na:i:en - Jonathan Saunders - E-Book

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Jonathan Saunders

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Beschreibung

Die irdisch geborene Naien Patty Brian führt auf der verwunschenen Nora Isle in der Irischen See ein Leben zwischen Magie und Menschlichkeit. Die strahlende Aura der Albe hat ihr Gewand über die Insel geworfen: Außerhalb der Zeit dieser Erde herrschen dort Harmonie und Balance. Doch es wird Zeit für Taten. Die alten Albenpfade der Naien tun sich auf, und Patty sucht die Kraft in sich, die Energien zu bändigen, denen sie entstammt. Ihre treuen Gefährten, die schottischen Bergdohlen Sidhe und Daoine, sollen sie begleiten, wenn sie den Albenstern betritt. Denn der Stern kennt unsere Geschichte, das Bild unseres Lebens. Das Abenteuer beginnt. Doch wie so oft kommt alles zusammen, auch für die eingeschworene Schicksalsgemeinschaft der kleinen Insel. Wie fertigt man Lichtlanzen als Schutzschilde? Gelingt die Arretierung der gefährlichen portugiesischen Diebin Gouveia? Und was ist dran am Gerücht über die Existenz einer zweiten Naien auf Erden? *** Ein Fantasyroman, der einlädt zum „ganz großen Spiel dieses Weltenalls“.

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Seitenzahl: 591

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Inhalt

Impressum

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVII

XXXVIII

XXXIX

XL

XLI

XLII

XLIII

XLIV

XLV

XLVI

XLVII

XLVIII

Schluss

Danksagung

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2016 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-95840-110-5

ISBN e-book: 978-3-95840-111-2

Lektorat: Dr. Annette Debold

Umschlagfotos: Dmitriy Cherevko, Sergiy Lukutin, Sam Lee | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

XXXII

Wochen waren vergangen. Wochen, in denen Frangach in engem Kontakt mit Rionnag sich einerseits von den Entwicklungen der Naien in Schottland berichten ließ, andererseits das aussichtsreiche Unterfangen gegen Gouveia von London aus koordinierte, da die Dunedin wenigstens das entwendete Stammkapital von Brians Stiftung unter ihre uneingeschränkte Kontrolle bekommen und das Vermögen verwaltend anschließend tätig werden wollten. Southfield hatte die Gefolgschaft verlassen und kümmerte sich abrufbereit um die logistischen Belange für seineGeschwisterund die Albe. Den Dunedin auf BriansApfelinsel – wie Sidhe die Insel nannte, da der Samen eines Apfelbaumes als einziger Samen von allen Obstgehölzen unter den anderen war – brachte er die nötigen Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände für ihr tägliches Leben in der Wildnis. Dabei benötigten die Dunedin mehr als Brian, die über die Zeit hinweg durch Verzicht auffiel. Ein geräumiges Zelt als Unterkunft. Solarmodule und ein Generator für die Energiegewinnung sowie kleine Akkumulatoren zur Speicherung. Southfield brachte auch eine der steinernen Schalen für das Brot. Er kümmerte sich rührend um ausreichend Trockenobst und köstlichen Honig. Manchmal brachte er Kräuter oder exotische Nüsse, die ihn auf derApfelinselstets willkommen sein ließen. Hatte man ihn gefragt, wo er diese Delikatessen aufgetrieben haben wollte, ließ er sich im Einzelnen auf keine konkreten Antworten ein und erwiderte nur ein Augenzwinkern oder ein suggestivesIhr wisst schon. Southfield stellte all seinen Sinn mit Freude in den Dienst seiner von ihm wahrgenommenen Aufgabe.

Camshron bestand darauf, dass man die Insel, der man sich anvertraut hatte, erwerben müsse, damit man dauerhaft in Ruhe auf dem Eiland leben könne und gegebenenfalls dann erworbene Eigentumsrechte vor Vertreibung von der Insel schützen könnten. Er wollte gewährleisten, dass die Naien ihre Experimente der Selbstfindung in größtmöglicher Sicherheit vollziehen konnte. Ein Landtitel schien ihm in dieser Beziehung sicherer zu sein, als auf einer annektierten Insel zu leben und sich möglicherweise Streit mit einem Staat zu leisten, den man ohnehin verloren hätte. Die ersten, zaghaften Gehversuche eines Engels hielt er auf privatem Grund und Boden durch den eingeräumten Schutz der Privatsphäre per Grundgesetz für gestattet, während er die gleichen Schritte desselben Engels in einem öffentlichen Park für schwierig erachtete, dachte er an die allgemeine Ordnung.Das Betreten des Rasens ist untersagt. Bitte nicht berühren. Eltern haften für ihre Kinder …,und er kannte noch mehr feinfühlige Hinweise zur unproblematischen Bewegung in öffentlichen Räumen. Deshalb bestand er immer wieder darauf, dass die Insel käuflich erworben werden müsse. Die finanziellen Mittel dazu habe man durch das Vermögen der Brian.

Frangach stimmte ihm grundsätzlich zu, warb aber um etwas Geduld, weil sie zuerst die Gelder aus der ehemaligen Stiftung Brians zusammenführen wollte, bevor man sich Ausgaben leistete und Eigentum erwerben würde. Schließlich wisse man noch nicht, wie teuer das Verfahren gegen Gouveia werden könne, erklärte sie ihm.

Camshron blieb bei seiner Ansicht, dass man sich vorrangig um den Erwerb der Insel sorgen sollte, auf der die Ältesten mit der Naien lebten. Er wollte nicht riskieren, alssektierender Trampeines Tages von ordnungskräftigen Paragrafen und ihren menschlichen Sklaven eines Staates von der Apfelinsel komplimentiert werden zu können, da man auf dieser Insel bereits die Waldsamen durch die Vögel ausgesät hatte. Schon allein deshalb trug man bereits Verantwortung für den Boden und dessen sichere Bestellung.

In London verstand man sein Anliegen und wollte versuchen, was man mit Augenmaß in aller stiller Vorsicht vorbereiten und tun könne.

