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Die Befehle von MA1 Iskander Ayhan sind einfach: Folge Admiral Daltons Sohn als Bodyguard in zivil, während dieser seine Universitätsveranstaltungen besucht. Es ist so typisch – ein hochdekorierter Offizier, der die Ressourcen der Navy für unnötige Sicherheitsleistungen als Statussymbol missbraucht. Doch es dauert nicht lange, bis Iskander klar wird, dass er nicht wirklich dazu da ist, um Daltons Sohn vor harmlosen Spötteleien seiner homophoben Klassenkameraden zu beschützen. Hinter den Piercings, dem Eyeliner und dem aufsässigen Verhalten versteckt Troy Dalton etwas. Er hat Angst. Und obwohl er sich nicht sicher ist, dass der bewaffnete Bodyguard an seiner Seite ausreicht, um ihn zu beschützen, kann er es doch nicht riskieren, die Wahrheit zu enthüllen. Langsam gewinnt Iskander Troys Vertrauen und dessen Mauern fangen an, zu bröckeln. Doch ehe sie sich versehen, stehen sich die beiden Männer viel zu nahe und Iskander zieht die Gefahr auf den Mann, den er zu beschützen geschworen hat. Jetzt weiß er nicht, wie er Troy vor Unheil bewahren soll – indem er in seiner Nähe bleibt oder sich so weit wie möglich von ihm entfernt?
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Seitenzahl: 415
L.A. Witt
© dead soft verlag, Mettingen 2019
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© the author
Titel der Originalausgabe: The Walls of Troy
Übersetzung: Ray Celar
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode.com
Bildrechte:
© lithian – shutterstock.com
1. Auflage
ISBN 978-3-96089-320-2
Die Befehle von MA1 Iskander Ayhan sind einfach: Folge Admiral Daltons Sohn als Bodyguard in zivil, während dieser seine Universitätsveranstaltungen besucht. Es ist so typisch – ein hochdekorierter Offizier, der die Ressourcen der Navy für unnötige Sicherheitsleistungen als Statussymbol missbraucht. Doch es dauert nicht lange, bis Iskander klar wird, dass er nicht wirklich dazu da ist, um Daltons Sohn vor harmlosen Spötteleien seiner homophoben Klassenkameraden zu beschützen.
Hinter den Piercings, dem Eyeliner und dem aufsässigen Verhalten versteckt Troy Dalton etwas. Er hat Angst. Und obwohl er sich nicht sicher ist, dass der bewaffnete Bodyguard an seiner Seite ausreicht, um ihn zu beschützen, kann er es doch nicht riskieren, die Wahrheit zu enthüllen.
Langsam gewinnt Iskander Troys Vertrauen und dessen Mauern fangen an, zu bröckeln. Doch ehe sie sich versehen, stehen sich die beiden Männer viel zu nahe und Iskander zieht die Gefahr auf den Mann, den er zu beschützen geschworen hat.
Jetzt weiß er nicht, wie er Troy vor Unheil bewahren soll – indem er in seiner Nähe bleibt oder sich so weit wie möglich von ihm entfernt?
Diese Befehle waren scheiße.
Ich war auf dem Weg von meinem kürzlich bezogenen Apartment in einer der eher fragwürdigen Gegenden Norfolk, Virginias zu dem Haus von Admiral Gregory Dalton im nahegelegenen Virginia Beach. Während die Scheibenwischer ihren Dienst taten und der beständige Regenfall die Szenerie trübte – ganz zu schweigen von den Straßenschildern –, umklammerte ich das Lenkrad. Eher aus Irritation als wegen der Notwendigkeit, mein Auto am Rutschen zu hindern.
„Biegen Sie links ab“, befahl mir das Navigationssystem mit einer monotonen Stimme.
Ich warf einen Blick auf die Straßenkarte auf dem Display. Es waren nur noch ein paar Meilen. Fast hatte ich es geschafft.
Und ich könnte darüber, verdammt noch mal, nicht glücklicher sein.
Mit der Handinnenfläche trommelte ich auf dem Lenkrad herum. Für so eine Aufgabe hatte ich den Job nicht angefangen. Fünfzehn Jahre lang hatte ich als Cop in praktisch jedem Einsatzfeld gearbeitet, das die Navy bot. Und nun hatte ich mit einem klaren Plan vor Augen in das Feld des Personenschutzes gewechselt. Anstatt auf einem Schiff zu patrouillieren, ein Tor zu bewachen oder mich mit internen Einsätzen auf dem Stützpunkt zu beschäftigen, wie ich es meine ganze Karriere über getan hatte, würde ich jetzt den zivilen Bodyguard für den Sohn irgendeines Admirals spielen. Eines Admirals, der, nachdem ich seine Gunst erst einmal errungen hatte, ein gutes Wort für mich einlegen könnte, sollte ich mich jemals für die Offiziersschule bewerben.
Und dann hatte ich meine Befehle bekommen.
Norfolk, Virginia? Nicht überraschend.
Admiral Daltons Sicherheitsdienst zugeteilt zu werden? So weit, so gut.
Bevor ich den Stützpunkt meines bisherigen Arbeitsplatzes vor drei Wochen verlassen hatte, hatte ich eine E-Mail von Chief Fowler bekommen, dem Master at Arms, der für den Sicherheitsdienst zuständig war. In dieser E-Mail hatte er mir mehr Informationen über meinen Aufgabenbereich gegeben. Es stellte sich heraus, dass ich keinen Admiral beschützen würde. Nein. Ich war jetzt ein Teil des Teams an Bodyguards, das den zwanzigjährigen Sohn eines Admirals beschützen würde.
So eine Scheiße! Ich hatte die Ausbildung zum Personenschützer nicht gemacht, um den Babysitter für den Sohn eines Offiziers zu spielen, während dieser zum College ging. So wie es klang, war das eine einfache Aufgabe, aber es war nicht das, wofür ich unterschrieben hatte. Das war ganz und gar nicht das, was ein Master at Arms in seiner Aufgabe als Militärpolizist der Navy tun wollte – den verwöhnten Sprössling eines hochdekorierten Offiziers zu bewachen, der seine Macht missbrauchte und staatliche Ressourcen verschwendete.
Hurra!
Trotz des Wassers, das meine Windschutzscheibe hinablief, konnte ich das Schild erkennen, das die Geschwindigkeit von 70 auf 40 km/h begrenzte. Das wäre sonst ein echt blöder Strafzettel geworden. Besonders da die Einheimischen hier Gerüchten zufolge nicht besonders gut auf die militärische Präsenz zu sprechen waren. Und die örtliche Polizei war berühmt-berüchtigt dafür, Machtspiele mit der Militärpolizei zu spielen.
Drei Jahre an diesem Ort. Großartig.
Andererseits musste ich mir wenigstens nicht alle zehn Minuten die Haare schneiden lassen. Der Militärhaarschnitt war zu auffällig, weshalb man mir geraten hatte, mir die Haare entweder ganz abzurasieren oder sie wachsen zu lassen. Und ich musste nicht immer perfekt rasiert sein. Was bedeutete, dass ich nicht immer ein besonderes Attest mit mir herumtragen musste, um zu rechtfertigen, warum ich schon zum Mittagessen wieder einen fünf-Uhr-Schatten hatte. Tja, anscheinend hatte selbst die beschissenste Aufgabe ihre Vorteile.
„Ihr Ziel befindet sich auf der linken Seite“, erklärte das Navigationssystem.
„Natürlich tut es das.“ Ich biss die Zähne zusammen.
Durch den strömenden Regen hindurch konnte ich nicht wirklich viel von der Landschaft erkennen, aber die Häuser hier waren definitiv größer als die Häuser vor einer Meile. Manche Grundstücke waren sogar von steinernen Mauern und prunkvollen Toren umgeben. Ein Auto kam mir entgegen. Die Vorderseite war eindeutig die eines Mercedes. Nette Gegend, ganz anders als das Drecksloch, in dem ich lebte.
