielleicht komme ich morgen vormittag noch einmal her.«

Von dem Boy bis an die Umzäunung geleitet, verließ Megastopoulos das Haus Gransfields.

Aus Morgen und Abend war ein zweiter Tag geworden. Schon war der Lotse an Bord gekommen. Von Südosten her blinkten die ägyptischen Leuchtfeuer. Nur wenige Stunden noch, und die »Usakama« würde im Hafen von Port Said festmachen. In allen Kabinen waren die Reisenden beim Räumen und Packen. Jene allgemeine Unruhe, die stets kurz vor der Landung auszubrechen pflegt, hatte sich an Bord eingestellt.

Vergeblich redete Lüders auf Gransfeld ein. »Keine Überstürzung, Kollege! Es dauert noch Stunden, bis wir im Hafen sind. Sie werden noch alle hier an Bord zu Abend essen.«

Gransfeld war nervös. Das Ausbleiben der Antwort auf seine Funkdepesche nach Syut beunruhigte ihn mehr, als er sich äußerlich merken ließ. War seine Depesche nicht angekommen? War sein Oheim schon auf dem Wege nach Port Said, als sie ankam? Oder war er etwa kränker geworden, so krank, dass er sie nicht beantworten konnte? Alle Möglichkeiten gingen ihm durch den Kopf, während er ruhelos über das Deck lief.

Rudi hatte in diesen letzten Stunden vor der Ankunft kaum etwas zu tun. Vergeblich bot er seine Sandwiches und Erfrischungen an. Die wenigsten dachten daran, ihm etwas abzunehmen. So setzte er sein Tablett ab, ließ sich in einen geschützten Winkel nieder und hing allerlei Gedanken nach. Er dachte daran, dass morgen Sonntag war, endlich einmal ein freier Tag für ihn nach langem Dienst. Den wollte er ausnutzen zu einer Fahrt nach Kairo oder einem Besuch der Pyramiden von Giseh. Während er derart Luftschlösser baute, ruhten seine Augen nicht. Stand da drüben bei dem Ventilatorschacht nicht sein Chef mit den beiden Fahrgästen zusammen, mit denen er gestern den Auftritt gehabt hatte? Natürlich waren sie es, der lange Engländer und der andere aus Holland. Jetzt ging Morton fort. Er wird seine Rechnung mit dem Chef klargemacht haben, dachte Rudi. Van Holsten blieb zurück und sprach weiter eindringlich mit dem Levantiner.

Die Neugier wurde in Rudi wach. Was hatten die beiden so lange zusammen zu tuscheln? Jetzt schienen sie einig geworden zu sein und verschwanden in einem Kabinengang. Schnell sprang Rudi auf und lief bis zu dem Gang hin. Dort hinten die letzte Tür, das war die Kabine Rasatis. In diese traten sie ein.

Nach einigen Minuten öffnete sich die Tür wieder. Schnell huschte Rudi an seinen alten Platz zurück. Die beiden kamen aus dem Gang heraus, erst der Levantiner, ein gutes Stück hinter ihm van Holsten. Die Aktentasche, die dieser in der Rechten trug, war sie nicht vorher viel dicker gewesen als jetzt? Nun schien sie vollkommen leer. Vor kurzem noch – deutlich erinnerte Rudi sich dessen – hatten seine Augen sie prall und voll gesehen. Übermächtig wurde die Neugier in ihm. Mancherlei hatte er auf seinen früheren Fahrten gehört. Sachen, von denen die Zollbehörde nichts wissen sollte, vertrauten Schmuggler ihren Helfershelfern unter der Schiffsbesatzung an. Diese brachten sie dann später unauffällig durch die Sperre an Land und lieferten sie am verabredeten Orte ab.

Rudi überzeugte sich, dass Rasati außer Sicht war, lief zu der Kabine hin, trat ein und drückte die Tür hinter sich ins Schloss. Prüfend glitten seine Blicke über die Einrichtung. Wo konnte hier etwas versteckt sein? Im Waschtisch? Mit ein paar Griffen überzeugte er sich, dass da nichts war. In den Schubläden, unter der Koje? Er zog auf. Da waren nur Wäschestücke. Wo, zum Kuckuck, wo nur? Versteckt musste hier etwas sein, davon war er überzeugt. In der Koje? Rudi hob die Steppdecke auf. Da! Der Junge erblickte eine Reihe von Säckchen aus weißer Leinwand unter der Decke. Er betastete sie. So glatt fühlte sich das von außen an, als ob in den Leinenbeuteln noch Gummisäckchen steckten, und diese mussten irgendein Pulver oder sonst einen nachgiebigen Stoff enthalten.

