Morgen schreib ich dir ein Happy End - Tash Skilton - E-Book
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Tash Skilton

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Beschreibung

When Miles meets Zoey. Die Neuerfindung von "E-Mail für dich" von Tash Skilton: Noch nie war Online-Dating so humorvoll und charmant! Miles ist nicht nur im Herzen, sondern auch im wahren Leben gebürtiger New Yorker und ein waschechter Romantiker. Zoey hingegen liebt den entspannten Westcoast-Lifestyle ihrer alten Heimat, ist komplett gegen ihren Willen in New York gelandet und glaubt nicht an die Liebe. Als sich Miles und Zoey das erste Mal in einem kleinen New Yorker Café begegnen, können sie sich daher auf den Tod nicht ausstehen. Eines haben sie allerdings gemeinsam: Sie sind beide Dating-Experten für hoffnungsvolle Singles und wurden bei ihrem nächsten Auftrag auf dasselbe Pärchen angesetzt. Ohne zu wissen, wer der andere ist, treffen sich Miles und Zoey online. Und plötzlich lernen sie äußerst attraktive Seiten aneinander kennen ... Aber ob diese auch im echten Leben Bestand haben? Tash Skiltons humorvolle und romantische Liebes-Komödie um Miles und Zoey ist ein Trip nach New York, den Sie nie vergessen werden. Ein Liebesroman für die Fans von Nora Ephron, Richard Curtis, und all den wundervollen romantischen Komödien, die uns zum Schmachten und Lachen bringen, wenn wir es am meisten brauchen.

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Seitenzahl: 547

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Tash Skilton

Morgen schreib ich dir ein Happy End

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Alexandra Kranefeld

Knaur e-books

Über dieses Buch

Zwei wie Hund und Katz

Miles ist New Yorker und ein waschechter Romantiker. Zoey mag den entspannten Westcoast-Lifestyle und glaubt nicht an die Liebe.

Als sich die beiden das erste Mal begegnen, können sie sich deshalb auch auf den Tod nicht ausstehen. Eines haben sie allerdings gemeinsam: Sie sind beide Datingexperten und helfen verzweifelten Singles dabei, den perfekten Partner zu finden. Bei ihrem nächsten Auftrag werden ausgerechnet sie auf dasselbe Pärchen angesetzt. Ohne zu wissen, wer der andere ist, treffen sich Miles und Zoey online. Und plötzlich lernen sie äußerst attraktive Seiten aneinander kennen …

So spritzig wie eine klassische Hollywood-Komödie, so mitreißend wie eine Reise nach New York

Inhaltsübersicht

WidmungMotto1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. KapitelVier Monate späterDanksagung
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Den vier Schwestern Haideh, Homa, Haleh und Hengameh, die mir meine Lieblingsliebesgeschichte schenkten.

S. T.

 

 

Meinen Eltern Earl und Ros Hoover, die längst für eine Widmung überfällig sind, die mich die Liebe zu Büchern lehrten und deren Kennenlerngeschichte unübertroffen bleiben wird.

S. S.

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Wenn du dich zu jemandem hingezogen fühlst, heißt das nur, dass dein Unterbewusstsein sich von dem anderen Unterbewusstsein angezogen fühlt – unterbewusst. Also ist das, was wir Schicksal nennen, das Bewusstsein zweier Neurosen, dass sie perfekt zusammenpassen.

Nora Ephron, Schlaflos in Seattle

 

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1. Kapitel

An: Team @ Tell It to My Heart

Von: Leanne Tseng

Betreff: Neue »Büroräume«

 

Liebes Team,

 

nach den Herausforderungen der letzten Monate möchte ich mich dafür bedanken, dass ihr alle auf unsere neue Situation so aufgeschlossen und flexibel reagiert habt, und hoffe, dass euch die Arbeit im Homeoffice mit all ihren Freiheiten und Vorzügen viel Freude bereitet. (Passend dazu fand ich diesen Artikel in Wired über die Zukunft der Büroarbeit. Demnach sind wir Trendsetter!)

 

Und wer immer mir »Tell It to My Heart« als Klingelton auf mein Handy gespielt hat: Ich bin wirklich für jeden Spaß zu haben, und auf unserer »Bye-bye Büro«-Party war das ja noch ganz witzig, aber leider scheint niemand, nicht einmal die selbst ernannten Genies der Genius Bar, in der Lage, mir das wieder abzustellen. Also, wer immer das war, möge sich bei mir melden, und zwar umgehend, um das Teil von meinem Handy zu entfernen. Aus Gründen, die ich hier nicht erläutern muss, kann ich für nichts garantieren, wenn ich diesen Song noch einmal zu Ohren bekomme. Und wenn eure Chefin im Knast sitzt, gibt’s kein Geld mehr, für niemanden.

 

Herzlich,

Leanne

Miles

Alles gut. Alles absolut bestens.

Was ist denn schon dabei, wenn deine Ex-Verlobte gerade ein Foto gepostet hat, auf dem sie sich mit unberingter Hand den ziemlich offensichtlichen Babybauch hält. Wir haben zwar erst vor sechs Wochen Schluss gemacht, und ich bin nicht unbedingt Experte in gynäkologischen Fragen, aber selbst mir ist klar, dass man in der sechsten Schwangerschaftswoche noch nichts sehen dürfte – eigentlich. Was ist also dabei, dass ich ihr im ersten Überschwang »Bekommen wir ein Baby?« geschrieben habe und dahinter ein Baby-Emoji, als würde das Wort selbst nicht ausreichen, um den Sachverhalt zu klären. Und dass von ihr darauf keine Antwort kam, gar keine, obwohl ich ja sehen kann, dass sie meine Nachricht gelesen hat.

Das Kind ist also entweder von mir, und Jordan will mich aus seinem oder ihrem Leben heraushalten, oder … Jordan hat mich schon betrogen, bevor sie mich abserviert, mir das Herz gebrochen und sich die Wohnung unter den Nagel gerissen hat.

Ich schwanke noch, was schlimmer wäre.

Mein Laptop macht pling, und neben dem winzigen Bild einer lächelnden Brünetten poppt eine Nachricht auf.

Jules478: Hi, wie geht’s denn so?

Na super, jetzt auch noch arbeiten. Ironie des Schicksals, dass meine Arbeit darin besteht, irgendwie das Liebesleben anderer Leute auf die Reihe zu kriegen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, habe ich nicht mal mehr ein Büro, in das ich mich flüchten könnte, Kollegen zum Reden oder eine Kaffeemaschine, die mich auf Knopfdruck mit Koffein versorgt. Stattdessen ist da nur ein Espressoautomat, der ebenso gut als Cockpit einer Boeing 747 durchgehen könnte, und diese mir zugestandene Ecke meiner geborgten Schlafcouch, die mit etwas bezogen ist, das ich als Jutestoff identifiziert habe, weil mein guter alter Freund Dylan nämlich in einem Pottery-Barn-Katalog lebt. (Couchsurfer sollten nicht so wählerisch sein, könnte man jetzt einwenden, aber ich in meiner akut melancholischen Gemütsverfassung und mit meinen permanent elektrostatisch aufgeladenen Haaren halte dagegen, dass ein bisschen Couchkritik jedem von uns zustehen sollte.)

Ich schließe die Augen und mache eine der Atemübungen, die keine Geringere als Jordan mir beigebracht hat – vier Sekunden einatmen, sieben halten, acht ausatmen –, bevor ich antworte.

PerseMan: Hi, du. Alles gut bei mir. Und selbst?

Na bitte. Solche Sätze kann ich im Schlaf raushauen. Es hat schon seinen Grund, warum ich in den letzten zwei Jahren zum besten Ghostwriter bei Tell It to My Heart avanciert bin. Meine kommunikativen Fertigkeiten sind so eingeschliffen, dass ich praktisch auf Autopilot funktioniere. So wie jetzt.

Jules478: Gut.

Dummerweise habe ich gerade eine der goldenen Regeln des Onlinedatings gebrochen: Niemals Fragen stellen, die sich in einem Wort beantworten lassen.

Ich versuche meinen Patzer auszubügeln.

PerseMan: Hast du schon das Sommerprogramm fürs Forest Hills Stadium gesehen? Ziemlich gute Bands dieses Jahr.

Mein Klient – ich klicke mich schnell durch meine Ordner … hier ist er, Farhad – ist ein großer Musikfan, weshalb ich gleich mal zum Wesentlichen komme.

Jules478: Ja! Belle and Sebastian und Greta Van Fleet spielen. Ist super, oder?

PerseMan: Jep, sehr cool.

Ich tippe die Antwort, ohne groß nachzudenken, scrolle mich dann erst mal durch das Forest-Hills-Programm und überlege, welche dieser Bands Farhad gut finden könnte. Ah ja, hier – LCD Soundsystem hatte er auch im Fragebogen angegeben.

PerseMan: Bin schon sehr gespannt auf LCD.

Jules478: Stimmt, die sind auch gut.

Okay, findet sie also nicht so prickelnd. Aber wer sagt denn, dass nicht beide ihren eigenen Musikgeschmack in die Beziehung einbringen können? Das ist doch das Schöne daran, sich zu verlieben: Jeder hat eigene Interessen und Vorlieben, die sich zu einem neuen Ganzen mischen und vermengen, und irgendwann später entsteht daraus vielleicht ein kleiner Embryo, der genetisch beider Leidenschaften vereint und einen sehr hübschen, in künstlerischem Schwarz-Weiß gehaltenen Instagrampost abgibt.

PerseMan: Magst du Kinder?

