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**Was tust du, wenn die ganze Nation dich plötzlich als First Lady will?**
Jacky Wilson, freiheitsliebende Hummerzüchterin in Maine, ist stinksauer. Ausgerechnet bei ihr tritt der angehende Präsident Devon Hennelly auf und lässt sich von ihrem Lieblingshummer in den Finger zwicken. Dummerweise ist Devon noch Single, und die Nation wartet nur darauf, dass er sich endlich mit einer Frau trifft, am besten mit einem bodenständigen „Girl next door“ wie Jacky. Um ihre Hummerfarm zu retten, willigt sie in ein Date ein. Sie kann Anzugträger nicht leiden, doch ganz Amerika sieht in Jacky plötzlich die First Lady. Wie kommt sie bloß aus dieser Nummer wieder raus?
Eine Liebeskomödie mit Gefühl, Humor und einem äußerst lebendigen Hummer
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Never ever, Mr. President!
eine Liebeskomödie von
Karin Koenicke
Erstausgabe im Januar 2019
Alle Rechte bei der Autorin mail: [email protected]
Copyright © 2019
by Karin Koenicke
Primelstr. 9 85386 Eching
Cover: Rebecca Wild
www.karinkoenicke.de
Der Roman entstand als turbulente Liebeskomödie im Jahr 2018, als die politische Lage zwischen den Großmächten eine völlig andere war. Ich bitte meine lieben Leserinnen und Leser, dies im Hinterkopf zu behalten.
Danke und fröhliche Lesestunden!
Eure Karin
Kurzbeschreibung:
Was tust du, wenn die ganze Nation dich plötzlich als First Lady will?
Jacky Wilson, freiheitsliebende Hummerzüchterin in Maine, ist stinksauer. Ausgerechnet bei ihr tritt der angehende Präsident Devon Hennelly auf und lässt sich auch noch von ihrem Lieblingshummer in den Finger zwicken. Dummerweise ist Devon noch Single, und die Nation wartet nur darauf, dass er sich endlich mit einer Frau trifft, am besten mit einem bodenständigen „Girl next door“ wie Jacky.
Um ihre Hummerfarm zu retten, willigt sie in ein Date ein. Sie kann Anzugträger nicht leiden, doch ganz Amerika sieht in Jacky plötzlich die First Lady. Wie kommt sie bloß aus dieser Nummer wieder raus?
Eine Liebeskomödie mit Gefühl, Humor und einem äußerst lebendigen Hummer
Plimmington Harbor, ein idyllisches Hafenstädtchen in Maine
Mit dem üblichen Knarzen fiel die Haustür hinter Jacky ins Schloss. Sie warf die Schlüssel auf die Ablage, kickte ihre Schuhe in den Flur und sah etwas flitzen.
„Hannibal, komm sofort unter dem Sofa raus“, rief sie ins Wohnzimmer, als würde das etwas helfen. Sie seufzte. Wieso trieb sich der Kerl überhaupt wieder im Haus herum?
„Wenn du an den Futtervorräten warst, gibt`s Ärger, das sag ich dir. Dann verkaufe ich dich an Murray.“
Natürlich war das eine leere Drohung, aber wenn er ihre Stimme hörte, kam er meist aus seinem Versteck hervor. Allerdings nur, weil er auf ein paar Leckerbissen hoffte. Jacky bewaffnete sich in der Küche mit einem Shrimp aus dem Kühlschrank und machte ein paar Schritte auf die Couch zu.
Andere Leute hielten sich eine flauschige Katze, die einem beim Fernsehen schnurrend den Bauch wärmte, oder wenigstens einen Hund, der allein lebende Frauen wie sie heldenhaft gegen Einbrecher verteidigte. Doch wer stahl sich in ihre Bude? Der verfressenste Hummer der gesamten Ostküste.
„Los, krabbel jetzt raus.“ Sie kniete sich auf den Boden und präsentierte ihm seinen Snack. „Ich hatte schon genug Ärger heute. Das Treffen mit den anderen Unternehmern war nicht gerade erbaulich.“
Hannibals Füße klackerten über die Holzdielen und er streckte seine Scheren heraus, gefolgt von seinem Kopf. Vorsichtig nahm er ihr das Shrimplein ab und stopfte es sich in den Mund. Dann sah er sie aus seinen schwarzen Knopfaugen bettelnd an. Wäre er eine Katze, würde er jetzt schnurren und um ihre Beine streifen.
Sie widerstand der Versuchung, ihn zu streicheln. Erstens weil er das nicht leiden konnte und zweitens weil sich das bei einem Krustentier nicht ganz so toll anfühlte wie bei einem Angorakaninchen.
„Uns allen steht das Wasser bis zum Hals“, erklärte sie ihm. Obwohl er als Meeresbewohner diese Metapher womöglich ganz falsch deuten würde. „Ich sag`s dir, die goldenen Zeiten hier in Plimmington Harbor sind vorbei. Manche überlegen schon, ob sie ihre Shops dichtmachen und sich in Bangor einen Bürojob suchen. Und ich als Chefin der Bande soll mir was ausdenken, das helfen könnte. Wenn ich nur wüsste, was!“
Erschöpft streckte Jacky ihre Beine auf dem Boden aus. Vor einem Jahr hatte man sie zur Vorsitzenden der BEPH gewählt, der Business Entrepreneurs of Plimmington Harbor. Hinter dem hochtrabenden Titel, der nicht auf Jackys Kappe ging, verbarg sich ein Zusammenschluss der Shop-Inhaber, Hotelbesitzer und Fischer des Städtchens. Man versuchte gemeinsam, gegen den drohenden Untergang des Ortes anzukämpfen, aber bisher mit mäßigem Erfolg. Warum man sie, die ja nur eine kleine Hummerzucht ihr Eigen nannte, zur Nummer eins gemacht hatte, wusste nur Poseidon persönlich. Wahrscheinlich, weil sonst niemand den undankbaren Job haben wollte. Trotzdem – sie nahm das Amt ernst und setzte alles ihr Mögliche in Bewegung, um die Wirtschaft anzukurbeln, leider nicht sehr erfolgreich.
„Na komm, dir wird doch die Luft schon knapp. Ich bringe dich zurück zu den anderen. Habe nämlich heute noch eine Verabredung mit Hank.“ Jacky nahm den Hummer, der sich mit Scheren und Füßen sträubte, und ging durch die Hintertür nach draußen. Fast direkt hinter dem Haus begann der felsige Strand, an dem die diversen Becken errichtet worden waren. Sie setzte Hannibal ins offene Wasser und er wanderte mit gemächlichen Schritten tiefer an den flach abfallenden Felsen entlang. Natürlich hätte sie ihn auch in einen der ausbruchsicheren Tanks geben können, aber er wusste normalerweise recht gut, wie lange er an Land bleiben konnte, ohne in Sauerstoffnot zu kommen. Alt genug war er schließlich mit seinen geschätzt siebzig Lenzen, aber an Weisheit mangelte es manchmal, insbesondere wenn er irgendwo Futter erschnupperte.
Jacky kontrollierte alle Becken und kehrte ins Haus zurück. Für Hank brauchte sie sich nicht besonders zurechtzumachen, sie kannten sich lange genug. Okay, auch für einen anderen Mann würde sie nicht in Highheels steigen und sich ihre schwarze Naturkrause mühsam glätten lassen, das war einfach nicht ihr Ding. Wer mit ihr essen gehen wollte, musste sie eben so nehmen, wie sie war, basta. Die Hummerfarm zu leiten und über Wasser zu halten, war Aufgabe genug, da brauchte sie nicht noch bei der Maniküre zu hocken. Zumal sie sich die künstlichen Nägel sowieso abbrechen würde, wenn sie die schweren Kisten mit den Tieren auf einen Truck lud oder die Futtertonnen herumschob.
„Bist du fertig?“, hörte sie eine halbe Stunde später Hanks Stimme. Ähnlich wie Hannibal kam er über die hintere Tür ins Haus, nur verkroch er sich nicht unter dem Sofa, als sie die Stufen von oben herunterkam.
