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Gib niemals auf! Drei einfache Worte mit einer klaren Botschaft. Doch oftmals ist es gar nicht so leicht, sich daran zu halten. Viele von uns haben schon Situationen erlebt, in denen wir lieber aufgegeben hätten. Vielleicht wegen eines Verlustes oder einer Krankheit. Aber wenn man die Augen öffnet und genau hinsieht, dann kann man sie erkennen: Die Lichtblicke des Lebens! Diesem Thema haben sich 20 AutorInnen gewidmet und ihre wundervollen, teils traurigen, aber auch hoffnungsvollen Geschichten in einer Spendenanthologie zusammengetragen. Der Gewinn aus allen Verkäufen kommt der "Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft - Bayern" zugute.
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Seitenzahl: 340
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Never Give Up
Lichtblicke des Lebens
Anthologie
Buchbeschreibung:
Gib niemals auf!
Drei einfache Worte mit einer klaren Botschaft. Doch oftmals ist es gar nicht so leicht, sich daran zu halten.
Viele von uns haben schon Situationen erlebt, in denen wir lieber aufgegeben hätten. Vielleicht wegen eines Verlustes oder einer Krankheit.
Aber wenn man die Augen öffnet und genau hinsieht, dann kann man sie erkennen:
Die Lichtblicke des Lebens!
Diesem Thema haben sich 20 AutorInnen gewidmet und ihre wundervollen, teils traurigen, aber auch hoffnungsvollen Geschichten in einer Spendenanthologie zusammengetragen.
Der Gewinn aus allen Verkäufen kommt der „Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft - Bayern“ zugute.
Never Give Up
Lichtblicke des Lebens
Anthologie
Impressum
© 2023 Isabell Bayer, Sahra Sofie Caspari
ISBN Softcover: 978-3-384-00191-7
ISBN E-Book: 978-3-384-00192-4
Druck und Distribution im Auftrag :
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926
Ahrensburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag , zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Die AutorInnen
Content Note
Aller Anfang ist schwer
Autorin von „Aller Anfang ist schwer“
Der Weg der Windsbraut
Autorin von „Der Weg der Windsbraut“
A Love of the Past and the Future
Autorin von „A Love of the Past an the Future“
Ich warte auf Vollmond
Autorin von „Ich warte auf Vollmond“
Cathrines Weg ins neue Leben
Autorin von „Cathrines Weg ins neue Leben“
Das Fragezeichen
Autorin von „Das Fragezeichen“
Die Arbeit kann warten, das Leben wartet nicht
Autorin von „Die Arbeit kann warten, das Leben wartet nicht“
Die Reise
Autorin von „Die Reise“
Der letzte Strohhalm
Autorin von „Der letzte Strohhalm“
Hättest Du dich getraut?
utorin von „Hättest du dich getraut?“
Hopeless – Until You
Kapitel 1
Kapitel 2
Autorin von „Hopeless – Until You“
Just a Sec
Autorin von „Just a Sec“
Von einer, die auszog, das Glücklichsein zu lernen
Autorin von „Von einer, die auszog, das Glücklichsein zu lernen“
Roswithas Weg
Autorin von „Roswithas Weg“
Lily die Dotterblume
Autorin von „Lily die Dotterblume“
Never Give Up
Autorin von „Never Give Up“
New Hope
utorin von „New Hope“
Pizzalieferant zum Bleiben
Autorin von „Pizzalieferant zum Bleiben“
Racing Heart Peyton & Jaxon
Autorin von „Racing Heart – Peyton und Jaxon“
Weiter
Autorin von „Weiter“
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Danksagung:
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Die AutorInnen
Danksagung:
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Die AutorInnen
Isabell Bayer
Sahra Sofie Caspari
Mae Fall
Stina Milner
Kerstin Rothenbächer
Cathrine Snow
Jess Raelt
Veronika Carver
Sina Grave
Jean Layfield
Julie Fraser
Lucy Barreto Cabrera
Alina Alerion
Zoey Aldrich
Katrin Dietrich
Faye Bilgett
Annina Safran
Melanie Galsheimer
Nadja Schindler
Liesa Marin
Content Note
Hallo ihr lieben Leser und Leserinnen!
