Mondglanz - Grace Kialunda - E-Book

Mondglanz E-Book

Grace Kialunda

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Beschreibung

»In meiner Dunkelheit hast du mich erleuchtet wie der Mond.« Ein langweiliges Firmenevent mit Abendrobe und Kaviar? Das kommt für Aurelie nicht infrage, sie bevorzugt legere Kleidung und Junkfood. Aber um ihrer besten Freundin einen Gefallen zu tun, schmeißt sie sich für die Feier von Josephines Vater in Schale und versucht den Abend so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Das es zu einer unerwarteten Begegnung mit dem Straßenmusiker Izzy kommt und er ihre Gefühlswelt auf den Kopf stellt, damit hat sie nicht gerechnet. Doch Izzy hütet ein kompliziertes Geheimnis, das ihre aufflammenden Gefühle auf eine harte Bewährungsprobe stellt.

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Seitenzahl: 234

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Aurelies Playlist

The 126ers – Innocence

Taylor Swift – Cardigan

Tate McRae – greedy

Josh Kirsch – New Tattoo

Vanessa Hudgens – Say Ok

Lizzy McAlpine – ceilings

Harry Styles – Watermelon Sugar

Natural – Endless Love

Iris – Goo Goo Dolls

Lauv – Love U Like That

Kevin MacLeod – Easy Day

Katy Perry – Harleys in Hawaii

Billie Eilish – Ocean Eyes

Aakash Gandhi – One Step Closer

Lorde – Green Light

Bruno Mars – Talking to the Moon

Lana Del Rey – Summertime Sadness

The 126ers – Windows Rolled Down

Elley Duhe – Middle of the Night

Billie Eilish – What was I made for?

Ludovico Einaudi – Almost June

Lana Del Rey – Young and Beautiful

Inhaltsverzeichnis

Aurelies Playlist

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

Nachwort

Kapitel 1

Eine leichte Sommerbrise wehte durch mein offenes schwarzes Haar, als ich an diesem frühen Juniabend vor meiner Haustür stand und versuchte, den etwas zu engen Blazer zuzuknöpfen. Eigentlich war es nett von meiner Freundin Josephine, mir ein komplettes Outfit für die Firmenfeier ihres Vaters zu borgen, da es in meinem Kleiderschrank nun mal keine schicken Teile gab. Aber leider fand ich ihre Auswahl schrecklich und hätte ihren angebotenen Outfitcheck in Anspruch nehmen sollen. Tja, im Nachhinein war man immer schlauer. Trotzdem war ich zumindest froh darüber, dass das ausgesuchte schwarze Cocktailkleid halbwegs passte. Nach mehreren vergeblichen Versuchen beschloss ich, das Jackett einfach offenzulassen und mich damit zu trösten, dass ich eh nicht länger als nötig bleiben würde. Solche steifen Partys waren einfach nicht meins.

Ich sah mich vorsichtig um, ehe ich die Straße überquerte. Mit Blick auf meine Armbanduhr stellte ich fest, dass ich nur noch zehn Minuten Zeit hatte, um meine Bestie wie vereinbart in der Stadt zu treffen. Denn sie sah nicht davon ab, ihrem Vater ein Last Minute-Geschenk – in diesem Fall seinen Lieblingswein – zu besorgen. Auch wenn diese Geste in erster Linie lieb gemeint war, kannte ich sie gut genug, um zu wissen, dass sie unnötig herumtrödeln und sich von allen möglichen Dingen, die ihr ins Auge fielen, ablenken lassen würde. Ich seufzte bei dem Gedanken daran. Ebenso, weil ich mich daran erinnern musste, mich heute Abend zusammenzureißen und bei Gesprächen, bei denen ich nicht mithalten konnte, freundlich zu lächeln.

Denn ich hatte weder Millionen auf dem Konto noch reiche Verwandte, die mich zum Studieren nach Harvard schicken konnten. Stattdessen kam ich mit vierzehn ins Heim, weil meine sogenannten Eltern mit der Erziehung überfordert und der Meinung waren, dass ich die Mühe nicht wert sei. Kurzum: Das Ganze war mittlerweile fünf Jahre her und ich hatte keinen Kontakt mehr zu ihnen.

Ich marschierte in den Weinladen hinein und konnte Josi in den Gängen zuerst nicht finden. Doch als ich einen flüchtigen Blick in Richtung Käsetheke warf, stand sie in einem schwarzen knielangen Kleid dort und flirtete ausgiebig mit dem jungen Angestellten hinter dem Tresen.

