Naheliegend - Thomas Rittershaus - E-Book

Naheliegend E-Book

Thomas Rittershaus

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Beschreibung

Der Autor kauft ein altes Haus in einem kleinen Weindorf an der Nahe und erlebt im neuen Umfeld so manches, das ihn zum Schmunzeln und Nachdenken bringt. Kleine humorvolle Geschichten über die liebenswerte Schrulligkeit in einem alternden Mikrokosmos.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Naheliegend

Einzug

Der am Baum hängt

Kegelabend

Energiewende

Das Weingut

Die neue alte Haustür

Carl

Dassykron

„Wandern“

Gartenfreunde

Vandalismus und Bienchen

Fritzi mit dem Quad im Wald

Mauerspecht

Das Buch, das es nicht gibt

Fasnacht

Neujahr

Epilog

PROLOG

Begegnungen mit Menschen empfinde ich als ausgesprochen vielseitig. Mal einschläfernd, mal bereichernd, dann wieder langweilig oder überraschend, bisweilen ausgesprochen unangenehm. Oder sie machen mich neugierig, ab und zu sind sie völlig uninteressant oder euphorisierend, manchmal abstossend oder inspirierend. Hin und wieder sind sie auch einfach genial.

Seit ich vor einigen Jahren in Monzingen eingezogen bin, habe ich viele solcher Begegnungen gehabt, die häufig nachhaltige Eindrücke bei mir hinterlassen haben. Einige Begegnungen waren gewöhnlich, andere so besonders, dass ich sie einfach festhalten muss.

Und da ich nun ein Haus an der Nahe habe, finde ich das folgerichtig sozusagen Naheliegend.

NAHELIEGEND

Im Frühjahr muss ich quasi aus gegebener Veranlassung, wie man ebenso vieldeutig wie unpräzise und geheimnistuerisch zu sagen pflegt, mich auf die Suche nach einer neuen Bleibe machen. Bislang wohne ich etwas südlich von einer größeren Stadt, die für dort verlorene Herzen bei romantisch geprägten Seelen bekannt ist. Ich will in diesem Ort eigentlich nicht wohnen, habe mich aber seinerzeit einer gewissen Hoffnung hingegeben, die sich subjektiv nun als Fehleinschätzung entpuppt. Als ich dieses betrüblichen Umstands gewahr werde, stelle ich schnell fest, dass ich mich hier immer noch nicht richtig wohlfühle, sondern meine Wohnung für mich allein auch zu groß und so teuer ist, dass ich statt der Miete auch locker einen nicht allzu lang laufenden Kredit zurückzahlen kann. Ausserdem kann ich so auch dem streitsüchtigen Turteltäuberichpärchen über mir und dem mich dauernd zuparkenden Nachbarn gegenüber entkommen, ohne einen osteuropäischen Breitschultrigen um gelegentliche Hilfe bitten zu müssen. Ich entschliesse mich also folgerichtig zur multikausalen Dorfflucht.

Aber wohin?

Die schöne und von mir sehr geliebte Vorderpfalz scheidet leider aus nachdem ich feststelle, dass offensichtlich auch andere Dubbeglasliebhaber dort nach dauerhaften Aufenthaltsorten suchen und so das Preisniveau in Gegenden geschraubt haben, die weit von meinem Budget entfernt sind. Schon die Vorstellung einer solchen Finanzierung würde mich augenblicklich entweder in eine tiefere Depression oder die eher zu bevorzugende, aber gleichwohl ungesunde Trunksucht treiben.