Wir freuen uns, dass diese wundervolle Anthologie ihren Weg zu euch gefunden hat.
Nun möchten wir aber ein paar Worte vornweg an euch richten.
Die Geschichten in diesem Buch sind teils frei erfunden, teilweise rühren sie jedoch auch von wahren Begebenheiten.
Aus diesem Grund möchten wir euch darauf hinweisen, dass hier viele sensible Themen auf euch warten.
Am Ende des Buches findet ihr eine genauere Liste all dieser Themen. Wenn ihr euch unsicher seid, seht sie euch bitte gut an, damit ihr euch beim Lesen nicht unwohl fühlt.
Eure AutorInnen von
„Never Give Up – Lichtblicke des Lebens“
Aller Anfang ist schwer
Mit einem frustrierten Schnauben warf ich den angebissenen Donut auf den Teller. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Wie sollte ich das stemmen? Gab es vielleicht noch eine Möglichkeit, reumütig zurückzukriechen und es ungeschehen zu machen?
Mein Blick glitt zum Handy und die Worte meiner Mutter hallten in mir nach:
Bist du wahnsinnig? Was soll das heißen, du hast gekündigt? Wovon willst du denn jetzt leben?
Der panische Unterton, der durch die Leitung zu mir durchgedrungen war, hatte erste Zweifel gesät.
Hatte ich mir das Ganze gründlich überlegt?
Konnte ich es wirklich schaffen? Oder war es am Ende eine dumme Schnapsidee, die ich noch lange bereuen würde?
„Da bist du ja“, drang Elas Stimme durch den dichten Gedankenschleier. „Und? Hast du es durchgezogen?“
„Ela! Zum Glück bist du hier!“ Ich sprang auf und schloss meine beste Freundin fest in die Arme. Ein beruhigender Duft nach Rosmarin und Ingwer umhüllte mich, und ich sog diesen tief in mich ein.
„Hast du Jan die Kündigung auf den Tisch geknallt oder nicht?“ Ela schob mich ein paar Zentimeter von sich und klimperte mit ihren dichten Wimpern. Als nicht sofort eine Antwort folgte, atmete sie enttäuscht aus. „Bitte sag mir, dass du keinen Rückzieher gemacht hast. Wir waren uns doch gestern Abend einig, dass du nicht mehr für diesen Idioten arbeiten kannst.“
Ich seufzte.
„Gekündigt habe ich schon. Ich bin mir nur nicht mehr ganz klar darüber, ob das eine gute Idee war.“ Unsicher senkte ich den Blick und schob den Ring an meinem Daumen hin und her.
„Zwei Gläser Champagner, bitte!“, rief Ela in den Raum. „Hier gibt es etwas zu feiern!“
Meine Hand schnellte an ihre Schulter, um sie zurückzuhalten. Allerdings viel zu spät.
„Hast du mir gerade nicht zugehört?“, fragte ich verhalten. „Ich bin unsicher, ob das eine gute Entscheidung war.“
„Das habe ich durchaus gehört. Ich habe nur beschlossen, es zu ignorieren, weil es totaler Unsinn ist.“ Ela warf sich ihre blonde Mähne mit einer galanten Bewegung über die Schulter.
„Außerdem ist es erst 11 Uhr morgens“, setzte ich leise nach.
„Auch dieser Anmerkung werde ich keinerlei Wert beimessen.“ Sie grinste übers ganze Gesicht. „Es gibt etwas zu feiern, also gibt es Schampus.“
Ihr Blick ließ keine Widerworte zu, und der Kellner kam ohnehin bereits mit zwei Champagnergläsern herbeigeeilt. Sie schnappte sich eines davon, hielt es hoch und posaunte mit erhobener Stimme heraus: „Auf dein eigenes Business, Yara!“
Mir blieb nichts anderes übrig, als das zweite Glas vom Tablett zu nehmen und mit ihr anzustoßen. Mit eingezogenen Schultern sah ich mich verstohlen im Restaurant um und erkannte, dass nahezu alle uns anstarrten.
