Nachtfalter - Anna Hochuli - E-Book

Nachtfalter E-Book

Anna Hochuli

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Beschreibung

Ein Tagebuch, das sich der psychischen Erkrankung Anorexie anzunähern versucht.

Das E-Book Nachtfalter wird angeboten von BoD - Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Magersucht, Anorexie, Essstörung, Tagebuch, Psychische Erkrankung

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Seitenzahl: 59

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Liebe*r Leser*in

Bevor du dieses Tagebuch liest, möchte ich meine Krankheit in ihren gröbsten Zügen zu beschreiben versuchen.

Anorexie, oder gemeinhin Magersucht, ist eine Form der Essstörung. Betroffene Personen leiden unter einem gestörten Selbstbild ihres Körpers, fühlen sich stets zu dick und sind daher bestrebt, ihr Gewicht immer mehr zu reduzieren, auch wenn sie bereits stark untergewichtig sind. Eine Anorexie und der damit einhergehende Kontrollverlust über das eigene Essverhalten entwickeln sich meist schrittweise aus einer Diät und sind für Betroffene zunächst nicht wahrnehmbar. Zu Beginn der Krankheit ist der Gewichtsverlust mit starker Euphorie verbunden, mit ihrem Fortschreiten entwickelt sich jedoch ein gestörtes Suchtverhalten, das begleitet wird von weiteren Symptomen wie Depression, Einsamkeit oder dem Verlust der Leistungsfähigkeit. Im Extremfall kann eine Anorexie sogar zum Tod führen.

Hier ist es wichtig zu betonen, dass diese Beschreibung wie auch dieses Tagebuch nicht repräsentativ für alle Betroffenen einer Anorexie sind. Vielmehr sollen sie versuchen, sich ihr anzunähern und mögliche Gedankengänge und Empfindungen von Betroffenen aufzuzeigen. Ebenso bin ich, die Verfasserin dieses Tagebuchs, eine fiktive Person. Die Ereignisse, die ich dir schildern werde, sind also nicht tatsächlich so geschehen, orientieren sich aber an einem wahren Krankheitsverlauf.

Zudem möchte ich darauf hinweisen, dass ich in meinem Tagebuch Gewichtsangaben verwende. Auch diese sind erfunden, entsprechen im Falle meiner Geschichte aber einem ungesunden Körpergewicht und sollen daher keinesfalls benutzt werden, um sich in irgendeiner Form mit ihnen zu vergleichen.

Liebe Grüsse, Sam

Für die roten Buchstaben, die schon lange nicht mehr leuchten und die Stimmen, die verstummen sollten.

Für alle, die verstehen möchten.

Inhaltsverzeichnis

Sonntag, 5. Mai

Dienstag, 7. Mai

Freitag, 10. Mai

Samstag, 11. Mai

Dienstag, 14. Mai

Donnerstag, 16. Mai

Montag, 20. Mai

Dienstag, 21.Mai

Mittwoch, 5. Juni

Donnerstag, 6. Juni

Donnerstag, 6. Juni, später

Dienstag, 18. Juni

Mittwoch, 26. Juni

Freitag, 28. Juni

Mittwoch, 3. Juli

Freitag, 5. Juli

Samstag, 20. Juli

Sonntag, 21. Juli

Donnerstag, 25. Juli

Freitag, 26. Juli

Samstag, 27. Juli

Montag, 29. Juli

Samstag, 3. August

Montag, 5. August

Dienstag, 13. August

Mittwoch, 14. August

Sonntag, 18. August

Montag, 19. August

Donnerstag, 22. August

Freitag, 23. August

Samstag, 24. August

Dienstag, 27. August

Freitag, 30. August

Sonntag, 31. August

Donnerstag, 12. September

Dienstag, 17. September

Mittwoch, 18. September

Freitag, 20. September

Montag, 23. September

Mittwoch, 25. September

Donnerstag, 26. September

Montag, 30. September

Dienstag, 1. Oktober

Donnerstag, 3. Oktober

Montag, 7. Oktober

Dienstag, 8. Oktober

Dienstag, 8. Oktober, später

Freitag, 30. Mai

Sonntag, 5. Mai

Ich weiss nicht, warum ich gerade jetzt damit beginne, Tagebuch zu schreiben. Vielleicht, weil ich sonst nicht weiter weiss. Ich hätte es vermutlich viel eher tun sollen. Schreiben soll angeblich helfen, Dinge zu verarbeiten und für sich selbst glücklicher zu werden. Da ich beides davon gebrauchen kann, gebe ich diesen leeren Seiten eine Chance.