Brians Entwicklung als Naien setzte sich selbsttätig fort. Sie war schweigsamer denn jemals zuvor geworden. Und indem sich die sie begleitenden Ältesten an eine in fahlem, graublauem Lichtstaub schimmernde Gestalt gewöhnten, deren Glanz von dem Spinnengarn ihrer Wolfsjacke zuerst aufgefangen und dann stärker changierend widergespiegelt wurde, lernte eine als Mensch geborene Frau sich als Naien kennen und zu verstehen. Lernte die sinnvolle Leere aller Wesenheit einer Albe. Das Sprechen verlernte sie nicht. Doch sie sprach weniger – und falls sie sprach, so war sie in ihrer Rede zielsicherer geworden. Ihre übermäßige Freude an ihren Gefährten blieb, selbst falls diese sie oft weniger empfanden als die Naien. Und bei Brian war das Glücksempfinden sogar noch gewachsen, ohne dass es die anderen merkten. Ihr Glück fand einen inneren Weg in einem neuen Zentrum ihres Wesens, dem sie zunehmend vertrauender begegnete. Nur ihre Dohlen machten sich häufig auf die Reise in eine sich verändernde Brian, falls sie scheinbar Zeit schindend nur neben ihr saßen oder sich wie zufällig in ihrer ersehnten Nähe aufhielten. Die Dunedin hingegen meinten zuweilen ungeduldig, dass etwas geschehen müsse, damit man endlich irgendwie irgendwohin vorankäme, gleichwohl keiner der Ältesten hätte sagen können, wohin man wirklich kommen wollte und was erreicht werden sollte. Auch wussten sie nicht, was ein Naien auf Erden überhaupt erreichen konnte, da die Erde als Lebensraum für ihn nicht gedacht gewesen war. Die Seevögel beobachteten Brian nur dann und wann und kamen sich schließlich relativ nutzlos vor, schätzten aber die vielen Gespräche mit den Ältesten und mehr noch mit den Dohlen. Der Gedankenaustausch bescherte ihnen Einsichten über den irdischen Menschen auf seiner Erde, die sie so auf offener See niemals hätten erlangen können. Sie selbst hatten auf den Meeren auch nicht diese Nähe zu den auf den Erdschollen Lebenden.

In London hingegen war man sehr umtriebig und aktiv im Fall der Gouveia. Man wollte die ehemalige Bekannte der Brian fallen und stürzen sehen. Zusammen mit Hagerty, dem ehemaligen Finanzmakler Brians, wollte man die Holding der Gouveia durch sogenannteInsider-Geschäfte und durchaus strafrechtlich relevante, doch vertrauliche Absprachen mit befreundeten Kollegen des Maklers angreifen. Die ersten Versuche jedoch misslangen, da die Emissionen der Holding zu weit an den internationalen Handelsplätzen gestreut waren und das Kapital der Dunedin, das sie von Moore erhalten hatten, nicht ausreichte, um durch An- und Verkäufe das Gesamtkonstrukt des Finanzimperiums der Gouveia ins Wanken zu bringen. Der nächste Schritt, den man ersann, war der persönliche, körperliche Angriff gegen die Zielperson, was einige der Dunedin vom ersten Moment an ohnehin als einzige Lösung des Problems angesehen hatten, da sie die Macht der Märkte nicht einzuschätzen wussten. Folglich wussten sie auch nichts von den möglichen Chancen in absurd perfiden Taktiken der Geldflüsse.

Doch auch der grobe Akt gegen Gouveia erwies sich wahrhaft schwieriger, als man es sich gewünscht hätte. Schließlich wollten die Ältesten keine eigenen Verluste beklagen müssen. Daraufhin erstellte Frangach ein profilierendes Dossier der Betrügerin. Alle für die Operation abgestellten Dunedin waren angehalten, sämtliche Bewegungen der Portugiesin zu beobachten und zu dokumentieren, um etwaige Schwach- und Angriffspunkte gegen die Person herauszuarbeiten. Man stellte fest, das Gouveia in der Öffentlichkeit niemals trank. Sie ging nicht unbewacht von wenigstens mehreren Sicherheitskräften in Lokale, in denen sie dann nichts aß, sondern meistens in Begleitung von geschäftlichen Gästen diese speisen ließ, während sie sich vornehm mit einem Glas Wasser oder einem nicht alkoholischen Cocktail zurückhielt. Sie mied öffentliche Veranstaltungen. Sie wurde rund um die Uhr durch ihre Garden abgeschirmt. Sie scheute das publikumswirksame Licht auf ihre Person und schien nur in Dolgellau etwas freier zu sein. Sie reiste in einem firmeneigenen Jet und war entweder gut beraten oder aber als gebranntes Kind mit einem schlechten Gewissen versehen worden, das ihr instinktiv zu größter Vorsicht riet, um ihre Achillesferse nicht preiszugeben. Doch ein Laubblatt war auch ihr auf den kalkweißen Rücken gefallen.

Sutherland hatte eines Tages während einer öffentlichen Spenden­gala, die von den Medien beobachtet und aufgezeichnetworden war, herausgefunden, dass Gouveia vor laufenden Kameras einen Check abzeichnete, um ihrer Holding einen sozial engagierten Eindruck zu verschaffen. Sutherland hatte aufmerksam zugesehen, grinste dann etwas schelmisch während der Übertragung der Sendeanstalten vor dem Fernseher und wurde weder von Caite noch von Samhain verstanden, die der Ausstrahlung ebenfalls beiwohnten. Er schaute dann seine Schwestern verschmitzt an, die seinem Blick nur fragend begegneten, bis er meinte:

„Noblesse oblige“, was die beiden schwesterlichen Dunedin nicht verstanden. „Schaut euch doch einmal ihr Schreibgerät an“, grinste Sutherland. „Habt ihr das gesehen?“, und die beiden anderen hatten nicht darauf geachtet, wie und womit sie den Check gezeichnet hatte. „Sie hatte ein Etui aus ihrer Tasche gezogen, das Checkheft auf den Tisch gezaubert und einen Kugelschreiber sowie zwei Füllfederhalter in ihrem Etui auf den Tisch gelegt.“

„Ja … Und?“, fragte Caite.

„Mont Blanc. Die Schreibgeräte waren vonMont Blanc. Alles edelste Meisterstücke derselben Firma. Und das hat sie so drapiert, dass die Kameras sie sehen konnten. Eine sehr dezente Art der Protzerei. Offenbar ist das ein Fimmel von ihr: Kugelschreiber und Federhalter“, sagte Sutherland, was die anderen zum Nachdenken gebracht hatte. Man wollte sich die Aufzeichnung der Gala von der Sendeanstalt besorgen und das Beobachtete dann gemeinsam mit den anderen besprechen. Vielleicht war das die offensichtliche Schwäche, auf die man Vorgehensweisen aufbauen könnte, um der Gouveia habhaft zu werden.