„Klar doch.“ Sie begrüßte ihn mit dem üblichen Schmatz auf die bärtige Wange und sah ihn dann überrascht an. „Hey, Hank, du hast dich ja richtig fein gemacht. Schwarze Jeans und ein Hemd? Willst du in die Oper?“ Jacky lachte. Es war nur ein kariertes Freizeithemd und in ein Opernhaus würde man Hank nur mithilfe der 400PS-starken Traktoren bringen, die er verkaufte.
Er zuckte mit den Schultern und strich sich über sein Bäuchlein, das er seiner Leidenschaft für Budweiser, Frühstücksspeck und Triple-cheese-Pizza mit käsegefülltem Teigrand zu verdanken hatte. „Macht schlanker, dachte ich mir“, erwiderte er grinsend.
„Hast du doch gar nicht nötig, echte Männer müssen Format haben“, sagte sie. „Ich mag dich so, wie du bist.“
Jacky hakte sich bei ihm unter. Er war ein feiner Kerl. Bodenständig, verlässlich und immer da, wenn sie auf der Farm mal ein zweites Paar Hände brauchte. Oder wenn sie Lust hatte, nicht alleine in ihrem Bett zu liegen und dem Rauschen der Wellen an der Küste zu lauschen. Der Sex mit ihm war zwar nicht geprägt von vulkanhafter Ekstase, aber auch nicht schlecht, und sie fuhr drauf ab, wenn er mit seinem bärtigen Kinn über ihre Haut glitt, insbesondere in den unteren Regionen.
„Ich habe bei Murray einen Tisch reserviert“, sagte er, als sie das Haus verließen und auf das beleuchtete Lokal nebenan zusteuerten. „Es muss ja nicht immer Fast Food sein.“
Maurice`s Seafood Paradise blinkte in roten Lettern über der wenig befahrenen Küstenstraße. Der gute alte Murray hatte den Anspruch, luxuriösen Franzosen-Flair in die Kleinstadt zu bringen, und bestand im Restaurant darauf, mit „Monsieur Maurice“ angesprochen zu werden, obwohl er nie über Maine hinausgekommen war. Da aber meistens nur Leute aus dem Ort dort herumsaßen und an ihrem grilled chicken nagten, statt sich an seiner Bouillabaisse de Marseille zu erfreuen, setzte sich das nicht zu seiner vollen Zufriedenheit durch.
Die Reservierung hätte Hank sich sparen können, denn es waren genug Tische frei. Sie nahmen an einem Platz und bestellten die Getränke. Hank wirkte ziemlich abwesend, als er sich die Speisekarte durchlas.
„Alles okay bei dir?“, fragte Jacky besorgt. „Gibt`s Ärger in der Firma? Sie haben dir doch nicht die versprochene Gehaltserhöhung wieder gestrichen?“
„Nein, alles gut.“ Er legte die Karte weg und sah sie an. „Aber erzähl doch, was war bei dir so los?“
Irgendwie war er heute komisch. So bemüht. Außerdem fiel ihr gerade auf, dass er versucht hatte, sich in seine struppigen Naturburschenhaare einen Scheitel zu kämmen. Hatte offensichtlich nicht funktioniert, aber sie fand seine Anstrengungen süß. Hätte sie sich vielleicht doch in die gute Bluse werfen und Make-Up auflegen sollen?
Jacky winkte Murray heran und orderte den Hackbraten, Hank entschied sich wie üblich für den Beef Burger mit Käse und extra viel Zwiebeln.
„Heute war wieder mal ein BEPH-Treffen, sieht nicht gerade rosig aus. Bei allen hier brechen die Umsätze massiv ein seit der Umleitung. Und dieses verfluchte Ocean Center drüben in Beaconport macht es auch nicht besser.“ Sie trank einen Schluck Bier.
Hank nickte. „Hätte nicht gedacht, dass das Ding so viel ausmacht. Hier bei uns ist es doch viel schöner! Wieso fahren die Leute lieber in dieses hässliche Center?“
„Weil es mehr bietet. Kinderbetreuung, eine Menge Lokale, idiotische Events für die Touristen, eine Einführung in die Geschichte der Fischerei – und vergiss nicht Lobsy the Lobster, der Süßigkeiten verteilt.“ Allein bei dem Gedanken an das neu errichtete Center drehte sich ihr der Magen um.
„Du meinst diese peinliche Hummerverkleidung, in die sich jemand hineinpresst, um die Besucher zu bespaßen?“ Hank sah sie ungläubig an.
„Genau. Auf so was stehen die Menschen. Außerdem haben die eine so riesige Zucht aufgezogen, mit den Preisen kann bei uns niemand mithalten. Wer sollte hier auch was kaufen? Durch die Umleitung kommt doch keiner mehr hierher.“ Sie kratzte Karos wie in einem Matheheft in die Tischdecke, obwohl sie lieber keine Summen addieren wollte. Der Hummerfarm ging es mies wie noch nie und sie wusste nicht recht, wie sie die nächsten Jahre überstehen sollte.
Murray trippelte heran, die beiden Teller in der Hand und ein weißes Tuch über den Unterarm gelegt. Mit seiner rundlichen Figur, der Halbglatze und dem Schnurrbart sah er aus wie eine schlechte Kopie von Hercule Poirot. „Eh voilà, euer Essen!“, flötete er. „Lasst es euch schmecken. Und für danach habe ich noch ein Dessert. Geht auf`s Haus.“ Er zwinkerte Hank verschwörerisch zu.
Sie grinste. Hatten die beiden sich wieder mal zusammengetan, um ein neues Rezept für New York Cheesecake auszuprobieren? Hank schreckte bekanntlich vor nichts zurück, was auch nur im Entferntesten mit fettigen Milchprodukten zu tun hatte. Ob süß oder salzig, war ihm egal.
Wahrscheinlich hatte Murray sie deshalb schon während der Versammlung heute mehrmals so angelächelt. Als Besitzer des besten Lokals am Ort war er natürlich auch Mitglied des Unternehmerverbandes und hatte sich wie alle heute über Umsatzrückgänge beschwert. Außerdem lautstark gefordert, dass Jacky als Vorsitzende des Klubs endlich noch mehr unternehmen sollte.
Nur was? Nachdenklich schob sie sich eine Gabel Erbsen in den Mund. Sie hatte genau wie Bürgermeister Smith nicht den leisesten Schimmer, wie sie den Ort retten konnte.
Hank schien nicht besonders interessiert an den wirtschaftlichen Problemen zu sein, er freute sich wohl eher über seine saftige Lohnerhöhung. Außerdem besaß er ein gemütliches Häuschen am anderen Rand von Plimmington Harbor und musste sich finanziell keine Sorgen machen. Sie plauderten eine Weile über seine Familie und die Kollegen. Außerdem versprach er überraschenderweise, mal wieder mitzukommen, wenn Jacky ihre Mom im Pflegeheim besuchte.
Nachdem die Teller abgeräumt worden waren, wollte Jacky es sich gemütlich machen, doch Murray kam mit einem Tablett daher. „Mousse au Chocolat“, schwärmte er und setzte zwei Schalen vor ihnen ab. „Meine Spezialität für besondere Abende.“
Er zwirbelte die Spitzen seines Schnauzers und watschelte von dannen.
Grinsend schaute Jacky ihm nach. „Vielleicht könnten wir Lobsy the Lobster bekämpfen, indem wir eine große Kampagne starten mit Maurice the Penguin of Plimmington?“, schlug sie vor. „Viel verkleiden müsste Murray sich gar nicht.“
Hank hatte heute offenbar seinen Humor daheim vergessen, denn er lächelte nur schmal. Das war erstaunlich, normalerweise fiel ihm zu jedem Thema unter dieser Sonne irgendein Witz ein. Jacky mochte das sehr, das Leben war oft ernst genug, da sollte man wenigstens mit den Freunden herumscherzen.