Kat hat mir dieses kleine Büchlein vor einiger Zeit geschenkt, sie hat es selbst eingefasst, war aber nicht zufrieden damit und wollte es in die Papiersammlung werfen. Mir hat es sehr gefallen, es sieht ganz anders aus als die Büchlein, die es im Supermarkt oder in der Papeterie zu kaufen gibt, es ist so unperfekt perfekt. Hier und da stehen die Ecken ein wenig mehr raus als an anderen Orten, die Farben des Papiers laufen unregelmässig ineinander hinein und auf der Rückseite durchziehen mehrere dunkle Leimspuren ein abstraktes Muster aus ganz vielen dicken und dünnen Linien. Jedenfalls gefällt es mir und es schien mir passend, um darin mein Tagebuch (oder so was ähnliches) zu eröffnen.

Ich bin nicht zufrieden mit mir selbst, gar nicht. Das ginge allen so, sagt Isa. Es sei ganz normal, sich manchmal unsicher zu fühlen, nicht zufrieden zu sein mit sich selbst und dem, was man tut. Aber ganz so normal fühlt es sich nicht an. Oder ich kann es nicht so hinnehmen. Ich habe nichts, um mit mir zufrieden zu sein. Nichts. Ich bin klein, plump, mein Bauch ist weich und gefaltet wie ein ausgenutztes Kissen, meine Oberschenkel haben an den Seiten Dehnungsstreifen und berühren sich dick und fett, wenn ich gerade hinstehe. Noch dazu brauche ich bestimmt drei höhere Kleidergrössen als alle anderen meiner Klasse, obwohl sie doch viel grösser sind. Und oftmals bringe ich es nicht einmal zustande, den Knopf meiner Jeans zu schliessen, ohne dass der Stoff sich in mein Fettkissen drückt und mein halber Bauch in grossen Schläuchen über den obersten Teil der Hose schwappt.

Ich möchte so gerne dünn sein. So wie das Mädchen mit den schönen blauen Augen aus der neunten Klasse, die Kapseln schluckt und joggen geht, wie sie heute in der Sporthalle erklärte. Und Workouts macht. Und bei allen beliebt ist und in den teuersten Kleidern und mit gehobenem Kopf durch die Gänge stolziert. Und einfach gut aussieht. Und zu sich selbst stehen kann.

In der Umkleide stand sie neben mir, in ihrem schwarzen Push-Up-BH und einer dunkelgrünen Unterhose, die ihren Po betonte. Da ist mir aufgefallen, wie perfekt sie aussieht. Sie hat ein solch weiches Gesicht, ihre Taille zieht sich schön schmal unter ihrem Busen hinab zu den leicht hervorstehenden Hüftknochen und der darauffolgenden Wölbung ihres Beckens. Dann folgen ihre Oberschenkel, mit einer kleinen Lücke unterhalb der Unterhose. In der Mitte ihres straffen Bauchs zeichnet sich eine perfekte Linie ab, wie bei den Models, die gross auf den Plakaten der Warenhäuser und den Titelseiten der Kosmetikheftchen posieren, die Isa letztens so oft liest.

Ich bin viel zu dick. Immer noch. Obwohl ich doch schon lange versuche, weniger zu essen. Obwohl ich Kalorien verbrenne, wo ich nur kann. Obwohl ich alles dafür tue, auch so schön zu sein.

Und es fühlt sich ganz und gar nicht normal an.

Dienstag, 7. Mai

Ich habe meine alte Armbanduhr gefunden. Sie lag unter einem dicken Staubmantel hinter der Kommode im Wohnzimmer. Ich habe sie auf dem Balkon ausgeschüttelt und bin dann draussen stehen geblieben, habe den feinen Wölkchen zugeschaut, wie sie mit den sanften Stössen des Morgenwinds langsam zu Boden segelten und im Dunkelgrau des Asphalts verschwanden. Sie ist pink, meine Armbanduhr, mit gelben Ornamenten, die sich über das Band schlängeln.

Ich erinnere mich noch genau daran, wie stolz ich damals gewesen war, als mir Isa zu meinem sechsten Geburtstag eine Uhr schenkte und ich nun meine eigene besass. Noch am selben Tag hat Kat begonnen, mir zu lehren, wie die Zeit auf ihr zu lesen war und ich glaube, sie fühlte sich sehr erwachsen dabei. Aber das hat mich nicht gestört. Ich habe lange gebraucht, bis ich das Prinzip vom kleinen und vom grossen Zeiger verstanden habe, von viertel vor und viertel nach. Am liebsten mochte ich den Sekundenzeiger. Der war schliesslich auch der Einzige, der sich wirklich bewegte.