Ich blickte erneut auf die Uhr. Um die komplette Straße herunterzulaufen, brauchten wir zehn Minuten und wenn wir uns nicht spurteten, würden wir zu spät zur Feier kommen. Daher blieb mir nur eins übrig: Ich musste ihr ordentlich die Tour vermiesen, um sie schnell aus dem Geschäft zu bekommen. Also schlich ich mich langsam an sie heran und erschreckte sie von hinten, wobei sie ängstlich zusammenzuckte und dramatisch eine Hand auf ihre Brust legte.

»Duuuu!«

Wenn sie wütend war, kräuselte sie ihre Lippen immer so komisch. Daraufhin legte ich sogar noch eine Schippe drauf. »Wo hast du denn deinen Freund gelassen? Ich dachte, wir wollten uns hier mit ihm treffen?«

Schlagartig veränderte sich der Blick des Händlers und plötzlich fiel ihm wohl auch wieder ein, dass er auf der Arbeit war, was mich schmunzeln ließ.

Aber als Josi mich mit hochrotem Kopf wegzerrte und wortlos die Weinabteilung ansteuerte, wusste ich, dass mir gleich eine Standpauke drohte.

»Deinetwegen kann ich den süßen Käseverkäufer jetzt vergessen. Und das obwohl ganz fett auf seiner Stirn stand: Möchtest du ein Date mit mir?«

Ich musste grinsen, während sie endlich vor dem richtigen Weinregal stoppte und sich eine der hintersten Flaschen schnappte. Immerhin gab ich ihr als Einzelhandelskauffrau den gut gemeinten Tipp, dass neue Ware nach hinten sortiert wird.

»So, wie er dich gescannt hat, meinst du wohl eher: Voulez-vouz coucher avec moi? Außerdem sollten wir uns langsam auf den Weg machen.«

Nachdem wir den Einkauf erledigt hatten, bekam ich auf der zehnminütigen Strecke, die wir zurücklegen mussten, einen dicken Hals, weil die hässlichen Schuhe auch noch zu drücken begannen.

»Hey, wo bleibst du denn, Aurelie? Waren deine Worte nicht, dass wir uns beeilen sollten?«

Josi, die mittlerweile ein paar Meter vor mir lief und sich nun elegant ihre blonde Mähne über die Schulter warf, hatte leicht reden. Immerhin trug sie ständig High Heels und schlief womöglich auch mit den Dingern. Ich dagegen hatte mit fünfzehn zum letzten Mal welche angehabt und musste darin schnell die Kurve kratzen, da der Türsteher checkte, dass ich doch nicht volljährig war.

So betrunken wie ich gewesen war, knickte ich auf den hohen Hacken dauernd um und schwor mir im wieder nüchternen Zustand, lieber den Frauen das Tragen zu überlassen, die ihren Füßen keinen Gefallen tun wollten.

»Für dich ist das ja kein Problem. Immerhin rennst du sogar in diesen Schuhen rum, ohne dabei müde zu werden. Aber als du gesagt hast, dass sie bequem seien, habe ich dir geglaubt.«

»Hä? Das sind sie doch auch!«

Ich schüttelte mit dem Kopf und schnaubte. Außerdem fragte ich mich, weswegen wir laufen mussten, wo sie doch einen Chauffeur hatte. Klar, vom Laden bis zu der Firma ihres Vaters war der Weg jetzt nicht allzu lang, aber trotzdem. Wenn man sich schon einen Chauffeur leisten konnte, sollte man meiner Meinung nach auch Gebrauch davon machen.

Ein paar Minuten stakste ich noch murrend hinter Josi her, ehe sie plötzlich bei einer kleinen Menschenmenge stehen blieb. Erst verstand ich nicht, was los war und wollte bereits protestieren, als ich die Klänge einer Gitarre vernahm.

Kurz darauf stimmte eine tiefe, gefühlvolle Stimme die Coverversion eines bekannten Songs an und ich hielt ebenfalls verblüfft an.

»Wow, die Version ist nicht schlecht«, flüsterte Josi mir zu.

Nein, das war sie tatsächlich nicht. Auch den Passanten schien recht gut zu gefallen, was der Straßenmusiker da von sich gab. Viele von ihnen warfen etwas in den kleinen Coffee-to-go-Becher zu seinen Füßen, ehe sie seiner Darbietung eine Weile lauschten und dann weiterzogen. Wir standen noch eine kurze Zeit da, bevor ich auf die Uhr blickte und Josi daran erinnerte, dass ihr Vater Priorität hatte und nicht der Blondschopf mit den stahlblauen Augen.

