Mystic - Nisa H. Caylar - E-Book

Mystic E-Book

Nisa H. Caylar

4,8

Beschreibung

Alex liegt im Koma. Sahra verliert jede Hoffnung. Trotz und Zorn übernehmen nun ihren Alltag. Ermüdet von all den Geschehnissen ihrer Vergangenheit nimmt sich Sahra fest vor endlich ein normales Leben zu führen. Doch früh genug merkt sie, dass ihre Gabe ihr tief im Blut steckt.

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SEVDİĞİMİZ İNSANLARIN GÜLÜMSEYİŞİ İLAÇTIR

Das Lächeln derer, die wir lieben, ist Medizin für unsere Seele

Nisa H. Caylar wurde 1992 in München als Zweites von drei Schwestern geboren. Bereits im jungen Alter arbeitete sie gerne an den verschiedensten Geschichten, bis sie schließlich mit 15 begann, ungeplant an ihrem ersten Roman MYSTIC zu schreiben. Inspirationen zu ihren Geschichten findet sie, indem sie sich von klein auf gerne in eine Traumwelt versetzt und all das, was sie dort erlebt in Worte verfasst.

Mein Dank gilt allen, die nicht aufgehört haben an mich zu glauben und, die mir unermüdet immer wieder Kraft schenken

Hausaufgaben. Und was sollten wir machen? Natürlich, einen Aufsatz über das spannendste Erlebnis in seinem Leben erzählen. Tja, wo könnte ich da bloß anfangen? Mir fiel nichts ein.

In meinen Händen hielt ich noch immer meinen Block und einen Stift und noch immer grübelte ich ganz konzentriert als meine Gedanken von einem Auto, dass an der Ampel wartete durchgewühlt wurden. Ein Mann saß am Steuer, er trug eine Brille, seine Haare waren verschwitzt und seine Hände hingen fest am Steuer. Sein heftender Blick wendete sich von der roten Ampel zu den zwei Kindern, die ebenfalls im Wagen saßen. Das Fenster des Beifahrersitzes war heruntergekurbelt. Er sprach zum Mädchen, die neben ihm saß und als er mich auf der Bank sitzend sah und bemerkte, dass mein Blick ganz zufällig und eigentlich ohne jeden Grund an ihnen heftete, lies er das Fenster wieder zugehen. Einen genauen Beweis für etwas gab es nicht, dennoch strömte Sorge durch meinen ganzen Körper, sodass ich mich sofort erhob und zum silbernen und ziemlich alten Wagen lief. Von Sauberkeit hielt der Unbekannte wohl nicht viel, ich klopfte ans Fenster, das Mädchen blickte mich mit ihren großen braunen Augen an, der Mann lies das Fenster nur sehr ungewollt und zögernd herunter. Die Ampel stand noch immer auf rot.

>>Ich mache eine Umfrage, hätten sie kurz Zeit?<<

Ich wusste nicht, wie ich in diesem Augenblick auf solch eine Idee kam, doch es platzte ganz unüberlegt aus mir heraus. Irgendwie müsste ich ins Gespräch kommen.

>>Ich habe jetzt keine Zeit für irgendwelche Umfragen - <<, und noch bevor er weitersprechen konnte, setzte ich an,

>>Klasse! Hey ihr beiden, seid ihr auch so große Fans von leckerem Eis?<<

Nun gut, ich hätte mir auch etwas Besseres einfallen lassen können, doch wie konnte ich, wenn ich zum Überlegen nur Millisekunden zur Verfügung hatte!?

>>Miss, sie haben mich wohl missverstanden? Wir stehen an der Ampel und - <<

>>Sind sie etwa kein Fan von Eis, Sir?<<, antwortete ich ihm lächelnd, als mich die beiden Kinder noch immer neugierig anstarrten, doch nichts aus dem Mund bekamen.

>>Euer Dad ist nicht wirklich ein Fan von Eis, oder?<<, fragte ich das Mädchen nun, ohne auf den Unbekannten Fahrer zu achten.

>>Er ist nicht unser Dad<<, sagte sie mit zaghafter und feiner Stimme.

>>Ach, nicht?<<. Sie schüttelte mit dem Kopf. Die Ampel schaltete auf grün.

>>Es reicht jetzt<<, meinte der Mann und wurde immer ärgerlicher, sodass er das Fenster wieder hochlaufen lies und auf das Gas drückte. So schnell wie möglich kritzelte ich das Nummernschild auf meinen Block und gab ein >>Los Admynn!<< von mir.

Inhaltsverzeichnis

Steckbrief

EINS

ZWEI: Eine Art Aufklärung

DREI: Erste Schritte

VIER: Zweite Nacht

FÜNF: Dritte Nacht

SECHS: Vierte Nacht

SIEBEN: Der Umzug

ACHT: Unerklärliche Geschehnisse

NEUN: Ein Geheimnis

ZEHN: Alte Bekannte

ELF: Erste Hinweise

ZWÖLF: Im Herzen des Herbstes

DREIZEHN: Der Jahrmarkt

VIERZEHN: Harter Winter

FÜNFZEHN: Der Aufbruch

Der Aufbruch: Die Tür zum Haus

SECHSZEHN

SIEBZEHN: Der Plan

ACHTZEHN

NEUNZEHN: Neuanfang

ZWANZIG: Lenard's Geburtstag

EINUNDZWANZIG: Bedeutsame Entscheidungen

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG: Der Abschluss

VIERUNDZWANZIG

FÜNFUNDZWANZIG: Ein Teufelskreis

Admynn

Steckbrief

Ich heiße Sahra Sailor. Aber von Alex werde ich auch gerne Rainbow genannt. Fragt nicht mich, fragt ihn warum. Ich bin halb so groß wie mein 1,80m großer Bruder, habe schulterlanges, braunes Haar und bin ein durchschnittliches Mädchen, wie jedes andere auch. Nichts scheint mich von den anderen zu unterscheiden. So wie Alex nicht ohne sein altes Toyota leben könnte, so könnte ich nicht ohne mein Skateboard leben.

