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Monsieur Pamplemousse und sein Bluthund Pommes Frites sind unermüdlich für Frankreichs berühmtesten Restaurantführer Le Guide tätig. Dort will man mit der Zeit gehen und auch Schlankheitsfarmen einer strengen Prüfung unterziehen. Pamplemousse soll eines dieser Etablissements selbst testen, da er in den Augen seines Chefs ohnehin ein paar Kilos zu viel mit sich herumschleppt. Obwohl die strenge Diät dem ehemaligen Kommissar arg zusetzt, findet er schon bald heraus, dass es im Kurbetrieb Château Morgue nicht mit rechten Dingen zugeht. Als immer mehr ältere wohlbetuchte Damen das Zeitliche segnen, beginnt er zu ermitteln ...
Eine kulinarische Cosy-Krimi-Reihe für Fans des englischen Humors und der französischen Küche. Jetzt als eBook bei beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.
Dieser Krimi ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Monsieur Pamplemousse blickt durch" erschienen.
"Pamplemousse und sein treuer Hund Pommes Frites sind ein wundervolles Ermittlerduo und ein Garant für einen heiteren Leseabend." Publishers Weekly
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Cover
Weitere Titel des Autors
Über dieses Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
1. DER IDEALE INSPEKTOR
2. DER DOPPELGÄNGER
3. LEICHT VERDAULICHE LEKTÜRE
4. EIN BILD SAGT MEHR ALS TAUSEND WORTE
5. TEA FOR TWO
6. DIE HAUPTROLLE
7. ABENDESSEN ZU DRITT
8. EINE FAHRT IN DIE LÜFTE
9. DIE DINGE ENTWICKELN SICH
10. DIE MÄNNER AUS DEM MINISTERIUM
Monsieur Pamplemousse und das verschwundene Soufflé
Monsieur Pamplemousse und das Geheimnis des Zeppelins
Monsieur Pamplemousse und sein Bluthund Pommes Frites sind unermüdlich für Frankreichs berühmtesten Restaurantführer Le Guide tätig. Dort will man mit der Zeit gehen und auch Schlankheitsfarmen einer strengen Prüfung unterziehen. Pamplemousse soll eines dieser Etablissements selbst testen, da er in den Augen seines Chefs ohnehin ein paar Kilos zu viel mit sich herumschleppt. Obwohl die strenge Diät dem ehemaligen Kommissar arg zusetzt, findet er schon bald heraus, dass es im Kurbetrieb Château Morgue nicht mit rechten Dingen zugeht. Als immer mehr ältere wohlbetuchte Damen das Zeitliche segnen, beginnt er zu ermitteln …
Michael Bond, der geistige Vater des berühmten Bären »Paddington«, wurde am 13. Januar 1926 im englischen Newbury geboren. Neben den bekannten Kinderbüchern schrieb er auch eine Krimi-Reihe, in der der Gastrokritiker und Hobbydetektiv Monsieur Pamplemousse zusammen mit seinem Hund Pommes frites spannende Fälle lösen. Michael Bond lebte bis zu seinem Tod am 27. Juni 2017 in London, unweit der U-Bahn-Station Paddington.
Michael Bond
Monsieur Pamplemousse und der tödliche Kampf gegen die Kilos
Aus dem Englischen von Brigitte Rapp und Werner Richter
beTHRILLED
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment | Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 1989 by Michael Bond
Titel der britischen Originalausgabe: „Monsieur Pamplemousse takes the cure“
Originalverlag: Hodder & Stoughton, London, Sydney, Auckland Toronto, 1989
Für die deutschsprachige Erstausgabe:
Copyright © Verlag Zabert Sandmann GmbH, Taufkirchen, 1992
Das Buch ist in der Erstausgabe unter dem Titel „Monsieur Pamplemousse blickt durch“ erschienen.
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer
Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung eines Motives © PETER HASSIEPEN
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar
ISBN 978-3-7325-6311-1
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
»Entrez!«
Die Stimme des Direktors klang schroff und geschäftsmäßig. Ohne Zweifel gehörte diese Stimme jemandem, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen und deren strikte Befolgung zu erwarten.
In dem kurzen Augenblick, der ihm zwischen dem Klopfen und dem Griff nach dem Türknauf zur Verfügung stand, unternahm Monsieur Pamplemousse eine noch eingehendere Analyse dieser Stimme.