Jetzt hörte er Schritte auf dem Gang. Schnell zog er die Decke wieder über die Koje und machte sich am Waschtisch zu schaffen. Schon flog die Tür auf. Rasati trat herein und herrschte ihn grob an: »Was machen Sie hier?«

»Ich bringe Ihre Kabine in Ordnung, Herr Rasati.«

»Dazu ist jetzt keine Zeit. Scheren Sie sich auf Deck und bedienen Sie gefälligst die Fahrgäste!«

Rudi verschwand, zufrieden, so glimpflich davonzukommen. Rasati blieb zurück und schob den Riegel vor. Misstrauisch blickte er sich um. Lange haftete sein Blick an der Bettdecks. War die nicht verschoben? War sie vorher nicht mit den Kanten unter die Matratze geschlagen, während sie jetzt frei hing? Endlich hob er sie auf und stellte mit einem Gefühl der Erleichterung fest, dass die Beutel vollzählig vorhanden waren. Sorgfältig verbarg er sie unter seiner Wäsche in der Lade und warf sich dann in einen Stuhl. Kein Zweifel, eine fremde Hand hatte sich an der Decke zu schaffen gemacht. Wer anders als der Steward Wagner konnte das gewesen sein? Hatte er sie aufgehoben und das, was darunter steckte, gesehen? Gleichviel, ob ja oder nein; der Mensch hatte sich verdächtig gemacht. Wütend ballte Rasati die Faust. Wer konnte wissen, wieviel Rudi in seinem Schlupfwinkel von dem französisch geführten Gespräch aufgeschnappt hatte? Tat, als ob er kein Französisch verstünde! Verdächtig! Und jetzt? Was hatte der gerade jetzt in der Kabine zu suchen? Mehr als verdächtig! Ein Spion war das, der hinter ihm herschnüffelte.

Rasati sprang auf und presste die Zähne knirschend zusammen. In rasender Wut verzerrten sich seine Züge. Wie ein Raubtier, das sich zum Sprung anschickt, stand er in der engen Kabine. Verwünschungen ohne Maß und Zahl kamen über seine Lippen. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Minutenlang dauerte dieser Ausbruch wildester Wut. Dann sank Rasati wie erschöpft auf den Stuhl zurück. Das Spiel seiner Züge veränderte sich; eine harte, zu allem fähige Entschlossenheit sprach aus ihnen. Scharf starrten seine Augen in die Ferne.

Dumpf und heiser heulte die Schiffssirene auf. Es war das Signal, dass die »Usakama« im Begriff stand, an den Pier zu gehen. Der dröhnende Schall riss Rasati in die Wirklichkeit zurück. Mit Gewalt zwang er sich zur Ruhe. Als er die Kabine verließ, waren seine Züge unbewegt und gleichmütig. Auch ein scharfer Beobachter hätte nur Dienstbeflissenheit für die Fahrgäste des Schiffes aus ihnen lesen können.

Der letzte Zug nach Kairo war schon fort, als die »Usakama« ihre Fahrgäste in Port Said an Land gab. Für heute ließ sich nichts mehr unternehmen. Doktor Gransfeld nahm ein Zimmer im Splendidhotel und gab ein dringendes Telegramm mit bezahlter Rückantwort an seinen Onkel auf. Mochte die ägyptische Postverwaltung beschaffen sein, wie sie wollte, auf diese Weise hoffte er doch wenigstens bis zum nächsten Morgen eine Antwort aus Syut zu bekommen. Dann unternahm er noch einen kurzen Spaziergang durch die Stadt bis zum Denkmal von Ferdinand Lesseps, der hier einst mit kühner Hand zwei Erdteile durch eine künstliche Wasserstraße getrennt hatte.

Mit dem Vorsatz, sich sofort zur Ruhe zu begeben, kehrte Doktor Gransfeld schließlich zum Hotel zurück. Als er schon vor dem Lift stand, drang vom Gesellschaftssaal her Musik an sein Ohr. Eine europäische Kapelle war es und, wie es schien, sogar eine recht gute. Er änderte seine ursprüngliche Absicht und beschloss, dort noch ein paar Stunden zu verbringen. Vielleicht, dass inzwischen noch die telegraphische Antwort kam.