Es gab in meinem Leben schon viele merkwürdige Ereignisse. Momente, die mir den Atem raubten, ich sie jedoch mit dem allzu gut bekannten Wort Deja-vu, bezeichnend abhackte. Es waren Momente, von denen ich bereits schon innerlich tief in meinem Unterbewusstsein wusste. Ein seltsames Gefühl in meinem Magen führte mich zum richtigen Weg, sagte mir, was richtig und was falsch ist. Das Wort Instinkt bezeichnet genau das, womit ich weitere merkwürdige Momente in meinem Leben versuchte zu erklären. Erst als Admynn mir eines Tages erschien, ohne Vorwarnung plötzlich in meinem Leben auftauchte und sich mir vorstellte, begann ich zu begreifen, wer ich wirklich war.

Ich war siebzehn als ich von meiner Gabe erfuhr, das war vor einem Jahr. Meine Gabe ermöglicht es mir die Energien in meinem Umfeld zu beeinflussen. Ausreichend Schlaf und notwendige Nährstoffe füllen meinen Körper mit Energie, ich lade mich auf und entlade mich mit meiner Kraft. Hinzu kommen meine Visionen. Meine Gabe ermöglicht mir anderen Menschen zu helfen, indem ich von ihnen Träume. Doch seit ich sie entdeckt habe, stürzt sie mich auch in viele Gefahren, von denen ich nie hätte mir denken können.

Ich wurde zunächst von unsichtbaren Kräften heimgesucht und angegriffen, die sich im Nachhinein als diese Wesen sich enttarnten. Maddie, meine kleine Schwester, wurde von einem Psychopathen entführt. Elaine Reese, die Exfreundin meines älteren Bruders, versetzte ihn unter einen tiefen Bann und hätte ihn beinahe umgebracht. Und um das Jahr voller Glück abzurunden, ist unser Schulhaus kurz vor Alex' Abschluss durch ein Gasleck explodiert und abgebrannt. Um mein Leben zu retten, hat er seines in Gefahr gebracht und liegt jetzt im Koma.

Alex. Mein großer Bruder, ist mir wohl neben meiner Familie das Wichtigste in meinem Leben. Wir zwei hätten als Zwillinge auf die Welt kommen müssen, so nah stehen wir uns. Kein Geheimnis auf der Welt steht zwischen uns und nichts auf der Welt könnte uns auseinanderreißen. Nichts, bis auf den Tod.

All diese Ereignisse scheinen für ein siebzehn Jähriges Mädchen unüberwindbar zu sein, doch ich habe sie überstanden. Und dennoch gibt es sicherlich reichlich Menschen, die sich wünschen würden, so sein zu wollen, wie ich. Ich stehe nun an einem Punkt, kurz vor dem Aufgeben. Alles hinschmeißen und hinter sich lassen, doch meine Gabe, tja, sie steckt mir leider tief im Blut.

EINS

1 Im Leben hatte ich eines gelernt: Es wird der Tag kommen, an denen wir uns von denen, die wir lieben, für immer verabschieden werden müssen. Sie werden uns verlassen und wir werden es nicht verhindern können. Und dennoch glaube ich daran, auch wenn sie weg sind, werden sie niemals vollkommen verschwinden. All die Erinnerungen und gemeinsamen Abenteuer, sie werden immer ganz tief in uns verankert sein.

Wir hatten Herbst, die Bäume strahlten noch in einem leuchtenden Grün, doch langsam ließen die Blätter los und wurden von dem Wind mitgezogen. Ich sah in die schwarze Menge, sie blickten auf die Wiese unter ihren Füßen und trauerten. Ich stand angewurzelt neben Joseph und Summer. Sie hielt Maddie an der Hand und mit ihrer anderen Hand wischte sie ihre immer wieder nachkommenden Tränen aus den Augen. Tante Sue und Onkel Martin standen direkt hinter mir. Alle waren gekommen, sogar Mrs. Fitzburg. Unsere gute alte Nachbarin Mrs. Fitzburg, die mir zwar manchmal böse Blicke zuwarf, weil mein Teenage-Verhalten sie um den Verstand brachte, aber dennoch früher immer auf Maddie aufgepasst hat, wenn es Mal anders nicht ging. Auch meine beste Freundin Kathy, die einige Schritte weiter vor mir stand und immer wieder unsicher in meine Richtung blickte, war gekommen. Marcia weinte leise in ihr Taschentuch, ich strich ihr über den Rücken. Wieso hatte er uns jetzt schon verlassen? War es denn noch nicht zu früh? Fragen, die einem nicht beantwortet werden könnten. Von niemandem. Sinnlose Fragen, die dennoch einem den Verstand raubten. Weshalb er und wieso jetzt?

Wieder schweifte mein Blick über die schwarze Menge und stoppte an einem Grabstein, die sich hinter der Menge befand, fixiert auf Admynn und noch weiteren seines Gleichen. Dann umkreiste ich mit meinem Blick den Friedhof und bemerkte erst jetzt, dass wir von vielen dieser Kreaturen umzingelt waren. Sie beobachteten uns, ohne dass jemand sie bemerkte – außer ich und Marcia, vielleicht. Ich holte tief Luft, wischte mir die frischen Tränen aus den Augen und verließ nun langsam gemeinsam mit der schwarzen Menge den Friedhof. Summer schluchzte und weinte noch immer, ihr Gesicht tief in Josephs Brust versteckt. Ich hatte Marcia noch immer fest in meinen Armen und stützte sie, während auch sie ihre Tränen kaum zurückhalten konnte. Maddie ging still vor uns her, sie hatte noch immer nicht richtig begriffen, was geschehen war. Auch mir schien es noch immer wie ein böser Albtraum. Doch als ich am nächsten Morgen schweißgebadet aufwachte, begriff ich, dass das Leben weiter ging.

