Nackt ins Nirwana - Manao Grenkowitz - E-Book

Nackt ins Nirwana E-Book

Manao Grenkowitz

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Beschreibung

Tinder trifft Buddhismus: Eine Erotik-Komödie voller schwarzem Humor!
Lekki flieht aus seinem bayrischen Heimatdorf und findet Zuflucht bei tibetischen Mönchen in Berlin. Dort entdeckt er ein mysteriöses Buch über die geheimen erotischen Lehren des Buddhismus.  Doch anstatt wahre Erleuchtung zu suchen, nutzt er die Weisheiten auf Tinder für seine eigenen Zwecke. Wird Dorfpolizist Bernie ihn enttarnen? Und was plant die Feministin Delia, die immer wieder seinen Weg kreuzt?
Nackt ins Nirwana ist eine tiefschwarze Erotik-Komödie voller Selbstironie, die vor nichts und niemandem Halt macht. Ein atemloses Abenteuer, das mit Wortwitz und blühender Fantasie die Geschichte eines seelisch zerrissenen Antihelden zwischen Verlangen und wahrer Liebe erzählt.

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INHALT

Der Anfang vom Ende

Das Inferno

Die Flüchtigen

An den Haaren herbeigezogen

Unter dem Deckmantel

Eine neue Welt

Die Wiedergeburt

Der Keuschheitsgürtel

Das Buch der Bücher

Der Höllenhund

Tinderando

Im Dunkel der Nacht

A star is born

Ungebetene Gäste

Quell des Lebens

Die Hiobsbotschaft

Date with Destiny

Käufliche Liebe

Die Jungfernfahrt

Perle und Taucher

Paarungszeit

Die Sex-Revolution

Die Liebes-Armada

Der Duft von Heimat

Sehen und gesehen werden

Der Modezar

Der Mönch am Meer

Metamorphose

Entfesselt

Das Parthenon

Der liebende Lügner

Der Maskenball

Verrat

Ein unmoralisches Angebot

Die Enthüllung

Bang Bang

Zu neuen Ufern

DER ANFANG VOM ENDE

Der Tag, an dem meine Welt zusammenbrach, sollte ursprünglich ein Freudenfest werden. Die Nachmittagssonne knallte mir auf die vergoldete Nickelbrille, wodurch meine Sommersprossen wie Ameisen unter einem Brennglas zu glühen begannen. Doch Rettung nahte: Die freiwillige Feuerwehr meines Heimatdorfes hatte zum Scheunenfest geladen. Deren frisch gezapftes Kellerbier würde meinen Brand in Kürze löschen.

Der Weg zum Heuspeicher, vor dem die Feier stattfand, führte mich und meinen besten Freund Anton den Berghang hinab, an den sich unser Tausendseelendorf schmiegt. Wir schlenderten talwärts am Fichtenwald und den Fachwerkhäusern vorbei in Richtung des hügeligen Ackerlands, das sich von der Kirche am Ortsrand bis zum Horizont erstreckte.

»Heute werde ich es tun!«, brach ich das Schweigen.

»Du meinst, du willst dir endlich wieder einen Job suchen und weniger Filme glotzen?«, grummelte Anton à la Captain Haddock aus Tim und Struppi, während er seinen Rauschebart kraulte.

»Eine Arbeit werde ich bald nicht mehr brauchen, wenn alles nach Plan läuft«, erwiderte ich schelmisch.

»Du hast wohl heute deine Medikamente vergessen!«, moserte er weiter.

»Schnauze, du weißt doch, was passiert, wenn ich die Dinger nicht nehm«, sagte ich und nahm zwei Tabletten aus dem silbernen Pillendöschen, um sie mit einem Schluck aus meinem Flachmann runterzuspülen. Omas selbst gebrannter Zwetschgenschnaps ging runter wie Öl.

»Raus mit der Sprache, Lekki. Was hast du vor? Du wirst doch nicht im Namen der Liebe auf dumme Gedanken kommen«, spekulierte der Pfundskerl.

»Frag nicht so viel und sag mir lieber, ob meine neue Friese sitzt«, forderte ich Anton auf und ließ die kurz geschorenen Strähnen meines Topfschnitts wie ein Wackeldackel auf und ab wippen.

»Du könntest Jim Carreys Zwillingsbruder aus Dumm und Dümmer spielen – nur eben strohblond und in Lederhosen!«, entgegnete Anton und knöpfte das kragenlose weiße Hemd unter seiner schwarzen Zimmermannstracht zu.

»Kann ja nicht jeder so ein Bilderbuch-Bayer sein wie du!«, stichelte ich.

»Und nicht jeder so ein bunter Hund wie du«, konterte er und strich über mein pinkes Rüschenhemd, als wollte er die Falten glätten. Ach, ich würde meinen Sandkastenkumpel vermissen, wenn er morgen Früh als frischgebackener Handwerksgeselle auf seine langersehnte Walz aufbrechen würde. Aber heute Abend würden wir die Gläser noch einmal klirren lassen.

Während wir den Feldweg betraten, der aus dem Ort auf die grünen Auen führte, malte ich mir die erste Liebesnacht mit Babsi, meiner vollbusigen Dirndlschönheit, aus. Bald wäre die Zeit der katholischen Enthaltsamkeit vorbei und die sorgenfreie Zweisamkeit auf dem Gutshof ihres Vaters perfekt. Meine erträumte Zukunft würde golden sein wie die Gerstenfelder, die wir nun durchwanderten und die bald mir gehören würden.

Von Weitem hörten wir schon die Dorfkapelle ihre allseits bekannten Schunkellieder anstimmen. Es roch nach brutzelnden Rostbratwürsten und frisch aufgeschichtetem Stroh. Unsere Kameraden vom Schützenverein tummelten sich mit den bereits sichtlich beduselten Feuerwehrsgehilfen um die angezapften Eichenfässer und leerten Krug um Krug des kühlen Gebräus. Wir fielen den Trunkenbolden in die Arme und gesellten uns zu der feuchtfröhlichen Runde.