Handelte es sich par exemple um die Stimme eines Mannes, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen und deren strikte Befolgung zu erwarten, der zugleich aber auch bereits den neusten von ihm, Monsieur Pamplemousse, verfassten Beitrag für L’Escargot, die Hauspostille der Mitarbeiter von Le Guide, zum Thema cassoulet in seinen zahlreichen Varianten und regionalen Abwandlungen gelesen hatte? Wenn ja, handelte es sich dann zugleich auch um die Stimme eines Mannes, der es kaum erwarten konnte, mehr darüber zu erfahren?
Eine knappe halbe Sekunde, bevor er den Türknauf drehte, unterbrach ein trockenes Husten seine Gedanken. Zweifellos war es das Räuspern eines Menschen, der zur Sache kommen wollte. So hustete nur schwerlich jemand, der seine Spannung kaum zu unterdrücken vermochte, eher jemand, dem im nächsten Moment der Geduldsfaden zu reißen drohte.
Wenn aber die Aufforderung, in des Direktors Büro zu kommen, nichts mit seinem Artikel zu tun hatte, warum hatte er dann in seinem Anruf über das Haustelefon das Wort »Toulouse« fallen lassen? Toulouse, die Urheimat des cassoulet. Und weshalb dann der ungeduldige Ton? »Lassen Sie alles stehen und liegen, Pamplemousse, und kommen Sie umgehend in mein Büro«, hatte der Tagesbefehl gelautet.
Vielleicht hatte der Direktor Grippe. Das war es – Grippe. Die grassierte zurzeit wieder einmal. Er musste wohl in der Dezemberausgabe den Artikel über Knoblauch und seinen Einsatz im Kampf gegen dieses häufigste Leiden des Menschen gelesen haben.
Die nächsten Worte bestätigten jedoch seine schlimmsten Befürchtungen. Der Direktor war alles andere als gut gelaunt. In seine Stimme hatte sich ein gereizter Unterton geschlichen.
»Nur nicht so zögerlich. Herein, wenn’s kein Schneider ist.«
Monsieur Pamplemousse holte tief Luft, und mit der Todesverachtung eines frühchristlichen Märtyrers vor der Höhle des Löwen tat er, wie ihm befohlen.
Drinnen wartete er auf das Nicken, das ihm sonst immer bedeutete, auf dem Sessel vor dem Schreibtisch des Direktors Platz zu nehmen, einem Schreibtisch, der so aufgestellt war, dass das Gesicht des Direktors im Dunkeln lag, während sein Gesprächspartner vom hellen Licht geblendet wurde. Genauso hatte auch Pamplemousse in seiner Zeit bei der Sûreté seinen Schreibtisch zurechtgerückt, wenn er in seinem Büro am Quai des Orfèvres ein Kreuzverhör durchführen wollte.
Diesmal jedoch wartete er vergeblich. Stattdessen ächzte der Direktor vernehmlich und nahm ein Formular von einem Stoß, der ordentlich gestapelt vor ihm lag. Er rückte seine Brille zurecht und warf einen vorwurfsvollen Blick auf das Blatt.
»Ich habe hier den Befund Ihrer ärztlichen Untersuchung, Pamplemousse.«
Monsieur Pamplemousse trat unbehaglich von einem Bein auf das andere. »Oui, monsieur le directeur?«
»Eine sehr unerfreuliche Lektüre.«
Monsieur Pamplemousse fühlte sich versucht zu entgegnen, in diesem Falle könne man sich die Mühe durchaus sparen. Warum es nicht stattdessen mit einer lohnenderen Lektüre versuchen? Zum Beispiel mit seinem Bericht über die Unverzichtbarkeit frischer Zutaten in der französischen cuisine. In weiser Voraussicht verkniff er sich diesen Einwurf jedoch. Der Direktor war eindeutig nicht zum Plaudern aufgelegt. Im Übrigen hatte er bereits wieder das Wort ergriffen und zitierte aus dem Formular wie ein Provinzschauspieler, der mit einem Telefonbuch in der Hand für die Rolle des Hamlet vorsprechen soll.
»Geboren: neunzehnhundertachtundzwanzig.
Größe:« – Monsieur Pamplemousse richtete sich instinktiv auf – »hundertzweiundsiebzig Zentimeter.
Gewicht: achtundneunzig Kilogramm.«
All das las der Direktor, als wären es lauter Druckfehler, jeder eine schlimmere Verzerrung der Tatsachen als der vorhergehende.
»Ich habe starke Knochen, monsieur le directeur.«
»Die brauchen Sie auch, Pamplemousse«, entgegnete der Direktor scharf. »Diesen Knochen könnte es mit zunehmendem Alter nämlich schwerfallen, Ihr Gewicht zu tragen. Wenn nicht … etwas dagegen unternommen wird.