Mit einem Sailor weniger.

ZWEI

Eine Art Aufklärung

... September …

2 Nachdem unsere Schule im Sommer, zum Abschlussball abgebrannt war, wurden alle um die achthundert Schüler an die verschiedensten Schulen im Umkreis eingeteilt. Wir hatten lange dafür gekämpft, dass Kathy und ich an dieselbe Schule kommen. Und zu unserem Glück konnten wir mithilfe eines kleinen Tausches es regeln, gemeinsam in eine Klasse zu kommen. Dennoch konnten wir es nicht verhindern, dass wir von all unseren Klassenkameraden getrennt wurden, auch deshalb, da dies unser letztes Schuljahr war. Ich saß ganz eng an Kathy eingeengt im Klassenzimmer und versuchte mich auf den einigermaßen laufenden Unterricht zu konzentrieren. Die Schüler an dieser Schule waren viel rebellischer, als sie es an unserer gewesen waren. Sie waren laut und respektlos gegenüber den Lehrkräften, man hatte Kathy und mir sogar mitgeteilt, dass hier mit Drogen gedealt wurde, geschweige denn von all den bereits bekannten heftigen Wutausbrüchen und Schlägereien. Wenn Kathy und Ich durch die überfüllten Korridore unserer neuen Schule schlenderten, trafen wir auch einige bekannte Gesichter aus unserer alten Schule und gingen lächelnd an ihnen vorbei. Und das schönste Gefühl war immer noch, als es nach dem erlösenden Schulgong nach Hause ging. Ich hatte mich an Kathys Arm festgehalten, während ich auf meinem Skateboard stand und mich von ihr ziehen lies. An der Kreuzung verabschiedeten wir uns und ich flitzte mit meinem Board nach Hause. Angekommen schenkte ich mir nun ein Glas Milch ein, legte meine Schultasche ab und goss noch schnell die durstigen Blumen, bevor ich zu Tante Sue in die Boutique ging, um meine Aushilfsstunden zu leisten. Sue hatte mir den Job als eine Art Ablenkung und auch als Unterstützung für sich selber angeboten, da sie nun hochschwanger und ich zum Teil aus Langeweile verzweifelt war. Außerdem war da noch dieser überaus supercoole Laptop, dass ich unbedingt haben musste, da ich mein Altes aus Wut und Zorn auf alles, was derzeit geschehen war, auf das Leben, das derzeit und noch immer so unfair und vollkommen sinnlos für mich ablief, in tausend teile kaputt geschlagen hatte. Und so versuchte ich wenigstens etwas für meinen Traum zu sparen. Ich war im großen Haus alleine, Maddie war noch in der Schule und Summer und Joseph in der Arbeit. Liebend gerne wäre ich mit zu Maddies erstem Schultag gegangen, doch ich hatte ja meinen eigenen ersten Schultag, zum Glück nicht alleine gehabt. Ich kann mich noch ganz gut erinnern, wie sie mit ihrer übergroßen Schultasche gemeinsam mit Joseph und Summer das Haus verließ und schon ganz aufgeregt war. Zuerst wollte sie unbedingt schon eine ganze Stunde früher losfahren, doch als sie schließlich den Ernst der Lage erkannte, wollte sie kneifen und lieber einfach zu Hause bei ihren Spielsachen bleiben. Aber das Leben ist eben hart und es werden immer neue Herausforderungen auf dich zukommen, egal ob du bereits welche hinter dir hast, es werden immer neue nachkommen.

Ein herrliches und hohes Klingeln ertönte, als man Sues Boutique betrat. Sie war gerade dabei einer ihrer Kundinnen das Kleid richtig zu festigen, um es später zu überarbeiten. Sie warf mir einen kurzen Blick über ihre Lesebrille zu und nuschelte, während sie einige Nadel zwischen ihren Lippen parat hielt,

>>Sahra! Du könntest mir sofort unter die Arme greifen<<. Sofort schmiss ich meine Jacke in eine Ecke und eilte an ihre Seite, da ich mich nicht nochmals um sie und Annie sorgen wollte, wie damals vor einigen Monaten.

>>Wie geht es dir heute?<<, fragte mich Sue, worauf ich ihr kurz mit einem >>guuut geht es mir<< antwortete.

>>So, das müsste jetzt so passen<<, meinte sie zu ihrer Kundin, die zwar konzentriert in den Spiegel blickte, doch ich war mir sicher, dass sie nebenbei unserem Gespräch zuhörte, wobei das Wort 'Gespräch' hier übertrieben ist, da ich das Schweigen in letzter Zeit bevorzugte und das Sprechen mir keinen Sinn macht. Worüber sollte man auch sprechen? Natürlich wusste ich im selben Moment auch, dass mein Gedanke dazu dumm war, doch es fehlte mir an Laune und guter Stimmung zum Reden, so schwieg ich lieber. Ob in der Schule oder zu Hause, ich hielt meine Klappe und verschwand mit meinen Gedanken und mit meinem Blick in die Leere schweifend, in ein – tja, ich weiß es selbst nicht, die meisten würden in so einem Moment in so genannte 'Tagträume' verschwinden, doch ich dachte an nichts. Ich blickte einfach nur leer in die Gegend und kapselte mich von meinem Umfeld ab. Oftmals schimpfte mich Kathy ich solle nicht so depressiv abtauchen, das würde sie sehr gruseln. Sie meinte immer wieder, sie wolle die alte Sahra zurück, die sie mal kannte – doch ich bin doch hier, oder etwa nicht?

>>Ich möchte ein bisschen laufen<<

>>Dann komme ich mit!<<

>>Ich würde lieber alleine laufen... <<

>>Sahra... <<, meinen Namen sprach Kathy in einem verzweifeltem Ton aus, in dem Sinne, ich solle ihr endlich sagen, was mit mir los ist.

