Mord in Jerusalem: Faith Zanetti ermittelt - Band 1 - Anna Blundy - E-Book
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Mord in Jerusalem: Faith Zanetti ermittelt - Band 1 E-Book

Anna Blundy

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Beschreibung

Eine schlagfertige Journalistin – eine Stadt voller Abgründe: Der fesselnde Kriminalroman »Mord in Jerusalem« von Anna Blundy als eBook bei dotbooks. Masel tov – und dazu ein Gläschen Anisschnaps! Die englische Krisenreporterin Faith Zanetti staunt nicht schlecht, als sie ihre Unterkunft in Jerusalem betritt: Ein Hotel voller Auslandskorrespondenten, die den lieben langen Tag mit Wettkämpfen, Flirts und Drinks an der Bar verbringen – von Arbeitseifer keine Spur! Doch der Spaß hat ein jähes Ende, als Faith ihre Freundin Shiv in ihrem Hotelzimmer ermordet auffindet. Faith ist sicher, dass es einen Zusammenhang mit der brisanten Story über Menschenhandel geben muss, an der Shiv gearbeitet hat. Bald beschleicht Faith der dunkle Verdacht, dass es in ihrer Nähe einen Maulwurf gibt und sie niemandem in dem Hotel mehr trauen darf – nicht einmal dem charmanten Journalisten Eden, der ihr in die Heilige Stadt gefolgt ist, die sich immer mehr als Hölle aus Lügen und Gier entpuppt … »Faith Zanetti ist Bridget Jones auf dieselstarkem Wodka: Sie ist cool, kompetent und sehr gut darin, sich aus gefährlichen Situationen zu befreien.« The Guardian Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der ebenso humorvolle wie abgründige Kriminalroman »Mord in Jerusalem« von Anna Blundy – der Auftakt der spannenden Faith-Zanetti-Reihe, in der jeder Band unabhängig gelesen werden kann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Masel tov – und dazu ein Gläschen Anisschnaps! Die englische Krisenreporterin Faith Zanetti staunt nicht schlecht, als sie ihre Unterkunft in Jerusalem betritt: Ein Hotel voller Auslandskorrespondenten, die den lieben langen Tag mit Wettkämpfen, Flirts und Drinks an der Bar verbringen – von Arbeitseifer keine Spur! Doch der Spaß hat ein jähes Ende, als Faith ihre Freundin Shiv in ihrem Hotelzimmer ermordet auffindet. Faith ist sicher, dass es einen Zusammenhang mit der brisanten Story über Menschenhandel geben muss, an der Shiv gearbeitet hat. Bald beschleicht Faith der dunkle Verdacht, dass es in ihrer Nähe einen Maulwurf gibt und sie niemandem in dem Hotel mehr trauen darf – nicht einmal dem charmanten Journalisten Eden, der ihr in die Heilige Stadt gefolgt ist, die sich immer mehr als Hölle aus Lügen und Gier entpuppt …

»Faith Zanetti ist Bridget Jones auf dieselstarkem Wodka: Sie ist cool, kompetent und sehr gut darin, sich aus gefährlichen Situationen zu befreien.« The Guardian

Über die Autorin:

Anna Blundy, geboren 1970 in London, ist eine englische Schriftstellerin und Journalistin. Sie studierte Russisch an der Oxford University, arbeitete für einen amerikanischen TV-Sender in Moskau, wo sie abends in einer Blues-Band sang, war als Kolumnistin für die »Times« tätig und reiste so oft wie möglich nach Amerika, Afrika und in den Nahen Osten. Als ersten Roman veröffentlichte sie die Memoiren ihres Vaters, der als Auslandskorrespondent bei einem Auftrag in El Salvador ums Leben kam: Erlebnisse, die Anna Blundy auch in ihrer »Faith Zanetti«-Reihe aufgreift. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in Italien.

Anna Blundy veröffentlichte bei dotbooks in ihrer »Faith Zanetti«-Reihe auch:

»Die Toten von Moskau – Band 2«

»Die Schatten von Sizilien – Band 3«

***

eBook-Neuausgabe März 2021

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2004 unter dem Originaltitel »The Bad News Bible« bei Headline Book Publishing, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Verdammt heiß« im Europa Verlag.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2004 by Anna Blundy

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 Europa Verlag GmbH Leipzig

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/hikrcu, ND700

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-424-4

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Anna Blundy

Mord in Jerusalem

Faith Zanetti ermittelt

dotbooks.

Kapitel 1

Mein Sitznachbar hatte panische Angst. Er schwitzte Blut und Wasser. Ich erzählte ihm meinen Witz, aber er fand ihn nicht komisch: Ein Flugzeug stürzt ab, die Kabine füllt sich mit Rauch, die Leute laufen schreiend umher und trampeln sich gegenseitig nieder. Da fragt jemand eine Stewardeß: »Wo sind die Notausgänge? Wo sind die Rettungswesten?« Die Stewardeß sieht ihn geringschätzig an und meint: »Ach, jetzt wollen Sie’s plötzlich wissen?« Er verzog keine Miene. Nicht mal ein Lächeln. Also setzte ich meine Kopfhörer auf und lehnte mich zurück, um die Wolken zu betrachten. Endlos streckten sie sich dahin, legten sich über die Welt wie eine Decke aus Zuckerwatte. Als kleines Kind wollte ich am liebsten in sie hineinspringen, so weich und flauschig sahen sie aus.

Ich bestellte noch einen Wodka. Der Steward zog verschwörerisch eine Augenbraue hoch und stellte mir gleich zwei aufs Tablett. Trevor war sein Name.

»Danke, Trevor«, sagte ich und zwinkerte ihm zu.

Ein Film über die Schönheit Jerusalems wurde gezeigt. Sonnenuntergang über dem Ölberg. Sehen Sie nur, Sie können all diese schönen Restaurants besuchen und in dieser idyllischen Badeanstalt baden, sagte die sanfte Stimme aus dem Off. Solange einem keine Autobombe den Arm wegreißt, dachte ich. Das ist das Problem, wenn man mit der El Al fliegt. Die Sicherheitsvorkehrungen sind derart übertrieben, daß man ungefähr ein Jahr vor dem Abflug in Heathrow sein muß, und dann öffnen sie deine Zahnpasta und schnüffeln an deinen Socken. Ein kleines Mädchen vor mir war in Tränen aufgelöst, weil ihr Teddy einer Leibesvisitation unterzogen wurde. Und kaum daß man an Bord ist, muß man sich diese patriotischen Lobeshymnen auf »Israel, das gelobte Land« anhören, als bestünde nicht die Gefahr, daß die Maschine jeden Moment in die Luft gesprengt wird.

»Hallo. Meine Muse«, bellte Don McCaughrean und schlug mir dabei auf die Schulter.

Ich zuckte vor Schmerz zusammen. Aber er war schon in Ordnung. Das Gericht hatte ihm praktisch seine Kinder weggenommen und ihm damit das Herz gebrochen. Vielleicht in einer Art Ersatzhandlung ließ McCaughrean nie seine Kameras aus den Augen. Meistens kaufte er ein extra Flugticket für sie. Diesmal lagen sie in ihrer abgewetzten Segeltuchtasche neben seinen Füßen und versperrten den Gang. Er hatte schon mal jemanden damit k.o. geschlagen.

Ich war überrascht, ihn zu sehen. Ich hatte ihn am Flughafen nicht bemerkt. Er sah aus, als hätte er seit dem Start vor drei Stunden in einer Tour gebechert.

»Hi, Don. Wie geht’s?« sagte ich und nahm meinen Kopfhörer ab.

»Kann nicht klagen«, sagte er lachend und pflanzte sich mit vollem Gewicht auf die Armlehne meines Sitzes. Das sah ziemlich unbequem aus. »Na, Faithy, was will ein nettes Mädel wie du in so einem Dreckloch? Ich sag dir, da drüben ist es momentan so heiß wie unter der Achsel eines stinkenden Arabers!«

»Ich bleib im Schatten«, versicherte ich ihm und bot ihm eine meiner Miniflaschen an.

»Danke«, sabberte er gierig. Mit fetten Wurstfingern öffnete er den kleinen roten Drehverschluß, setzte die Flasche an seine feuchten Lippen und stürzte den Wodka in einem Zug hinunter.

»Ich dachte, Edmonds wäre immer noch für euch da draußen«, sagte er. Er strich sich eine letzte schüttere Haarsträhne aus der verschwitzten Stirn.

»Den hat’s nach Rom verschlagen. Aber es hätte ihn schlimmer treffen können«, sagte ich. Beim Gedanken daran, wie er in einem Straßencafé seinen Espresso schlürfte und den Tauben zusah, mußte ich lächeln. Ich mochte Edmonds.

