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„Ich habe nichts zu widerrufen, da es nichts zu widerrufen gibt.“ Europa im 16. Jahrhundert: Die Welt ist im Umbruch, in einem italienischen Kloster genauso wie im Pariser Louvre und am Hof Elisabeth I. von England. Wenn jedes Wort, das die Lehren der Kirche in Frage stellt, ein Todesurteil bedeuten kann, ist es besser zu schweigen. Giordano Bruno aber – Priester und Dichter, Philosoph und Astronom – ist von seinen Erkenntnissen so überzeugt, dass er sich nicht den Mund verbieten lässt. Mutig disputiert er im Vatikan und an Fürstenhöfen, findet Freunde, Bewunderer – und erbitterte Gegner … „Eine spannende Geschichte vor realem Hintergrund – ein Buch, das man nicht zur Seite legt, bis man es ausgelesen hat.“ Guido Knopp Jetzt als eBook: „Nacht des Ketzers“ von Andreas Weinek. dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 366
Über dieses Buch:
Europa im 16. Jahrhundert: Die Welt ist im Umbruch, in einem italienischen Kloster genauso wie im Pariser Louvre und am Hof Elisabeths I. von England. Wenn jedes Wort, das die Lehren der Kirche in Frage stellt, ein Todesurteil bedeuten kann, ist es besser zu schweigen. Giordano Bruno aber – Priester und Dichter, Philosoph und Astronom – ist von seinen Erkenntnissen so überzeugt, dass er sich nicht den Mund verbieten lässt. Mutig disputiert er im Vatikan und an Fürstenhöfen, findet Freunde, Bewunderer – und erbitterte Gegner …
„Eine spannende Geschichte vor realem Hintergrund – ein Buch, das man nicht zur Seite legt, bis man es ausgelesen hat.“
Guido Knopp
Über den Autor:
Andreas Weinek wurde 1962 geboren und wuchs in Eisenerz auf. Er studierte Jura in Linz und Wien, bevor er für die BMG Ariola arbeitete und dort unter anderem für Künstler wie Snap, Leningrad Cowboys und Udo Jürgens zuständig war. Heute ist Andreas Weinek – nach Stationen bei Universal Studio Networks und Fox – Geschäftsführer beim TV-Sender HISTORY und lebt mit seiner Familie in München. Er veröffentlichte bereits ein Reisebuch sowie Artikel in der Süddeutschen Zeitung, dem Diners Club Magazin und in PM Biography. Nacht des Ketzers ist sein erster historischer Roman, dem bald ein zweiter folgen wird.
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Originalausgabe September 2012
Copyright © 2012 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Oliver Hoffmann
Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München
Titelbildabbildung: © Sergiy Tryapitsyn – iStockfoto.com
ISBN 978-3-943835-58-8
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Epilog und Dank
Quellen der Inspiration
Flieh, Giordano, flieh!
Unruhig warf sich Giordano Bruno auf seinem harten Strohsack hin und her. Es war eine schwüle Nacht, und Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.
Giordano, Giordano, flieh!
Waren es die Stimmen seiner Mitbrüder? Träumte er? Filippo Bruno, der sich seit seinem Eintritt ins Dominikanerkloster San Domenico Maggiore Giordano nannte, erwachte aus einem unruhigen Schlaf. Ein paar Insekten kitzelten ihn im Gesicht, und das Schnarchen seiner Mitbrüder im Dormitorium ließ den Gedanken an ein Weiterschlafen nicht mehr zu. Wie spät mochte es sein? Giordano ahnte, ja wusste, dass man in Rom seinen Reden nicht mehr lange tatenlos zusehen würde. Zwischen den schweren Holzbalken vor den Fenstern bahnte sich das Licht des Mondes mühsam seinen Weg. Er lauschte: Die anderen Mönche schliefen ruhig. Sollen sie doch, diese Narren, dumme Schafe, die nur glaubten, was Rom ihnen vorkaute. Dummes Geschwätz. Heilige, die Jungfrau Maria, alles Hirngespinste, Narreteien. Er, Giordano, wusste es besser. Keine Ahnung hatten sie. Leise richtete er sich auf. Seine Habseligkeiten lagen in einem Stoffbeutel neben seiner Bettstatt. Die Kutte aus weißem Leinen und das Skapulier packte er dazu.
Flieh, Giordano, flieh!