Admiral Daltons Haus war riesig. Nicht, dass das eine Überraschung war. Es war zwar keine Villa, aber versuchte definitiv, diesen Eindruck zu vermitteln. Es war eines dieser zweistöckigen Häuser im Plantagenstil, wie man sie in Filmen über den Bürgerkrieg sah. Komplett mit weißen Säulen auf der Vorderseite und einer langen Einfahrt, die eine kleine Gartenfläche mit einem Springbrunnen in der Mitte umrundete.
Ich hatte keine Ahnung, wie viel Häuser in dieser Gegend kosteten, aber ich war mir ziemlich sicher, dass sich das niemand mit meiner Besoldungsstufe leisten konnte. Die Navy entließ praktisch einfache Soldaten und Admiral Dalton hatte das Geld, um sich so ein Haus zu kaufen. Nett.
Ich hielt hinter einem SUV, den jemand neben den Stufen zur Eingangstür geparkt hatte. Dann setzte ich meine Mütze auf – was sich merkwürdig anfühlte, jetzt, da mein Haarschnitt herausgewachsen war – und griff mir meine Arbeitsbefehle vom Beifahrersitz. Ich klemmte sie unter meinen Arm, damit sie trocken blieben, verließ das Auto und joggte zur Haustür.
Tiefes, lautes Gebell ließ mich mitten im Schritt erstarren.
Eine Sekunde später waren drei riesige Schatten an der Tür, sprangen und bellten hinter dem Milchglas. Ich schluckte. Niemand hatte etwas von Hunden gesagt. Schon gar nicht von großen Hunden.
„Hey!“, rief jemand. „Aus!“
Alle drei Schatten blieben stehen, traten von der Haustür zurück und setzten sich.
„Brave Jungs“, sagte die Stimme und eine Sekunde später erschien ein menschlicher Schemen im Fenster, von Kopf bis Fuß in derselben blauen Camouflage gekleidet, die ich selbst auch trug.
Die Tür öffnete sich. Er war etwas kleiner als ich – das waren die meisten Leute –, mit kurzem, grau-meliertem Haar und einem Paar goldener Anker – Rangabzeichen eines Chiefs – an seinem Kragen. Er streckte mir seine Hand entgegen. „Sie müssen MA1 Ayhan sein.“
Während ich seine Hand schüttelte, warf ich einen Blick auf das Namensschild an seiner Brust. „Chief Fowler. Es freut mich, den E-Mails endlich ein Gesicht zuordnen zu können.“
„Freut mich auch.“ Er trat beiseite und bedeutete mir, einzutreten.
Als ich eintrat und meine Mütze abnahm, war ich kurz davor, einen sarkastischen Kommentar darüber abzulassen, dass wir offensichtlich nicht nur Bodyguards, sondern auch Butler waren. Doch dann wanderte mein Blick zu den drei Rottweilern, die hinter Fowler standen und mich anstarrten. „Oh … ähm …“
„Sie sind freundlicher, als sie aussehen.“ Fowler kraulte einen von ihnen hinter den Ohren. „Auch der Große.“
„Der Große? Die sind alle gleich groß!“
Er lachte leise. „Sie haben den Großen noch nicht gesehen.“
Oh Gott …
„Lassen Sie sie einfach an ihrer Hand schnüffeln, dann werdet ihr Freunde fürs Leben.“
Ich hatte zumindest ernsthafte Zweifel an seiner Aussage, aber ich streckte meine Hand aus und bewegte mich vorsichtig näher. Ich schluckte und mein Herz raste, als einer der einschüchternden Hunde an meiner Hand schnüffelte.
„Alles gut, Jungs, ab ins Bett!“ Fowler schnippte mit dem Finger und deutete den Flur entlang. Alle drei Hunde sprangen sofort auf und donnerten in die Richtung, in die Fowler gezeigt hatte. Ich beäugte die Hunde kritisch, bis sie aus meinem Blickfeld verschwanden, und versuchte, keine Erleichterung zu zeigen, dass sie weg waren.
Fowler schlug mir auf die Schulter. „Mach dir keine Sorgen um sie. Sie sind harmlos, solange du nicht versuchst, hier einzubrechen oder eines der Familienmitglieder anzugreifen.“
Harmlos. Sicher. Weil sich auch niemand Rottweiler als Wachhunde hielt oder so.
Er grinste. „Mögen Sie etwa keine Hunde?“
Ich verlagerte mein Gewicht und warf einen weiteren Blick in die Richtung, in die die Hunde verschwunden waren. „Sagen wir einfach, dass es einen Grund gibt, warum ich nie in der K9-Einheit gearbeitet habe.“
„Verstehe. Alles klar. Jedenfalls … Wie ich gesagt habe, ich bin Chief Fowler, aber hier sind Chiefs und First Classes normalerweise per du. Also nenn mich einfach Max.“
„Iskander.“
Seine Augenbrauen wanderten in die Höhe, als wir die Hände schüttelten, aber er sagte nichts. Ich ging wie selbstverständlich davon aus, Alexander, Zander, Wie heißt du noch mal? und andere Dinge genannt zu werden, ehe sich Leute an meinen Namen gewöhnt hatten. In einer Welt voller John Smiths gewöhnten sich Menschen mit ungewöhnlichen Namen wie meinem schnell an so etwas.
Er bedeutete mir, ihm zu folgen. „Zum Büro des Sicherheitsdiensts geht es hier entlang.“ Während wir gingen, warf er mir einen kurzen Blick zu. „Wie ist es mit dem Jetlag?“
„Nicht so schlimm. Ich bin nur von San Diego hergekommen, aber sowieso schon ein paar Wochen hier.“
„San Diego? Ich dachte, du wärst in Yokosuka stationiert gewesen.“
„War ich auch. Ich habe mir etwas Sonderurlaub genommen, um meine Familie zu besuchen, bevor ich hergekommen bin. Hauptsächlich, damit ich mich vom Jetlag erholen kann. Der Flug von Japan ist schrecklich lang.“
Er machte ein zustimmendes Geräusch. „Versuch mal, von Bahrain herzufliegen.“
„Kenne ich, das hab ich auch schon hinter mir. Ich hab immer noch Sand in meinen Stiefeln.“
Max kicherte. „Der beste Dienst aller Zeiten, nicht wahr?“
„Ja … so ungefähr.“
Er blieb vor einer Tür am Ende des Flurs stehen, öffnete sie und zeigte auf etwas, das wohl einmal ein leerstehendes Schlafzimmer gewesen war, bevor die Security hier eingezogen war. Irgendwann hatte man es in ein Büro der MAs umgewandelt. Die Kommandozentrale, wie Max es in den E-Mails – vermutlich sarkastisch – betitelt hatte.
Sie hatten einen Waffensafe installiert, damit wir nicht jeden Morgen und Abend zum Stützpunkt mussten, um uns zu be- und entwaffnen. Von dem, was ich aus den E-Mails mitbekommen hatte, konnte man sich bei Max oder MA1 Johnson, dem Sicherheitschef der Nachtschicht, für den Erhalt und die Abgabe der Waffen eintragen. Sie kümmerten sich auch um den Papierkram und, wenn nötig, die Berichte.
Ich ließ mich auf einem der Stühle vor dem Schreibtisch nieder, während Max sich dahinter setzte.
„Also … hast du je im Personenschutz gearbeitet?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das ist mein erster Einsatz.“
„Na dann.“ Er grinste. „Du hast Glück. Das hier ist ein Kinderspiel.“
Ich lachte auf. „Ist das so?“
„Jep.“ Er nahm meine Einsatzbefehle und heftete sie in einem Ordner ab. „Es gibt insgesamt sieben Militärpolizisten, die hier im Sicherheitsdienst arbeiten – dich mit eingeschlossen –, die sich um zwei Leute kümmern.“
„Zwei?“
„Es sind nur der Admiral und sein Sohn. Du wirst den Jungen in seine Collegekurse begleiten. Außerdem wirst du wahrscheinlich mit ihm reisen, wenn er seine Mutter in Michigan besucht.“
„Wie oft kommt das vor?“
Max zuckte kurz mit den Schultern. „Vielleicht einmal im Jahr für eine Woche.“
„Sie stehen sich nicht nahe?“
Er pfiff durch die Zähne. „Nein.“
„So schlimm?“
„Anscheinend. Er besucht sie einmal im Jahr, um den Frieden zu wahren. Also viel Glück, wenn es an der Zeit für diese Reise ist.“
„Danke.“
Er verzog das Gesicht, ehe er sich räusperte und fortfuhr. „Also für deine täglichen Aufgaben wirst du in zivil arbeiten.“
„Das hattest du bereits gesagt.“ Ich deutete auf meine Haare.