»Stimmt, wir sollten allmählich los. Nicht dass wir uns verspäten und mein Vater mich deswegen einen Kopf kürzer macht.«

Da konnte ich ihr nur zustimmen.

Als Erbin eines luxuriösen Autohauses sollte sie ihren Pflichten nachkommen und sich nicht von irgendwelchen Kerlen ablenken lassen. Auch wenn ich zugeben musste, dass er äußerlich schon was hermachte.

Nach dem nächsten Song versuchte ich, Josi weiterzuziehen. Allerdings groovte sie noch fröhlich ab und bewegte sich passend zum Sound der Gitarre.

»Ich sag es dir, der hat es voll drauf. Würde er ein Konzert geben, wäre ich sofort dabei!«

Das glaubte ich ihr aufs Wort, aber zu ihrer Verteidigung spielte er auch einfach großartig.

»Hast du vielleicht etwas Kleingeld bei dir?«, fragte ich Josi leise, damit der Abgang nicht allzu peinlich wurde.

»Nein. Du?«

»Ich würde nicht fragen, wenn ich selbst etwas in der Tasche hätte. Mein Lohn kommt doch erst übermorgen.«

»Und du weißt, dass ich nur Kreditkarten im Geldbeutel habe, da das Kleingeld einfach lästig ist.«

Ja, wie hätte ich das nur vergessen können.

Unsere bayrische Prinzessin hatte mehr Geld, als sie ausgeben konnte und trotzdem nicht mal einen Cent in der Tasche.

»Und was machen wir jetzt?«

»Na gehen. Was denn sonst?«, entgegnete Josi und lief daraufhin los, während ich noch herumstand und einer der letzten Zuschauer war.

Toll ... wirklich toll. Wie sollte ich denn jetzt möglichst unauffällig verschwinden? Das Einzige, was mir in den Sinn kam, war, dass ich bloß keinen Augenkontakt mit dem Kerl haben durfte.

Gerade war er dabei, seine Gitarre neu zu stimmen.

Also wandte ich mich schnell von ihm ab und entfernte mich zügigen Schrittes.

Was dann geschah, hatte ich nicht kommen sehen.

»Wäre eine kleine Anerkennung nicht angebracht?«

Redete er etwa mit mir? Ja, sicher meinte er mich. Immerhin war ich eine der letzten, die ging.

Weil ich mich zu sehr schämte, ihm in die Augen zu sehen, marschierte ich einfach weiter.

»Geizig und hochnäsig noch dazu! Also euch Reiche werde ich nie verstehen.«

Das hatte er jetzt nicht gesagt, oder? Ich blieb stehen und blickte über die Schulter genervt zu ihm zurück. »Meinst du etwa mich mit dieser Aussage?«

»Nein, Mutter Teresa. Natürlich mein ich dich!«

Was für ein ungehobelter Wichtigtuer! Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen und wirbelte zu ihm herum.

»Ist es denn Pflicht, einem Straßensänger, der es nicht auf die große Bühne geschafft hat, Almosen zu geben?«

Nun fuhr er sich verschmitzt grinsend durch seine blonden Haare, die er zu einem Dutt nach oben gebunden hatte.

»Ihr seid zu gar nichts verpflichtet. Aber gebietet das nicht der Anstand? Und wenn ich dich in deinen Schickimicki-Klamotten sehe, könntest du neben deinem High-Society-Leben ruhig auch mal etwas Menschlichkeit zeigen.«

War das jetzt sein scheiß Ernst? Dachte er wirklich, dass ich zu den Reichen gehöre? Klar, meine Kleidung machte zwar was her, aber wenn er wüsste, dass ich im Moment in einer Einzimmerwohnung hauste und von Müsli und Wasser lebte, bis mein Gehalt da war, würde er nicht so über mich reden. Auf eine weitere Diskussion mit ihm hatte ich jedoch keine Lust, da wir sowieso schon spät dran waren. Wenn er meinte, sich weiterhin wegen ein paar Cents aufregen zu müssen, dann bitte schön.

Bei unserer Ankunft in der Firma schallten uns bereits die Musik und das Stimmengewirr der Gäste aus den Fenstern entgegen.

Meine Laune jedoch war im Keller. Statt mich zu unterstützen, hatte Josi es nämlich vorgezogen, ein paar Meter entfernt stehenzubleiben und ständig auf die Uhr zu schauen.