Mit der mir gegebenen Fähigkeit zur glasklaren Analyse sortiere ich meine Prioritäten: Nicht allzu weit weg von den drei besten Kindern der Welt, nach zehn Jahren im Vergleich zur Miete im Plus, überschaubarer Renovierungsaufwand, mindestens zehn Kilometer Entfernung zur nächsten Disco, gut mit Auto und Zug zu erreichen, Onkel Doktor vor Ort, Wein- und Bierzapfstelle in der Nähe, sympathischer Bürgermeister, Nachbarn mit Hühnern (Ei zum Frühstück), Handy- und Internetempfang, Wander- und Gesangsverein im Ort, Bäcker und Metzger auch, Milchautomat beim lokalen Landwirt, Blumengeschäft (vielleicht wird man ja mal eingeladen), Einzelhändler in maximal fünf Kilometer Entfernung, aber mindestens fünf Weingüter, kleiner Bachlauf zum Füße reinhalten im Sommer, Campingplatz für meine Gäste, damit die mir zu Hause nicht so auf den Keks gehen. Ruhig sollte die Gegend aber trotzdem sein, gute Luft und historische Bausubstanz für’s Auge würde ich nicht ablehnen.

Ich kontrolliere die Liste meiner Begierden und befinde, dass meine Vorstellungen durchaus naheliegend sind.

Naheliegend? Das Wort lässt mich nicht los.

Die nächsten Schritte sind einfach: Google-Maps, Nahe finden, Hausscout.de (oder so ähnlich) durchsuchen, Preis drücken, zum Notar, einziehen. Fertig.

Ich kaufe dann wenig später das Häuschen in Monzingen. Oft werde ich gefragt, wie ich denn nach Monzingen gekommen sei. Erster Gedanke, der aber bei den Fragestellern nur als suboptimale Auskunft empfunden wird: Mit dem Auto. Zwar ist das auch naheliegend, aber die Antwort ‚ich fand’s Naheliegend‘ leuchtet den Fragestellern sofort ein und zaubert regelmäßig ein Lächeln auf die Gesichter. Auch Naheliegend, finde ich.

EINZUG

Ein Samstag im August. Der von mir gemietete LKW fährt rückwärts zum Haus. Wir müssen aufpassen, um in der engen Gasse nicht an der einen oder anderen Hauswand hängen zu bleiben. Hebebühne ablassen und locker zehn Helfer rocken die Sache.

Meine jüngste Tochter macht sich erst einmal mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut, stösst sich ein paar Mal ihr hübsches Köpfchen an den zu niedrigen Durchgängen in Onkel Toms Hütte, baut sich dann vor mir auf, stemmt die Hände in ihre Hüften und stöhnt: „Papa! Du musst als erstes die ganzen Teppiche rauswerfen! Die stinken ja gotterbärmlich!“

Hmm, denke ich, vielleicht richtig. Mein Vorgänger ist zweifellos handwerklich begabt, aber vermutlich ist ein Staubsauger erstens kein Werkzeug und zweitens ist er, der Vorgänger, dermaßen gechillt, dass er wohl auch denkt, dass Dreck schön klebt und daher viele Dinge gut zusammenhält. Beschlossen! Die Teppiche fliegen raus und wir lüften mal gründlich durch.

Circa drei Stunden später ist der LKW leer und eine Kiste Bier auch. Ich bin dankbar. Tische, Stühle und Schränke sind da, wo sie hingehören, Bett aufgebaut und alle beschrifteten Kartons da, wo sie hin sollen.

In den kommenden zwei Wochen miste ich erst mal aus. Ich hatte das Haus so gekauft, wie andere Menschen Boote kaufen. Mit „Pütt un Pann“, also sozusagen mit allem drum und dran. Wie besehen eben. Ich hatte das auch ganz bewusst so vereinbart, denn die vielen Werkzeuge, Schrauben, Nägel, Werkbank usw kann ich gut gebrauchen. Was ich nicht besehen hatte, waren alte dreckige Jogginghosen, Socken, Unterwäsche und andere antike Habseligkeiten meines Vorgängers, die ich an den unmöglichsten Stellen und überall im Haus vorfinde. Hilft nichts, denke ich, einfach anfangen und irgendwann bist du durch. Also grossen Müllsack her und hinein mit den Schätzchen. Noch einen Sack. Und noch einen. Es läppert sich da ganz schön was zusammen, stelle ich fest. Ich richte einen Abfallhaufen in der Scheune hinter dem Tor ein.