„Stimmt, stimmt.“ Max schmunzelte. „Ja, wenn ich ehrlich bin, ist das eine beschissene und unnötige Aufgabe, aber es ist ein Kinderspiel.“
„Beschissen und unnötig? Wieso?“
Max blickte sich um und senkte seine Stimme. „Ich arbeite schon eine ganze Weile im Personenschutz und lass dir eins gesagt sein: Nichts lässt die hohen Tiere so wichtig erscheinen, wie Bodyguards für Familienmitglieder abzustellen.“ Augenrollend schüttelte er den Kopf. „Es ist eine totale Verschwendung von Navy-Ressourcen, aber hey … der Mann ist anspruchsberechtigt dafür, also …“
Ich knurrte. „Also gibt es eigentlich keine Bedrohung für das Kind?“
„Es gibt eine Bedrohung“, sagte er, während er mit den Fingern Anführungszeichen in der Luft machte, um seine Worte zu betonen. „Aber es ist nichts Ernstes. Nichts, was einen bewaffneten Bodyguard, der einen überall hin begleitet, rechtfertigen würde.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist nur das Werk des Admirals, der seinen Einfluss deutlich machen und jeden denken lassen will, dass er wichtig genug ist, dass es jemand tatsächlich auf sein Kind abgesehen haben könnte.“
„Großartig.“ Ich hatte solche Geschichten schon gehört. Eine Sache, von der ich gebetet hatte, nicht dafür eingeteilt zu werden, war die Shopping-Begleitung – die Frau eines hochrangigen Offiziers auf ihren Shoppingtrips zu begleiten bedeutete hauptsächlich, ihre Tüten für sie zu tragen und nicht sie zu schützen. Das Schlimmste, was einem bei diesen Aufgaben passieren konnte, war, dass die Ehefrau entschied, dass sie ihren Bodyguard mochte. Egal, was er tat, er saß in der Scheiße. Wenn er die Frau auch mochte und sie erwischt wurden, sorgte der Ehemann dafür, dass der Bodyguard so lange degradiert wurde, bis er selbst den neuen Rekruten in der Grundausbildung salutieren musste. Und wenn er sie nicht mochte, hatte die Frau ihre Mittel und Wege, ihm das Leben zur Hölle zu machen. Ich hatte sogar von jemandem gehört, der sich geweigert hatte, mit der Frau eines Generals zu vögeln, und am Ende vorm Militärgericht gelandet war, weil er sie angeblich vergewaltigt hatte.
„Also … hier geht wirklich nichts vor sich?“, fragte ich. „Ich bin nur hier, um den Vater des Kindes stellvertreterhaft wichtig aussehen zu lassen?“
„Im Prinzip schon.“ Max zuckte mit den Schultern. „Ich meine, der Junge bekommt einigen homophoben Scheiß von den Studenten am College zu hören. Aber ich glaube nicht, dass irgendetwas davon eine richtige Bedrohung ist.“
Mein Herz machte einen Satz. „Was für Scheiß?“
„Allgemeines Mobbing. Beleidigungen. Hin und wieder die obligatorische Nachricht, die an seiner Windschutzscheibe klebt.“ Er machte eine abwinkende Bewegung mit der Hand. „Ganz ehrlich, das sind nur Kinder, die sich wie Kinder verhalten. Als ob es in dieser Gegend nicht schlimm genug ist, weil es hier viele ethnische Spannungen gibt. Es gibt hier auch noch eine große konservative Bevölkerung, die ein Problem mit Homosexuellen hat. Und einige von deren Kindern gehen gerade aufs College.“
Immerhin sagte er nicht, dass er selbst ein Problem mit Homosexuellen hatte. Nichts war schlimmer, als auf einem Anti-Homophobie-Einsatz zu sein, wenn man einen homophoben Boss hatte. Nicht, dass ich plante, ihm meine Sexualität auf die Nase zu binden. Aber Menschen, die beiläufig mit Beleidigungen um sich warfen, sorgten für ein feindseliges Arbeitsklima. Das hatte ich bei meinem letzten Senior Chief gelernt.
Ein weiterer Pluspunkt für den Job, wenn auch nur ein kleiner.
Ich räusperte mich. „Im Prinzip werde ich ihm einfach überall in der Schule folgen. Das ist alles.“
Er nickte.
„Klingt einfach.“ Ganz zu schweigen von der Verschwendung von staatlichen Ressourcen.
Max schmunzelte. „Ich glaube nicht, dass wirklich jemand plant, ihn zu verletzen. Und ich persönlich denke, dass der Junge, wenn er out and proud sein will, sich zusammenreißen und sich etwas von den Leuten gefallen lassen muss.“ Er hob die Hände und zuckte mit den Schultern. „Aber ich bin nicht hier, um solche Aussagen zu treffen. Ich werde nur dafür bezahlt, dafür zu sorgen, dass das Kind sicher ist.“
Ich rutschte unwohl hin und her. „Und keiner hat daran gedacht, das hier irgendjemandem gegenüber zu erwähnen? Dass das Schwindel, Verschwendung und Machtmissbrauch ist?“
„Jeder sieht, dass das der totale Schwindel, Verschwendung und Machtmissbrauch ist, aber was sollen wir tun? Jeder Militärpolizist hier weiß, dass das scheiße ist. Aber wenn wir das melden, sind unsere Karrieren vorbei.“ Er hob eine Augenbraue. „Möchtest du so kurz vor deiner Pension noch rausgeschmissen werden?“
„Nicht unbedingt, nein.“
„Wir anderen auch nicht. Melde den Kerl“, er deutete hinter mich, „und du kannst dich von jeder Chance, dich mit dem Chief gut zu stellen, verabschieden.“
Ich knirschte mit den Zähnen. Ich hatte vor langer Zeit herausgefunden, dass die Karriereleiter aufzusteigen und sich ethisch immer korrekt zu verhalten nicht immer unbedingt etwas miteinander zu tun hatte, aber es passte mir dennoch nicht. Würde es vermutlich auch nie.
„Also.“ Max lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Hast du noch Fragen, bevor wir den Mann kennenlernen?“
Ich schluckte. „Nein, ich glaube nicht. Alles scheint ziemlich klar zu sein.“
„Ist es. Glaub mir, Zander, das wird der einfachste Stopp in deiner Befehlslaufbahn.“
Iskander, wollte ich ihn korrigieren, aber ließ es bleiben. Ich zwang mir ein Lächeln auf. „Ich freue mich schon darauf.“
Wo habe ich mich da nur hineinmanövriert?
„Gut.“ Max erhob sich. „Dann gehen wir mal zum Admiral. Er ist heute Nachmittag tatsächlich mal zu Hause.“
Ich erhob mich ebenfalls und folgte ihm aus dem Büro hinaus in ein weiteres am anderen Ende des gigantischen Hauses.
Max blieb im Türrahmen stehen. „Sir? Master at Arms First Class Ayhan ist hier.“
„Sehr gut. Kommt herein.“
Ich hatte Admiral Dalton bereits kurz, sehr kurz, getroffen, als ich vor zwei Wochen in Virginia angekommen war. Allerdings hatte sein Sohn zu diesem Zeitpunkt Familie außerhalb des Landes besucht, weshalb ich ihn noch nicht kennengelernt hatte. Als ich ins Büro trat, straffte ich meine Schultern. Der Dienstrang von jemandem schüchterte mich normalerweise nicht ein, aber ich hatte in meiner Karriere nicht viel Zeit mit ranghohen Offizieren verbracht. Es war schon die Ausnahme gewesen, wenn ich jemandem über dem Rang des Commanders begegnet war. Deshalb hätte ich Admiral Dalton fast salutiert – obwohl wir uns bereits begegnet waren, uns in einem Gebäude befanden und unsere Mützen nicht trugen.