Zur selben Zeit besprachen die Seevögel auf der Apfelinsel den irdischen Menschen. Die Dunedin hatten von der menschlichen Verachtung, ihrer Unterdrückung Schwächerer und dennoch von ihrem Mitgefühl erzählt. Sie hatten auch von etwas wie einemdüsteren Erbe scheinbarer Liebeund vorgeblichen Respekts gesprochen. Sie hatten von grober Niedertracht und verschlagener Listigkeit erzählt, von ablehnenden Emotionen und von grauenvollster Gewalt. Von Grausamkeiten und Vergeltung und Rache, und nachdem sich die Seevögel zurückgezogen hatten, all das Gehörte noch einmal unter sich rezitierten, brauchten sie die Hilfe der Dohlen, die ihnen einige der menschlichen Empfindungen erklären mussten, die sie nicht verstanden, da es keine Entsprechungen für bestimmte Gefühle bei ihnen zu geben schien. So hörten sie von Sidhe, dass Neurotransmitter für Aggressivität der Irdischen zuständig sein sollten und aus Angst und Unsicherheit Aggressionen bei ihnen entstehen könnten. Sie erfuhren von den Impulsen und den Mechanismen, die bestimmte Eigenschaften der Menschen hervorrufen könnten. Reaktionen auf eine unglückliche oder gezielt provozierende Aktion. Sie erfuhren vonDopaminundSerotoninund lernten, dass die Geschichte der Aggression bei den irdischen Menschen Wurzeln in vielen Hundert Millionen Jahren habe. Der kritische Fergus hatte etwas schmunzeln müssen, da er sich den Zeitraum nicht vorstellen konnte, von dem die Dohle den anderen zu berichten schien, die dann weiter sagte, dass der Mensch trotz und alledem eine mehr als nur erstaunliche Dimension in seiner Entwicklung erreicht habe, da es kein anderes Tier gäbe, das Gewalt an und für sich einsetze, um seinen Artgenossen absichtlich kaum erträglich quälende Schmerzen zuzufügen. Es gäbe kein Tier, das Lust an der Qual seiner Opfer empfinde. Auf Fragen, wie viel Tiere er denn kenne und ob auch alle Tiere in den Gebirgen und der Tiefsee mit einbezogen wären, die er ja gar nicht kennen könne, schmunzelte die uralte Dohle und erwiderte nur ein leiseswahrscheinlich. Außerdem gäbe es keine andere Spezies, die sich wie der evolutionäre Mensch in Gruppen bewaffnete, um andere Menschengruppen zu töten.

„Da kennst du keine Orcas, Dohle. Die sind Waffen in sich selbst. Und jagen nur in Gruppen. Gefährlich. Zuverlässig. Präzise. Und absolut tödlich“, sagte Aileen, der Mörderwale aus den Nordmeeren mehr als nur vertraut waren.

Sidhe ließ sie ihren Einwand zusteuern und kommentierte ihn nicht weiter. Camshron hatte ihnen erzählt, dass es keinerlei Grenzen bei den Irdischen gäbe, einander Leid zuzufügen. Nur diese Aussage allein hatte die Vögel sehr erschrocken. Der Gedanke war, falls sie Grauen gegen die eigenen Artgenossen ersinnen konnten, um wie viel grausamer würden sie gegen andere Arten sein können? Und daraufhin schwiegen die Vögel. Ein jeder malte sein eigenes, furchtbares Bild eines merkwürdigen Menschen, das nur bedingt zutreffen und wirklich sein konnte. Die Ältesten hatten von gierendem Neid und sinnleerer Missgunst gesprochen. Dieser Neid sollte bei den Irdischen eine Reaktion auf einen etwaigen Vergleich sein, wie Sidhe den anderen Vögeln verdeutlichte, der immer zu Ungunsten desjenigen ausfiele, der neidisch werden würde. Aus diesem Neid dann und der Missgunst entstehe etwas wie Schadenfreude, falls dem Beneideten schließlich ein Missgeschick geschähe. All das sei im Gefühlsrepertoire eines jeden Menschen tief verwurzelt. Und es sei noch viel mehr in ihm angelegt, dem er sich nur schwer erwehren könne, meinte die Dohle. Heraus griff sie die impulsive Vergeltung und kühl geplanten Racheakte, mit der zweifelhaft virtuellen Macht der Zuversicht. Andererseits seien die Menschen aber auch zu Selbstlosigkeit in der Lage. Die mental und physisch Starken unter ihnen vermöchten sich altruistisch zu verhalten, weil sie es sich leisten könnten, da sie sich keinem Wettbewerb zu einem anderen stellten – stark, wie sie seien. Gerieten sie aber in Not, so schwände die Bereitschaft zu einem selbstlosen Handeln. Selbstlos handele in der Regel nur ein Mensch, dem es gut ginge, erklärte Daoine, und die Seevögel vermochten das Gesagte zu hören. Auch konnten sie es sich merken. Aber die einzelnen Fallunterscheidungen, die Bedeutung von Hormonen und äußeren Bedingungen in Verbindung mit einer launischen Moral und individuellen Hirnstrukturen eines menschlichen Individuums, dies war für sie nicht mehr zu verstehen. Dazu das Verantwortungsgefühl eines jeden einzelnen Menschen, das sich dann im selben Menschen als ein gegensätzliches und vollkommen anders vermitteltes Verantwortungsgefühl in der Masse darstellen lassen sollte. Nichts schien eindeutig und klar strukturiert. Und nichts schien bei den Irdischen wahrhaft verlässlich zu sein. Und dieser schlussendliche Eindruck machte den Seevögeln den Menschen noch gefährlicher, als er ihnen ohnehin bisher erschienen war, da ein irdisch geborener Mensch offenbar auf jede Weise, und das willkürlich, reagieren konnte. Das war für alle Zuhörer unvorstellbar. Dazu kamen dann noch seine Obsessionen, Besessenheiten, Süchte und allgemeinen Geistesschwächen in Systemen pluralistischer Ignoranz. Und auf die geflüsterte Frage von Una, der Mantelmöwe, ob all das auch auf die Ältesten zuträfe, da sie schließlich auchirgendwie menschlichseien, und ob man dann nicht viel vorsichtiger mit ihnen sein müsse,rissen die beiden Dohlen die Augen auf, freuten sich nur, dass keiner der Dunedin ihre Unterhaltung hörte, und Fergus antwortete mit einem allumfassendenNein. Er sagte unmissverständlich, dass die Dunedin vollkommen anders veranlagt seien und schloss jeden denkbaren Vergleich der Ältesten mit den Evolutionären kategorisch aus, was Una im ersten Moment glaubte, aber tief in ihrem Inneren nicht beruhigen wollte, so groß war ihre neue Angst vor dem Menschen geworden. Letztendlich aber war es die Frage, ob man das Erfahrene von den irdischen Menschen wirklich wissen musste, die blieb, denn man lebe aus guten Gründen weit draußen auf den Meeren.