»Ist nicht wahr!« staunte McCaughrean. »Verkrümelt sich ohne jedes Arrivederci nach Rom und überläßt es einem hübschen jungen Ding wie dir, sich in der verdammten West Bank über den Haufen schießen zu lassen?!«

»Es gab ein paar kurzfristige personelle Umstellungen«, versuchte ich zu erklären, aber Trevor hatte McCaughreans Kameratasche aus dem Weg genommen und drängte ihn zur Landung auf seinen Platz zurück. Ich atmete auf. Der Mann mag ein goldenes Herz haben, aber irgendwie ekle ich mich etwas vor ihm.

»Finger weg, du kleine Schwuchtel«, brüllte McCaughrean. Wutschnaubend tobte er den Gang hinunter.

Genaugenommen waren es ein paar kurzfristige Entlassungen gewesen. Edmonds, ohnehin nicht gerade für seine Zurechnungsfähigkeit berühmt, war in einer Bar in Bethlehem endgültig durchgedreht und daraufhin schleunigst in den Ruhestand versetzt worden. Mary Polanski (nicht verwandt mit Roman, obwohl sie sich manchmal als seine Schwester ausgab, um einen Platz in einem Restaurant zu ergattern) hatte sich über Jahre mit dem Argument in Italien festgesetzt, sie könne nirgendwo anders arbeiten, da ihre Lebensgefährtin Italienerin sei und die gemeinsame Adoptivtochter dort zur Schule gehe. Als sie sich weigerte, ihren Urlaub auf Sardinien abzubrechen, um über den Mord an diesem Pornostar zu berichten, wurde sie kurzerhand gefeuert und ich nach Jerusalem versetzt. Aber ich will nicht klagen, Gott bewahre. Ich bin hellauf begeistert. Und erleichtert.

Nach Salvador dachte ich schon, sie würden mich ins »Dossier« abschieben. Sie versuchen einem immer weiszumachen, daß es gut fürs Renommee sei, für die neue Faselbeilage zu schreiben, weil man dort lange, tiefschürfende Artikel verfassen kann, die ein breites Publikum erreichen. Mit »breites Publikum« sind natürlich jene seltsamen Zeitgenossen gemeint, die Leserbriefe mit grüner Tinte schreiben und ständig Groß- und Kleinschreibung verwechseln. Mit anderen Worten: bestenfalls eine Handvoll Irrer. Die eigentliche Leserschaft und jeder halbwegs normale Mensch liest in Wirklichkeit nichts als den Hauptteil und, seien wir ehrlich, auch den nur flüchtig. »Tiefschürfend« ist ebenfalls Quatsch. Das bedeutet nichts anderes als aufgebläht, um all den überschüssigen Platz zu füllen. Gemeint sind »tiefschürfende« Reportagen über Soap-Stars, die dem Kokain abgeschworen haben (Wen interessiert’s? Manche Leute müssen sich eben damit abfinden, daß sie ohne das Zeug einfach niemanden vom Hocker reißen), oder über das harte Leben von Müttern, die Kind und Karriere unter einen Hut zu kriegen versuchen. Oh, das soll nicht heißen, das diese Leute es nicht schwer haben und so weiter, nur will man einfach nicht Tag für Tag darüber lesen. Oder vielleicht doch? Wer weiß.

An der Salvador-Geschichte war ich selbst mit schuld. Mir war heiß, ich war müde, und wir hingen schon seit Tagen tatenlos herum und warteten. Ich glaube, mein Urteilsvermögen war durch Schlafmangel getrübt und ich habe dem falschen Mann vertraut. Er sagte, er würde mich zu den Anführern einer von Miami aus operierenden Mara bringen. Wir waren noch keine zweihundert Meter weit gelaufen, da eröffneten sie das Feuer. Er wurde tödlich getroffen. Mich erwischte es an der Schulter. Ich träume heute noch davon.

Damals fühlte sich das alles zwar sehr real an, doch bis ich wieder in England war, hatte ich es seltsamerweise schon fast wieder vergessen. Als die Leute mich fragten, wie es gewesen sei, wußte ich nicht, was ich sagen sollte. Sie wollten eine Schauergeschichte hören, aber im Grunde war es halb so wild. Zumindest für mich. Schlimm war es nur für den armen Jungen. Es dauerte ewig, bis er starb. Ich redete auf ihn ein, versuchte ihn zu beruhigen. Ich hielt seine Hand. Er hätte sicher lieber seine Mutter an seiner Seite gehabt als irgendeine Europäerin, die er kaum kannte.

Aber in meinem Traum spüre ich die sengende Hitze der Kugel, die durch meinen Körper saust, und schmecke den Sand auf meinen Lippen, als ich auf dem Boden aufpralle. Der Junge blutet und stöhnt, überall um mich herum schreien die Leute irgend etwas auf spanisch, ich liege auf der Ladefläche dieses Toyota-Pick-ups, habe einen metallischen Geschmack im Mund, verliere immer wieder das Bewußtsein und frage mich, ob ich sterben werde. Und über mir dieser blaue Himmel.

Während der Fahrt schrieb ich im Kopf bereits den Artikel. »Die englische Journalistin Faith Zanetti kam heute in El Salvador ums Leben, als sie in den Hügeln am Rande der Hauptstadt San Salvador in die Schußlinie befeindeter Verbrecherbanden geriet.« Sie ist natürlich nicht gestorben.

Und dann habe ich einen Preis verliehen bekommen. Norman Tebbit überreichte ihn mir bei der Foreign Press Association, keine Ahnung, weshalb. Ich trug meinen Arm noch in einer Schlinge. Die Fotografen fuhren total darauf ab, und mein Bild war in diversen Zeitschriften zu sehen. Alle hielten mich für tapfer und unerschrocken, weil ich angeschossen worden war, aber in Wirklichkeit war ich bloß dumm gewesen. Aber ich habe keinen Grund zu jammern. Ich habe Jerusalem bekommen. Ich kann mein Glück gar nicht fassen.

»Sagen Sie mal, Zanetti«, brummelte Martin Glover. »Brummelte« ist allerdings noch eine Beschönigung, denn die Worte gingen im Claret unter, mit dem er sich dabei das Kinn vollsabberte. Er ist mit meiner Freundin Shiv zusammen. Nein, im Ernst. Sie sind ein Paar. Schon seit vielen Jahren. Sie sehen sich allerdings kaum. Sie ist ständig auf Reisen und geht mit jüngeren, besser aussehenden Männern fremd. (Und wer könnte es ihr verdenken?) Wenn sie sich denn mal sehen, ist mit ihm bestimmt nicht allzuviel anzufangen. Sie ist halb so alt wie er. Andererseits war das bei ihr schon immer so. Schon mit fünfzehn ist sie in der Schule mit den Lehrern ins Bett gegangen.

Wir haben gemeinsam den Entschluß gefaßt, Journalistin zu werden, nachdem wir diesen Film mit Katharine Hepburn gesehen haben, in dem sie so dekadent raucht und laufend mit der Bürotür des Chefredakteurs knallt. Ihre Kostüme sind auch super.

Shiv hat sogar eine richtige Ausbildung absolviert. Englisch studiert (also in erster Linie auf der Themse rumgestakt und sich übergeben), eine Journalistenschule besucht, immer schön mit ihren Stenokünsten angegeben und sich so allmählich hochgearbeitet. Ich bin Anfang der Neunziger in Rußland gelandet, nachdem ich in einer Bar einen Korrespondenten kennengelernt hatte, der leider nur Englisch und Finnisch sprach und eine Assistentin suchte. Aber eigentlich hatte ich gar keine Lust dazu. Ich wäre lieber Popstar geworden.

Martin und ich saßen also im »El Vino’s« in der Fleet Street und waren bereits bei der zweiten Flasche. Natürlich gibt es in der Fleet Street heute nur noch Banken, aber die alten Schreiberlinge zieht es trotzdem immer noch dorthin. Sie fahren mit dem Taxi den ganzen Weg von Wapping oder Canary Wharf hinüber, einfach nur, um dort zu sein und so zu tun, als wäre Goldman Sachs noch immer der »Express«.

Es war Mittag. Er bestellte ein paar Zungen-Sandwiches (ich glaube, die gibt es auch nur im »El Vino’s«), aber er rührte sie nicht an. Es war mehr eine Verneigung vor den Konventionen, da nun mal Mittagszeit war. Es heißt, zum Abendessen nimmt er nichts als Whisky und eine Vitaminpille zu sich.