Moment. Mo-ment! Was soll das werden, Miles? Wie auf Seite 22 des Tell-It-to-My-Heart-Handbuchs für Freiberufler nachzulesen ist, gibt es gewisse Themen, die man niemals, unter gar keinen Umständen, im ersten Gespräch anschneiden sollte. Dazu gehören Politik, Religion, Heiraten, Eltern kennenlernen und natürlich Kinder. Kinder sind in jedweder Form, direkt oder indirekt, tabu. Und ich muss es wissen, denn ich habe das Handbuch praktisch im Alleingang verfasst. Als TITMH-Mitarbeiter der ersten Stunde habe ich sowohl meinen Job als auch das kleine Einmaleins der Unternehmenskultur in nicht geringem Maße mitgestalten können.

Es entsteht eine merkliche Pause, ehe Farhads Match zurückschreibt.

Jules478: Doch, mag ich.

PerseMan: Du weißt nicht zufällig, wie ein Babybauch in der sechsten Woche aussieht?

Ich kann mir selbst nicht erklären, was gerade passiert. Meine Finger arbeiten völlig losgelöst von meinem Gehirn.

Jules478: Äh …

PerseMan: Noch nicht richtig schwanger, oder? Ich meine, man sieht noch nichts, richtig?

Inzwischen ist eigentlich alles egal. Und es besteht ja durchaus die Möglichkeit, dass Jules sich da besser auskennt als ich, verfügt sie immerhin über die anatomische Grundausstattung und war vielleicht auch schon mal bei einer Baby Shower – oder was Freundinnen in dem Alter eben so machen.

Jules478: Glaub nicht?

PerseMan: Dachte ich mir.

Eigentlich ist mir ja klar, dass das Kind nicht von mir ist. Wahrscheinlich wusste ich es schon, als ich dieses Foto gesehen habe, aber dass dann keine Antwort von ihr kam, außer dieses Gelesen um 8:37 unter meiner Nachricht, dürfte es wohl endgültig bestätigen. Denn Jordan würde ein Kind niemals allein großziehen, wenn der Vater eine aktive Rolle in seinem oder ihrem Leben spielen wollte. Wie oft hatte ich sie in den Armen halten und trösten müssen, wenn sie wieder mal von ihrem Vater erzählte, der sich früh aus dem Staub gemacht hatte, was direkt oder indirekt ihr ganzes Leben und ihre Persönlichkeit geprägt habe, wie sie nicht müde wurde zu betonen.

Jules478: Tja … ich muss dann auch mal los.

Ach, verdammt. Statt hier meinen Job zu machen und diese Jules davon zu überzeugen, dass Farhad das perfekte Match und wenigstens ein persönliches Treffen wert ist, habe ich mich in den dunklen Abgrund meiner eigenen Gedanken ziehen lassen.

Dringend Zeit für Schadensbegrenzung.

PerseMan: Ha! Tut mir leid, ich wollte dich nicht vergraulen.

Angestrengt überlege ich nach einem guten Grund, warum er sie über Schwangerschaftssymptome ausgefragt haben könnte.

PerseMan: Das war bloß Recherche. Ich schreibe gerade an einem Song.

Wo es so viele Songs über Liebe und Sex gab, wäre dann nicht mal einer über Babybäuche an der Zeit?

Jules478: Oh … du bist Musiker?

PerseMan: Ja, aber mehr so als Hobby.

Ich überfliege noch mal Farhads Fragebogen.

PerseMan: Tagsüber mache ich was mit Finanzen.

Gut, sehr gut. Den festen Job geschmeidig einfließen lassen, alles wieder in der Spur.

Jules478: In was für einer Band spielst du?

Ich werfe erneut einen Blick auf den Fragebogen. Oh, Mist.

PerseMan: In einem Streichquartett.

Darauf wieder längeres Schweigen.

Jules478: Ah ja, schön. Tut mir leid, wenn ich jetzt aufhören muss, aber meine Mittagpause ist gleich um.

Es ist 8 Uhr 52.

Jules478: Vielleicht später mehr?

Und dann loggt sie sich aus, ehe ich antworten kann.

Ernsthaft?

Vielleicht habe ich gerade sowohl Farhad als auch ihr einen Gefallen getan.

Eigentlich existiert so etwas wie Liebe sowieso nicht. Nicht dass ich jetzt gleich eine sentimentale Metal-Ballade darüber singen möchte, aber Liebe ist eine Illusion.Trockennebel, der vorprogrammierten Kummer und Enttäuschungen verschleiert. Warum sich das antun? Wozu? Entweder du verlässt jemanden, du wirst verlassen, oder – sozusagen das bestmögliche Szenario – ihr lebt glücklich zusammen bis ans Ende eurer Tage, was in der Regel heißt, dass der eine stirbt und der andere am Boden zerstört ist.

Also, warum die ganze Aufregung?

Eine Nachricht von Leanne poppt auf.

Leanne T: Miles, kannst du mal kurz ins Büro kommen?

Na, super.

Miles I: Ich bräuchte so zwanzig Minuten. Ist das okay?

Leanne T: Ja.

Und dann, ehe ich weiß, wie mir geschieht …

Miles I: Hey Leanne, hier eine kleine Frage an dich. Weißt du, wie ein Babybauch in der sechsten Woche aussieht?

 

Leannes Büro liegt am West Side Highway, in einem Gebäude, das vor gefühlt drei Sekunden noch ein Lagerhaus war. Allerdings kam dann irgendein findiger Immobilienmogul auf die Idee, dort vierhundertfünfzig besenkammergroße Büroflächen zu schaffen und exorbitante Mieten für das Privileg zu verlangen, eine Geschäftsanschrift in Adresslage einer dem Wind und Wetter ausgesetzten achtspurigen Straße zu haben, auf der man zu Fuß eine gute Viertelstunde in jede Richtung braucht, um zur nächsten U-Bahn-Station zu gelangen.

Ich warte, dass Leanne den Summer drückt, fahre dann in einem der alten Lastenaufzüge hinauf in den achten Stock und gehe den Flur hinunter zu ihrem Büro.

Bis vor zweieinhalb Monaten war die Agentur samt allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen noch in hellen Büroräumen im Meatpacking District untergebracht. Mit bodentiefen Fenstern, aus denen man hinausblickte auf buckeliges Straßenpflaster, über das Edelshopperinnen mit Designersonnenbrillen und Jimmy Choos und/oder verkaterte Nachtschwärmer mit Designersonnenbrillen und noch höheren Jimmy Choos eilig hin und her staksten. Manchmal hatte ich einfach nur am Fenster gestanden und mir vorgestellt, eine dieser Frauen könne eine Klientin von uns sein, deren erste Verabredung mit ihrem Match ein voller Erfolg gewesen und bis sieben Uhr früh gegangen war und die jetzt schnell nach Hause wollte, um sich umzuziehen und zur Arbeit zu gehen. Dabei könnte sie dieses gewisse Lächeln nicht verbergen, das einem nur das erste Date mit einem heißen Typen ins Gesicht zaubert. Es wäre kein Walk of Shame, sondern ein Walk of Pride. Wer wäre denn nicht stolz und beschwingt nach einer Nacht der Leidenschaft und innigen Verbundenheit? Und vielleicht, nur vielleicht, hatte ich dabei ja die Finger im Spiel gehabt. Was dann wiederum mich mit einem gewissen Stolz und neuem Schwung erfüllte, wenn auch bloß aus zweiter Hand.

Mittlerweile weiß ich es natürlich besser.

Mittlerweile weiß ich, dass eine heiße Nacht gar nichts heißen muss. Dass sie wahrscheinlich bloß der Auftakt zu einem schmerzhaften Ende ist, sei es, dass Nachrichten nicht mehr beantwortet werden, man sich über die anmaßenden Eltern des anderen in die Haare kriegt oder sich gleich ganz trennt und vor der Frage steht, wer die Zimmerpflanzen bekommt. Ich leiste nichts anderem als Elend und Verderben Vorschub.

Und das Büro? Tja. Das haben wir einer weiteren brillant verheerenden Idee von Clifford zu verdanken, Leannes Ex-Mann.

Um es mit Taylor Swift zu sagen: Once upon a time, many mistakes ago gehörten Leanne und Clifford selbst zu diesen armen Idioten, die dachten, sie könnten in einer romantischen Langzeitbeziehung glücklich werden. Also haben sie sich nicht nur das Jawort gegeben, eine Wohnung gekauft (oder vielmehr Anteile an einer Wohnungsgesellschaft – auch so ein Albtraum) und zusammen eine Katze adoptiert, nein, sie sind sogar noch den letzten Schritt gegangen, der zwangsläufig ins Verderben führen musste: Sie wurden Geschäftspartner.

Die beiden haben Tell It to My Heart gegründet. Es war ihr gemeinsames Projekt, wenn auch ursprünglich Leannes Idee. Mit dem Blick der Texterin und unverbesserlichen Romantikerin hatte sie die mühsamen Versuche ihrer Single-Freunde beim Onlinedating beobachtet und schnell erkannt, wie tückisch es sein konnte, ein passendes Profil zu erstellen und via E-Mail, Kurznachrichten und DMs das Richtige zu sagen. Und schließlich dann der Geistesblitz, denn wer verstand sich besser aufs Texten als sie? Sie würde ihnen helfen, ihre Botschaft besser rüberzubringen.

Gesagt, getan. Der Rest ergab sich wie von selbst, und die Idee einer Ghostdating-Agentur war geboren, die ihren Klienten helfen sollte, den Fuß in die Tür zur wahren Liebe zu bekommen. »Vergesst nie: Wir sind keine Ghostwriter, wir spielen Cupido«, so Cliffords Credo.