Sosehr den Vögeln ein mögliches Menschenbild seziert wurde, trennte sich Brian zunehmend durch ihr wachsendes Wesen von ihm, indem ihre wandelnde Entwicklung fortschritt. Ihre Begleiter machten sich keine Sorgen um die zwangsläufige Entwicklung Brians zu einer Naien, da sie bisher von riskanten Experimenten abgesehen hatte und wahrscheinlich lange noch nicht in der Lage dazu wäre. Brian verhielt sich für die anderen scheinbar zunehmend autistisch, indem sie abgekapselt in ein inneres Geflecht verstrickt schien, das irgendwann die Naien von einer Patty Brian trennen sollte.Wahreswürde sich vonWirklichemabspalten, hatte Rionnag den Prozess beschrieben. Und auf diesem wundervollen Weg befand sich Brian, die stets lächelnd – aber desinteressiert – den Gefährten begegnete, das Leben unter den baren Füßen spürte, zauberhaftes Licht auf der Apfelinsel mit Wärme durchflutete und einen Lebensraum ohne eigenes Dazutun schuf, der so wirklich war, wie er auch künstlich hätte scheinen können. Sie hörte die Waldsamen des Merlin in dem Boden gedeihen, selbst da die ersten grünen Triebe aus den Samenschalen noch auf sich warten ließen. Doch sie spürte die sich regende Vorfreude der anderen Pflanzen um sie herum, die auf den einen friedlichen Wald warteten, als sei er ihnen vor Urzeiten verhießen worden. So schritt sie des Tages wie des Nachts in sich gefestigt über die Insel, unter den wachsamen Blicken ihrer treuen Gefolgschaft. Sie wusste, dass sie aus Neugierde, aus Respekt und aus Vorsicht heraus beobachtet wurde. Sie spürte die ständige Sorge ihrer Begleiter vor spontanen Ausbrüchen der immer noch ungeahnten Macht einer Naien, die Brian möglicherweise übermannen könnten.

Doch nichts dergleichen geschah.

Die Albe war besonnen und friedvoll. Abwartend lief sie in ihrer lichten, fast transparent wirkenden Erscheinung, ohne zu ruhen, über die atmende Insel. Immer wieder aufs Neue wurde sie von den Bäumen und Moosen, den Flechten, Gräsern und Kräutern begrüßt, die sich zu ihr hinstreckten, wo auch immer sie ihren Fuß auf den Boden setzte. Und sie schien sich wissend an den Ufern der Apfelinsel auf etwas vorzubereiten. Die Dohlen, die sie gefragt hatten, ob sie wieder mit dem Gedanken spiele, schwimmen zu wollen, schauten durch die Augen einer lächelnden Naien und fanden keine konkrete Antwort mehr in ihnen. Sie hatte einmal erwidert, dass das sicherlich für einen Menschen in Betracht käme, für sie jedoch irgendwie zu spät zu sein schien. Was Brian damit zum Ausdruck bringen wollte, ahnten die Dohlen zu jener Zeit noch nicht. Folglich vermieden sie fortan Fragen, deren Antworten sie mit größter Wahrscheinlichkeit nicht verstehen würden, eines Tages aber erleben sollten, ohne jemals danach gefragt zu haben.

Die zarten Berührungen einer Naien empfand die Insel – mit ihrem nun geheimnisvollen Leben – auf eine Art, wie es die Chroniken der Menschheit bis zu jenem Tag nicht hatten vorhersehen können. Leben erschien der Insel bis dahin nur kausal und ihm dienend, geknechtet von der Notwendigkeit. In irdischer Gegenwart einer Naien jedoch schöpfte ein enormerer Sinn Geist aus einem allgegenwärtigen Leben, das all das Menschliche in seine Zeit einordnete und darüber hinaus über das Irdische verfügte. Zum ersten Mal empfanden sich die Pflanzen als gewollt und gebraucht. Sie empfanden sich als der älteste Teil des Lebens schlechthin und spürten etwas wie eine bewährte Bruderschaft zu den jüngsten Sprossen irdischen Seins. Sollte der Regen verdunsten und die Sonne verdunkeln – das Leben bliebe nicht aus. Sollten auch die Gestirne vergehen, Galaxien im Nichts der Materie verdampfen und alle Erden dürsten – in der Anwesenheit einer Naien war die Macht der Gesandten stärker als das. Und bliebe die brennende Erde im eisigen Raum stehen, so wäre Leben genug auf dieser Insel an der Abendgrenze im Glück lebender Schwerkraft. Sollte auch die Dunkelheit des Alls sich für alle Zeiten über die Irische See legen – die Naien spendete Nora Isle mit ihrem Wesen genug, um als raumlos segelndes Blatt auch das schwärzeste Sein möglicher Äonen dauerhaft im Gleichgewicht allen Sinns zu navigieren. Und sollten die Kräuter denken können, so hätten sie eben dieser gedacht. Wäre eine Kiefernadel bisher nur an ihrem Zweig ergrünt, so hatte sie zu träumen begonnen. Schienen die kalten Steine nur wie hingeworfen durch rohe Gewalten beliebiger Regeln, so ordneten sich die Kristalle und glätteten ihre Gitter. Diese, die die Naien erlebten, neigten sich vor der schöpferischen Schwerkraft eines Wesens, das seiner seltenen Art zunehmend bewusst wurde. Gebettet in ein pulverndes Licht, gewoben in die Wärme allen Atems, war sie eins mit sich und allem anderen, lauernd beäugt nur von dem unermesslich zufälligen Ozean um sie herum. Das salzige Wasser schien für jede Überraschung gut, da es sich nicht erniedrigen ließ, mit den Inseln jener Welt zu sprechen, gebieterisch, wie der Ozean als Titan war. Mit dem Mond sprach er und tauschte sich aus, da er allein einer seiner Götter war. Doch kein Gebirge war es ihm wert, einen Gedanken zu teilen. So lag das schwere Meer, hatte seine Klauen in das Land geschlagen, ließ die Insel nicht aus seiner Umklammerung und beobachtete das Treiben der wenigen auf diesem Eiland. Und es lauerte wie ein Raubtier, hätte ein Rispengras gesagt und ein Stein gedacht, das nur kommen sollte, damit seine Wasser alles zu Salzen zersetzten. Dieser wilde Titan blieb verbissen in das Ufer und schwieg mit seiner Allgegenwart. Er ruhte stumm und sah die Naien. Er dachte an den Raum, aus dem er einst gekommen war, und sah eine der wahrscheinlichen Meisterinnen jener Jahrmillionen angesichts einer Albe und ihrer gebietenden Allmacht gegenwärtigen Lebens.