Er zog sein Hemd gerade, holte tief Luft und sah ihr direkt in die Augen.
„Jacky, wir kennen uns jetzt schon seit fünf Jahren“, begann er und ihr gefiel dieser Unterton gar nicht. Sie legte den Löffel neben die Schale und wünschte sich zurück in ihr herrlich unkompliziertes Wohnzimmer.
„Und ich finde, es klappt total gut zwischen uns“, fuhr er fort.
„Ja, klar, wir sind gute Freunde“, erwiderte sie schnell, weil ihr Nacken plötzlich unangenehm kribbelte. Hank ging jedoch nicht darauf ein. Mist aber auch.
„Wir sind viel mehr als das, das weißt du doch. Ein richtig gutes Team, in jeder Hinsicht. Es ist nämlich so: Ich fühle mich total wohl mit dir. Und dir geht es doch auch so, das spüre ich.“
Das Prickeln am Haaransatz verstärkte sich. Ja, sie mochte Hank. Es war gemütlich, mit ihm herumzuhängen und zu quatschen. Er schlich nicht ständig um sie herum, sondern hatte seine eigene Bude, das war gut. Außerdem verlangte er nie von ihr, dass sie für ihn kochte oder mit zu seinem geliebten Motocross-Rennen ging. Jacky fand, sie hatten die perfekte Beziehung. Freundschaft mit hin und wieder ein bisschen „Plus“. Was Besseres konnte sie sich nicht vorstellen.
„Natürlich verbringe ich auch gern Zeit mit dir“, antwortete sie. „Sonst hätten wir doch nicht unseren wöchentlichen Fernsehabend und den Grillsamstag.“
„Ja schon, aber meinst du nicht, es wird Zeit für ein bisschen mehr?“, sagte er mit verdächtig ernster Stimme.
Sie starrte ihn an. Du liebe Zeit, würde er ihr jetzt seine Liebe gestehen? Bei der Vorstellung zuckte sie innerlich zusammen. Auch wenn das schmeichelhaft war – es würde alles schrecklich kompliziert machen. Sie wollte viel lieber, dass alles so schön entspannt blieb, wie es war.
Hank beugte sich zur Seite, um etwas aus den Taschen seiner Jacke zu kramen, die er über die Stuhllehne gehängt hatte.
Da fiel es Jacky endlich ein. Es ging um den Betriebsausflug seiner Firma! Erleichtert atmete sie auf. Er hatte schon mehrmals erwähnt, dass die gesamte Belegschaft in diesem Jahr ein verlängertes Wochenende in Nova Scotia verbringen würde. Mit Anhang. Und dazu wollte er sie nun einladen, als seine offizielle Begleitung.
Freudestrahlend lächelte sie ihn an. Es wäre toll, mal ein paar Tage rauszukommen! Für die Farm konnte sie eine Vertretung auftreiben, das ging schon mal. Sie würden sicher viel Spaß haben dort, mitten in der Natur. Vielleicht in einer Lodge? Was wohl alles auf dem Programm stand? Gespannt wartete sie, bis er ein Kuvert oder einen Prospekt hervorzog.
Doch was er schließlich aus der Jackentasche befreite und mitten auf den Tisch stellte, war etwas anderes. Ein kleines, dunkelblaues Kästchen.
Hank räusperte sich. „Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen.“
Wie in Trance beobachtete sie, wie er das Kästchen aufklappte. Ein Ring saß mitten in dem Samtbezug und funkelte sie schelmisch an.
Jacky blieb erst mal die Spucke weg. Hank wollte ihr einen Antrag machen? Das war ja … In ihrem Kopf purzelte alles wild durcheinander. Ein Mann wollte sie, die burschikose, nur mittelmäßig attraktive und enorm freiheitsliebende Jacky Wilson tatsächlich heiraten?
Wahnsinn.
Ihr Herz machte ein paar mächtige Hüpfer, als sie Hank ansah. Er war so süß mit den Strubbelhaaren und dem unsicheren Blick. Sie hatte keinen Schimmer, ob sie ihn liebte oder nicht. Aber war es nicht unfassbar mutig von ihm, um ihre Hand anzuhalten?
„Ich … ich …“, stammelte sie. „Ich weiß überhaupt nicht, was ich jetzt sagen soll!“
Hank spielte nervös mit seinen Fingern. „Na, dass du gerne meine Frau werden willst. Schau, dann brauchst du dich mit so nervigen Sachen wie dem Unternehmerverband nicht mehr herumzuschlagen.“
Jacky war so verwirrt, dass sie seine Worte kaum hörte. Ihr ganzes Leben lang war sie sich sicher gewesen, dass niemals ein Mann mit ihr den Bund der Ehe eingehen würde. Und zwar, weil sie keine war, mit der man das tat. Mit ihr konnte man Steaks grillen, zu Basketballspielen gehen oder Fliesen verlegen, aber doch nicht sein Leben verbringen. Das war eben der Preis für ihre heiß geliebte Selbstständigkeit und sie war immer bereit gewesen, den zu zahlen.
„Das kommt ein bisschen überraschend“, spielte sie auf Zeit, um das Chaos in ihrem Inneren etwas zu ordnen. Die Vorstellung, einen Ehering zu tragen, war einerseits völlig absurd. Andererseits aber fühlte sich der Gedanke gar nicht so schlecht an. Jemanden zu haben, zu dem man gehörte, hatte eine gewisse Faszination, stellte sie gerade fest. Und war recht überrascht von dieser Erkenntnis.
Er hob die Schultern. „Mag sein, aber zeitlich passt es doch perfekt.“
Erstaunt zog Jacky die Brauen hoch. „Was meinst du damit?“
„Na, mit deiner Farm geht es ja leider bergab. Das tut mir irrsinnig leid für dich, aber es hat ja auch sein Gutes: Du bist ohne die Hummer viel flexibler. Und du magst doch mein Haus, sagst du oft.“
Moment mal! Jacky nahm den Finger vom Ring, den sie gerade aus Versehen angefasst hatte.
„Du meinst, ich soll zu dir ziehen?“, fragte sie.
„Das ist üblich, wenn man heiratet, oder nicht?“ Hank grinste. „Jetzt mit der saftigen Lohnerhöhung verdiene ich genug Geld für eine Familie. Du wirst bestimmt eine tolle Mama! Und du musst natürlich nicht mehr arbeiten. Außer dann halt für die Kinder, was Moms eben so machen.“ Jetzt lächelte er verträumt.
Ihr wurde schlagartig eiskalt. „Verstehe ich dich richtig: Ich soll die Farm verkaufen und als Familienmutter zu dir ziehen?“
Er sah sie an, als wäre sie ein bisschen schwer von Begriff. Stimmte wahrscheinlich.
„Es klingt so negativ, wie du das formulierst. Mal im Ernst, Jacky: Du wolltest doch sicher nicht dein restliches Leben lang Hummer aufpäppeln und dich mit lästigen Preisverhandlungen herumschlagen.“
„Doch! Genau das will ich.“ Und das musste er doch wissen! Jacky konnte kaum glauben, was er da vorschlug. „Du kennst mich seit fünf Jahren, Hank. Meine Vergangenheit, alles. Dir muss doch klar sein, wie ich bin. Dass ich mich total ungern unterordne. Dass ich mir mühsam selbst was geschaffen habe. Und wie wichtig mir mein eigenständiges Leben ist. Das kannst du doch nicht alles einfach leugnen.“
Versöhnend legte er seine Hand auf ihre.
„Schon klar, ich weiß, was du geleistet hast. Aber das war doch eher den Umständen geschuldet. Jede Frau wünscht sich doch eigentlich jemanden, der sie versorgt. Das ist doch ganz normal.“
Jacky starrte ihn an. Das konnte er nicht ernst meinen. Es musste ein Witz sein. Sicherlich würde das gesamte Lokal im nächsten Moment in lautes Gelächter ausbrechen. Sie sah sich um, Murray stand hinter dem Schanktresen und schaute sie gespannt an. So, als warte er darauf, dass sie aufsprang und ihren Bräutigam mit glückstränennassen Augen umarmte. Doch es lachte niemand. Ihr lief es eiskalt den Rücken hinunter, schlimmer als bei jedem Horrorfilm.