»Du wirst mir nicht glauben, wenn ich dir erzähle, dass mich der Straßenmusiker gerade blöd angemacht hat«, sagte ich genervt.

»Echt?! Du machst Witze, oder? Ich dachte, du hättest ihn wegen seines Talents angesprochen und ihr hättet ein wenig Small Talk gemacht.«

Schnell schilderte ich ihr, was mir widerfahren war, während wir uns unter die Gäste mischten und der Service uns Champagner ausschenkte.

Josi bekam sich vor Lachen nicht mehr ein und meinte, dass dies wohl Karma wäre, weil ich ihr zuvor den Flirt vermasselt hatte. Für mich hatte das allerdings rein gar nichts mit Karma zu tun, sondern lag ausschließlich an diesem eingebildeten Besserwisser, der mit Vorurteilen um sich warf.

Den restlichen Abend versuchte ich, die Feier so gut es ging zu überstehen. Sie lief jedoch genau so ab, wie ich es vorhergesehen hatte.

Ich fühlte mich einfach fehl am Platz.

Ich mochte es noch nie, Fragen über meine Person zu beantworten. Vor allem wenn es darum ging, anderen mehr über meinen Werdegang zu erläutern. Meist folgten darauf entsetzte Seufzer und die Frage, weshalb ich als junges Ding nicht mehr aus meinem Leben machte. Nun, nur wenn man meine komplette Lebensgeschichte kannte, konnte man mich vielleicht etwas verstehen.

Andererseits würde man mich nur wieder bemitleiden, und das wollte ich nicht.

Ich blieb höchstens noch eine Stunde auf der Feier, ehe ich mich bei Josi und ihrem Vater verabschiedete. Anschließend schlenderte ich gedankenverloren durch die Straßen, während allmählich die Dämmerung hereinbrach. Da ich nicht mehr auf Josis Schuhen laufen konnte, zog ich sie kurzerhand aus und legte den Weg nach Hause barfuß zurück. Dabei stellte ich mir selbst die Frage, ob ich mein Leben weiterhin so leben wollte, oder ob ich es tatsächlich endlich anpacken und mich weiterbilden sollte. Denn es gefiel mir nicht, andauernd Hilfe von Josis Familie in Anspruch nehmen zu müssen und das Gefühl zu haben, ihnen auf der Tasche zu liegen.

Deshalb versuchte ich, mit allem allein klarzukommen, wogegen Josi eine rosige Zukunft bevorstand.

Eigentlich war ich nie eine verbitterte Person, die neidisch auf andere war. Ich gönnte jedem Menschen aus tiefstem Herzen sein Glück.

Allerdings stauten sich Frust und die Erkenntnis, dass einiges hätte besser laufen können, mehr und mehr in mir auf.

* * *

Es vergingen ein paar Tage und ich arbeitete wie gewohnt im Supermarkt. Da die Arbeitstage so stressig waren, sahen Josi und ich uns kaum und verabredeten uns daher zum Essen am Wochenende.

Ich übernahm heute das Einräumen der Regale und war gerade tief in meiner Arbeit versunken. Deshalb nahm ich nicht wahr, dass sich ein Kunde dicht hinter mich stellte.

Als ich mich umdrehte und vor Schreck fast ein paar Konservendosen fallen ließ, fing dieser herzhaft an zu lachen.

»Alain, ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass du mich nicht so erschrecken sollst!«, fauchte ich ihn genervt an. Daraufhin hörte er zwar mit dem Lachen auf, dafür kam auf seinem markanten Gesicht jedoch ein belustigtes Grinsen zum Vorschein.

»Sorry. Ich konnte nicht widerstehen, als ich dich so konzentriert sah.«

»Tja, im Gegensatz zu dir arbeite ich wenigstens.« Nun schmunzelte er. »Ich doch auch. Mit dem kleinen feinen Unterschied, dass ich halt krankgeschrieben bin.«

»Dein Ernst? Ist es nicht mittlerweile schon zwei Wochen her, dass du dich wegen einer Erkältung krankschreiben lassen hast? Wie kommst du nur immer auf die glorreiche Idee, die Krankmeldung zu verlängern, Alain?«

»Na und? Die Viren sind nun mal hartnäckig und muten mir körperlich viel zu.«

Ich schüttelte den Kopf über ihn. »Mach nur so weiter und irgendwann stehst du tatsächlich ohne Arbeit da.«

»Ja, warum nicht? Dann bewerbe ich mich wie meine alte Schulfreundin hier im Supermarkt.« Er zog mal wieder alles ins Lächerliche.

