Nachgeschmack - Katharina Mack - E-Book

Nachgeschmack E-Book

Katharina Mack

0,0

Beschreibung

Esmé sucht, wie wir alle, ihr Glück. Das sich ziemlich zurück hält in ihrer jetzigen Situation mit zwei Elternteilen, die an Alzheimer erkrankt sind und einem verheirateten Liebhaber, der nichts mehr von ihr wissen will. Nachdem Jan, ihre große Jugendliebe, der sie über facebook wieder gefunden hatte, das von seiner Seite aus eher sexuell geprägte Verhältnis beendet hat, kämpft sie mit ihren Gefühlen. Und muss immer wieder feststellen, dass - egal wie analytisch der Verstand einer vernünftigen Person arbeitet - die Emotionen letztendlich siegen. Was wäre, wenn...? Wenn ein gütiger, allwissender Buddha uns alle lenken würde? Wenn ihre beste Freundin endlich ihren untreuen Ehemann verlassen würde? Wenn die Welt nun doch am 21.12.2012 unterginge? Wenn sie zur Mörderin würde? Ist es wirklich so schwierig, einen geeigneten Partner kennenzulernen? Was hat der Maya-Kalender mit dem Weltuntergang zu tun? Wie kann man Trauer bewältigen? Kann es ein doppeltes Happy End geben?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 261

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zu diesem Buch:

Katharina Mack,

geboren 1968, hat nach mehrjähriger Berufstätigkeit als MTA in Zentrallabors und in der Forschung in Trier Medienwissenschaften und Geographie studiert.

Ob es Glück war, erkennst du am Nachgeschmack.

© 2012 Katharina Mack

Verlag: tredition GmbH, Hamburg ISBN: 978-3-849-12517-2 Printed in Germany

Inhalt

Cover
Zum Buch
Die Autorin
Zitat
Titelblatt
Impressum
Kapitel 01
Kapitel 02
Kapitel 03
Kapitel 04
Kapitel 05
Kapitel 06
Kapitel 07
Kapitel 08
Kapitel 09
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Quellenverzeichnis
Alzheimer-Krankheit
Attraktivitätsforschung
Honduras / Maya:
Sprüche und Zitate:
Trauertherapie Dr. Botkin:
Über tredition

Kapitel 01

20:43 Uhr, Betreff: Aus und vorbei Ich denke immer noch genauso oft an dich, nur ohne Glücksgefühl. Das war auch schon mal anders.

Und wieder schickt sie die Mail nicht ab. Wozu auch?

In ihrem Kopf laufen in einer Endlosschleife die Sätze aus dem Radiohit von Juli: „Immer wenn es dunkel wird, wenn alles auseinander fällt, wird mir unaufhaltsam klar, dass das mit uns was Gutes war. Immer wenn es stiller wird, nichts mehr mich in Atem hält, dann tut es weh und mir wird klar, dass das mit uns was Gutes war...“. Dunkel ist es gerade auch in ihr, dieses Vakuum wird spürbar, das sich langsam um den Schmerz legt, der zeitweise mal Glück war.

Sie sieht aus dem Fenster. Dunkle, schwere Wolken ziehen langsam und tranig über den Himmel. Wieso passt auch noch das Wetter so gut? Ihre Stimmung schlägt um in Zorn, Zorn über sich selbst, dass sie so blöd war, ihren Illusionen so viel Raum zu geben, Zorn über das große Ganze, von wem es auch immer gelenkt werden mag, der oder das jetzt nicht mal ein paar lindernde Sonnenstrahlen schicken kann.

Esmeralda steht auf, wischt ihre Tränen weg, schüttelt langsam den Kopf und tappt zur Kaffeemaschine, die mit aufgeschäumter Milch, Espresso und viel Zucker bessere Laune verspricht. Die glänzende, wuchtige Edelstahlmaschine ist das einzige Luxusteil, das in ihrer kleinen, leicht heruntergekommenen Wohnung, die aber dennoch gemütlich, sauber und aufgeräumt erscheint, zu finden ist. Sie will ihre negativen Gedanken aussperren, aber diese zerplatzen scheinheilig zu unzusammenhängenden Buchstaben und quetschen sich durch die Hirnspalten wieder hinein um dort die gleiche verteufelte Gedankenwelt aufzubauen. Wieso konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Wieso hat er mich gesucht? Was hat er gesucht? Hat er überhaupt etwas gesucht?? Er, der glückliche Familienvater, der ihr zeitweise nach eigener Aussage verfallen war? Ihr, die ihn nur allzu gerne gereizt hat, nachdem er sie wieder gefunden hatte. Sie hatte sich ehrlich gefreut als er auf facebook ihr Freund sein wollte, nachdem das im wahren Leben damals nicht geklappt hatte, damals mit dreizehn, als die Welt noch schwarz und weiß war - oder meistens pink und aufregend und offen für alles, was noch so passieren könnte.