„Ich soll mich versorgen lassen?“ Ihre Stimme klang heiser. „Alles aufgeben, weil es mein Traum sein soll, in der Familienrolle aufzugehen?“
Sah er denn nicht, wie weh ihr diese Vorstellung tat? Er wertete gerade alles ab, was ihr wichtig war. Alles, wofür sie die ganzen Jahre gekämpft hatte. Es war nun mal nicht jede Frau dazu geschaffen, sich nach Kindern und warmem Apfelkuchen und abendlichen Fang-den-Hut-Spielen zu sehnen. War sie denn gar nichts wert für ihn, wenn sie lieber eine Farm führen wollte?
„Wäre das so schrecklich?“ Hank wirkte verunsichert. „Liebst du mich denn gar nicht?“, schob er hinterher.
Das war zuviel.
„Keine Ahnung!“, schleuderte sie ihm entgegen. „Wie könnte ich mit jemandem leben wollen, der mich überhaupt nicht wahrnimmt? Ja, schlimmer noch, der mich einsperren will. Nicht mit mir!“
Quietschend rückte sie ihren Stuhl zurück, sie brauchte Abstand zu ihm. Ihr Atem kam abgehackt und sie wusste nicht, was sie fühlen sollte.
„Dann geh eben halbtags arbeiten, wenn die Kinder größer sind, das ist doch kein Problem.“ Nun wurde auch Hank laut. „Du wirst doch an dieser verdammten Hummerfarm nicht mehr hängen als an mir?“
Das reichte.
„Weißt du, woran ich hänge?“, sagte sie und musste aufpassen, dass ihre Augen nicht feucht wurden. „Nicht nur an der Farm, sondern an meiner Freiheit! Und die lasse ich mir nicht nehmen, niemals, nicht von dir und auch sonst von niemandem. Heb dir den Ring für eine andere auf!“
Sie sprang auf, stürmte an Murray vorbei, der mit offenem Mund herumstand, hinaus ins Freie. Lief hinüber zu ihrem Haus, rannte um das Gebäude herum und setzte sich auf einen Felsen am Strand.
Ihr Hals war eingeschnürt und sie zitterte. Nicht nur wegen der Kälte. War sie denn wirklich so falsch mit ihren Bedürfnissen? Dass sie anders war als die meisten Frauen, wusste sie längst. Aber dass Hank sie offenbar überhaupt nicht kannte, ließ ihren Magen zusammenkrampfen. Herrgott noch mal, so schwer war das doch nicht zu verstehen! Trotzdem saß sie jetzt hier und kam sich schäbig vor, fühlte ihre Wut aufsteigen wie die Wellen vor ihr, und hatte eine Träne im Augenwinkel.
Die klamme Feuchte durchdrang ihre Jeans, aber das war ihr egal. Ein kühler Wind fuhr durch ihre Haare, die Gischt spritzte bis in ihr Gesicht und von irgendwoher wehte das dumpfe Horn eines Schiffes übers Meer. Das hier war ihre Welt. Die raue Schönheit der Küste, die Abende allein am Wasser, das Geräusch der ewigen Wellen. Hier gehörte sie hin und nicht in ein schmuckes Einfamilienhäuschen.
Jacky hob den Kopf, um den Wind noch intensiver auf der Haut zu spüren. Es war schon viele Jahre her, dass sie sich selbst gegenüber den Schwur geleistet hatte, aus gutem Grund. Und er galt noch immer. Ihre Freiheit war ihr wichtigstes Gut und sie würde sie niemals im Leben aufgeben.
Ja, Hank war ein netter Kerl. Aber sie selbst war nun mal nicht geschaffen für Beziehungen. Erst recht nicht für ein Leben als Hausmütterchen, das war absurd.
Aus dem Haus klang das Schrillen des Telefons, doch Jacky beachtete es nicht. Sie hatte keine Lust, mit Hank zu reden. Er war wie alle anderen. Und kannte sie offenbar überhaupt nicht. Nach all den Jahren wusste er noch immer nicht, wer sie eigentlich war. Dabei hatte sie ihm doch die Geschichte ihrer Familie erzählt.
Egal. Sie sah der langsamen Fahrt eines Fischerbootes nach, das vorbeizog. Sah den flackernden Lichtern zu. Wieder klingelte das Telefon umsonst.
Irgendwann, als noch ein weiteres Schiff vorbeigeschwebt war und die Feuchte der Nacht unangenehm durch ihre Jacke drang, stand sie mit steifen Beinen auf und ging ins Haus.
Gerade, als sie nach oben zu ihrem Schlafzimmer gehen wollte, bimmelte dieses lästige Telefon schon wieder. Jacky nahm es von der Ladestation, sie würde Hank jetzt ein für alle Mal klarmachen, dass es aus war!
Doch es blinkte eine andere Nummer auf.
„Onkel Theodore?“, fragte sie überrascht, aber er fiel ihr sofort ins Wort.
„Jacky, wo bist du nur die ganze Zeit? Und sag jetzt nicht, du warst irgendwo bei deinen Krebsen und hast noch gar nichts mitbekommen.“
Du liebe Zeit, auch das noch! Ein aufgeregter Theodore war nicht gut. Wahrscheinlich hatte irgendein Senatorenkollege von Onkel Theodore aus Versehen gegen die Abschaffung von Spendebehältern für Hundekottüten gestimmt oder was auch immer bei Sitzungen der Demokratischen Parteifreunde so beschlossen wurde. Er regte sich ja schon fürchterlich auf, wenn im Stadion ein Baby krähte, während beim Superbowl-Finale die Hymne geschmettert wurde!
„Sei mir nicht böse, Onkelchen, aber ich bin müde. Können wir morgen darüber reden, welcher Skandal dich gerade so echauffiert?“
„Schalt den Fernseher ein!“, bellte er. „Sofort! Dann wirst du keine solchen Sprüche mehr reißen. Jetzt ändert sich alles!“
Da sein Ton auch einem gesamten Kasernenhof das Zittern beibringen würde, gehorchte Jacky umgehend. Sie musste eine Zeit lang suchen, bis sie die Fernbedienung unter einem Sofakissen aufstöberte, dann schaltete sie das Gerät an. Sah bei allen Sendern die gleichen Bilder flackern. Ließ sich auf die Couch fallen.
Onkel Theodore hatte recht, das war ein echter Hammer!
TOP SECRET! Geheimes Telefon-Abhörprotokoll
Ted Crogett, Democratic Committee, mit Lionel Stanfield, Wahlkampfleiter:
Crogett: „Bingo! Ein wunderbarer Skandal. Der Alte hat sich abserviert, Schluss mit der Herrschaft der Republikaner! Jetzt sind wir Demokraten wieder am Zug. Sie wissen, was das bedeutet, Lionel? Ihr Kandidat wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten!“
Stanfield: „Devon Hennelly wird die Nation rocken! Das sollte leichtes Spiel sein.“
Crogett: „Bullshit, leicht ist gar nichts. Er ist single. Soll ich es nochmals buchstabieren: S I N G L E! Der Chef des mächtigsten Landes dieser Welt braucht eine Frau an seiner Seite, sorgen Sie gefälligst dafür. Und Lionel: Kein Model, keine Ex-Hure und um Gottes Willen keine Schönheitskönigin mit dem IQ eines Badewannenstöpsels. Das hatte das Land lange genug bei unseren republikanischen Freunden!“
*
Fassungslos starrte Jacky auch am nächsten Tag noch auf die Bilder des Vorfalls. Dieses Mal in der Zeitung, die wie jeden Morgen auf ihrer Türschwelle lag. Den Fernseher hatte sie nicht angeschaltet, denn bei der hundertsten Übertragung hing einem das Video dann doch zum Hals heraus.
