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Neue Tiergeschichten wurde 1926 zum erstmals veröffentlicht. Autor ist Manfred Kyber. Dies hier vorliegende Veröffentlichung basiert auf dem Buch von 1926. Die Schreibweise wurde nicht geändert. Nur die Schrift wurde von Fraktur auf eine heute gebräuchliche Schrift umgestellt. Die enthaltenen Werke erhielten den Literaturpreis des Buerau International Humanitaire Zoophile in Genf 1930.
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Seitenzahl: 150
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Manfred Kyber
Neue Tiergeschichten
Unter Tieren / Zweiter Band
Neue Tiergeschichten wurde 1926 zum erstmals veröffentlicht. Autor ist Manfred Kyber. Dies hier vorliegende Veröffentlichung basiert auf dem Buch von 1926 und wurde von Frank Kemper ([email protected]) digitalisiert. Die Schreibweise wurde nicht geändert. Nur die Schrift wurde von Fraktur auf eine heute gebräuchliche Schrift umgestellt. Die enthatlenen Werke erhielten den Literaturpreis des Buerau International Humanitaire Zoophile in Genf 1930.
Carl Manfred Kyber, Autor von "Neue Tiergeschichten" war Schriftsteller. Er wurde geboren in Riga am 1. 3. 1890, ist verstorben in Löwenstein (bei Heilbronn) am 10. 3. 1933; war 1918/19 Leiter der deutschen Volksbühne in Riga, später Theaterkritiker in Stuttgart, ab 1923 freier Schriftsteller. Besonders bekannt wurde er durch seine feinfühlig gestalteten Tiererzählungen (»Unter Tieren«, 1912; »Neue Tiergeschichten«, 1926). Daneben schrieb Kyber Gedichte, Satiren, Dramen und Märchen.
Quelle: Universal Lexikon
Der Hamster Ambrosius Dauerspeck war in seinen Bau gerutscht, hatte sorgsam die vollen Backentaschen geleert und die kostbare Getreideladung zu den anderen Vorräten verstaut. Fünf große Speicher hatte er kunstgerecht angelegt und alle fünf bis an den Rand mit Getreide, mit Erbsen und Puffbohnen gefüllt. Es war kaum noch etwas unterzubringen und mühsam stopfte er mit der Tatze die letzte Beute herein. Den Rest steckte er unter sein Ruhebett aus weichen Halmen. „Es kann einem mal flau werden,“ dachte er, „dann hat man stets eine Kleinigkeit bei der Pfote. Es ist auch gut gegen Schlaflosigkeit, dazwischen etwas zu sich zu nehmen, wenn man im Bett liegt.“ Dann kroch er nochmals in alle Zugangsröhren seiner Speicher und schnupperte befriedigt in jeden einzelnen hinein.
„Es wird reichen, es wird reichen,“ murmelte er und rieb sich die weißen Pfoten, „auch wenn es ein harter Winter wird, ich werde nicht sehr abzunehmen brauchen, ich bin versorgt und werde gut im Stande bleiben. Eine schöne Ernte war das dieses Jahr, gar kein Hagel, Regen zur rechten Zeit, Sonne zur rechten Zeit - eine schöne Ernte.“
Ambrosius Dauerspeck hatte recht. Drei Hamster hätten davon satt werden können.
Aber er lebte hier allein, Gott sei Dank, ja, ganz allein, und alle Vorräte würde er allein aufessen können.
Er setzte sich auf sein Ruhebett, streckte wohlig die kleinen Glieder und erholte sich ein wenig. „Was muß man sich abrackern, um fett zu bleiben,“ dachte er, „wenn die Leute ahnten, wie schwer Fett verdient ist!“
Dann begann er eifrig und behutsam den Boden seiner Wohnung mit den Tatzen zu fegen. Es mußte alles sehr sauber sein, denn Ambrosius Dauerspeck war ein ordnungsliebendes Geschöpf.
Plötzlich stutzte er und spitzte die Ohren.
Pfiff da nicht jemand draußen, ganz nahe vor dem Bau? Ambrosius Dauerspeck richtete sich auf den Hinterbeinen auf und ließ die Vorderpfoten spaßhaft hängen, eine etwas tiefer als die andere, knurrte tief und hohl und knirschte unsympathisch mit den Zähnen.