Teint: pique-nique. Dieses Wort höre ich zum ersten Mal.«
»Ein seltener medizinischer Fachterminus, monsieur le directeur. Er bedeutet: rosa, sehr gesund. Sogar Doktor Labarre war beeindruckt.«
Der Direktor unterdrückte ein verächtliches Schnauben. »Blutdruck …«, er unterbrach sich erneut und hielt das Papier ins Licht, als traue er seinen Augen nicht. »Blutdruck … kann diese Angabe denn stimmen?«
»Der Tag, an dem ich untersucht wurde, monsieur le directeur, war kein guter Tag. Madame Pamplemousse war etwas schwierig, wenn Sie verstehen, und das schlug sich mir ein wenig aufs Gemüt. Es hatte geregnet und Pommes Frites war unglücklicherweise auf seinem Morgenspaziergang in etwas Ungehöriges getreten. Nun hatten wir den neuen Teppich erst vor Kurzem gekauft …«
Monsieur Pamplemousse’ Stimme erstarb, als der Direktor ihn mit einer weltverdrossenen Handbewegung unterbrach.
»Fakten, Pamplemousse. Fakten sind nun einmal Fakten, daran führt kein Weg vorbei. Es wird höchste Zeit, dass wir uns auf die von unserem Gründer, Hippolyte Duval, dereinst festgelegten Grundprinzipien besinnen. Ohne seine Integrität, Hingabe und Zielstrebigkeit, ohne seine Klarsicht, seinen Weitblick und sein Pflichtbewusstsein wäre wohl keiner von uns dort, wo er heute ist.«
Während er sprach, wanderte der Blick des Direktors zu einem großen Ölgemälde, das die Mitte der Wand zu seiner Rechten einnahm. Das von einem Punktstrahler beleuchtete Porträt zeigte einen Mann von asketischem Äußeren, der, allein vor einem Hotel am Ufer der Marne sitzend, eine Mahlzeit zu sich nahm. Gekleidet nach der Mode der Zeit, blickte er den Künstler und die Welt mit Augen an, die ebenso kühl und blau waren wie die Muschelschalen, die sich auf einem Teller neben ihm türmten. In der einen Hand hielt er ein Glas Weißwein – einen Sancerre möglicherweise, wenn der Maler das Flaschenetikett richtig getroffen hatte. Mit der anderen zupfte er an seinem aufgezwirbelten Schnurrbart, der genau wie die Lenkstange eines an einen nahen Baum gelehnten Fahrrades geschwungen war. Überhaupt waren jede Menge Velozipede über das Bild verstreut, da der motorisierte Wagen erst noch erfunden werden musste. Le Guide steckte selbst noch in den Kinderschuhen und beschränkte seine Nachforschungen auf jene Restaurants in und um Paris, die Monsieur Duval auf zwei Rädern oder per Pferdekutsche erreichen konnte.
Während Monsieur Pamplemousse mit dem Direktor durchaus insofern konform ging, als er ohne Hippolyte Duval nicht dort wäre, wo er war, konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, dass die damit angeblich verbundenen Vorteile unter den gegebenen Umständen einer näheren Betrachtung bedurften. Insgeheim hatte er schon immer den Verdacht gehegt, dass er und der Gründer von Le Guide, wäre es ihnen je beschieden gewesen, einander zu begegnen, nicht unbedingt ein Herz und eine Seele gewesen wären. Er argwöhnte, dass Monsieur Duval keinerlei Sinn für Humor gehabt hatte. Das kaum merkliche Lächeln auf seinem Gesicht nahm sich deplaziert aus, als hätte er es sich eigens für diese Gelegenheit abgerungen. Möglicherweise lächelte er gar nur deshalb, weil einer der anderen vélocipédistes vor Monsieur Duvals Augen soeben die Kontrolle über sein Fahrrad verlor.
Was nun folgte, bestärkte Monsieur Pamplemousse in seinem Argwohn. Der Direktor griff in eine Schreibtischschublade und holte eine Plastikschachtel hervor, öffnete sie und entnahm ihr einen kleinen roten Gegenstand, den er Monsieur Pamplemousse unter die Nase hielt.