Sie hatte eine Tasse monströs starken Kaffees neben sich stehen und blätterte die Titelseite schnell weg, doch die Bilder hatten sich längst eingeprägt, nicht nur bei ihr, sondern bei Menschen auf der ganzen Welt.
Der Präsident der Vereinigten Staaten hatte nämlich bei einem Bankett in China zu tief ins Glas geschaut und durch zu viel Reisschnaps komplett den restlichen Verstand verloren. Im Zuge dessen hatte er sich eine vermeintliche Geisha auf den Schoß gezogen, die nur leider die Ehefrau des chinesischen Parteivorsitzenden war, und versucht, mit ihr ein wenig Beijing Bunga Bunga Party zu machen. Und weil es gerade so lustig war, hatte er den Verschluss seiner Anzughose geöffnet und der ganzen Welt seine fetzige Unterhose präsentiert, es war ein Seidenslip in Pink, an dem ein Elefantenrüssel hing. Ein ziemlich mickriger, wie Jacky in der Zoom-Aufnahme feststellen konnte, aber die Chinesin hatte sich vor der rosa Mini-Erektion trotzdem erschreckt und war schreiend davongelaufen, der Präsident ihr hinterher. Dabei war er über seine Hose gestolpert und dem gehörnten Ehemann vor die Füße gefallen, der ihn, obwohl er fast zwei Köpfe kleiner war als er, mit einer gezielten Rechten umgenietet hatte.
Die New England Gazette titulierte das Ganze als „Rüsselgate“, was Jacky irgendwie passend fand.
Das Fremdschämen der ersten Stunden war vorüber, inzwischen erkannte sie die Komik der Szene. Mal ehrlich, das musste ein anderes Staatsoberhaupt erst mal toppen! Da konnte nicht mal dieser Kerl aus Italien mithalten und der hatte es auch ganz schön krachen lassen. Durch ihren Onkel, den Senator, hatte sie jede Menge vom Politikzirkus mitbekommen und eine leidenschaftliche Aversion gegen die anzugtragenden Speichellecker entwickelt. Da ging es doch nur um Macht, um Intrigen, um Stimmen. Die Inhalte waren denen doch völlig unwichtig. Sie war froh, dass Theodore so weit weg wohnte und sie wenig Kontakt zu ihm und seinesgleichen hatte.
Okay, sie war selbst eingetragenes Mitglied der Demokraten, darauf hatte Mom bestanden. Familientradition oder so was. Na ja, war nicht wichtig, alle vier Jahre ein Kreuzchen machen, das bekam sie hin. Und mehr wollte sie nicht mit der Staatspolitik zu tun haben, es reichte ihr schon die örtliche. Bürgermeister Smith bekam seinen Hintern nämlich nicht aus dem Sessel, um wenigstens mal was gegen diese beschissene Umleitung zu tun, die ihnen das Leben schwer machte hier in Plimmington Harbor.
Jacky verdrehte die Augen, als das Telefon klingelte und sie die Nummer sah. Was zum Henker wollte ihr Onkel denn schon wieder von ihr?
„Gute Nachrichten!“, bellte er auch schon los. „Devon Hennelly verstärkt jetzt natürlich seine Wahlkampftour und er wird nach Maine kommen!“
„Wer?“ Jacky las nebenbei die Wettervorhersage, weil sie das Meer beobachten musste für ihre Hummer, und war nicht wirklich interessiert an Theodores langweiligem Politikkram.
„Der Kandidat!“, brüllte Theodore so laut, dass man ihn fast schon ohne Telefon gehört hätte. Sein Amtssitz in Augusta war sechzig Meilen entfernt. „Sag mal, lebst du auf einem anderen Planeten, oder was? Er ist der Demokratische Kandidat, jung, engagiert, dynamisch, und er wird zweifellos das Rennen machen.“
„Na prima, wenn das schon feststeht, braucht er ja gar keine Tingeltour durch sämtliche Staaten zu unternehmen“, erwiderte sie, weil er ihr tierisch auf den Senkel ging.
„Jacky Wilson, du sparst dir ab sofort deine Bemerkungen und hörst mir zu! Ich habe nämlich alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit er nach Plimmington Harbor kommt. War nicht leicht, ihn in euer Kaff zu locken, aber du jammerst mir doch ständig die Ohren voll, dass es euch so schlecht geht. Jetzt bekommt ihr Publicity. Macht was draus!“
Okay, schaden konnte es sicher nicht, das musste sie zugeben. Zum Glück betraf es sie selbst nicht. „Du solltest vielleicht eher den Bürgermeister anrufen. Smith ist doch zuständig für solche Besuche. Brauchst du seine Nummer?“
„Längst erledigt. Aber Devon wird eine Hummerfarm besuchen. Nähe zum Volk ist ihm wichtig, man soll ihn nicht bei eleganten Banketten sehen, sondern bei lebendigen Bürgern.“
Sie verdrehte die Augen. „Ist das dann sein Wahlkampfslogan? `Bei mir kommen die Hummer ins Meer und nicht auf den Teller`, um sich weniger elitär zu geben?“
„Gar nicht dumm“, erwiderte Onkel Theodore allen Ernstes. „Das werde ich Lionel mal vorschlagen, also für den Besuch bei dir, das wäre eine gute Schlagzeile. So was mag die Nation.“
„Das war ein Joke!“, stellte sie klar.
„Hast du mich lachen hören?“, fuhr er sie an.
Onkel Theodore war für viele Dinge bekannt, für seine Sturheit, sein Bulldoggen-Gen und seinen Ehrgeiz. Humor zählte nicht zu seinen berühmten Eigenschaften, wie sich Jacky gerade erinnerte.
„Und ich warne dich, unterlasse derartige Witze, wenn Devon Hennelly und sein Gefolge vor dir stehen. So etwas kommt nicht gut an und du schadest dir damit nur.“
Erstaunt presste Jacky den Hörer enger an ihr Ohr. Sie musste sich verhört haben.
„Wieso sollte er vor mir stehen?“, fragte sie und hatte mit einem Mal so ein unheilvolles Zwicken irgendwo zwischen Zwerchfell und Milz.
„Mein Gott, weil er auf deine Farm kommt, das habe ich doch gesagt!“
Hatte er nicht deutlich genug, sonst wäre ihr jetzt nicht um ein Haar das Telefon aus der Hand gefallen.
„Kommt gar nicht infrage!“, stellte sie klar.
„Ist bereits fest vereinbart!“, schoss er zurück. „Nun stell dich nicht so an, er läuft zehn Minuten über deinen Strand, lächelt vor den Becken in ein paar Kameras, du schüttelst ihm die Hand und sagst, dass momentan ganz schlechte Zeiten für Meeresgetier seien. Das ist alles.“
„Aber ich …“, begann sie zu protestieren, kam jedoch nicht weit.
„Hast du nicht selbst gesagt, dass dein Umsatz zurückgeht? Also bastle dir nach dem Besuch ein neues Logo. `Unsere Hummer sind beim Präsidenten `ne große Nummer`, oder so was. Dazu sein Konterfei auf deine Homepage und schon steigen die Verkäufe. Du warst doch auf der Marketing-Schule, habt ihr da nichts gelernt?“
„Ja. Haben wir. Gute Idee“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Dummerweise hatte Theodore nämlich recht. Rein werbetechnisch konnte ihr nichts Besseres passieren, als den künftigen Landesvater auf Fotos ihrer Farm präsentieren zu dürfen.
„Wann kommt Ihre Majestät, der Kandidat?“, fragte sie schließlich.
„Übermorgen. Sein Wahlkampfleiter, Lionel Stanfield, meldet sich noch bei dir. Und geh zum Friseur!“ Er legte auf.
Jacky goss sich ein Glas Bourbon ein und kippte es fast in einem Zug hinunter. Gut, sie würde diesen Kandidaten und seinen Zirkus bei sich begrüßen, aber die Haare glätten ließ sie sich definitiv nicht!