»Ihr stürzt euch ja auf den Gerstensaft wie die Franziskaner in der Fastenzeit!«, hörte ich die vieldeutige Stimme des ehemaligen Hauptkommissars Bernie. Er war zum Dorfbullen degradiert worden, nachdem er in einen BDSM-Skandal mit zwei Transvestiten verstrickt gewesen war.

Ich drehte mich um und sah den bierbäuchigen Beamten mit seinem altdeutschen Schäferhund Bacchus an der Leine auf uns zukommen. Die riesigen Reißzähne des Polizeihundes waren auch bei geschlossenem Maul zu sehen und glichen denen eines Säbelzahntigers. Seitdem seinem Herrchen die Dienstwaffe nach dem besagten Vorfall entzogen worden war, hatte der leidenschaftliche Waffensammler Bernie stets seinen geladenen Colt sowie Schlagstock und Handschellen am Gürtel. Um seinen Hals spannte sich der zugeknöpfte Uniformkragen so eng, dass seine Adern auf der Stirn zu platzen drohten.

»Ich hab dich lange nicht mehr im Schützenverein gesehen«, sagte der schnauzbärtige Gendarm mit vorwurfsvollem Unterton, »dabei hast du doch alle Zeit der Welt, seit du deine Stelle bei der Zeitung verloren hast.« Er legte seine Pranke auf meine Schulter und ergänzte süffisant: »Du führst doch nicht etwa was im Schilde …?«

»Keine Sorge, Herr Wachtmeister, im Vereinsheim wird es bald etwas zu feiern geben …«

Mit diesen Worten kehrte ich dem Ordnungshüter den Rücken und wandte mich wieder meinen Saufkumpanen zu, die mittlerweile Birnenlikör ausgeschenkt hatten.

Das Klirren der anstoßenden Gläser ließ auch Dorfpfarrer Schwartz und Großbauer Ferdinand, den Vater meiner Angebeteten, an ihrem Stammtisch aufhorchen. Mein Anblick trieb Schweißperlen auf seine polierte Meister-Propper-Glatze, was meiner Vorfreude auf die lang ersehnte erste Nacht mit seiner ältesten Tochter keinen Abbruch tat. Ich rieb mir die Hände. Der Seelenhirte tadelte es mit einem missbilligenden Stirnrunzeln.

Wo steckte mein Marzipanschweinchen nur?, fragte ich mich. Es ließ mal wieder auf sich warten und langsam machte sich der Hunger breit. Ein Segen, als immerhin Ferdinands neuer Stallbursche Frank unter dem Jubel des Feiervolks die Metzgerwaren auf dem Holzkarren heranschaffte und sie vor der hungrigen Meute mit stolzgeschwellter Brust auf dem Bratrost präsentierte. Sobald die in Knoblauchsauce marinierten Koteletts über den Kohlen ihr würziges Aroma verströmten, sprang ich auf, um mich für den großen Auftritt zu stärken, der mir bevorstand.

Noch bevor ich meinen Hunger stillen konnte, erschien Babsi wie aus dem Nichts zwischen den Rauchschwaden des Schwenkgrills. Ihre kurvenreiche Figur glich der eines barocken Engels, der in ein hautenges Dirndl mit aufgestickten Edelweiß-Motiven geschnürt war. Ihr Festtags-Dekolleté ließ zum Zweivierteltakt der Blasmusik tief blicken, während ihre haselnussbraunen Ringellocken in der Sommerbrise hüpften.

Sie schien mich noch nicht entdeckt zu haben, da ihr Blick wie gebannt auf dem butterzarten Lendensteak lag, das der verstohlen lächelnde Stallarbeiter ihr überreichte. Begierig öffnete sie ihr Miss-Piggy-pinkes Schleckermäulchen und verschlang die Leckerbissen, als wollte sie durch diesen Gaumenschmaus sofortige Glückseligkeit erlangen.

Zwar war sie von Kindesbeinen an alles andere als eine Kostverächterin, heute schien sie sich in dem Geschmackserlebnis aber förmlich zu verlieren. Sie ähnelte einem Ferkel am Futtertrog. Noch immer bemerkte sie mich nicht, denn bevor sie den letzten Happen vertilgt hatte, gab sie dem strammen Hofgehilfen zu verstehen, dass sie Nachschlag begehrte. Ihr Wunsch war ihm Befehl.

»Deine Süße hat heut nur Augen für das Frischfleisch!«, rief Anton mir scherzend zu, womit er jedoch recht hatte.

Ihre Vorliebe für das Grillgut grenzte heute fast an Völlerei. Mir hingegen hatte es den Appetit verschlagen. Ich musste die Gelegenheit beim Schopfe packen. Die Anspannung stand mir offenbar ins Gesicht geschrieben, da Anton mir einen doppelten Obstler reichte und mich anspornte: »Ein kleiner Muntermacher«.

Ich kippte den Kurzen. Das Feuerwasser floss meinen Rachen hinab und flößte mir Mut ein wie ein gallischer Zaubertrank. Nun war ich bereit.