»Sagen Sie mal, Zanetti«, blubberte er. Er ist befördert worden. Vorher war er Auslandsressortleiter, aber für seine neue Position gibt es keinen Titel. Sie ist gehoben, aber namenlos. Oberster Schluckspecht oder so. »Was halten Sie eigentlich von Jerusalem? Stehen Sie auf Araber?«

Das war ein Jobangebot. Man muß höllisch aufpassen, daß man solche Offerten nicht überhört, denn manchmal werden sie äußerst kryptisch formuliert, und man schnallt möglicherweise gar nicht, daß man soeben zum Chefredakteur ernannt worden ist. Bei meinem ersten Job bei einer eher linken Zeitung kam mein Boß zu mir rein und sagte: »Dieser Portillo ist doch ein Schwachkopf, oder? So ein blöder Sack.« Und dann verschwand er wieder. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich kapierte, daß ich bis vier Uhr nachmittags 18 000 Anschläge über Maggie Thatchers Verteidigungsminister Michael Portillo als Aufmacher der Vermischtes-Rubrik schreiben sollte. Man muß halt auf dem Quivive sein.

Ich stellte mein Glas ab und nickte nachdrücklich.

»Ich finde sie toll«, sagte ich. Mir stieg der Wein bereits zu Kopf. Ich war dabei, mir das Rauchen abzugewöhnen, aber für Notfälle hatte ich immer ein paar Zippen in meiner Jacke. Ich steckte mir eine an, beugte mich vor und nahm das Streichholzbriefchen aus dem gläsernen Aschenbecher.

»Und wie steht’s mit den Itzigs?« fragte er. Das war ein Test. Würde ich an dem Wort Anstoß nehmen? War ich ein zimperlicher Spießer oder war ich einer von ihnen?

»Oh, die auch. Die auch«, strahlte ich. »Sie kennen doch meine Schwäche für dunkelhaarige Männer.« Damit hatte ich das Angebot angenommen.

Am liebsten hätte ich ihn geküßt vor lauter Dankbarkeit. Doch so etwas tat man nicht. Statt dessen hielt ich ihm mein Glas entgegen, und wir stießen miteinander an, so daß der schwere Wein im Glas hin- und herschwappte.

»Shivvy ist da draußen. Vielleicht können Sie für mich ein bißchen auf sie aufpassen«, sagte er traurig. Ich denke, er wußte Bescheid.

Trevor rüttelte mich wach. Ich war schweißgebadet und mein Gesicht tränenüberströmt. »Sie können jetzt von Bord gehen«, sagte er. Viel lieber hätte ich mich sinnlos betrunken. Ich zitterte vor Angst. Ich hatte wieder diesen Traum gehabt. Ich liege im Bett und bin noch halb wach, kann mich aber nicht bewegen. Ich höre, wie sie hereinkommt und rieche ihre Fahne, aber ich wage nicht zu schreien. Als sie mir das Kissen aufs Gesicht legt, beginne ich zu zappeln und mich zu winden. Ich versuche zu schreien und sie wegzustoßen, aber mein Mund ist voller Baumwolle, und ich werde ohnmächtig. Die Frau ist meine Mutter, und ich weiß, daß es kein Traum ist.

»Danke. Okay. Nur einen Moment noch«, sagte ich lächelnd.

Und da bin ich nun. Ich habe auf dem Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv die Paßkontrolle über mich ergehen lassen, meine Reisetasche von einem altersschwachen Laufband gefischt und bin dann rausgegangen, um mich nach einem Taxi umzusehen. Es war heiß und chaotisch. Die Luft stand vor Dreck und Auspuffgasen. Im unzuverlässigen Schatten einer Palme stand, auf sein M16 gestützt, mit hängendem Kopf ein müder Soldat und ruhte sich aus. Autos hupten und quietschten, Musik dröhnte aus dem Fenster eines alten Mercedes, und als er an mir vorbeifuhr, erfaßte mich die Welle der Hitze, die von dem zerbeulten Metall und dem röchelnden Auspuff ausging. Der Riemen meiner Tasche schnitt in meine Haut, und ich war längst klatschnaß geschwitzt.

»Steig ein, Zanetti«, rief Don. Sein Gesicht war knallrot, und eine Fluppe hing von seiner Unterlippe. Ich warf meinen Kram in den Kofferraum und setzte mich in den Fond. Am Rückspiegel baumelte eine Gebetsperlenkette. McCaughrean, der vor lauter Hitze keuchte wie ein Asthmatiker, reichte mir eine offene Marlboro-Schachtel.

»Danke«, sagte ich und ließ mich in die klebrigen schwarzen Plastikpolster zurückfallen. Der Fahrer drehte das Radio lauter.

»Ins ,Colony‘, stimmt’s?«, schnaufte McCaughrean.

»Mm-hm«, bestätigte ich. Der Rauch, den ich ausblies, schien die schwüle Luft zu durchschneiden. »Muß mir noch ’ne Wohnung besorgen.«

»Was ist denn mit der von Edmonds?« wollte McCaughrean wissen.

»Weiß nicht. Da würde ich mich nicht wohl fühlen«, sagte ich und starrte aus dem Fenster auf die Berge von Wassermelonen, die im Dreck am Straßenrand verkauft wurden. Außerdem habe ich schon seit Jahren eine Schwäche für das ,Colony‘. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich arbeitete damals gerade an einer Reportage über Mischehen. Ich vermute, es liegt an den Eidechsen.

Als wir laut redend die düstere Lobby betraten und unsere Taschen fallen ließen, huschte gerade eine über den hallenden Steinfußboden. Von draußen wirkt der Eingang wie ein Loch in der Wand. Abgesehen von ein paar kleinen Jungen mit Eseln waren die ungepflasterten Straßen verlassen. Die Luft war erfüllt vom Zirpen der Grillen und vom Duft der Zitronen. Eine Allee von Zitronenbäumen führte zum Löwenmosaik neben der Tür. Die prallen Früchte leuchteten unwirklich von den Zweigen. An der Rezeption hockte ein Page, den ich noch nie gesehen hatte, unter den tief hängenden Messinglampen.

»Ahlan. Salaam. Guten Abend, Sir, Madam«, sagte er, wobei er den Kopf vor mir neigte, als würde ich ein Ballkleid tragen und nicht eine olle Jeans und ausgetretene Cowboystiefel. Er hatte blitzende schwarze Augen und eine karamelfarbene Haut.

»He, Zahir. Was macht das Liebesleben?« fragte McCaughrean und klatschte seinen Reisepaß auf den alten Messingtresen.

Der Page lachte. »Schön, Sie mal wieder zu sehen, Sir«, sagte er und drückte eine Taste auf seinem Computer. »Nummer neun.«

McCaughrean warf sich seine Tasche über die Schulter und schlurfte den beidseitig von Fensterschlitzen gesäumten, mit Steinplatten gefliesten Gang entlang, der zwar schmal war, aber dafür eine orientalisch hohe Decke hatte.

Ich stützte mich mit den Ellenbogen auf den Tresen und lächelte Zahir an. »Bitte, bitte, das Hofzimmer«, bettelte ich. Das mußte er sich jeden Tag anhören. Ein besorgter Ausdruck huschte über Zahirs Gesicht, als er auf seinen Bildschirm schaute. Wer wäre nicht scharf auf dieses Zimmer? Kaum zu fassen, daß es Don dermaßen gleichgültig war und er einfach nahm, was man ihm gab. Wenn man das Hofzimmer hatte, fühlte man sich wie der Pascha persönlich. Würdevoll schritt man durch das von Zitronenbäumen gefilterte Sonnenlicht über Pflastersteine am Brunnen vorbei in das kühle Dunkel des geräumigen Boudoirs ... oder so.

Klick, klick. Und dann hellte Zahirs Miene sich auf, und er lächelte übers ganze Gesicht. Neckisch ließ er den Schlüssel vor meiner Nase baumeln. »Das Hofzimmer, Miss Zanetti. Nummer sechs«, sagte er zu mir, und seine Freude war fast ebensogroß wie meine.