*
Zwei Tage später stand Jacky am Fenster und schaute auf die Straße vor ihrem Haus. Unfassbar, was für ein Tross aus Pressefritzen, Parteifuzzis und sonstigem Gesindel da anrückte. Dabei war der Herr Kandidat noch gar nicht in Sicht!
Aber dieser Lionel Stanfield, sein Wahlkampfmanager, schwänzelte die ganze Zeit um sie herum und gab ihr unsinnige Anweisungen. Er war eine hagere Bohnenstange und wusste nicht recht, wohin er seine ellenlangen Arme verstauen sollte. Seine grauen Haare waren in Armee-Manier kurz gestutzt, dafür hatte er buschige Augenbrauen, die Jacky an eine Figur aus der Muppet-Show erinnerten. So schlaksig er auch körperlich wirkte – seine Anordnungen waren so glasklar wie seine eisigen Augen.
„Der Kandidat wird Ihnen ein paar Fragen stellen, die Sie freundlich beantworten werden“, schnarrte er. „Natürlich dürfen Sie in einem Satz die missliche Lage Ihres Berufsstandes klarmachen, das tun alle Unternehmer, die er trifft. Mehr jedoch nicht. Stellen Sie sich nicht mitten ins Bild, Sie sind nur Staffage. Und wenn Sie ein Autogramm haben wollen, wenden Sie sich nach dem Besuch an mich, ich habe gedruckte Karten auf Vorrat, auch für den Rest der Bevölkerung in diesem Kaff.“
„Das ist ja äußerst großzügig von Ihnen“, erwiderte Jacky, aber ihr Sarkasmus prallte an ihm genauso ab wie an Onkel Theodore. Offenbar bekam man als Politiker eine Schutzimpfung dagegen. Sie war heilfroh, dass es nur eine Stippvisite auf ihrer Farm war und der Herr Kandidat – eine selten dämliche Bezeichnung für einen ausgewachsenen Menschen! – anschließend beim Bürgermeister empfangen wurde. Da würde ganz Plimmington Harbor aufkreuzen inklusive Hank, sie selbst bevorzugte einen Nachmittag auf dem Sofa.
„Hier kommt er!“, rief Lionel aufgeregt und scheuchte alle Leute auf ihre Positionen.
Bei den Reportern brach hektische Betriebsamkeit aus. Eine schwarze Limousine fuhr heran und Lionel schob Jacky zur Tür. „Begrüßen Sie ihn!“, zischte er ihr zu, als wäre sie ein kleines Mädchen, dessen Erbonkel zum Weihnachtsbesuch erschien.
Die Tür öffnete sich. Erst sah Jacky nur ein graues Hosenbein mit einem glänzend schwarzen Schuh, der eher ungünstig für einen Ausflug auf eine Farm am Meer war. Der Rest des Kandidaten kam mit einer geschmeidigen Bewegung aus dem Fond der Limousine. Unwillkürlich hielt Jacky den Atem an. Sie hatte normalerweise für Zwirnträger nicht viel übrig, aber diesem Devon Hennelly passte sein hellgrauer Anzug wie angegossen. Und er wusste, wie man sich darin bewegte.
Sie nahm ihn genau unter die Lupe. Das tat sie sonst nur mit Hummern, aber Hennelly konnte der Farm helfen, also musterte sie ihn ausgiebig. Er war groß wie ein Quarterback, hatte dichtes braunes Haar, das in der Sonne schimmerte, und ein markantes Gesicht, mit dem er sich auch in einer Aftershave-Werbung gut machen würde. Steckte man ihn in T-Shirts und Shorts, hätte er als Tennislehrer garantiert einigen Vorstadtdamen den Kopf verdreht. Dabei war er gar nicht klassisch schön, doch irgendetwas an ihm fesselte sie.
Der Blick aus seinen dunklen Augen war ernst. Und ziemlich – intensiv. Er war einer dieser Männer, die jedes Detail ihrer Umgebung wahrzunehmen schienen. Instinktiv straffte Jacky die Schultern und stellte sich aufrechter hin. Und das, obwohl sie Politiker ja grundsätzlich nicht leiden konnte.
Statt direkt auf sie zuzugehen, drehte er sich jedoch zu Lionel, als warte er auf Anweisungen. Der Wahlkampfmanager redete kurz mit ihm, während die Presse sich in einem Halbkreis aufbaute. Bekam er gesagt, was er tun musste? Also so etwas würde sie ja wahnsinnig machen. Nicht selbst alles entscheiden zu können, wäre für sie Folter. Nun ja, war wahrscheinlich gut, dass sie die Farm leitete, eine Karriere als Politikerin wäre sagenhaft schnell im Sande verlaufen.
Als die Kameras losblitzten wie verrückt, schaltete Devon sein Lächeln ein. Freundlich, interessiert, unverbindlich wirkte es. Genau richtig, um bei Wählern gut anzukommen.
Jacky musste sich zusammenreißen, ihr eigenes Lächeln gut festzutackern, denn der Presserummel um den Mann ging ihr jetzt schon tierisch auf den Geist.
„Ich freue mich, dass Sie meine Farm besuchen“, ratterte sie brav ihr Sprüchlein herunter. Nahm seine Hand und drückte sie. Er erwiderte den Händedruck kräftig und hielt ihre Finger sogar eine halbe Sekunde länger als üblich fest. Okay, zumindest einen anständigen Handschlag hatte dieser Devon. Und sein Lächeln veränderte sich, als er sie ansah. Es galt nur ihr. Gab ihr das Gefühl, dass plötzlich niemand sonst hier vor dem Haus stand, nur er und sie. Für einen winzigen Moment gefiel ihr diese Vorstellung, dann jedoch holte sie sich selbst schleunigst zurück in die Realität. Echte Männer trugen keine gewienerten Schuhe, rief sie sich ins Gedächtnis, die ließen sich nicht herumkutschieren und erhielten erst recht keine Anweisungen von einer Muppetshow-Puppe namens Lionel.
„Dankeschön. Ich bin schon sehr gespannt auf Ihre Hummer“, antwortete er mit dunkler, rauchiger Stimme. Überrascht hielt Jacky die Luft an. Schon wieder. Sie hatte Hennelly noch nie sprechen hören und er klang gar nicht wie ein Politiker. Eher wie jemand, der das Hörbuch von My darkest lustfull obsessions einlas oder so etwas in der Art. Sein Blick ruhte auf ihr. „Ehrlich gesagt, habe ich noch nie einen aus der Nähe gesehen“, fuhr er fort, „ich komme aus Detroit.“
Hui, ein Großstädter aus dem Innenland. Für den war das hier wahrscheinlich ein fremder Planet.
„Ich führe Sie gerne herum“, sagte sie und marschierte zielstrebig los.
Das Klicken diverser Kameras begleitete sie auf Schritt und Tritt, als sie ihn ums Haus herumlotste. Es war ja ganz okay, diesen Devon Hennelly hier neben sich zu haben, aber die Presse raubte ihr den letzten Nerv. Wie konnte man sich so etwas freiwillig antun? Ständig Auftritte in irgendwelchen Kleinstädten, Shake-hands mit dem Bürgermeister und anschließend die immergleiche Rede? Innerlich schüttelte Jacky den Kopf. Für so ein Leben war sie nicht geschaffen, da war sie sich sicher.
„Die Becken haben unterschiedliche Wassertemperaturen“, erläuterte sie dem angehenden Präsidenten. „Die trächtigen Weibchen leben in Becken mit maximal zehn Grad, die Larven mögen es wärmer. Es ist ein recht ausgeklügeltes System.“
Interessiert schaute er in die Tanks mit den Hummerkindern hinein. „Das ist sehr beeindruckend. Und Sie leiten die Farm ganz alleine?“, wollte er wissen. „Mit all der Technik, dem Verkauf und was sonst noch dazugehört?“
„Warum nicht?“ Du liebe Zeit, war er auch einer wie Hank, der dachte, Frauen gehörten ausschließlich an den Herd und hatten in der Arbeitswelt nichts zu suchen? Es gab ihr immer noch einen Stich, an die Szene im Restaurant zu denken. Die Enttäuschung saß verdammt tief.