Womit wir schon beim Problem wären. Clifford sollte sich ums Marketing und das operative Geschäft kümmern. Die Agentur Tell It to My Heart zu nennen, kurz TITMH, war seine Idee (und vermutlich war es das letzte Mal, dass er und Leanne einer Meinung gewesen waren). Als Nächstes wollte er sich die Rechte an dem Taylor-Dayne-Song gleichen Namens sichern, um ihn in sämtlichen unserer Werbeclips rauf- und runterlaufen zu lassen.

In der Theorie klang das erst mal gut. In der Praxis wollten weder Taylor Dayne noch ihre Songschreiber mit irgendeiner obskuren Ghostdating-Agentur in Verbindung gebracht werden und hatten für die Nutzung der Rechte einen exorbitanten Preis verlangt.

Jeder normale Mensch hätte jetzt knallhart verhandelt oder wäre ausgestiegen, weil der Song es einfach nicht wert war.

Nicht so Clifford, denn Clifford ist alles andere als normal.

Ohne sich mit Leanne, ihren gemeinsamen Anwälten oder sonst jemandem zu beraten, stimmte er den fatalen Bedingungen von Taylors Team zu.

Bei der Scheidung bekam Leanne die Agentur, hatte dann aber auch mit den Konsequenzen von Cliffords geschäftlichen Bauchentscheidungen zu leben.

Wenn Sie also einen unserer Werbespots hören oder eine unserer seltenen TV-Werbungen sehen, kosten Sie das Vergnügen aus, »Tell It to My Heart« als kleinen, vergoldeten Ohrwurm serviert zu bekommen. Ich und die drei anderen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die Vollzeit für TITMH arbeiten (es wird tit-mee gesprochen, nur falls Sie sich fragen sollten), haben dafür das Vergnügen, kein Büro mehr zu haben.

Und die arme Leanne, CEO von TITMH, muss sich mit dieser fensterlosen Kammer zufriedengeben, in die kaum ihr Schreibtisch und zwei Stühle passen, ganz zu schweigen von den Kunstwerken und Objekten, die ihr in unseren alten Räumen als ausgesuchte Kulisse gedient hatten.

Aber sie trotzt den Umständen und hält sich tadellos wie immer. Leanne ist Amerikanerin in zweiter Generation mit chinesischen Wurzeln. Sie trägt die schwarzen Haare lang und glatt, verfügt über die Haltung und Figur einer Primaballerina und eine Garderobe, die aus einem 3-D-Drucker stammen könnte. Was bei anderen kostümiert wirken würde, sitzt bei ihr perfekt, auch wenn sie an manchen Tagen daherkommt wie eine ehemalige Miss-New-York-Kandidatin beim Schaulaufen als Empire State Building.

»Magst du mir erklären, was gerade los war, Miles?«, fragt Leanne mich nun, ihre Stimme tief und trügerisch wie die Ruhe vor einem verheerenden Sturm.

Ich räuspere mich. »Was genau meinst du?«

»Fangen wir damit an, dass du nicht wusstest, dass dein Klient in einem Streichquartett spielt. Und dann das Debakel mit dem Babybauch. Muss ich mehr sagen?«

»Woher weißt du das?«, frage ich wenig überzeugend.

»Miles«, seufzt Leanne. »Nachdem du deine letzten drei Aufträge in den Sand gesetzt hast, meinte ich, dass ich mich von Zeit zu Zeit in deinen Rechner einloggen würde, um einen Blick auf deine Chatverläufe zu werfen. So auch heute Morgen. Du hast meine Anfrage auf Fernzugriff selbst bestätigt.«

»Ah ja, stimmt.« Hatte ich wirklich. Der Plan war, heute wieder zu alter Bestform aufzulaufen, aber das war bevor Jordan der Welt (und nebenbei auch mir) mitteilen musste, dass sie ein Kind erwartet.

Leanne schüttelt den Kopf. »Miles, ich weiß, dass du es gerade nicht leicht hast.« Ach ja? Eigentlich habe ich ihr bloß erzählt, dass Jordan und ich uns getrennt hatten. Und dass ich aus unserer Wohnung aus- und in Dylans Wohnzimmer eingezogen bin. Und dass Dylans Lebensgefährte Charles nicht gerade begeistert davon ist und mir dauernd in bester passiv-aggressiver Manier kleine Zettel hinlegt, auf denen er mir zu verstehen gibt, welcher Störfaktor ich in seinem Leben bin. Und dass er mich das einlagige Toilettenpapier, das ich als kleines Dankeschön gekauft hatte, hat umtauschen lassen, weil kein Arsch der Welt, wie er sich ausdrückte, es verdient hätte, mit Einlagigem abgewischt zu werden. Nicht mal meiner.

Also gut, wahrscheinlich habe ich Leanne doch eine ganze Menge erzählt. Das Problem ist, dass ich mich in den achtzehn Monaten, die ich mit Jordan zusammen war, fast ausschließlich auf ihren Freundeskreis konzentriert hatte und jetzt ziemlich allein dastehe.

»Die Sache ist die«, sagt Leanne schließlich, »ich kann mir solche Aussetzer nicht länger erlauben, Miles. Ich kann sie mir schlicht und ergreifend nicht leisten. Du siehst ja, wie es um die Agentur steht.« Sie deutet auf den blätternden Putz und den furnierten Billigschreibtisch, hinter den es sie dank der Extravaganzen ihres Ex verschlagen hat. »Und vier Klienten in einem Monat zu verlieren, Miles? Das ist einfach nicht drin.«

Ich nicke langsam und beginne den Ernst der Lage zu begreifen. Beginne zu ahnen, dass Leanne mich – als wäre alles andere nicht schon schlimm genug – jetzt auch noch rausschmeißt. Mein Leben kommt mir plötzlich vor wie die Pilotfolge einer Sitcom über einen Typen, dem in New York sämtliche Felle davongeschwommen sind, weshalb er beschließt, noch mal von vorn anzufangen, zu seiner kauzigen Großmutter aufs Land zu ziehen und Viehzüchter zu werden. Dumm nur, dass von meinen Großeltern keiner mehr lebt und ein Jobverlust im echten Leben nur selten jene Erleuchtung bringt, die dich in nur acht ebenso vergnüglichen wie erbaulichen Folgen zur wahren Bestimmung führt. Im echten Leben sieht es so aus, dass du dein tägliches Social-Media-Ritual jetzt um LinkedIn erweiterst und dich dabei so richtig schön scheiße fühlst.

Leanne muss meine Panik bemerkt haben und versucht, den Schlag etwas abzumildern. »Es ist kein Geheimnis, dass du mal mein bestes Pferd im Stall warst, Miles. Niemand hat einen so guten Job gemacht wie du, niemand hatte höhere Erfolgsraten. Auf wie viele Hochzeiten warst du eingeladen – drei?«

»Vier«, murmele ich. Und natürlich immer als alter Freund des Bräutigams, denn keiner wollte sich die Blöße geben, seiner Zukünftigen gestehen zu müssen, dass ihr Glück auf der Vortäuschung falscher Tatsachen beruhte.

»Beachtlich«, sagt Leanne nachsichtig, ehe ihre Stimme wieder den festen, aber fairen Ton annimmt, der sie in ihren Tagen als Werberin zum Superstar unter den Kreativdirektoren gemacht hatte. Ich war damals ihr Juniortexter. Wir haben also eine lange Geschichte, wenn man so will. »Aber ich kann nicht auf das bauen, was mal war«, sagt sie jetzt. »Ich muss mich auf das verlassen können, was noch kommt. Ich brauche jemanden, der den Wünschen und Bedürfnissen unserer Klienten absolutes Gehör schenkt und wirklich alles dafür gibt, das perfekte Match für sie zu finden.«

»Schon klar«, sage ich und spare mir den Zusatz, dass Leanne vor allem jemanden bräuchte, der an so etwas wie »das perfekte Match« überhaupt glaubt. So wie ich, früher. Aber diese Zeiten sind vorbei.

»Weshalb ich vorschlage, dass wir es so machen«, höre ich sie sagen und rechne damit, dass sie – wenn es gut läuft für mich – meine Kündigung samt Abfindung aus ihrem Schreibtisch hervorzaubert. Doch sie holt ihr iPad hervor. »Du bekommst noch eine letzte Chance, um dich zu beweisen. Einen letzten Klienten, der auf die Kunst des alten Miles setzt, der von ihm die Tell-It-to-My-Heart-Erfolgsgarantie erwartet.« Auf die TITMH-Erfolgsgarantie™ haben wir ein Patent, und auch wenn Leanne es nicht laut ausspricht, höre ich das kleine ™ in ihrem Ton mitschwingen. Noch so eine von Cliffords kostspieligen Ideen. »Hier, das sind sie. Such dir einen aus, drei stehen zur Auswahl.«

Nach kurzem Zögern blättere ich durch das vertraute Format unserer Kundendatenbank. Auf der ersten Seite ist immer das lächelnde Profilbild zu sehen, eine Kurzinfo zur Person und einige der Antworten vom Fragebogen. Kandidat 1 hat sich ein Ultimatum gesetzt und will in zwei Jahren verheiratet sein. Kandidat 2 ist neu in der Stadt und sucht eine Frau, mit der er sich »durch New York futtern« kann. (Seine Worte, nicht meine, und sollte ich mich für ihn entscheiden, würde man an seinem Sprachgebrauch feilen müssen, ehe das große Fressen losgeht.)