Ich verscheuchte zwei Eidechsen aus der Badewanne und drehte das heiße Wasser auf. Auf BBC World lief ein Bericht aus dem Irak von Pip Deakin, diesem Idioten. Deakin ist klein und überfärbt seine grauen Strähnen mit dem gleichen gräßlichen Orangebraun wie Paul McCartney. Außerdem hat er gebleichte Zähne und tritt gern mal mit einem bis zur Taille geöffneten Hemd vor die Kamera, so als lebe er zu gefährlich, als daß er es mal eben zuknöpfen könnte. Aber das kommt nur dann vor, wenn er ausnahmsweise mal seine kugelsichere Weste auszieht, also äußerst selten. Er berichtet ausschließlich über sich selbst und die Entbehrungen, die er im Gebirge, im Schützengraben oder wo auch immer zu ertragen hat. Er hat sich mal in voller Kampfmontur vor dem »Intercontinental Hotel« in Bagdad aufgebaut. Ein paar Einheimische, die gerade beim Einkaufen waren oder eiligen Geschäften nachgingen, blieben stehen und lachten ihn aus. Sie mußten nachher mühsam rausgeschnitten werden. Pip Deakin haßt mich. Dabei ist es doch nicht meine Schuld, daß er damals im Kosovo vorgetäuscht hat, unter Beschuß geraten zu sein. Er hat einfach seinen Text gesprochen und sich dann plötzlich geduckt und in die Büsche geschlagen, so als würde jemand auf ihn feuern. Das Problem war nur, daß er es beim ersten Mal vergeigt hat – mit dem Ergebnis, daß seine offen gesagt reichlich peinliche Schauspieleinlage gleich zweimal auf dem Tape war, das in der Redaktion ankam. Und die Geschichte sprach sich natürlich rum. Sie ist so legendär wie die von dem Kameramann (auch in dem Fall weiß ich, um wen es sich handelt), der sein Arbeitsgerät auf einem Stativ aufgebaut hat, um den Pornokanal des Hotels für seine Privatvideothek abzufilmen. Nur hat er leider nicht an sein Spiegelbild auf der Mattscheibe gedacht. Und dann hat er versehentlich das falsche Tape nach New York geschickt.

Die Sache mit Pip war jedenfalls die, daß ich eines Abends in London (im Haus seiner Exfrau, um ehrlich zu sein) bei einem Dinner, das zu einem ziemlichen Besäufnis ausartete, die Kosovo-Geschichte zum besten gegeben habe. Unglücklicherweise saß neben mir ein Klatschkolumnist, dem gerade ein bißchen der Stoff ausgegangen war. Pip brauchte ungefähr zweiunddreißig Sekunden, um herauszufinden, wer es ihm gesteckt hatte. Seitdem ist unsere Beziehung ein wenig abgekühlt. Es tat mir schon leid. Zumindest war’s mir peinlich. Aber ich fürchte, bei unserer letzten Begegnung habe ich alles nur noch schlimmer gemacht. Wir waren im »Mille Collines« in Ruanda, und als er irgendwann in die Bar kam, war ich schon ziemlich müde und leicht angesäuert. Ich fragte ihn, wo er denn seine kugelsichere Weste gelassen habe, schließlich müsse man immer damit rechnen, daß der Barkeeper einen plötzlich über den Haufen schießt. Alle lachten. Es sollte ein Scherz sein. Ein Versöhnungsangebot.

Aber er blaffte nur: »Fick dich ins Knie, Zanetti!«

Ich wollte noch irgendwas Fieses erwidern, wie zum Beispiel: »Allemal lieber als dich, Deakin«, aber ich hab’s mir geschenkt. Abgesehen davon kann er sich echt nicht beschweren. Er ist mit Abstand der bestbezahlte britische Fernsehkorrespondent auf Erden. Ernährt zwei Familien von seinem Einkommen.

Ich schaltete um auf CNN, aber da lief »Style« mit Elsa Klench, daher legte ich mich in die Badewanne. Ich schloß die Augen und ließ mir von dem heißen Wasser die Reise aus den Poren waschen. Ein Muezzin rief zum Abendgebet.

Ich hätte überhaupt noch nicht hier sein sollen. Am liebsten wäre ich gleich nach der Ankunft bei Shiv vorbeigefahren, doch es ist eine Art ungeschriebenes Gesetz, daß man sich, gleich nachdem man angekommen ist, an die Arbeit macht. Was für einen faulen Lenz wir Auslandskorrespondenten in Wahrheit schieben, verraten wir natürlich keinem. Während des Balkankriegs prügelten sich die Journalisten geradezu darum, von dort Bericht erstatten zu dürfen, denn man konnte die ganze Zeit in Split am Strand liegen. Bei ihrer Rückkehr waren sie alle sonnengebräunt, ausgeruht und bester Dinge. Trotz des Völkermords.

Nachdem das Redaktionssekretariat mich wochenlang genervt hatte, ich könne doch in Edmonds’ Apartment wohnen, für das sie ohnehin noch auf Jahre hinaus Miete zahlen müßten (kam überhaupt nicht in die Tüte), hatten sie mir hier für einen Monat ein Zimmer reserviert. Dann sagte Glover, ein Typ, der zu Studienzeiten sein Squash-Partner gewesen sei (jetzt sitzt er im Außenministerium), habe ihm gesteckt, daß es in der israelischen Armee einen Maulwurf gebe, der die Selbstmordattentate der Palästinenser steuere. Das ist eine von den Geschichten, die sich niemals beweisen lassen, die als erster zu bringen aber dermaßen phantastisch wäre, daß alle namhaften Blätter ihre besten Leute darauf ansetzen. Natürlich sind sie für gewöhnlich sowieso nicht wahr.

Einmal mußte ich für eine Sonntagszeitung, bei der es Usus war, sich am Dienstag Schlagzeilen auszudenken und dann bis Samstagabend die dazu passenden Geschichten zu zimmern, unabhängig davon, ob sie der Wahrheit entsprachen oder nicht, einen Artikel über Mark Thatcher schreiben. Die Redaktion vermutete, daß Mark Steuern hinterzog, und die Schlagzeile sollte lauten: »Thatcher im Visier amerikanischer Steuerfahnder«. Also haben wir bei der Finanzbehörde in Amerika angerufen und ihnen erzählt, wir hätten den Verdacht, er sei ein Steuersünder. Sie wollten sofort Ermittlungen gegen ihn einleiten. Die Geschichte erschien auf der ersten Seite.

Jedenfalls hat Glover darauf bestanden, daß ich hierher komme, und mich dazu gedrängt, unverzüglich ein Treffen mit General Meier zu arrangieren. Ein Maulwurftreffen. Natürlich stand nicht zu erwarten, daß der General mir irgend etwas verraten würde. Jedenfalls nicht, solange er nicht meine Titten zu sehen bekam. Am Ende hat Glover das Treffen sogar selbst arrangiert. Uuuuh. Wie zuvorkommend!

Der General hatte gesagt, er würde mich anderthalb Stunden nach der Landung meines Fliegers im Hotel abholen. Ich war erstaunt, daß er sich in seinem dicken schwarzen Schlitten – die perfekte Zielscheibe für Attentäter – in diese Gegend traute. Als ich ihm das sagte, wenn auch nicht ganz mit diesen Worten, erzählte er mir, er habe bereits zwei Autobomben überlebt – Gott wolle seinen Tod nicht. Wenn das stimmte, dann stand Gott damit ziemlich allein da. Der Kerl hatte »angeblich« (mit anderen Worten, es stimmte, aber niemand wagte, etwas deswegen zu unternehmen) so viele Massaker an Palästinensern zu verantworten, daß selbst ultrakonservative Israelis ihn ein bißchen radikal fanden.

Ich rubbelte mit einem großen, weißen Handtuch meine Haare trocken und schüttelte sie. Ich habe es schon vor Jahren aufgegeben, etwas gegen meine Korkenzieherlocken zu unternehmen. Nun trage ich eben einen blonden Afro. Ich dachte, für den General sollte ich wohl lieber mal einen Rock anziehen. Ich besitze genau einen Rock – er ist eng, schwarz und kurz – und zwar just für Anlässe wie diesen. Mir hat mal jemand gesagt, ich hätte schöne Beine. Leck mich, habe ich geantwortet, aber dann trotzdem einen kurzen Rock gekauft – für alle Fälle. Ich habe auch immer ein Paar schwarze Stilettos im Gepäck. Es fällt mir schwer zu glauben, daß es Menschen gibt, die diese Dinger aus anderen als rein beruflichen Gründen anziehen. Vielleicht gibt es sie auch gar nicht. Vom Make-up ganz zu schweigen.

Als ich zum ersten Mal Oberst Gaddhafi in Tripolis traf, war ich so nervös, daß ich mir doch tatsächlich von einer Kollegin einen Lippenstift geborgt habe, aber ich kam mir vor wie ein Clown und hab’s seitdem schön sein lassen – unter anderem deshalb, weil Gaddhafi seine Berater rausgeschickt, die Tür abgeschlossen und dann versucht hat, mich dazu zu bringen, ein aprikosenfarbenes Negligé anzuziehen, das er offenbar in seinem Schreibtisch aufbewahrt. Ich möchte, daß die Typen, die ich interviewe, entspannt sind, sich überlegen fühlen, mir trauen. Ich bin nicht darauf aus, daß sie mich vergewaltigen.