Sutherland hatte laut der anderen Dunedin eine wenigstens bemerkenswerte Beobachtung gemacht. Tatsächlich räumten die Ältesten dem Unternehmen eine große Chance ein, bei dem ein exklusives Schreibutensil ein möglicher Köder für eine betrügerische Frau sein könnte, die sich alles hatte leisten können. Von der genialen Einfachheit der Idee ließen sich die Ältesten, sowie Doheny und der Börsenmakler Brians, begeistern, da man mit kompliziert aufwendigen Konstrukten bisher entweder nicht erfolgreich gewesen war oder man sich das indirekt intelligente Handeln gegen die finanzstarke Holding der Gouveia an den Märkten nicht leisten konnte. Ein MontblancSolitairemit Perlmutt-Intarsien, drei Ringen aus weißem, 18-karätigem Gold und einem Clipring mit 22 Brillanten schien eine so hervorragende wie einfache Lösung zu versprechen. Dazu sollte das Gerät noch mit 36 weiteren Brillanten im Kappenring verziert worden sein, und schon meinte auch die als vorsichtig geltende Frangach, dass Gouveia diesem Instrument sicher nicht widerstehen könne, falls man sie zu einer Besichtigung einladen würde. Diesen Moment dann der Unaufmerksamkeit wollte die Dunedin nutzen, um der Portugiesin die Freiheit zu stehlen. Als sie ihren Plan den Begleitern von Brian mitteilten, damit sich diese rechtzeitig überlegen könne, ob sie Gouveia noch einmal sehen möchte, um sie zur Rede zu stellen, kommentierte Camshron die Idee seiner Brüder und Schwestern in London alsMeisterstück für das Miststückund lachte trocken über den grandiosen Einfall. Brian wollte sich Gedanken machen und entscheiden, ob sie ihrer ehemaligen Freundin wieder begegnen wollte, nachdem man ihrer endlich habhaft geworden wäre. Das Team der Dunedin in London verstand und leitete die nötigen Vorbereitungen ein, um Gouveia glaubhaft und ohne jeden so verräterischen Verdacht verführen zu können. Die Londoner meinten, dass sie nicht mehr als nur wenige Tage zum Auslegen des Köders brauchen würden, und waren fast wie elektrisiert von dem Gedanken, einer Monopolistin zu einem schließlichen Verstand zu verhelfen, der ihr die Dinge zeigen sollte, wie sie sich für die Ältesten in dieser Welt interpretieren lassen sollten. Und es war das erste Mal, dass sich die Dunedin instrumentalisiert fühlten. Die Altehrwürdigen wurden zu Schuldeneintreibern, angestiftet von einer werdenden Albe, wie es Dragh ausdrückte. Vielleicht sollten sie zukünftig einen Inkassobetrieb eröffnen, um die Schulden anderer eintreiben zu können, ohne die so treuhändisch erhaltenen Mittel an die Gläubiger auszuhändigen. Dann wäre man finanziell wahrhaft ungebundener, meinte er sarkastisch, was einige der alten Bruderschaft nicht in tatsächlich ernsthafte Betrachtung zogen.

Die Dunedin um Brian richteten sich gegen ihr eigentliches Naturell für einen langen Aufenthalt auf der Apfelinsel ein. Man wollte abwarten, ob die geplante Aktion gegen Gouveia von Erfolg gekrönt wäre, und sei schließlich nicht um die Kriminellen der modernen Welt besorgt, sondern nur um einen Engel rührend bemüht, den man heimlich verehrte, ohne jemals die wirkliche Dimension des wachsenden Wesens erfahren zu können. Gaire fügte der Gedanke körperlich fast Schmerzen zu, nicht in London an dem Verfahren gegen die Portugiesin teilnehmen zu können. Das wäre ganz nach ihrem Geschmack gewesen. Deshalb wurde sie auf der Insel den anderen gegenüber häufig ungerecht und reagierte oftmals ungezügelt offensiv auf kleinste Missgeschicke, wie das Stolpern über krautige Flechten oder das versehentliche Stoßen mit ihren Füßen an Steinen, da der Boden der Insel stets im Nebellicht der Naien verschwommen schien. Dazu kam, dass sich die elektromagnetischen Interferenzen auszudehnen schienen und man keinen klaren Mobilfunkempfang mehr auf der ganzen Insel hatte. Man hatte Southfield die Krypton-Telefone mit auf das Festland gegeben, der sich daraufhin die ersten Wochen in Sichtweite zu der Insel aufhalten musste, um nötige Nachrichten durch die Vögel den Dunedin und Brian auf der Insel überbringen zu lassen. Als er sich schließlich aber aufzumachen hatte, musste immer einer der die Albe begleitenden Ältesten auf einer Anhöhe auf dem Festland wachen, auf der man eine kleine Feldstation für die Generatoren und die Telekommunikation eingerichtet hatte. Und es war immer einer der Vögel bei dem wachhabenden Dunedin, um in brisanten Entwicklungen schnellstmöglich die anderen Dunedin auf der Insel sich zu etwaigen Reaktionen auf eventuelles Unbill rechtzeitig vorbereiten zu lassen. Auch meinte Camshron, dassApfelinselein vielleicht holpriger Name für ihre Insel sei.Nora Islewürde ihm besser gefallen. Brian war es einerlei, wie man ihren Aufenthaltsort nennen wollte, da sie sich von allen Bezeichnungen für Materie innerlich zunehmend trennte. Den anderen Gefährten hingegen gefiel der Name, auf den man sich für die Zukunft verständigte.Nora Islewar längst geboren – nun war sie auch getauft. Fortan hatte ihr Domizil einen Namen. Man fand, dass es sich in der Vogelwelt herumsprechen sollte, damit ein jeder wusste, dass es ein Land gab, auf dem eine junge Albe lebte, der Schutz geboten werden müsse. Und diese Nachricht verbreitete sich unter den Seevögeln schnell.

Brian war. In rastloser Geduld lief sie das teils bewachsene Ufer der Insel ab. Des Tages sowohl wie jede Nacht. Im schwimmenden Licht ihrer selbst. Manchmal setzte sie sich zu ihren Dohlen. Selten sprach sie mit den Ältesten – und falls sie es tat, so sprach sie mit Rionnag. Camshron hingegen warf sie oft nur dankbar Blicke für sein Verständnis zu. Gaire ging der Naien weitgehend aus dem Weg, um nicht ständig der Ursache ihres inneren Zerwürfnisses begegnen zu müssen, gleich wie sehr die Albe eine jede Umgebung zu verändern in der Lage gewesen wäre.

