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Die Entscheidungsschlacht zwischen den Heeren des Lichts und der Finsternis wurde abgebrochen. Der Lichtbote griff ein und verhinderte den Sieg der Dunkelmächte, indem er durch sein Erscheinen Vangor ins absolute Chaos stürzte und die Kräfte beider Seiten zersplitterte. Viele starben bei den Katastrophen, die das Gesicht der Welt veränderten. Doch Mythor, der Sohn des Kometen, rettet sich hinüber in den Morgen einer neuen Zeit. Mythor hat einen Auftrag zu erfüllen. Denn bevor der Lichtbote Vangor verließ und zu anderen Welten weiterzog, forderte er den Sohn des Kometen auf, Ordnung in das herrschende Chaos zu bringen, Inseln des Lichts zu gründen und den Kampf gegen das Böse wiederaufzunehmen. Aber als Mythor in der veränderten Welt erwacht, ist er seiner Erinnerung beraubt. An der Seite der jungen Ilfa, die ihn aus der Gefangenschaft einer Hexe befreite, findet sich unser Held unversehens in einen Strudel gefahrvoller Abenteuer hineingezogen. Im Bestreben, seine Erinnerung zurückzugewinnen, schlägt Mythor den Weg eines Lichtkämpfers ein. Nach der Begegnung mit Kalaun und der Beseitigung der Zone des Schreckens zieht Mythor mit seiner Gefährtin Ilfa weiter. Sein nächstes Ziel ist DRACHENLAND ...
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Nr. 150
Drachenland
von Paul Wolf
Die Entscheidungsschlacht zwischen den Heeren des Lichts und der Finsternis wurde abgebrochen. Der Lichtbote griff ein und verhinderte den Sieg der Dunkelmächte, indem er durch sein Erscheinen Vangor ins absolute Chaos stürzte und die Kräfte beider Seiten zersplitterte.
Viele starben bei den Katastrophen, die das Gesicht der Welt veränderten. Doch Mythor, der Sohn des Kometen, rettet sich hinüber in den Morgen einer neuen Zeit. Mythor hat einen Auftrag zu erfüllen. Denn bevor der Lichtbote Vangor verließ und zu anderen Welten weiterzog, forderte er den Sohn des Kometen auf, Ordnung in das herrschende Chaos zu bringen, Inseln des Lichts zu gründen und den Kampf gegen das Böse wiederaufzunehmen.
Aber als Mythor in der veränderten Welt erwacht, ist er seiner Erinnerung beraubt. An der Seite der jungen Ilfa, die ihn aus der Gefangenschaft einer Hexe befreite, findet sich unser Held unversehens in einen Strudel gefahrvoller Abenteuer hineingezogen.
Im Bestreben, seine Erinnerung zurückzugewinnen, schlägt Mythor den Weg eines Lichtkämpfers ein. Nach der Begegnung mit Kalaun und der Beseitigung der Zone des Schreckens zieht Mythor mit seiner Gefährtin Ilfa weiter. Sein nächstes Ziel ist DRACHENLAND ...
Mythor – Er folgt einem Traum.
Ilfa – Mythors Gefährtin.
Pleton – Ein Rymborier, der seine Heimat verlor.
Farida – Eine Hexe, die mit Menschen handelt.
Wergot – Ein Sklavenhändler.
Der Ketzer – Ein Wanderprediger.
Kogo
Es war ein seltsamer, beängstigender Traum. So fremd und doch so eindringlich, als sei er aus der Wirklichkeit gegriffen. Er erschreckte den Träumenden und machte ihn zugleich neugierig.
Und er schlich sich bereits zum zweiten Mal in seinen Schlaf.
Zuerst kam die Lichtflut.
Als sich die Helligkeit legte, kristallisierte sich allmählich ein unbeschreibliches Chaos heraus, ein Chaos, wie es nicht einmal in der Zone des Schreckens während Kalauns Regentschaft geherrscht hatte. Über das elementare Tosen erklang eine Stimme, und sie sprach:
»All die vielen Helden aus ALLUMEDDON werden wiedergeboren und ...«
Der Sprecher war nicht zu sehen; es war eine wesenlose Stimme, die von überall her zu kommen schien. Zudem war sie weder erhoben, noch schrie oder gellte sie, und dennoch war sie in dem Kreischen des Mahlstroms und dem Bersten und Krachen deutlich zu verstehen.