Immer noch hallte der Warnruf in seinen Ohren. Auf leisen Sohlen schlich er über den knarzenden Holzboden des Dormitoriums, wohl ahnend, dass ihm mehrere Augenpaare heimlich folgten. Was waren sie doch für jämmerliche Wichte. Keine Ahnung hatten sie und keine Gedanken machten sie sich wie er, der nun bereit war, sein Wissen in die Welt hinauszutragen. Allesamt waren sie arme Schlucker, stammten aus den ländlichen Regionen rund um Neapel. Giordanos Vater, ein Soldat, hatte es immerhin zu einem bescheidenen, kleinen Bauernhof vor den Toren der Stadt Nola gebracht, wo er Wein anbaute. Aber auch das hätte letztlich nicht gereicht, um dem Sohn ein Studium zu ermöglichen, und nichts Geringeres war sein Ziel, zu nichts weniger fühlte sich sein Geist berufen. Universelle Studien aller Wissenschaften. Besonders die Naturwissenschaften und ganz speziell Astronomie und Astrologie hatten es ihm angetan. Schon früh hatte er die mystischen Deutungen mancher Gelehrter als Firlefanz abgetan. Nur das Reale, das Erfassbare, das Beweisbare waren für ihn ernsthaft Gegenstand seiner Überlegungen. Nur damit wollte er sich auseinandersetzen. Alles andere: Humbug, Vergeudung seines hellen Verstandes. Nicht wert, eine Sekunde darüber nachzudenken. Ja, schlaft nur, ihr Nichtsnutze, schlaft und träumt von all den Heiligen, die ihr in wenigen Stunden, noch vor Anbruch des Tages, wieder inbrünstig anbeten werdet, und dankt den Dominikanern, dass sie euch aufgenommen haben. Nur so bekommt ihr die Möglichkeit, eurem dumpfen Bauerndasein zu entfliehen. Nur so erhaltet ihr überhaupt die Chance, euren hohlen Köpfen Wissen zuzuführen, von dem ihr bis vor kurzem noch nicht mal ahntet, dass es überhaupt existiert – und dennoch werdet ihr es nicht nutzen, dieses Wissen, weil die Kirche es euch untersagt. Ihr werdet den Geist der griechischen Philosophen nicht spüren, weil Rom ihn zum Ungeist erklärt hat. Ihr werdet euer bescheidenes Wissen nicht vermehren können, ergänzen durch wunderbare Gedanken großer Menschen, und schon gar nicht werdet ihr eure eigenen Gedanken formen und entwickeln.
Giordano wusste, dass er sich nicht zu beeilen brauchte, sie würden ihm nicht folgen, ihn gar gefangen halten, bis ihn Soldaten aus Rom holen und der heiligen Inquisition übergeben würden. Froh würden sie sein, wenn er fort war, wieder ruhiger und gemächlicher Trott Einzug hielt und keine ketzerischen Reden ihr besinnliches Dasein störten. In seinem Beutel hatte er neben seinem Ordensgewand etwas Brot, getrocknete Früchte, ein paar Nüsse und ein Stück Käse und in seinem Kopf den Gedanken, bald ein freier Mann zu sein, der die Welt durch sein Wissen und seinen Verstand bereichern würde.