»Als unser Gründer älter wurde«, erklärte er, »führte er eine groß angelegte Studie über die möglichen Folgen überhöhter Nahrungszufuhr für den menschlichen Körper durch. Er gelangte zu dem Schluss, dass der Mensch von einem Apfel pro Tag glücklich und zufrieden leben kann – eine Maxime, Aristide, die zu beherzigen ich Ihnen, wenn Sie gestatten, empfehle.«
Als der Direktor wie zur Bekräftigung seiner letzten Aussage in den Apfel biss, beschlich Monsieur Pamplemousse leises Entsetzen. Bekanntermaßen passen manche Menschen ihr Aussehen allmählich dem ihrer Haustiere an – er selbst war mehr als einmal mit Pommes Frites verglichen worden, doch das war schließlich etwas anderes, ein größeres Kompliment konnte er sich gar nicht wünschen. Hier aber hatte er zum allerersten Mal jemanden vor sich, dessen Züge immer mehr dem Porträt eines anderen Menschen glichen. Wenngleich es ihm noch nie aufgefallen war, konnte er nun nicht mehr darüber hinwegsehen, dass der Direktor eine immer frappantere Ähnlichkeit mit seinem Amtsvorgänger, dem verehrten Monsieur Hippolyte Duval, aufwies. In seinen Augen lag dasselbe fanatische Leuchten, das weder Einmischung noch Widerspruch duldete.
»Mit dem größten Respekt, Monsieur«, entgegnete er schließlich, »aber sich mit einem Apfel pro Tag zufriedenzugeben, würde ich nicht ›leben‹ nennen wollen, ebenso wenig wie ich das Wort ›glücklich‹ damit in Verbindung bringen würde. Außerdem halte ich diese Philosophie aus tiefster Überzeugung für eines Mannes unwürdig, der sich zeit seines Lebens der Leitung eines Gourmet-Führers widmete. Ich jedenfalls könnte meine Arbeit für Le Guide wohl kaum fortsetzen, wenn ich mich auf eine solche Diät beschränken müsste. Ein Inspektor muss die Speisen selbst kosten und schmecken. Er muss selbst vergleichen und bewerten. Vor allem muss er Erfahrungen sammeln – Erfahrungen, die Gutes wie Schlechtes beinhalten. Bisweilen muss er ein Mahl verzehren, obwohl all seine natürlichen Instinkte ihm davon dringend abraten. Die Leute glauben, das sei so einfach. Die wenigen – und es sind wirklich wenige –, die wissen, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene, sagen mir immer, ›Pamplemousse, du bist ein Glückspilz. Dieser Beruf muss herrlich sein‹. Wenn sie nur wüssten … Müsste ich mich auf einen Apfel pro Tag beschränken, dann …«
Monsieur Pamplemousse spähte aus dem Fenster auf der Suche nach einem passenden Vergleich; sein Blick schweifte zum Ufer der Seine und fiel auf ein Gebäude am Quai des Orfèvres. »Das wäre nicht anders, als wenn ein Inspektor der Sûreté einem Mörder ins Ohr flüsterte: ›Verschwinde, aber lass dich nie wieder dabei erwischen‹. Es würde meinen Beruf zum Gespött der Leute machen.
Ein wenig Übergewicht ist bei meiner Arbeit einfach unvermeidlich, Monsieur. Das ist eben das Berufsrisiko – ein Kreuz, das wir Inspektoren nun einmal zu tragen haben – ebenso wie die Verdauungsbeschwerden, die uns gelegentlich befallen, wenn wir abends in unseren Hotelbetten liegen.«
»Ja, ja, Pamplemousse.« Der Direktor unterbrach ihn in einem Tonfall, der nur allzu deutlich »Nein! Nein!« meinte.
Er durchwühlte die Papiere auf seinem Schreibtisch und zog schließlich ein weiteres Blatt hervor. Monsieur Pamplemousse sank der Mut, als er das wohlbekannte Hellgelb eines P39er-Formulars erkannte. Ein rotes Sternchen prangte darauf, wie sie Madame Grante von der Buchhaltung verwendete, wenn eine Entscheidung von höherer Stelle erforderlich war.
»Ich habe ihre Spesenabrechnung durchgesehen, Pamplemousse. Auch das ist keine erfreuliche Lektüre. Etwas anderes wäre es freilich, wenn wir in Erwägung zögen, bei einer Mäzenatenstiftung um Unterstützung nachzusuchen. Unter solchen Umständen würde sie sich als Nachweis für die wachsenden Kosten unseres Unternehmens anbieten.
Wenn Ihre Verdauung Sie so bekümmert, so darf ich sagen, dass gelegentlich eine Flasche eau minérale anstelle von Wein ihre Wirkung gewiss nicht verfehlen würde.