Als es an der Tür klopfte, rechnete ich mit einem hübschen Pagen mit einem Betthupferl und einer Karaffe Eiswasser für meinen Nachttisch. Mit dem Handtuch in der Hand öffnete ich die Tür zum Hof. Es war der General – zu früh und mit einer Flasche Champagner in der Hand. Hinter ihm stand Zahir, und die Messingknöpfe auf seiner grünen Uniform glänzten im Abendlicht. Zahir trug ein Tablett mit einem Eiskühler aus Zinn, zwei Gläsern und einer Vase mit Rosen.

»Ah, die zauberhafte Miss Zanetti«, sagte der General mit einem anzüglichen Glitzern im Auge.

Ich spreche bewußt von nur einem Auge, denn mehr hat er nicht. Was immer von dem anderen übrig sein mag, liegt hinter einer schwarzen Klappe verborgen. Er nahm meine Hand und drehte sie um, um die Handfläche zu küssen. Ich gab mir Mühe, nicht zurückzuzucken. Die Kombination aus seinen trockenen Lippen und seinen verstümmelten Fingern ließ mir die Galle hochkommen.

»General«, sagte ich und sah mit einem anerkennenden Lächeln zum Champagner hinüber, »Sie können offenbar Gedanken lesen.«

Zahir drapierte die Blumen auf einem blauen Mosaiktisch. Es hätte mich kaum überrascht, wenn er herumgewirbelt wäre und dem General die Kehle durchgeschnitten hätte. Statt dessen füllte er die Gläser und nahm mit einem ganz und gar ehrerbietigen Diener aus der verunstalteten Hand sein Trinkgeld entgegen. Etwas an der Art, wie der General sich die Lippen leckte, während er seinen massigen Körper auf die Bettkante pflanzte, weckte in mir das Bedürfnis, ihn rauszuschmeißen. Er trug glänzende schwarze Slipper mit einem goldenen Schild. Ich stürzte meinen Champagner auf einen Zug hinunter, und die Kohlensäure trieb mir die Tränen in die Augen.

»Ich komme um vor Hunger«, sagte ich, stand auf und warf mir meine Lederjacke über. Genaugenommen war es die Lederjacke meines Vaters. Er hatte sie an, als er in Belfast erschossen wurde. Sie schickten sie in einem Plastikbeutel zu uns nach Hause. Ich weiß noch, wie Evie sie winselnd beschnuppert hat.

Der General trat zur Seite, um mir den Vortritt zu lassen, und als wir über den gepflasterten Hof schritten, hielt er meinen Ellenbogen. Wenn man es mit der Ritterlichkeit übertreibt, kippt sie ganz leicht in Schleimigkeit um. Über unseren Köpfen raschelten die Zitronenbäume, und der Himmel verfärbte sich langsam orange. Ein Kellner, der den Arm voller gestärkter leinener Tischtücher hatte, kreuzte unseren Weg. Als er meinen Begleiter erblickte, sträubten sich ihm sichtlich die Nackenhaare. Der General war ohne Frage verantwortlich für die Ermordung seiner halben Verwandtschaft. Immerhin war dies der Mann, der in einem Interview auf meine Frage nach einem palästinensischen Gefangenen, der mit Schlafentzug gefoltert worden war, geantwortet hatte: »Sein schlechtes Gewissen hat ihm offenbar keine Ruhe gelassen.« Daß ich bereits, als ich noch in London stationiert war, zu all diesen großen Auslandsreportagen für die Samstagsausgabe hergeschickt wurde, habe ich letztlich meiner Freundschaft – wenn man sie denn so nennen kann – mit Meier zu verdanken. Der damalige Korrespondent war stinksauer. Das war vor Edmonds, und ich werde seinen Namen nicht verraten, aber in einer E-Mail hat er mich mal als Miststück beschimpft. Was kann ich denn dafür, daß sie mich zu dem Obermotz geschickt haben und nicht ihn. Wenn er die Kontakte gehabt hätte, hätte er die Story gekriegt.

Ein gepanzerter Wagen stand mit laufendem Motor draußen vor dem Tor. Durch die geschwärzten Scheiben konnte ich die Umrisse des Fahrers erkennen, und neben der Beifahrertür stand ein Soldat in Uniform, das M16 an der Schulter. Eine Schar zerlumpter Kinder hatte sich versammelt, um zu gaffen. Mit nackten Füßen wirbelten sie den Staub auf. Ich winkte zu ihnen hinüber, woraufhin sie kicherten und auf meine Haare zeigten. Ich drückte sie für sie platt und erntete ein freudiges Kreischen. In dem langen Messer eines Mannes, der ein paar Meter die Straße hinunter Wassermelonen verkaufte, blitzte das Sonnenlicht auf, und der Soldat zuckte zusammen.

Das Innere des Wagens war hyperklimatisiert, und ich bekam sofort am ganzen Körper eine Gänsehaut. Wenigstens bestand so keine Gefahr, mit den Beinen am beigefarbenen Leder der Sitze klebenzubleiben.

Der General rückte mir arg auf die Pelle, und ich schaute zu, wie in einer seltsamen Fata Morgana aus erster und dritter Welt die Stadt draußen vorbeirauschte. Wie eine Nachrichtenmeldung im Fernsehen, betrachtet aus der stillen Geborgenheit unserer sicheren Kapsel. Palmen sind heute für niemanden etwas Besonderes mehr – seien es die in Marbella, in Florida oder die sorgsam manikürten Gewächse an den Boulevards von Los Angeles. Doch diese hier haben nichts Friedliches und nichts Gepflegtes. Sie wachsen, wo und wie sie wollen, sind größer und stehen in rotem Staub. Selbst die noblen Einkaufsstraßen, in denen die Touristen alberne T-Shirts und Schlenkerpuppen von Arabern und chassidischen Juden mit ulkigem Kopfschmuck kaufen, sind nur scheinbar Oasen des Friedens. Das anmutige Lächeln der jungen Mutter ist ein gezwungenes – sie ist es gewohnt, sich angstvoll umzusehen.

»Sie sind noch schöner als beim letzten Mal«, sagte der General zu mir. Also wirklich! Was erwartete der denn von mir? Ein kokettes Kichern und einen betörenden Augenaufschlag? Ich gab mein Bestes. Offenbar war es genau das, was er sich erhofft hatte, denn er lehnte sich zufrieden zurück und legte seinen Arm auf die Lehne über meinen Schultern, so daß seine Finger – oder was von ihnen übrig war – zart den Kragen meiner Bluse berührten.

Wir fuhren in die westliche Innenstadt und gingen in ein deprimierend nobles Restaurant mit phänomenalen Sicherheitsvorkehrungen, russischen Prostituierten in High-Heels und einem Kasino im ersten Stock. Das Menü bestand aus Foie gras, Kaviar und Fasan, und die Bedienung war penetrant servil. Das Damenklo, das ganz in schwarzem und weißem Marmor gehalten war und dadurch etwas von einem Mausoleum hatte, war mit Haarspray, verschiedenen Markenparfums sowie Ersatzstrümpfen und -strumpfhosen ausgestattet. Als ich mir ein paar Strumpfhosen nahm, schaute mich die Frau, die die Handtücher verteilte, grimmig an. Sie trug eine Art Kammerzofentracht mit einer weißen Rüschenschürze und einer grotesken Haube.

»Na wsjakij slutschai«, sagte ich auf russisch zu ihr, und sie grinste und gab mir noch ein paar mehr.

Mein erster Mann war Russe. Okay, mein einziger Mann. Ich war achtzehn, und ihn zu heiraten erschien mir als eine gute Möglichkeit, aus London rauszukommen. Wir lebten zusammen mit seiner Mutter und Großmutter im siebenundzwanzigsten Stock eines Wohnblocks am Stadtrand von Ryazan, in dem ständig der Fahrstuhl kaputtging. Vor der Hochzeit hatte er mir erzählt, er lebe in Moskau, wo wir uns kennenlernten. Ich wurde permanent vom KGB beschattet. Kurioserweise war der für das Kaff zuständige KGB-Mann ein ehemaliger Mitschüler meines Mannes, daher war das Ganze eigentlich ein Witz, wenn auch kein sehr komischer.

»Das sind ja alles Russen hier«, sagte ich zu dem General, als ich mich wieder auf meinen vergoldeten Stuhl setzte.

Er beugte sich vor, um mir mit einem zierlichen goldenen Feuerzeug Feuer zu geben.