Brian streifte über die Insel und spürte die enorme Last der fortwährenden Beobachtung des Meeres, so wie sie ihrerseits die See beobachtete. Es war, als wolle die Naien nun das Meer als neuen Gefährten anwerben. Es war, als mache sich ein Engel mit dem irdischen Ozean bekannt. Und es war, als suchten sowohl die Albe wie auch dieses blaue Fluidum nach einer Grundlage, auf der man sich vertrauen und begegnen könne. Wie zwei schlaflose Wesen umschlichen sie sich und schienen den nächsten Zug des anderen abzuwarten. In Einvernehmlichkeit, Achtung und in einer Verbeugung vor der respektablen Hoheit der anderen Majestät. Den Dohlen gegenüber machte Brian nur unverständliche Andeutungen zu dem, was kommen möge, und Rionnag hörte ihr bloß zu, falls die Naien einmal sprach, ohne irgendetwas hinterfragen noch verstehen zu wollen. Was die Zukunft für sie bereithalten könnte, würden sie erleben, sagte sie in großer Geduld sowohl den Vögeln wie ihresgleichen. Und genau das redete sie sich selbst ein, um sich in vorsichtiger Geduld zu üben, die auch ihr zuweilen schwerfiel. Doch das Schicksal der Dunedin war für sie an Leben der Naien geknüpft. Nur dem galt es, ergeben zu folgen, brachte sie sich immer wieder in Erinnerung, falls sie sich auf Abwegen ihrer Gedanken befand. Zunehmend begrüßten die Ältesten Brian mit ihrem ritualisierten Respekt und ihren lang geprobten, höflichen Bekundungen, indem sie sich vor der Albe die Hand auf die Stirn legten, bevor man Brian überhaupt erst ansprach, was sie mit einem Lächeln quittierte, da es eine eigentlich unnötige Distanz schaffte. Regen und die typische Kälte für eine Insel in der Irischen See gab es nicht mehr auf Nora Isle, so sehr war Brians strahlende Aura über sie hinausgewachsen.

Des Nachts hörte Daoine die Albe einmal mit dem Meer sprechen. Sie hörte Brian fragen, was die See vor ihr verberge, das Ihres sei. Zu der Verwunderung der Dohle hörte sie das Meer antworten, dass es die Aufgabe der Naien sei, eben das herauszufinden, falls es wahrhaft eine Naien sei, die fragen sollte, was ein Ozean zu verberge habe. Und Brian sollte der See geantwortet haben‚Du, der mich sein ließ‘,als die See erwidert haben sollte‚Weil du mich druchtränktest?‘. Darauf habe die Albe gesagt‚Weil du mich wie andere behütest‘,hatte Daoine Sidhe von der belauschten Unterhaltung erzählt. Tage später hatten die Dohlen gemeinsam mit Fergus überlegt, wie es sein könnte, dass eine Dohle ein Meer zu einer Albe hätte sprechen hören. Ob es die Nähe zu Brian sei, die eine solche Halluzination wahrscheinlich mache, konnten sie weder in jener Nacht noch in einer der darauffolgenden herausfinden. Obwohl sie viel spekulierten, blieben ihnen die tatsächlichen Antworten auf die meisten ihrer Fragen offen. Damit mussten und konnten sie leben. Nur der Gedanke, dass eine Naien mit einem Ozean zu kokettieren schien, bereitete ihnen Sorgen. Falls sich aus dem annährenden Betasten der beiden eine wie auch immer geartete Union bilden sollte, gerieten sie als Vögel in ein Spannungsfeld, von dem damals keiner wusste, wie man ein Treiben in ihm überleben könnte. Wann hatte sich ein Ozean jemals um die für ihn nebensächlichen Seevögel geschert? Welches mächtige Meer hatte sich um die Sicherheit auch nur eines Ältesten gekümmert? Die launische Gewalt im Wesen der See war für alles bekannt, nur nicht für ihre elterliche Fürsorge.

Gaire meldete sich stets freiwillig für die Telefonwachen auf dem Festland, bei denen sie dann einerseits ergiebige Gespräche mit den anderen Dunedin führte, wie auch ihr soziales Netzwerk mit diversen, flüchtigen Bekannten und losen Beziehungen pflegte. Gespräche mit der Außenwelt hellten ihre Stimmung auf. Camshron hatte nie verstanden, welchen Einfluss dieses Sprechen mit den fremden Menschen haben konnte und was es bei ihr zu bewirken vermochte. Stets vermittelte Rionnag und gab ihm schmunzelnd die ausführliche Erklärung, dass er sie dochlassen sollte. Einmal, als Southfield ohne triftigen Anlass zu Besuch gekommen war und Rionnag Telefondienst verrichtete, kam Gaire fröhlich über die Insel gelaufen und hatte gemeint, dass man, falls die Portugiesin erst einmal festgesetzt wäre und die Insel Eigentum der Gemeinschaft werden würde, man tunlichst einen 3-D-Drucker erwerben wollte, der einem dann alle nur erdenklichen Wünsche aus thermoplastischen Kunststoffen erfüllen werde. Ihr würde das wenigstens Freude bereiten.

„Stellt euch nur vor, wie billig alles werden würde“, konnte sie sich für die Vorstellung begeistern. „Alles können wir uns dann hier selbst herstellen. Gebäude so sehr wie Fluggeräte und Kopien eines jeden Gegenstandes. Wir müssen nichts weiter besorgen, als so ’nen Drucker … und können dann unserer Fantasie freien Lauf lassen.“

Dieser Gedanke Gaires vermochte keinen zu erwärmen. Im Gegenteil. Die Seevögel dachten, sie habe den Verstand verloren, und falls dem nicht so sei, würde man empört an dem Tag um die förmliche Entlassung aus den Diensten der Naien bitten, an dem sich Gaire ihre Träume verwirklichen wollte. Rionnag und Camshron schmunzelten nur. Der diplomatische Sidhe gab vor, den Gedanken von Gaire für wenigstens interessant zu halten. Und die Albe hatte ihn erst gar nicht aufgegriffen.

„Ihr Banausen …“, ärgerte sich Gaire. „Eine gemeine Dohle versteht mich. Ihr aber … ihr lebt einfach der Zeit hinterher. Wenn wir selbst die Chance nicht begreifen, die uns vielleicht eine Glasfaser in ihrer Funktionsweise offeriert …, dann meine ich, ist es für uns zu spät.“

„Wohl so“, hatte Camshron erwidert. „Und weil wir leben, brauchen wir nichts weiter als dieses Leben. Wir sind, was für dieses Leben nötig ist. Die irdischen Menschen müssen die Chancen erkennen, Gaire. Nicht wir.“

Gaire hatte diese Aussage zutiefst verstimmt, sie verließ Nora Isle über die steinige Furt für ihre Wache an der Küste und hatte an den darauffolgenden Tagen einige Gespräche mit der scheinbar verständigeren Sidhe geführt. Schließlich aber ließ sie das Gespinst ihrer Gedanken durch die unerbittliche Haltung der anderen Ältesten grundsätzlich frustrieren. Man wartete auf Erfolgsnachrichten aus einem London jener Tage und hütete eine Naien, für die man nichts tun konnte, außer duldsam langweilige, ereignislose Tage zu ertragen.