Ich stand aufrecht, die Hände hinter meinem Rücken verschränkt. „Guten Nachmittag, Sir.“
„Locker, MA1.“
Ich entspannte mich. Ein bisschen. „Danke, Sir.“
„Ayhan.“ Er beäugte mein Namensschild. „Das ist ein ungewöhnlicher Name.“
„Er ist türkisch, Sir.“
„Aha.“ Der Admiral wandte sich an Max. „Sie haben ihn bereits eingewiesen, Chief?“
„Ja, Sir.“
„Sehr gut. Gentlemen, setzen Sie sich.“
Erneut fand ich mich vor einem Schreibtisch sitzend wieder, dieses Mal mit Max an meiner Seite anstatt mir gegenüber, während der Admiral sich in dem großen Lederstuhl uns gegenüber niederließ.
„Nun gut. Wie Chief Fowler Ihnen sicherlich schon mitgeteilt hat“, sagte er und faltete seine Hände auf dem Tisch, „besucht mein Sohn die Virginia South Western University. Er wurde öfter … belästigt.“
„Ja, darüber wurde ich informiert, Sir.“
„Gut. Mir wäre es lieber gewesen, Troy auf eine sicherere, bessere Universität zu schicken, aber …“ Der Admiral rutschte ein wenig hin und her und hielt den Augenkontakt nicht. „Leider scheint es, als würde sein Verhalten selbst zu einigen der eher progressiven Universitäten durchdringen.“
Ich schürzte die Lippen. Es war nicht so, als hätte ich kürzlich viel Zeit auf dem Campus einer Universität verbracht, aber seine Aussage klang nicht ganz richtig. „Gab es Drohungen speziell gegen ihren Sohn? Oder nur gegen schwule Studenten im Allgemeinen?“
„Troy hat einige bedrohliche Nachrichten bekommen“, sagte Max. „Sie wurden auf der Windschutzscheibe seines Autos hinterlassen, wie ich es per E-Mail gesagt habe. Wir wissen nicht sicher, ob auch andere Studenten sie bekommen haben.“
„Hat sich das jemand angeschaut?“, fragte ich. „Wenn das eine breitgefächerte …“
„Die Universität ermittelt bereits“, sagte der Admiral kurzangebunden. „Meine Bedenken gelten meinem Sohn und ich möchte jemanden, der ihn ständig begleitet. Auch, wenn er seine Kurse besucht.“
Max wandte sich mir zu. „Wo das gesagt ist: Wir sind besorgt, dass ein uniformierter, bewaffneter Bodyguard an seiner Seite nur mehr Aufmerksamkeit auf ihn lenkt und womöglich die Situation eskalieren lässt. Das ist der Grund, warum du in zivil unterwegs sein und so diskret wir nur möglich vorgehen wist.“
Dalton bewegte sich in seinem Stuhl. „Außerdem hat mein Sohn sämtliche Personenschützer verweigert, es sei denn, sie waren in zivil.“
Ich hob eine Augenbraue und musste mir einige Aussagen verkneifen, die mit Bei allem Respekt, Sir … begannen. Es hatte keinen Sinn, den Mann direkt auf dem falschen Fuß zu erwischen. Ebenso kämpfte ich den Drang nieder, Max einen schiefen Blick zuzuwerfen, weil er seine Haltung so schnell geändert hatte – natürlich musste er so erscheinen, als würde er alles ernst nehmen, besonders vor dem Admiral, aber ich misstraute Menschen, die ihre Haltung ändern konnten, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Art von Person konnte ein Arschkriecher oder ein Soziopath sein – und manchmal war es schwer, den Unterschied dazwischen auszumachen.
Admiral Dalton fuhr fort. „Die Universität ist sich der Situation bewusst. Sie werden eine verdeckte Waffe tragen, aber ansonsten werden Sie ein Student wie jeder andere sein. Sie sind nur im Dienst, wenn Troy das Haus verlässt, ob nun für die Universität oder sonst was. Ansonsten haben wir ausreichend Security hier.“ Er deutete auf Max.
Ich nickte. Die Universität wusste Bescheid? Und hatte mich autorisiert, mit einer Waffe auf dem Gelände herumzulaufen? Wegen Belästigungen? Wie viel Einfluss hatte dieser Kerl?
„Also.“ Dalton faltete die Hände. „Haben Sie irgendwelche Fragen?“
„Ähm … nun ja.“ Ich wand mich unter seinem forschenden Blick. „Ich …“
„Fragen Sie einfach, MA1.“
Ich räusperte mich „Was ist mit den Leistungspunkten für die Collegekurse? Ich nehme an, dass ein Teil von sich diskret verhalten auch bedeutet, dass ich für die Kurse lernen und Arbeit investieren muss, deshalb …“
Der Admiral lachte leise. „Ein fairer Punkt, MA1. Ich werde einige Anrufe tätigen, damit Ihnen die Punkte angerechnet werden.“
Wow. Er hatte wirklich Einfluss, oder?
Ich schicke meinen Sohn mit einem bewaffneten Bodyguard an seiner Seite in seine Kurse. Und ach ja, Sie werden dem Bodyguard natürlich seine Leistungspunkte für diese Kurse anrechnen.
Dalton warf einen Blick auf seine Uhr. „Troy sollte mittlerweile zu Hause sein.“
„Ist er“, sagte Fowler. „Er ist etwa zwanzig Minuten vor MA1 Ayhan hier eingetroffen.“
„Oh. Gut.“ Der Admiral erhob sich wieder. „Ich denke, ich sollte Sie einander vorstellen, bevor ich Sie zusammen zur Uni schicke.“
Meine Besichtigungstour durch das Haus ging weiter, als wir Daltons Büro verließen und in Richtung der wuchtigen Treppe gingen. Ganz offensichtlich war dieses Haus von jemandem designt worden, der gerne einen großen Auftritt hinlegte – es war die Art von Treppe, die erst gerade nach oben führte und sich dann zur linken und zur rechten Seite aufteilte. Als wäre sie dem Set von Gone with the Wind entnommen.
Wir gingen nach links und folgten einem kurzen Flur. Dalton stoppte vor der zweiten Tür auf der rechten Seite und klopfte leicht. „Troy?“
Es gab Bewegung auf der anderen Seite, ehe sich die Tür öffnete.
Ein vierter Rottweiler erschien.
Mein Herz schlug in meinem Hals. Das war dann wohl der, den Max als der Große betitelt hatte. Heilige Scheiße!
Der Hund blieb im Türrahmen stehen, beäugte mich neugierig und schnüffelte in der Luft, machte aber keine Anstalten, näher zu kommen. Himmel. Das war der größte Rottweiler, den ich je in meinem Leben gesehen hatte. Und mein Gehirn suchte sich genau diesen Augenblick aus, um mich an das eine Mal zu erinnern, als mein Vater mir gesagt hatte, dass Hunde Angst riechen konnten.
Einen Augenblick später bemerkte ich, dass der Hund nicht der Einzige war, der im Türrahmen stand – er stand neben einem Jungen, der Troy Dalton sein musste.
Ich schluckte. Ich konnte die Tatsache beinahe vergeben, dass mich niemand vor den Hunden gewarnt hatte. Das Mindeste, was sie allerdings hätten tun können, war mich zu warnen, dass Admiral Daltons Sohn verflucht heiß war.
Okay, oder es sein sollte. Die Knochenstruktur – all die perfekt geformten Kanten, Wangenknochen, die Glas schneiden könnten – trieb meinen Puls in die Höhe. Die tiefsitzenden Jeans betonten seine schmalen Hüften und ich konnte nicht anders, als zu bemerken, dass er schlank war, mit schön definierten Armen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er einen Waschbrettbauch unter dem weiten, ausgeblichenen T-Shirt versteckte. Das war allerdings schwer zu sagen, besonders dank der Ist-mir-doch-scheiß-egal-Haltung, die seine Schultern unattraktiv wirken ließ, während sie seine Hüften jedoch gerade in den richtigen Winkel brachte, um den gegenteiligen Effekt zu erzielen.