»Damit du mir weiterhin auf den Zeiger gehen kannst? No way!«

Das war typisch für Alain. Schon in der Schule hatte er immer andere die Arbeit für sich machen lassen.

Er war keineswegs ein schlechter Kerl, sah mit seiner mittelbraunen Kurzhaarfrisur sehr gut aus und war eigentlich wahnsinnig intelligent. Allerdings konnte er die Faulheit nur sehr schwer ablegen und verließ sich allzu oft lieber auf sein attraktives Äußeres. »Was verschlägt dich eigentlich in den Supermarkt, brauchst du Proviant für deine angeblichen Krankheitstage?«

Ich wandte mich von ihm ab, um im Gegensatz zu ihm meiner Arbeit weiter nachzugehen.

»Kann man so sagen. Ich habe im Moment Besuch und muss einiges für den Abend einkaufen.«

»Oh! Dein Vater ist in der Stadt?«, fragte ich ihn, ohne mich dabei umzudrehen.

»Nein«, kam es direkt zurück. Seine Antwort ließ mich stutzig werden, also sah ich ihn noch mal an. Er kratzte sich etwas unsicher am Hinterkopf, was meine Vermutung nur noch mehr bestätigte.

»Oh, eine Frau, ja? Hast du dich vielleicht dazu entschlossen, den Damen nicht mehr reihenweise das Herz zu brechen?« Ich zwinkerte ihm zu, und er begann erneut zu grinsen.

»Nein. Ich bin einfach zu hübsch, um mich auf bloß eine Frau festzulegen.«

Ich rollte mit den Augen.

»Aber ... es ist keine Frau, sondern ein Mann.«

Ich konnte mir den verwirrten Blick nicht verkneifen.

»Wow, also ein Outing? Alle Achtung!«

Er schüttelte abermals seinen Kopf. »Nein. Ich biete neuerdings Couchsurfing an und habe jemanden aus Italien in meiner Wohnung zu Gast.«

»Couchsurfing? Mir sagt der Begriff zwar was, aber ... ist das nicht gefährlich, einfach wildfremde Leute auf deinem Sofa schlafen zu lassen?« Er schwenkte seinen Kopf kurz hin und her, während er überlegte. »Ist nicht alles heutzutage mit einem Risiko verbunden? Ich tue das, um anderen zu helfen. Ich hatte selbst schon auf einer Reise nicht mehr genug Geld für eine Übernachtung im Hotel.«

Ich sah das Ganze trotzdem kritisch und sagte ihm das auch. Allerdings wurde ich kurz darauf über unsere Lautsprecher an die Kasse gerufen.

»Ok, ähm ... tu mir bitte den Gefallen und pass auf dich auf, ja? Ich muss jetzt nämlich gehen.«

Er nickte mir zu und wir verabschiedeten uns mit einer kurzen Umarmung, ehe ich ihm noch einmal zuwinkte.

* * *

Am Wochenende traf ich mich wie vereinbart mit Josi zum Abendessen im Restaurant. Wir quatschten über alle möglichen Themen, auch über ihre nervigen Professoren. Während ich ihr beim Lästern zuhörte und ihr ab und zu zunickte, dachte ich mir innerlich nur: Mädchen, sei doch einfach froh, dass du in ein paar Jahren als Anwältin richtig Karriere machen kannst. Immerhin hatte auch ich Wünsche und Träume und hätte zu gern mit ihr getauscht, um mir den Wunsch eines Studiums zu erfüllen.

»Hörst du mir eigentlich zu?«

Ich kam wieder zu mir und bemerkte erst jetzt, dass uns das Essen bereits serviert worden war.

»Sorry, ich war kurz abgelenkt. Ich finde, du solltest nicht so über deine Professoren herziehen. Sei lieber dankbar dafür, dass du studieren und dir den Traum, Anwältin zu werden, erfüllen kannst.«

Sie schob sich nachdenklich eine kleine Portion ihrer Penne mit scharfer Tomatensoße in den Mund.

»Was ist denn jetzt mit dir? Du wolltest doch eine Abendschule besuchen, um dein Abi nachzuholen, oder?«

»Ähm, ja ...«, entgegnete ich ihr und bemerkte, wie skeptisch sie mich plötzlich von der Seite ansah.