>>Kathy ich möchte alleine sein, ich möchte mich auspowern, um endlich mal friedlich schlafen zu können... ich würde so liebend gerne wieder träumen können<<

>>Schätzchen Träume entstehen erst, wenn man in den vergangenen Tagen etwas erlebt hat. Indem man nichts tut, kann dein Unterbewusstsein auch nichts verarbeitenzumindest kann ich mir das so gut vorstellen<<. Was sie durch diese Ansage erreichen wollte, war es, mir klar zu machen, dass ich etwas aktiver werden sollte. Meine Tage vergingen wie folgt und geplant, Tag für Tag derselbe Durchlauf. Aber sie wusste nicht, was ich wirklich meinte. Denn sie wusste nicht, dass ich von Ereignissen, die passierten oder passieren würden träumte und dadurch einigen oder vielen Menschen helfen konnte. Was würde ich alles geben, um wieder im Team zu sein, um so gut wie möglich bei Vorfällen helfen zu können.

Kathy zog sich gerade ihre braunen Stiefel mit Fransen am Saum über. Sie hatte eine rote lange Bluse an, drüber hatte sie sich einen mit braunen Zacken gemusterten Wollpullover angezogen. Sie sah so hübsch und frisch aus, ich hatte nur eine alte Sweathose und einen alten Pullover von Summer an. Sie stand nun vor der Haustüre, wir waren dabei uns zu verabschieden. Sie war nach der Schule zu mir gekommen, wir hatten Hausaufgaben gemacht und Schweigend vor dem laufenden Fernseher gesessen.

>>Ich bin nicht böse oder beleidigt, nur weil du mich ignorierst. Ich kann dich ziemlich gut verstehen, nach all dem, was du erlebt hast, auch wenn ich selbst so vieles auf einmal nicht erlebt haben sollte, ich verstehe dich. Du bist meine Schwester Sahra und du sollst unbedingt wissen, egal wie sehr du mich auch anbrüllen solltest, ich werde dich nicht alleine lassen<<, Kathy blickte tief in meine Augen. Ihr Make up von heute Morgen wirkte noch immer frisch auf ihrem Gesicht: Zarter, schwarzer Lidstrich und leicht rot bemalte Lippen. Sie lächelte hoffnungsvoll, als sie weitersprach,

>>überanstrenge dich nicht, klar? Wir sehen uns dann morgen!<<, und ohne auf eine Zustimmung von mir zu warten, drehte sie mir den Rücken und machte sich auf den Heimweg.

Laufen. Das tat ich in der letzten Zeit ziemlich oft, fast jeden Tag um ehrlich zu sein. Ich schüttete all meine Energie aus, bis ich komplett leer und kraftlos war, mit der Hoffnung, ruhiger schlafen zu können. Außerdem konnte ich dadurch auch viel Stress und Wut abbauen, es schien mir danach besser zu gehen. Nach dem Brandunfall in der Schule wurden meine Lungen sehr strapaziert, eigentlich stand es an oberster Stelle, dem Sport mich etwas zu entziehen. Doch wie konnte ich nur, wenn Sport das Einzige war, was mich beruhigte. Ich lief lange, so lange, bis meine Lungen schmerzten und mein Hals brannte. Am liebsten lief ich eigentlich auf dem Sand, am Strand entlang, jedoch konnte es nach einer Weile ziemlich anstrengend und schmerzhaft für die Füße werden, sodass ich es dann doch bevorzugte, auf dem Gehsteig direkt neben dem Meer zu laufen. Ich machte mir ein Spiel daraus über die ausgetrockneten, von ihrer herbstlichen Farbe erblassten Blättersammlungen zu laufen, die unter meinen Füßen begangen zu knistern. Auch an diesem Tag lief ich über die von den Bäumen losgelassenen Blätter, bis ich schließlich keuchend meine Hände auf meine Knie stützte und im unregelmäßigen Rhythmus nach Sauerstoff rang. Ich war am Limit angelangt, ich setzte mich auf die Bank, mein Blick zum Strand, auf das Meer, das immerzu friedlich zu sein schien, nur nicht heute. Lenny, der beste Kumpel von Alex, setzte sich zu mir, als das Meer große Wellen schlug und so seine Macht zeigte, als wolle es uns beweisen, wie stark es sei. Gemeinsam mit dem Wind ein Team gegen uns, Menschen.

>>Trotz des wilden Lärms der Wellen wirkt es dennoch beruhigend, oder?<<, sprach Lenard zu mir, ich sah ihn nicht an.

>>Tatsächlich. So viel Lärm, so viel unnötiger und unterschiedlicher Krach jeden Tag, aber der hier kommt mir dennoch sanft vor – was machst du hier eigentlich?<<, fragte ich Lenny, nun sah ich zu ihm

>>Ich laufe, eigentlich, nur mache ich gerade eine Pause<<

>>Du läufst - <<, meine Stimme klang nicht überrascht, eher betonte ich seine Ansage und sprach weiter, >>das ist schön, ich mein, dass du deinem Ziel noch immer folgst<<

Lenard sah mich komisch an, er schien verwirrt, worauf ich sagte,

>>na du hattest doch mal gesagt, du läufst, um abzuspecken, obwohl ich finde, dass du gar nicht soo dick bist<<, ich lächelte leicht, aber ich machte mich nicht über ihn lustig, ich fand es nur, naja nett oder wie man so schön sagt, süß.

>>Du machst dich über mich lustig<<

>>Nein, nein! Ehrlich nicht! Wirklich, ich finde es schön und es ist auch gut für dich – für deine Gesundheit, weißt du?<<

Wir schwiegen, unser Blick wieder auf das Meer gerichtet.