Sein Gesichtsausdruck zeigte seine innere Einstellung deutlich, angefangen von dem beinahe präsenten Grinsen, bis hin zu den Piercings. Er trug zwei Ringe und einen Stecker in seiner linken Augenbraue, dazu ein paar Ohrringe in einem und einige im anderen Ohr, unter anderem drei im Knorpel oben am Ohr. Ich konnte nicht einmal raten, was seine Naturhaarfarbe war, aber ich war mir sicher, dass Tintenschwarz-Blau es nicht war.
Die Art, mit der er mich von oben bis unten musterte – halb gelangweilt, halb genervt –, komplettierte den Emo-Look. Mein Gott, Punks wie er nervten mich zu Tode.
Der Admiral zeigte auf mich. „Troy, ich will dir deinen neuen Bodyguard vorstellen. Das ist …“ Dalton warf mir einen Blick zu. „Wie sagten Sie, war ihr Vorname noch gleich?“
„Iskander.“ Ich streckte Troy meine Hand entgegen.
Der Junge zog sich ein Stück zurück und beäugte mich auf dieselbe Art, mit der ich die drei monströsen Hunde beobachtet hatte. Zu seinem Vater sagte er: „Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass er Straßenklamotten trägt. Ich möchte keinen verdammten Cop an meiner Seite haben.“
Dalton machte eine abwinkende Bewegung. „Er ist in Uniform, um sich zum Dienst zu melden. Er wird in zivil gekleidet sein, wenn er dich begleitet.“
Troys dreifach gepiercte Augenbraue wanderte in die Höhe. „Und vollkommen normal, oder? Nichts an ihm wird ‚Navy‘ sagen?“
Ich warf Max einen Blick zu, der kurz nickte. „Sicher, klar. Ich hab ein paar Shirts, die ich in verschiedenen Häfen gekauft habe, aber …“
„Nein.“ Troy spannte seinen Kiefer an. „Nichts in der Richtung.“
„Oh. Okay. Sicher.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hab viele schlichte Klamotten.“
„Gut. Zieh die an.“ Troy entspannte sich ein wenig und mir fiel auf, dass seine Schultern trotz seiner gebückten Haltung so angespannt gewesen waren, dass sie wahrscheinlich hart wie Drahtseile waren. Was zur Hölle?
Endlich schüttelte er meine Hand. „Iskander sagtest du?“
Ich nickte.
Als er seine Hand zurückzog, wurde das bisher nur beinahe vorhandene Grinsen zum Leben erweckt. „Ich denke, ich hätte wissen müssen, dass du nur hier bist, um dich zum Dienst zu melden. Ansonsten hätte Dad dich für diesen Haarschnitt längst bei lebendigem Leib gehäutet.“
Mein Herz zog sich zusammen – obwohl es mein Befehl war, inkognito unterwegs zu sein, zuckte ich instinktiv bei der Idee zusammen, dass die Aufmerksamkeit eines hochrangigen Offiziers auf meinen nicht den Regeln entsprechenden Haarschnitt gelenkt wurde. Und das, während ich meine Uniform trug.
Aber Admiral Dalton lachte nur leise. „Nun ja, morgen wird er in zivil sein. Um wie viel Uhr beginnt dein erster Kurs, Troy?“
„Halb zehn.“ Troys Blick huschte zu mir. „Fahren wir zusammen oder treffen wir uns dort?“
„Ich werde meinen Dienst hier antreten und dann fahren wir zusammen.“
Seine Haltung entspannte sich weiter. Als hätte er Angst vor … irgendwas gehabt? Was auch immer es war, die Erleichterung war eindeutig zu sehen. Der starke Drang, ihn zu beschützen, formte sich in meiner Brust. Diese Tatsache überraschte mich genau so sehr, wie die, dass er so unglaublich angespannt sein konnte, während seine Haltung gleichzeitig Schau, wie wenig mich das interessiert aussagte.
Er machte einen Schritt zurück. „Okay, na dann … Wir sehen uns morgen.“
Ich nickte. „In aller Frische.“
Er verzog die Lippen zu etwas, das wohl so nahe an einem Lächeln dran war, wie es ihm möglich war. „Okay.“ Sein Blick wanderte nach unten zu seinem Hund – Heilige Scheiße, der Hund war die ganze Zeit da gewesen? – und schnippte mit den Fingern. „Talos, komm mit.“
Der Hund trottete zurück ins Schlafzimmer.
Troys Blick fand meinen. „Also, morgen.“
„Genau.“ Ich räusperte mich. „Ich seh dich dann.“
Er nickte mir kurz zu, ehe er seinem Hund ins Schlafzimmer folgte. Als die Tür sich hinter ihm schloss, stieß ich erleichtert den Atem aus, von dem ich nicht einmal mitbekommen hatte, dass ich ihn angehalten hatte. Was zur Hölle?
„Komm mit runter ins Büro der Security“, sagte Max. „Wir beenden deine Einweisung dort.“
„Stimmt. Okay.“ Ich hielt Admiral Dalton meine Hand entgegen. „Es war schön, Sie wiederzusehen, Sir. Ich freue mich darauf, für Sie zu arbeiten.
Er schüttelte meine Hand fest. „Willkommen an Bord, MA1.“
Während ich Max die Treppe hinab folgte, blieben meine Gedanken im Flur vor Troys Schlafzimmertür.
Diese kurze, freundliche Begegnung war … merkwürdig gewesen.
Troy war alles, was mich an einem Mann ärgerte – er war ein Goth, der eine aufsässige Haltung ausstrahlte und alles mit einer nicht geringen Menge an Spott beäugte –, aber er hatte mich aus der Balance gebracht. Irgendetwas hatte er, das mich einfach … durcheinanderbrachte. Er hatte Knöpfe bei mir gedrückt, die er nicht hätte drücken dürfen. Ich stand auf Silberfüchse in Anzügen. Dieses Kind bestand praktisch aus Piercings, Eyeliner, Arroganz und einer aufsässigen Haltung – und war dreizehn Jahre jünger als ich.
Aber es hatte mich den gigantischen Rottweiler zu seinen Füßen vergessen lassen.
Vielleicht hätte ich bis nach dem Kennenlernen mit Troy warten sollen, um Dalton zu fragen, ob ich mir die Collegekurse anrechnen lassen könnte. Ich war nicht auf jemanden gefasst gewesen, der meine Sinne so durcheinanderbringen konnte. Sich auf die Vorlesungen konzentrieren? Mitschreiben? Eine Prüfung bestehen? Scheiße!
Und all das wegen jemandem, der mich so nicht beeinflussen können sollte.
Als Max und ich uns im Büro der Security niederließen, spielte ich den Moment noch einmal ab, als Troy sich merklich entspannt hatte, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass wir uns hier und nicht auf dem Campus treffen würden. Er war extrem ablehnend gegenüber der Idee gewesen, dass ich meine Uniform tragen könnte, aber es war mehr als klar, dass er mich bei sich haben wollte, noch ehe er auch nur einen Schritt auf das Gelände der Universität machte.
Wegen Mobbing?
Was zur Hölle?
Und was hatte es mit seiner Versessenheit darauf auf sich, dass ich bloß nichts trug, was mich auch nur ansatzweise mit dem Militär in Verbindung brachte?
Ich hatte mich wochenlang darüber geärgert, diesen beschissenen Auftrag angenommen zu haben, aber irgendwas stimmte hier nicht. Irgendwas war merkwürdig. Mein eigenes, verdammtes Gehirn mit eingeschlossen, wenn man bedachte, wie sehr Troy mich mit einem einzigen Blick aus der Fassung gebracht hatte.
Entweder ich hatte mich gerade in die Twilight Zone begeben, ich wurde gerade verarscht oder die Sache war eine Nummer zu groß.
Ich war mir nicht sicher, welche dieser Optionen mir die liebste war.