Und es war auch vor fast zwei Jahren irgendwie aufregend. Sehr aufregend in der zu dieser Zeit doch eher grauen Welt. Esmé hatte sonst nicht viele Freunde, weder in sozialen digitalen noch in sozialen realen Netzwerken, was im echten Leben wohl daran lag, dass sie kaum Zeit fand für Freunde, weil sie sich fast rund um die Uhr um ihre Eltern kümmerte. Besser gesagt um die Hüllen ihrer Eltern, die im Moment beide in der Küche in ihren Rollstühlen vor sich hin dösten – und das war Bestzustand! Manchmal wusste sie selbst nicht, wo sie die Energie herholte, sich selbst und ihre kleine Familie zu versorgen und mit Artikeln als freie Journalistin über Wasser zu halten. Aber sie konnte und wollte sich nicht vorstellen, wie ihre Eltern in irgendeinem Altenheim ungepflegt vor sich hin dämmerten. Den ganzen Tag vor sich hin starrend und gelangweilt in irgendeiner schmuddeligen Unterkunft, völlig unterversorgt, in vom pampigen Essen verschmierten Nachthemden herumsitzend. Dass niemand für sie da wäre, wenn sie Hilfe brauchen oder Schmerzen haben könnten. Nachdem sie ihre kleine Esmé aufopfernd und mit schönster Kindheit aufgezogen, sie immer in allem unterstützt hatten, ihre Mutter ihren geliebten Beruf für sie aufgegeben hatte, hatten sie es da nicht verdient, nun selbst umsorgt zu werden? Jetzt, da die Welt sich umgekehrt hatte, Esmeralda die starke Versorgerin war und ihre Eltern zeitweise so hilflos? Seit bei beiden fast zeitgleich die Alzheimer-Krankheit aufgetreten war, war Esmeralda ständig hin und hergerissen und grübelte darüber, wie die Zukunft der beiden aussehen sollte oder besser die der beiden und ihre. Ihre Eltern bezogen eine einigermaßen gute Rente und zusammen mit ihrer Tätigkeit als freie Journalistin kamen sie ganz gut über die Runden. Sie konnte sich sogar einen Sozialen Hilfsdienst leisten, der sie bei der Pflege unterstützte. Jeden Abend um 18 Uhr kam Cornelia, eine kräftige Polin, die eine warme Mahlzeit mitbrachte und beherzt an die Arbeit ging, die vorwiegend aus Waschen, Pflegen, Umziehen und zu Bett Bringen bestand. So brauchte Esmé nicht für ihre Eltern zu kochen und hatte jeden Abend drei geregelte Stunden Freizeit, in denen sie einkaufen, Sport machen oder sonstiges außer Haus erledigen konnte. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, in einem kleinen Familienrestaurant um die Ecke zu Abend zu essen. Es war ein bisschen schäbig, aber die Küche war einfach, schnell, nicht schlecht und günstig. Dort konnte sie kurzzeitig abschalten und bekam eine warme Mahlzeit. Einmal pro Woche und in „Notsituationen“ konnte sie länger bleiben, weil ihre Nachbarin dann per Babyfon auf ihre Eltern „aufpasste“. Aber das Leben, das sie sich mal erträumt hatte, war das nicht.

Esmeralda setzt sich mit dem Kaffeeglas, auf dem sich eine schöne dicke Milchschaumkrone wölbt, wieder vor den Bildschirm und denkt darüber nach, was sie sich erträumt hatte. Sie wollte immer eine Familie haben, eine mit echten Kindern, einem Mann, der sie liebt und den sie liebte. Da war er wieder, in ihren Gedanken, der Mann, der sie nicht liebt.

Nun ist es also soweit, die Trennung ist da. Sie hatte es jetzt schriftlich. Nachdem sie ihm vorsichtig geschrieben hatte, dass sie glaube, sie erwarte zu viel von ihm. Nachdem sie sich immer wieder zurückgenommen hatte, ihn nie zu etwas drängen wollte, hatte sie sich gewagt, ihn nach seinen Gefühlen für sie zu fragen, nicht direkt, versteht sich, damit er nicht direkt mit Ablehnung reagieren konnte, um ihm nur ja nicht die Chance zu nehmen, wie immer irgendwie drum herum reden zu können. Damit sie selbst ihre Träume aufrecht erhalten konnte, trotz erschreckender Indizien. Dennoch musste sie nach über einem Jahr voller Leidenschaft und schmerzerfüllter Sehnsucht, voller Lust und Liebe und Eifersucht einfach mal ein bisschen tiefer bohren. Er hatte ihr nie etwas versprochen, das war ihr schmerzhaft klar. Sie hatte ihre wohl unerfüllbaren Erwartungen in eine Mail gepackt, denn immer, wenn sie sich getroffen hatten, waren sie fast wortlos übereinander hergefallen und hatten sich geliebt und immer wieder geliebt, sich gegenseitig heiß begehrt, sich geküsst und immer wieder geküsst als wäre es ihr erster und letzter Kuss. Aber war das wirklich Liebe? Meistens hatte Jan nicht viel Zeit und meistens gingen sie auseinander ohne viel geredet zu haben. Er zu seiner „normalen“ Familie, von der sie so gut wie nichts wusste, eigentlich nur, dass sie aus seiner Frau und zwei Kindern bestand, sie zu ihrer. Er hatte von Anfang an darauf bestanden, dass seine Familie mit ihnen beiden nichts zu hatte, Fragen dazu nicht beantwortet und bei heiklen Themen gerne die Flucht ergriffen. Eigentlich kannten sie sich gar nicht wirklich, es hatte nur immer diese unglaubliche Anziehungskraft zwischen ihnen gegeben. Es war zu einer Art Spiel geworden, ein Spiel mit Suchtfaktor.