Am zehnten Januar zum Beispiel haben Sie und Pommes Frites allein eine ganze Flasche Château Lafite zum bœuf bourguignon getrunken. In Anbetracht einiger Bemerkungen in Ihrem Bericht über gewisse Entgleisungen der cuisine – wie ich hier sehe, vergleichen Sie die Qualität des Fleisches mit einer bestimmten Sorte Schuhleder – hätte es doch möglicherweise auch ein Wein von einem weniger klingenden château getan? Vielleicht sogar eine Karaffe Rotwein aus hauseigenem Anbau?«
»Bei einer Überprüfung meines P41er-Formulars, monsieur le directeur, wäre Ihnen gewiss aufgefallen, dass ich am zehnten Januar Geburtstag hatte. Rennes ist ohnehin schon nicht der aufregendste aller Orte, um Geburtstag zu feiern – vor allem nicht Mitte Januar. Außerdem regnete es …«
»Wie dem auch sei, Pamplemousse, es ist nicht zu leugnen, dass Sie deutlich übergewichtig sind, und es wird höchste Zeit, dagegen etwas zu unternehmen.« Der Direktor zeigte zum anderen Ende des Raumes. »Gehen Sie bitte dort hinüber und werfen Sie einen Blick in den Spiegel.«
Als er sich umwandte, erschrak Monsieur Pamplemousse. In der Ecke hinter der Tür stand eine Gestalt. Einen Augenblick lang dachte er, jemand habe ihrem Gespräch beigewohnt, und wollte seiner Empörung unmissverständlich Ausdruck verleihen, doch irgendetwas in der Haltung dieser Gestalt hielt ihn davon ab. Es war eine Puppe, eine außergewöhnlich lebensechte, bis auf den allerletzten Jackenknopf vollständige zwar, aber nichtsdestotrotz eine Puppe.
»Darf ich Ihnen unseren neusten Zuwachs vorstellen, Pamplemousse?« Man hörte es seiner Stimme an, wie erfreut der Direktor über die gelungene Überraschung war. »Er heißt Alphonse. Zweifellos fragen Sie sich, warum er hier ist.«
Erfreut darüber, das Gespräch von seinem P39er-Formular ablenken zu können, stimmte Monsieur Pamplemousse mit einem Murmeln zu. Spesenabrechnungen waren immer ein heikles Thema, und es war kein leichtes Unterfangen, die Waage zwischen den beiden Extremen zu halten – einerseits musste man in den teuersten Restaurants Frankreichs speisen, andererseits sollte man nicht gegen die von der stets auf der Lauer liegenden Madame Grante verordneten strengen Einschränkungen verstoßen, zumal selbst manche ihrer Günstlinge in Schwierigkeiten gerieten, wenn sie öfter als zweimal die Woche im bistro speisten.
Der Direktor erhob sich. »Pamplemousse, Alphonse ist der ideale Inspektor. Ein Ideal, dem wir in Zukunft alle nacheifern müssen. Ich habe die zahlreichen Schriften unseres Gründers studiert, anschließend wurde der Computer mit meinen Ergebnissen gefüttert, und was dieser dann auswarf, diente als Vorlage für dieses Modell.
Ich glaube«, der Direktor legte die Fingerspitzen zu einem spitz zulaufenden Dach aneinander und tippte mit den Zeigefingern nachdenklich an seine Nasenspitze, während er im Zimmer auf und ab ging, »ich glaube, ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich seinen Werdegang und seine Gewohnheiten so gut kenne wie meine eigenen.
Ich weiß, wo er geboren wurde und welche Schule er besuchte. Ich weiß, wo er lebt. Ich weiß, wie viele Zimmer seine Wohnung hat und wie diese möbliert sind, wann er zu Bett geht und wann er wieder aufsteht. Ich kenne seinen Geschmack, ich weiß, bei wem er sich einkleidet und wo er seinen Urlaub verbringt. Ich weiß genauestens Bescheid darüber, was ihn in Schwung hält.
Der ideale Inspektor in den Diensten von Le Guide, Pamplemousse, wiegt sechsundsiebzig Komma acht Kilo. Er führt ein aktives Leben, steht täglich um sechs Uhr dreißig auf und nimmt eine kalte Dusche. In seiner Freizeit spielt er Tennis, ab und an auch ein bisschen Squash – aber nur gerade so viel, dass er in Form bleibt. In seinem ganzen Leben hat er nicht mehr als zwei Komma sechs Geliebte –«
Je mehr Eigenschaften der Direktor aufzählte, desto bedrückter wurde Monsieur Pamplemousse, konnte er doch nicht umhin, dabei seiner eigenen Unzulänglichkeiten gewahr zu werden, und schließlich platzte ihm endgültig der Kragen.