Bleibt noch Kandidat 3, Jude Campbell. An seinem Profil ist auf den ersten Blick nichts Besonderes. Er sieht auf die übliche Weise gut aus, die Fragen hat er teils witzig, meist ganz normal beantwortet. Aber etwas fällt selbst bei ihm aus dem Rahmen.

Anscheinend ist er vor ein paar Jahren aus Schottland nach New York gezogen. Mit etwas Glück hört man ihm das auch noch an. Und was mache ich, wenn meine berufliche Zukunft von einem einzigen Love Match abhängt?

Ich nehme den Typen mit dem schottischen Akzent.

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2. Kapitel

An: Meine Rockstars

Von: Clifford Jenkins

Betreff: Ch-ch-ch-changes! (Neuer Firmenname)

 

Was geht, Kollegen? Soll Justin Bieber bei einem Treffen mit Präsident Obama gesagt haben, womit ich natürlich NICHT die Erfolge unserer hart arbeitenden Kolleg*INNEN diskreditieren möchte! So, und jetzt zum Wesentlichen: Best Foot Forward ist Geschichte. Löscht den Namen von euren Festplatten, entfernt ihn aus euren E-Mail-Signaturen, klaubt ihn aus euren Hirnwindungen. Weg damit. Können wir uns alle darauf einigen, dass es nie passiert ist? Gut. Neue URL, neue E-Mail-Domain, neuer Name, neuer Anfang.

 

Wir firmieren jetzt unter SWEET NOTHINGS, LLC und werden damit noch mal so richtig durchstarten.

 

Wenn ihr weiterhin Anfragen von Fußfetischisten bekommt: NICHT ANTWORTEN! Leitet sie umgehend an den Kundenservice weiter (hallo Crystal, nix für ungut) und dann LÖSCHT ihr das. Ganz einfach. Crystal kümmert sich um alles Weitere.

 

Sonstige Fragen kläre ich dann bei unserem Meeting nächsten Monat. Bis dahin sollten alle Verweise auf BFF (und YOB, für die alten Hasen und Häschen unter uns) verschwunden und durch Sweet Nothings ersetzt sein. Nächste Woche müssten die Änderungen auch auf unserem Internetportal angekommen sein.

 

Duften Tag euch allen,

Clifford

 

CEO Best Foot Forward (vormals bekannt als You, Only Better)

Zoey

Die Straße überqueren, mehr braucht es nicht. Einfach bloß die Straße überqueren.

Aber so einfach ist es natürlich nicht, weil es nämlich keine normale Straße ist und keine normale Stadt und weil ich, bevor ich die Straße überhaupt überqueren kann, erst mal meine Wohnung verlassen muss. Obwohl »Wohnung« so eine Sache ist. Hier in New York scheint das Wort »Wohnung«, oder vielmehr »Studio«, so eine Art Insider-Code für Rattenloch zu sein. Wobei sich echte Ratten wahrscheinlich wirklich darüber freuen würden, denn für sie wäre das Loch ein Palast. Ratten gibt es in dieser Stadt übrigens reichlich. Wenn man nicht aufpasst und nur eine Sekunde stehen bleibt – großer Fehler –, rennen sie einem vor die Füße und wollen deine Beine hochkrabbeln, während sie dich mit ihren fiesen kleinen Nagezähnchen angrinsen und mit ihrer Dunstwolke aus Keimen, die sie umschwebt wie ein teuflischer Strahlenkranz, unsägliche Krankheiten verbreiten.

Okay, ganz ruhig. Alles gut. Nur weil deine Wohnung ein Studio ist, das aus einem halben Zimmer besteht, dein Bett gleichzeitig die Couch ist, sich die Dusche in der Küche befindet und man ständig über irgendwelche Möbel klettern muss, um sich überhaupt von A nach B bewegen zu können, brauchst du dich nicht gleich so aufzuregen, nicht wahr? Sieh es als Abenteuer, als neue Erfahrung! – Und wenn ich hier nicht bald rauskomme, drehe ich durch. Also los.

Laptop, Geld, Schlüssel – alles da, gut. Türkette abnehmen, Schloss aufsperren, die Tür einen Spaltbreit öffnen.

»Achtung, ich komme raus«, rufe ich, wie es mir am Tag meines Einzugs von meiner Nachbarin beigebracht wurde. Einer Nachbarin, die ich seitdem kein einziges Mal mehr zu Gesicht bekommen habe. Ab und an habe ich sie noch gehört, wie sie wahrscheinlich auch mich hört, wenn ich meinen Gang auf den Flur ankündige. Der ist nämlich so schmal, dass nur eine Person Platz hat, und wenn man sich nicht vorher bemerkbar macht, riskiert man eine Kollision mit fatalen Folgen. Womöglich muss sich eine von euch beiden sogar wieder zurückziehen, bis die andere mit ihrer Nutzung des Hausflurs fertig ist.

Als niemand antwortet, mache ich die Tür ganz auf, trete rasch hinaus und schließe wieder hinter mir ab.

»Bin im Flur«, rufe ich, für alle Fälle. Aus irgendeinem Grund klingt meine Stimme immer anderthalb Oktaven tiefer, wenn ich diese Aktion durchziehe, wie ein sonorer Bariton, der mir vielleicht mehr Gehör verschaffen soll. Meine schweren Stiefel stellen sicher, dass auch die Leute unter mir mich kommen hören.

Neues Hindernis: das Treppenhaus. Ich würde ja gern den Fahrstuhl nehmen, aber beim letzten Mal lag da jemand drin und hat geschlafen. (Mary, meine ehemalige Chefin und jetzt meine Vermieterin, zeigte wenig Mitgefühl: »Ach Schätzchen, zu meiner Zeit lagen sie in ihrer eigenen Kotze.«) Ich habe allerdings Angst, dass jetzt jedes Mal jemand im Fahrstuhl schlafen könnte, sich womöglich bloß schlafend stellt und eines Tages die Augen aufklappt und mich beim Knöchel packt, und das war es dann.

In L.A. hatte ich Angst, dass jemand sich unter meinem Auto verstecken könnte, um mir beide Achillessehnen durchzuschneiden – womit ich eigentlich nur sagen will, dass meinem Kopf solche Katastrophenszenarien nicht fremd sind. Aber sobald ich raus an die frische (ha, ha) Luft trete, sind alle tatsächlichen oder nur eingebildeten Ähnlichkeiten mit der City of Angels verflogen.

Huuuup! Kreiiiisch! Piep-piep-piep! Krawummm! »Hey!«

Der Lärm überfällt mich von allen Seiten. Gestank. Müll, der durch die Luft fliegt und sich an den Treppen der Häuser sammelt. Ein endloses Stimmengewirr. Am liebsten würde ich mir die Ohren zuhalten, meine Augen schließen und mich in eine Teleportiermaschine wünschen. Muss das alles so laut sein? Müssen mitten auf dem Gehweg ominöse Dampfschwaden aus jedem Gullydeckel schießen? Müssen hier alle immerzu in Eile sein und mich anrempeln, mich mit den Ellbogen aus dem Weg stoßen, damit ich Platz mache und sie wie die Irren weiterrennen können? Immerhin habe ich meine Stiefel, die mich schützen. Schneller machen die mich allerdings nicht, so viel ist schon mal klar.

Geh weiter bis zur Straßenecke. Einfach bloß vor bis zur Kreuzung, damit du auf die andere Straßenseite kommst.

Nix gegen Zeitungsstände. Wirklich, ich schätze ihren Charme und ihren praktischen Nutzen. Oder Essensstände. Klar. Nur dass ich jetzt wie bei einem Hindernisparcours andauernd ausweichen und aufpassen muss, dass ich nicht wieder mit jemandem zusammenstoße, Fett an die Klamotten kriege oder Gerüche in die Nase, die ich so früh am Tag überhaupt nicht abkann.

Gerade mal einen halben Block bin ich gegangen und wurde bereits mit Blicken getötet, mit Blicken ausgezogen, unsanft zur Seite gestoßen, fast umgerannt und umzingelt. Was gäbe ich jetzt nicht für die Ruhe und den Frieden, die ich in Kalifornien in meinem Auto fand. Ich weiß, ich weiß, unser Verkehrsaufkommen wird den Planeten nicht retten, aber wissen Sie, was wir dafür haben? Platz. Privatsphäre. Klimatisierte Innenräume. Luft zum atmen. Die Option, Musik oder Radio oder Podcasts zu hören und in der Stille unserer Autos tatsächlich etwas davon zu verstehen. Nicht zu vergessen, dabei entspannt einen Iced Latte zu trinken und in Gedanken an einem Dialog zu feilen.

Als ich die Kreuzung endlich erreiche, springt gerade die Fußgängerampel auf Grün, aber ich müsste schön blöd sein, auch nur einen Fuß auf die Straße zu setzen. Die ersten drei Autos halten nie. Also lasse ich zwei durchfahren und mich vom dritten anhupen – eine eindeutige Warnung, dass ich mich ja nicht unterstehen soll.

Wissen Sie, was wir in Kalifornien auch haben?

Berge. Bäume. Strand. Gras! (Sowohl das eine als auch das andere.)

Und schon flammt wieder die rote Hand des Todes auf, und meine Chance ist vertan. Ich mache einen Schritt zurück. Das ist echt peinlich und frustrierend. Warum sind meine Füße wie am Asphalt festgelötet?

Erneut scharen sich Leute um mich, und ich wappne mich gegen den Ansturm fremder Körper. Doch im Gegensatz zu mir wartet von denen keiner. Sie laufen einfach los, überqueren die Straße wie ein Mann. Obwohl Rot ist! Sie müssen von einem kollektiven Todeswunsch getrieben sein. Ich hätte mich an jemandem festkrallen, mich im Windschatten der Menge über die Straße tragen lassen sollen. Anders dürfte es nicht klappen, heute noch ins Café Crudité zu kommen.