Solche Störungen konnten ihn unbeschreiblich ärgern. Überhaupt, er ärgerte sich leicht, trotzdem er so fett war. Wieder pfiff es, ganz deutlich und in einer ziemlich unverschämten Weise. Ambrosius Dauerspeck schnupperte besorgt in der Luft, lief zum Eingang, fand ihn in Ordnung, lief wieder zurück, kroch die schräge Ausgangsröhre empor und spähte vorsichtig hinaus.
„Solch eine Frechheit - Mariechen Knusperkorn!“ schrie er erbost, „was fällt denn Ihnen ein, meine wirtschaftliche Tätigkeit durch Ihre dummen Gassenhauer zu stören?“
Jenseits des kleinen Baches, auf einem moosbewachsenen Stein, saß die Feldmaus Mariechen Knusperkorn und pfiff.
„Wenn nicht der dumme Bach zwischen uns wäre,“ sagte Ambrosius Dauerspeck giftig, „dann würden Sie nicht einen Augenblick mehr zu leben haben. Aber mich ekelt's vor dem Wasser und meine weißen Handschuhe tun mir leid.“
„Das weiß ich, ach, das weiß ich,“ sagte Mariechen Knusperkorn und verbeugte sich mehrfach, „wenn der Bach nicht wäre, es ist ein tiefer Bach, lieber Herr Dauerspeck, ein sehr tiefer Bach - nie hätte ich sonst gewagt, mich so nahe vor die Nase Euer Gnaden zu setzen. Ach, ich arme Maus, ich arme Maus! Alles verfolgt mich und man will doch auch leben - ach, ich arme Maus!“ klagte sie und wischte sich ein paar Tränen aus den Augen mit dem Schnauzentuch aus einem Wegerichblatt.
„Das ist kein Grund zum Heulen,“ schrie Ambrosius Dauerspeck, „ich habe noch ganz andere Sorgen. Warum setzen Sie sich hierher und pfeifen frivole Melodien? Arbeiten Sie lieber.“
„Frivole Melodien?“ jammerte die Maus, „mir ist nicht nach frivolen Melodien zumute, ich kenne auch gar keine, nur einige alte trostreiche Lieder für diese kummervolle Zeit. Ich pfeife bloß aus Hunger, lieber Herr Dauerspeck, aus reinem Hunger - ach, ich arme Maus, ich arme Maus!“ Das Schnauzentuch trat erneut in Tätigkeit.
„Die will noch betteln,“ dachte Ambrosius Dauerspeck und zog sich unwillkürlich etwas zurück. „Ja, ja, wer hat heute nicht zu klagen? Schlechte Zeiten, schlechte Zeiten,“ murmelte er und kratzte sich sorgenvoll den Kopf mit der Tatze.
„Ach, lieber Herr Dauerspeck,“ sagte Mariechen Knusperkorn und faltete beweglich die Pfoten, „ich bin so sehr hungrig, der Herbst ist da und die Felder sind leer. Unterstützen Sie mich und schenken Sie mir ein paar Getreidekörner aus Ihren vollen Speichern.
„Was?“ schrie Ambrosius Dauerspeck wütend, „volle Speicher? Bei mir? Sie sind wohl um Ihr bißchen Mausverstand gekommen, Mariechen Knusperkorn? Ich habe selbst nichts im Hause, nicht ein Korn, nicht eine Erbse, nicht eine einzige Puffbohne.
Ich kann den Winter einfach verhungern und an den Pfoten schnullen! Noch nie gab es eine so schlechte Ernte wie dieses Jahr, alles ist verhagelt, alles!“
„Ach, ich arme Maus, ich arme Maus!“ klagte Mariechen Knusperkorn.
„Warum haben Sie denn nicht selbst Vorräte gesammelt, Sie törichte Person?“ fauchte Ambrosius Dauerspeck sie an.