Als Erstes würde er nach Nola gehen, zum Haus seiner Eltern, und sich dort so lange aufhalten, bis sich die Aufregung um ihn wieder gelegt hatte. Er selbst war es ja gewesen, der die Kirchenoberen so lange provoziert hatte, bis sie ernsthaft in Erwägung gezogen hatten, ein Inquisitionsverfahren gegen ihn einzuleiten. Es begann damit, dass er sich geweigert hatte, der im Kloster zelebrierten Marienverehrung beizuwohnen, hatte sich über seine Mitbrüder lustig gemacht, wenn sie von ihren persönlichen Begegnungen mit Gott berichteten. Er hielt die Dreieinigkeit Gottes für dummes Geschwätz, hatte laut Missstände, Verlogenheit und Heuchelei hinter Klostermauern angeprangert. Seine Mitbrüder beruhigten ihn und versuchten ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen, aber das stachelte Giordano nur noch mehr an. Im hinteren, nicht einsehbaren Teil des Klosters versammelte er die wenigen Wissbegierigen unter den Mönchen und berichtete ihnen von Aristoteles und Platon, von Averroes, Ovid und Lukrez und erzählte ihnen von den wunderbaren Entdeckungen des Nikolaus Kopernikus. Immer lauter schrie er, wild gestikulierend, wenn sie ihn verständnislos ansahen. Danach hatte er sich jedes Mal vor dem Prior zu rechtfertigen, zu schwören, seine Mitbrüder nicht aufzuhetzen und das Lesen frevlerischer Schriften zu unterlassen. Doch die Saat der Wissbegierde keimte in ihm. Nicht lassen konnte er von den alten Schriften, nicht einsehen wollte er, dass das ganze Weltall nur geschaffen wäre, um sich rund um die Erde zu drehen, die als Mittelpunkt aller Schöpfung galt. Was, wenn das Weltall unendlich wäre? Gäbe es dann keinen Anfang und kein Ende? Was aber, wenn nicht, was käme nach dem Ende? Wozu sollte ein allmächtiger Gott etwas Unendliches schaffen, um es rund um die Erde zu schichten? Wo war der Sinn? Wenn es aber nicht unendlich war, war er dann allmächtig? In seiner Überheblichkeit trieb es ihn persönlich nach Rom, um dort direkt mit dem Papst über seine Erkenntnisse zu disputieren. Doch schon nach kurzer Zeit merkte er, dass man ihn für einen Ketzer hielt und nicht für einen Weisen. Den Papst bekam er nie zu Gesicht, und so entschloss er sich, nachdem er mehrmals schwören musste, der Ketzerei zu entsagen, ins Kloster San Domenico Maggiore zurückzukehren.
Die zwei Bände mit Schriften von Hieronymus und Johannes Chrysostomos mit den verbotenen Fußnoten des berüchtigten Kirchenkritikers Erasmus von Rotterdam, die er im Abtritt des Klosters versteckt gehalten hatte, waren in einer kleinen Kammer neben dem Scriptorium verschlossen, nachdem sie von zwei Mönchen zufällig entdeckt worden waren. Erasmus galt als einer der Wegbereiter der Reformation, der nur allzu gern die Kritik der beiden Kirchenväter aufgenommen hatte, um gegen Missstände in der verweltlichten Kirche anzukämpfen. Zwar hätte Giordano leugnen können, dass er es gewesen war, der die Bücher versteckt hatte, doch dazu war er zu stolz. Erhobenen Hauptes hatte er dem Prior empfohlen, die Bücher doch selbst einmal zu lesen, falls er es nicht ohnedies bereits getan hatte. Giordano kannte den Trick, mit dem man das Schloss der kleinen Kammer mühelos öffnen konnte. Gespannt horchte er in die stille Nacht, ob jemand erwacht war, tastete blind an dem Regal entlang, das sich rechts der Eingangstür befand, und schon nach wenigen Augenblicken erfühlten seine suchenden Finger den Stoff, in den die beiden Bücher eingeschlagen waren. Oft genug hatte er heimlich einen Blick in die Kammer geworfen, um zu erspähen, welche verbotenen Schätze dort lagerten, und so wusste er sich in der Dunkelheit genau zurechtzufinden. Obwohl er kaum zu widerstehen vermochte, mehr als die beiden Bände konnte er beim besten Willen nicht auf seiner Flucht mitnehmen.
Am späten Abend würde er in Nola ankommen. Seine Mutter würde die Hände über den Kopf zusammenschlagen und sich dann über das plötzliche Auftauchen des Sohnes freuen, ihm ein kräftiges Mahl bereiten, während er sich im Zuber hinter dem Haus waschen und danach mit einer von seiner Mutter bereitgestellten Tinktur die wund gelaufenen Füße behandeln würde.
Giordano verließ das Kloster durch einen kleinen Seitenausgang und trat seinen Weg an, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er sah die Sterne über sich, sah in der Ferne den vom Vollmond beschienenen Vesuv, und zwischen den engen Gassen konnte er unscharf das Meer erkennen. Was er nicht sah, war der Schatten, der ihm heimlich folgte.