Als wieder Grün ist, zische ich los, ohne Rücksicht auf Verluste, den Kopf gesenkt, nur die andere Straßenseite im Blick. Am rettenden Ufer angelangt, laufe ich weiter, vorbei am Käseladen und einem Duane Reade, bis ich wohlbehalten im Café bin. Ha, denen habe ich’s gezeigt! Obwohl ich spät dran bin, ist der große Tisch am Fenster noch frei. Ab jetzt kann es nur noch besser werden. Ich nehme mir vor, superproduktiv zu sein und die kommenden sechs bis acht Stunden zwischen meinem Drehbuch und dem Sweet-Nothings-Portal aufzuteilen, wo ich regelmäßig nachschaue, ob neue Nutzerinnen im System sind und ich mir eine abgreifen kann. Die letzten vier Tage war immer jemand schneller als ich, was sich auch als Durststrecke bei den Honoraren bemerkbar machen dürfte. Ob die anderen Freien irgendeine Push-Nachrichten-Funktion installiert haben? Oder haben sie wirklich nichts anderes zu tun, als ständig auf die Sweet-Nothings-Seite zu starren und mir die Kandidatinnen vor der Nase wegzuschnappen?

Mein Magen knurrt. Mittlerweile befinden sich in meinem Kühlschrank nur noch drei kleine Ketchuptüten und eine halbe Flasche Weißwein, und weil ich das Taxigeld nicht für eine teure Quiche auf den Kopf hauen kann, dürfte es heute wieder auf ein Biscotti-Frühstück hinauslaufen. (Café Crudité hat einen Gratisteller auf dem Tresen, mit Backwaren vom Vortag.) Der Ansturm hält sich so früh in Grenzen; nur eine Person vor mir und niemand hinter mir. Doch dann: Wie in Zeitlupe verfolge ich, wie der Typ vor mir mit gieriger Hand nach den Gratis-Biscotti greift – nach meinem Frühstück! Zwei sind noch übrig, das ist wenig genug, und ich habe solchen Hunger, dass mir schon die Spucke im Mund zusammenläuft. Ich brauche diese beiden Biscotti.

»Halt!«, rufe ich in meiner »Ich bin im Flur«-Stimme, die seltsam sonor in dem fast leeren Café widerhallt. Ich hole tief Luft und fange noch mal an. »Ich wollte nur … Also, das sind meine«, stammele ich mit normaler Stimme.

Der Typ hält auf halber Strecke inne und dreht sich nach mir um. Er ist groß und dunkel wie die kalifornischen Träume vergangener Tage, wobei er kein sonnig-süßer Surferboy ist, nein. Seine dunklen Haare stehen steil in die Höhe. Er wirkt ebenso wirr wie unwirsch, trägt eine Hipsterbrille, die er garantiert nicht braucht, und einen Beinahe-Bart, der auch noch nicht recht weiß, was er mal werden will, wenn er groß ist. Er sieht aus wie Zayn Malik, aber als dauergestresster Zahnmedizinstudent.

»Wie können das ›deine‹ sein?«, fragt Dr. med. Zayn Malik und macht mit den Fingern zwei Anführungszeichen in die Luft.

»Du kannst doch die Muffins nehmen«, schlage ich vor und zeige auf den Gratisteller. (He, he. Da ist Gemüse drin, aber das weiß Hipsterbrille bestimmt nicht, weil man dazu wissen müsste, dass »Crudités« Rohkost heißt.) »Die sind viel größer und nahrhafter und eigentlich tue ich dir einen Gefallen, oder was meinst du?«

»Wie unglaublich spendabel von dir. Muffins vom Vortag braucht kein Mensch.«

»Deshalb sind sie auch umsonst!«

»Da sind bestimmt Zucchini drin. Oder Grünkohl.«

Oh, doch nicht so dumm.

»Bei Biscotti macht es keinen Unterschied, die sind schon hart«, doziert er weiter und streckt die Hand nach meinem Frühstück aus. »Muffins kannst du nach einem Tag in die Tonne treten, das schmeckt scheiße. Außerdem war ich zuerst da.«

Seine dämliche Bettfrisur regt mich echt auf. Es ist so offensichtlich, dass sich letzte Nacht fremde Finger in einem Augenblick der Leidenschaft in sein Haar gekrallt haben und er am Morgen danach einfach so aus dem Haus ist. Wahrscheinlich denkt er, das sei sexy. Wahrscheinlich hat er sich bis gerade eben im Bett gewälzt und sich von seiner Liebsten dann noch Eier mit Toast servieren lassen, und jetzt will er auch noch meine Biscotti schnorren? Fairerweise muss man sagen, dass er sie noch immer nicht angerührt hat, vielleicht zeigt er sich ja doch einsichtig.

»Ich nehme immer die Biscotti«, sage ich und kann sie schon förmlich auf der Zunge schmecken. »Die sind extra für mich reserviert.«

Die Barista kommt und bringt dem Typen seinen Kaffee. Auf ihrem Namensschild steht »Evelynn«.

»Evelynn«, sagt er, »reserviert ihr die Biscotti von gestern für diese durchgeknallte Person hier?«

»Nein, ich sehe die zum ersten Mal hier, und bei den Gratissachen musste halt schnell sein, da gibt’s keine feste Zuteilung.«

»Ich komme jeden Tag her«, empöre ich mich. »Von Montag bis Sonntag, sieben Tage die Woche.«

Evelynn zuckt mit den Achseln. »Kann mich nicht an dich erinnern.«

»Ich bringe euch aber mehr Umsatz als er«, rufe ich verzweifelt. »Ich bin Stammkundin! Jeden Tag komme ich jetzt her, seit ich nach New York gezogen bin.«

»Wann war das?«, will Hipsterbrille wissen.

»Vor einem Monat.«

»Oh, wow. Wahnsinn. Dann bist du ja schon eine richtige New Yorker Legende«, sagt er und sieht mich groß an. »Die Biscotti-Lady! Moment … einen ganzen Monat, hast du gesagt? Nicht schlecht, wirklich, gar nicht schlecht, außer … DASS ICH SCHON FAST FÜNFZEHN JAHRE HERKOMME, dass ich schon fast fünfzehn Jahre herkomme!«

Er brüllt mich an. Ein Wildfremder brüllt mich an, in aller Öffentlichkeit. In L.A. kommen bloß Promis mit so was durch. Mein Primatenhirn knipst den Fluchtreflex an, aber mein Magen sagt Untersteh dich!, und so bleibe ich, wo ich bin. »Warum habe ich dich dann noch nie hier gesehen?«, frage ich das Offensichtliche.

»Vielleicht, weil ich nicht jeden Tag im selben Café sitzen will und meine Besuchsfrequenz daher etwas strecke?«

»Na, dann streck sie künftig doch noch etwas weiter«, erwidere ich. Ich weiß, ich klinge verrückt, aber er ist auf die Biscotti längst nicht so angewiesen wie ich. Er kommt von hier und kennt sich aus, kann sich frei in der Stadt bewegen und seine »Besuchsfrequenzen strecken«, während ich bis auf Weiteres in meinem Block festhänge.

»Ah, warte.« Evelynn schnippt mit den Fingern vor meiner Nase herum. »Jetzt erinnere ich mich an dich. Ziehst dich den ganzen Tag an einem Kaffee zum Nachfüllen hoch und bestellst sonst nichts.«

»Das dürfte nicht viel Umsatz bringen«, bemerkt Hipsterbrille. »Das ist sogar ziemlich schlecht fürs Geschäft.«

»Evelynn, ich zahle zehn Cent für die Biscotti«, platze ich heraus, und nach kurzem Zögern: »Zehn für jedes.«

»Fünfundzwanzig«, fährt er mir dazwischen. »Für beide.«

Evelynn schaut zwischen uns hin und her.

»Fünfundsiebzig«, gehe ich hoch. »Letztes Gebot.«

»Der Punkt ist, dass sie umsonst sind«, erklärt Evelynn langsam. »Wir nehmen kein Geld dafür, weil sie einfach nicht mehr schmecken.«

»Das bleibt unter uns, Evelynn«, sage ich. »Bar auf die Hand, keiner braucht davon zu erfahren.«

»Zwei Dollar«, sagt Mr. Großkotz und zückt bereits zwei Dollarscheine. »Allerletztes Gebot.«

»Der Punkt ist, dass sie umsonst sind«, protestiere ich, weil er mich damit ausgestochen hat. Meine zwei Dollar brauche ich für den Kaffee.

Evelynn zieht den Teller zu sich heran.

»Na super«, meint der Typ wütend. »Jetzt bekommt keiner was, und alle sind glücklich, oder wie?«

»Oh, wow, jetzt mal halblang«, ätze ich.

Mit latexbehandschuhten Händen bricht Evelynn beide Biscotti entzwei, drückt zwei der krümelnden Hälften mir in die Hand, die anderen beiden ihm. Warum hat sie die überhaupt durchgebrochen? Wollte sie so ihrem Unmut Ausdruck verleihen? Oder hat sie es getan, damit wir trotzdem jeder zwei Stück bekommen und endlich Ruhe geben? Oder wollte sie uns einfach bloß zeigen, wer hier das Sagen hat? (Müßige Überlegungen, ich weiß. Aber solche Details sagen viel über einen Charakter aus. Ich versuche, bei jeder Gelegenheit darauf zu achten.)