Vor der versammelten Runde meiner mitfiebernden Schützengenossen, der gesamten Dorfprominenz um Landwirt Ferdinand sowie den besoffenen Feuerwehrsleuten bat ich die Musikanten um einen Augenblick der Ruhe. Ich ging in Richtung des Barbecues, an dem meine Auserkorene sich noch immer verköstigen ließ. Energisch packte ich sie bei der Hand, zog sie aus der Menge zu mir heran und ging dann, wie wir es gemeinsam bei Bauer sucht Frau so oft gesehen hatten, vor ihr auf die Knie. Meine linke Hand wanderte in die Seitentasche meiner Lederhose und zog die feine schwarze Schatulle hervor, die mir Opa Ewald für diesen Anlass vermacht hatte. Stille breitete sich unter den Schaulustigen aus. Mit zittriger Hand ergriff ich das Wort:

»Babsi Babette Schulte, seit unserem ersten Kuss auf der Abi-Party in der Scheune wusste ich, dass du die Eine bist. Die Eine oder keine. Deshalb frage ich dich hier vor all unseren Geisberger Freunden und Verwandten – allen voran deinem lieben Vater Ferdinand – willst du meine Frau werden?« Um meine Worte zu bekräftigen, öffnete ich das Etui, sodass der silbern schimmernde Verlobungsring zum Vorschein kam.

Ein Raunen ging durch die Menge, bevor sich in der Scheune ein schier endloser Moment der Stille breitmachte, in dem ich mir vorstellte, das alte Massivholzbett in Babsis Stube zum ersten Mal zum Knarzen zu bringen.

Ringsherum erwartungsvolle Blicke. Babsi indessen senkte ihr Haupt. Es schien ihr die Sprache verschlagen zu haben, dabei war sie sonst nicht auf den Mund gefallen.

»Sag doch was, Süße!«, ermutigte ich sie lächelnd.

Immer noch betretenes Schweigen.

Endlich blickte sie auf und haspelte: »Du Lekki, ich wollt es dir eigentlich heut sagen: Ich hab mich in ’nen anderen verliebt. Es ist aus.«

Ich erstarrte. Ihre Worte waren wie ein Narkosemittel, das mich ohne Vorwarnung in ein Wachkoma versetzte. Ich hörte noch, was sie sprach, aber mein Herz war schon betäubt. Hatte sie das gerade wirklich gesagt?

Skeptisch schaute ich mich um, als suchte ich nach der versteckten Kamera. Doch Babsis ernster Miene zufolge war sie nicht zum Spaßen aufgelegt.

»Was? Verliebt? In wen?«, hörte ich mich schließlich stammeln.

»Ich hab mich für den Frank entschieden …«, gestand sie.

»Was, der Pferdeflüsterer?«. Schockiert schweifte mein Blick zum Grillplatz hinüber, wo mein Nebenbuhler mich unverhohlen angrinste.

»Ja, er ist der richtige Ehemann für mich.«

»Aber warum?«

»Was soll ich sagen, Lekki? Im Gegensatz zu dir ist er kein arbeitsloser Säufer, sondern festangestellt bei meinem Vater. Außerdem ist er kein Fall für den Psychiater, sondern ehrenamtlicher Messdiener – weshalb der gute Pfarrer Schwartz unsere Trauung bereits abgesegnet hat.«

Während der besagte Pater hyänenhaft grinsend zu mir hinüberschielte, schossen mir Tränen in die Augen.

»Ich glaub, ich geh jetzt besser …«, hauchte Babsi heiser, ohne mir ins Gesicht zu schauen.

Ich wollte schreien, aber meine Kehle war so zugeschnürt, als baumelte ich am Galgenstrick.

»Na, dann machen wir’s uns jetzt gemütlich, Schatz«, meldete sich der verhasste Frank zu Wort.

Versteinert musste ich mit ansehen, wie meine Jugendliebe mir den Rücken kehrte und es sich auf den stählernen Armen des Landarbeiters bequem machte. Schnurstracks marschierte er dem Bloody-Mary-farbenen Sonnenuntergang entgegen. Die dunkle Silhouette des Brauträubers und seiner willigen Beute ätzte sich wie mit Salzsäure in mein Gedächtnis. Fünfzig Meter weiter den Hang hinauf betrat der Mistschaufler den Kornspeicher und bettete meine Babsi auf das Heu. Dort, wo wir uns vor zehn Jahren den ersten Kuss gaben.

Mir wurde schwarz vor Augen. Benommen wie ein Bulle nach dem Bolzenschuss schwankte ich und fiel.

DAS INFERNO

»Scherben bringen Glück!«, hörte ich Wachmann Bernie über mir spotten.

»Oder in Lekkis Fall eher Unglück!«, wandte der angedudelte Bauer Ferdinand ein.

»Auf dem Scherbenhaufen seines Lebens gebettet!«, sinnierte Oberkatholik Schwartz.

»Meine Tochter wollt er vor den Traualtar zerren, dieser Klatschreporter!«, johlte der Farmer.

»Der Lekki hatte schon immer eine blühende Fantasie«, stimmte Bernie zu. »Deshalb hat der Fränkische Tag ihn ja auch hochkant rausgeschmissen!«

»Kein Wunder bei den Sensationsberichten, die er aus jedem kleinsten Lokalgeschehen gemacht hat«, ergänzte der Kirchenmann.

»Wie neulich in Lutzendorf«, warf der Schutzmann ein, »als er den harmlosen Diebstahl eines Kinderriegels zu einem bewaffneten Raubüberfall umdichtete! War doch klar, dass er früher oder später auf die Fresse fällt.«

»Aber unseren Stammtisch hätt er stehen lassen können.« Der Landwirt lachte. »Insbesondere die frisch gefüllten Schnapsgläser.«

»Zerbrochen wie sein Liebesglück!«, goss der Gottesmann noch mal Öl ins Feuer.

Plötzlich schrie ich auf. Ich fühlte mich wie auf ein Fakir-Bett gefesselt. Die Splitter der zerborstenen Gläser bohrten sich in meinen Rücken. Um mich herum erstreckte sich ein Trümmerfeld aus Ton und Glas. Ich sprang auf und versuchte, die Spreißel herauszuziehen, doch sie steckten unerreichbar zwischen meinen Schulterblättern. Ein Grollen brach aus meiner Kehle. Meine Schocklähmung muss dem Ausdruck eines verwundeten Stiers gewichen sein, der gereizt, gedemütigt, aber noch am Leben war. Mein Blick fiel auf das Holzfällerbeil, das in einem Eichenstumpf steckte und mir wie gerufen kam. Ich riss es heraus und stürmte mit nur einem Ziel vor Augen den Hang hinauf.