»... wie du ordnend in das Chaos eingreifen und eine neue, bessere Welt schaffen ...«
Und während der Unsichtbare noch zu ihm sprach, sah er einen mächtigen Schatten aus den wirbelnden Wolken auftauchen. Es blitzte und donnerte, hoch stieg die Gischt eines sturmgepeitschten Meeres.
»Du wirst Wegweiser finden. Achte auf Zeichen und Omen ...«
Der fliegende Schatten entpuppte sich als riesiges Tier mit ausgebreiteten Schwingen und einem langgestreckten Körper, der schlangengleich zuckte. Der gewaltige Vogel war so groß, dass der Mensch, der ihm im Nacken saß, so winzig wie ein Insekt anmutete.
»Meine Tiere, das Einhorn, der Schneefalke und der Bitterwolf werden dich führen ...«
Der Träumende war in diesem Moment noch unbeteiligter Zuschauer, der trotz dessen Winzigkeit alle Einzelheiten an dem Reiter des seltsamen Riesenvogels erkennen konnte. Er sah den roten Umhang im Wind wehen, erkannte darauf einen geflügelten Löwen, blickte in ein Gesicht, das seinem sehr ähnlich war ... Und dann schlüpfte er in den Körper des anderen und fand sich im Nacken des fliegenden Ungeheuers wieder.
Und die wesenlose Stimme meldete sich ein letztes Mal.
»Wo meine Tiere dir erscheinen, dort gründe eine Insel des Lichts. Dies soll dein erstes Werk am Morgen einer neuen Zeit sein.«
Damit hatte der Traum das erste Mal geendet.
Aber diesmal ging er weiter. Dem Träumenden wurde fast übel von dem wilden Ritt durch das Orgeln eines Orkans. Der Riesenvogel wollte ihn abwerfen, obwohl er seine menschliche Last kaum spüren konnte.
Mit wild schlagenden Schwingen stieg er hoch in die Lüfte, legte die Flügel an, ließ sich wie ein Stein in die Tiefe fallen und bremste den Sturz ruckartig ab. Der Drache brach nach links aus, dann wieder nach rechts, flog im Zickzack dahin – aber der Reiter hielt sich verbissen in seinem Nacken fest. Er wollte den Drachen bezwingen.
Tief unten brachen durch den Nebel die Spitzen eines löchrig wirkenden Gebirgszugs, als sich der Reiter, in dessen Haut der Träumende geschlüpft war, dazu entschloss, eine Entscheidung herbeizuführen.
Welcherart Entscheidung das war, erfuhr der Träumende jedoch nicht mehr. Denn an dieser Stelle endete der Traum.
*
Mythor tappte haltsuchend um sich.
Er war wie seekrank von dem wilden Ritt durch die Lüfte.
»Keine Bewegung, Bürschchen!«, drang eine gepresste Stimme zu ihm, die so ganz anders war wie die aus dem Traum. »Oder du spießt dich selbst auf.«
Mythor drehte sich langsam auf den Rücken herum und wollte sich auf die Arme stützen. Aber da drückte sich etwas Spitzes gegen seine Brust.
Er sah das lilienförmige Blatt einer Lanze, ließ seine Augen über den Schaft bis zu den knorrigen, behaarten Händen wandern. Als er die Augen hob, sah er in ein verwittertes Gesicht mit einer scharfrückigen Nase und tief in den Höhlen liegenden Augen. Die untere Gesichtshälfte war hinter einem verwilderten Bart versteckt.
»Wer bist du?«, fragte Mythor, noch völlig im Bann des Traumes. Er wusste, dass dieser wiederkehrende Traum ihm etwas Wichtiges zu sagen hatte, und darum achtete er die Gefahr nicht, in der er sich offenbar befand.
»Still!«, sagte der Fremde, und der Bart in der Umgebung seines Mundes geriet in Bewegung. »Die Fragen stelle ich. Wie heißt du?«
»Mythor.«
»Woher kommst du?«
»Aus der Zone des Schreckens ...«
»Die gibt es nicht mehr«, fiel ihm der Fremde ins Wort; er bekam einen seltsamen Blick. »Es ist wie ein Wunder, an das keiner mehr geglaubt hat. Aber das von Kalaun entfachte Chaos hat sich aufgelöst. Jetzt werden wir endlich den Weg nach Hause finden ... Woher stammst du? Wohin willst du?«
»Ich folge dem Lauf der Aegyser – oder wohin mich die drei Tiere führen«, antwortete Mythor wahrheitsgetreu.