„Ich kann doch nicht so viel forttragen wie Sie, mein lieber Herr Dauerspeck,“ sagte Mariechen Knusperkorn, „ich kann doch nur mühsam eine Kornähre mit den Pfoten fassen und auf dem Heimweg geht über die Hälfte der Körner verloren. Sie haben doch die schönen Backentaschen, wo so viel hineingeht. Sie haben doch zwei richtige Markttaschen im Gesicht.“
„Schöne Markttaschen,“ knurrte Ambrosius Dauerspeck, „das sind keine Markttaschen, mein liebes Mariechen Knusperkorn. Das sind eingefallene Wangen, jawohl, weil ich seit Wochen nichts Kräftiges mehr gegessen habe. Mein ganzes Fell hängt in Falten an mir herunter!“ Er strich sich klagend mit der Tatze über den dicken Magen und hüstelte kummervoll in die hohle Pfote.
„Sie sehen gar nicht so mager aus,“ sagte Mariechen Knusperkorn, „außerdem sagten Sie doch eben, daß die Ernte verhagelt sei.
Wie sollte ich dann Vorräte sammeln?“
„Ach, Unsinn, Mausgeschwätz,“ schrie Ambrosius Dauerspeck, „nichts ist verhagelt, es gab noch nie eine so schöne Ernte wie dieses Jahr.“ „Aber dann sind Ihre Speicher doch sicher ganz gefüllt und Sie könnten mir ein paar armselige Körner schenken, wenn es doch eine so schöne Ernte war.“
„Schöne Ernte, schöne Ernte,“ brummte Ambrosius Dauerspeck, „bei anderen war es eine schöne Ernte, aber nicht bei mir. Auf meinen Feldern ist gar nichts gewachsen.
Ein Landwirt hat nie eine schöne Ernte.
Wenn das Getreide Sonne braucht, regnet es, und wenn die Puffbohnen Regen brauchen, scheint die Sonne und sie verdorren.
Bei mir ist alles verdorrt, was nicht verregnet ist, und alles verregnet, was nicht verdorrt ist, und was nicht verregnet und nicht verdorrt ist, das ist verhagelt! Machen Sie, daß Sie fortkommen, Mariechen Knusperkorn, bei mir ist nichts zu holen.“
„Ach, ich arme Maus, ich arme Maus!“ klagte Mariechen Knusperkorn und schluchzte beweglich durch die Schnauze. Jeden hätte es erbarmt, nur nicht Ambrosius Dauerspeck, denn bei ihm waren alle solchen Regungen verdorrt, verregnet und verhagelt.
„Übrigens,“ sagte er bedenklich und richtete sich mißtrauisch auf den Hinterbeinen auf, die eine Vorderpfote etwas höher als die andere, „es raschelt da so eigentümlich um Sie herum. Sind Sie am Ende nicht allein? Es kommt mir was verdächtig vor bei Ihnen, Mariechen Knusperkorn.“
Die Maus legte beteuernd die Pfote an ihre Brust.
„Ich - ich bin ganz allein,“ sagte sie, „wie sollte ich wohl nicht allein sein? Ich habe niemand, der sich um mich kümmert, keine Familie, garnichts - ach, ich arme Maus, ich arme Maus!“
„Sie haben keine Familie?“ sagte Ambrosius Dauerspeck, „das ist doch eine geradezu fellsträubende Behauptung! Sie haben eine so zahlreiche Familie, daß Sie sich selbst nicht mehr durchfinden können.
Sie tun doch nichts anderes, als sich vermehren, es ist ja scheußlich, nur zuzusehen, wie Sie alle paar Wochen neue Kinder kriegen. Ein anständiges Geschöpf wie ich kriegt seine Kinder im Frühling und dann ist Schluß - dann zieht man sich auf sich selbst zurück und kümmert sich um seine Wirtschaft.
Kein Wunder, daß euch alle fressen, wo ihr euch so vermehrt.“
„Ach, lieber Herr Dauerspeck,“ klagte die Feldmaus, „das ist doch bloß Familiensinn, daß wir uns vermehren, denn wenn wir uns nicht so vermehren würden, gäbe es bald keine Mäuse mehr.“
„Das wäre ein großes Glück,“ schrie Ambrosius Dauerspeck, „Mäuse schmecken gut, aber sie fressen einem auch das Getreide und die Puffbohnen fort, die ganze schöne Ernte, die nur für die Hamster da ist.“
„Es war doch gar keine schöne Ernte,“ meinte Mariechen Knusperkorn, „und außerdem finde ich - es ist eine Taktlosigkeit, jemand zu sagen, daß er gut schmeckt, wenn man sich friedlich mit ihm unterhält. Doch ich will nicht nachtragend sein und ich will auch nichts geschenkt haben. Wenn Sie mir aber eine Puffbohne geben, sage ich Ihnen, wo noch ein ungemähtes Getreidefeld ist.“
Ambrosius Dauerspeck fuhr ruckartig in die Höhe.