Als der Altbauer begriff, dass ich auf direktem Weg zu seiner Tochter und ihrem Lustknecht war, bäumte er sich schnaubend vor mir auf.

»Wenn du meiner Tochter auch nur ein Haar krümmst, dann …«

Weiter kam er nicht, da ich ihn mit dem Kopf voran wie ein Büffel auf Anabolika überrannte.

»Um Himmels willen, haltet den Irren!«, appellierte der Ackermann am Boden liegend. Seine Rufe stießen jedoch auf taube Ohren. Die Gäste blieben wie paralysiert auf ihren Bierbänken sitzen.

»Wenn ich dich erwische, mach ich dich fertig, Frank!«, zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen und bahnte mir einen Weg durch das Gemenge.

In der Hoffnung, zum Helden zu werden, kam mir als Nächstes der Provinz-Sheriff in die Quere und hob bereits seinen Knüppel zum Schlag. Allerdings war ich schneller und streckte Bernie mit dem Knauf meiner Streitaxt nieder. Verflixterweise ließ er dabei die Hundeleine los, sodass sein Vierbeiner Bacchus mir zähnefletschend hinterher hetzte und mir ansatzlos durch meine Wadenwärmer in den Unterschenkel biss. Ich geriet ins Straucheln und stürzte auf den Schwenkgrill, auf dem ich zu einer überdimensionalen Rostbratwurst mutierte. Mein rosa Rüschenleiberl begann schon zu schmoren, doch die Glut stachelte meine Rachegelüste nur noch weiter an. Das Beil schwingend rannte ich auf den Heuschober zu, um den Schädel des Fohlenstrieglers wie einen Holzscheit zu spalten.

Als ich das Tor aufstieß, sah ich zu meinem blanken Entsetzen, dass Babsi offensichtlich nicht auf die Hochzeitsnacht warten wollte, auf die sie mich stets vertröstet hatte. Sie kniete mit hochgezogener Schürze auf einem Heuballen und reckte ihren genussbereiten Hinterschinken dem Stallburschen entgegen, der den Latz seiner Lederhose aufgeknöpft hatte und ihr stoßkräftig besorgte, wovon ich nur träumen durfte. Dabei musste es wohl Ironie des Schicksals sein, dass seine Hüftschübe ihren aus der Trachtenbluse geglittenen Vollmilchbusen im Gleichklang des Kirchengeläutes zum Beben brachten.

Als sie mich wutentbrannt in der Türschwelle erblickten, sprangen die auf frischer Tat Ertappten auf und flüchteten halbnackt durch den Hinterausgang der Scheune.

Nie war der Ausdruck Hitzkopf passender als jetzt, da die Flammen nun meine Haare erreichten. Ich wälzte mich im Stroh hin und her, was jedoch nur dazu führte, dass sich im Heuboden schwelende Glutherde bildeten. Nach kurzer Zeit wütete bereits die Feuersbrunst. Instinktiv riss ich mir das Hemd vom Leib und versuchte damit, den Brand zu bekämpfen. Allerdings fachten meine wedelnden Bewegungen das Inferno noch mehr an, das sich binnen Sekunden wie ein Lauffeuer ausbreitete. Unaufhaltsam rollte der Flammenteppich über das getrocknete Stroh auf die Stützbalken des Dachgiebels zu. Von draußen hörte ich die aufgeschreckten Dörfler schreien.

»Jesus Maria! Der ganze Dachstuhl brennt. Holt den Löschzug!«, rief Ferdinand wild gestikulierend den freiwilligen Feuerwehrleuten zu.

Die Löschgehilfen hatten sich jedoch mehr um ihren eigenen Brand gekümmert und lagen sternhagelvoll unter den Biertischen. Ich torkelte zum Hinterausgang und sah im Dunst drei Landarbeiter mit Wasserkübeln an mir vorbeirennen.

»Rettet die Ernte!«, schrie der Getreidebauer.

Doch bevor sie seine Kornkammer erreichen konnten, krachte der mittlere Querbalken vor ihnen auf den Scheunengrund.

Ich wurde bereits von den Rauchwolken an den Rand der Ohnmacht gedrängt, als mir Anton in letzter Sekunde zu Hilfe geeilt kam. Und ehe ich michs versah, befand ich mich rücklings auf der Schubkarre, die er wohl aus dem angrenzenden Geräteschuppen entwendet haben musste.

»Nimm die Abkürzung durch die Felder«, keuchte ich.

»Bevor die Bauern das spitz bekommen, sind wir längst über alle Berge!«, stimmte Anton meinem Fluchtplan zu und rannte los.

Doch bevor wir die Felder erreichten, krachte hinter uns die gesamte Scheune zusammen und warf ein funkensprühendes Spotlight auf uns zwei flüchtige Verdächtige. Damit war für den Sämann der Sündenbock endgültig gefunden. Geistesabwesend wanderte Ferdis Blick zwischen mir und seiner brennenden Ernte hin und her. Er schien seinen Augen nicht trauen zu können. Aber lichterlohe Flammen lügen nicht.

»Lekki, du verrückter Feuerteufel, die Ernte eines ganzen Jahres liegt in Schutt und Asche!«, platzte es aus ihm heraus. »Das wirst du mir büßen!«

»Auf, Männer, den schnappen wir uns!«, stachelte der wieder zur Besinnung gekommene Gesetzeshüter den fluchenden Ferdinand und seine Männer mit gezogener Pistole an. Schon griffen der Gutsherr und seine drei breit gebauten Gehilfen zu Keulen und Heugabeln und folgten dem Kriminalbeamten und seinem grimmig bellenden Bacchus.