»Bei allem gebotenen Respekt, Monsieur«, rief er mit einem angewiderten Blick auf Alphonse aus, »in den Armen dieser Kreatur ist selbst der null-komma-sechste Teil einer Geliebten nur schwer vorstellbar, ganz zu schweigen von einer ganzen.«
»Wenn dem nur so wäre, Pamplemousse«, erwiderte der Direktor knapp. »Aber für so manchen von uns sind sogar zwei Komma sechs noch knapp bemessen. Diese unselige Geschichte mit den Damen in den Folies-Bergère – der Grund für Ihre frühzeitige Pensionierung bei der Sûreté – allein damit dürften Sie dem nationalen Durchschnitt um Jahre voraus sein.«
Monsieur Pamplemousse gab sich geschlagen. Wenn der Direktor einen Vogel hatte, erübrigte sich jede Diskussion, diesmal aber hatte er es gleich mit einem ganzen Schwarm zu tun. Innerlich stellte er sich bereits auf den nächsten Schlag ein, wenn er sich auch völlig im Unklaren darüber war, wie und wohin dieser ihn treffen würde.
»Pamplemousse«, fuhr der Direktor fort, »bedauerlicherweise können Sie dem Ideal in vielem nicht das Wasser reichen, wenn ich auch fairerweise zugeben muss, dass Sie nicht der Einzige sind. Wenn ich das Gruppenfoto vom letzten Betriebsausflug nach Boulogne betrachte, würden viele Ihrer Kollegen neben unserem Freund zweifellos nicht minder schlecht abschneiden. Aber auch deren Tag wird kommen. Aus Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, haben wir jedoch Sie für die ehrenvolle Aufgabe des Versuchskaninchens auserkoren.
Unser Aufsichtsrat prüft seit Längerem verschiedene Möglichkeiten, unsere Aktivitäten auszudehnen – unseren Horizont zu erweitern, gewissermaßen. Obwohl uns dabei manchmal das Herz blutet, so muss man doch mit der Zeit gehen, und im Übrigen haben viele unserer Konkurrenten bereits nachweislich zu ähnlichen Maßnahmen greifen müssen. Schon vor vielen Jahren wagte Michelin den Schritt ins Ausland. Gault Millau engagiert sich zurzeit in Bereichen, die unseren Gründer sich im Grabe umdrehen ließen, würde er je davon erfahren – Zeitschriften, Werbeaktionen … Nun, immerhin bin ich zuversichtlich, dass es so weit bei uns nie kommen wird.
Dennoch beabsichtigen wir, von Zeit zu Zeit andere Gewässer zu erforschen, wenn ich so sagen darf. Und ganz zuoberst auf der Liste steht ein Überblick über Frankreichs Gesundheitsfarmen.
Pamplemousse, morgen werden Sie unsere Zehen in die Gewässer der östlichen Pyrenäen tauchen. In einem Etablissement nördlich von Perpignan ist ein Zimmer für Sie reserviert. Ich wünsche Ihnen viel Glück und freue mich schon darauf, in zwei Wochen einen neuen Pamplemousse willkommen zu heißen.«
Als der Direktor diese Salve, eine wahre Breitseite von unerwarteten Tatsachen, abgefeuert hatte, blieb er, nunmehr bar jeder Munition, vor Monsieur Pamplemousse stehen und reichte ihm die Hand.
»Bon voyage, Aristide«, wünschte er und sah ihn mit einem Anflug von Nervosität an.
»Zwei Wochen!« Monsieur Pamplemousse wiederholte die Worte mit so viel Unmut und Erbitterung, wie er nur aufbringen konnte. »In einer Gesundheitsfarm! Kennen Sie die Pyrénées-Orientales im März überhaupt, monsieur le directeur? Die Schneeschmelze setzt ein, und das Tauwasser stürzt in eiskalten Bächen von den Hängen. Nicht die Zehen von Le Guide werden leiden, monsieur le directeur, sondern die meinen. Gar nicht auszudenken, was ihnen alles zustoßen könnte, wenn ich riskierte, sie in derartige Gewässer zu tauchen. Wenn man noch Glück hat, bekommen sie nur Frostbeulen. Wahrscheinlich jedoch erfrieren sie, und pouf! – ehe man sich’s versieht, fallen sie ganz ab.«
»Also bitte, Aristide, Sie dürfen mich nicht so wörtlich nehmen.« Der Direktor warf einen verstohlenen Blick auf seine Uhr, als er Monsieur Pamplemousse mit einer Geste den Besuchersessel anbot. Wie er befürchtet hatte, war es fast Mittag. Nun dauerte es doch länger als geplant. Ein guter Mann, dieser Pamplemousse, aber drängen durfte man ihn nicht. Er musste die Nachricht erst verdauen und überschlafen. Ein typischer Steinbock, noch dazu aus der Auvergne – eine schwierige Kombination; das neue Modell – der ideale Inspektor – war hingegen eindeutig Löwe und stammte zudem aus einer weniger gebirgigen Gegend.