„Können wir uns bitte hinsetzen?“, fragte ich mit gesenkter Stimme. Die ganze Aufmerksamkeit war mir mehr als unangenehm. In meinem Magen hatte sich wieder das flaue Gefühl breitgemacht, das mich auch überrollt hatte, als ich Jan die Kündigung in die Hand gedrückt hatte.
„Warum?“ Ela blinzelte verwundert. „Das alles hier“, sie machte eine weit ausladende Geste mit beiden Armen, „sind vielleicht potenzielle Kunden von dir. Du musst wirklich lernen, auf die Leute zuzugehen, Yara.“
„Noch habe ich nichts Eigenes, das ich ihnen anbieten könnte“, bremste ich meine Freundin aus. „Und vor allem bin ich alles andere als sicher, dass es klappt.“
„Papperlapapp“, konterte Ela und winkte ab. „Das hat dir doch sicher wieder deine Mutter eingeredet. Habe ich recht?“ Sie hob ihre Augenbraue, während sie sich näher zu mir lehnte.
„Irgendwie schon“, gab ich zu. „Aber ihre Bedenken sind nicht ganz unbegründet.“
Erneut sank mein Blick zu Boden, und ich inspizierte eindringlich meine Schuhspitzen. „Was mache ich, wenn ich wieder für längere Zeit ausfalle, weil mein Magen nicht mitspielt? Oder wenn ich nicht genügend Kunden an Land ziehen kann?“
„Das lass mal meine Sorge sein“, erwiderte Ela bestimmt und legte mir ihre Hand auf die Schulter. „Als deine Marketingbeauftragte und dein Notfall-Backup fällt das eindeutig in mein Ressort.“
„Du hast bereits einen Vollzeitjob, Ela.“
Unsicher kaute ich auf meiner Nagelhaut. Ich konnte unmöglich von ihr verlangen, mich bei meiner Selbstständigkeit zu unterstützen.
„Das bisschen Arbeit bekomme ich nebenher locker unter.“ Ela zwinkerte mir vielsagend zu. „Außerdem läuft der Laden nach ein paar Wochen von ganz allein, du wirst schon sehen.“
„Es gibt doch schon unzählige selbständige Übersetzer“, gab ich zu bedenken. „Außerdem darf ich meinen aktuellen Kundenstamm laut Jan nicht informieren. Also fange ich komplett bei null an.“ Ich seufzte schwer und ließ den Donut ein weiteres Mal zurück auf den Teller fallen.
„Natürlich, es schwimmen immer viele Fische im Meer. Aber die bieten nicht alle deinen Qualitätsstandard und deine Bandbreite an.“ Ela nickte in Richtung meines Champagnerglases. „Und vor allem sind die nicht annähernd so serviceorientiert und zuverlässig wie du, Yara.“
„Trotzdem muss ich die ersten Monate irgendwie überbrücken.“ Verzweifelt schlug ich die Hände über dem Kopf zusammen. „Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich bin chronisch krank und alles andere als belastbar!“
Drei Wochen später zog ich endlich meinen ersten größeren Auftrag an Land – natürlich mit Unterstützung von Ela.
Die ersten beiden Tage stürzte ich mich dankbar in die Arbeit und lag dadurch mehr als gut im Zeitplan.
Doch am dritten Tag wachte ich mit schmerzhaft trockenen Augen und heftigen Magenschmerzen auf. Jeder Versuch, mich trotz der fiesen Migräneattacke auch nur aus dem Bett zu bewegen, rächte sich, noch ehe ich einen Fuß auf den Boden setzte.
Durch die dunklen Schlieren, die mir durchs Blickfeld tanzten, war es ohnehin unmöglich, etwas auf dem Bildschirm zu erkennen. Mit einem entnervten Seufzen blieb ich liegen und hoffte inständig, dass es lediglich ein Tag sein würde, den ich verlor. Den aufzuholen war dank meiner übermotivierten Vorarbeit sicher möglich.
Aber am nächsten Morgen wurde es nicht besser, im Gegenteil. Zwar konnte ich mich wieder halbwegs aus dem Bett hieven, allerdings nur, weil in starken Wellen eine unbändige Übelkeit von mir Besitz ergriff und mich ins Bad trieb.