In einer Nische, zwischen springenden Wassern und Pflanzengruppen, fand er einen zusagenden Platz. Leicht gedämpft drangen die Klänge des Orchesters hierhin, und während er selbst halb versteckt saß, konnte er den größten Teil des Saales bequem überblicken. Reichlich international war die Gesellschaft, die sich hier aus drei Weltteilen zusammengefunden hatte. Neben englischen Beamten, die ihr Dienst nach Ägypten rief, neben Franzosen und Holländern, die auf dem Wege nach den hinterindischen Kolonien waren, sah man auch allerlei dunkelhäutige Gestalten, die aus dem Inneren Arabiens und des Sudans stammten. Auch solche Gesichter erblickte er, die er von der »Usakama« her kannte.

Der Herr am vierten Tisch dort, war das van Holsten oder war er's nicht? Eben noch glaubte Gransfeld seiner Sache sicher zu sein, aber im nächsten Augenblick begann er schon wieder zu zweifeln. Er kniff die Augen zusammen, um schärfer zu sehen. Unbedingt, er war's, musste es sein. Dennoch, wie merkwürdig verändert sah der Mann aus, viel jünger als auf der »Usakama«! Auch hatte er eine ganz andere Haartracht. Sogar die Farbe des Haares kam Gransfeld verändert vor. Hätte er sich den Holländer damals bei dem Auftritt mit dem kleinen Steward nicht so genau angesehen, er würde ihn trotz seiner guten Augen nicht wiedererkannt haben. Eigenartig war diese Veränderung des Äußeren und so geschickt ausgeführt, dass Gransfeld nicht einmal sagen konnte, was eigentlich echt war, jenes ältere Aussehen an Bord oder diese verjüngte Erscheinung hier. Zweifellos war der Holländer in den wenigen seit der Landung des Schiffes verflossenen Stunden auch beträchtlich dünner geworden. Als einen etwas beleibten Herrn in mittleren Jahren hatte Gransfeld ihn von der »Usakama« her in der Erinnerung, als ein jüngerer, schlanker Mann tauchte er hier auf. Bemerkenswert war auch der andere, mit dem er zusammensaß. Ein schwarzer Spitzbart umrahmte das dunkelgelbe, schmale Gesicht. Darin saß eine gebogene Adlernase und darüber ein Paar brennende Augen. Fast blauschwarz war das Haar.

Ein eifriges Gespräch war zwischen den beiden im Gange. Mitternacht war bereits vorüber, als sie sich erhoben und in die Empfangshalle gingen. In kurzer Entfernung folgte ihnen Gransfeld und sah, wie der Pförtner ihnen ihre Zimmerschlüssel aushändigte. Während sie zum Lift gingen, blieb Gransfeld vor der schwarzen Tafel stehen, auf der die Namen der Hotelgäste angeschrieben standen. Er schaute auf die leeren Haken, von denen der Pförtner eben die Schlüssel abgenommen hatte, und auf die Namen daneben. Konstantinos Megastopoulos, Smyrna, las er an der einen Stelle. Aha, ein Grieche aus Kleinasien! Van der Meeren, Rotterdam, stand an der andern.

Gransfeld krauste die Stirn und pfiff durch die Zähne. Oho, mein Junge, du veränderst also nicht nur dein Aussehen, du wechselst auch deinen Namen! Auch da weiß man nicht, was echt und unecht ist; vielleicht ist alles beides falsch. Er trat an das Pult, um sich seinen Schlüssel zu holen. Der Pförtner überreichte ihm außerdem noch ein beschriebenes Blatt, eine telefonische Mitteilung vom Hauptpostamt in Port Said. Seine Depesche nach Syut sei unbestellbar, der Adressat verstorben. –

Als die Sonne des nächsten Tages aufging, saß Doktor Gransfeld schon seit einer Stunde im Schnellzug, der ihn nach Süden hin, nilaufwärts führte. Als sie tief im Westen stand, verließ er die Eisenbahn in Syut.