Die krümeligen Biscottihälften sicher in der Faust verwahrt, bestelle ich einen großen Americano und werfe fünfundsiebzig Cent ins Trinkgeldglas, weil das mein Gebot bei der Auktion war. Meine Wangen brennen, und ich meide Evelynns Blick, als sie mir meinen Kaffee reicht. Die sexy Bettfrisur hat sich schon aus dem Staub gemacht und mich hier stehen lassen, damit ich ganz allein Evelynns Frust abkriegen kann. Er strahlt von ihr ab wie Infrarotwellen.

Mit einem gemurmelten »Danke schön« schleiche ich mich davon. Ich spüre ihren Blick auf mir, während ich zu meinem Stammplatz, dem großen Tisch am Fenster, hinübergehe – wer kann es ihr verdenken. Ich stelle meinen Kaffee ab und …

Soll das ein Witz sein? Da hat jemand seine Tasche auf meinen Platz gestellt. Auf die schöne lange Sitzbank direkt am Fenster. Meinem Fenster.

Es ist eine dieser bonbonbunten Kuriertaschen, jedes Stück davon ein Schweizer Unikat aus recycelten Lkw-Planen. Moralisch ist so eine Tasche allen anderen Taschen überlegen, was sicherlich auch der einzige Grund ist, warum man sich so ein Teil zulegt. Und jetzt hat eine solche Tasche auch noch meinen Tisch besetzt. Wem immer sie gehört, scheint aber nicht in der Nähe zu sein, weshalb ich sie von der Bank schubsen und so tun könnte, als wäre sie runtergefallen, ohne dass es mir aufgefallen wäre. Ich schaue erst nach links und dann nach rechts und will gerade mit der Stiefelspitze …

»Da ist besetzt«, sagt eine Stimme hinter mir.

Ich erstarre.

Natürlich. Wieder dieses Arschloch, wer hätte es auch sonst sein sollen. Um seinen Revieranspruch zu untermauern, nimmt er die Tasche mit großem Tamtam von der Bank und knallt sie mitten auf den Tisch.

Ich bringe meinen Kaffee in Sicherheit. »Okay, wenn’s dich glücklich macht. Bin schon weg.«

Evelynn beobachtet uns aus schmalen Augen, als würde sie nur darauf warten, dass ich wieder eine Szene mache. Den Gefallen werde ich ihr nicht tun. Den letzten Rest meiner Würde zusammenraffend, begebe ich mich zu einem anderen Tisch. Jede Wette, dass der Spinner sowieso nicht lange bleibt. Wahrscheinlich braucht er den Tisch überhaupt nicht, muss aber immer von allem das Beste haben, und es gibt nun mal keinen besseren Tisch hier als meinen: ein Tisch, der wie ein König über das Crudité herrscht, während die anderen sich wie Leibeigene um ihn scharen, so klein und geduckt, dass nicht mal genug Platz auf ihnen ist für meinen Laptop und für meine Tasche!

Ich würde mich deswegen überhaupt nicht so aufregen, wenn ich nicht schon wieder so einen beschissenen Morgen in dieser beschissenen Stadt hätte oder ich wenigstens mit meinem Drehbuch vorankäme und nicht ständig auf der Suche nach Essen und Aufträgen sein müsste. Und okay, zugegeben, wenn er einfach nur durchschnittlich blöd aussähe. Seine dunklen braunen Augen, der ambitionierte Dreitagebart, die schlanke Figur und das prächtige Haar lassen ihn so lächerlich attraktiv wirken, dass er vermutlich immer mit allem durchkommt und nie an seiner Persönlichkeit arbeiten muss, was natürlich einiges erklärt. Aber bei mir schafft er das nicht. Wo ich herkomme, sind alle Models und/oder Schauspieler, weshalb Äußerlichkeiten mich kaltlassen.

Es ist übrigens das erste Mal, dass mir jemand meinen Tisch vor der Nase weggeschnappt hat. Aber ich kann warten. Muss ich sogar, weil ich in meinem Rattenloch unmöglich arbeiten kann und es keine weiteren Cafés innerhalb meiner selbst definierten Komfortzone gibt.

 

Vierzig Minuten später. Er lungert noch immer an meinem Tisch herum, die langen Storchenbeine von sich gestreckt, sodass er für jeden Vorbeigehenden eine Eins-a-Stolperfalle abgibt. Mein Kaffee ist leer, und ich muss mal.

Wenn ich wiederkomme, bist du weg, befehle ich ihm telepathisch. Weg, weg! Ich stehe auf, um zum Klo zu gehen. Wenn ich wiederkomme, will ich einen leeren Tisch sehen.

Als ich zurückkomme, sitzt er noch immer da. Er tippt wie verrückt auf seinem Laptop und macht nicht den Eindruck, als wolle er demnächst aufbrechen. Eher hat es den Anschein, als habe er sich häuslich eingerichtet und sei auf eine längere Sitzung eingestellt. Gut, dann eben nicht. Ich klappe meinen Laptop auf (den ich aus Platzgründen auf meinem Schoß balanciere, wovon man bestimmt Schenkelkrebs oder sonst was bekommt) und logge mich bei Best Foot Forward – pardon, Sweet Nothings – ein, wo mich die Nachricht empfängt, vor der alle Freien sich fürchten: Im Augenblick sind leider keine Ghostwriterjobs zu vergeben. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, neue Kund*innen zu gewinnen und danken dir für deine Geduld. Warum die Wartezeit nicht nutzen, um ein paar knackige Zeilen in unsere Drop-down-Datenbank einzuspeisen? Duften Tag!

Unter der Nachricht ist noch das alte Logo – ein sexy Frauenfuß in High Heels –, das uns so viel Ärger eingebracht hat. Weit scheint man Cliffords vollmundigen Ankündigungen zum Trotz mit der Bereinigung des Internetportals noch nicht gekommen zu sein.

Während ich wutschäumend darauf gewartet habe, dass der Tischbesetzer das Feld räumt, waren andere schneller und haben sich alle Neuzugänge unter den Nagel gerissen. Das passiert ziemlich oft. In seinem nie versiegenden Optimismus hat Clifford so viele freie Mitarbeiter angeheuert, dass das Verhältnis von Ghostwritern und Klienten in eine ziemliche Schieflage geraten ist. Das sei nötig, sagt er, weil wir jeden Tag weiter expandieren. Ich glaube ihm das mal, aber ein geregeltes Einkommen lässt sich auf diese Art schwer verdienen. Dafür hat uns Clifford für jeden Kunden, den wir über die Ziellinie bekommen, Bonuszahlungen versprochen. Was mir aber noch nicht mal ansatzweise gelungen ist.

Mit einem schweren Seufzer klicke ich mich durch zur Drop-down-Datenbank, die Clifford als Do-it-yourself-Anleitung konzipiert hat und die zahlenden Kunden eine Liste mit Textbausteinen an die Hand gibt, die sie auf ihre arglosen Matches loslassen können. Zur Auswahl stehen die Kategorien Flirty, Sexy, Cool und Charmant, und jedes Mal, wenn ich dort etwas einspeise, bekomme ich fünf Dollar pro Zeile und dazu das ungute Gefühl, mich über kurz oder lang wegzurationalisieren.

Seit meiner Ankunft im wurmstichigen Big Apple habe ich über dreißig Bewerbungen geschrieben, aber bislang hält mich allein mein Job bei Sweet Nothings über Wasser. Ich brauche diesen Job, selbst wenn ich mich dafür fünftausendmal am Tag einloggen muss, um endlich wieder einen Auftrag abzugreifen. Meinen zweiten, um genau zu sein.

Pling.

Eine Nachricht auf meinem Handy.

Warum ghostest du mich??!!!

O nein, was habe ich jetzt wieder für Mist gebaut? Habe ich jemanden hängen lassen, nicht schnell genug reagiert? Absolutes Tabu in diesem Job. Wir antworten immer sofort – es sei denn, eine strategische Verzögerung wird gewünscht. Davon war bei Tess, meiner ersten – und einzigen – Klientin, aber nie die Rede, weshalb es jetzt zügigst handeln heißt.

Oh, sorry, tippe ich, tut mir ehrlich leid, es war so wahnsinnig viel los, aber …

Dann sehe ich, von wem die Nachricht ist. Sie ist gar nicht von Tess, sondern von Nick. Mit Nick hatte ich in L.A. mal irgendwas laufen. (Betonung auf irgendwas. Er hat Mary mit Gras versorgt, weshalb unsere Treffen eher … sagen wir, bedarfsabhängig waren.)

Ich habe dich nicht geghostet, stelle ich klar. Du wusstest doch, dass ich wegziehe.

Du hast nicht auf meine Nachrichten reagiert! DAS IST GHOSTEN.

Nein, das nennt man einen Schlussstrich ziehen. Ghosten hingegen ist ein Geheimnis, das sich nie klären wird.

Dann ein schönes Restleben noch, oder wie? Deine Chefin schuldet mir übrigens noch zwei Riesen.

Da könnte was dran sein, aber was soll ich da machen?

Da musst du dich an Mary wenden.

Blocken, aus und weiter.