1. Dezember 1595
„Leugnest du, Bruder Giordano, die Unwahrheit über die Heilige Dreifaltigkeit im Lande verbreitet zu haben?“
Giordano spürte, dass seine Beine ihm gleich wieder den Dienst versagen würden. Drei Tage hatte er keine Nahrung mehr bekommen. Das Wasser, das sie ihm einmal am Tag in einem Napf in seine dunkle Zelle schoben, schmeckte abscheulich, und er wusste, dass sich auch seine Zellenmitbewohner, die Ratten, daran gütlich taten, sobald er schlief oder eine Ohnmacht ihn übermannte. Nein, er wollte nicht aufgeben, sich nicht beugen vor der Inquisition. Über sechs Jahre waren nun vergangen, seit sie ihn aus den Bleikammern des Dogenpalastes in Venedig hierher in die Engelsburg nach Rom gebracht hatten. Bis zur letzten Minute hätte sich ihm die Möglichkeit der Flucht geboten, doch das wäre nicht nur eine Flucht vor der Inquisition gewesen, sondern auch eine Flucht vor der Wahrheit, und um der Wahrheit willen hätte Giordano noch ganz andere Opfer auf sich genommen. Vielleicht gelang es ihm ja auch, den einen oder anderen hier in diesem stickigen Gewölbe, in dem er nun schon seit Monaten einer Gruppe von Inquisitoren zum Verhör vorgeführt wurde, mit seinen Reden zum Nachdenken zu bewegen, zu überzeugen, in sich zu gehen, umzukehren vom falschen Weg … Giordano wollte etwas sagen, doch Kardinal Bellarmin, der Vorsitzende des Heiligen Offiziums, fiel ihm scharf ins Wort.
„Du leugnest also weiterhin die Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist?“
Giordano spürte, dass er den hohen Geistlichen zum Äußersten trieb. Es war ihm egal. Was bedeutete das schon? Ein mittelmäßiger Diskurs brachte sie nicht voran. Wenn es irgendeinen Funken Hoffnung gab, Bellarmin von seinen Ansichten zu überzeugen, dann mussten beide ihre Grenzen überschreiten. Giordano hielt Bellarmins festem Blick stand. Versuchte zu ergründen, was der Kardinal in dieser Sekunde dachte. Das Schweigen im Saal wurde immer unerträglicher. Nur das Schnaufen einiger Inquisitoren, hervorgerufen durch die rauchgeschwängerte, stickige Luft, durchbrach die Stille.
***
Dieser verbohrte Narr, wenn er doch nur widerrufen würde. Bellarmin war außer sich. Dieser Mann würde lieber sterben, als seiner Überzeugung abzuschwören. Je länger der Prozess dauerte, desto klarer wurde dies dem Offizium. Die Gesichtszüge des Kardinals hatten sich verdunkelt. Die graublauen Augen, die außerhalb der Kerkermauern meist milde dreinblickten, waren nun eng zusammengekniffen. Ein Beben ging durch die ebenmäßige Nase, wie bei einem Hengst, der kurz davor war loszulaufen.
„Du weigerst dich, die Jungfrau Maria als Mutter Gottes anzuerkennen?“ Es klang mehr wie eine Feststellung denn wie eine Frage. Die Männer sahen einander reihum an, als der Angeklagte darauf nichts erwiderte. Der Rauch der Kerzen verdünnte den Sauerstoff. Giordano fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Er war zu schwach, um zu antworten. Warum wollten sie nicht begreifen, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums war, ja, nicht sein konnte. Kopernikus hatte es doch bewiesen. Landauf, landab war er auf seinen Reisen auf verständige Personen getroffen. Hatte auf Fürstenhöfen mit Gelehrten diskutiert, und man war sich einig, dass Ptolemäus, an dessen Theorien die Kirche immer noch festhielt, mit seinen Ansichten irrte. Giordano drohte in Ohnmacht zu fallen. Zwei Wachen eilten herbei und stützten ihn. Seine ohnedies hagere Gestalt war von der nun ohne Unterbrechung fast acht Jahre andauernden Kerkerhaft ausgezehrt.
„Ich glaube an ein unendliches Universum.“ Schwach kamen die Worte über Giordanos Lippen. „Ich halte es der göttlichen Güte und Macht für unwürdig, wenn sie unzählige Welten erschaffen kann, aber nur eine endlich begrenzte Welt erschafft.“
Bellarmin hob erstaunt und interessiert zugleich die buschigen Augenbrauen.