Ein freier Platz lag vor dem Bahnhof. Vergeblich suchten verstaubte Tamariskenboskette den Anschein von Parkanlagen vorzutäuschen. Dazwischen hielten ein paar Mietautos, die früher in Europa bessere Tage gesehen hatten. »Syut wird Weltstadt«, murmelte Gransfeld vor sich hin, obwohl ihm nicht zum Scherzen zumute war.

Durch gewundene Straßen und über gestreckte Alleen brachte der Kraftwagen ihn zum Hause seines Oheims. Das untere Stockwerk war erleuchtet. Nach einigem Klopfen und Klingeln öffnete sich das Tor, und Himati kam an die Gartentür. Elend und kummervoll sah der Boy aus. Während Gransfeld dem Inder in das Haus folgte, holte er die Einzelheiten über das traurige Ereignis brockenweise aus ihm heraus. Am vorgestrigen Abend war der gute Sahib eingeschlafen. Vor zwei Stunden war Mister Mac Kennah, der Arzt der Irrigation Company, von Assuan gekommen. Er war noch bei dem Toten, um die letzten Förmlichkeiten zu erledigen.

Gransfeld traf den Arzt im Schlafgemach. Ergriffen stand er vor dem Toten, der schon in den Sarg gebettet war. Noch ein letzter Blick auf die bleichen Züge, dann wurde der Deckel aufgelegt und verschraubt.

George Gransfield sollte im Park des Krafthauses beigesetzt werden. Dort, wo einst unter seiner Leitung die riesigen Werke entstanden waren – so hatte er es verfügt –, wollte er zum letzten Schlummer gebettet sein.

Gransfeld ging mit dem englischen Arzt in das Wohnzimmer.

»Ein trauriger Fall, Mister Gransfeld, der plötzliche Tod Ihres Oheims.«

Gransfeld nickte. »In der Tat, Sir. Ich hatte nicht erwartet, an ein Totenbett zu kommen, obwohl – schwer leidend war mein Onkel seit Jahren.«

»Er war es. Aber – er brauchte noch nicht zu sterben; den schlimmen Ausgang hat er durch den regelmäßigen Gebrauch von Betäubungsmitteln selbst beschleunigt.«

Gransfeld blickte erstaunt auf. »Ich verstehe nicht. Wie meinen Sie das?«

»Well, Mister Gransfeld, zu Ihnen als Arzt kann ich offen sprechen. Der Tod Ihres Onkels ist durch die übergroße Dosis eines Betäubungsmittels eingetreten. Nur die Rücksicht auf seine Stellung bei der Irrigation Company hat mich davon abgehalten, eine Vergiftung als Todesursache in die Sterbeurkunde zu schreiben. Sie begreifen, der Ruf der Company, das unliebsame Aufsehen, das ein solcher Fall hervorrufen würde – ich habe es vorgezogen, einfach eine akute Herzlähmung als Todesursache anzugeben. Ihnen aber, als dem nächsten Verwandten, möchte ich doch auf alle Fälle reinen Wein einschenken.«

Gransfeld fuhr auf. »Wie ist das möglich, Kollege? Sollte mein Oheim absichtlich …?«

Der Engländer zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht; niemand kann es wissen. Vielleicht ist in der Benommenheit ein Versehen geschehen, vielleicht liegt aber auch Absicht vor. Tatsache ist, dass Ihr Oheim zur Linderung seiner Schmerzen seit Jahren Betäubungsmittel benutzte. Dies hier« – er reichte Gransfeld eine größere Pappschachtel – »fand ich neben seinem Lager; es enthält, wenn ich mich nicht täusche, Heroin, und zwar ein Mehrfaches der tödlichen Dosis. Es ist mir unbegreiflich, wie Ihr Oheim derartige Mengen überhaupt in seinem Besitz haben konnte.«

Gransfeld schüttelte den Kopf. »Unverständlich, in der Tat, wenn das wirklich Heroin ist. Kein gewissenhafter Arzt würde seinem Patienten eine solche Menge auf einmal verschreiben. Trotzdem, mein Onkel erwartete mich, hatte mich wiederholt eingeladen. Gewiss, er schrieb, dass sein Leiden ihm starke Beschwerden mache, aber keine Spur von Todesahnung oder gar von Todesabsichten ist in seinen Briefen zu finden. Wäre es denkbar, Herr Kollege, dass das Gift von dritter Hand …?«

Mac Kennah schüttelte den Kopf. »Ich halte das für ausgeschlossen, zum mindesten für unwahrscheinlich. Wer sollte an solchem Mord – offenkundiger Mord wäre das ja – ein Interesse haben?« –

Am nächsten Morgen folgte die Beisetzung George Gransfields so, wie er sie gewünscht hatte. Ein Gefolge von Ingenieuren und Angestellten der Bewässerungswerke gab ihm das letzte Geleit.