Sie hob das Kinn und sah ihm direkt in die Augen. „Ich habe das Unternehmen von meinem Großvater übernommen, er hat mir alles beigebracht, was man über Hummer wissen muss. Und für die wirtschaftliche Seite gibt es Schulen, da sind inzwischen sogar Frauen zugelassen, erstaunlich, nicht wahr?“
Sein Lächeln verrutschte. Hinter ihm wedelte Lionel mit seinen Krakenarmen und schoss aus seinen Augen Blitze auf sie ab. Okay, das war nicht wirklich diplomatisch gewesen. Aber bitteschön – hatte Amerika nicht einen Präsidenten verdient, der Frauen als gleichberechtigt ansah? Sie überlegte, ob Devon eine Mrs. Hennelly an seiner Seite hatte, irgendeine zarte Schönheit im Pastellkostüm, konnte sich aber an kein Foto erinnern. War ihr auch egal.
Die Halterungen der Mikrofone, mit denen die Journalisten versuchten, das Gespräch aufzunehmen, schossen nach vorne, die Kameras klickten so durchgehend, als wollten sie das Rasseln einer Klapperschlange simulieren. Alle Augen und Linsen starrten ihn an. Fast tat er ihr ein wenig leid, weil sie ihn in Verlegenheit gebracht hatte. Aber hey, er war Politiker, hatte garantiert siebenundzwanzig Schulungen in Smalltalk und Debattieren erhalten, er würde sich umgehend wie ein Aal herauswinden.
Seltsamerweise wirkte sein bedauernder Gesichtsausdruck echt. Er schüttelte leicht den Kopf.
„Da habe ich mich wohl völlig falsch ausgedrückt, Miss Wilson“, sagte er mit seiner Hörbuch-Stimme. „Tut mir wirklich leid. Ich bin selbst komplett unbegabt, was alles Technische anbelangt, ein echter Totalausfall. Deshalb habe ich Jura studiert, da muss man höchstens eine Kaffeemaschine anschalten. Und wenn ich all diese Geräte sehe, habe ich einfach nur Respekt vor jedem Menschen, der so etwas bedienen kann.“
Klick Klick. Nun hielt die versammelte Presse also seinen reuigen Gesichtsausdruck fest. Wobei Jacky ihm sogar glaubte. Was er da sagte, klang nicht aufgesetzt. Und sie kaufte ihm natürlich auch ab, dass er weder einen Riss im Tank schweißen noch ein Kabel neu verlöten konnte, so wie sie es ständig tat.
„Nun ja, leicht ist es nicht“, erwiderte sie und ergriff ihre Chance. „Das liegt aber eher an der wirtschaftlichen Lage hier in Maine beziehungsweise in unserem Ort. Das große Zentrum nebenan nimmt uns die Touristen weg und die Baustelle an der Küstenstraße ist offenbar ein Jahrhundertprojekt, jedenfalls leiden wir unter der Umleitung. Ganz generell wird es immer schwieriger, mit heimischen Produkten in den Großhandel zu gelangen.“
Er wandte sich ihr zu und sah sie direkt an. Ihr wurde warm unter seinem Blick. Oder wohl eher durch das Licht der vielen Kameras, das wäre logischer. „Gibt es zu viel Konkurrenz aus dem Ausland? Selbst bei Fischen? Nein, es sind ja Krustentiere. Das Wort `Meeresfrüchte` klingt seltsam für mich, deshalb benutze ich es nie.“
„Geht mir ähnlich. Und ja, Sie haben recht. Die Lage ist sehr ernst.“
Er war ganz bei ihr. Fühlte sich nicht schlecht an, fiel ihr auf. Devon Hennelly war völlig anders als ihr Onkel Theodore und alle anderen Politiker, die sie kannte. Er kam ihr ungewohnt menschlich vor für jemanden in diesem Geschäft. Konnte aber natürlich auch einstudiert sein, so genau wusste man das nie.
Mit ernster Miene sprach er zu ihr. „Welche Hilfen wären denn nötig, um die Lage der örtlichen Unternehmer zu entlasten?“
„Da gibt es einiges, was möglich wäre.“ Jacky holte tief Luft, um endlich mal alles aufzuzählen, was getan werden konnte, doch jemand packte sie am Arm.
„Das reicht“, zischte Lionel ihr zu. Und sah dann den Kandidaten streng an. „Wir müssen uns beeilen, Sir. Der nächste Termin wartet schon. Vielleicht noch ein paar abschließende Fotos hier am Felsenstrand vor den Becken?“
Devon gehorchte, ohne zu murren, und machte ein paar Schritte nach vorne. Verdutzt sah Jacky ihm hinterher. Er ließ sich tatsächlich von der Bohnenstange Kommandos erteilen? Sie schüttelte den Kopf. Selbst das Nachbarmädchen Emily hörte niemals beim ersten Mal auf irgendetwas, das man ihr auftrug.
„Kommen Sie, Jacky“, scheuchte Lionel jetzt auch sie ans Ufer. „Sie sehen so perfekt nach Frau aus dem Volk aus in Ihrer Jeans und in der einfachen Bluse.“
Jacky schaute an sich hinunter. Die taillierte, weiße Baumwollbluse trug sie nur zu besonderen Gelegenheiten, das war quasi ihr bestes Outfit. Dieser Stanfield sollte froh sein, dass sie nicht wie üblich im karierten Flanellhemd herumlief! Mit mürrischer Miene stellte sie sich neben Devon auf. Rechts und links von ihnen waren die diversen Aufzuchtbecken, aber ein Teil der Hummer durfte sich im normalen Meerwasser bewegen, natürlich zum tieferen Wasser hin mit einem Gitter eingezäunt. Der Felsenstrand fiel nur ganz flach ab, das war für Jacky ein Vorteil, so konnte sie mit hohen Anglerstiefeln das Reich der Krustentiere betreten, wenn das nötig war. Jetzt aber stand sie trockenen Fußes am Ufer und hoffte, die Reporterhorde würde bald wieder verschwinden. Die Presseleute bauten ihre Fotoapparate auf und baten Hennelly, sich näher zu ihr zu stellen. Was er tat. Sein Aftershave stieg ihr in die Nase, der Duft erinnerte sie an Tannennadeln, an frisch gesägtes Holz und Sommerwald. Überrascht sog sie die Luft ein. Zugetraut hätte sie ihm eher eines dieser modernen, süßen Männerparfums, in denen Theodore badete. Aber er roch wie ein Juniausflug in den kühlen Acadia National Park. Und da war noch etwas, ein Hauch Eigenduft, der sie verwirrte.
Schluss damit, sie musste sich auf das Foto konzentrieren! Entschlossen blickte sie in die Kamera und lächelte vorschriftsmäßig, wurde jedoch durch eine Bewegung abgelenkt. Etwas krabbelte aus dem Wasser heraus. Jacky grinste.
„Das ist Hannibal“, erklärte sie und deutete auf ihr Haustier, das auf sie zuwetzte. „Der will Sie begrüßen. Er ist der alte Herr unter den Hummern und schleicht sich sogar manchmal ins Haus.“
„Ein Bild mit der Riesenkrabbe, Mister Hennelly!“, rief einer der Fotografen sofort.
Devon sah skeptisch drein. Das ging vielen Leuten so, die zum ersten Mal einen lebendigen Hummer sahen, wie sie wusste.
„Keine Angst, Sie brauchen keinen Leibwächter. Der alte Kerl ist zahm wie ein Schoßhündchen“, erklärte sie.
„Gut, dann vertraue ich Ihnen.“ Er lachte kehlig, was in ihrem Bauch kribbelte wie Brausepulver. Lag natürlich nur an der ungewöhnlichen Situation. Okay, er war nicht unsympathisch. Eigentlich sogar halbwegs spannend. Nicht so arrogant wie der rüsselsliptragende Ex-Präsident, und wenn sie ihm in der Kneipe begegnet wäre, hätte er sie womöglich interessiert. Nett anzusehen war er. Aber eben ein Politiker und zudem ein Mann, an beidem hatte sie momentan kein Interesse.