Er hatte wieder völlig in die Gegenwart zurückgefunden, und er fürchtete den Fremden dennoch nicht. Mit einem Seitenblick hatte er festgestellt, dass Ilfas Lager zu einem Bündel geschnürt war. Von ihr selbst war nichts zu sehen, auch ihre Waffen fehlten. Vermutlich jagte sie irgendwo mit Pfeil und Bogen.
»Von welchen Tieren sprichst du?«, fragte der Fremde misstrauisch.
»Von einem schwarzen Einhorn.« Mythor machte eine Pause und hörte den Fremden heftig die Luft ausstoßen. »Von einem großen Wolf und von einem weißen Falken.«
»Den Falken habe ich gestern beobachtet«, sagte der Fremde. »Ich bin ihm den ganzen Tag über gefolgt. Er ist immer entlang des Flusses geflogen.«
»Die Tiere weisen mir den Weg«, behauptete Mythor; die Situation begann ihn zu erheitern.
»Dann willst du nach Rymborien?«, sagte der Fremde. »Aber du stammst nicht aus diesem Land. Es ist meine Heimat, ich erkenne einen Rymborier auf einen Blick.«
»Dann haben wir denselben Weg«, meinte Mythor. »Wir könnten uns zusammentun.«
»Rühr dich nicht!«, warnte der Fremde, als Mythor sein Gewicht verlagern wollte, und zuckte drohend mit der Lanze. Durch diese heftige Bewegung entstand ein klirrendes Geräusch wie von Metall auf Metall.
Mythor entdeckte nun, dass der Rymborier unter seinem weiten, zerschlissenen und verfilzten Umhang eine Reihe von metallenen Gehängen trug. Offenbar handelte es sich um Fetische, die ihn vor magischem Einfluss schützen sollten. Auf dem Kopf trug er einen spitzen Lederhelm mit einem über die Schultern herabfallenden Nackenschutz, der mit Eisenplättchen verstärkt war. Alles in allem machte er einen so wunderlichen Eindruck wie die Schrate aus Hinterwald, nur hatte er die Größe eines normalgewachsenen Mannes.
Der Rymborier setzte zum Sprechen an. Er sagte:
»Du siehst mir wie einer aus, der ...«
Weiter kam er nicht. Plötzlich bohrte sich neben seinem linken Fuß ein gefiederter Pfeil in den Boden. Als er in diese Richtung herumwirbelte, ergriff Mythor den Schaft seiner Lanze. Er wollte sie ihm entreißen, aber als der Rymborier nicht losließ, hob er ihn damit hoch und stieß ihn gegen den nächsten Baumstamm. Der Rymborier gab einen rauen Schmerzensschrei von sich. Aber er sammelte sich rasch und wollte auf die Beine springen, um einen neuerlichen Angriff abzuwehren. Da tauchte Ilfa mit gespanntem Bogen vor ihm auf, die Pfeilspitze wies auf sein Herz.
»Ihr habt mich in eine Falle gelockt«, sagte der Rymborier entgeistert. Er blickte an Ilfa vorbei, und seine Augen weiteten sich noch mehr, dabei fuhr er fort: »Ihr könnt mir alles nehmen, was ich am Leibe trage, aber lasst mir das Leben. Ich möchte noch einmal meine Heimat sehen.«
Mythor folgte seinem Blick und sah durch die Büsche das schwarze Einhorn auf die Lichtung traben.
»Bei allen Lichtgöttern!«, entfuhr es dem Fremden.
»Du hast nichts von uns zu befürchten«, beruhigte ihn Mythor und gab Ilfa einen Wink, die Waffe zu senken. »Wir könnten einen wegkundigen Begleiter brauchen. Aber erzähle uns erst einmal etwas über dich.«
*
Je lichter der Tag wurde, desto leiser schien das Rauschen des nahen Flusses zu werden. Die Stimmen des Waldes erfüllten die Luft und vermischten sich zu einer gleichförmigen Musik, die man bald nur noch wie nebenbei wahrnahm.
Pleton, so hieß der Rymborier, lauschte diesen Geräuschen, und seine Augen bekamen einen eigenen Glanz.
»Es ist fast wieder so wie früher – vor dem Weltuntergang, und bevor Kalaun seine Zone des Schreckens schuf«, sagte er. »Vielleicht wird es wieder so wie einst. Wenn die Welt nicht mehr bebt, der Himmel wieder blau wird, die Nebel sich lichten und es kein Feuer mehr regnet, wenn die Werte nicht mehr verkehrt sind und alles wieder ins Lot kommt, dann könnte das ein neuer Anfang sein, der Morgen einer neuen Zeit. Ich glaube, wir dürfen wieder hoffen.«
Hoch über ihnen war ein Kreischen zu hören. Mythor hob den Kopf und erblickte den großen weißen Falken. Er hatte das Gefühl, dass er sie zum Aufbruch gemahnte.