Angefangen hatte es mit der Freundschaftsanfrage von Jan auf facebook. Esmé musste seinen Namen gleich mehrfach lesen: Jan Printz. JP. Diese Initialen waren wohl heute noch in all ihren Heften und Schulbüchern der siebten Klasse zu finden. Mit Herzchen versehen, versteht sich. Er war ihr erster großer Schwarm und ihre erste große Liebe. Sehr schüchtern war er damals, so wie sie selbst auch. Und sie war fasziniert von ihm, fühlte sich magisch von ihm angezogen. Jan war ein Jahr älter als sie – vierzehn – sehr groß, sehr schlank mit kurzem dunklem, verstrubbeltem Haar und den blausten Augen weit und breit. Augen in denen man sich verlieren konnte, die einen fesselten und nicht mehr losließen, vor allem, wenn man in den Besitzer verliebt war! Und wie gesagt, sehr schüchtern war er. Wochenlang hatten sie sich auf dem Schulhof kurze intensive Blicke zugeworfen um gleich darauf peinlich berührt wieder wegzuschauen. Teenager-Liebe halt eben, mit Scharen von Schmetterlingen im Bauch, mit rund um die Uhr Tag-und-Nacht-Träumen, mit Freundinnengetuschel und -gekicher, hin- und hergerissen zwischen Grübeln, wie oder was man mit ihm reden könnte und der Hoffnung, ihn überhaupt irgendwo zu sehen, um bei Erfüllung doch wieder schweigend aneinander vorbeizugehen. Irgendwann war es dann doch passiert, sie waren auf der gleichen Silvesterparty, die in jenem Alter noch um 19 Uhr anfing und um 00.30 Uhr mit dem Abholen der Teilnehmer durch ihre Eltern endete. Den ganzen Abend schlichen sie umeinander herum, jeder war sich immer bewusst, wo der andere sich gerade aufhielt und irgendwann standen sie nebeneinander, in einer schummrigen Ecke, sahen sich an, versuchten ein Gespräch, das nicht richtig in Gang kam, schwiegen verlegen, versuchten es wieder, resignierten schließlich kommunikationstechnisch und küssten sich einfach. Es war Esmés erster Kuss und er fühlte sich einfach großartig an, so großartig, dass sie gar nicht mehr aufhören konnte (und wollte). Und so küssten sie sich eine gute Stunde zart und wild und tastend und leidenschaftlich bis die Party zu Ende war, wobei sie den eigentlichen Jahreswechsel gerne verpassten.

Und so schön dieser Anfang der ersten großen Liebe auch war, sie endete ebenso abrupt wie sie begonnen hatte. Denn wieder auf dem Schulhof angekommen, war die Schüchternheit erneut übermächtig, keiner traute sich, den anderen anzuschauen, geschweige denn, anzusprechen. Irgendwann war Jan einfach verschwunden und Esmé erfuhr von Freunden, dass er mit seinen Eltern weggezogen war. Sie wusste nicht mal wohin.

Und da stand plötzlich sein Name auf facebook, 17 Jahre später, ohne Nachricht, nur mit einer Freundschaftsanfrage. Sie hatte ihn längst vergessen in ihrem weiteren Leben, sie waren jetzt mehr als doppelt so alt. Sie bestätigte ihn als Freund und wartete gespannt, ob er ihr etwas schreiben würde, was er nicht tat. Nach einer Woche Nicht-Kommunikation schickte sie ihm schließlich eine Nachricht:

Wie? Einfach nur eine Freundschaftsanfrage und das war’s jetzt? Du hättest wenigstens mal ein gescheites Bild von dir laden können, ich war echt gespannt, ob ich dich wiedererkannt hätte!

Grüße Esmé.

Zwei Tage später kam die Antwort:

Hallo Esmé.

Wie geht es dir? Wenn du mir deine E-Mail-Adresse gibst, schicke ich dir ein aktuelles Foto zwecks Vorher-Nachher-Abgleich, aber ich warne dich, ich bin mindestens fünfzehn Jahre älter geworden!

LG Jan.