„Daher habe ich stets behauptet, es existierten unzählige Welten ähnlich dieser Erde, welch Letztere ich mit Pythagoras nur für einen Stern halte, wie die zahllosen Planeten und Gestirne.“ Er hielt erschöpft kurz inne und holte tief Luft. „Alle diese unzähligen Welten machen eine unendliche Gesamtheit aus im unendlichen Raum, und dieser heißt das unendliche All, so dass doppelte Unendlichkeit anzunehmen ist, nach Größe des Universums und nach Zahl der Weltkörper.“ Seine Stimme wurde mit jedem Satz fester. „In diesem unendlichen All sehe ich eine universelle Vorsehung, kraft derer jegliches Ding lebt und sich bewegt und in seiner Vollkommenheit existiert.“ Gebetsmühlenartig hatte er diese Sätze wiederholt. Schon damals in Venedig und erst recht hier in Rom. Während er die ob seiner Dreistigkeit zum Teil ungläubig glotzenden Mitglieder des Offiziums der Reihe nach ansah, machten sich seine Gedanken auf in die Unendlichkeit. Unendlichkeit, das war für ihn zum einen der Sternenhimmel. Unendlichkeit bedeutete aber auch, auf das ruhig daliegende, tiefblaue Meer hinauszublicken und am Horizont keine Unterscheidung mehr zwischen den Elementen Wasser und Luft zu erkennen. Unendlich konnte ein im Spätsommerwind wogendes Kornfeld sein, das mit seiner gelben Farbe zu dieser Jahreszeit die Landschaft seiner Heimat prägte, oder der Monte Cicala und sein ferner Bruder, der Vesuv. Beide riefen in ihm die Sehnsucht nach dem Wissen, was wohl hinter diesen Bergen sein mochte, hervor. Giordano hatte etwas Zeit gewonnen.
„Gott …“
„Du wagst es, den Namen des Allmächtigen in den Mund zu nehmen?“, wurde Giordano jäh erneut unterbrochen.
„Gott ist mächtig und groß und kann viele Welten schaffen.“ Nun ließ er sich nicht mehr beirren. Noch einmal nahm er einen Anlauf. „Ihr gottverdammten, scheinheiligen, dummen Esel!“ Seine Wut war wieder erstarkt, hielt die körperliche Schwäche in Bann. Ein lautes Murren ging durch das Offizium. Die Wachen, die ihn zum Verhör gebracht hatten, machten sich bereit, ihn auf ein Zeichen des Kardinals Bellarmin wieder in seine Kerkerzelle zu bringen.
„Gott ist zu groß, als dass er sich mit dieser einen, kleinen Welt zufriedengeben würde.“ Giordano redete sich langsam in Rage. „Seht ihr Narren denn nicht, dass sich die Gestirne bewegen, dass sie nicht, wie ihr den Menschen glauben macht, am Firmament festgenagelt sind? Nein, ihr wisst es nur zu gut. Ihr seid die wahren Ketzer!“ Seine Stimme überschlug sich förmlich. „Ihr macht Gott klein, um euch zu erhöhen.“ Das Murren in den Reihen der Inquisitoren schwoll zu einem Donnern. Die Stimmung im Offizium näherte sich dem Siedepunkt.
„Euch geht es nur darum, dass ihr den Mittelpunkt der Welt darstellt. Oh, ihr kleingeistigen, egoistischen, biblischen Buchhalter, merkt ihr denn nicht, wie ihr den Großen, den Allmächtigen dadurch verhöhnt?“
Die Inquisitoren starrten gebannt auf den Vorsitzenden. Was würde er tun? Tatsächlich war nun auch Bellarmin der ganzen Situation überdrüssig. Er gab ein Zeichen, und sofort ergriffen die beiden Wachen den Angeklagten, um ihn wieder abzuführen.
„Ihr seid es, die ihr endlich zugeben müsst, was ihr doch längst schon wisst. Ihr seid die wahren Ketzer.“ Das Geschrei des Gefangenen hallte noch durch die steinernen Mauern, als er schon längst die unbehauenen Steinstufen, die zu den Kerkern der Engelsburg führten, hinuntergeschleift wurde. In seiner Zelle angekommen, fiel Giordano sofort in eine tiefe Ohnmacht. Er hörte nicht mehr die unflätigen Witze, die die Wachen über ihn machten, und er hörte nicht das Flehen und Wimmern der Mitgefangenen, die zur Folter abgeholt wurden.