»Leg ’nen Zahn zu!«, spornte ich Anton an, woraufhin der kühle Fahrtwind sofort stärker wurde. Querfeldein brausten wir zurück ins Dorf.

Die Abkürzung hatte uns einen Vorsprung verschafft, doch der Uniformierte und seine Handlanger hatten die Verfolgung aufgenommen. Und zu allem Unheil nicht allein. Die Knechte von Milchbauer Emmanuel zeigten sich solidarisch und hefteten sich ebenfalls an unsere Fersen.

DIE FLÜCHTIGEN

»Fahr zur Oma!«, navigierte ich, als wir das Dorfschild passierten. Hundert Meter weiter steuerte Anton scharf rechts um die Kurve und schlitterte über das Kiesbett durch das offenstehende Gartentor.

Von dem Tohuwabohu aus dem Schlaf gerissen, öffnete Großmutter Erna in ihrem lilafarbenen Flanell-Nachthemd die Tür, rückte das Haarnetz über ihrer mausgrauen Dauerwelle zurecht und zeterte: »Was um Gottes willen hast’n schon wieder angestellt, Lekki?«

»Lange Geschichte, Omi, erzähl ich dir später!«, rief ich, hievte mich aus der Karre und humpelte durch die Haustür.

»Hier können wir nicht bleiben«, wandte Anton ein. »Wenn die uns dingfest machen, sind wir alle einen Kopf kürzer.«

»Sagradi, du hast doch nichts mit der Feuersnot auf dem Fest zu tun?«, keifte die Siebenundneunzigjährige stirnrunzelnd, als sie das Desaster am Dorfrand sah. Die Furchen ihrer Gesichtsfalten wurden tief wie Schützengräben.

Währenddessen näherte sich der heranstürmende Mob bereits im Fackelschein dem Haus und so brachte ich zähneklappernd nur die Worte »Oma, du musst mir helfen!« über die Lippen.

»Ruhig Blut, Kleiner. Pack deine sieben Sachen und schnapp dir meinen treuen Unimog. Die Schlüssel hängen im Schränkla. Ich halt euch hier den Rücken frei«, sagte sie trotz ihres reifen Alters erstaunlich tatkräftig und verschwand in ihrer Schlafkammer.

Derweil hastete ich in mein Zimmer, nahm den von Vati geerbten braunen Lederkoffer zur Hand und raffte das Nötigste zusammen: Opas alten Revolver samt Schulterhalfter und einer Schachtel Munition, zwei Flaschen von Großmütterchens Obstbrand, meine letzte Packung Psychopharmaka sowie eine luftgetrocknete Salami und meine Lieblings-DVD Sieben Jahre in Tibet.

Ich schaute aus dem Fenster und rieb mir ungläubig die Augen. Vermummt und in ihren mintgrünen Bademantel gehüllt stapfte Großmama soeben mit der alten Jagdflinte vor der Brust über den Hof zum Tor. Zuerst donnerte sie die hölzerne Pforte mit einem Fußtritt zu und schob den Riegel vor. Anschließend legte sie das Gewehr zwischen die Zaunpfähle, entsicherte den Verschlusshebel und visierte die anrückende Bauernhorde an.

Von der Rückseite des Hauses her hörte ich den alten Daimler aufheulen, den Anton unter der Plane hervorgeholt haben musste. Das Geräusch des anspringenden Motors erinnerte mich an die langen Sommer auf Omas Kartoffelacker, in denen wir die Ernte auf die Pritsche des alten Kleinlastwagens geladen hatten.

Ein Schuss riss mich aus meinen Erinnerungen in die harte Realität zurück. Großmutti hatte die Feuerbüchse zum Himmel gerissen und einen Warnschuss abgegeben. Die Tauben flatterten aufgeschreckt vom Dach. Bulle Bernie und Bauer Ferdinand blieben wie angewurzelt stehen.

»Einen Schritt weiter, Ferdi, und ich muss auf dich zielen!«, warnte meine kampfeslustige Babuschka.

»Beruhig dich, Erna!«, ergriff Ferdinand das Wort. »Du hast mit der Sache nichts am Hut. Um deinen Enkel geht’s mir, diesen Brandstifter!«

»Wenn du zu meinem Kleinen willst, musst du erst an mir vorbei!«, giftete die kriegserfahrene Pensionärin und schwenkte den schussbereiten Drilling von rechts nach links über den Gartenzaun.

»Du hast nur noch zwei Schuss, Erna, und mir san mehr als zehn! Das nimmt koan gutes Ende für dich!«, drohte Bernie.

»Der Waffenschrank ist randvoll mit Munition!«, hielt sie dagegen. »Wenn’s sein muss, verschanz ich mich im Haus und lass das Schrot sprechen!«

Geschockt verfolgte ich das Geschehen vom Fenster aus, als mich der vertraute Klang des absaufenden Wagens hinterm Haus zusammenzucken ließ.

»Zum Henker, ich hab die alte Karre abgewürgt!«, hörte ich Anton fluchen.

Hecktisch schweifte mein Blick zwischen dem Showdown im Vordergarten und dem Fluchtfahrzeug am Hinterausgang. Einerseits wollte ich Oma nicht allein zurücklassen, andererseits hatten es die Häscher nur auf mich abgesehen. Die alte Dame würden sie verschonen, sobald ich die Biege machte. Aber wenn ich in ihre rauen Hände fiel, würde im Frankenland nicht nur das Faustrecht gelten, sondern auch die Lynchjustiz wieder eingeführt werden. Ich musste schnellstmöglich Land gewinnen.

Wehmütig warf ich noch einen letzten Blick auf den Hof und sah zwei der kernigen Saisonarbeiter über den schulterhohen Holzzaun klettern.