Nachdenklich kehrte Gransfeld in das verwaiste Haus zurück und ging daran, den Nachlass des Verstorbenen zu ordnen. Wenn Doktor Lüders behauptet hatte, dass der Chefingenieur der Irrigation Company ein Vermögen zurückgelegt haben müsse, so hatte er damit nicht zu viel gesagt. Gransfeld fand Belege und Abrechnungen über Bankdepots in Deutschland und Ägypten, die seine Erwartungen übertrafen. Hier war zweifellos alles in Ordnung. Ein Dritter konnte an diese Gelder nicht herankommen. Der Verdacht, den er gestern einen Augenblick gehegt hatte, begann zu schwinden.

Blieb noch die Kunstsammlung des Verstorbenen. Vieles davon befand sich nach den vorliegenden Aufzeichnungen in Bankdepots in Deutschland. Nur weniges musste hier im Hause sein, darunter das bei weitem schönste und wertvollste Stück, die Statuette des Sethos. Gransfeld ließ Himati kommen und fragte ihn danach.

Dieser, immer noch niedergeschlagen, verwirrt und verstört, zuckte die Achseln. »Das kleine Standbild, ich weiß. Der Sahib verwahrte es in dem eisernen Schrank. Am letzten Tage noch befahl er mir, es zu holen. Auf den Tisch neben ihm musste ich es hinstellen. Der Sahib liebte das Bild. Lange Zeit hat er es oft angeschaut.«

Gransfeld wurde ungeduldig. »Schon gut, Himati. Wo ist die Statuette geblieben? Im Tresor ist sie nicht, hier irgendwo draußen auch nicht. Wo hast du sie gelassen?«

Himati wurde noch verwirrter und stotterte, als er weitersprach. »Das Steinbild, Sahib – ja, das Steinbild … Der griechische Herr war bei meinem guten Sahib, hierauf ging er fort. Dann, als ich meinen Herrn in das Haus bringen wollte« – ein Schluchzen erschütterte die Gestalt des Inders – »da fand ich ihn tot. An das Steinbild habe ich nicht weiter gedacht.«

Gransfeld fasste den Boy scharf ins Auge. »Du bist aber dafür verantwortlich, Himati. Die Statuette hat einen großen Wert. Man wird sagen, Himati, dass du sie genommen habest.«

Der Inder zuckte zusammen. Einen Augenblick spielte seine braune Gesichtsfarbe in ein blasses Grau über, dann strömte ihm das Blut wieder in die Wangen. »Sahib! Ich meinen guten Herrn bestehlen? Wer das sagt, der kennt Himati nicht. Dreißig Jahre habe ich ihm treu gedient. Schon in Indien bin ich bei ihm gewesen. Gute Tage habe ich bei ihm gehabt, Geld habe ich sparen können. Ich meinen Herrn bestehlen? Niemals, Sahib, niemals!« Schluchzend sank der Boy zu Boden.

Gransfeld fühlte, dass er zu weit gegangen war. »Ich sage nicht, Himati, dass du die Statuette genommen hast; aber die andern werden es sagen, wenn wir sie nicht finden. Wer war außer dir noch hier im Hause?«

»Der griechische Herr, Sahib, nur der griechische Herr, sonst niemand.«

»Der griechische Herr? Wer ist das?«

»Herr Megastopoulos, Sahib. Er besuchte meinen Herrn oft.«

Bei der Nennung dieses Namens kam Gransfeld eine Erinnerung. Megastopoulos? Hatte er den Namen nicht vor zwei Tagen im Hotel in Port Said gelesen? »Megastopoulos? Ist das ein mittelgroßer Herr mit schwarzem Haar und Spitzbart? Meinst du diesen, Himati?«

»Ja Sahib, das ist er, so sieht er aus.«

»So, so? Der war hier? Sahst du ihn fortgehen?«

»Ja, er kam zu mir. ›Himati, dein Herr schläft‹, sprach er und sagte, dass er morgen wiederkommen wolle.«