»Es mag sein, dass die Formulierung mit den Zehen nicht eben glücklich gewählt war, aber meinen Sie nicht auch, dass Ihnen die Abwechslung guttun wird, Aristide?«
Aus den Tiefen des Armsessels hörte Monsieur Pamplemousse zu, als durchlebte er einen bösen Traum, in dem seine Beine immer schwerer und schwerer wurden, je verzweifelter er zu entkommen versuchte. Ein plötzlicher Gedanke erlöste ihn von seiner Lähmung.
»Monsieur le directeur, eben fällt mir ein, dass es leider nicht gehen wird. Mein Wagen muss nämlich zum Zweihunderttausend-Kilometer-Service. Aber ich könnte ja später fahren, wenn es wärmer ist.«
»Großartig!« Die Freude des Direktors über diese Nachricht war allzu überschwänglich, und so setzte er anstandshalber eine leicht verlegene Miene auf. »Das lässt sich doch hervorragend während Ihrer Abwesenheit erledigen«, fuhr er eilends fort. »Ich werde gleich alles Nötige veranlassen. Nach zwei Wochen auf Château Morgue werden Sie ohnehin kaum in der Verfassung zum Autofahren sein. Dafür werden der gute Herr Schmuck und seine Frau schon sorgen.«
Dem Direktor war sofort bewusst, dass er sich im Ton vergriffen hatte, und er trat hastig an einen Aktenschrank, dem er eine grüne Mappe entnahm. Er öffnete sie und breitete den Inhalt auf seinem Schreibtisch aus. Als Monsieur Pamplemousse das typische Schriftbild der Bewertungsfragebogen erkannte, die jedem Exemplar von Le Guide beigeheftet waren, fragte er sich, was wohl jetzt auf ihn zukam.
»Diese Bewertung hier klingt gar nicht so schlecht. Wir haben ja bereits erste Erkundigungen eingeholt.« Nach kurzem Blättern in seinen Unterlagen fand der Direktor, wonach er gesucht hatte. »Greifen wir einfach ein beliebiges Blatt heraus. Ich lese es Ihnen vor: ›Wie daheim und doch nicht zu Hause. Das Essen war einfach, aber gesund, auch wurde auf die vielerorts übliche übermäßige Verwendung von Sahne verzichtet. Zum ersten Mal auf unseren Frankreichreisen wurden wir mit einem warmen Lächeln empfangen. Besonders haben meine Frau und ich die Morgenwanderungen im Schnee genossen (Teilnahme ohne ärztliches Attest obligatorisch). Etwas auszusetzen hatten wir einzig und allein an den Betten: sie hätten weicher sein können, auch hätten wir Kissen sehr zu schätzen gewusst. Von Vorteil wäre es wohl, die Fahrradständer mit Schlössern auszustatten. In vielem haben wir uns an unseren seinerzeitigen Militärdienst erinnert gefühlt (meine Frau war eine At).‹«
»Eine At!«, wiederholte Monsieur Pamplemousse. »Was ist das denn?«
Der Direktor lockerte seinen Hemdkragen und überlegte mit einem nervösen Blick zum Fenster, ob er es nicht öffnen sollte. Es wurde warm im Zimmer. »Das war wohl eine Art paramilitärische Frauenorganisation – der Auxiliary Territorial Service, der während des Krieges von Grande Bretagne aus operierte.« Er versuchte, die Erklärung so beiläufig wie möglich klingen zu lassen.
»Wollen Sie damit etwa sagen, dass dieser Bericht von Engländern verfasst wurde?«, fragte Monsieur Pamplemousse entrüstet.
Das passte genau ins Bild. Die Erinnerungen an eine Woche, die er in einem besonders kalten Winter nach dem Krieg in Torquay verbracht hatte, schlugen wie Wellen über ihm zusammen. Es war sein erster Aufenthalt in England gewesen, und damals hatte er sich geschworen, es werde auch sein letzter bleiben. Ein ungeheiztes Zimmer, und beim Frühstück herrschte allgemeines Geflüster, weil man sich auf keinen Fall den Zorn der Vermieterin zuziehen wollte, einer wunderlichen Person von unberechenbarem Temperament, die sich völlig unverständlich ausdrückte und bis 17:30 Uhr sämtlichen Gästen den Zutritt zu ihrem Haus überhaupt verwehrte. Was er dort alles durchgemacht hatte. Vierzehn Tage nichts als matschige fish and chips – in Zeitungspapier eingewickelt! Die meiste Zeit hatte er damit verbracht, hinter einem Windschutz auf der Strandpromenade sitzend, das Kreuzworträtsel zu lösen.