Mitten in der Nacht erwachte er. Es war stockfinster, nur das Rascheln neben ihm im Stroh verriet, dass er seine zwei mal zwei Meter große Zelle diese Nacht wieder mit ein paar Ratten teilte. Die Wachen hatten die Fackeln im Gang vor der Zelle gelöscht. Von weitem war ihr Schnarchen durch die rostigen Gitterstäbe zu hören. Die absolute Finsternis ließ die Gedanken an die Unendlichkeit wieder in ihm wach werden. Doch wohin hatte sie ihn gebracht, die Unendlichkeit? Giordano fühlte Tränen in sich aufsteigen. Er wollte das Gefühl unterdrücken, aber es gelang ihm nicht. Das Salz der Tränen brannte auf seinen rauhen Lippen, doch diesen Schmerz spürte er nicht. Es war ein anderer Schmerz, der in ihm nagte. Er kaute auf seiner Unterlippe, doch die Tränen ließen sich nun nicht mehr aufhalten. Ab und zu war das Rasseln einer Kette zu hören, wenn sich ein Gefangener im Schlaf bewegte. Meist waren es die Neuankömmlinge, die ihr Schicksal nicht akzeptieren wollten, die man fesseln musste. Was hatte er falsch gemacht? Was hatte ihn hierhergebracht? Er wollte doch nichts Böses, wollte der Welt nur die Augen öffnen, wollte ihr die Allmacht Gottes verdeutlichen. Das war seine Frohbotschaft. Nicht das Drohen der Kirche. Nein, frei und glücklich sollten die Menschen sich an den Wundern Gottes in der Natur erfreuen können. Ach, hätte er doch auf den guten Guiseppe gehört. Er hatte ihn vor den Fanatikern gewarnt. Was wohl aus ihm geworden war? Aber er, Giordano, war selbst ein Verbohrter. Einer, der nur noch sich und seinen Drang zu höherer Weisheit und Erkenntnis kannte. Ein eitler Narr war er gewesen. Nicht genug hatte er bekommen können von den Auseinandersetzungen mit den Gelehrten an den Universitäten und an den Fürstenhöfen. Hochmut und Eitelkeit – sie hatten ihn in diesen Kerker gebracht, und nun war alles vorbei. Giordano schluchzte auf. Wem sollte er nun seine Gedanken weitergeben? Wem sein Wissen übermitteln, auf dass es weiter blühe und gedeihe und in die Welt hinausgetragen werde? Vielleicht hätte er doch einen ganz anderen Weg wählen sollen. Seinem Begehren nachgeben, wenn er eine Frau getroffen hatte, die seine Sinne verwirren und sein Herz vor Freude springen lassen konnte. Aber nein. Kein Platz für Gefühle, wo die Wissenschaft regiert. Stolz konnte er nun auf sich sein, dass er so selbstbeherrscht war. Stolz, dass ihn seine hart erlernte Disziplin nun in dieses dreckige Loch gebracht hatte anstatt in ein schönes Haus, wo er seine vielen Kinder die Gedächtniskunst oder das Wissen über das Weltall hätte lehren können. Die Tränen waren versiegt, die Wut über sich selbst war geblieben. Er hatte die Wahl gehabt. Nun hatte er sie nicht mehr.
Giordano wählte den Weg an der Küste entlang, westlich am Vesuv vorbei. Es war schwül, und er begann, schon wenige Schritte nachdem er die kühlenden Klostermauern verlassen hatte, stark zu schwitzen.
Kopernikus … an ihn musste Giordano nun denken, als er den Himmel über sich betrachtete. Kopernikus. Bald schon, war er sich sicher, würde er wieder in den Genuss der Lektüre dieses großartigen Geistes gelangen.
Die schmale Landstraße nahe am Meer versprach Linderung durch einen leichten Seewind. Rasch versuchte er die engen Gassen Neapels zu verlassen, wo es nach Unrat stank und die Katzen mit den Ratten um Fressbares wetteiferten. Der sternenklare Himmel würde ihm den Weg weisen. Eine angenehme Leichtigkeit, die er nicht mehr gespürt hatte, seit er zum Priester geweiht worden war, erfasste ihn. Die Bücher drückten durch den Stoffbeutel gegen seinen Rücken, doch gemahnten sie ihn ständig an die Worte der altehrwürdigen Kirchenväter, die Askese und Abwendung von allem Luxus gepredigt hatten. Der Weg war steinig. Giordano konnte zwischen Eselsdung und Ziegen den Duft wilden Majorans ausmachen. Einzig der kleine Guiseppe würde ihm fehlen. Der Einzige, der seinen Gedanken hatte folgen können, der lange Nächte mit ihm diskutiert hatte. Über die Unendlichkeit, das Universum und Gott. Darum drehte sich doch alles.
