Neues von Gestern - Daniel Schreiber - E-Book

Neues von Gestern E-Book

Daniel Schreiber

0,0

Beschreibung

Neues von Gestern ist eine Kurzgeschichtensammlung. Die Genres umfassen Science-Fiction, Fantasy und Zeitgenössisches. In einer Bandbreite von Themen werden aktuelle und zeitlose Fragen in spannenden, gruseligen, schrägen und humorvollem Geschichten neu gestellt, betrachtet und vielleicht sogar beantwortet. Das Tempo ist hoch und das Kopfkino wird bestens bedient.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 181

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Vorwort

Herzlichen Dank schon mal für Dein Interesse, bis hierher. Diese 13 Kurzgeschichten sollen in erster Linie unterhalten. Ich habe versucht die Geschichten facettenreich und abwechslungsreich zu schreiben und da sie eben kurz sind, haben sie auch ein relativ hohes Tempo. Ich möchte immer etwas optimistisches mitschwingen oder zurück lassen, wobei manch brutaler oder dramatischer Verlauf dies trüben könnte, hoffe ich dennoch nicht all zu sehr. Es gibt Sex, Tote und Verzweiflung in diesem Buch, aber auch Liebe, leben, Hoffnung und sogar Kuchen. In so fern empfehle ich dieses Buch erst ab 16 Jahren. Beim schreiben dieser Geschichten konnte ich viele meiner Ideen und Gedanken verarbeiten und sie somit auch besser verstehen, mehr dazu am Ende. Allerdings ist es nicht mein Ziel eine „Wahrheit“ oder „Moral“ zu predigen, als viel mehr Denkanstöße und Inspiration. Viel Spaß!

Daniel Schreiber

Inhaltsverzeichnis

Science-Fiction

All Goodlie

Ikigai

Devolution des Fortschritts

Neues von Gestern

Spore

Eine seltene Konsequenz

Krieger und Philosophen

Stasis

Fantasy

Der Trifresser

Gerd ist tot

Zeitgenössisch

Nach kaputt kommt logisch

Etwas über Liebe lernen

Kabelschnur

All Goodlie

Bonnie saß in ihrem Schwebestuhl auf der obersten Etage des Schlarafadome, starrte auf ihre Füße und murmelte: „Wie das wohl wäre, sie zu benutzen?“

„Kein Problem, Bonnie“, antwortete die künstliche Stimme von AllGoodlie in ihrem Kopf und ließ ihren Schwebestuhl ein wenig umhergleiten, als würde sie laufen.

Bonnie lächelte müde und bedankte sich gelangweilt bei dem Programm. „Bro möchte gerne mit dir Zeit verbringen, ist das ok für dich?“, hörte sie wieder die Stimme in ihrem Kopf, sie nickte ausdruckslos und starrte weiter auf ihre Füße. Im nächsten Moment öffnete sich eine Bodentür und der Schwebestuhl ihres guten Freundes Bro stieg zu ihr empor.

„Hey Bonnie, wie gehts dir? Was machst du denn ganz allein hier oben?“, fragte er beschwingt.

„Ganz ok. Ich langweile mich.“

„Du langweilst dich? Hier? Das kann man doch ganz schnell ändern. Worauf hast du Lust?“

„Weiß nicht. Immer wenn ich gerade dabei bin, mir Gedanken über etwas zu machen, gibt AllGoodlie mir direkt die Antwort“, erklärte sie genervt.

„Genau das ist doch auch der Sinn der Sache. Du sollst dir keine Gedanken machen, sondern einfach genießen“, erklärte Bro. „Komm, ich bestell uns erst einmal ein großes Eis, damit wir die neuesten digitalen Landschaften besser genießen können“, fügte er noch an und im nächsten Moment kamen zwei Drohnen, die sie automatisch mit Eis fütterten. Bro schmatzte vergnügt, aber Bonnie wollte nicht.

„Die Aussicht wird sowieso ständig meiner Idealvorstellung angepasst. Warum macht denn dieses Eis sie besser?“, fragte Bonnie und deutete auf die digitale Landschaft vor ihnen.

„Eis macht ja wohl alles besser“, meinte Bro.

Bonnie musste über die Bemerkung lachen, bis kurz darauf eine weitere Drohne kam und ihr noch mehr Eis geben wollte mit der Bemerkung: „Eis macht sogar Eis besser!“

Bro lachte und klatschte der Drohne Beifall, aber Bonnie machte das nur zornig. Sie lehnte sich nach vorne und wollte die Drohnen verscheuchen, aber ihre Arme waren zu dick und zu kurz, um sie zu erreichen. „Was ist denn los mit dir?“, wollte Bro wissen.