»Du hast es noch nicht in Angriff genommen, stimmt's?«

»Nein, weil ich an mir zweifle und nicht sicher bin, ob ich es nach allem, was mir widerfahren ist, wirklich packe und nicht das Handtuch werfe.«

Behutsam legte sie ihre Hand auf meinen Arm.

»Natürlich wirst du das. Daran gibt es keinen Zweifel. Du hast dich in den letzten Jahren durchgeboxt und alle Hürden überwunden. Ich bewundere immer wieder, wie stark du bist, Auri.«

Sie rührte mich mit ihren Worten zu Tränen.

»Außerdem ist es gar keine Frage, dass wir dich finanziell unterstützen.«

Nett gemeint, aber das war ja Teil des Problems.

Ich wollte ihnen nicht mehr auf der Tasche liegen. Denn auch wenn Josi und ihre Eltern wie Familie für mich waren, fand ich, dass es an der Zeit war, endlich eigenständig etwas hinzubekommen.

»Ich weiß, dass ich immer auf euch zählen kann und ihr hinter mir steht. Aber … ich muss es diesmal allein angehen. Ich möchte mir selbst beweisen, dass ich das kann.« Sie nickte mir zu und ich war froh, dass sie mich offenbar verstehen konnte.

Genau das machte uns zu solch engen Freunden. Zudem war ich unendlich dankbar dafür, dass sie mir nach all den Höhen und Tiefen als Freundin geblieben war.

Als wir nach dem Essen durch die Münchener Innenstadt spazierten, kam Josi auf die spontane Idee, in einen Club zu gehen. Ich allerdings hatte nur wenig Lust darauf, mich in einem stickigen Laden zu bewegen, in dem die laute Musik mein Trommelfell malträtierte und der Alkohol nur so in Strömen floss.

»Ich hatte mich auf eine gemütliche Runde auf der Couch gefreut, wo wir Süßes futtern, bis uns schlecht wird.«

Davon war sie wenig begeistert. »Komm schon. Du bist so eine Couch-Potato, echt! Wir haben Wochenende und sollten es uns mal so richtig gut gehen lassen.«

»Ach! Und du meinst, dass ein Club dafür der richtige Ort ist, ja?«

»Natürlich. Die Musik ist schön laut und man kann sich den Stress einfach von der Seele tanzen.«

Nun ... Stress hatte ich zur Genüge, aber tanzen konnte ich nicht. Also würde mir der Clubbesuch nicht viel nützen. Josi hatte jedoch schon immer eine Art an sich, die einen schnell nachgeben ließ.

»Ok, ok, ich bin dabei. Aber merk dir eins: Du schuldest mir mittlerweile schon zwei Gefallen.«

Sie lächelte mich an, ehe wir uns ein Taxi bestellten und uns auf den Weg zu einem nahegelegenen Club machten. Wir kamen ohne große Kontrolle rein und mussten nicht einmal Eintritt bezahlen, weil in dem Schuppen heute Ladys Night war.

»Megacool, der Club, oder?«

Ich nickte Josi zu, als wir an der Garderobe standen und die Jacken endlich abgeben konnten. Daraufhin sahen wir uns erst einmal um, bevor wir uns an der Bar ein paar Drinks genehmigten. Oder vielmehr bevor Josi das tat, ich hingegen bestellte mir lediglich ein großes Glas Leitungswasser.

»Du möchtest tatsächlich mit Wasser anstoßen?«

»Wo ist das Problem?«, wollte ich von ihr wissen.

»Das Problem ist, dass wir in einem Club sind und eigentlich richtig Party machen wollten.«

Ich lehnte mich zu ihr hinüber, musste aber dennoch gegen die laute Musik anschreien. »Hey, besser als nichts, oder? Und seit wann braucht man Alkohol, um so richtig aufdrehen zu können?«

Josi zuckte mit den Schultern und nahm einen kleinen Schluck von ihrem Martinigetränk, ehe sie ihren Blick auf die tanzende Meute lenkte. Obwohl ich anfänglich nicht sonderlich begeistert von der Idee gewesen war, tanzen zu gehen, änderte der DJ schnell meine Meinung. Denn er switchte immer mal wieder von Popmusik zu Hip-Hop, damit alle auf ihre Kosten kamen, was mir sehr gefiel. Als Josi mich irgendwann wieder ansah, wirkte sie auf einmal ziemlich hibbelig.