Giordano spürte die Unebenheit der Straße. Er war nie länger vor den Klostermauern gewesen, außer um ab und an einer Vorlesung in den Akademien des Telesio oder des della Porta zu lauschen. Das Leben draußen hatte ihn nicht sonderlich interessiert. Eine gute Wegstunde südlich von Neapel kamen ihm aus der Dunkelheit die ersten Menschen entgegen. Bauern auf dem Weg zu den Märkten der Stadt. Ochsengespanne. Schwer bepackte Esel brachten Oliven, Datteln und Öl. Allerlei Federvieh in Holzkäfigen, luftgetrockneter Speck und Wassermelonen, um die Einwohner Neapels zu versorgen. Kleine Kinder schliefen auf den Ochsenkarren, während die schon etwas älteren die Tiere mit Stockhieben antrieben. Die meisten von ihnen liefen barfuß und trugen wadenlange, an vielen Stellen geflickte Hosen, die nur durch ein Stück Seil am Bund festgehalten wurden. In der Dunkelheit konnte Giordano die endlosen Reihen der Olivenbäume, die hin und wieder von kleineren Weingärten unterbrochen waren, nicht sehen. Die Bauern hatten ihre Grundstücke mit niedrigen Steinmauern eingesäumt, wohl auch um der Erde Schutz vor den einmal von der Bergseite, einmal von der Meeresseite kommenden Winden zu bieten.
Giordano versuchte, sich mit einigen Denkübungen die Zeit zu vertreiben. Die letzten Monate hatte er sich intensiv mit den Schriften des katalanischen Philosophen Raimundus Lullus beschäftigt und dabei viel über Logik und Gedächtniskunst, aber auch über Alchemie und Metaphysik gehört, Disziplinen, die ihn magisch anzogen, wohl wissend, dass sie im Kloster nicht wohlgelitten waren. Einige seiner Mitbrüder kamen öfter heimlich zu ihm, und er erzählte ihnen von wundersamen Dingen, über die er in Büchern gelesen hatte, die sie selbst nicht einmal aufzuschlagen wagten. Lullus hatte eine Maschine erfunden, mit der man Wörter kombinieren konnte, um daraus logische Schlüsse ziehen zu können. Die Wörter waren auf Scheiben geschrieben, die durch Drehen der Scheiben neue Kombinationen und logische Zusammenhänge ergaben.
Mühelos gelang es ihm, ein Buch, das er schon vor einiger Zeit gelesen hatte, zu memorieren. Natürlich hatten Aristarch von Samos und der große Kopernikus recht. Nicht das Weltall drehte sich um die Erde, war gleichsam wie eine Zwiebel von Schalen aus Feuer, Licht, Wasser und Äther, in dem sich die Leiber der Verstorbenen aufhielten, umgeben, sondern alle Planeten, also auch die Erde, drehten sich in Bahnen um die Sonne. Er, Giordano Bruno, würde Ptolemäus und Aristoteles für ihren Irrtum von ihren Sockeln stoßen. Er war überzeugt, dass man ihm anderswo, fernab von der Stadt Rom, der Hüterin der Irrlehren, zuhören und ihn verstehen würde. Giordano beobachtete die Sterne. Innerhalb kürzester Zeit konnte er die Wanderbewegung naher Planeten erkennen, sah Sternschnuppen. Wie konnte man nur so verbohrt sein und das so Offensichtliche nicht begreifen? Wie viel wunderbarer war der Gedanke, dass Gott der Allmächtige etwas viel Größeres, Unbegreifliches, für unser Auge nicht Sichtbares erschaffen hatte? Alles andere kam für Giordano nicht mehr in Betracht. Mehr noch. Es war doch auch denkbar, dass wir nicht allein in diesem unendlichen Weltall lebten. Wozu hätte sich Gott die Mühe machen sollen, das All, den Kosmos zu schaffen, wenn es dann nur auf einem, noch dazu verhältnismäßig kleinen Planeten Leben gab? Nein, nein. Giordano war überzeugt, dass es da draußen noch mehr gab. Mehr geben musste. Er schmunzelte. Was, wenn gerade jetzt in dieser Sekunde auf einem fernen Planeten ebenfalls ein Wanderer sich dieselben Gedanken machte, und beide konnten einander nur erahnen, aber niemals sehen?