„Es war lustig, als du es gesagt hast und es mich auch irgendwie aufgeheitert hat, aber nur weil „AllGoodlie“ das erkennt und noch einen drauf setzt, heißt das nicht, dass es dann noch immer lustig ist“, erklärte Bonnie. Die Drohne versuchte erneut, sie mit Eis zu füttern und dann reichte es ihr. Sie schwang sich mit aller Kraft nach vorn, um die Drohne wegzuschlagen, verfehlte sie aber wieder, fiel aus ihrem Schwebestuhl und lag verärgert und hilflos auf dem Rücken – wie ein verunglückter Käfer.

„Ich verstehe nicht, was du für ein Problem hast. „AllGoodlie“ will dir doch nur helfen“, versuchte Bro sie zu beruhigen.

„Ich will das aber nicht. Sieh uns an! Wir sind hier mittlerweile so fett geworden, dass wir uns nicht einmal mehr bewegen können. Ich will mir einfach selbst helfen können, verstehst du?“, schimpfte Bonnie und schlug mit der Faust auf den Boden. Im nächsten Moment hörte sie wieder die Stimme von „AllGoodlie“ in ihrem Kopf.„Sie möchten Themen zur Selbsthilfe beim Abnehmen? Stimmen Sie zu und die Daten werden automatisch in Ihr Gehirn heruntergeladen.“

Nun reichte es Bonnie. Ihr riss der Geduldsfaden. Sie begann zu schreien und strampelte mit Armen und Beinen. Sie hörte zwar noch dumpf die Stimmen von „AllGoodlie“ und von Bro, die wahrscheinlich versuchten, sie zu beruhigen, aber sie war lauter. Als sie irgendwann die Kraft verließ, sah sie das Bro sie nur noch erschrocken anstarrte und nichts mehr sagte, die Stimme von "AllGoodlie" allerdings redete noch immer auf sie ein „Ich kann Sie leider nicht verstehen, ich kann Sie leider nicht verstehen, ich kann Sie leider nicht verstehen …“, wiederholte sie immer wieder, aber als Bonnie es verstand, wusste sie was zu tun war. Sie blickte zu Bro auf und begann ihn anzuschreien. „Ahhhhh …““ Bro zuckte mit den Schultern. „Ahhhh … Ahhhh … Ahhhhhh“, wiederholte Bonnie und je häufiger „AllGoodlie“ darauf antwortete sie nicht zu verstehen, desto breiter grinste sie, dass Bro sie nur noch erschrocken anstarrte und nichts mehr sagte.

„Was willst du denn von mir? Bist du irre?“, fragte Bro sie, aber Bonnie machte weiter, schrie ihn in verschiedensten Lauten an und zeigte dabei abwechselnd auf sich und dann auf ihn.

Bro wusste nicht, was er tun sollte, bis er einfach mitmachte. „Ahhhhh … Ahhhh … Ooohhhh … Iihhhhh … Was soll das bedeuten?“, fragte er sie und seine Mundwinkel zogen sich leicht nach oben, als es ihm dämmerte.

Von diesem Moment an schrien sie sich nur noch in unverständlichen Lauten an. Jedes Mal, wenn „AllGoodlie“ dann in ihrem Kopf antwortete „Ich kann Sie leider nicht verstehen“, sie jedoch einander verstanden, wussten sie, dass sie ein neues Wort erfunden hatten. So aßen sie zwar weniger Eis und hatten auch kaum mehr Zeit für die digitalen Landschaften, dafür entwickelten sie aber ihre eigene Sprache und eines Tages bei einem erneuten Gespräch der beiden fiel Bonnie etwas auf. Sie fühlte sich viel leichter als sonst und hatte sogar einiges an Gewicht verloren, sodass ihr eine Idee kam, die sich in ihrem Kopf wie ein lang gezogenes „Ohhhhhhhhhhh … “ anhörte. Sie lehnte sich nach vorn und ließ sich aus dem Schwebestuhl direkt auf den Bauch fallen.