„Ist das auch wahr?“ fragte er und zog die Nase in mißtrauische Falten. „Es raschelt übrigens schon wieder so sonderbar um Sie herum.“
„Natürlich ist es wahr,“ beteuerte Mariechen Knusperkorn, „ich wäre selbst schon lange hingegangen, aber für eine arme schwache Maus ist der Weg zu weit, es ist eine gute Stunde von hier und das halten meine kleinen Pfoten nicht aus. Darum und aus reiner Nächstenliebe verrate ich Ihnen die kostbare Stelle, bloß für eine Puffbohne, weil ich so sehr hungrig bin.“
„Das hätten Sie auch gleich sagen können, ohne mich so lange aufzuhalten,“ meinte Ambrosius Dauerspeck und tauchte in seine Behausung unter.
Mariechen Knusperkorn pfiff leise durch die Zähne und um sie herum raschelte es von lauter Mäusen.
Ambrosius Dauerspeck erschien baldigst wieder, mit einer Puffbohne in der Tatze.
„Wo ist die Stelle?“ fragte er vorsichtig.
Mariechen Knusperkorn wies mit der Pfote den Weg.
„Hier links hinunter, immer am Bach entlang, immer gerade weiter, dann rechts, dann grade, dann wieder links, dann rechts, dann links - wo die vielen Birken stehen, dort ist das Feld, lauter dicke schwere Körner. Aber Sie müssen immer links vom Bache bleiben, ja nicht rechts, wo die Brücke von Steinen ist, die auf meine Seite über den Bach hinüberführt, das wäre eine ganz falsche Richtung, in der Sie nur in die Irre gehen. Kehren Sie auch nicht zu zeitig um, Eine gute Stunde müssen Sie schon auf den Weg rechnen.“
Ambrosius Dauerspeck warf Mariechen Knusperkorn die versprochene Puffbohne zu.
„Ich werde das Feld schon finden - es raschelt aber doch wieder so sonderbar um Sie herum,“ murmelte er und verschwand im Dickicht.
Bald darauf setzten unzählige Mäuse der Familie Knusperkorn auf der Brücke von Steinen über den Bach und eilten in Ambrosii Dauerspecks fünf gefüllte Speicher.
Fast eine Stunde brauchten sie, um ihre Beute fortzuschleppen. Nur wenig blieb verstreut am Boden liegen.
„Eine schöne Ernte war das dieses Jahr,“ sagte Mariechen Knusperkorn, „gar kein Hagel, Regen zur rechten Zeit, Sonne zur rechten Zeit - eine schöne Ernte.“
Ambrosius Dauerspeck gebrauchte diesen Winter eine unfreiwillige Entfettungskur, die ihm gesundheitlich vorzüglich bekam, aber seine Gesinnung ganz verdarb. Denn er hatte seitdem nur noch den einen Gedanken, Mariechen Knusperkorn aufzufressen. Doch Mariechen Knusperkorn war umgezogen unbekannt wohin.
In einem Heukorb oben auf der Dachkammer lag eine Katzenmutter mit zwei Katzenkindern. Die Kinder waren erst bot wenigen Tagen zur Welt gekommen und sie waren noch sehr hilflos - kleine Pfoten hatten sie, die immer ausrutschten, und unberhältnissmäßig große Köpfe mit blinden Augen, die sich suchend im Magenfell der Mutter vergruben. Sehr sonderbar sahen sie aus. Aber die Katze fand sie über die Maßen schön, denn es waren ja ihre Kinder - das eine grau und schwarz getigert, wie sie selbst, eine Schönheit also, wie man wohl ohne falsche Bescheidenheit sagen durfte - das andere ganz der Vater, der bunt war, mit eleganten weißen Hosen und weißen Handschuhen und einem Tupf auf der Nase, und der so gefühlvoll sang. Wie hatten sie beide so herrlich zusammen gesungen an den ersten Märzabenden im Garten, zweistimmig, viele hübsche Lieder …
Sehr begreiflich, daß diese Kinder mit den kleinen rutschenden Pfoten und den großen Köpfen so prachtvolle Geschöpfe geworden waren, nicht nur Katzen, was an sich schon der Gipfelpunkt ist, wie jeder weiß, nein, Katzenkinder, wie sie die Erde noch nicht gesehen! Stolz reckte sich die Katzenmutter in die Höhe und betrachtete liebevoll schnurrend die kleinen Wunder ihrer Welt.