»Hausfriedensbruch!«, schrie Oma, zielte auf die Eindringlinge und drückte den Abzug.

Ich hielt den Atem an, aber das rostige Eisen schien Ladehemmungen zu haben und feuerte nicht. Im Handumdrehen schnappten sich die Muskelprotze den Schießprügel, bändigten die Greisin und stürmten das alte Fachwerkhaus.

Das Hupen des Kleintransporters beseitigte die letzten Zweifel. Die Flucht ins Ungewisse war der einzige Ausweg. Also schnappte ich meinen Reisekoffer und strauchelte durch den Flur in Richtung Hinterausgang vorbei an den Familienbildern. Wie im Zeitraffer zog meine Kindheit in den gerahmten Aufnahmen an mir vorbei. Mit Opa Ewald auf Wildschweinjagd und mit Oma Erna im Kartoffelbeet. Mit meiner Babsi auf der Wiesn und mit meinen Eltern in den Alpen – das war unser letztes gemeinsames Foto. Ich konnte nicht anders, als das Bild von der Wand zu nehmen und es in den Koffer zu stecken, bevor ich die angelehnte Tür zum Hinterhof aufstieß. Unterm Carport sah ich die Rücklichter des anfahrenden Unimogs in der Düsternis aufleuchten.

»Spring auf!«, schrie Anton vom Fahrersitz aus.

Ich biss mir auf die Lippe und hetzte, so schnell meine lädierte Wade es erlaubte, dem weißlackierten Wagen hinterher. Hinkend warf ich den Koffer auf die mit Getreide gefüllte Ladefläche, trat auf die Anhängerkupplung und hievte mich über die Rückklappe in Sicherheit.

Als Anton meinen Körper dumpf auf das Korn fallen hörte, stampfte er auf das Gaspedal und ließ die alte Klapperkiste schubartig nach vorne auf den angrenzenden Schotterweg schnellen.

»Würg ihn nicht schon wieder ab!«, rief ich ihm zu.

»Du hast gut reden! Ich hab im Rückspiegel schon die Mistgabeln aufblitzen sehen!«, warnte er.

Das konnte ich bestätigen. Mein Platz auf der Transportfläche bot beste Sicht auf unsere gewaltbereiten Verfolger. Nachdem sie das Anwesen meiner Ahnen überrannt hatten, jagten sie uns nun mit stoßbereitem Dreizack über Stock und Stein.

»Gib Gummi, Alter!«, schrie ich ihn an. »Die sind zu allem bereit!«

Endlich machte Anton von seinem Bleifuß Gebrauch und heizte auf die Hauptstraße zu. Doch die abrupte Beschleunigung schien das auf Vergeltung sinnende Lumpenpack nur noch mehr anzutreiben und übermenschliche Kräfte in ihnen wecken. Obwohl der gute Unimog mittlerweile rund Zwanzig Sachen auf den Tacho bringen musste, war die Bauern-Bagage wie ein wild gewordener Wespenschwarm nicht abzuschütteln.

»Wenn ich dich in die Finger bekomm, dann gnade dir Gott!«, brüllte Ferdinand völlig außer Atem.

Senats-Cowboy Bernie nahm Schusshaltung ein, visierte die Reifen unseres Fluchtwagens an und feuerte seinen Colt zwei Mal ab. Glücklicherweise war auch er nicht mehr bei null Promille und traf nur die Rückklappe.

Anton schien die Angst im Nacken zu sitzen, da er das Pedal nun komplett in den Fahrzeugboden stemmte und die Höchstgeschwindigkeit des alten Kartoffelpanzers von knapp Fünfzig erreichte.

Ich verzog keine Miene, während der Dorf-Polizist und der Großgrundbesitzer in der Ferne immer kleiner wurden.

Endlich erreichten wir die Hauptstraße. Ich bettete mich auf das Korn und lehnte mich an die Fahrerkabine. In der Ferne stiegen die Rauchsäulen meiner Vergangenheit in den Nachthimmel auf. Vor uns lag die Landstraße hin zu einer ungeahnten Zukunft.

Meine verkohlten Haare wehten im Wind, mein gebrandmarkter Rücken vibrierte am Wagenblech. Schweiß tropfte mir in die Augen und vermischte sich mit heißen Tränen, während ich den von Babsi verschmähten Ring aus meiner Hosentasche zog und vom Funkeln der Sterne erhellt auf mein verzerrtes Spiegelbild starrte. Im Silber des Rings zerfloss die Reflexion meiner Fratze wie mit Tinte gepinselt. Für einen Augenblick wünschte ich, Anton hätte mich im Höllenfeuer zurückgelassen. Wolkenschleier legten sich über den Sternenhimmel und mit dem schwindenden Licht verschwand auch mein Abbild. Ich ballte die Faust um den Ring und warf ihn in die Dunkelheit.

AN DEN HAAREN HERBEIGEZOGEN

Als im Halbschlaf ein sonderbares Rieseln an mein Ohr drang, war mir, als wäre ich in einer riesigen Sanduhr gefangen, in der mein Leben unaufhaltsam zerrann. Das Korn, auf dem ich während der Fahrt eingeschlafen war, schien unter mir zu versiegen. Ich spürte bereits das rostige Blech der Ladefläche unter meinen geschundenen Gliedern. Blinzelnd sah ich mich um, bis mir in der Ladeklappe die Einschusslöcher auffielen, die wir dem schießwütigen Bernie zu verdanken hatten. War das Getreide während der Fahrt hindurchgerieselt?, grübelte ich.

Obwohl ich nicht mehr wie auf Sand gebettet lag, vernahm ich nun immer lauter werdende Samba-Rhythmen, die darauf hindeuteten, dass ich auf direktem Weg ins Tropenparadies war. Ich lunzte über die Klappe und wahrhaftig: Wie durch eine Himmelsfügung war ich offenbar auf der Copacabana gelandet.