Übers Meer kamen nun leichte Böen. Bald schon würden die ersten Fischerboote zum Fang hinausfahren. Eine kleine Herde Ziegen, von Giordano durch eine Mauer lose aufeinandergestapelter Steine getrennt, folgte ihm eine Weile. Akazien säumten den Weg. Die Umrisse des Vesuvs hoben sich klar gegen den Nachthimmel ab. Vor vielen Jahren musste es einen gewaltigen Ausbruch gegeben haben. Links und rechts des Weges hatte nun üppige Vegetation die grauschwarzen Vulkanfelsen überdeckt. Was würde die Mutter sagen, wenn er plötzlich in der Tür stand? Der Vater? Würde er überhaupt da sein? Als Soldat hatte er sich bei unterschiedlichen Kriegsherren verdingt, war oft zur See gefahren, so dass Giordano ihn als Knabe kaum zu Gesicht bekommen hatte. Er hatte es geliebt, seine Mutter so lange für sich allein zu haben, hatte sich aber auch immer über die Rückkehr des Vaters gefreut, da dieser meist irgendein kleines Geschenk für ihn im Seesack gehabt hatte. Es war noch ein gutes Stück Wegs nach Nola, und Giordano würde in der ärgsten Hitze immer wieder kleine Pausen einlegen müssen. Er pflückte ein paar Feigen von den Bäumen am Wegesrand. Die ersten Insekten kündigten die Morgendämmerung an.
Leise hatte sich Guiseppe von seinem Lager erhoben, um Giordano zu folgen. Der Auftrag des Priors war eindeutig. Zum Seelenheil des Abtrünnigen und um Gefahr, die von seinen Irrlehren für andere ausging, abzuwehren, war ihm aufgetragen worden, dem Mitbruder heimlich zu folgen und ihn wenn nötig bei der Inquisition anzuzeigen. Guiseppe verehrte den Älteren, bewunderte seinen Intellekt. Aber es war ihm klar, dass er zum Wohle der heiligen römisch-katholischen Kirche nicht zulassen konnte, dass reine Seelen durch ketzerische Ideen verdorben würden. Er hatte keine Sekunde gezögert, als man ihm die Absichten des Klostervorstands mitgeteilt hatte. Die letzten Monate hatte er so viel Zeit wie nur irgend möglich in der Nähe Giordanos verbracht, aber seine Zuneigung wurde nicht erwidert. Sie konnten zwar leidenschaftlich miteinander diskutieren, aber der um etliche Jahre Ältere ließ die Nähe nicht zu, die Guiseppe sich so sehr wünschte. Im Gegenteil, oftmals hatte er sich zum Gespött aller gemacht, wenn der Bewunderte seine Einfältigkeit wieder einmal mit Hilfe von Gedächtniskunststücken für alle sichtbar machte. Verschämt hatte Guiseppe sich dann jedes Mal davongeschlichen, aber immer wieder suchte er den Kontakt zu ihm, spürte, dass etwas Großes, etwas Erhabenes von ihm ausging. Doch Giordano, schien es, wollte nichts von ihm wissen. Er verhöhnte und verspottete ihn, wo er nur konnte. Hieß ihn in den hitzigen Debatten über Heilige und die Marienverehrung einen ignoranten Tölpel und Hohlkopf. Einen, der mit Blindheit geschlagen war, wie alle anderen Mitbrüder auch, der willenlos wiederkäute, was man ihm als Gedankenfutter zum Fraß vorwarf. Oft war ihm das Gesicht mit der markanten Nase, ebenmäßig wie bei einer griechischen Statue, den hellen, klaren mit einem Stich ins Bläuliche gehenden Augen und dem stets spöttischen Zug um die Mundwinkel im Traum erschienen, hatte ihn einfach nur ausgelacht oder aber forsch zu mehr Mut zum selbständigen Denken aufgefordert.
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