„Ehhhhh …?“, hörte sie Bro hinter sich, dann legte sie ihre Handflächen neben sich auf den Boden und drückte sich mit aller Kraft nach oben, bis sie sich auf ihre Knie stützen konnte. Sie spannte alles an, drückte ihre Beine durch und dann stand sie auf ihren eigenen Füßen. Wackelig und mit Mühe schaffte sie es, die Balance zu halten und drehte sich vorsichtig zu Bro um. Gleichzeitig sagten beide „Uuuuuuhhhhhh …“

Ikigai

Stu folgte dem Unterricht interessiert, bis Regina ihre Hand hob, den Kopf zu ihm drehte und ihn mit leuchtenden Augen ansah. „Komm gleich mit“ hatte sie auf die Innenseite ihrer Hand geschrieben, Stu nickte und lächelte. Im nächsten Moment kreischte die Sirene und der Unterricht war beendet. Der 3-D-Projektor schaltete sich ab und ließ die Visualisierung des Lehrers verschwinden. Während alle anderen begannen, sich wieder in ihre Schutzanzüge zu zwängen, ging Stu sofort zu Regina. „Wo willst du denn hin?“, fragte er sie leise.

„Das wirst du schon sehen.“

„Ist es etwas Gefährliches?“

„Sagen wir lieber, es ist etwas Spaßiges“, antwortete sie und grinste breit, dann öffnete sie ihre Tasche und zeigte ihm ein kleines Fläschchen mit einem transparenten Gel darin. Stu wusste nicht, was er da sah, und blickte sie nur fragend an. „Das wird super“, sagte sie voller Vorfreude.

„Was wird super?“

„Es wäre super, wenn ihr euch endlich in eure Anzüge packt, damit wir nach Hause können“, meckerte ein alter Mann und ein paar andere hinter ihm nickten zustimmend mit grimmiger Miene.

„Ja ja, der Sandsturm wird euch schon nicht weglaufen“, erwiderte Regina und begann gemächlich ihren Schutzanzug anzuziehen. Stu zog sich seinen ebenfalls über.

„Ihr jungen Hüpfer habt gut reden. Werdet ihr erst einmal alt, dann sieht die Welt schon ganz anders aus“, mahnte der alte Mann.

„Ich kann es kaum erwarten“, erwiderte Regina trocken, zwinkerte Stu zu und klappte ihr Helmvisier runter.

Der Anzug machte aus ihr nur noch eine klobige und hässliche Gestalt, aber für Stu war sie selbst so immer noch wunderschön. Sobald sie ihren Anzug versiegelt hatten, leuchtete ein grünes Licht über der Tür, das Schloss entriegelte sich automatisch und der alte Mann drückte die Tür auf. Draußen heulte der Sturm und wehte Sand in alle Richtungen. Träge gingen die Alten voran und alle anderen folgten.

Wortlos ging Stu hinter Regina her, als sie begann, vom üblichen Weg abzuweichen. Er bekam zwar ein mulmiges Gefühl, aber sagte nichts. Sie verließen die Koloniesiedlung, ohne dass sie von den anderen Schülern bemerkt wurden, und wanderten durch den Sandsturm. Der Sturm wurde immer stärker, sodass Stu ein wenig Angst bekam, doch kurze Zeit später zeichnete sich eine Kontur hinter dem wirbelnden Sand ab und er erkannte, dass sie auf einen Berg zuliefen. Als sie näherkamen, konnte man erkennen, dass sich dort eine Höhle befand. Stu fragte sich, ob Regina wohl ernsthaft da hineinwollte. Als sie sich umdrehte und darauf zeigte, seine Hand nahm und ihn weiterzog, war seine Frage beantwortet.

Sie stapften in die Höhle und der Druck des Windes verschwand langsam. Regina nahm ihren Helm ab und Stu begann wild mit den Händen zu fuchteln, um sie daran hindern, aber sie reagierte nicht. Erschrocken sah er sie an, sie lächelte. „Los, nimm ihn ab! Ist kein Problem!“, rief sie ihm zu. „Mein Vater hat mir das früher gezeigt. Es ist toll, ungefilterte Luft zu atmen“, erklärte sie und atmete tief ein.

Zögerlich nahm Stu seinen Helm ebenfalls ab und atmete vorsichtig durch die Nase. Es roch muffig in der Höhle, doch es war definitiv ein Erlebnis. Schließlich war er noch nie ohne Helm draußen gewesen. Solche Sachen erlebte er erst seit einem halben Jahr, seit Regina in seiner Kolonie lebte. Sie war als Waise in eine Pflegefamilie gekommen und er war seit dem ersten Tag fasziniert von ihr. Vielleicht lag es daran, dass sie schon 17 war, also zwei Jahre älter als er, oder weil sie klar sagte, was sie wollte und man mit ihr immer etwas Spannendes erlebte. Was ihm aber am besten gefiel, war, dass sie ihn ernst nahm und in ihm nicht nur einen kleinen Jungen sah. Er fühlte sich von ihr gleich behandelt und das tat gut, gerade wenn man gewohnt war, in einer Welt zu leben, in der nichts mehr im Gleichgewicht schien. Sie legte ihren Rucksack ab und hockte sich daneben, machte eine kleine Taschenlampe an, nahm erneut das Glas heraus und hob es in die Höhe wie einen Schatz.