Die nächsten zwei Stunden wechsele ich zwischen meinem unvollendeten Drehbuch und der Sweet-Nothings-Seite hin und her. Beim sechzehnten Anlauf sind gerade drei Nutzer frei geworden, weshalb ich hektisch eines der Auswahlkästchen zu treffen und anzuklicken versuche, aber wieder bin ich nicht schnell genug, denn schon aktualisiert sich die Seite und zeigt mir ihr üblich leeres Gesicht. Eine Nachricht erscheint: Im Augenblick sind leider keine Ghostwriterjobs zu vergeben, blabla … Ich lese nicht weiter. Wie mir auffällt, ist jetzt immerhin der sexy Fuß verschwunden und durch den Schattenriss eines Menschen ersetzt worden, der einem anderen etwas ins Ohr flüstert – vermutlich irgendwelche süßen Nichtigkeiten, das typische Liebesgesäusel. Gut zu wissen, dass wenigstens die Webdesigner beschäftigt sind. Es sieht ja durchaus besser aus. Wenn ich jetzt auch noch mein Stück vom Kuchen bekäme, wäre alles gut.

Ich schicke einen tödlichen Blick in Richtung Tischbesetzer. Hätte der Kerl mir heute nicht mein Frühstück und den angestammten Arbeitsplatz gestohlen, würde es garantiert besser laufen.

Es ist gleich 14 Uhr, und er ist immer noch da.

Mit meiner leeren Tasse bummele ich nach vorn an den Tresen. Evelynn hat ihre Schicht zum Glück beendet, und der neuen Bedienung kann ich mich nun wie ein halbwegs normaler Mensch präsentieren, während ich mir noch mal Kaffee nachfüllen lasse. Sehnsüchtig bleibt mein Blick an der Schwarze-Bohnen-und-Quinoa-Bowl hängen. Es ist das günstigste Gericht im Angebot, für mein ausschließlich von Tess zehrendes Budget aber noch immer zu viel des Guten.

Zurück an meinem kleinen Kindertisch, finde ich eine E-Mail von Clifford vor. Bestimmt will er wieder irgendeine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben haben oder schickt uns im Anhang die neue ergänzte Version des Handbuchs für Freiberufler, von dem böse Zungen behaupten, er habe es bei seiner vorherigen Agentur mitgehen lassen. Als ich den Dropbox-Link anklicke, dröhnt auf einmal Musik aus den Lautsprechern meines Laptops: The Weeknd, der uns voll schmachtender Inbrunst wissen lässt, dass DUE TO THE WAY I WORK IT, I’VE ER-ER-ER-ER-ER-EARNED IT.

Scheiße, was ist da los? Ich hacke mit dem Finger auf den Lautsprecherknopf, bis Ruhe ist. Die Leute in der Schlange am Tresen ziehen die Augenbauen hoch, eine Frau schüttelt den Kopf, und der Tischbesetzer dürfte es natürlich auch mitbekommen haben.

Mit glühenden Wangen setze ich meine Kopfhörer auf und regele langsam die Lautstärke wieder hoch. Dabei lupfe ich alle paar Sekunden eines der Ohrpolster, um mich zu vergewissern, dass kein Laut mehr nach außen dringt. Okay. Ein Video also. Mit pochendem Herzen, aber immerhin in der Gewissheit, dass es diesmal eine Privatvorstellung wird, lade ich die Datei noch mal. Auf einem schwarzen Hintergrund versichert mir The Weeknd erneut, dass ich es mir verdient hätte. Dann erscheint Clifford im Bild. Er läuft direkt auf die Kamera zu, als würde er mir in echt entgegenkommen.

»Sei mir gegrüßt, mein Rockstar! Keine Sorge, dieser Song hat uns nichts gekostet, da nur für den internen Gebrauch. Aber du hast es dir trotzdem verdient, Mädchen.«

Ob er wohl zwei verschiedene Videos gedreht hat, überlege ich, eins für die männlichen Ghostwriter und eins für die weiblichen? Und wenn ja, für wen ist das diskriminierender?

»Wenn du diese Nachricht siehst, hast du allen Grund zum Feiern! Deine letzte Klientin …«, hier eine kurze Pause, gefolgt von einer eingespielten Tonspur, »… Tess Riley! …«, erneut eine Pause, ehe Clifford ganz normal weiterspricht, »hat ihr Profil gelöscht. Und das heißt, wir haben eine Erfolgsstory!« (Wieder eine Pause für den Einspieler.) »Tess Riley … hat ihre große Liebe gefunden! Was bedeutet das für dich? Es bedeutet, dass du einen Bonus über fünfhundert Dollar bekommst!« (Einspieler prasselnder Geldregen, währenddessen animierte Goldmünzen auf Clifford fallen.) »Und eine kleine DIY-Party schmeißen wir auch für dich. Schau die nächsten Tage mal in deine Post, dort wartet eine prickelnde Überraschung auf dich. Und als Sahnehäubchen gibt es die nächste Klientin sozusagen frei Haus. Du musst dich um nichts kümmern – wir teilen dir den nächsten Auftrag einfach zu. Glückwunsch, und mach dir einen schönen Tag oder genieße den Abend.«

Obwohl mich diese unerwartete Verlautbarung von Clifford und The Weeknd ein wenig aus der Spur gebracht hat, sind das natürlich ganz wunderbare Neuigkeiten. Für fünfhundert Dollar könnte ich schon ziemlich oft Taxi fahren – und wäre das nicht großartig, endlich mal rauszukommen?

Jetzt wird mir auch klar, warum es so schwer ist, auf dem Portal neue Kunden abzugreifen: Die meisten werden direkt auf die Accounts verdienter freier Mitarbeiter umgeleitet. Ich bin noch unschlüssig, ob ich Cliffords Motivationstechnik mies oder genial finden soll. Wer für den Job nicht taugt, braucht nicht mal gefeuert zu werden, sie kriegen einfach keine Aufträge und werden nie den Grund dafür erfahren. Ge-ni-al. Dann denke ich, dass das quasi wie ghosten ist und vielleicht eher nicht so optimal, aber egal – ich habe es mir verdient, verdammt! Tess Riley wollte einen Architekten, achtundzwanzig bis siebenunddreißig, mit Fußballerfigur. Gerne Latino oder mit niederländischen Wurzeln, aber kein Muss. Zu speziell? Nicht für mich.

Mit Mateo Van de Berg hat sie sogar beides bekommen.

Ich packe meine Sachen zusammen, lasse mich tragen von der Welle meines Erfolgs. Zeit, um Feierabend zu machen und den Tag auf diesem High ausklingen zu lassen (ha, ha, von wegen; ein bisschen Gras käme gerade sehr gelegen, um mich vor dem Nachhauseweg etwas zu entspannen).

Eine Sirene ertönt in der Ferne. Mir graut bei dem Gedanken, gleich wieder hinaus zu müssen in dieses Gewühl, in diese pulsierende und erbarmungslose Stadt, die mich wie einen alten Hacky Sack herumwirft.

Auf dem Weg nach draußen komme ich am Tischbesetzer vorbei. Er schaut kurz zu mir hoch, und ich schaue schnell wieder weg, aber unsere Blicke treffen sich dennoch für einen Moment. Ich atme tief durch und stoße die Tür auf. Und dann, trotz des Lärms und der Menschen, lächle ich kurz und still in mich hinein. Tischbesetzer weiß es noch nicht, aber er hat heute zum letzten Mal dort gesessen.

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3. Kapitel

An: Team @ Tell It to My Heart

Von: Leanne Tseng

Betreff: Wort des Tages

 

Liebes Team,

 

auch auf die Gefahr hin wie ihr wisst schon wer zu klingen, lautet das Wort des Tages »Upselling«. Denkt bitte daran, dass wir eine ganze Palette an Dienstleistungen im Angebot haben. Zeigt unseren Nutzern, wofür wir mit unserem großen Pool an Schreibtalenten stehen. Vertieft euch bitte noch mal in die Portfolios eurer Klienten und Klientinnen und helft ihnen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen.

 

Apropos sich von seiner besten Seite zeigen: Wir haben zwar bislang keine juristischen Schritte unternommen, gehen aber der Frage nach, ob eine Verletzung geistigen Eigentums oder des Markenrechts durch andere Unternehmen gegeben ist, die sich mit ähnlichen, aber weitaus schlechteren Angeboten am Markt zu etablieren versuchen. Es ist sicher auch im Sinne unserer freien Mitarbeiter*innen, das so bald wie möglich zu klären, damit eure diversen Beschäftigungsverhältnisse nicht zu Loyalitätskonflikten führen.

 

So weit dazu. Oberstes Ziel bleibt, die Agentur so gut am Markt zu positionieren, dass ich allen eine Festanstellung bieten kann und ihr euch nicht die Hälfte der Woche die blöden Kommentare der Konkurrenz aus den Ohren klauben müsst.

 

Und darum: Wort des Tages, Leute. Wort des Tages.

 

Eure Leanne

Miles

Mit dem Kaffeeschnorren hatte Evelynn übrigens recht. Ich bin Legende hockt noch immer an ihrem Katzentisch, hängt nonstop über ihrem Laptop und wirft bloß ab und an finstere Blicke in meine Richtung. Aber ich lebe nicht umsonst schon mein halbes Leben in New York City. Wenn ich mit solchen Laserblicken nicht klarkäme, sollte mir auf der Stelle meine MetroCard entzogen werden.

Sie hätte mir übrigens gar nicht zu sagen brauchen, dass sie nicht aus New York ist, das sieht man auch so. Es ist Ende April, und sie rennt in T-Shirt und Shorts rum. Vor nicht mal zwei Wochen hatten wir hier noch Schneesturm, was vielleicht die schweren Treter erklärt, andererseits aber auch nicht. Vielleicht ist es einfach ihre Art, der Welt mitzuteilen, dass sie einen rattenscharfen Körper hat, aber wer blöd glotzt, kriegt eine rein. Habe ich überhaupt kein Problem mit. Etwas schwerer zu deuten sind diese seltsamen fingerlosen Handschuhe, die ihr bis zu den Ellbogen reichen und selbst gestrickt aussehen – und zwar von jemandem, der entweder betrunken war, noch nie etwas gestrickt hat oder beides. Wo sie herkommt, scheinen also weder Jahreszeiten noch, seien wir ehrlich, Kultur eine nennenswerte Rolle zu spielen. Müsste ich raten, würde ich auf Florida tippen.