„Ich halte ihn vor uns beide hin“, schlug Jacky vor und nahm den zappelnden Hannibal hoch.
Würde sich nicht schlecht machen, mit so einem Foto werben zu können, da hatte Onkel Theodore recht. Sie rückte einen Schritt näher an Devon heran.
Der hob die Hand, um ein Stück Seegras von Hannibals Rücken zu ziehen, den sie recht nah vor ihrem Bauch hielt. Da machte der Hummer eine blitzschnelle Bewegung. Er bekam Devons Hand zwischen die rechte Schere und zwickte zur Begrüßung hinein. Devon erschrak und machte unwillkürlich einen Schritt nach hinten, stolperte über einen Felsvorsprung und landete auf einem kaputten Eimer, der dort herumstand.
Entsetzt drehte Jacky sich zu ihm um. Sah jedoch, dass er sich schon wieder aufrappelte vom zerbrochenen Eimer. Er war schnell wieder auf den Beinen, Hut ab, fast wie ein Profisportler. Sie wollte gerade eine witzige Bemerkung machen, dass ein Hummer noch niemanden umgebracht hatte, sondern eher andersherum, doch ihr blieben die Worte im Hals stecken.
Devon blutete aus dem Oberarm, und zwar richtig heftig. Er war selbst überrascht und schaute auf seinen Anzugärmel, der sich dunkelrot färbte. Verdammt! Er musste direkt auf die Spitze des abstehenden Eimerhenkels gefallen sein und hatte sich an dem Metall offenbar eine Vene aufgerissen. Sah jedenfalls nicht lustig aus, der Fleck wurde schnell größer. Warum hatte sie diesen dämlichen Eimer nicht schon gestern weggeräumt? Jacky machte einen Schritt auf Devon zu, doch Lionel ging dazwischen.
„Wir brauchen einen Notarzt! Los, sofort, ruft einen Krankenwagen!“, brüllte er herum, als wäre eine Riesenkatastrophe passiert, und tastete hektisch nach seinem Handy. Ein paar Anzugträger stürmten auf Devon zu, der sich die rechte Hand auf den Arm presste, aber sehr gefasst wirkte.
„Ist doch nicht schlimm, das wird schon wieder aufhören“, sagte er, doch das ließ niemand zählen. Alle redeten durcheinander und schienen völlig überfordert. Nur die Pressefritzen filmten fleißig.
„Moment“, sagte Jacky laut. „Was soll ein Notarzt da machen? Das ist doch kein Fall für den Krankenwagen.“ Sie setzte Hannibal auf den Boden, holte aus der Hosentasche ihr kleines Klappmesser, das sie immer mit sich herumtrug, und zog den Saum ihrer Bluse gerade. Falls jemand nach einem Verbandskasten rief, würde sie nämlich dumm dastehen, die letzten Mullbinden hatte sie vor drei Monaten verbraucht. Weil sie bezweifelte, dass sie auf die Schnelle etwas Geeignetes finden würde, ritzte sie den Stoff ein und riss eine Bahn davon ab.
„Ziehen Sie das Jackett aus“, bat sie Devon. Als er das getan hatte, schlug sie mit geübten Griffen seinen Ärmel hoch, presste ein dick zusammengelegtes Stofftaschentuch, das Lionel hervorgezogen hatte, auf die stark blutende Wunde und band das Ganze mit dem Stoffstreifen streng ab.
„Das stoppt die Blutung“, erklärte sie. „Haben Sie denn eine Tetanus-Impfung?“
Er sah sie an, als hätte er sich darüber noch nie Gedanken gemacht. „Ich habe keine Ahnung“, sagte er und seine Stimme klang immer noch nach Erotikhörbuch. Erstaunlich. Er jammerte nicht herum, eigentlich war er neben ihr sogar der Ruhigste in dem ganzen Zirkus. Was sie ein bisschen beeindruckte. Eigentlich hätte sie ihm zugetraut, beim Anblick von Blut umgehend in Ohnmacht zu fallen oder zumindest ein Riesentheater zu veranstalten. Tat er aber nicht, er verzog nicht mal das Gesicht, als er seinen Arm bewegte.
„Kommen Sie, ich mache Ihnen im Haus einen Kaffee. Der ist gut für den Kreislauf. Und dann soll Ihr Fahrer Sie zu Doc Taylor bringen, der hat seine Praxis am Ortseingang und kann Sie verbinden. Der Hummer wollte übrigens nur Hallo sagen, er hätte Sie nicht ernsthaft verletzt. Es tut mir wirklich sehr leid!“
„Ist doch nicht Ihre Schuld!“, erwiderte er schnell.
Bevor Devon noch etwas antworten konnte, ging Lionel dazwischen. „Wir fahren sofort ins Krankenhaus!“, rief er und fuchtelte immer noch herum wie ein Fluglotse. „Das muss natürlich fachmännisch versorgt werden.“
Er ließ keine Widerrede zu und schob den Kandidaten in Richtung der Limousine. Jacky ging in einigem Abstand nebenher. Was für ein Aufstand wegen eines kleinen Kratzers!
„Tut mir wirklich leid, dass ich so eine Aufregung verursacht habe“, sagte Devon beim Einsteigen zu ihr. „Aber ich schätze, ich muss das jetzt doch richtig verarzten lassen, sonst machen mir hier alle die Hölle heiß.“
„Machen Sie sich keine Sorgen, das wird alles gut verheilen“, erwiderte sie und winkte dem Wagen nach, als er losfuhr. Endlich hatte sie die ganze Bagage los! Die Presseleute hatten noch ein paar letzte Fotos von ihr geschossen, stürmten jetzt aber zu ihren Autos.
Herrlich, diese Ruhe! Sie wollte ins Haus gehen, doch plötzlich hörte sie eine unverkennbare Stimme neben sich.
„Sehr gut gemacht“, brummte Onkel Theodore und klopfte ihr mit seiner Pranke auf die Schulter. „Das war ein wunderbarer Auftritt. Die Nation wird dich lieben!“
„Die Nation soll mich gefälligst am Allerwertesten lecken“, stellte Jacky klar. „Ich will mit dem ganzen Politikscheiß nie mehr etwas zu tun haben. Und du solltest deinen Parteifreunden hinterherfahren, nicht dass der Herr Kandidat sich noch den Fuß anstößt oder ein Haar abbricht hier in unserer Wildnis.“
„Du verstehst überhaupt nichts, Jacky Wilson.“ Er ging in Richtung Haustür und machte ein Gesicht, das ihr überhaupt nicht gefiel. Es sah aus wie das von Murray, wenn ausnahmsweise ein Reisebus vor seinem Lokal hielt und fünfzig hungrige Touristen an seine Tische spülte. Plante er möglicherweise irgendetwas?
Aber hey, was sollte schon passieren? Devon und sein Zirkus waren verschwunden, würden ihre gefährliche Farm sicher nicht wieder betreten und sie konnte endlich zurückfallen in ihre wunderbar ruhige Welt der idyllischen Kleinstadt am Meer.
TOP SECRET! Geheimes Telefon-Abhörprotokoll
Stanfield: „Volltreffer! Haben Sie die Bilder gesehen? Sie wird in der Presse als Heldin gefeiert. Junge selbstständige Frau mit eigenem Unternehmen, die ohne Zögern einen fremden Mann verarztet. Hat als Einzige einen kühlen Kopf behalten, sogar ihre Bluse geopfert, und wollte ihn noch im Haus mit Kaffee versorgen.“
Crogett: „Eine wahre Heilige! Ich muss zugeben, die Szene ist großartig. Wer ist diese Jacky Wilson?“
Stanfield: „Eingetragene Demokratin, ihr Onkel ist Senator, unverheiratet, keine Skandale.