»Er ist aber nicht wiedergekommen?«

»Nein, Sahib, er ist nicht wiedergekommen.«

»Wie war er gekleidet, als er dich verließ?«

»Wie immer, Sahib. Er trug einen grauen Anzug, darüber einen weiten Raglan.«

Eine Weile stand Gransfeld nachdenkend. »Einen weiten Raglan, sagst du, Himati? Konnte er da wohl die Statuette drunter verbergen, ohne dass du etwas davon merktest?«

Schnell kam die Antwort des Boys. »Ja, Sahib, das wäre möglich gewesen.«

Geraume Zeit schwiegen beide, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Dann sprach Gransfeld: »Das Haus wird nun zugeschlossen, Himati, bis ein neuer Herr von der Company hierher kommt. Wo wirst du hingehen?«

»Sahib, ich habe mir im Dienste meines alten Herrn Geld gespart. Ich werde nach Alexandria gehen und am Hafen eine Garküche aufmachen.«

»Du wirst also zu finden sein, wenn man dich sucht?«

»Ja, Sahib.«

Als Gransfeld nach Erledigung der letzten Angelegenheiten das Haus verließ, um nach Port Said zurückzukehren, enthielt sein Notizbuch die neue Adresse, unter der er Himati in Alexandria erreichen konnte.

Tag und Nacht hatten die Krane im Hafen von Port Said gearbeitet, um die Ladung der »Usakama« zu löschen und neue Lasten in ihren Leib zu senken. Mit Hochdruck waren die Kabinen und Gesellschaftsräume gesäubert und für die Aufnahme neuer Fahrgäste bereitgemacht worden. Fahrplanmäßig ging das Schiff am Abend des fünften Tages nach seiner Ankunft wieder aus dem Hafen. Langsam schob sich der gewaltige Rumpf zwischen den massigen Molen von Port Said nach Westen. Jetzt fuhr es an den letzten Leuchtfeuern vorbei. Ein leises Schwanken des Schiffes verriet, dass die offene See erreicht war. Stärker wurde das Spiel der Schrauben und schneller die Fahrt.

Das Achterdeck war leer. Am hintersten Teil neben dem Flaggenstock lehnte sich Rudi über die Reling und blickte auf das Schraubenwasser. Der schaumige Wasserstreifen war durchsetzt von unzähligen Lichtflecken. Seequallen waren es, die die Schrauben bei jeder Umdrehung zu Hunderten emporwirbelten und zum Leuchten reizten. Rudi vergaß Zeit und Raum über diesem Schauspiel.

Da traf unversehens ein schwerer Schlag seine Schläfen, die Sinne schwanden ihm.

Ein Gefühl der Kühle war die erste Empfindung, die er wieder hatte. Wasser war um ihn! Unwillkürlich machte er Schwimmbewegungen. Wo war er? Weit vor ihm waren der Rumpf und die Rauchfahne der »Usakama« zu erkennen. Weites Meer um ihn herum, das sich in langer Dünung hob und senkte. Hinter ihm die Molenlichter von Port Said. Dies war wenigstens ein Richtpunkt in der Wasserwüste, eine Möglichkeit der Rettung, wenn es ihm gelang, die Mole zu erreichen. Doch eine lange Strecke war es bis dorthin. Würden seine Kräfte reichen? Gab es etwa Haifische? Im Hafen von Port Said hatte er welche gesehen. Waren sie auch hier, im offenen Meer, dann …

Rudi war ein tüchtiger Schwimmer. Geschickt entledigte er sich der Kleidung, soweit sie ihm hinderlich war, und begann in langen, kraftsparenden Stößen auf das Molenlicht zuzuschwimmen. Stunden verrannen darüber. Nur noch matt und mechanisch führte sein Körper die Bewegungen aus, während sein Geist abzuirren begann. Schon zeigte sich im Osten der schwache Schein kommender Dämmerung. Noch war er dem Molenfeuer nicht näher gekommen, es schien ihm sogar ferner denn je zu sein. Zu heftig war die Meeresströmung, die ihn abtrieb. Dunkel und traumhaft wurden Rudis Gedanken. Kaum fühlte er noch, wie seine Kräfte nachließen. Ein paar Schwimmstöße, eine Spanne wohliger Müdigkeit – jetzt sich wegsacken lassen, den Seemannstod sterben!