An konzentriertes Übersetzen eines Textes war nicht einmal zu denken.
Dazu kamen die Vorwürfe und Ängste.
Quälender Selbsthass nagte an mir und ließ meine Gedanken nicht stillstehen.
In wenigen Tagen würde ich eine halbgare Übersetzung einreichen oder eine Begründung für die Verzögerung finden müssen.
Jedoch konnte ich mir bei beiden Varianten eine weitere Zusammenarbeit mit dem Großkunden abschminken.
„Yara, du musst dich ausruhen“, redete ich mir selbst zu. „Wenn du dich jetzt entspannst, geht es dir heute Abend sicher viel besser und du kannst das noch aufholen, wenn du richtig Gas gibst.“
Nichtsdestotrotz entspannte ich mich nicht.
Kein bisschen.
Ich presste die Fäuste auf die ohnehin schon schmerzenden Augen, schrie in mein Kissen und krampfte innerlich zusammen bei dem Gedanken daran, die Firma zu enttäuschen, die auf mich gesetzt hatte.
Mein innerer Moralapostel ließ nicht locker und bohrte den erhobenen Zeigefinger tiefer und tiefer in mein beinahe explodierendes Gehirn.
Irgendwann wusste ich nicht mehr, ob mir die Migräne oder mein schlechtes Gewissen die größten Schmerzen zufügte.
Es verging noch ein weiterer Tag, an dem ich mir Vorhaltungen machte und mich aktiv davon abhielt, mir die dringend nötige Erholung zu gönnen.
Immer wieder schaltete ich den Laptop an und versuchte, gegen die Tränen anzublinzeln, die das grelle Licht mir in die Augen trieb, und irgendetwas auf dem Bildschirm zu erkennen.
Dunkle Pixel und das allgegenwärtige Pochen in meinen Schläfen machten es mir unmöglich, auch nur ein Wort zu erkennen – geschweige denn dessen Sinn zu erfassen. Stumm vor mich hin weinend krümmte ich mich auf dem Sofa zusammen und wünschte mir nur eines: Ruhe.
Ein schriller Ton ließ mich wimmernd zusammenfahren.
Die Türklingel.
„Ist gerade schlecht“, krächzte ich in Richtung Flur. Da hörte ich bereits, wie sich jemand am Schloss zu schaffen machte.
Entweder der Einbrecher war extrem fingerfertig und besaß das beste Dietrich-Set der Welt oder die Person, die sich selbst einließ, besaß einen Schlüssel.
Bitte lass es nicht meine Mutter sein!
„Yara?“, hörte ich Elas Stimme, und mir stellten sich die Nackenhaare auf.
Sie hatte so viel investiert, um mir diesen Auftrag zu beschaffen. Wie enttäuscht würde sie sein, wenn sie mich gleich in meinem elenden Zustand ertappte, wie ich auf dem Sofa fläzte anstatt zu arbeiten.
Zu spät!
Ich spürte bereits ihre warme Hand an meinem Oberarm. „Yara, geht es dir gut?“
„Nicht wirklich“, raunte ich mit schmerzverzerrter Miene. Ich konnte die Spannung um meine Augen deutlich spüren. „Es tut mir leid.“
Ich konnte erahnen, wie sich ihr Schatten vor meinen fest verschlossenen Lidern bewegte. Vermutlich sah sie sich um. Beim Gedanken daran, wie es in meiner Wohnung gerade aussehen musste, sank ich verlegen tiefer in den Stoff. Es war mir schrecklich peinlich, dass Ela mich an diesem Tiefpunkt sah.
„O Gott!“ Ich hörte, wie sie sich die Hand vor den Mund schlug. „Wie lange geht es dir denn schon so?“
Sie machte sich sicher Sorgen um den Auftrag. Zu meinem Unglück leider absolut berechtigt.
Nachdem sich kein dunkles Loch meiner erbarmte und sich unter mir auftat, um mich zu verschlingen, musste ich wohl oder übel antworten.
Ich schluckte und stellte mich dann ihrem Urteil.