Am nächsten Morgen zog ich mir Straßenklamotten an – Jeans und ein einfaches, weißes T-Shirt mit einem schwarzen Hemd darüber, um mein Schulterholster zu verstecken. Die Waffe war nicht sichtbar und meine ganze Erscheinung gab keinen Anlass dazu, zu glauben, dass ich jemals in der Navy gewesen war.
Mir mit einem Kamm durchs Haar zu fahren, war irgendwie merkwürdig. Es war das erste Mal seit fünfzehn Jahren, dass ich mich nicht an die Regeln eines Militärhaarschnitts halten musste. Ich war es nicht gewöhnt, dass mein Haar meine Ohren oder meinen Kragen berührte. Und schon gar nicht, dass ich es frisieren musste, um präsentabel auszusehen – aber ich würde mich daran gewöhnen.
So wenig, wie ich mich auf meinen Einsatz freute, gewöhnte ich mich definitiv daran, nicht mehr so gründlich rasiert sein zu müssen. Ein Vollbart hätte mich zu Tode genervt, aber mich nur morgens einmal rasieren zu müssen und mich dann nicht darum zu kümmern, wenn ich Stoppeln bekam? Das war eine nette Veränderung. Es dauerte immer ungefähr sechs Monate, bevor ich mal eine Woche lang nicht gefragt wurde, warum zur Hölle ich mich nicht rasiert hatte. Und wenn ich ihnen dann mein Attest vorlegte, das besagte, dass ich mich sehr wohl rasierte, mein Haar nur schneller nachwuchs, wurde ich trotzdem ermahnt, weil sie sicher waren, dass ich einfach nur faul war.
Also rasierte ich mich heute nicht, einfach, weil ich es konnte. Mit einem dunklen Schatten auf meinem Kiefer – warum zur Hölle auch nicht – machte ich mich auf den Weg zu Admiral Daltons Haus, um Troy abzuholen.
Ich ging durch die Hintertür und ins Büro des Sicherheitsdienstes, um mich bei Max zu melden und mich zu bewaffnen.
Als ich meine Dienstwaffe in mein Schulterholster steckte, grinste Max. „Beeil dich besser, sonst verpasst du den Bus.“
„Fick dich!“ Ich lachte leise und zog mein Hemd über mein Shirt, damit es das Holster verdeckte.
Er lachte, doch dann änderten sich sein Gesichtsausdruck und sein Tonfall. Er wurde wieder komplett ernst und geschäftig. „Trägst du auch eine private Waffe?“
Ich nickte. „Im Knöchelholster.“
„Gut.“
Ich schaute ihn an. „Erscheint dir das nicht übertrieben für etwas Mobbing?“
Er zuckte mit den Schultern. „Befehle sind Befehle. Der alte Mann würde dem Jungen vermutlich eine komplette Entourage zur Seite stellen, gäbe es derzeit nicht so viele Budgetkürzungen. Das heißt nicht, dass es nötig ist. Aber nötig oder nicht, für dich ist genug Spielraum im Etat.“
„Was für ein Glückspilz ich doch bin.“ Ich nestelte an dem Gurt an meinem Schulterholster. „Und die Universität weiß von all dem hier? Insbesondere, dass ich bewaffnet bin?“
„Natürlich. Es wurde mit der Universität auf allen möglichen Stufen abgestimmt.“ Er reichte mir ein kleines, gefaltetes Stück Papier in einer kreditkartengroßen Plastikhülle. „Trag das immer bei dir, falls dir jemand Schwierigkeiten bereitet. Das sind Kopien des Briefs vom Dekan, deiner Dienstbefehle und einem Brief des Admirals. Die Security der Universität hat ebenfalls Kopien von allem. Wenn dich jemand bedrängt, kooperier einfach, bis der Admiral oder ich alles klären.“
„Werde ich machen. Danke.“ Ich steckte die Hülle in die hintere Hosentasche meiner Jeans. „Wir sehen uns dann heute Nachmittag.“
„Vergiss dein Mittagessen nicht!“
Ich zeigte ihm den Mittelfinger und verließ das Büro.
Als ich in die Flur trat, lungerte Admiral Dalton ein paar Schritte weiter herum. Er war in Dienstkleidung, von den auf Hochglanz polierten Schuhen und den glänzenden Insignien bis hin zu der schwarz-weißen Kappe, die er unter seinen Arm geklemmt hatte.
„MA1 Ayhan“, sagte er.
„Sir.“
Er bedeutete mir, ihm zu folgen. „Chief Fowler hat Ihnen die Briefe des Dekans gegeben? Die Sie dazu befugen, eine Waffe auf dem Campus zu tragen?“
„Ja, Sir.“
„Gut. Gut.“ Er rückte seine Kappe unter seinem Arm zurecht. „Wissen Sie, ein Freund von mir hat Sie persönlich für diesen Auftrag ausgewählt.“
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, nicht sicher, was ich dazu sagen sollte.
„Ich habe ihm gesagt, was ich brauche“, fuhr der Admiral fort. „Die Details dieses Falls und dergleichen. Er hat Sie sofort vorgeschlagen.“ Er schaute mich an. „Sie wurden mir sehr empfohlen, MA1.“
Ich kaute auf der Innenseite meiner Wange herum. War das ein Subtext von Ich würde Ihnen empfehlen, mich nicht zu enttäuschen, den ich da heraushörte?
Ich hakte meine Daumen in meine Taschen, nur um etwas mit meinen Händen tun zu können. „Das freut mich, zu hören, Sir.“
Er nickte mir kurz zu, sagte aber nichts weiter, bis wir vor der großen Treppe in der Mitte des Hauses zum Stehen kamen.
„Nun gut.“ Er schaute auf seine Uhr. „Ich sollte mich auf den Weg machen. Sie lassen es mich wissen, wenn etwas passiert?“
„Natürlich, Sir.“
„Gut.“ Er schlug mir auf die Schulter und zögerte einen Moment, als würde er mit sich ringen, ob er noch etwas sagen sollte. Dann wiederholte er die Geste, murmelte „Gut“ und wandte sich zum Gehen.
Während ich ihm dabei zusah, wie er den Flur entlang verschwand, schluckte ich. Wenn das alles nur gespielt oder ein Schrei nach Aufmerksamkeit war, war Troy auf jeden Fall engagiert bei der Sache. Zumindest genug, um seinen Vater davon überzeugt zu haben. Der Mann hatte einen kompletten Sicherheitsdienst zu Hause und trotzdem gewartet, um mit dem Bodyguard seines Sohns zu sprechen, bevor wir zur Uni fuhren? Obwohl er wahrscheinlich, wie vermutlich jeder seines Rangs, einen Tagesplan voller Termine mit Leuten hatte, deren Gehaltsstufe schwindelerregend hoch war.
Das passte nicht dazu, dass er selbstgerecht und rücksichtslos mit Regierungsressourcen umging.
Ich war trotzdem nicht sicher mit allem hier. Es wirkte wie eine höllische Überreaktion auf nicht gewalttätige Belästigungen.
Aber zur gleichen Zeit konnte ich die Erinnerung an Troys Verhalten gestern Abend nicht abschütteln. Oder irgendwas von letzter Nacht. Unter dem Strich glaubte Admiral Dalton, dass das hier nötig war. Max glaubte, dass es Verschwendung, Betrug und Missbrauch durch einen Vorgesetzten war.
Und Troy …
Troy hatte ehrlich erleichtert gewirkt, zu wissen, dass ich mit ihm gehen würde. Und dass ich in zivil gekleidet wäre.
Schritte ließen mich meinen Kopf drehen. Ich schaute auf, als Troy die Treppe herunterkam – mit dieser Pferd-Höllenhund-Hybrid-Kreatur auf seinen Fersen.
Wow. Er nahm seine Erscheinung definitiv ernst. Ob es nun Goth oder Punk oder ein neuer Trend sein sollte, von dem ich nie gehört hatte, konnte ich nicht sagen. Hieß das, dass ich alt wurde? Jedenfalls war er verdammt engagiert. Es musste den ganzen Morgen gedauert haben, den Eyeliner und die Smokey Eyes so perfekt hinzubekommen. Ganz abgesehen von dem akribischen Arrangement seines ungekämmten Haars.