Die Flut ging bereits über seinen Kopf hinweg. Noch einmal riss er sich in einem letzten Aufflackern des Selbsterhaltungstriebes zur Oberfläche des Wassers empor. Dann schwanden ihm die Sinne.

Um acht Uhr morgens meldete Rasati dem Ersten Offizier der »Usakama«, dass der Steward Rudi Wagner vermisst werde.

2. Zurück nach Hamburg

Inhaltsverzeichnis

In Port Said suchte Gransfeld den deutschen Konsul auf und besprach mit ihm die Vorfälle in Syut: das Fehlen der wertvollen Statuette, die Besuche des rätselhaften Griechen, die Todesursache seines Oheims, die Möglichkeit einer Vergiftung.

Der Konsul schüttelte den Kopf. »Das Gesindel der ganzen Welt ebenso wie die beste Gesellschaft der ganzen Welt kommen hierher. Sie wundern sich darüber, dass Ihr Oheim derartige Mengen von Rauschgift in seinem Besitz haben konnte? Verehrtester Herr Doktor, wenn Sie wüssten, wie dieser verbotene Handel hier blüht! In Alexandria und Kairo können Sie das Zeug beinahe offen auf der Straße kaufen. Läuft in Port Said oder Alexandria ein Dampfer von Europa ein, dann gibt es jedesmal einen Höhepunkt in diesem unsauberen Geschäft. Trotz allen Anstrengungen ist die ägyptische Polizei machtlos dagegen. Ich halte es auch für unmöglich, Herr Doktor, in Ihren Angelegenheiten mit Hilfe der Polizei etwas zu ermitteln. Wenn Sie irgendwelche Schritte unternehmen wollen, stehe ich Ihnen natürlich pflichtgemäß zur Verfügung. Doch, wie gesagt, nach meinen Erfahrungen im Orient wird dies zwecklos sein.«

Nach längerem Überlegen antwortete Gransfeld: »Ich muss mich Ihrer größeren Erfahrung fügen, Herr Konsul, obwohl mir der Entschluss nicht leicht fällt. Wenn Sie der bestimmten Meinung sind, dass ich hier nichts mehr für die Aufklärung dieser Vorfälle unternehmen kann, will ich lieber mit dem nächsten Dampfer wieder nach Deutschland zurückkehren.«

Der Konsul warf einen Blick auf die Schiffsliste an der Wand. »In drei Tagen geht die ›Warana‹ von Port Said ab, ein Achttausendtonner, der gut besetzt werden dürfte. Ich empfehle Ihnen, sich bei der Agentur sofort Ihre Überfahrt zu sichern.«

Gransfeld verabschiedete sich. Er stand im Begriff, über einen breiten Gang zur Treppe zu gehen, als sein Blick durch eine geöffnete Tür in einen Wirtschaftsraum fiel. Da drinnen machte sich jemand an Töpfen und Schüsseln zu schaffen. Viel zu weit war der weißleinene Anzug, der um die Glieder der Gestalt schlotterte. Aber das Gesicht, das hatte Gransfeld schon irgendwo gesehen, das kannte er doch! Wie aber war das möglich? Die »Usakama« musste doch jetzt schon in Genua sein. Gransfeld trat näher. »Hallo, Rudi! Sind Sie's oder nicht?«

Der Angerufene zuckte zusammen und wandte das Gesicht voll der Tür zu.

Kein Zweifel mehr, es war Rudi. »Menschenskind, was haben Sie hier unter den Töpfen unseres Konsuls zu schaffen, während Ihr Schiff schon wer weiß wo steckt?«

Erst jetzt erkannte der Junge den Doktor, und ein heller Freudenschein flog über sein Gesicht. »Ja, Herr Doktor, ich bin's. Ich bin bei der Ausfahrt über Bord gefallen und wurde, als ich am Wegsacken war, von einem Lotsenkutter aufgefischt und hierher zu unserm Konsul gebracht. Der scheint mir das freilich nicht recht glauben zu wollen. Er denkt wohl, ich hätte dumme Streiche gemacht und sei absichtlich über Bord gesprungen, um von der ›Usakama‹ wegzukommen. Als ob ein Mensch, der seine fünf Sinne zusammen hat, freiwillig in das Haifischwasser springen würde!«