>>Ich habs mit dem Reden schwer zur Zeit... Die richtigen Worte finden und der ganze Mist.. Nimm es nicht persönlich, ja?<<

>>Sahra... du weißt, dass Alex nicht weg ist, oder?<<, ich sah nicht zu ihm, er sah mich nicht an, als er das sagte. Zumindest fühlte ich es, dass er mich dabei nicht ansah.

>>Wieso besuchst du ihn nicht?<<

Nun konnte ich mich vergewissern, dass er mich beim Reden nicht ansah, da ich nun zu ihm blickte, als ich versuchte, nach einer geeigneten Antwort zu suchen,

>>wie kommst du darauf, dass ich ihn nicht besuche?<<, meine Stimme zitterte und sie klang verunsichert.

>>Denkst du, indem du jeden Tag läufst, wirst du alles vergessen können? Du wirst dich damit endlich abfinden können, wenn du es auch endlich wahrnimmst, Sahra! Wieso kannst du das nicht?<<, Lenards Blick war scharf auf mich gerichtet, ein Blick, mit dem er zeigen wollte, wie ernst er es meinte. Doch ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich überlegte lange, es schien mir zu lang, bis ich endlich etwas sagte,

>>ich will doch gar nichts vergessen Lenard! Gott nein, soweit soll es gar nicht erst kommen! Dafür bedeutet er mir einfach zu viel! Meine Familie ist mein Alles und es tut nur einfach so furchtbar weh zu wissen, dass nun beide weg sind!<<, ich weinte.

>>Wieso redest du dir immer wieder ein, dass er weg ist? Noch ist nichts geschehen und er wird weiterleben, er wird noch so vieles erleben Sahra, aber dazu braucht er dich! Er braucht dich, du musst ihm Kraft schenken, damit er all das hinter sich lassen kann. Aber wie soll er das schaffen, wenn du nicht bereit dazu bist!?<<

Ich sah Lenard lange an, bevor meine Lippen sich zu einem leichten Lächeln krümmten,

>>seit wann kannst du so poetisch und weise sein?<<

>>Ich bin auch nur ein Mensch mit Gefühlen – so wie du und alle anderen<<, schmunzelte er.

Lange hatte ich überlegt. Ich hatte überlegt, als ich unter der Dusche das heiße Wasser auf mich fallen lies und hatte nicht damit aufgehört, bis ich schließlich in meinem Bett lag und den Mond betrachtete. Bis ich endlich am nächsten Morgen damit aufhörte und mich auf den Tag vorbereitete.

Ich hatte mich verändert. Ich stand nun nicht mehr wie früher stundenlang vor dem Kleiderschrank, sondern griff einfach nach irgendeinem Stück Stoff aus meiner Sammlung und zog es mir über den Kopf. Außerdem machte ich mir auch nicht mehr viele Gedanken darüber, wie ich heute meinen Tag bewältigen würde. Ich tat es einfach und lies es auf mich zukommen. Manchmal sogar bemerkte ich selbst, wie depressiv ich war, sodass ich aus Angst mich zu einem Lächeln zwang. Viele komische Blicke auf der Straße hatte ich dadurch erreicht, nicht mehr. Doch ab heute würde sich alles ändern. Oder sagen wir lieber vieles, oder verbessern wir es doch zu einiges.

DREI

Erste Schritte

3 Ein blondes Mädchen pritschte mir den Ball zu, ich lief hin, wollte den Ball treffen, als ich von der Seite auf den Boden geschmissen wurde. Ein anderes Mädchen schien auch den Ball treffen zu wollen. Doch sie lachte dreckig, als sie mich auf dem Boden liegen sah. Eine unbeschreibliche Wut stieg in mir hoch, ich ballte meine Hände zu Fäusten, richtete mich energisch auf und wollte auf sie zugehen, als ich von hinten zurückgehalten wurde. Das Mädchen zuckte leicht zurück, ihr dreckiges Grinsen klebte noch auf ihrem Gesicht. Ich sah den Lehrer auf uns zukommen und versuchte mich wieder zu beruhigen, schwieg und sagte nichts. Es war Kathy, die mich zurückgehalten hatte.

>>Lass es gut sein, komm schon, lass uns gehen<<, sagte sie sanft und ich hörte auf sie. Den Lehrer und die Masse, die sich um uns angesammelt hatte, ignorierte ich und ging mit Kathy zu den Umkleiden. Ich hatte mir etwas versprochen, ich würde mich und mein Leben ändern. Dies sollte der erste Schritt werden und ich war stolz auf mich, meinem Plan noch zu folgen. Umgezogen und das Schulhaus verlassend hatten wir auch diese Schulwoche erfolgreich bestehen können. Wie üblich verabschiedete ich mich von Kathy an der Kreuzung, doch anstatt diesmal nach Hause zu flitzen, entschied ich mich für den anderen Weg, der mich zu Summer führte.

Das Krankenhaus war zu meinem zweiten Zuhause geworden, soviel ich hier in meiner Vergangenheit Zeit verbracht hatte. Besonders letztes Jahr, als all diese verrückten Dinge angefangen hatten zu passieren. Ich hatte mich neu kennengelernt. Aber auch als kleines Kind hatte ich viel Zeit hier im Haus verbracht und es hatte sich nur minimal etwas geändert. Neuere Technik, neuerer Komfort, aber die Leute blieben dieselben. Wenn ich krank war und nicht in die Schule gehen konnte, oder als ich noch nicht im Kindergarten war, nahm mich Summer mit zur Arbeit. Ich alberte mit Patienten, ich lief durch das Hospital, besuchte das Kinderparadies hielt mich im Aufenthaltszimmer auf, wo ich auf der Couch lag und Fernsehen guckte. Und was sich eines tatsächlich seit dem nicht geändert hatte, war es, dass wenn ich mit meinem Board durch die weiten Gänge donnerte, geschimpft wurde. Und trotzdem tat ich es. Nur heute hörte ich statt einem Tadel Summer erstaunt meinen Namen rufen.