»Wir haben lange genug gerastet«, sagte Ilfa. Sie hatte im Morgengrauen, während Mythor noch schlief, ein zwei Fuß langes Pelztier erlegt und es kunstgerecht aus der Decke geschlagen. Nachdem sie es auch ausgeweidet hatte, wickelte sie es wieder in das blutige Fell ein und reinigte ihr Messer. Sie wollten das Tier am Abend über dem Lagerfeuer braten.
»Es wird Zeit«, sagte auch Mythor.
»Wollt ihr nicht wissen, wie es mir erging?«, sagte Pleton. »Zum ersten Mal seit ... ich weiß nicht wie lange ... habe ich das Bedürfnis, mich anderen mitzuteilen, und keiner will mich anhören.«
»Du kannst uns alles während des Marsches erzählen«, sagte Mythor, schnürte sein Bündel und schulterte es sich mitsamt dem Beutetier. Er fühlte sich dabei beobachtet, und als er die Büsche mit den Blicken absuchte, entdeckte er den hechelnden Wolf. Mythor fragte sich, ob der Wolf erwartete, dass sie ihm das Beutetier überließen, als Opfergabe an jenen, der ihn zu Mythor geschickt hatte. Aber davon wollte Mythor nichts wissen.
»Wie hast du diesen riesigen Wolf gezähmt?«, erkundigte sich Pleton ehrfurchtsvoll. »Ich habe noch nie einen stattlicheren gesehen.«
»Um der Wahrheit die Ehre zu geben, er weicht mir aus«, sagte Mythor mit leichter Verbitterung. »Manchmal frage ich mich, ob er mich nicht am liebsten reißen würde. Gehen wir.«
Sie brachen auf.
Die Aegyser bahnte sich in dieser Stelle ihren Weg durch eine enge Schlucht aus Felsgestein. In der Luft hing ein Vorhang aus feinsten Wassertröpfchen, die angenehm auf der Haut prickelten. Stromschnellen und Wasserfälle lösten einander ab, das Tosen der weiß schäumenden Wassermassen wurde so laut, dass sie ihr eigenes Wort nicht verstanden.
Ilfa deutete hinunter und machte eine spöttische Bemerkung, die Mythor nicht verstand. Aber er wusste auch so, worauf sie anspielte. Tags zuvor hatte er den Vorschlag gemacht, ein Floß zu bauen, um auf dem Wasserweg rascher vorwärts zu kommen. Dann wäre spätestens hier Endstation für sie gewesen, und zwar für immer. Mythor nahm sich vor, von nun an nur jenen Weg zu gehen, den auch die Tiere benutzten, die ihm den Weg weisen sollten.
Der Traum!
Er war sicher, dass er irgendetwas mit seiner Vergangenheit zu tun hatte, an die er sich nicht erinnern konnte. Hatte er den Flug auf diesem gewaltigen Vogel wirklich erlebt? Auf diesem Riesenvogel, von dem er plötzlich wusste, dass es ein Drache war, ohne dass es ihm jemand gesagt hatte. Der Traum hatte ihm dies eingegeben, das war klar, und vielleicht würde er wieder träumen und noch mehr über sich erfahren.
Und die körperlose Stimme hatte die drei Tiere beim Namen genannt: Einhorn, Bitterwolf und Schneefalke. Sollten sie ihn nach Rymborien führen, auf dass er dort eine Insel des Lichts gründe?
Die Aegyser wurde wieder breiter und war nun längst nicht mehr so reißend, bald floss der Fluss fast träge entlang der lichten Ufer dahin. Ein großes, grüngeschupptes Tier, das sich im Uferschlamm suhlte, floh bei ihrem Anblick.
»Ist das hier bereits Rymborien?«, erkundigte sich Mythor bei Pleton.
»Dies hier war immer schon Niemandsland«, antwortete der Rymborier. »Der Einfluss der Aegyr reichte bis hierher. Sie verstanden es, Ehrfurcht und Angst zu verbreiten, ohne selbst in Erscheinung zu treten, so dass kaum einer es wagte, an ihrer Legende zu kratzen.«
»Und du warst eine der Ausnahmen?«, fragte Mythor.
Pleton nickte. Und dann erzählte er.