Hier diese angenehme Bodenkammer schien übrigens in jeder Hinsicht der richtige Ort zu sein, still und ungestört. Ein weicher heugefüllter Korb, warm und überaus geeignet für die ersten Kletterversuche, viel Gerümpel ringsherum, voller Spannungen und Entdeckungsmöglichkeiten, freundlich vom Maimond beleuchtet, der durch die Fenster lugte, weite Flächen zum Spielen, und dann welch ein berühmtes Mausrevier, welch ein weites Gebiet zur sachgemäßen Ausbildung der beruflichen Fähigkeiten!
„Ich sollte doch selbst mal ein wenig nach Mäusen sehen,“ sagte die Katze, „die Kleinen schlafen und eine Ablenkung würde mir gut tun, Kinderpflege ist angreifend und mir ist auch so, als hätte ich Appetit.“ Die Katze erhob sich vom Heulager, bedeckte schnell noch einmal ihre Kinder und strich dann auf leisen Sohlen, schnuppernd, an Kisten und Körben entlang. Es hatte doch, auch wenn man allmählich etwas in die Jahre gekommen war, immer noch etwas angenehm Aufregendes, so nach Mäusen zu schnüffeln. Und jetzt - raschelte da nicht jemand? Roch es nicht so erbaulich nach Mäusen? War das nicht der feine Duft, unverkennbar für eine kätzliche Nase? Noch einige vorsichtige Schritte, auf Samtpantoffeln - niemand machte ihr das nach - und dann stand sie vor einem Mäusenest, in dem zwei kleine nackte Junge lagen.
„Bloß Junge?“ dachte die Katze, „da wären die Samtpantoffeln überflüssig gewesen, die können weder laufen noch sehen.
Es lohnt überhaupt kaum, zwei kleine Bissen, weiter nichts. Aber man kann ja immerhin, zur Stärkung sozusagen . . .“
Sie wollte zupacken. Aber etwas in ihr redete.
„Sie können weder laufen noch sehen, ganz wie deine Kinder. Sie sind völlig hilflos und die Mutter wird wohl tot sein. Sie sind so hilflos wie deine Kinder, wenn du nicht da bist. Es ist wahr, daß es Mäuse sind, aber es sind kleine Mäuse, sehr kleine, es sind Kinder - nicht wahr, du weißt es, was Kinder sind?“
Es war die Mutterliebe, die redete, und in ihr redete die Alliebe, ihr künftiger Geist.
Er kann nur reden in einer Mutterliebe, die sehr groß ist, so groß wie die Mutterliebe einer Katze, denn sie ist eine der größten.
„Nicht wahr, du weißt es, was Kinder sind?“ fragte die Stimme.
Die Katze beugte sich herab, faßte die eine kleine Maus vorsichtig mit den Zähnen und trug sie in ihren Heukorb. Dann ging sie zurück und holte das andere Junge. Sie nahm beide an die Brust und säugte sie, mit ihren zwei Katzenkindern zusammen.
Die kleinen Mäuse waren schon halb erstarrt, aber sie erwärmten sich sehr bald im Magenfell der Katze. Sie waren halb verhungert, aber sie sättigten sich bald an der Brust der Katze. Sie fühlten sich völlig geborgen bei einer Mutter und ahnten es nicht, daß diese Mutter eine Katzenmutter war. Wie sollten sie das wissen? Sie waren blind und hilflos. Über ihnen lag schützend die krallenlose, weiche, samtene Katzenpfote.
Die Katzenkinder wuchsen und die Mäusekinder wuchsen, beide öffneten die Augen und das erste, was beide sahen, war die gleiche Mutter und die gleiche große Mutterliebe.
Sie waren Kinder und sie spielten miteinander und die Maisonne sah zum Fenster herein und spielte mit. Und sie wob einen goldenen Schein um den Kopf der Katzenmutter.