»Die Übersetzung lässt leider zu wünschen übrig«, räumte der Direktor ein.
»Darf ich bitte die anderen sehen, monsieur le directeur? Die – äh, weniger beliebigen?«
»Ganz einhelliger Meinung sind sie wohl alle nicht.« Der Direktor sammelte sie zusammen. »Mag sein, dass einige Zuschriften die rechte Begeisterung vermissen lassen.«
»S’il vous lait, monsieur le directeur.«
Der Direktor seufzte. Einen Versuch war es immerhin wert gewesen.
»Begeisterung!« Monsieur Pamplemousse tat sich schwer, seinen Abscheu beim Durchblättern des Papierstoßes zu verhehlen. »Sacrebleu! Das ist ja wie überreifer Camembert – es stinkt zum Himmel! So etwas ist mir noch nicht untergekommen, noch nie. In meiner ganzen Laufbahn nicht. Hören Sie sich das einmal an:
›Dieser Mann sollte verhaftet werden … ebenso seine Frau … Herr Schmuck ist ein …‹«
Hier brach der Satz ab, und das Papier war voller Tintenkleckse. Offenbar hatte der Verfasser es in seiner Erregung nicht mehr fertiggebracht, seine Anschuldigungen noch näher auszuführen, und stattdessen die Tinte auf dem Papier verspritzt.
»Damit steht meine Entscheidung fest!« Er erhob sich. »Es tut mir leid, monsieur le directeur.«
Der Direktor seufzte noch tiefer als beim letzten Mal. »Auch mir tut es sehr leid, Aristide. Ich hatte gehofft, Ihr berühmtes Pflichtbewusstsein, vor dem wir von der alten Garde bei Le Guide den Hut ziehen, würde eine ausreichend starke Triebkraft sein. Leider …« Er machte eine Miene, als wäre seine letzte Illusion in Bezug auf die Mitmenschen ein für alle Mal zerstört, und spielte seinen letzten Trumpf aus. »Nun bleibt mir allerdings keine andere Wahl, als die Autorität meiner Stellung zum Tragen zu bringen. Es ist daher meine Pflicht, Pamplemousse – eine traurige Pflicht, wenngleich ich doch als Ihr Freund zu sprechen hoffe –, Sie daran zu erinnern, dass Sie sich dieser Autorität nur allzu bereitwillig unterwarfen, als Sie zu uns kamen. Sie werden morgen früh den Zug um 7:41 Uhr nach Perpignan nehmen. Madame Grante hält die Fahrkarten für Sie bereit.«
Monsieur Pamplemousse sank in seinen Stuhl zurück. Er wusste, wann er sich geschlagen geben musste. Es stimmte, was der Direktor sagte. Er hatte Le Guide viel zu verdanken. Jener verhängnisvolle Tag, an dem er gegen den Rat vieler seiner Kollegen bei der Sûreté sein Abschiedsgesuch eingereicht hatte, weil er sich moralisch dazu verpflichtet fühlte, war ihm noch allzu deutlich im Gedächtnis: Ein plötzliches Gefühl der Kälte und des Alleinseins in der Welt hatte ihn beschlichen, als er das Gebäude am Quai des Orfèvres zum letzten Mal verlassen hatte, ohne zu wissen, ob er sich nach links oder rechts wenden sollte. Heute wusste er, dass es das Schicksal damals gut mit ihm gemeint hatte. Einer momentanen Eingebung folgend, war er nach rechts gegangen, in Richtung des siebenten arrondissement. Der Zufall hatte es gewollt, dass er auf seinem Weg am Bürohaus von Le Guide vorbeikam und dem Direktor in die Arme lief. Der Direktor stand von früher her wegen der diskreten Aufklärung eines Falles in seiner Schuld, der bei weniger geschickter Handhabung Frankreichs älteste und angesehenste Feinschmeckerbibel ziemlich in Verruf hätte bringen können.
Aber wenn der Direktor in seiner Schuld stand, so war es umgekehrt genauso. Kaum hatte ihm Monsieur Pamplemousse sein Leid geklagt, hatte der Direktor ihm auf der Stelle und ohne zu zögern Arbeit angeboten. Im Laufe einer einzigen Stunde war Monsieur Pamplemousse von einem Büro in das andere übergewechselt und hatte den Beruf, der bis dahin sein Lebenselixier gewesen war, gegen einen ebenso erquicklichen getauscht.