Nachdem die aktuellen Grundlebensumstände geklärt waren, schrieben sie sich in den nächsten Wochen ab und an kleine, eigentlich meist nichtssagende Botschaften, die aber durch einen unerklärlichen Reiz, der ihnen anhaftete, nicht enden wollten. Als Esmé die belanglosen Nichtigkeiten mal ausgingen, schrieb sie:

Würdest du mich NOCH MAL küssen?

LG

Esmé

Und als sie die Mail abgeschickt hatte, überfiel sie eine nervöse Unsicherheit, die durch die zwei Tage Wartezeit auf die Antwort nicht unbedingt gemindert wurde. Im Wechsel dachte sie: Mein Gott, mache ich da gerade tatsächlich einen verheirateten Mann an, den ich eigentlich gar nicht kenne? Und: Na und, er kann ja einfach NEIN sagen. Dann wieder: Oh je, und wenn er NEIN sagt?? Oder: Oh je, und wenn er JA sagt?? Aber diese Überlegungen ließen sie auch schmunzeln, sie hatten so etwas Leichtes, Unbekümmertes, das ihr ein Stückchen Lebensgefühl aus Teenietagen zurückbrachte. Und zwei, drei Schmetterlinge lebten erstaunlicherweise auch noch. Diese Leichtigkeit konnte sie in ihrer derzeit wenig fröhlichen Situation wirklich gut gebrauchen. Als er mit:

Re:

Ich kann es kaum erwarten! Wann?

LG Jan antwortete, fühlte sie sich richtig gut, seit langem unbeschwert und abgelenkt von der Ernsthaftigkeit der Realität um sie herum. In ihrem Innern hatte sich ab sofort ein Lächeln manifestiert. Aber wollte sie das wirklich? Eine Affäre mit einem verheirateten Familienvater? Aber es musste ja keine werden, vielleicht wurde es einfach nur ein Kuss, an den sie sich dann immer gerne erinnern würde. Was hatte sie zu verlieren? O.K., vielleicht ihr Herz. Aber wie sollte sie das jetzt noch aufhalten? Indem sie zurück in den anstrengenden grauen Alltagstrott flüchtete? Nein, danke. Dann lieber Risiko. Das Leben war plötzlich so spannend!

So ließ sie es also zu, sie ließ es unglaublich gerne zu. Der folgende elektronische Briefwechsel zog sich über mehrere Tage und Esmé schaute immer gespannter, entzückter und ungeduldiger in ihr Postfach.

Du willst mich tatsächlich küssen? So richtig? Nicht in der Erinnerung, sondern in der nahen realen Zukunft? Wirklich?

LG

Esmé

Und am liebsten hätte sie noch hinzugefügt: Und was sagt deine Frau dazu? Was sie sich aber verkniff, da sie fürchtete, damit die Atmosphäre zwischen ihnen zu zerstören, die eindeutig auf einer seicht dahin schwingenden, sehr ähnlichen Wellenlänge basierte.

Re:

Live und in Farbe. Ja, will ich! Und du?

LG

Jan

Re:

Weißt du, du warst meine erste große Liebe und du wirst für mich immer etwas Besonderes sein. Also, ja, ich denke, ich hätte gerne ein Update. Kannst du dich noch an unseren ersten Kuss (oder ich sollte wohl den Plural verwenden, denn die Gesamtzeit schätze ich auf etwa eine Stunde) erinnern?

Re:

Türlich. Und du? Und vielen Dank für deine offenen und schönen Worte. Ich fühle mich geehrt.

Re:

Na ja, es ist lange her und eigentlich weiß ich nur noch, dass du der erste warst, der mich geküsst hat und dass ich es schön fand. Nummer wie viel war ich?

Re:

Weiß ich nicht mehr.

Re:

Komm’ schon, du weißt doch wohl noch, wen du als erstes geküsst hast!

Re:

Also den ersten Kuss hatte ich beim Flaschendrehen und den zweiten auf einer Sommer-Grill-Party im Freien.

Re:

So, so, dann war ich also nur Nummer drei??

Re:

Ich musste doch üben für dich.

Re:

O.K. Das lass’ ich mal gelten. Weil du’s bist.

Und wie stellst du dir unser Kuss-Update vor? Und stellst du es dir wirklich vor? Du weißt doch gar nicht, wie ich jetzt aussehe.

Re:

Keine Ahnung! Du warst damals bildhübsch und deinem Profilbild nach zu urteilen, hast du dich ganz gut gehalten.

Re:

Oh, herzlichen Dank, das ist wirklich großzügig von dir.

Re:

Gerne.

Re:

Und wo soll das Ereignis stattfinden, große, uralte Liebe?

Re:

Keine Ahnung, am besten irgendwo, wo uns keiner kennt.

Re:

Kannst du denn noch so gut küssen?

Re:

Keine Ahnung, aber das wirst du nur erfahren, wenn du es ausprobierst!