»Sie stellen bereits zehn Prozent der Bevölkerung«, erzählte er mir mit einem enttäuschten Nicken seines riesigen Kopfes. Er hatte nicht nur ein Auge verloren, sondern sein Gesicht war obendrein schwarz vor Schrapnellsplittern. Ein Geiger kam an unseren Tisch, um »Don’t Cry For Me, Argentina« zu spielen, doch der General verscheuchte ihn mit einer Handbewegung, die die Kerzen flackern und dann ausgehen ließ. Dennoch hatte er seinen Zweck erfüllt. General Meier ist der Knüller, den wir uns erhofft haben. Und er gehört mir. Andererseits mußte ich noch am selben Abend etwas für die Ausgabe des nächsten Tages abliefern. Niemand hatte etwas dagegen, wenn ich in aller Ruhe meine Recherchen anstellte und an irgendeiner geheimnisvollen Geschichte bastelte, aber zusätzlich mußte ich tagesaktuelle Meldungen abliefern. Und ich war mir keineswegs sicher, daß er sich dafür genug Informationen entlocken lassen würde. Also ran an den Speck!

Als ich ihn nach dem Maulwurf fragte, dachte ich daher, ich sollte dabei vielleicht seine Hand berühren. Immerhin schlachtete einer seiner Soldaten seine Kameraden ab. Ein Waffenbruder.

Für einen kurzen Moment wirkte er überrascht, um gleich darauf entschieden zu bestreiten, daß seine Truppen vom Gegner unterwandert sein könnten. Mir war nur nicht ganz klar, ob er erstaunt über meine Zudringlichkeit war oder darüber, daß ich ein bedeutendes militärisches Geheimnis zu kennen schien. Möglich war beides.

Offenbar hatte er die Frage als Vorwurf persönlichen Versagens aufgefaßt (was auch nicht ganz von der Hand zu weisen war, falls das Maulwurf-Gerücht stimmte). Als er sich wieder beruhigt hatte, begann er mit der notorischen Weitschweifigkeit eines Politikers zu erklären, er habe im Grunde nichts gegen die Palästinenser. »Sie würden die Juden am liebsten auslöschen, aber ich kann Ihnen versichern, daß wir Israelis nicht die Absicht haben ...« Bla bla bla. Noch so eine Lüge. Im Auslöschen war er schon immer der Größte. Er war berühmt dafür, verdammt noch mal. Möglicherweise stellt man ihn deswegen eines Tages vor Gericht. In seinem Gesülze ging er sogar so weit, daß er versprach, mich einem englischen Jesuitenpfarrer vorzustellen, der palästinensische Waisenkinder aufnahm – ein Projekt, das ihm sehr am Herzen läge. Bei dem Wort »Herz« faßte er sich an die Geldbörse.

Er behauptete, Kinderfürsorge sei ihm ein dringendes Anliegen. Ich für meinen Teil konnte mir nicht vorstellen, daß Kinder vor ihm etwas anderes als nackte Angst empfanden. War er so naiv zu glauben, ich würde ihm den Quatsch abnehmen?

»Sie sind offenbar ein sehr gütiger Mann«, sagte ich, senkte den Blick und lächelte meinen Teller an. Okay, ich habe mit dem Fuß den seinen gestreift. Ich geb’s zu.

»Und was ist mit dem Maulwurf?«

Mit einem tiefen Seufzer beugte er sich zu mir herüber.

»Verzeihen Sie. Vielleicht habe ich mich in diesem Punkt nicht klar genug ausgedrückt«, zischte er mir ins Ohr. »In meiner Armee gibt es keinen Verräter.« Ich spürte, wie er mich beim Sprechen mit Speichel besprühte, und mir schnürte sich die Kehle zusammen, so als müßte ich mich gleich übergeben. Ich nickte und hoffte, er würde das als Verneigung vor seiner umwerfenden erotischen Ausstrahlung verstehen.

»Wenn Sie sich persönlich überzeugen möchten – eine Kompanie meiner besten Männer steht derzeit vor Ramallah und bereitet sich auf eine Razzia vor. Ich werde dem Hauptmann sagen, daß Sie auf einen Besuch vorbeikommen.« Er lehnte sich zurück und schaute so selbstgefällig drein, als hätte er mir gerade die Story schlechthin verschafft. Eine nette Reportage, okay. Aber ein Watergate war das nicht gerade. Doch es würde reichen. Knappe hundert Zeilen für die morgige Ausgabe würde ich schon zusammenkriegen. Von einer bevorstehenden Razzia erzählen. Und das Ganze mit einer kurzen Abhandlung über die israelischen Spezialeinheiten auffüllen. Wie sie entstanden sind, was für harte Jungs das sind und so weiter.

Als wir wieder beim »American Colony« ankamen, beugte er sich zu mir herüber, schob mir seine Hand zwischen die Schenkel und küßte mich auf den Hals. Ich stieß ihn so sanft wie möglich weg und sagte: »Uuuh, General! Sie gehen aber ran!«

Er erwiderte so etwas wie: »Du kleines Biest, du!«

Dann spang ich aus dem Wagen und rannte, so schnell ich in meinen albernen Schuhen konnte, ins Hotel. Wenn er doch nicht so ein wertvoller Informant wäre! Am liebsten hätte ich ihm eins auf sein gesundes Auge verpaßt.

Ich zog mir wieder etwas Normales an und ging hinunter in die Bar. Als ich dort ankam, war McCaughrean bereits sternhagelvoll. Er lag mit dem Gesicht auf dem Tresen, hatte die Augen halb geschlossen und klammerte sich immer noch an einem Tequila-Glas fest.

»Faith! Faith! Da bist du ja!« brüllte die bezaubernde Siobhan Boucherat an einem Tisch in der Ecke. Meine Shiv. Strahlend ging ich zu ihr. Wir umarmten uns eine kleine Ewigkeit, und sie fing sogar an zu weinen, was aber wohl mehr dem Alkohol als der Wiedersehensfreude zuzuschreiben war. Wir haben uns seit Salvador nicht gesehen. Ich mag Shiv sehr. Sie hat eine krankhafte Angst vor losen Knöpfen (im Ernst!) und ein Faible für Männer unter fünfundzwanzig. Martin allerdings muß mindestens fünfundfünfzig sein. Ihre angebliche Beziehung stieß überall auf Kopfschütteln, aber irgend etwas schien sie den beiden zu geben. Um herauszufinden, was das war, bräuchte man allerdings einen guten Seelenklempner, wenn man mich fragt. Aber mich fragte sie ja nicht.

»Das ist Mischa«, erklärte sie und zwinkerte mir dabei zu. »Er kommt aus St. Petersburg und soll hier einen Artikel über die russische Unterwelt recherchieren.« Sie sagte »Unterwelt«, als sei das etwas unglaublich Aufregendes und Deliziöses, aber das war pure Ironie. Ich gab Mischa die Hand, und er blinzelte nervös hinter seiner Brille. Er war einer dieser blassen Typen, die sich dem postsowjetischen Journalismus verschrieben haben – spiddelig, auf ewig der Wahrheit verpflichtet, aber unfähig, sie zu enthüllen. Er hatte staubfarbene Haare, graue Augen und unstete Finger.

»Hier wimmelt’s ja wirklich vor Russen. Ich war gerade mit dem schmierigen alten Zyklopen im ›Hippodromica‹. Sämtliche Kellner kamen aus Rußland«, sagte ich.

»Bäh, ich hasse diesen Laden«, ächzte Shiv und zündete sich eine Zigarette an. »Wie kommt es überhaupt, daß dieser Kotzbrocken noch am Leben ist?«

»Keine Ahnung. Ich hätte ihn eben fast selber umgebracht«, antwortete ich.

Mischa rutschte auf seinem Stuhl herum. Er fühlte sich unwohl hier, und er tat mir ein bißchen leid. Immer mußte Shiv sich auf solch unschuldige Typen stürzen.

»Freut mich, Sie kennenzulernen«, brachte er schließlich hervor. »Siobhan hat mir schon viel von Ihnen erzählt.«

Ich lachte und ging mir einen Wodka holen. An der Bar redeten ein paar Boulevardjournalisten über einen offenbar für den nächsten Tag geplanten Trip nach Ramallah.

»Lust auf ein bißchen Action, Zanetti?« fragte mich einer von ihnen. Aber gewiß! Das kam mir äußerst gelegen, obwohl vermutlich jeden Morgen irgend jemand vom »Colony« dort hinfuhr. Schließlich war Ramallah der Ort, wo militärisch gesehen die Post abging. Ich dachte mir, ich könnte einen brandheißen Frontbericht schreiben und mich bei der Gelegenheit gleich ein wenig in der Maulwurfsache umhören.

Ich sagte, ich würde es mir bis zum nächsten Morgen überlegen. Erst müßte ich in der Redaktion anrufen. Ich wollte mich nicht verraten, indem ich mich allzu begeistert zeigte. Ich glaube zwar, daß ich als einzige an der Maulwurfgeschichte dran war, aber man kann ja nie wissen. Meistens arbeiteten wir alle an der gleichen Story, aber diese wollte ich bitte schön für mich behalten. »Ihr wollt euch also tatsächlich von eurem geliebten Pool entfernen?« fragte ich.