>>Was machst du hier? Ist was los?<<, fragte sie mich besorgt, als ich am Tresen ankam, an dem sie gerade dabei war, in eine Krankenakte etwas reinzuschreiben.

>>Hey Mom!<<, begrüßte ich sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange,

>>ich bin hier um Alex zu besuchen!<<.

Summer führte mich zu Alex. Sie öffnete die Tür und lies mich rein. Das Zimmer war klein. Neben dem Bett, in dem Alex lag, stand eine Couch, wo ich mich vorsichtig hinsetzte. Ich hatte ihn seit dem Unfall nicht mehr gesehen. Noch immer lag er so da. Blass, erschöpft, aber irgendwie am Leben. Es dauerte eine Weile, bis ich mich zusammenreißen konnte und mich neben ihn an das Bett stellte. Ich betrachtete sein Gesicht, kein Nerv zuckte. Er lag in einem tiefen Schlaf. Ob er mich hören konnte? Ob er spürte, dass ich hier war? Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine. Sie war warm, wärmer als meine. Ich spürte die Wärme meines Bruders, meines Helden. Mir lief die erste Träne über die Wange,

>>ich bin gekommen. Ich bin tatsächlich hier, ich fasse es selbst nicht. Es tut mir Leid, dass ich so lange weg war. Alles läuft irgendwie gar nicht so, wie es laufen soll. Alle würden meinen, ich hätte dich aufgegeben, das habe ich aber nicht. Ich habe versucht, mich an ein Leben ohne dich zu gewöhnen. Es funktioniert aber nicht, es fehlt eben etwas. Ich würde dich niemals aufgeben, aber - <<, ich hielt kurz inne und wischte mir die Wangen trocken. Ich setzte an,

>>Aber man sagt, es müsste ein Wunder geschehen, dass du wieder aufwachst. Ich habe so Angst, Alex<<.

Ich legte meine Hand auf seine Brust, genau auf sein Herz,

>>ich spüre dein Herz, er schlägt. Er pumpt Blut durch deine Adern und hält dich am Leben. Und trotzdem bist du nicht hier. Die gottverdammten Geräte helfen dir am Leben zu bleiben und das ist, was mir so Angst macht! Obwohl du hier bist, bist du einfach nicht hier! Ich habe mir vorgenommen mich zu ändern. Ich werde mich an das Wunder festhalten, und ich werde da sein, denn ich glaube an dich! Ich wünschte nur, du würdest mich auch hören. Ich wünschte ich könnte mit dir reden<<

Langsam strich ich nun Alex über das Gesicht, dann über seine Haare,

>>Ich vermisse dich großer Bruder!<<.

Genau sicher bin ich mir nicht, ob ich durch Lenard überzeugt wurde, oder ob ich es wirklich selbst war, aber ich fühlte mich so gut. Bei meinem Bruder zu sein hatte mich mit Glück erfüllt. Ich entschied mich, die Nacht hier zu übernachten. Summer brachte mir eine warme Decke und ein Kissen, am nächsten Morgen würde sie mir frische Kleidung mitbringen. Ich legte mich auf die Couch und schloss meine Augen. Es war kurz nach zehn Uhr abends, das gleichmäßige Piepen der Geräte raubte mir den Verstand. Aber es versicherte mir, dass Alex am Leben war.

Ein Traum überraschte meinen unruhigen Schlaf. Ich stand mitten im Wald, umgeben von hohen Bäumen. Stille. Ich kniff meine Augen zusammen, ich hätte schwören können, dass ich weit in der Ferne jemanden sah. Weder kam er näher, noch bewegte er sich. Vielleicht war es auch nur der Schatten eines Baumes, vielleicht auch nur ein Tier. Vielleicht irrte ich mich auch in der Dunkelheit etwas zu erblicken. Auf meine Konzentration auf das Etwas hörte ich nun ein Flüstern. Ganz leise, bis es deutlicher wurde. Etwas flüsterte mir >>Kannst du mich sehen?<< ins Ohr, doch ich konnte es nicht. Wieder flüsterte es mir ins Ohr und ich schoss aus meinem Schlaf. Schweißgebadet kam mir allein nur ein Name in den Sinn, Admynn.

Ich blickte um mich, sah ihn aber nicht. Ich rief ein paar Mal seinen Namen, er erschien mir nicht. Admynn hatte ich zuletzt im Sommer gesehen. Nach dem Unfall, als ich versuchte mich zu kurieren, erschien er mir ab und an mal. Das letzte mal, als Admynn und ich einen Fall lösten, war ich gerade dabei einen Aufsatz zu schreiben. Ich saß auf der Bank und wir schenkten zwei kleinen Kindern ihre Freiheit wieder zurück. Nun, um ehrlich zu sein, ging ich auch nicht wirklich auf ihn ein. Auf nichts. Weder auf meine Gabe, noch auf die Kreaturen oder meine Träume. Ich wollte nichts mehr mit all dem zu tun haben, ich wollte mein altes Leben wieder zurück. Das war mein Wunsch gewesen. Und umso mehr ich mich nicht mehr konzentrierte, desto mehr kehrte ich in mein altes Leben zurück. Bis ich schließlich nichts mehr unter Kontrolle hatte. Bis ich schließlich wieder normal war. Und dass jetzt Admynn in meinem Traum aufgetaucht sein könnte, erstaunte mich.