„Und was ist das jetzt?“, fragte Stu.

„Das ist reines Ikigai“, sagte sie und sah ihn wieder mit leuchtenden Augen an.

„Was willst du denn damit? Du willst das doch nicht benutzen, oder?“

„Na, du doch auch. Wir machen das zusammen“, sagte sie ganz selbstverständlich.

Stu bekam Angst. Ikigai war ein weitverbreitetes und verbotenes Rauschmittel unter Koloniebewohnern. Kindern wurden Gruselgeschichten darüber erzählt, in denen die Substanz als Monster auftrat und diejenigen holte, die es zu sehr lockten. Wurde man vom Monster gefangen, musste man ewig damit umherwandern und man vergaß, wer man war. In der Schule hatten sie erklärt, dass es den Organismus veränderte, wenn man es zu hoch dosierte. Es rief Wahnvorstellungen hervor und machte den Geist krank. Was man angeblich dafür bekam, war eine Mutation. Wenn man etwas in Ikigai tunkte, übertrug es die Eigenschaften dessen, was vorher damit verbunden war. So konnte man damit in sich selbst alles wiederbeleben, was bereits verloren schien.

„Aber das ist gefährlich! Du hast doch gehört, was sie uns in der Schule darüber gesagt haben“, protestierte Stu. Regina ging nicht auf ihn ein und nahm eine kleine Phiole von ihrer Halskette. Darin war ein fast kaum zu erkennender schwarzer Punkt. „Und was soll das sein?“

„Das ist ein Bienenstachel. Man muss ganz vorsichtig damit sein, weil er so winzig ist“, erklärte Regina und legte beides auf ihren Rucksack. „Gib mir dein Taschenmesser“, sagte sie. Es klang wie ein Befehl. „Ich brauche dieses Pinzettending, was da dran ist.“

Stu zögerte. Er überlegte, was er sagen konnte, aber er war zu perplex. Fordernd sah sie ihn an und streckte ihre Hand aus. Fast automatisch griff er nach dem Messer und gab es ihr, obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte.

„Weißt du denn überhaupt, wie man das benutzt? Was ist, wenn du zu viel nimmst?“

„Hast du schon mal von Bienen gehört, Stu?“, stellte sie eine Gegenfrage.

Stu musste überlegen. Er kannte das Wort, aber wusste nur, dass es mal ein sehr kleines Lebewesen gewesen war. Also zuckte er mit den Schultern.

„Bienen waren Insekten. Sie gab es früher fast überall und sie waren gerade so groß wie dein kleiner Zeh, aber als sie starben, wurde das eine Katastrophe für das Ökosystem. Der Tod dieser winzigen Insekten war der Anfang vom Ende. Sie waren ein unglaublich wichtiger Bestandteil vom großen Ganzen“, erklärte Regina, während sie ganz vorsichtig mit der Pinzette den Stachel aus der Phiole zog.

„Du willst das mit dem Ikigai verwenden? Was soll das bringen? Wo hast du diesen Stachel überhaupt her?“

„Mein Vater hat ihn mir geschenkt, bevor er gestorben ist. Ich will wissen, wie sich das anfühlt, Stu. Ich will wissen, wie es ist, wenn man wichtig ist, wenn man einen Nutzen hat und gebraucht wird, aber natürlich ist es auch bestimmt einfach nur ein Riesenspaß“, antwortete sie selbstsicher und brauchte dann all ihre Konzentration, um den Stachel richtig zu greifen.

Stu starrte sie an und dachte, dass er sie brauchte und sie für ihn wichtig war, aber er traute sich nicht, es auch auszusprechen. Vorsichtig hielt Regina die Pinzette mit dem Stachel und öffnete das Glas mit dem Ikigai.

„Sollten wir uns nicht lieber vorher einen Rat einholen oder jemanden fragen, der sich damit auskennt?“, versuchte Stu es mit Vernunft, aber es war zu spät. Regina hatte den Stachel einfach in das Glas getunkt und presste ihn sich auf den Arm.