So verabredeten sie sich also tatsächlich zum Küssen. Es war ein skurriles Treffen, schon im Vorfeld. Denn es musste per Mail der passende Ort gefunden werden und die passende Zeit (und für Jan die passende Ausrede, worüber er natürlich Stillschweigen bewahrte). Er arbeitete als „Software-Designer“ für eine große Firma namens Esmax, die vorwiegend Drucker herstellt, was nichts anderes war als Programmierer mit wohl klingendem Namen. In dem riesigen Firmensitzgebäude in Trier hatte er ein kleines Büro, in dem er normalerweise an der Software bastelte, musste aber immer wieder vor Ort in den über ganz Deutschland verteilten Tochterfirmen Projekte leiten. Jeden Mittwoch hatte er Home-Office-Day, war also in der Stadt und praktischerweise war mittwochs Esmés Ausgehtag, an dem ihre Nachbarin Brigitte ihr einen freien Abend ermöglichte, ohne dass sie sich um ihre Eltern sorgen musste. Da Jan sich unter keinen Umständen so richtig öffentlich mit ihr treffen wollte, einigten sie sich auf einen der Friedhöfe. Er war nicht so ganz zentral gelegen und sie hatten Kerzenlicht – als romantische Grundlage sozusagen.

Sie konnte den Friedhof in circa 20 Minuten zu Fuß erreichen. Die Bewegung tat ihr gut, denn ihre Nervosität stieg merklich und den ganzen Tag schon kontinuierlich. Aber sie genoss die Aufregung und sie spürte das intensive Leben in sich auf dem Weg zu den Toten. Es war ein kühler Tag und die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Würde sie ihn gleich erkennen? Na ja, so viele Männer im besten Alter würden wohl um diese Zeit nicht auf dem Friedhof rumlungern. Wie sollte sie ihn begrüßen? War das richtig, was sie da machte? Natürlich nicht! Das wurde ihr immer bewusster und es reizte sie umso mehr. Kneifen konnte sie jetzt nicht mehr, das wäre feige. Und wie gesagt, was hatte sie zu verlieren? An diesem Tag war ihr das Schreiben aus Nervositätsgründen nicht wirklich leicht von der Hand gegangen. Ihr Vater hatte am Morgen einen Aggressivitäts-Anfall, weil er seine Tochter kurzzeitig nicht mehr erkannte, und ihre Mutter hatte am Nachmittag ihr Gebiss in der ganzen Wohnung gesucht, weil sie es vorher im Nähkästchen verstaut hatte. Nach diesen zusätzlichen kleinen Widrigkeiten des Alltags, blieb ihr doch noch ein wenig Zeit, sich dategerecht zu stylen, was bei ihr aus Duschen, der sorgfältigen Kleiderwahl, die immer mindestens einen Stilbruch aufweisen musste, damit sie sich ein bisschen außergewöhnlicher fühlte, und aus leichter Schminke bestand. Sie schaute sich im Spiegel an und war mit dem Ergebnis ganz zufrieden. Sie mochte ihr Gesicht und auch ihren Körper, nur ihre Beine nicht so richtig. Jetzt nahm die Aufregung langsam richtig Besitz von ihr. Eine angenehme Aufregung, die sie lange nicht verspürt hatte, eine Mischung aus nervöser Vorfreude und freudiger Erregung. Sie kam sich fast ein bisschen verrucht vor angesichts des bevorstehenden Treffens mit einem vergebenen Familienvater, den sie zum letzten Mal gesehen hatte als er vierzehn war, mit dem sie eigentlich noch nie so wirklich gesprochen hatte und das auch noch zum Zwecke des Küssens, was ja erklärtes Ziel der Zusammenkunft war. Sie war sogar ein bisschen zu früh dran, Cornelia war noch nicht da. Deshalb setzte sie sich noch einen Moment zu ihren Eltern.

„Meine Schöne, wo gehst du denn hin?“

Und wieder einmal überlegte Esmeralda, ob ihre Mutter die Realität vielleicht doch noch begreifen konnte. Nur zur Probe antwortete sie:

„Ich treffe mich mit einem verheirateten Mann um zu testen, ob er noch so gut küsst wie früher.“

„Das ist gut, meine Schöne. Manchmal muss man etwas riskieren, denn wir bereuen meistens nur, was wir nicht getan haben.“

Und da war es wieder, das Gefühl, dass nicht alles an ihr vorbeiging, wenngleich sie auch direkt danach wieder ins Leere starrte.

Als Esmé den steinernen Torbogen des Friedhofeingangs passiert hatte, sah sie ihn sofort. Er stand zwar noch in recht großer Entfernung zu ihr, aber die Auswahl an (von weitem jedenfalls) attraktiven Männern im richtigen Alter, die lässig mit einem Fuß und dem Rücken an einer Sandsteinmauer lehnten, war zum Glück sehr begrenzt, genauer gesagt, war er der einzige Mensch überhaupt, den sie auf dem Gelände ausmachen konnte. Mit einer Mischung aus freundlicher Zurückhaltung und verwegener Abenteuerlust ging sie langsam auf ihn zu, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt und schenkte ihm ihr reizvollstes Lächeln. Er begrüßte sie ebenfalls mit einem breiten, leicht angespannten Lächeln:

„Gut siehst du aus. Hallo Esmeralda.“

„Hallo Jan.”