Es ist dies eine wahre Geschichte. Sie ist nur klein und doch ist sie sehr groß. Es ward eine neue Welt in ihr geboren von einem kleinen Geschöpf und in einer ärmlichen Dachkammer. Es wird auch nicht immer so sein, noch lange nicht, aber es ist ein großes Ereignis, daß dies geschehen ist. Die Gesetze der alten Welt sind stark und schwer, aber sie werden überwunden Stufe um Stufe, denn die Alliebe ist eine lebendige Kraft in der Seele dieser Erde. Langsam, sehr langsam wird die neue Welt aus der alten geboren, und das geschah schon oft in einer ärmlichen Dachkammer und die Menschen wußten nichts davon. Die Menschen wissen so wenig und am wenigsten wissen die, welche am meisten zu wissen meinen. Sie wissen auch nicht, ob Tiere beten. Aber ich glaube, daß auch Tiere in ihrer Not eine Macht anrufen, die über ihnen ist - und wenn diese Katze bitten würde, die Mutter Gottes würde sie vor allen anderen erhören.
Die Maisonne wußte, was die Menschen nicht wissen. Denn sie wob einen goldenen Schein um den Kopf der Katzenmutter.
Die Eintagsfliege entschlüpfte dem Wasser, kroch langsam ans Ufer und reckte die feinen Flügel in der Junisonne. Eine Lebensform war beendet, eine andere begann. Wie ein ferner Traum verblaßte in ihr das Dasein als Larve, ein Dasein voll Raubgier und Hunger, beschwert und gefesselt durch die Dichtigkeit des Wassers.
Etwas Neues begann, etwas immer Erahntes und doch erst heute Wirkliches. Leichtigkeit und Licht waren die ersten Frohgefühle dieser Wandlung, und Sinn des Lebens waren nun die blitzenden Schwingen in blauer Luft und goldenem Sonnenschein.
Frei von dem, was sie einst selber war, lockte sie das neue Dasein zum Sylphentanz im Äther für ein ganzes, langes Leben von Morgen, Mittag und Abend - und flugfroh zitterten ihre Flügel, bereit zum Aufstieg in die durchsonnte Unendlichkeit.
An einer sumpfigen Stelle des Wassers, dem die Eintagsfliege zu neuem Leben entstiegen war, hockte ein dicker grüner Frosch und sah mit erheblichen Augen und völlig anders gearteten Gefühlen auf das seltsame Geschöpf.
„Das ist eine fette Person, die muß ich unbedingt aufessen,“ dachte er und sein reichlich bemessener Mund klappte appetitvoll auf und zu. Langsam und vorsichtig schwamm er näher, mit der Übung des beruflich Ausgebildeten.
Die Eintagsfliege dehnte wieder die Flügel und streckte die Glieder. Irgendeine Schwere war noch zu überwinden, schien es ihr, und plötzlich, einem unbewußten Willen folgend, kroch sie aus sich heraus, häutete sich und stand nun, neugeboren in jedem einzelnen Glied bis auf die federnden Schwingen, vor ihrer eigenen Maske, dem Abguß dessen, was sie gewesen und nun nicht mehr war.
„Nanu?“ sagte der Frosch, „jetzt hat sich die fette Person verdoppelt. Das ist ja unerhört. Am Ende werden es noch drei?
Welche ist fetter? Welche esse ich?“ murmelte er und blieb unbeweglich sitzen, mit der ganzen Geduld des reifen und erfahrenen Frosches.
Am Uferrand pilgerten eine Ameise und ein Käfer. Es wanderten auch sonst noch an diesem schönen Junitage viele mehrbeinige Leute umher, aber diese beiden hatten sich zu einer zwanglosen Unterhaltung zusammengefunden. Natürlich hatte die Ameise sich vorher genau vergewissert, daß der Käfer Vegetarier war. Man weiß ja bei dieser vielfältigen und beinreichen Familie nie, ob es nicht gerade jemand ist, der Ameisen verspeist - die Fühler zittern einem, wenn man es nur ausspricht - und unterhalten kann man sich überhaupt erst in Ruhe, wenn man sorgsam geprüft hat, wer wen frißt. Aber dies hier war ein harmloser Pilger in einfachem, braunem Kleide, ein wohlwollender Getreidekäfer.