„Komm schon! Gib dir deinen Arm, bevor es bei mir losgeht. Lass uns das zusammen erleben“, sagte Regina aufgeregt und lächelte.

Stu war immer noch verwirrt und verunsichert, aber genauso automatisch, wie er ihr das Messer gegeben hatte, streckte er nun seinen Arm zu ihr aus. Sie tunkte erneut den Stachel ins Ikigai und drückte es auf seine Haut. Es dauerte, bis er etwas spürte, aber dann war es wie ein Nadelstich, dessen Spitze sich brennend in seinem Arm ausbreitete.

Vorsichtig zog sie den Stachel heraus und verstaute ihn wieder sicher in der Phiole. „Setz dich zu mir, Stu. Das wird nur ein kleines Abenteuer“, sagte sie und nahm wieder seine Hand.

Er spürte, wie sein Herz begann, schneller zu schlagen und die Hitze sich überall in seinem Körper ausbreitete. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Benommen drehte er seinen Kopf und sah, dass Reginas Augen bereits zugefallen waren, aber noch immer lächelte sie, dann wurde ihm ebenfalls schwarz vor Augen.

Als Stu wieder zu sich kam, war ihm schwindelig. Nur grob konnte er etwas sehen. „Regina!“, rief er noch immer leicht benommen, aber bekam keine Antwort. Sie war weg. Er tastete den Boden ab, aber auch da fand er nichts außer ihrem Rucksack. „Regina, wo bist du?“, fragte er noch einmal lauter.

„Hier drüben. Komm her, das musst du dir anschauen“, hörte er ihre Stimme.

Er drehte den Kopf in die Richtung, aus der sie kam und sah sie. Sie stand am Eingang zur Höhle und blickte nach draußen. Stu raffte sich mühsam auf und ging zu ihr herüber.

„Ich habe das Bewusstsein verloren. Was ist denn passiert? Hast du irgendetwas gemerkt?“, fragte er, als er hinter ihr stand.

„Ja Stu, es ist unglaublich. Sieh dir das an“, antwortete sie und Stu blickte nach draußen. Es war, als wären sie auf einem völlig anderen Planeten. Der Sandsturm war nun wie ein Mosaik, dessen Teile sich geschmeidig bewegten. Er konnte einzelne Sandkörner in ihrem Flug beobachten, da es von violetten Licht untermalt und melangiert wurde. Es war nicht mehr nur ein unvorhersehbarer, rauer Sandsturm, denn jetzt ergab es schon fast Muster. Es war hypnotisierend, bis Regina einen Schritt nach draußen machte.

„Was hast du vor?“, fragte Stu.

Sie drehte ihren Kopf und voller Tatendrang deutete sie mit der Hand an, dass er ihr folgen sollte. Er hatte Angst und hielt es für höchst unvernünftig, ohne Schutzanzug in den Sturm zu gehen, aber wie schon zuvor folgte er trotzdem ihrem Willen. Da sie jetzt sogar spürten, wie der Wind sich bewegte, konnten sie sich einfach fallen lassen und wurden von den Böen immer wieder aufgefangen. Die Sandkörner sausten dabei verspielt um sie herum. Sie sprangen mit ausgebreiteten Armen umher und ließen sich treiben. Zwar mussten sie öfters stark husten, weil der Sand in der Lunge kratzte, aber es nahm ihnen nicht den Spaß. Irgendwann stockte Regina, tippte auf ihre Nase und rannte los. Stu folgte ihr. Sie lief zurück zu der Höhle, schaltete ihre Taschenlampe ein und ging noch viel tiefer hinein als zuvor. Der Gang wurde immer schmaler und Stu fragte sich, was sie vorhatte, bis ihm ein süßlicher Geruch in die Nase stieg. Je tiefer sie in die Höhle gingen, desto intensiver wurde er. Als es schien, dass sie das Ende der Höhle erreicht hatten, versperrte ihnen ein großer Fels den Weg. Seitlich davon ergab sich aber ein schmaler Pfad. Vorsichtig gingen sie um den Fels herum und standen dann in einer Art Kammer. Von oben fiel violettes Licht durch ein Loch in der Decke und legte sich behutsam über etwas, dass auf dem Boden lag. Dem Anschein nach war es die Quelle des süßlichen Geruchs. Auf eine seltsame Weise schien es nicht nur auf dem Boden zu liegen, sondern auch damit verbunden zu sein. Es hatte mehrere Auswüchse, die an ihren Enden kleine, schwarze, runde Fächer trugen.