Er hielt auf der untersten Stufe inne und begutachtete mich von Kopf bis Fuß. Seine dreifach gepiercte Augenbraue zog er dabei in die Höhe. Ich wusste nicht, was das leichte Kräuseln seiner Lippen bedeutete. Es könnte Netter Versuch, alter Mann oder auch Ich muss in der Öffentlichkeit mit dir gesehen werden bedeuten, oder eine Vielzahl anderer Dinge.
Was auch immer. Ich würde mir keine Sorgen um eine Beurteilung meines Modegeschmacks machen. Schon gar nicht von einem Kind, dessen tintenschwarzes Haar zu seinem Eyeliner passte und vermutlich so viel Haarpflegemittel enthielt, dass die 80er neidisch gewesen wären.
Dann griff er seinen Rucksack von der untersten Stufe und hängte ihn sich über eine Schulter. „Können wir los?“
„Kommt … ähm …“ Ich warf dem Hund einen kurzen Blick zu. „Kommt er auch mit?“
Troy grinste. „Nee. Geschichtsvorlesungen langweilen ihn.“
„Oh … jaa.“ Ich war mir nicht sicher, was mich mehr aus dem Konzept brachte – der spielerisch-sarkastische Vorschlag, Talos könnte mit uns in einer Vorlesung sitzen, oder die Tatsache, dass Troy tatsächlich einen Witz gemacht hatte. Ich hustete in meine Faust. „Ja … wie auch immer. Ich bin bereit, wenn du es bist.“
„Lass uns gehen.“
Der riesige Hund begleitete uns zur Tür. Troy hielt inne, um ihn hinter den Ohren zu kraulen. Ich würde lügen, würde ich behaupten, dass mein Puls sich nicht beruhigte, als wir nach draußen gingen und eine Tür zwischen mir und Talos war.
Ich atmete aus. Es würde eine lange, lange Zeit dauern, bis ich mich an die Familienhunde gewöhnt hatte. Besonders an dieses Exemplar.
Memo an mich – Frag nach, wie es mit Hunden aussieht, bevor du den nächsten Auftrag als Personenschützer annimmst.
Auf seinem Weg die Treppen herunter fragte Troy: „Dein Auto oder meins?“
„Das kommt darauf an. Wer fährt?“
Er zuckte mit den Schultern. „Mir egal.“
„Dann fahre ich.“
„Wie auch immer.“ Er warf mir einen Blick zu. „Bist du bewaffnet?“
Ich nickte.
Seine gepiercte Augenbraue zog sich nach oben.
„Nein, ich werde es dir nicht zeigen.“
Ich erwartete, dass er mit den Augen rollen würde wie eine ungeduldige Göre, aber er stemmte seine Füße fest in den Boden und erwiderte meinen Blick mit einer Mischung aus nachpubertärer Verachtung und … irgendetwas anderem. Irgendetwas, das mich an die Art erinnerte, wie er letzte Nacht gewesen war. Genervt von meiner Gegenwart und erleichtert darüber zugleich.
„Keine Spielchen, Iskander.“ Sein Tonfall war klar und eisig. „Trägst du eine Waffe oder nicht?“
„Ja, tue ich.“
„Beweis es!“
Wir schauten uns in die Augen.
„Der Sinn, eine verdeckte Waffe zu tragen, ist, dass …“
„Unterhalte mich“, knurrte er, aber das Zucken seiner Augenbrauen fügte eine unausgesprochene Bitte hinzu.
Ach, was zur Hölle? Ich konnte es besser hier in der Privatsphäre, die Admiral Daltons Einfahrt bot, machen als auf dem Unigelände, wo jeder es sehen könnte.
Ich stieß einen Schwall Luft aus, als ich mein Hemd zurückzog und das Holster unter meinem linken Arm entblößte.
Troy schluckte. Ich glaubte, dass er sogar etwas Farbe verloren hatte.
„In Ordnung?“ Ich ließ mein Hemd wieder fallen. „Können wir dann gehen?“
„Ja.“ Er unterbrach den Augenkontakt und drängte sich an mir vorbei in Richtung meines Autos.
Ich beobachtete ihn für einen Moment. Was zur Hölle? Er hatte doch den Beweis gewollt, dass ich eine Waffe trug, und jetzt, da er ihn hatte … reagierte er so?
Aber einfach dazustehen und zu versuchen, ihn zu verstehen, war nicht mein Job. Also folgte ich ihm zum Auto. Nachdem er seine Bücher im Kofferraum verstaut hatte, stiegen wir ein und fuhren die Einfahrt entlang.
Ohne den sintflutartigen Regen hatte ich einen besseren Blick auf die Nachbarschaft und die umliegende Gegend. Jetzt, da ich in Hampton Roads lebte – der Anhäufung an Städten wie Norfolk, Virginia Beach und Newport News –, lernte ich eine Sache sehr schnell. Und zwar, dass diese Gegend einer dieser merkwürdigen Orte war, wo jegliche verschiedenen gesellschaftlichen Schichten zusammengepackt waren, und das ohne erkennbare Grenzen. Trailerparks lagen direkt neben geschlossenen Wohnkomplexen. Ein teures, vorstädtisches Bauprojekt war direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite von Sozialwohnungen.
Die Gegend um Admiral Daltons Grundstück war nicht anders. Während die Häuser in direkter Nähe ebenso pompös waren, bestand die nächste Nachbarschaft aus älteren Häusern. Manche mussten schon vor dem Zweiten Weltkrieg gebaut worden sein. Die erste Straße, die unseren Weg kreuzte, wurde hauptsächlich von sehr gepflegten Vorgärten und akribisch instand gehaltenen Häusern gesäumt. Mit jeder Straße, die wir passierten, wurde der allgemeine Zustand der Häuser allerdings schlechter. Schließlich ertappte ich mich dabei, wie ich doppelt überprüfte, ob die Autotüren wirklich verschlossen waren, während wir an einem verdammten Graffiti-besprühten Loch vorbeifuhren.
Und drei Straßen weiter waren wir wieder bei den Häusern im Kolonialstil angekommen, vor denen Jaguars und BMWs parkten. Kein Wunder, dass es hier in der Gegend so viele Probleme mit Diebstählen gab. Wäre ich kein Cop und würde in einem heruntergekommenen kleinen Haus nur eine Straße weiter von jemandem wohnen, dessen monatliche Zahlungen für sein Auto meine Hypothekenzahlungen überstiegen … zur Hölle, ich würde vermutlich aus Trotz einsteigen.
Dieser absurde Gedanke brachte mich dazu, trocken aufzulachen. Troy schaute zu mir.
Ich trommelte mit meinen Fingern auf dem Lenkrad. „Also … ähm. Ich bin neugierig.“
Er wandte den Blick ab und konzentrierte sich auf etwas außerhalb des Beifahrerfensters, als er mit einem gelangweilten „Worauf?“ antwortete.
„Den Grund, warum ich hier bin.“
Eine kleine Welle der Anspannung durchfuhr ihn. „Okay.“
„Ähm … Gut. Ich wollte es von dir hören. In deinen eigenen Worten. Wie genau bist du belästigt worden?“
„Glaubst du, dass das gelogen war?“ Der feindliche Unterton brachte mich dazu, innezuhalten.