Sie streckte ihm die Hand zur Begrüßung entgegen, die er nicht nahm. Er fasste sie leicht mit beiden Händen an den Oberarmen und zog sie kurz an sich, um sie flüchtig auf beide Wangen zu küssen, die übliche Begrüßung unter guten Bekannten. Danach ließ er sie los, sie brachte ein bisschen Distanz zwischen sich und ihn und lehnte sich neben ihm seitlich mit der Schulter ebenfalls an die Steinmauer. Mit einem aufmunternden Blick in seine Augen fragte sie ihn grinsend:

„Und? Wie ist es dir so ergangen die ganzen Jahre? Ohne mich?“

Sein Blick bestätigte ihr, dass seine Augen nichts von ihrer Faszination verloren hatten. Überhaupt war sie sehr angetan von seiner Erscheinung, sein Gesicht war natürlich mit ihm älter geworden, aber kein bisschen unattraktiver. Er war noch immer sehr schlank, etwa einen Kopf größer als sie und trug eine modisch sportliche Jeans, darunter ausgefallene, aber dennoch schlichte Lederschuhe, ein sehr buntes T-Shirt mit dunkelblauer, lässiger Stoffweste darüber. Seine dunklen Haare trug er recht kurz und sein Mund war zum Niederknien. Diese vollen Lippen mit strahlend weißen Zähnen dahinter musste man einfach küssen wollen. Und jetzt war sie sich sicher – sie wollte!

„Es war natürlich stinklangweilig ohne dich. Zum Glück bist du ja jetzt wieder da. Und selbst?“ grinste er zurück.

„Ach, ich bin ganz gut klargekommen.“

Nach einer etwas peinlichen Pause fragte er: „Rauchst du?“

„Nein.“

„Aber ich. Ich kann es einfach nicht lassen. Stört es dich?“

Sie antwortete: „Im Moment nicht, aber frag’ mich gerne nach dem Küssen noch mal.“

Und sie dachte: Ist mir scheißegal, Hauptsache, du küsst mich, bitte, küss’ mich doch endlich!

Die Atmosphäre war extrem gespannt. Er zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den ersten Zug tief. Die Sonne war jetzt fast untergegangen und hüllte den Friedhof mit seinen vielen großen Bäumen in ein schönes, langsam verschwindendes Licht, so dass allmählich die zahlreichen kleinen, brennenden Kerzen auf den Gräbern zur Geltung kamen. Es hatte überhaupt nichts Unheimliches und war tatsächlich romantisch, was wohl mehr an Esmés innerer Einstellung lag als an der Kulisse. Das Gespräch kam nicht wirklich in Gang und nachdem sie sich scheinbar wortlos einigten, dass sie irgendwie kommunikationstechnisch circa siebzehn Jahre in die Vergangenheit gebeamt worden waren, ließ Jan seine Zigarette fallen, nahm Esmés Hand und zog sie ganz nah zu sich. Und sie küssten sich, küssten sich zart und leidenschaftlich und lange. In einer kurzen Pause sah er sie an und murmelte leise:

„Sag was...“

„Ich bin doch nicht zum Reden hier...“ hauchte sie zurück und küsste ihn wieder.

„Ich kann nicht lange bleiben, Esmé...“

„Dann hör’ erst recht nicht auf...“

Und sie küssten weiter, als wollten sie alle verpasstenJahre auf einmal nachholen. Als eine gute Stunde vergangen war, schob Jan Esmé widerwillig und sanft, aber dennoch bestimmt von sich weg.

„Lass’ uns gehen“ sagte er in die Dunkelheit.

Und so gingen sie stumm und irgendwie glücklich und Hand in Hand durch den steinernen Torbogen zurück auf die Straße, wo sie sich kurz gegenüber standen. Dort verabschiedete er sich mit einem leisen, gelächelten:

„Schöne Träume.“

Und mit „Wünsche ich dir auch“ ging Esmé in die eine, Jan in die andere Richtung.