„Was ist das? Denkst du, es ist gefährlich?“, fragte Stu aufgeregt. Regina antwortete nicht, ging weiter neugierig darauf zu und beugte sich herunter, um es zu berühren. „Und wie fühlt es sich an? Ist es lebendig?“, rissen Stus Fragen nicht ab. Regina kniete sich hin und streckte ihren Kopf ganz nah daran. „Sei vorsichtig“, mahnte Stu nervös.

„Komm her, das musst du probieren“, antwortete sie endlich und atmete tief durch die Nase ein.

Stu kniete sich neben sie und tat es ihr gleich. Der Geruch, der davon ausging, war unglaublich intensiv und wohltuend. Er war fast geneigt, sich davon etwas in den Mund zu stecken, doch Regina kam ihm zuvor. Sie hatte sich ein kleines Stück abgerissen, aber spuckte es sofort wieder aus.

„Ok, das musst du nicht probieren, auf der Zunge ist es nur bitter“, sagte sie und lachte.

Stu lachte ebenfalls und zusammen legten sie sich daneben. Durch das Loch in der Decke beobachteten sie, wie der Wind den Sand durch das violette Licht tanzen ließ und der angenehme Duft lag nun in jedem Atemzug. Stu war überwältigt von diesen neuen Eindrücken und konnte nicht aufhören zu lächeln. Er war dankbar, so etwas zu erleben, und wollte es Regina irgendwie zeigen, ohne jedoch den Moment kaputtzumachen. Also ergriff er dieses Mal die Initiative und nahm ihre Hand. Regina drehte ihren Kopf und sah ihn fordernd an. Dann legte sie sich auf die Seite und lehnte sich über ihn. Wieder fühlte er sich völlig überrumpelt, als sie ihn küsste.

Nach einer Stunde zogen sie schweigend wieder ihre Schutzanzüge an. Vielleicht lag es daran, dass sie Kopfschmerzen hatten und sich eine kleine Beule an der Stelle bildete, in die sie den Stachel gestochen hatten oder weil keiner von ihnen wusste, worüber man sprechen sollte, wenn man gerade zum ersten Mal Sex hatte. Als sie die Höhle verließen, war alles wieder wie vorher. Der Sturm heulte unerbittlich um sie herum und attackierte sie mit Sand.

„Ich bin total fertig, Stu. Wir sehen uns dann morgen in der Schule ok?“, hörte er Reginas Stimme durch sein Funkgerät rauschen.

„Ja, ok“, antwortete Stu knapp. Ihre Wohneinheit lag etwa hundert Meter entfernt von seiner. Wahrscheinlich war es das Beste, wenn sie beide erst einmal Ruhe fanden, dachte er.

Müde schleppte er sich in seine Wohneinheit und pellte sich aus dem Schutzanzug. Seinen Eltern ging er aus dem Weg und stellte sich als Erstes unter die Luftdruckdusche. Er musste immer wieder heftig husten und spuckte sogar etwas Blut. Er hatte Sand in den Ohren, Sand in der Nase und Sand an Stellen, an denen er nie vermutet hatte, dass dort Sand hinkommen kann. Die Beule an seinem Arm schmerzte noch immer und war noch weiter angeschwollen. Er trank mehr als gewöhnlich von seiner Wasserration und legte sich ins Bett. Obwohl er sich elend fühlte und hoffte, schnell und ruhig einzuschlafen, schenkte ihm der Gedanke an Regina ein Lächeln. Nun, da sie sich so nahegekommen waren, wollte er sie immer ganz nah um sich haben. Kurz bevor er einschlief, schrieb er ihr noch eine Nachricht.

„Ich hoffe, Du bist gut angekommen. Mir geht es ziemlich schlecht, aber das war es wert. Ich freue mich schon, Dich morgen wieder zu sehen. Dein Stewart“

Dann schlief er ein.

Als er am nächsten Tag erwachte, ging es ihm etwas besser und die Schwellung war auch zurückgegangen. Eine Antwort von Regina hatte er aber nicht. Er zog sich seinen Schutzanzug an und ging zur Schule, voller Vorfreude Regina wieder zu sehen, aber sie war nicht da. Den ganzen Tag starrte er auf die Tür und hoffte, dass sie nur zu spät kam, aber auch das blieb aus. Er fragte die Alten und welche aus ihrer Wohneinheit, ob sie wüssten, wo sie sei, aber sie zuckten nur mit der Schulter.