Wohin mein Blick auch fiel, offerierten die buntgeschmückten Tänzerinnen Rio de Janeiros ihre karamellisierten Kurven, die mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Ihre schokosüßen zu den Sambaklängen vibrierenden Brigadeiros stellten die Nähte ihrer Bikinis auf die Zerreißprobe. Das Highlight ihrer Performance war ihr kreisender Hüftschwung, der eine hypnotische Wirkung auf mich ausübte. Die an ihre Tangas gehefteten Perlen und Pailletten fielen bei jeder Bewegung ihrer Hüften wie Champagnerspritzer auf ihre sonnengereiften Rundungen.

Aber bevor ich ein Probierhappen ihrer flambierten Pfirsiche nehmen konnte, wurde das südamerikanische Fruchtfleisch von sowjetisch-kühlen Erscheinungsformen abgelöst. In schneeweißen Schwanenkostümen und zu Tschaikowskys Orchesterklängen schienen die Ballerinas ihre Paarungswilligkeit signalisieren zu wollen. Der am Straßenrand fasziniert zuschauenden Menge verdrehten sie mit eleganten Pirouetten die Köpfe und bei ihrem gesprungenen Spagat ließen sie erahnen, dass sie unter ihren kurzen Röckchen nur den sibirischen Naturschmuck trugen. Gerne hätte ich ihr Zarengold genauer unter die Lupe genommen und streckte bereits die Hand nach den Schätzen unter ihrem Federkleid aus. Allerdings tänzelten sie hochnäsig auf ihren Spitzenschuhen an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich bekam bloß eine weiße Feder aus einem ihrer Kostüme zu fassen.

Lange Zeit, um den russischen Schwänen nachzutrauen, blieb mir aber nicht, da als Nächstes eine Asphaltsafari an mir vorbeizog. Wohin ich auch blickte, streiften an Grace Jones erinnernde schwarze Pantherdamen geschmeidig durch die Stadtsavanne. Offenbar waren sie auf Nahrungssuche, denn sie pirschten sich bedächtig an ihr bevorzugtes Beutetier heran, das allerdings nicht aus Warzenschweinen bestand, sondern aus deren zweibeinigen Artverwandten: Männern. Gerne hätte ich mich ihnen als wehrloses Borstenvieh zu Füßen geworfen, um mich im letzten Moment als Großwildjäger zu erweisen, vor dessen Flinte es für diese außergewöhnlichen Wildkatzen kein Entrinnen mehr gäbe. Mein verwundeter Unterschenkel und die Verbrennungen an meinem Oberkörper hinderten mich jedoch daran, die Seitenwand der Transportfläche schnell genug zu überwinden.

Wo war Anton nur, wenn ich ihn brauchte? Ich lugte durch die Heckscheibe auf den Fahrersitz. Mein Fluchthelfer hatte sein müdes Haupt auf dem Lenkrad abgelegt und verpennte gerade die geilste Show seines Lebens, die Hitzewallungen in meiner Lederhose auslöste.

Da kam mir die frische Brise gerade recht, die mir zu meinem Erstaunen aber nicht vom Wind, sondern vom Luftzug einer Fahne zugeführt wurde, auf der eine pinke Faust auf schwarzem Hintergrund prangte. Sie wurde von einer Amazone geschwenkt, die gut und gerne Homers Odyssee entsprungen sein könnte. Umgeben von einem Gefolge Bürstenschnitt tragender Kameradinnen stand die mediterran anmutende Kriegsherrin auf einem Streitwagen. Zu meiner Verwunderung wurde dieser jedoch nicht von gestriegelten Hengsten, sondern oberkörperfreien Herren gezogen, die im Schweiße ihres Angesichts den Wagen mit dicken, um ihre Schultern gelegten Seilen fortbewegten.

Dem Aussehen nach hätte die Wagenführerin Aphrodites schwarzhaarige Schwester sein können, wenn sie nicht so verbissen wie eine Dobermannhündin gewirkt hätte. Sie trug ein schulterfreies Kleid aus graphitfarbenem Garn, das ihre Herzberge zwar bedeckte, deren eisige Gipfel aber nicht verbergen konnte. Durch ihre zusammengekniffenen Augen blickte sie bedrohlich in die Ferne, während sich die geschwungenen Strähnen ihrer Haare wie die Hälse der Hydra im Fahrtwind schlängelten.

Seltsam, eben wähnte ich mich noch am Zuckerhut, vor dem Kreml, in der Kalahari und nun schien ich im antiken Griechenland gelandet zu sein. Es wurde eindeutig Zeit für meine Stimmungsaufheller. Ich tastete meine Lederhose nach der Pillendose ab, schien sie im Eifer des ländlichen Gefechts jedoch verloren zu haben.

So blickte ich benebelt zu der sich mir nähernden Sklaventreiberin, die mittlerweile ein Megafon gezückt hatte, das sie wie eine Schusswaffe in meine Richtung hielt.

In südländischem Akzent setzte sie zu einer flammenden Rede an: »Schwestern aller Völker, die Zeit ist gekommen, eure Stimme zu erheben und dem Patriarchat den Kampf anzusagen. Lange genug waren wir seelenlose Sexobjekte der Männer. Sie halten uns für Freiwild, das sie nach Belieben jagen können. Damit ist jetzt Schluss! Ab heute wird zurückgeschossen – bis alle Machoschweine tot sind!«

Während ihr Frauengefolge applaudierte und »the future is female« skandierte, stieß mir ihre Rede sauer auf. Ich fühlte mich wie ein Kind im Süßigkeitenladen, dem erst Naschereien aus aller Welt angeboten wurden, doch dem dann, kurz bevor es sie kosten darf, von Mutti auf die Hand gehauen wurde. Das wollte ich mir nicht gefallen lassen, weshalb ich die Männerhasserin aus Leibeskräften ausbuhte, sobald ihr Wagen auf meiner Höhe war.