Normalerweise hören sie nämlich bloß BBC World Service und schicken ihre Texte per Satellitentelefon aus dem Liegestuhl ab.

»Ja, ja, ja. Deine Zeitung ist größer als unsere!« knurrte Grant Bradford und bot mir eine Zigarette an. Grant Bradford ist überall. Er ist einer dieser Boulevardjournalisten, die man früher als Schmierfinken bezeichnet hätte. Er tut immer so, als hätte er nie Enthüllungsstorys über das Liebesleben von Soap-Stars geschrieben. Seine Haare sind kurz, stachelig und knallorange.

»DIN-A2«, prahlte ich, nahm den Glimmstengel und ging zurück zu Shiv.

Ich hatte mich kaum hingesetzt, da rappelte McCaughrean sich hoch und fing an, gegen die Revolverpresse zu wettern.

»Ihr könnt doch noch nicht mal Titten und Ärsche voneinander unterscheiden, ihr Vollidioten«, pöbelte er los. Bradford starrte ihn an und wartete ab, worauf er hinauswollte.

»Und ich dachte, das wäre das einzige, was sie können, Don«, warf jemand ein, und alle brüllten vor Lachen.

McCaughrean ignorierte die Bemerkung.

»Ich habe für meine Arbeit schon Preise bekommen«, brüllte er. »Ich zeige den Menschen, was in dieser beschissenen Welt vorgeht, und was tut ihr? Verkleinert mein Bild auf die Größe eines verdammten Paßfotos ...«, er stockte, denn er hatte den Faden verloren. Es war jedoch klar, worum es ihm ging. Bradford gab ihm einen Klaps auf den Rücken.

»Du bist ein Genie, Mann«, erklärte er. »Du bist ein verdammtes Genie.«

Daraufhin brach McCaughrean in Tränen aus.

»Danke, Mann«, sagte er und vergrub den Kopf in den Händen.

Mischa berichtete mir gerade von der Welle russischer Kriminalität in Jerusalem, als er plötzlich mitten im Satz innehielt und mit großen Augen aufblickte. Zu unserem Entsetzen war McCaughrean dabei, auf uns zuzuwanken. Er hatte sich inzwischen von seinem Weinkrampf erholt. Unterwegs stieß er einen Tisch um. Gläser zerschellten auf dem Fußboden, und die kleinen Plastikrührstäbchen schnellten von den Terracottafliesen in die Luft. Wir verstummten und sahen fassungslos zu, wie er den Stuhl neben mir anpeilte, ins Leere griff und auf die Knie knallte. Haltsuchend griff er nach der Tischkante.

»Mist«, murmelte er. Sein Gesicht war aufgedunsen und schweißüberströmt.

Mischa half ihm hoch und verlor dabei seine Brille. McCaughrean zertrat sie mit einem Knirschen, das uns anderen durch Mark und Bein fuhr.

»Ich muß dich flachlegen, Zanetti«, sabberte er. Shiv und ich warfen uns einen Blick zu.

»Hallo?« sagte ich und schaute ihm prüfend ins Gesicht.

»Ich fick dir das Hirn raus«, erklärte er und langte unbeholfen nach meinem Arm. »Ficken. Ich werde dich ficken.« Inzwischen klammerte er sich an mich. Ich pflückte seine Wurstfinger von meiner Haut und schubste ihn vom Stuhl. Mit schwabbelndem Bauch rutschte er widerstandslos zu Boden. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen.

»Ich liebe dich«, lallte er mit geschlossenen Augen. »Zanetti.«

Mir schwante, daß er womöglich die Wahrheit sagte.

Mittlerweile zerrten zwei Kellner den leblosen McCaughrean aus der Bar und die Treppe hinauf, und wir setzten unser Gespräch fort.

»Wie unangenehm«, sagte Shiv, lachte und griff nach Mischas Hand. Dieser zitterte geradezu vor Angst vor dem, was nun von ihm erwartet wurde. Geschlechtsverkehr mit Siobhan Boucherat oder, wie sie es gern ausdrückte, »Sex bis zum Umfallen«.

»Und, nimmst du Dons Antrag an?« fragte sie.

»Klingt verlockend«, sagte ich und stand auf, um ins Bett zu gehen. Es war sicher schon zwei Uhr morgens. »Bis morgen.« Ich gab Shiv einen Kuß und ging.

Den Lärm und den Alkoholdunst hinter mir lassend, sprang ich die Treppe hinauf und trat unvermittelt in die undurchdringlich dunkle und schwere Stille des menschenleeren Innenhofs hinaus. Während ich ihn überquerte, hörte ich etwas rascheln, und mir schnürte sich die Kehle zusammen. Wenn McCaughrean nun wieder bei Sinnen war? Der Gedanke, er könnte hinter einem Baum hervorkommen und auf mich zutorkeln, behagte mir nicht besonders. Eine Eidechse huschte über das Pflaster. In der Ferne zirpten die Grillen in den Gärten.

Das schwere Klirren meines Schlüssels in der Tür hallte von den weißen Mauern wider, und als ich Licht machte, ertappte ich mich dabei, daß ich mich rasch nach einer drohenden Gefahr umschaute. Idiotisch, dachte ich und schnalzte geringschätzig mit der Zunge wie eine Lehrerin, die eine Kritzelei auf einem Pult entdeckt. Es hatte sicher etwas damit zu tun, daß ich mich den ganzen Abend plumpester Avancen erwehren mußte. Das gibt mir immer das Gefühl, jemand sei hinter mir her, versuche mich zu betatschen, wenn ich gerade nicht damit rechne. So geht es mir schon seit meiner Jugend. Nach einem Date, das nicht zu Sex geführt hat, bin ich ungefähr eine Stunde lang nervös. Als würde jemand in der Nacht über mich herfallen.

Mir fiel tatsächlich etwas ins Auge, wenn auch nichts besonders Gefährliches: Auf meinem Kopfkissen lag ein cremefarbener Briefumschlag. »Miss Faith Zanetti« stand mit einem teuren Füllfederhalter darauf geschrieben. Die Farbe verlief ein wenig in der groben Struktur des Papiers. Es war eine Nachricht vom General.

»So leicht gebe ich nicht auf«, stand darin und darunter eine Unterschrift. Warum hatte er sie nicht an der Rezeption abgegeben? Wer hatte ihn hier hereingelassen? Ich trank den Rest Champagner aus, der noch von vorhin übrig war. Für den Bruchteil einer Sekunde, aber nicht lange genug, als daß sich Schmetterlinge in meinem Bauch regen konnten, erwog ich Eden Jones anzurufen. Eden Jones, in den ich nicht verliebt bin. Nicht im geringsten. Nie und nimmer.

Nachdem ich die Briefpapiermappe aus dem Weg geräumt und die aus einer großen grünen Kugel bestehende Lampe eingeschaltet hatte, baute ich meinen Laptop auf dem Schreibtisch auf. Sollte ich ohne jeden Beweis über den Maulwurf schreiben, um die erste zu sein, die die Story brachte, oder so lange warten, bis auch alle anderen an ihr dran waren? Ich beschloß, daß Glovers Freund im Außenministerium als Quelle reichen mußte. Auf dem, was wir von ihm wußten, konnte man erst mal eine Weile herumreiten. Und dann direkt zu Meiers Dementi überleiten. Ich zündete mir eine Zigarette an und begann zu tippen. Meine Internetverbindung funktionierte nicht, daher mußte ich den Text telefonisch an die Redaktion übermitteln: Neuer Satz. Um den Verräter in den eigenen Reihen zu entlarven – l-a-r-v-e-n – Komma, muß Israel ...

Ich war gerade fertig, als Shiv hereinstürmte. Ich hatte die Tür nicht abgeschlossen. Sie hielt eine Flasche Bier in der Hand.

»Er schläft. Ist einfach eingepennt. Ich hab’ ihm einen geblasen, und weg war er«, jammerte sie, klaute mir eine Zigarette und legte sich aufs Bett. »Was sagt man dazu?«

Ich klappte meinen Computer zu, lächelte sie an und ging zu ihr, um einen Schluck Bier zu trinken.

Tja, was sollte man dazu sagen? Das wußte ich auch nicht. Aber es überraschte mich nicht im geringsten. Sie grunzte theatralisch.

»Wo hast du den eigentlich aufgegabelt?« fragte ich sie.