Ich rieb mir die Augen und schaute auf die Uhr, die mir verriet, dass es kurz nach vier Uhr morgens war. Alex schlief noch immer, seine Geräte noch immer im selben rhythmischen Ton. Ich streckte mich und dachte nach. Seit dem Unfall hatte ich nicht geträumt. Weder Visionen noch normale Träume oder Albträume, nichts. Und jetzt, nachdem ich Alex besucht hatte, hatte ich geträumt. Auch wenn der Traum nicht wirklich schön war, sondern eher Gänsehaut erregend, dennoch war ich froh. Aber was hatte es zu bedeuten? Hatte es was zu bedeuten? Ich hatte jemanden flüstern gehört. Ich hatte ihn an meinem Ohr gespürt. Es musste etwas zu bedeuten haben. Es war noch viel zu früh und außerdem brannten meine Augen vor Müdigkeit, so schloss ich meine Augen wieder und schlief ein.

>>Guten Morgen, Sahra!<<, weckte mich Summer und strich mir dabei sanft über den Rücken, >>wach auf, lass uns frühstücken. Ich habe dir frische Kleidung mitgebracht<<. Ich räkelte mich auf der Couch und kuschelte mich tiefer in die Decke ein. Es war so furchtbar kalt, meine Hände froren. Mir fiel es sichtlich schwer, aber ich riss mich zusammen und stand auf.

>>Es macht mich so glücklich dich essen zu sehen, Sahra<<, sagte meine Mom, >>nicht das beste Frühstück vielleicht, aber es macht satt!<<, fügte sie noch hinzu und biss kräftig in ihr mit Butter bestrichenes Brot. Joseph und Maddie waren auch gekommen, wir saßen gemeinsam am Tisch in der Cafeteria des Hospitals.

>>Du hast dich überwunden, das macht mich so stolz<<, sagte Joseph, als er sein Brot mit Marmelade beschmierte.

>>Ich habe mir vorgenommen, nicht mehr depressiv zu sein. Mir ist aufgefallen, dass es sinnlos ist. Die Hoffnung stirbt zuletzt<<. Während Maddie ihr Nutellabrot mampfte, erzählte sie noch mit vollem Mund ganz begeistert von der Schule. Sie erzählte von ihrer Lehrerin, von dem Unterricht und von ihren Freunden, die sie gewonnen hatte. Nachdem Maddie kurz ihren großen Bruder besuchen durfte und über sein Bett ein von ihr selbst gemaltes Bild aufhing, ging sie mit Dad wieder nach Hause. Im Laufe des Vormittages, als es soweit war, durfte ich bei Alex' Gymnastikübungen zusehen. Sie dienten dazu, dass seine Muskeln aufgelockert wurden und dass sein Blutkreislauf ungestört blieb. Seine Arme und Beine wurden gedehnt und gestreckt, anschließend leicht massiert. Eine anspruchsvolle Arbeit für die Pfleger. Ihre Durchhaltevermögen und ihre Geduld faszinierte mich. Das mittlerweile zur Sucht gewordene Verlangen joggen zu gehen besiegte mein Durchhaltevermögen. Ich rannte wieder am Strand entlang, bis mir die Lungen brannten, nahm zu Hause ein herrliches Bad, zog mich anschließend an und als ich gerade aus der Türe wieder verschwinden wollte, hielt mich Jopseh auf.

>>Warst du wieder laufen?<<, fragte er mich. Ich nickte.

>>Sahra, Sport ist wirklich gut, und du weißt, ich lege besonders Wert darauf, fit zu sein – aber das ist nicht mehr gut für dich und deinen Körper. Du machst dich kaputt. Du musst aufhören, Sahra<<, Joseph hörte sich so besorgt an, er klang gar nicht böse, seine Stimme war traurig und sanft. Eher zerbrechlich.

>>Such dir etwas anderes, womit du dich ablenken kannst! Male, zeichne, lies Bücher – ich weiß es nicht, aber mach dich nicht mehr so kaputt, ok?<<

Ich lächelte ihn an und gab ihm mein Wort, ich würde aufhören zu laufen. Joseph lächelte zurück und meinte,

>>du wirst nicht aufhören, oder?<<

>>Doch! Klar!<<, es war mein Ernst

>>Gut, ich glaube dir! - Gehst du ins Krankenhaus?<<

Ich nickte. Ab jetzt würde ich mehr Zeit bei Alex verbringen, das war auf jeden Fall sicher.

Ich traf Lenard an, als ich Alex' Zimmer betrat. Er schien überaus überrascht mich hier anzutreffen, als er es kaum fassen konnte und ihm der Mund offen blieb. Er kam Alex regelmäßig besuchen, erzählte mir Summer, in der Hoffnung, sie würde mich aufrütteln können und mir zeigen, dass sogar sein bester Kumpel ihn besuchen kam. Nun hatte ich mich überwinden können. Ich tat das Richtige. Nur so konnte ich Alex Kraft schenken und er mir. Nur so hatten wir eine Chance.

>>Oh, tut mir Leid. Ich will nicht stören<<, wandte ich sofort ein und wollte gerade das Zimmer wieder verlassen, als Lenny mich aufhielt,

>>du störst doch nicht. Komm rein! Ich freue mich sogar, dich hier zu sehen!<<, sagte er und lächelte warm. Ich setzte mich auf die Couch, Lenard hatte auf dem Stuhl direkt neben Alex' Bett Platz genommen.

>>Ich bin oft hier. Ich komme her, bringe ihm frische Blumen und erzähle ihm, was so passiert ist. Jetzt habe ich bewiesen, dass ich ein Weichei bin, oder?<<, er grinste beschämt. Aber so empfand ich das gar nicht. Immerhin wäre das meine Aufgabe gewesen. Ich hätte ihm jeden Tag frische Blumen an sein Bett stellen müssen, ich hätte ihm jeden Tag etwas erzählen sollen. Ich hätte mich mehr um meinen Bruder kümmern sollen. Und stattdessen bin ich einfach davongerannt. Ich war das eigentliche Weichei.