Per Handzeichen befahl die Rednerin ihren männlichen Maultieren, anzuhalten, woraufhin ihr Karren vor mir zum Stehen kam.

»Schaut alle her!«, rief sie durch ihr Megafon und zeigte mit dem Finger auf mich. »Hier haben wir den ersten Mistkerl, der anderer Meinung ist! Und wen wundert’s? Ich hab von hier oben genau gesehen, wie dieser Lederhosen tragende Lüstling unsere brasilianischen, russischen und afrikanischen Schwestern begafft und angegrabscht hat!«

Noch bevor ich Einspruch erheben konnte, kamen schon die ersten faulen Eier und Tomaten aus wütender Weibeshand auf mich zugeflogen, als stünde ich plötzlich am Pranger. Das Gelächter der Frauen war groß, als ein Wurfgeschoss gegen mein linkes Brillenglas klatschte und das flüssige Eigelb meine Backe hinunterlief und in dünnen Dotterfäden von meinem Kinn tropfte.

»So ein notgeiler Grabscher wie er würde sogar von einer Escortdame abgewiesen werden«, setzte die Aktivistin ihre Hasstiraden fort. »Und wenn sie sich doch erbarmen würde, so bekäme dieser Hinterwäldler nicht mal einen hoch!«

Damit war sie zu weit gegangen! Um das Miststück endlich zum Schweigen zu bringen, sprang ich allen Schmerzen zum Trotz über die Wand des Transporters auf ihren Wagen, um ihr fuchsteufelswild das Megaphon aus der Hand zu reißen. Bevor ich es zu fassen bekam, drehte sie reflexartig ihre Schulter zur Seite, sodass ich ins Leere griff und das Gleichgewicht verlor. Instinktiv versuchte ich, mich festzuhalten, bekam dabei aber nur ihre Haare zu fassen, die meinen Sturz jedoch nicht abfingen, sondern mit mir zu Boden gingen.

Als ich zwei Meter tiefer auf dem Straßenbeton aufschlug und dort nicht nur einzelne Strähnen, sondern ihre gesamte Haarpracht in der Hand hielt, wurde mir klar, dass ich der Radikalfeminstin soeben ihre Perücke vom Kopf gerissen hatte. Verdattert blickte ich nach oben und sah über mir die nicht minder perplexe Frauenrechtlerin, die ihrem Kunsthaar beraubt auf einmal ganz kleinlaut war. Vor Schreck ließ sie das Megafon fallen und hielt schützend die Hände über ihren Kopf, als wollte sie ihre Glatze verbergen. Doch die scheinbar Unverletzbare hatte mir in diesem Augenblick ihre Achillesverse gezeigt.

Ihre Verwundbarkeit war jedoch nicht lange zu sehen, da die Racheengel der Glatzköpfigen bereits im Anflug waren und mir die Sicht auf sie versperrten. Ohne Rücksicht auf Verluste kesselten mich die auf Krawall gebürsteten Emanzen ein und trieben mich wie beim Spießrutenlauf durch ihre Reihen, um mir die Prügelstrafe für meinen versehentlichen Perückenklau zu verpassen.

Der Schellenhagel machte wiederum einen gewissen in die Jahre gekommenen Staatsbediensteten auf sich aufmerksam, der mit seinem Herdenschutzhund an der Leine in meine Richtung eilte …

UNTER DEM DECKMANTEL

Ich rieb mir die Augen und konnte nicht glauben, was ich da sah: Der korpulente Behördenangestellte und sein vierbeiniger Schnüffler waren sage und schreibe Dorfkriminalist Bernie und sein Diensthund Bacchus, die resolut in meine Richtung stapften! Wie um Himmels willen waren die hierhergekommen?, fragte ich mich.

Ich wusste zwar noch nicht, wo wir uns befanden, doch offensichtlich waren uns die beiden in Bernies altem Dienstfahrzeug gefolgt. Den grünweißen, von Rost zerfressenen VW-Käfer entdeckte ich am Straßenrand. War es die Spur des Korns, die den Landjäger auf unsere Spur gebracht hatte? Wie dem auch sei, nahm mich der Alte bereits ins Visier und stürmte mir entgegen, wobei ich schon die Handschellen an seinem Hosenbund klirren hörte.

Intuitiv zog ich mir die gestohlene Langhaarperücke über den Kopf, riss mich von den Kampflesben los und tauchte im Tumult hinter ihnen unter. Über die Schulter sah ich den Konstabler händeringend im Getümmel nach mir suchen, meine Tarnung schien ihn jedoch in die Irre zu führen. Ganz anders ging es Bacchus, der sich von der optischen Täuschung nicht an der Nase herumführen ließ und meinem vom Dorf bekannten Duft zielstrebig folgte, sodass sein Herrchen bald nicht mehr hinterherkam und seinen fränkischen Rex von der Leine ließ. Tollwütig nahm der Wachhund die Verfolgung auf und wirkte dabei wild entschlossen, mir auch die linke Wade zu zerbeißen. Mit Schaum vor dem Maul schlängelte er sich durch die menschlichen Slalomstangen, bis ich ihm nur noch drei Salamilängen voraus war.

Kurz bevor er zuschnappte, geschah das Mirakel: Der Himmel über mir verdunkelte sich, als ein samtweicher Stoff um meinen Körper geworfen wurde, der mich einer Tarnkappe gleich verbarg. Durch den Schlitz des Deckmantels erspähte ich einen graubärtigen Herrn mit langem, schlohweißem Gandalf-Haar, sonnengegerbter, fast lederner Haut und einem zierlichen, aber zäh wirkenden Körperbau.