Die Suliden, Fulmare und Lariden genossen fast das Leben in Gemeinschaft mit den Dunedin und in der bedeutenden Nähe zu den Dohlen und ihrerLichtfresserin. Der Frieden und die Ruhe belebten sie. Das Glück, das sie durch die Naien empfanden, war ein so neuartiges Gefühl, das es von keinem der Seevögel auch nur annähernd beschrieben werden konnte. Von den wundersamen Dohlen oder Brian hatten sie sich oft die Genehmigung geholt, etwas weiter auf die See hinausfliegen zu dürfen, um nach immer kürzeren Ausflügen schneller zurückkommen zu können, weil sie eine eisige Leere auf See in sich spürten, die zuvor ihr Leben bestimmt hatte, nun aber kaum noch erträglich schien, falls man sich länger und weiter aus der physischen Gegenwart einer Albe entfernte. Außerdem war es ihnen über die Wochen aufgefallen, dass es ihnen zusehend schwererfiel, von der Insel fortfliegen zu können. Vermochten sie zuerst noch von den Ufern von Nora Isle flügelschlagend zu starten, schlugen sie irgendwann nur noch unsinnig mit ihren Federarmen, ohne sich vom Boden zu erheben. Sie hatten an das Ufer der Insel zu watscheln, mussten immer weiter hinausschwimmen, um sich dann schwerfälliger aus dem Wasser mit paddelnden Füßen in die Lüfte zu erheben. Erklärungen dafür hatten und suchten sie nicht, sondern wunderten sich nur, dass die Dohlen wie am ersten Tag über die Insel fliegen konnten, wann immer es ihnen danach gelüstete. Aber sie waren weder Dohlen, nach waren sie Sidhe und Daoine. Noch weniger hatten sie mit den Vögeln einer Naien gemein, die sehr besonders in vielerlei Hinsicht erschienen. Jedenfalls war der Umstand unstrittig, dass sich etwas auf der Insel seit ihrer Ankunft verändert hatte.

Noch etwas war im Begriff sich grundlegend zu verändern. Aus der Entfernung zurückgeschaut oder aus der Höhe hinabgesehen auf die Insel, schien sie einerseits zunehmend gläsern zu sein und andererseits optisch unschärfer mit dem Meer zu verschmelzen. Die eindeutigen Konturen lösten sich auf wie bei einer Luftspiegelung – einer Fata Morgana –, als sei das Eiland der Albe eine Anomalie des Wassers oder eine immerhin bemerkenswerte Täuschung der Sinne durch vorüberziehende Wolken vielleicht. Aileen hatte es einmal so in einem Gedankenaustausch mit Camshron formuliert, da er sich nicht vorstellen konnte, wie die Insel unter einer lichtgrauen Kuppel von oben aussah. Camshron verinnerlichte die Beschreibung Aileens und fand sie vortrefflich. Die Dunedin diskutierten diese Eindrücke und Berichte nur kurz, da sie wahrhaft nichts veränderten, wie es Rionnag zusammenfasste. Sie merkte nur trocken an, dass selbst von den Telefonwachen auf dem Hügel eben gerade gegenüber von Nora Isle auf dem Festland die so nahe vor ihnen liegende Insel kaum noch eindeutig zu sehen sei. Man sah eine differierende, flimmernde Struktur über dem Meeresspiegel und würde als vernünftiger Mensch vermuten, es müsse sich um eine Insel handeln können, deren Umrisse durch ein sonderbares Licht nicht länger zweifelsfrei erkennbar waren. Dass dieses Licht von einer Naien entlassen wurde, hätte ein irdischer Mensch, trotz all seines Glaubens, unmöglich denken können.

So die Seevögel zurückkamen, konnten sie in die Luftglocke eintauchen, glitten auf die Insel zwischen den uralten Kiefern hinab und spürten ohne den geringsten Windhauch einen auftreibenden Widerstand unter den Flügeln, der sie sicher und sanft landen ließ, als sänken sie durch eine Art transparentes Luftgelee. War es ihnen anfangs unheimlich, nahmen sie es mit fortlaufender Zeit kaum noch wahr und gewöhnten sich sogar an das Sinken in der Luft. Was sie nur bemerkten, war, dass der Radius dieses Phänomens um die Insel herum wuchs. Als sie eines Tages feststellen mussten, dass Nora Isle optisch vollkommen für einen äußeren Betrachter verschwunden war, sobald sie in der Höhe fliegend hinabschauten, baten sie erschrocken Sidhe und Daoine die Naien zu fragen. Sie wollten wissen, wie sie die Sinnestäuschung zu verstehen hatten, da die Dunedin, danach gefragt, keine plausiblen Erklärungen dafür hatten, weshalb die Insel vor ihren Augen irgendwie zu verschwinden schien, sobald sie sich von ihr entfernten. Näherten sie sich ihr wieder, raste man zuerst wie durch ein Fernglas auf sie zu – was Daoine so beschrieben hatte –, falls man einen bestimmten Abstand zu ihr durchflog. Die Vögel wollten wissen, ob es eine Anomalie der Zeit sei und ob sie erwarten müssten, dass die Insel eines Tages ganz mit ihren Gästen verschwände. Brian vermochte ihnen nicht viel zu sagen, als sie in die neugierigen Augen ihrer Begleiter schaute. Sie lächelte blass in ihrem Glanz und meinte, dass die Physik vielleicht nicht die richtige Logik beherrsche, um ihnen eine Antwort auf diese Fragen zu geben.

„Wahrscheinlich ist es die Luft. Sie komprimiert um mich. Sie komprimiert um jede Naien. So empfinde ich es. Und wahrscheinlich ist es für eure Augen, als schautet ihr durch verdichtete, transparente Masse. Die Luftkuppel als Lupe, die eine verkehrte Brennweite durch eine veränderte Dichte besitzt“, sprach sie. „Das muss euch Erklärung genug sein.“

„Dann kann es sein, dass wir die Insel irgendwann nicht mehr finden, Patty, weil wir sie nicht mehr sehen können?“, fragte Aileen.