Er war – schon vor ALLUMEDDON, noch ehe der Lichtbote die Welt in seinen gleißenden Schein hüllte – mit einer Handvoll anderer Abenteurer ins Aegyr-Land vorgedrungen. Er konnte nicht genau sagen, was er hier eigentlich wollte, ob es ihm darum ging, die Götter herauszufordern, ihnen seine Dienste anzubieten oder sie einfach zu bestehlen. Es war wohl von allem etwas, und Neugierde und Forscherdrang waren wohl auch dabei. Und die Abenteurer träumten von Reichtum und von Heldentaten.
Sie drangen so tief ins Aegyr-Land vor, wie kein anderer vor ihnen – wie keiner, der auch wieder zurückgekehrt wäre. Aber dann kam die Lichtflut und damit der Untergang der Welt – und das Aegyr-Land wurde zu einer Zone des Schreckens.
»Ich überlebte die Katastrophe als einziger, und ich fand mich in einem Albtraum wieder«, sagte Pleton. »Solange ich in diesem Chaos gefangen war, habe ich versucht, einen Ausweg zu finden und nach Rymborien zurückzukehren. Aber es gelang mir nicht, ich bin immer im Kreis gelaufen, bis mir klar war, dass es keinen Weg aus der Zone des Schreckens gab. Dennoch habe ich weiter danach gesucht.«
Er lachte abfällig.
»Ich erlangte einen guten Ruf als Grenzgänger, weil ich die Vorstöße in die Randzonen stets überlebte. Immer mehr Verirrte vertrauten sich mir an, in der Hoffnung, dass ich sie aus dem Chaos führen könne. Und je öfter ich allein zurückkam, desto legendärer wurde mein Ruf. Alle glaubten sie mir, dass ich meine Begleiter hinaus aus dem Chaos gebracht hätte, und ich wagte es nicht, ihnen die Wahrheit zu sagen. Ich ließ mich weiterhin als Held feiern, mich fürstlich entlohnen und von Heimatsuchenden als Führer durch das Grenzland von Kalauns Irrgarten anheuern. Ich war von dem Gedanken besessen, dass es einen Ausgang geben und dass ich ihn finden müsse, und so führte ich Treck um Treck ins Verderben. Sie ertranken, erfroren, wurden zu Mangoreitern, zur leichten Beute für irgendwelche Untiere ... ich kenne ihre Schicksale nicht. Ich wurde auf diese oder jene Weise von ihnen getrennt, kehrte stets allein zum Ausgangspunkt zurück ... Ich bin ein Ehrloser, Mythor.«
»Nicht, wenn du in gutem Glauben gehandelt hast«, sagte Mythor. »Du hast an deine Sache geglaubt und wolltest anderen helfen, Kalauns Schreckensherrschaft zu entkommen. Das kannst du dir zugute halten, oder?«
Pleton machte eine wegwerfende Handbewegung, er sagte nichts.
»Wie lange ist das alles her?«, fragte Mythor. »Ich meine, wie viel Zeit ist seit ALLUMEDDON vergangen? Ich weiß es nicht, denn ich war ein Gefangener der Yorne. Und Ilfa wurde aus der Schattenzone nach hier verschlagen.«
Pleton senkte die Stimme zu einem vertraulichen Flüstern und fragte: »Ist das wirklich ein Mädchen? Sie hat so gar nichts an sich, was man an einem richtigen Weib schätzt.« Als er Mythors Blick gewahrte, wechselte er sofort das Thema. »Schon gut. Zeit! In Kalauns Chaoszone war das kein Begriff, den man handhaben konnte. Ich habe in einem Zeitraum, den ich für einen Mond hielt, soviel erlebt wie andere in ihrem ganzen Leben nicht. Und dann wiederum hatte ich das Gefühl, dass ich ein ganzes Menschenalter zum Nichtstun verdammt sei. Du hast dich im Aegyr-Land umgesehen. Manche der Ruinen scheinen viele Menschenalter unberührt gewesen zu sein, und doch kannst du sie tags zuvor als guterhaltene, bewohnbare Gebäude gesehen haben. Kalaun hatte das vollkommene Chaos geschaffen. Niemand, der darin gelebt hat, kann sagen, wie viel Zeit seit dem Untergang der Welt wirklich vergangen ist.«
Pleton zuckte die Achseln. Er hatte es vermutlich längst schon aufgegeben, darüber nachzudenken, wie viel Zeit außerhalb des Aegyr-Lands tatsächlich vergangen war. Es konnte aber auch ebenso gut sein, dass er diese Gedanken verdrängte, weil er Angst vor der Wahrheit hatte.
*