>>Spinnst du, Len? Ich sollte mich sogar bedanken! - Danke! Ich hab gedacht, ich hätte mich selbst zusammengerissen und mich auf den richtigen Pfad gebracht, doch mir fällt ein, dass mich unser Gespräch zum Nachdenken gebracht hat. Das hätte ich niemals gedacht, dass du mich mal eines Tages zum Nachdenken bringen wirst<<, sagte ich und ich lachte über mich selber. Mann sagt, Dummheiten würden nicht weh tun, dabei sind es die Dummheiten, die einen ganz besonders tief treffen können. Dumm und unüberlegt. Stur. Blind. Und zornig. Furchtbar, wenn alles sich zu einem bindet und den Menschen zu jemanden ganz anderen macht. Aber das ist die Lektion des Lebens, durch sie lernt man dazu und wird immer ein Schritt mehr zum Besseren.

>>Ich werde heute die Nacht hier bleiben, und morgen vielleicht auch<<

>>Wie kommt's?... <<, fragte mich Lenny vorsichtig. Ich überlegte kurz,

>>Ich glaube einfach, es wird mir gut tun<<.

Wie auch die Nacht zuvor legte ich mich auf die Couch und kuschelte mich in die Decke. Ich schloss meine Augen und kämpfte mit meinem Gehirn, in einen tiefen Schlaf zu fallen.

Ich stand inmitten des Waldes und lauschte den Blättern, die vom leichten Wind in Bewegung gesetzt wurden. Die Gestalt, die ich zuvor in meinem Traum gesehen hatte, näherte sich mir. Nun war ich mir sicher, ich hatte mich nicht geirrt. Immer mehr nahm er Gestalt an, bis ein dunkler Schatten vor mir stand. Ich konnte nicht erkennen, wer es war, nur wusste ich, dass es nicht Admynn war. Ich wartete ab, bewegte mich nicht und sagte nichts.

>>Ich habe dich auch vermisst Rainbow<<, flüsterte mir eine bekannte Stimme ans Ohr. So bekannt, ich hätte schwören können, die Stimme hätte Alex gehört. Ich sprang schweißgebadet aus meinem Schlaf und blickte verwirrt um mich. Die Uhr zeigte wieder kurz nach vier Uhr morgens, Alex schlief tief und fest. Ich riss die Decke von mir weg und stellte mich energisch auf. Wie hätte er mir ins Ohr flüstern können? Er schläft doch noch?, dachte ich mir. Einfach zu verrückt. Ein ganz normaler, üblicher Traum. Mein Unterbewusstsein vermittelt mir, wie sehr ich meinen Bruder vermisse. Es spielt mir einen Streich. Ich legte mich zurück auf die Couch und zog mir die Decke bis zum Hals hoch, versuchte meinen unterkühlten Körper wieder aufzuwärmen. Die Zimmer sollten unbedingt besser geheizt werden, das wäre das Erste, was ich Summer morgen Bescheid geben würde. Am nächsten Morgen wurde ich mit einem Kuss auf die Wange geweckt. Ich blinzelte und rieb mir die Augen. Ein stechender Schmerz zog durch sie, wegen des grellen Lichts.

>>Hab gehört, du bist hier! Steh auf, ich hab leckere Pancakes mitgebracht<<, sie hob die Papiertüte hoch, aus der ein herrlicher Duft kam, und hielt sie mir vor die Nase.

Zu gerne hätte ich mit jemandem über meinen Traum gesprochen. Zu gerne hätte ich von jemandem Rat geholt. Sonst war es immer Alex gewesen, an den ich mich gewandt hatte. Kathy hätte ich nichts erzählen können. Womöglich hätte sie mich gar nicht verstanden. Wir saßen draußen, vor dem Hospital, auf einer der leeren Bänke und frühstückten gemeinsam.

Ich hatte mich wie üblich an Kathys Arm festgegriffen, während ich auf meinem Skateboard stehend von ihr mitgezogen wurde.

>>Du könntest doch mal wieder surfen gehen... <<, schlug mir Kathy plötzlich vor, ihr Blick war auf das Meer gerichtet, >>ich wünschte, ich könnte das... <<, schwärmte sie schließlich

>>Ohne Alex macht es keinen Sinn zu surfen, er ist einfach der Begabtere. Ich mein, so gut kann ich das gar nicht. Wir haben dir oft genug vorgeschlagen es dir beizubringen<<

>>Nee, das ist einfach keine Sportart für mich. Sport an sich ist nichts für mich. Ich bin nicht talentiert dafür. Aber ihr seid einfach faszinierend, du und Alex<<

>>Soweit ich mich erinnere, hat alles mit einem Skateboard zu meinem sechsten Geburtstag angefangen. Als ich zehn war, kam Alex auf die verrückte Idee Surfen lernen zu wollen. Er wollte Profi-Surfer werden... <<, als ich mich daran erinnerte, musste ich lachen. Jetzt würde er niemals ein professioneller Surfer werden wollen, es ist eher ein Hobby, >>und nach dem Surfen kam das Snowboarden<<.

Einfach verrückt, als ich an früher dachte. Als wir noch klein waren, Alex und ich, damals waren wir nicht so innig friedlich, wie wir es jetzt sind. Wir haben uns oft gestritten und geschlagen. Ein Katz und Maus Spiel. Je älter wir wurden, umso reifer wurden wir und umso größer wurden unsere Sorgen. Umso mehr teilten wir Geheimnisse und vertrauten uns einander.

>>Außerdem werde ich mit Sport aufhören, naja, ich werde es langsamer angehen. Mein Dad sorgt sich schon um meine Gesundheit<<

>>Joseph ist nicht der Einzige, Sahra. Und er hat vollkommen Recht<<.

Summer hatte sich mit einer Schüssel Cornflakes auf der Couch gemütlich gemacht und schaute sich eine von diesen Talkshows im Fernsehen an. Maddie lag auf einer warmen Decke vor der Terrassentür auf dem Boden und malte in ihr Malbuch. Es war kurz nach Mittag, als ich zu Hause ankam. Ich warf Summer nur ein kurzes >>bin