Eigentlich schwebte sie eher. Und in Gedanken küsste sie einfach weiter. Da es noch recht früh war, kehrte sie auf dem Nachhauseweg noch alleine in die neue In-Cocktailbar ein, das hatte sie noch nie gemacht. Aber sie wollte ihr Hochgefühl noch ein bisschen auskosten, bevor sie wieder in die vier Alltagswände zurückkehrte. Auf dem Weg zur Theke über das dunkle Holzparkett betrachtete sie die anderen Gäste, die alle mindestens zu zweit auf den mit weinrotem Leder bezogenen hohen Bänken und Stühlen saßen und sich größtenteils angeregt unterhielten. Auf den dunklen Holztischen leuchteten Cocktails in allen erdenklichen Farben, die sich in den vielen großen Spiegeln ringsum wiederfanden. Sie bestellte sich einen Caipirinha und lächelte über sich selbst als sie bemerkte, dass sie alle Leute um sich herum schön fand, gut angezogen und sympathisch. Und in einer Ecke saß ein Mann, der Jan glich und sie kurz anlächelte. Dazu lief die passende elektronische Chill-Out-Musik, eine Art hippe Fahrstuhlakustik, bei der man gerne auf einer Terrasse am Meer im warmen Sonnenuntergang mit kühler Brise sitzen würde. Esmeralda träumte sich beim Austrinken in ihre neue Verliebtheit. Ja, sie war verliebt.

Kapitel 02

Am nächsten Morgen konnte sie es kaum erwarten, ihre Mailbox zu öffnen. Direkt nach dem Aufstehen fuhr sie ihren Computer hoch und sah nach. Aber leider erwarteten sie nur lästige Werbemails. Also schrieb sie an Jan:

Guten Morgen, Herr Printz. Schön geträumt?

LG Esmé

P.S.: Du kannst es noch!

Nachdem sie selbst und ihre Eltern angezogen waren und gefrühstückt hatten, zwang sie sich zum Arbeiten, wobei sie immer wieder den Empfangsbutton drückte, so als könne sie seine Antwort damit beschleunigen.

Jeden Mittag, während Esmeralda ein paar Brote schmierte, nahm sie sich ein bis zwei Stunden Zeit, die sie bewusst mit ihren Eltern verbrachte. Sie erzählte ihnen, was sie bewegte und was in der Welt vor sich ging. Manchmal kam etwas davon an, meistens nicht. Aber sie merkte, dass es ihnen gut tat, wenn sie sich mit ihnen unterhielt, auch wenn es meist Monologe waren oder die Antworten nicht immer passend schienen. Ihre Mutter hatte es geliebt, ihr die Lebensweisheiten mittels Sprüchen beizubringen, die sie in jungen und bewussten Jahren zum Weinen und zum Lachen gebracht hatten, aber vor allem dazu, sich Gedanken über das Leben zu machen und zwar meist positive. Sie hatte ihr auch immer vorgelebt, allem mit einer eher humorvollen Grundsicht zu begegnen. Ihr Vater hatte sich oft lustig gemacht über die Weisheiten, meist mit zynischen, aber doch irgendwie sympathischen Bemerkungen. Jetzt waren die Sprüche der beiden das einzige, was übrig geblieben war, was Esmeralda zuweilen tröstete und gelegentlich zum Verzweifeln brachte, weil sie ohne die Persönlichkeit ihrer Eltern so herrenlos in der Luft herum hingen. Manchmal gab es kurze Momente, in denen sie glaubte, ihre Eltern könnten sie verstehen. Das gab ihr Mut, weiterzumachen, obwohl alle ihre Freunde, die sie nur noch sehr selten sah und die deswegen eher zu Bekannten geworden waren, immer wieder auf sie einredeten, sie solle sich um sich selbst kümmern und ihre Eltern in einem Heim betreuen lassen. Immer wieder war sie kurz davor, sich solche Betreuungsstätten anzuschauen, im Internet recherchiert hatte sie schon. Immer, wenn wieder etwas passiert war, so etwas wie vor vier Wochen, als ihr Vater auf die Straße gegangen war, weil sie vergessen hatte, die Wohnungstür zu verriegeln.

Als sie gemerkt hatte, dass er nicht mehr da war, war sie nach draußen gestürzt und hatte das ganze Viertel durchgekämmt , ohne Erfolg. Was, wenn er überfahren würde? Wenn er sich irgendwo verschanzt, wo ihn keiner findet und erfriert? Sie telefonierte die Polizeistationen ab und musste unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren. Am späten Abend wurde er von einer Polizeistreife gebracht, die ihn auf einer Parkbank aufgegriffen hatte, als er die Tauben als Flugratten beschimpfte. Esmé war erleichtert und gleichzeitig verärgert, so wie bei einem Kind, das weggelaufen war und das man gleichzeitig an sich drücken und ausschimpfen möchte.

Ihre Eltern lebten meistens stumm vor sich hin, ab und an kam ein kleiner Lichtblick zum Vorschein, der aber fast immer aus der Vergangenheit stammte. Und sie lebten in ihrer abgeschlossenen kleinen Welt, aber immerhin lebten sie zusammen dort, auch wenn sie ihre Tochter und sich gegenseitig nicht immer erkannten. Zeitweise stritten sie miteinander, dann wieder saßen sie Hand in Hand am Fenster und schauten selig zusammen in die Wolken.