„Was?“ Ich blickte flüchtig zu ihm. „Nein, ich frage nur nach Details. Nach deiner Perspektive dazu.“
„Dir wurden die Fakten genannt. Mein Vater und Fowler sollten dir alles gesagt haben.“ Er legte seinen Ellenbogen auf dem Beifahrerfenster ab und starrte geradewegs durch die Windschutzscheibe. „Ein paar Idioten mögen keine Schwulen auf dem Campus. Irgendjemand hat letztes Semester Drohnachrichten auf meinem Auto hinterlassen. Du solltest das bereits gehört haben, wenn Fowler seinen Job macht.“
„Richtig. Was genau haben die Nachrichten gesagt?“
Troy rutschte unwohl auf seinem Sitz herum. „Eine sagte Schwuchteln enden in Leichensäcken.“
Ich knirschte mit den Zähnen. „Arschlöcher …“
„Jaa.“ Er zappelte wieder unruhig und starrte weiterhin aus dem Fenster. „Eine Nachricht war eine Regenbogenfahne, auf der Seebestattung für das schwanzlutschende Gör des Admirals geschrieben stand.“
Mein Blut gefror schlagartig in meinen Adern. „Ist das … ist das dein Ernst?“
Troy funkelte mich böse an. „Glaubst du wirklich, ich würde mir so einen Scheiß ausdenken?“
„Hey, ruhig Blut.“ Ich machte eine beruhigende Geste in der Luft. „Das war nicht so gemeint.“
„Und was zur Hölle hast du dann gemeint?“
Ich warf kurz einen Blick auf ihn. „Ich meinte nur, dass ich versuche, zu verstehen, was vor sich geht. Damit ich meinen Job machen kann.“
„Dein Job ist es, bei mir zu bleiben und dafür zu sorgen, dass niemand mir etwas tut. Das ist alles, was du wissen musst.“
„Das habe ich vor“, sagte ich kühl. „Aber je mehr ich weiß, desto mehr …“
„Wenn ich mehr als das wüsste, müsste ich mich nicht mit einem verdammten Bodyguard herumschlagen.“
Ich konnte mich nicht entscheiden, was ich daraus machen wollte. War das die bestimmte Stimme eines verzogenen Navy-Sprösslings, der wusste, dass sein Vater bei wichtigen Personen anrufen konnte, um seine Probleme zu lösen? War das etwas anderes? Oder war ich dabei, mich selbst in eine Migräne-Attacke zu arbeiten, während ich versuchte, herauszufinden, wie ich jede merkwürdige Nuance dieses reizbaren, Eyeliner-tragendes Kinds deuten konnte? Dabei wurde ich dafür bezahlt ihn zu beschützen, nicht ihn zu verstehen.
Was auch immer der Fall war, ich ließ das Thema auf sich beruhen und wir verbrachten den Rest der Fahrt durch die Stadt in unangenehmer Stille.
Endlich fuhr ich auf den Studentenparkplatz und fand einen leeren Platz in einer der hinteren Reihen. Wir stiegen aus und ich öffnete den Kofferraum, damit wir unsere Bücher holen konnten.
„Oh … haben wir Zeit, um vor der Vorlesung in der Buchhandlung vorbeizuschauen?“ Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. „Ich brauche noch meine Geschichtsbücher.“
Troy schüttelte den Kopf. „Versuch’s gar nicht erst. Die haben schon seit zwei Wochen keine Bücher für diesen Kurs mehr. Wir müssen uns meine teilen, bis sie neue bekommen.“
„Okay, klar. Danke.“
„Es ist nicht so, als hätten wir eine andere Wahl.“ Er schaute mich an, als er nach seiner Tasche griff. „Dad sagt, dass du dir die Veranstaltungen anrechnen lassen willst. Also … ich denke, wir teilen uns die Bücher, bis er herausfindet, wie er das regelt.“
Kling ja nicht so begeistert, Junge.
Wir schulterten unsere Taschen und machten uns auf dem Weg vom Parkplatz zum Hauptcampus.
Als wir an einer Gruppe Studenten vorbeigingen, die neben ein paar in die Jahre gekommenen Autos herumhingen, musste ich zwei Mal hinschauen.
Jesus Christus. Seit wann waren College-Studenten so jung? Vermutlich seit der Zeit, in der ich zu glauben begonnen hatte, dass die Navy ihre Rekruten aus der Middleschool bezog. Selbst die Piloten sahen mittlerweile so aus, als wären sie nicht einmal alt genug, um einen Führerschein zu besitzen – geschweige denn, Manöver in Multi-Milliarden-Dollar-Flugzeugen über Kriegsgebieten zu fliegen.
Troy grinste. „Na, schon auf der Suche nach Mädchen?“ Wie ich es schon erwartet hatte, klang ein seltsamer Unterton bei seiner Frage mit. Es war nicht ganz eine Anklage, nicht ganz eine Bitte, bei ihm zu bleiben, aber definitiv mehr als nur eine amüsierte Beobachtung.
„Ähh, nein.“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich lasse mich gedanklich nur selbst ein wenig altern.“
„Was meinst du?“
„Ich meine, dass ich schon seit langer Zeit keinen Fuß mehr auf einen College-Campus gesetzt habe. Alle hier sehen ungefähr zehn Jahre zu jung aus, um hier zu sein.“
Troy lachte hämisch. „Heißt das, dass du zehn Jahre zu alt bist, um hier zu sein?“
„Hey. Hey! Fick dich!“
Wir beide lachten und was auch immer da in seinem Tonfall mitgeschwungen hatte, war verschwunden.
Nur einen Sekundenbruchteil später war die Kälte in seiner Art wieder da und er schaute stumpf nach vorne, ohne auch nur einmal kurz zu mir herüberzuschauen. Was zur Hölle?
Der kurze Austausch von Neckereien war merkwürdig gewesen. Beinahe so, als hätte er für einen Moment vergessen, dass er mich nicht mochte oder zumindest nicht begeistert darüber war, einen modegeplagten Bodyguard dabei zu haben, der dreizehn Jahre älter war als er. Oder dass ihn gleichzeitig selbst die kleinste Versicherung, dass ich da war und nicht weggehen würde, beruhigte.
Ich wurde neugieriger und neugieriger …
Wir waren noch keine zehn Minuten auf dem Campus, als ich ein Plakat für eine LGBT-Gruppe entdeckte. Keine fünf Minuten später, als wir über einen stark frequentierten Platz gingen, liefen ein paar Jungs Händchen haltend an uns vorbei – und niemand schien auch nur mit der Wimper zu zucken.
Vermutlich hatte jeder Ort seine homophoben Arschlöcher, aber diese Uni erschien bereits ziemlich progressiv. Nicht die Art von Umgebung, von der ich erwarten würde, dass ein schwuler Student einen bewaffneten Bodyguard brauchte, um sicher an seinen Vorlesungen teilnehmen zu können.
Aber ich war nicht dazu da, um Fragen zu stellen. Ich war nur da, um Troy zu beschützen. Nur vor was?
Zur Hölle, wenn ich das wüsste.
Unser erster Kurs fand in einem großen Vorlesungssaal mit Sitzen wie in einem Stadion statt. Troy legte seine Bücher auf einem Tisch ganz vorne im Raum ab, doch ich schüttelte den Kopf.
„Nicht hier.“ Ich deutete zu der Ecke, die am weitesten von der Tür entfernt war. „Hintere Reihe.“
„Was?“ Er lachte und rollte mit den Augen. „Bist du einer dieser Nichtskönner, die gerne in der letzten Reihe sitzen und faulenzen?“
„Nein, aber unter den gegebenen Umständen? Ich bevorzuge es, hinten zu sitzen.“
Seine gute Laune verschwand. „Wie du willst. Ich bin hier, um den Kurs zu bestehen, nicht um meine Zeit zu verschwenden.“
„Wir werden auf der Basis von Essays und den Klausurergebnissen bewertet“, sagte ich durch meine zusammengepressten Zähne. „Nicht auf Basis der Sitzplätze.“
„Ach ja? Also hast du nie die Studien darüber gelesen, dass die Noten kontinuierlich abnehmen, je weiter hinten die Studenten sitzen?“
„Habe ich. Hast du je davon gehört, dass Korrelation und Kausalität nicht dasselbe sind?“
Er öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, doch ich fügte leise hinzu: „Und irgendwie bezweifle ich, dass einer der Teilnehmer dieser Studie einen bewaffneten Bodyguard brauchte, um sicher an der Vorlesung teilnehmen zu können. Also sitzen wir in der verdammten hinteren Reihe!“
Seine Gesichtszüge verhärteten sich, seine Augenbrauenpiercings glänzten in dem gedimmten Licht bei einer subtilen Aufwärtsbewegung, die ich wahrscheinlich nicht sehen wollte. Er starrte mich an, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er wegen dem Grund, warum ich hier war, ausflippen sollte, oder ob er sauer sein sollte, weil ich mich nicht innerhalb unsichtbarer Grenzen bewegte.