Der Haufen wächst innerhalb der nächsten drei Wochen in ganz erstaunlichem Umfang. Lampen, Bretter, Regale, Bücher, Bilder, Bettpfannen, Kisten und und und. Ich staune täglich mehr, was da so alles angesammelt wurde. Nach drei Fahrten zum Wertstoffhof (du musst dich vorher online anmelden, sonst wird das nichts in Coronazeiten) reicht es mir. Ich rufe meinen Vorgänger an und teile ihm mit, er dürfe jetzt auch mal fahren. Er erscheint am nächsten Vormittag und beschließt kurzerhand, dass wir den Großteil der Sammlung auf die Straße stellen.

„Ja, und dann?,“ will ich wissen.

„Warte mal. Nach einer Viertelstunde ist das weg“, beruhigt er mich.

Ich denke nur ‚häh??‘

Aber er behält recht. Zwei Schränke, Klapptisch, alte Abwasserrohre, Flickenteppiche, vier Regale, Metallkübel, Schaukelpferd, Matratzen, Handtuchhalter und noch viele andere Schmuckstücke sind nach wenigen Minuten verschwunden. Einfach weg. Ich staune immer mehr.

Was ich nicht wusste: Nebenan wohnt Bettina. Sie hat wenig Geld, eine grosse, meist sehr bestimmend anmutende Klappe und kann offensichtlich einfach alles gebrauchen. Mir ist zwar sehr schleierhaft für was, aber es tut gut zu wissen, dass ich wohl ein Haus mit angeschlossenem Wertstoffhof nun mein eigen nennen kann. Hat ja auch nicht jeder. Und wer weiß? Vielleicht ist das ein unique selling point, wenn ich irgendwann einmal wieder ausziehen möchte.

DER AM BAUM HÄNGT

Es ist August, die Sonne scheint und die Welt ist in Ordnung. Andere liegen am Strand oder stehen auf dem Weg dahin im Stau. Ich nicht. Ich bin sparsam und wohne ja schließlich schon da, wo andere Urlaub machen. Geh mal zum Campingplatz und suche einen Deutschen. Findest du nicht, denn die liegen in Holland im Sand. Die Holländer sind dafür hier. Irgendwie Naheliegend.

Ich liege nicht am Meeresufer, sondern stehe im Hof vor meinem Scheunentor, das nach Jahren der Vernachlässigung eine neue Lackierung braucht. Drei Dreiecksschleifer vom lokalen Discounter (wo es all die schönen Dinge gibt) habe ich mit dem Abschleifen des großen Tores in den letzten drei Wochen schon zum Spuleninfarkt getrieben. Dreiecksschleifer Nummer vier schiebe und ziehe ich jetzt mit geradezu hölzerner Empathie über die Latten des kleinen Tors, das ich zur Erleichterung ausgehängt und auf zwei Arbeitsböcke gelegt habe.

Plötzlich stehen vier stattliche Herren vor mir und deuten mit sehr nachhaltigem Fingerzeigen auf meine Schleifmaschine, um mit dieser Fuchtelei mir irgendwie zu signalisieren, ich solle die Maschine abstellen. Ja, ja, schon gut, denke ich. Ich weiß, es ist 14.15 Uhr und Mittagsruhe.

Ich stelle die Maschine ab. Der seriöse Herr ganz rechts fängt aber entgegen meiner Erwartungen (traumatische Nachbarschaftserlebnisse am vorherigen Wohnsitz hinterließen ihre Spuren in meiner wohl sehr rücksichtslosen Seele) nicht sofort an zu schimpfen, sondern stellt sich vor. Er heisse Karl Fels und sei hier der Bürgermeister. Ich nehme Haltung an und ver