„Es tut mir leid, Ela. Ich bin schon seit ein paar Tagen außer Gefecht und befürchte, ich werde den Auftrag nicht fristgerecht schaffen.“
Ich wollte so viel sagen, aber Ela brachte mich zum Schweigen, indem sie mir ins Wort fiel. „Warum hast du dich nicht gemeldet? Ich habe doch gesagt, dass ich dir helfe.“ Nach einer kurzen Pause setzte sie hinzu:
„Wer hat sich denn um dich gekümmert?“
„Ich?“, krächzte ich unsicher.
„Das ist nicht dein Ernst!“, fuhr Ela mich wütend an.
Der scharfe Ton und vor allem die Lautstärke ließen mich schmerzerfüllt zusammenfahren, und ein lautes Zischen entwich mir.
„Entschuldige“, sagte sie deutlich leiser und strich mir mitfühlend über die Schulter. „Dann werde ich hier ein bisschen klar Schiff machen, koche dir eine nahrhafte Hühnersuppe und schaue mir einmal an, was wir noch vor uns haben.“
„Nein, Ela“, hielt ich sie zurück. „Ich schaffe das schon irgendwie. Du musst dir keine unnötige Mühe machen.“ Es war mir furchtbar unangenehm, dass sie nicht nur meine Arbeit übernehmen, sondern sich zudem um mich kümmern wollte.
Wie sollte ich das je wiedergutmachen?
„Yara.“
Der ernste Tonfall in ihrer Stimme ließ mich aufhorchen. „Es ist okay, auch einmal Hilfe anzunehmen.“ Sie seufzte. „Wie oft hast du mir bei etwas unter die Arme gegriffen, wenn ich kein Land gesehen habe?“
„Wir sind Freunde“, brachte ich gegen den Kloß in meinem Hals und die wieder aufkommende Übelkeit hervor. „Da macht man das so.“
„Eben“, stimmte sie mir selbstzufrieden zu. „Das ist im Übrigen keine Einbahnstraße. Lass mich dir jetzt helfen.“
Ich deutete ein halbherziges Schulterzucken an. Überzeugt war ich nicht.
„Sieh es einfach so: Je eher du mich machen lässt, desto früher bist du mich wieder los und kannst dich ausruhen.“
„Okay“, gab ich schwach zur Antwort. Ich fühlte mich nach wie vor hundeelend damit, ihre Hilfe anzunehmen, hatte aber nicht die Kraft, mich gegen ihren Tatendrang zu wehren.
„Wenn du dich ein wenig ausruhst und die magische Suppe isst, die ich dir kochen werde, geht es dir sicher bald wieder besser. Vielleicht kannst du später sogar noch einmal über meine Übersetzung schauen, bevor wir sie termingerecht einreichen. Einverstanden?“
„Ich mache es wieder gut“, flüsterte ich kraftlos.
„Das sowieso.“ Sie lachte leise und legte eine warme Decke über mich.
„Und das war meine erste bittere Erfahrung, die mich am Ende hierhergebracht hat“, fasste ich zusammen. „Denn damals, als ich gezwungen war, mir helfen zu lassen, habe ich von meiner Freundin Ela eine unumstößliche Wahrheit entgegengeworfen bekommen: Es ist okay!“
Ich machte eine kurze Pause und genoss die zurückhaltende Erleichterung auf den Gesichtern meiner Zuhörer, als meine Worte zu ihnen durchsickerten.
„Es ist okay, wenn man etwas nicht allein schaffen kann. Es ist okay, wenn man nicht immer voll performen und abliefern kann. Es ist okay, Hilfe von anderen anzunehmen. Es ist okay, nicht perfekt zu sein. Denn niemand auf dieser Welt ist perfekt. Genau deshalb haben wir Freunde, Familie, Geschäftspartner und jede Menge anderer Personen in unserem Umfeld. Auf sie ist Verlass, wenn es einmal nicht so läuft, wie wir uns das ausgemalt hatten.“
Tosender Applaus setzte ein, und ich wartete, bis dieser abgeebbt war. „Glauben Sie mir, ich hätte niemals damit gerechnet, nur wenige Jahre später auf einer derart großen Bühne zu stehen und anderen Menschen Tipps und Strategien zu vermitteln, wie sie sich beruflich und privat weiterentwickeln und den Hürden des Lebens stellen können. Hätten Sie mir damals gesagt, dass ich einmal Mental Health Coach werde, hätte ich Sie mit ziemlicher Sicherheit lauthals ausgelacht. Doch hier bin ich, Tausende bittere Erfahrungen, Stolperer und Steine im Weg später, und erzähle Ihnen, wie Sie es ebenfalls schaffen können.“
Autorin von „Aller Anfang ist schwer“
Mae Fall
Ihr Leben lang hat sich Mae Fall, die ursprünglich unter dem Namen Marlene Guggenberger veröffentlicht hat, bereits mit dem Schreiben und ihrer Leidenschaft für Bücher tiefgehend befasst. Sei es im Deutsch Leistungskurs an ihrer Schule, im Nebenfach Kreativ Schreiben oder beim Germanistikstudium.