»Ok. Wie reagierst du, wenn ich dir sage, dass ein gutgebauter großer Kerl auf uns zukommt, der es voll auf dich abgesehen hat?«

Ich dachte, ich höre nicht richtig. »Moment mal … wer soll es auf mich abgesehen haben?« Sie antwortete mir nicht. Stattdessen blickte sie erneut zu der Person, die offenbar auf uns zusteuerte, zurück und schien noch aufgeregter zu sein als zuvor.

»Er ist jetzt ganz nah und spricht dich gleich an. Bleib also cool.«

Ihre Euphorie konnte ich nicht teilen. Deshalb rollte ich mit den Augen wegen des ganzen Tamtams. Kurz darauf stellte tatsächlich jemand sein Getränk neben mir ab. Und als ob das nicht schon genug wäre, rückte er mir auch noch auf die Pelle. Doch als ich mich umdrehte und sah, wer vor mir stand, zuckte ich überrascht zusammen. »Alain? Was machst du denn hier?«

Wir umarmten uns herzlich, wobei Josi uns irritiert musterte. »Wie jetzt ... ihr kennt euch?«

Alains Hand ruhte noch auf meiner Hüfte, als er zu Josi blickte.

»Ja, sicher. Das ist mein alter Schulkamerad, von dem ich dir mal erzählt habe.«

Josi nickte mir zwar zu, sah allerdings ununterbrochen Alain an. Es schien eine gewisse Anziehung zwischen den beiden zu geben, was mir die Art und Weise, auf die sie sich länger als nötig in die Augen schauten, verriet.

Ich musste etwas unternehmen. Also tat ich, was wohl jeder in so einer Situation machen würde.

»Ähm ... Josi, das ist Alain. Alain ... das ist meine Freundin Josi.« Er streckte ihr mit einem flirtenden Blick seine Hand entgegen und sie erwiderte seine Geste mit einem Lächeln, ehe sie einen kurzen Small Talk hielten.

Anschließend wandte er sich mir wieder gentlemanlike zu, damit ich mich nicht ausgeschlossen fühlte.

»Ihr genießt heute also euren Mädelsabend, was?«

»So ist es. Und eigentlich sind Männer in dieser Runde nicht erlaubt.«

Nun hielt er spaßeshalber seine Hände kapitulierend in die Höhe. »Hey, ich wollte einfach nur nett sein und Hallo sagen. Im Übrigen bin ich eh mit dem Kerl hier, den ich momentan auf meiner Couch schlafen lasse.«

Ich blickte überrascht auf. »Was? Ihr geht auch zusammen aus?«

»Na sicher. Er ist schließlich nicht aus Deutschland und braucht jemanden, der ihn ein bisschen rumführt.«

Ok, wenn er meinte.

Ich fand das Couchsurfing nach wie vor gefährlich. Aber wenn er sich dadurch ein paar Cents hinzuverdienen wollte, war das eben seine Sache. Ich leerte mein Glas, während Alain sich umdrehte und mit jemandem quatschte, der sich zu uns gesellte.

Plötzlich veränderte sich Josis Blick und sie hielt sich kichernd die Hand vor den Mund weshalb ich neugierig wurde und mich umdrehte.

»Aurelie, Josi ... ich möchte euch Izzy vorstellen.«

Ich musterte diesen Kerl von oben bis unten und dachte, mich trifft der Blitz. Denn niemand Geringeres als unser Möchtegern-Popstar stand mit den Händen in den Hosentaschen da und schien mit der spontanen Begegnung ähnlich überfordert zu sein wie ich.

Als die Stille zwischen uns allen allmählich peinlich wurde, räusperte er sich und streckte erst Josi die Hand entgegen, bevor er sich mir zuwandte. »Freut mich, auch dich kennenzulernen ... A-U-R-E-L-I-E.«

Er zog meinen Namen provozierend in die Länge, während wir uns fokussiert in die Augen sahen. Seine Hand hing weiterhin in der Luft, da ich sie nicht annehmen wollte.

»Mich freut es nicht, deine Bekanntschaft zu machen. Denn Menschen, die meinen, andere aufgrund ihres Aussehens verurteilen zu müssen, kann ich nicht ausstehen!«

Alain schaute verdutzt, während Josi sich anscheinend bemüßigt fühlte, einzuschreiten. »Äh, sie ist heute nicht sonderlich gut drauf. Also entschuldige bitte ihre Laune.«

Dieses hinterhältige Miststück!