Aber was geht es mich an. Am besten, ich ignoriere sie einfach. So wie ich auch lieber nicht darüber nachdenke, warum ich seit sechs Wochen nicht mehr im Crudité war. Nicht dass das hier »unser Stammcafé« gewesen wäre, also Jordans und meins. Aber wir waren schon ein paarmal zusammen hier, als sie noch mit ihren vier Mitbewohnerinnen gleich um die Ecke gewohnt hatte. Damals, ehe wir den Sprung wagten und nicht nur zusammenzogen, sondern auch auf die andere Seite der Brooklyn Bridge und in einen Stadtteil wechselten, der nicht mit »Man-« anfing und mit »hallo, so viel verlangen Sie also für diese kleine Besenkammer, oh, wow, ist das eine Terrasse, Wahnsinn, da passt ja sogar ein Stuhl drauf, wo soll ich unterschreiben?« aufhörte.

Zusammenzuziehen war natürlich auch eine große Sache, aber von Manhattan rüber nach Brooklyn zu gehen, kam uns irgendwie als der größere Schritt vor. Memo an mich: Der Miles von letztem Jahr hatte echt Probleme.

Ich meine, wie blöd kann man sein? Heutzutage und in meinem Alter noch an die große Liebe glauben. Einunddreißig Jahre, bis selbst ich es kapiert habe, dass es Happy Ends nur im Märchen gibt. Oder wie Gemma, die Engländerin, mit der ich vor Jordan kurz zusammen war, meinte: keine Ahnung vom wahren Leben.

Jedenfalls habe ich mich in letzter Zeit vom Crudité ferngehalten, weil es mit zu vielen Erinnerungen verbunden war. Zum Beispiel wie Jordan und ich uns, nachdem wir die Nacht bei ihr verbracht hatten, morgens einen Kaffee geholt oder ganze Abende hier gesessen und geredet hatten, weil man nach dem Essen ruhig noch etwas bleiben durfte und wir chronisch knapp bei Kasse waren. Und weil es einfach nett und entspannt und praktisch gewesen war. Deshalb brauchte ich gar nicht lange darüber nachzudenken, wohin ich mich flüchten sollte, nachdem uns Cliffords Eskapaden plötzlich die Büroräume gekostet hatten. Natürlich lag es von Brooklyn aus nicht gerade um die Ecke, aber unter der Woche jeden Tag herzukommen, um zu arbeiten, gab mir eine gewisse Routine und das Gefühl, irgendwie weiter »ins Büro« zu gehen.

Wahrscheinlich hat es mich deshalb heute hergezogen: um an alte Zeiten anzuknüpfen. Nicht jordan-, sondern jobmäßig. Wenn es einen Ort gibt, an dem der alte Miles Ibrahim, einst Leannes bestes Pferd im Stall, noch mal zum Vorschein kommen kann, dann hier.

Ich klicke Jude Campbell an, öffne seinen Fragebogen und lese mir alles durch. Dann lese ich alles noch mal. So lange, bis ich seine Antworten in- und auswendig kenne, denn so was wie mit dem Streichquartett darf mir nicht noch mal passieren. Danach schaue ich mir die von ihm verlinkten Profile auf drei Datingportalen an und notiere ein paar Sachen, die man besser machen könnte. Er gibt nicht viel von sich preis, klassischer Anfängerfehler. Natürlich braucht man nicht gleich seine Memoiren zu verfassen, aber wer sich nicht mal die Zeit nimmt, das Profil vollständig auszufüllen, kann sich den Rest eigentlich auch schenken. Ein aussagekräftiges Profil zeugt von Interesse, Durchhaltevermögen und Einsatz für die Sache. Du musst die wesentlichen Infos rüberbringen, ohne den anderen zuzutexten – eine hohe Kunst, bei der dann meistens ich ins Spiel komme. Jedes Wort sollte sitzen, die Sprache die (ideale und von uns aufpolierte) Persönlichkeit des Klienten widerspiegeln. Bei aller Eloquenz muss der Text kurz und knackig sein und Lust auf mehr machen.

Ich schreibe Jude eine E-Mail, stelle mich als sein Tell-It-to-My-Heart-Ghostwriter vor und frage, wann er Zeit für ein erstes Vorgespräch hätte; bei mir ginge es beispielsweise heute. Freue mich von dir zu hören et cetera.

Ich habe die Mail gerade abgeschickt, als von einem Tisch hinten in der Ecke Musik losdröhnt, so laut, dass die Wände wackeln und ich unweigerlich rüberschaue.

Ich bin Legende, wer sonst. Mit glühenden Wangen und hektisch flatternden Wimpern hackt sie auf den Tasten ihres Laptops herum. Wenn mich nicht alles täuscht, ist der Song aus Fifty Shades of Grey. So, so, das macht sie also hier. Ob ihr das irgendeinen Kick gibt, hier Kekse zu schnorren und sich öffentlich Softpornos reinzuziehen? Ich beobachte sie noch einen Moment, weil mich wirklich interessiert, ob ich erkennen könnte, dass sie das anmacht. Dann reiße ich mich zusammen. Nein, Miles, du solltest jetzt nicht gleich wieder anfangen, Frauen abzuchecken, auch nicht aus rein anthropologischem Interesse.

Eine eingehende Nachricht lenkt mich ab. Die E-Mail ist von Jude, der schreibt, dass er heute um 16 Uhr Zeit hätte. Hervorragend. Prompt und kommunikativ, das sind doch schon mal gute Voraussetzungen. Ich antworte sofort und schreibe ihm, wie er ins Café Crudité gelangt. Dann greife ich zum Smartphone, um zu testen, wie gut ich das Profil meines Klienten verinnerlicht habe.

Ich öffne 24/7, eine der unzähligen Dating-Apps, die ich mir heruntergeladen habe. (Nur für die Arbeit, versteht sich, denn als Privatperson habe ich aus offensichtlichen Gründen damit abgeschlossen. Die Profile sind auch nicht von mir. Es sind Fantasieprofile mit erfundenen Storys und Fotos aus der Google-Bildsuche, die irgendwie alle so aussehen, als stammen sie aus den Werbebroschüren osteuropäischer Universitäten.) Ich schaue mir kurz die vierundzwanzig Profilbilder und Vorschauen an, die einem meiner Fake-Profile heute als Matches ins Netz gegangen sind. Dann klicke ich die fünf an, von denen ich glaube, dass Jude sie sich aussuchen würde. Das meiste geht ganz intuitiv. Nur einmal zögere ich zwischen einer Finanzanalystin, die am Wochenende Softball spielt, und einer Marketingfrau, die als Pilatestrainerin arbeitet. Schließlich entscheide ich mich für Miss Pilates: hat wahrscheinlich mehr Freizeit und den geschmeidigeren Körper. Am Ende unseres Treffens werde ich meine Ergebnisse dann mit Judes abgleichen.

Bis er hier aufkreuzt, bleiben mir noch fünfundvierzig Minuten. Langsam bekomme ich Hunger, aber die Biscotti sind natürlich längst weg, und irgendeine verzweifelte Seele muss sich sogar der Grünkohlmuffins erbarmt haben. Automatisch schaue ich zum Tisch in der Ecke, wo Ich bin Legende sich gerade zum Aufbruch rüstet und mich zum Abschied noch mal mit einem finsteren Blick bedenkt. Schönen Tag noch, Tampa Bay. Und sieh zu, dass du abhärtest, sonst knackt dich New York schneller, als du gucken kannst, und jagt dich zurück in die sonnengetränkten Sümpfe, denen du entstiegen bist.

Obwohl mein Magen schon merklich knurrt, widerstehe ich der Versuchung der Tageskarte. Denn wer weiß, ob ich allen heutigen Bemühungen zum Trotz nächste Woche überhaupt noch einen Job habe. Lieber jetzt auf den Cake-Pop für vier Dollar verzichten als später dann aufs Abendessen. Ich schaue mich im Café um. Jetzt da Legende weg ist, gibt es auch niemanden mehr, den ich beobachten oder in Grund und Boden starren kann wie ein inoffizieller Tourguide für das echte, unverfälschte New-York-Erlebnis.

Ich hole wieder mein Handy heraus, und bevor ich weiß, was ich tue, habe ich schon Instagram geöffnet und Jordans Baby-Post angesteuert. Diesmal schaue ich mir das Foto nur flüchtig an – eine Minute vielleicht –, ehe ich mich in den Abgrund der Kommentare ziehen lasse.

Zwischen den Glückwünschen und den OMGs sind richtige Perlen zu finden.

»Gut gemacht, Miles und Jordan!«, schreibt beispielsweise Greta, eine deutsche Austauschschülerin, die mal einen Sommer bei meinen Eltern verbracht hat. Aha! Dann bin ich wenigstens nicht der Einzige, der dachte, das Kind wäre von mir. Wäre wahrscheinlich eine gute Idee, die Sache kurz klarzustellen, aber was schreibt man da?

 

Hi Greta,

lange nichts von dir gehört. Ich hoffe, es geht dir gut. Ehe ich es vergesse: Könntest du vielleicht meine untreue Ex-Verlobte auf sämtlichen Social-Media-Kanälen entfreunden/entfolgen?

Danke,