An diesem Mittag, Tag eins nach dem Kussdate, erzählte sie ihren Eltern beim Brote schmieren, dass das Küssen einfach klasse war. Sie konnte mit ihnen frei heraus reden, da sie weder Moralpredigten noch ernsthafte Einwände zu befürchten hatte. Und ihre Mutter setzte, wie so oft, das Stichwort direkt um:

„Mark Twain hat mal gesagt: Ein Kuss ist eine Sache, für die man beide Hände braucht.“

Und ja, das konnte Esmé bestätigen. Wenn sie daran dachte, wurde aus den zwei, drei einsamen Schmetterlingen ein beachtlicher Schwarm. Und mit einem wohligen Seufzer fügte sie hinzu:

„Ich fürchte, ich bin verliebt.“

Was ihren Vater zu dem Einsatz verleitete:

„Die Liebe ist der Triumph der Einbildungskraft über die Intelligenz. Hat Henry Louis Mencken gesagt.“

Auch wenn er sich immer darüber lustig gemacht hatte, dass seine Frau für jede Gelegenheit den passenden Spruch parat hatte, so verrieten seine Antworten und Kommentare doch, dass auch er die meisten der Zitatbände gelesen haben musste, die noch immer die Riesenschrankwand in ihrem Schlafzimmer füllten.

Erst am späten Nachmittag kam die Antwort:

Re:

Hallo Esmé.

Bin zur Zeit ziemlich gestresst. Muss für ein paar Tage nach München, um ein neues Projekt zu betreuen.

Ich wünsche dir eine schöne Woche.

LG

Jan

Nichts vom Küssen? Kein Wort zu ihrem Treffen, das sie selbst so beeindruckt hatte?

Nachdem sie nicht fassen konnte, dass Jan ihr nach dem Kussdate zwar immer noch mailte, aber so, als sei nichts gewesen, schrieb sie ihm ihre Gedanken und Gefühle, die einfach zu sehr nach außen drängten, als dass sie sie hätte für sich behalten können:

Lieber Jan.

Auch wenn du so tust, als seist du nicht dabei gewesen: Du kannst es also noch, das Küssen. Also entweder, du hast in der Zwischenzeit weitergeübt oder du bist ein Naturtalent. Es war schön, dich wiederzusehen und natürlich auch, dich wiederzuküssen. Schon vor dem Küssen, wusste ich nicht, wo meine Gefühle für dich herkamen, wahrscheinlich übrig geblieben aus der unerfüllten ersten großen Liebe. Und schon vorher habe ich seit deiner Freundschaftsanfrage sehr oft und sehr gerne an dich gedacht und jetzt – nach dem Küssen – ist es auch nicht besser geworden. Und es könnte sein, dass ich immer wieder von dir geküsst werden möchte.

Viel Erfolg in München.

LG

Esmé

Die nächsten Tage vergingen im Schneckentempo, keine einzige Nachricht von Jan. Und auch wenn das Verliebtheitsgefühl unvermindert anhielt, mischten sich Zweifel dazu. Je länger er sich nicht meldete, desto mehr wurde Esmé bewusst, dass er vergeben war. Er hatte eine Frau und zwei Kinder, mehr wusste sie nicht darüber. Aber das reichte ja eigentlich auch. Es befiel sie sogar ein schlechtes Gewissen gegenüber seinen Kindern und seiner Frau. Aber warum soll ich mir Gedanken darüber machen, dass ihr Mann nicht SIE küsst, sondern MICH? Aber er küsst SIE ja wahrscheinlich auch... Dieser Gedanke war ihr höchst unangenehm. Und auch die, die folgten, waren nicht besser, weil sie von einer Bilderbuchfamilie handelten, die seine Frau hatte und Esmeralda nicht – und das auch noch mit ihm.

Na ja, was hab’ ich eigentlich erwartet? Aber die Schmetterlinge wollten sich einfach nicht verziehen.

Nach vier Tagen war endlich wieder eine Mail von ihm im Postfach:

Re:

Liebe Esmeralda, deine Gefühle ehren mich. Klingt sehr spannend und aufregend und erotisch... Hast du vor meiner Anfrage eigentlich auch ab und zu an mich gedacht?

LG

Jan

Fassungslos liest sie die Mail ein zweites und ein drittes Mal. Das glaub’ ich jetzt einfach nicht! Tut, als sei nichts gewesen und bringt die Erotik ins Spiel! Sie überlegte, wieso sie eigentlich das Gefühl hatte, ihn zu kennen, warum sie ein solches Vertrauen zu ihm hatte. Er war für sie ein völlig fremder Mann! Aber halt ein extrem anziehendes Exemplar. Sie schrieb zurück:

Re:

Lieber Jan, es IST auch spannend und aufregend und sehr RO-MAN-TISCH!... Dass es auch erotisch ist, würde ich natürlich niemals zugeben!

Und nein, davor warst du in den Tiefen meines Hirns begraben und hättest du nicht angefragt, wärst du dort wohl auch geblieben. Du etwa?