»Wie bitte?! Ich bin glänzender Laune. Außerdem habe ich dir doch erzählt, was er zu mir gesagt hat.«

Nun grätschte auch Alain dazwischen und versuchte die Stimmung nicht kippen zu lassen. »Ok, ähm ... ich hatte ja keine Ahnung, dass ihr euch bereits begegnet seid. Vielleicht sollten wir lieber weiterziehen, Izzy.«

Das begrüßte ich sehr. Auch wenn Josi gern weiterhin mit Alain geplaudert hätte.

Und zuerst sah es so aus, als ob Justin Bieber für Arme derselben Meinung war wie Alain. Doch plötzlich schaute er mir verschlagen grinsend in die Augen, was mich vermuten ließ, dass seine freundliche Art nur geheuchelt war.

»Ich wünsche euch Ladys noch einen schönen Abend. Zudem bin ich froh darüber, dass du deinen Füßen heute einen Gefallen tust. Denn mit den Stöckelschuhen warst du nur zu bemitleiden.«

Ich starrte ihn geschockt an.

»Äh, wir gehen dann besser mal. Denn bei Auri läuft bereits der Countdown bis zu ihrer Explosion«, fügte Alain, der sich ein Lachen verkneifen musste, hinzu.

Kapitel 2

Richtig. Ich war mega angepisst wegen seiner Worte und hätte ihm am liebsten die Augen ausgekratzt, als er mir beim Gehen auch noch frech zuzwinkerte. Gut, dass Alain den Ernst der Lage erkannt und ihn schnell von hier weggebracht hatte.

Josi, die meine Wutanfälle bereits kannte und ein paar Gläser intus hatte, fand in dieser angespannten Situation nur eine Lösung: tanzen! Deshalb schleifte sie mich auf die Tanzfläche, damit ich etwas lockerer wurde.

»Komm schon, Auri, vergiss den Kerl und beweg dich mal ein bisschen.«

»Du weißt genau, dass ich nicht tanzen kann.«

»Unsinn«, widersprach sie mir und fasste nach meinen Händen. »Bewegen kann sich jeder. Versuch es mal. Du wirst sehen, dass es hilft.«

Eine Weile blieb ich noch wie angewurzelt stehen, aber nach und nach wippte ich zu einigen bekannten Beats mit. Mit der Zeit wurde ich tatsächlich viel entspannter und tanzte schließlich ausgelassen mit Josi.

Kurz darauf legte sich eine männliche Hand auf Josis Hüfte und der Kerl hinter ihr flüsterte ihr grinsend etwas ins Ohr. Es war Alain, der erneut dazwischen grätschte, obwohl wir einen männerfreien Abend genießen wollten. Als sie miteinander kicherten und eng umschlungen tanzten, brachte ich mich in Sicherheit.

Drei waren definitiv einer zu viel.

Ich setzte mich wieder an die Bar und beschloss, dass es nicht schaden würde, einen Kurzen zu bestellen.

Denn wenn ich Baby und Johnny schon bei ihrem Dirty-Dancing-Tanz beobachten musste, dann wenigstens im angetrunkenen Zustand.

Ein Hoch auf euch, dachte ich mir nur und trank den Shot auf ex, ehe ich mir einen weiteren bestellte.

»Brauchst du so viel Alkohol, um dein Leben zu ertragen?« Erneut klang in seiner Stimme dieser provozierende Unterton mit, als sich dieser Izzy zu mir an die Bar gesellte.

Er lehnte sich lässig an den Tresen und grinste mir verschmitzt zu, was mich wahnsinnig aufregte.

Ich versuchte nicht zu glotzen. Wirklich. Und wäre er nicht ein Idiot, hätte ich zugegeben, dass die lockere Jeans und das weiße Hemd gar nicht mal schlecht an ihm aussahen.

»Ich würde eher sagen, dass ich in solchem maßen trinke, um dich zu ertragen.«

Ich nahm den nächsten Shot von dem Barkeeper entgegen und kippte ihn in einem Zug hinterher. Innerlich hoffte ich, dass Izzy verschwinden würde. Aber nein. Es schien ihn zu amüsieren, mir beim Trinken zuzuschauen.

»Ich bleibe bei meiner Meinung. Sicherlich trinkst du dir hier den Frust der Woche weg. Was ist passiert? Hat Papi dir zu wenig Geld zum Shoppen gegeben?«

Wie kam er eigentlich darauf, dass ich ein Modepüppchen war? Immerhin sah er doch, dass ich bloß ein simples weißes Top und eine schwarze Hose trug.