»Er hat mich aufgegabelt. Hast du den Artikel gelesen, den ich über die psychiatrische Kinderklinik in Haifa geschrieben habe?«

»Nein.«

»Wieso nicht? Verdammt. Liest du keine Zeitung?«

»Nein.«

»Jedenfalls wollte er dazu ein paar Nummern von mir haben. Offenbar ist er im Internet auf den Artikel gestoßen, als er Material für seine eigene Geschichte gesammelt hat. Die Sache klingt wirklich übel«, sagte sie und verzog bei dem Gedanken daran das Gesicht.

»Du sagst, er macht was über die russische Unterwelt?« fragte ich, stützte die Ellbogen auf die Knie und sah Shiv an. Draußen wurde es langsam hell. Oder zumindest weniger dunkel.

»Ja. Gewissermaßen. Und über Kinderhandel«, seufzte sie.

»O Gott.«

»Allerdings.«

Eine Weile saßen wir schweigend da. Wir waren müde und versuchten nicht an Mischas Geschichte zu denken. Schließlich quälte Shiv sich hoch.

»Vielleicht versuche ich mal, ihn in Stimmung zu bringen«, sagte sie. »Nacht, Süße.«

An der Tür blickte sie sich noch mal nach mir um, und ihr Gesicht sah irgendwie anders aus. Verkniffen. Oder vielleicht war auch nur das Licht gerade ungünstig, und der Umstand, daß wir nicht mehr sechzehn waren, hatte mir einen größeren Schrecken eingejagt, als mir lieb war.

»Hör mal«, sagte sie und biß sich auf die Lippe.

»Ich höre«, nickte ich, so daß meine Locken tanzten.

»Ich weiß, man soll sich wegen so was nicht ins Hemd machen. Aber Mischas Geschichte wird langsam ein bißchen ...« Sie stockte. »Jemand hat in meinem Zimmer angerufen und mir gedroht, mich zu umzubringen. Ein Araber.«

Sie setzte sich wieder aufs Bett, und ich drückte meine Zigarette aus.

»Und weswegen?«

»Ich weiß nicht. Aber es hängt ganz bestimmt mit Mischas Story zusammen. Er hat mich gebeten, niemandem davon zu erzählen, aber wenn du ... wenn mir etwas zustößt ... Mischa oder mir ... würdest du dann ...?«

»Sei doch nicht albern«, lachte ich. »Bei dir rufen doch ständig Leute mit irgendwelchen Drohungen an.« In ihrem Fall meistens Männer, mit denen sie geschlafen hatte, ohne sie danach wieder anzurufen. Daran erinnerte ich sie, aber sie lächelte nicht einmal.

»Nein. So was ist es nicht«, sagte sie, und dann lachte sie irritierend gekünstelt.

Sie gab mir ein Küßchen auf die Wange und einen Klaps auf den Rücken. Das hieß: Wir haben’s geschafft. Wir waren im Ausland. Lebten gefährlich. Verdienten gut. Wir konnten es nicht aussprechen, aber im stillen waren wir uns einig: Wir waren am Ziel unserer Wünsche.

Ich putzte mir die Zähne und spuckte meinen Abscheu vor dem General und McCaughrean ins Waschbecken. Ich hasse es, wenn jemand wie Shiv Angst bekommt. Das ist gegen die Regeln. Andere Leute haben Angst. Wir nicht. Ich tröstete mich mit meinem alten grauen T-Shirt und stieg in das riesige weiße Meer von einem Bett. Aber ich konnte nicht einschlafen. Ich hörte Schritte im Hof. Im Badezimmer raschelte etwas. Plötzlich schreckte das Telefon mich mit einem ohrenbetäubenden Klingeln auf, aber es hatte sich nur jemand verwählt, der Hebräisch sprach. Als ich mir schließlich die Bettdecke über den Kopf zog und mich ganz eng zusammenrollte, war mir, als hörte ich, wie jemand auf Zehenspitzen über die Fliesen schlich.

»Wer ist da, verdammt noch mal?« brüllte ich und setzte mich auf. Doch dann kam ich mir albern vor. Ich konnte mich nicht leiden, wenn ich so nervös war. Typisch erste Nacht. Ich ging ins Badezimmer und nahm mit einem Glas Wasser eine Diazepam ein. Ich muß wohl einige Zeit nach dem Ruf zum Morgengebet eingeschlafen sein, denn als ich wieder zu mir kam, saßen vor meinem Fenster bereits alle beim Frühstück – einschließlich McCaughrean. Als ich ihn dort sah, wunderte ich mich über meine Furcht vor einem nächtlichen Überfall. Wie er da saß und die Rosinen aus einem Milchbrötchen pulte, wirkte er völlig harmlos.

Auf den weißlackierten Eisentischen lagen frische Tischdecken, und der kleine Zipfel einer gestärkten Serviette stach unter McCaughreans Kinn in die Luft. Grant Bradfords Gabel blitzte, und sein »International Herald Tribune« knisterte. Er und die anderen Yellow-Press-Typen hatten offenbar die ganze Nacht durchgesoffen. Rotäugig und verkatert, wie er war, blieb ihm nichts anderes übrig, als den starken Mann zu markieren. Sein Lachen klang gezwungen.

Ein Kellner flitzte mit einer großen Silberkanne voll bitterem Kaffee, einem klobigen Milchkrug und einem Tablett mit Gebäck, dampfenden Brötchen und Bergen von leuchtend bunten Früchten umher. Grelles Licht drang durch den Schatten der Zitronenbäume. Die Korrespondentin des französischen RTF hatte ihre Sonnenbrille aufgesetzt. Es war bereits brütend heiß.

Ich zog eine zerknautschte Unterhose an und ging ins Badezimmer. Während ich geschlafen hatte, hatte jemand mit einem schwarzen Filzstift ein großes Fragezeichen auf meinen Spiegel gemalt. Was zum Teufel sollte das heißen? Mir fiel ein Spruch meiner Mutter ein: »Jemand ist über mein Grab spaziert.« Mit der herrlichen Diazepam-Ruhe war es endgültig vorbei, als ich das verdammte Zahnputzglas von der Kante des Waschbeckens stieß, auf die ich es idiotischerweise gestellt hatte. »Mist!« fluchte ich, als es auf dem Boden zerschellte. Eine winzige Scherbe hatte sich in meine Wade gebohrt, und ein Rinnsal von Blut lief zu meinem Knöchel hinunter. Ich zog das Glasstückchen heraus und spülte es im Waschbecken herunter. Dann sammelte ich die größeren Scherben mit den Fingern vom Fußboden auf. Als ich fertig war, sah ich, daß ich einen blutigen Fußabdruck auf den Fliesen hinterlassen hatte.

»Verdammte Scheiße«, seufzte ich und überließ ihn dem Zimmermädchen. Ich würde ihr beim Auschecken ein anständiges Trinkgeld geben müssen. Ich band mir die Haare zusammen, zog eine Bluse, Jeans und Stiefel an und stapfte hinaus, um zu frühstücken.

»Hi, Don«, sagte ich und setzte mich neben ihn.

»Hi, Zanetti. Gut geschlafen?« fragte er. »Es ist jetzt schon so heiß wie unter der Achsel eines stinkenden Arabers.«

Ich lachte. »Das sagst du immer, McCaughrean.«

Kapitel 2

Ich nahm einen Schluck Kaffee und versuchte mit zusammengekniffenen Augen die Zeitung zu entziffern, während McCaughrean mit seinem Rosinenhaufen herumspielte. Wieder ein israelischer Soldat getötet, wieder nächtliche Razzien bei verdächtigen Palästinensern. Die Nachrichten waren immer dieselben und deswegen um so trostloser.

»Willst du immer noch nach Ramallah rausfahren, Grant?« fragte ich und schirmte dabei meine Augen mit der Hand ab.

»Mm-hm«, nickte er, zupfte ein Stück Tabak von seiner Zungenspitze und blies grimmig den Rauch aus. Er hat so viele Sommersprossen, daß es aussieht, als hätte ihm jemand eine große Handvoll Sesamkörner ins Gesicht geworfen und sie wären dort klebengeblieben. Das Feuerrot seiner Haare wirkt geradezu unnatürlich.

»In die Nähe. Shiv kommt auch mit. Aber sieh zu, daß du in die Hufe kommst, der Fahrer ist schon an der Rezeption«, sagte er, schaute auf die Uhr und stand auf.

Dann klemmte er sich seine Zigarette zwischen die Lippen, verzog das Gesicht, um keinen Rauch in die Augen zu bekommen, holte ein paar zerknitterte Geldscheine aus der Gesäßtasche seiner Jeans und pfefferte sie auf den noch von seinem Frühstück vollgekrümelten Tisch. »Gib nicht alles auf einmal aus, Ihsan«, rief er dem Kellner zu. Ich fragte mich, ob Ihsan ihn wohl insgeheim als Wichser verfluchte oder ob er einfach nur dankbar für das fette Trinkgeld war.