„Du hast mich zu spüren, Aileen. Dieser Felsen … er ist nur ein Ort …“

„Schon. Aber dann kann es so sein, dass es so ist, wie Aileen gesagt hat?“, fragte Una noch besorgter, als die ursprüngliche Frage von Aileen gedacht gewesen war.

„Ja. So wird es sein. Spürt mich … Lasst euch fallen …, und legt euch auf meinen Atem …“, sagte sie, und die Ältesten waren über die Aussage Brians als Naien erstaunt.

„Eine Parallaxe? So was? Dass der Augenschein mit der Wirklichkeit korreliert? Irgendwas wie eine prismatische Krümmung … oder so?“, fragte Gaire an jenem Tag, die sich ihr Leben lang mitIrrschliffenan Klingen zur Täuschung eines möglichen Gegners beschäftigt hatte, um ihm eine Waffe zu verbergen, die man trotzdem in den Händen hielt.

„Das kannst du so sagen“, lächelte Brian.

„Die Kriegerin wieder …“, fasste Fergus die Person Gaire zusammen, da er sie für die Kämpferischste unter den Dunedin hielt, die die Albe begleitete. „Aber es ist faszinierend. Wir können die veränderte Luft spüren. Das stimmt. Und wenn wir uns einfach fallen lassen, tauchen wir wie in einen anderen Körper. Sobald wir auf die Insel herabsehen, kommt sie rasend schnell auf uns zu, während wir gefühlt langsamer als zuvor durch die Luft auf sie zusegeln, um dann auf dem Boden aufgesetzt zu werden. Wir müssen uns noch nicht einmal mit unseren Watscheln bei der Landung abstemmen …“, und Brian hörte ihnen zufrieden zu.

„Vor Wochen hätte es mich verwundert …“, sagte sie dann.

„Ja. Uns alle“, warf Shona, die Fulmare, ein.

„… doch heute ist nichts bemerkenswert für mich. Nur …, dass alles ist … und uns zuvor nicht gewesen schien“, flüsterte Brian, in sich gekehrt, leiser als Albe weiter.

„Darf ich dich etwas fragen, Patty?“, erkundigte sich Rionnag, die wissen wollte, ob es tatsächlich stimmte, dass Brian mit dem Meer gesprochen hatte, wie es von Daoine berichtet worden sei.

„Ich spreche auch mit der See …, und sie erwidert mir. Ja, Ash, das ist wahr“, raunte die Naien in einer weicheren Tonlage und konnte Rionnag mit ihrem Blick durchdringen, dem die Älteste verlegen auswich. Ein jeder hätte gern gewusst, was das Meer zu sagen hatte, doch niemand wagte zu fragen, worüber Brian mit einem Ozean sprechen könnte. Rionnag dankte ihr nur für die Auskunft und erkundigte sich, ob man sich Sorgen um die eigene Sicherheit machen müsse. „In meiner Anwesenheit?“, fragte Brian lächelnd.

„Oh. Verzeih“, wendete Rionnag schnell ein, als sei der Eindruck entstanden, sie zweifle an den Fähigkeiten und Absichten einer Naien. „Natürlich …“

Brian wunderte es manchmal, wie unterschiedlich ihr die Dunedin und die Seevögel begegnen konnten. Einzig die Dohlen blieben ihr stets vertraut – gleichwohl auch sie dann und wann ihr einen Respekt zollten, den sie als Patty Brian niemals von ihnen erhalten hatte. Ihre Freundschaft war so innig gewachsen, dass sie selbst als Albe auf die beiden guten Berggeister Schottlands nicht verzichten konnte.

Und Nora Isle lag. Nach ihrer Taufe begann die Insel zu schweigen. Sie begriff die stundenlosen Tage nicht mehr, doch pries den Tag, als einige Vögel und Menschen und ein Wesen kamen, um sie in Besitz zu nehmen. Im Streich fühlte sie sich überwältigt und in Frieden neigte sie sich ergeben. Seitdem genoss sie einen jeden Atemzug. Sie lernte einen jeden Schritt der Konquistadoren zu schätzen. Sie liebte einen jeden Laut ihrer Kehlen und das erhebende Gefühl neuen Lichtes im Halbschein aller Sonnen. Falls Tage gekommen waren, so waren sie nicht geblieben. Und sie sollten kommen und gehen. Falls Nächte Dunkelheit gespendet hatten, so waren sie vergessen, getilgt von dem Gleichklang hellerer Finsternis.

Der wachsame Ozean ließ geschehen, was geschehen musste. Er entschied nichts. Er hütete die verlorenen Schätze, die eine Naien ergründen musste. Der Ozean kleidete sich in metallisches Licht und wartete auf seine Erweckung durch eine wiedergeborene Albe.

XXXIII

„Warum hast du Cherry eineKriegeringenannt?“, fragte Daoine Fergus, der sich in dem Lichtnebel dicht neben die Naien gesetzt hatte, als an der britischen Küste bereits der Abend anbrach, dem ein stürmischer Tag folgen sollte.

„Sie ist stets zum Kampf bereit. Anders als Lime und Ash. Sie besitzt eine strategische Wahrnehmung und reagiert mit einer taktischen Klugheit auf Fragen, die sich ihr stellen“, antwortete Fergus, der zu der Naien gewatschelt war, um vielleicht ein Gespräch mit ihr beginnen zu können. Daher fühlte er sich durch die Frage von Daoine etwas gestört.

„Dann meinst du, Ash und Lime besitzen das nicht, was du einestrategische Wahrnehmungnennst?“, wollte die Dohle wissen.

„Doch. Schon. Aber offenbar nicht die Kühnheit. Ein Krieger besitzt die Kühnheit, sich in einem Duell von der Entwicklung des Kampfes verführen zu lassen. Und das, glaube ich, können die beiden Dunedin nicht. Oder Cherry kann es wenigstens besser als Lime und Ash. Sie versuchen den Kampf von Beginn an zu kontrollieren– Cherry aber lässt sich einfach darauf ein, gleich, was der Kampf bringt“, erklärte Fergus etwas widerwillig, weil er mit Daoine tatsächlich nicht sprechen wollte, sondern zu der friedlich summenden Brian gelaufen war, um sich die Phänomene der Lichtspiegelungen von ihr besser erklären zu lassen. Er wollte verstehen, wie es sein konnte, dass Nora Isle vor fremden Augen verborgen werden konnte, während sie von der Insel aus das Umland sehen konnten. Nichts schien verändert, sobald sie auf der Insel waren. Jedoch sobald sie sie verließen, löste sie sich in einer optischen Eigenart auf, wie er es nannte.

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