Die temperamentvolle Katzen-, Irland- und Whisk(e)yliebhaberin war von jeher verliebt in gute Geschichten - egal, ob lustig, dramatisch, melancholisch, grausam, liebevoll. Hauptsache eine gute Geschichte eben, die einen abholt und in eine andere Welt bzw. ein anderes Leben entführt. Endlich hat sie ihre Stimme gefunden und es geschafft, ihr erstes Buch aus der Hand zu geben. Sehr zur Freude ihrer Leserschaft! Wir sind uns sicher, dass noch einige Bücher folgen werden - und dass ihre Buchreihe um die Kíolesh-WG nicht die letzte sein wird, die ihre Leser verzaubert.
Der Weg der Windsbraut
Der nervige Ton meines Telefons dröhnte mir zum vierten Mal in den Ohren, aber ich wollte das Gespräch erst annehmen, sobald ich im Wagen saß. Ich wollte mich zunächst auf dem Sitz einkuscheln und der beißenden Kälte entgehen.
Fast ein wenig mitleidig sah mich der Fahrer an, als er mir die Türe aufhielt, auch wenn ich das fast für ein wenig überzogen hielt. Ich war schließlich nicht Hera, aber Hermes verlangte das so von seinen Mitarbeitern. Sie sollten jeder Seele Respekt zollen.
Ich rollte mit den Augen – unbemerkt vom Fahrer, der es vermied, mich anzusehen, während er um das Auto herum ging – und fischte mein Telefon aus der Tasche. Seufzend sammelte ich mich für einen Moment, bevor ich den Anruf annahm.
»Sag mal –«
»Ich bin gerade in den Wagen gestiegen. Hab die Ware bei mir. Bin unterwegs!«
Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen kramte ich meinen Taschenspiegel hervor, um mich nachzuschminken. Dem angestrengten Schnaufen am anderen Ende der Leitung nach zu urteilen, plusterte sich Mneme gerade auf.
»Du musst mich nicht daran erinnern. Das tut mein Kalender bereits. Danke.«
Das letzte Wort hätte ich mir vielleicht sparen können. Zumal ich beim letzten Mal wirklich nichts dafür gekonnt hatte, dass es ein wenig länger gedauert hatte, die Ware zu finden.
»Du weißt, dass Zeus es gar nicht leiden kann, wenn du über die Seelen als Ware sprichst.«
Aber quälen soll man sie. Schon klar, dachte ich. Dieses Mal konnte der Fahrer mein Augenrollen im Rückspiegel erkennen. Seine Augen verrieten ein Lächeln, aber ich war mir nicht sicher, ob er sich über mich amüsierte oder sich überlegte, mich zu melden.
»Aello.«
Ich seufzte.
»Ich weiß, ich weiß.«
Jetzt, da sich mein Puls wieder beruhigt hatte und die Wärme des Wageninneren mich langsam durchdrang, fragte ich mich, warum ich so zickig mit Mneme gewesen war. Im Grunde wollte sie nur das Beste für mich.
»Danke«, setzte ich daher versöhnlicher nach.
»Gutes Mädchen.« Das Lächeln in ihrer Stimme war echt, trotzdem verriet es, dass sie es ganz gerne sah, wenn andere ihr gehorchten. Da knackte es urplötzlich in der Leitung, und ich war mit meinen Gedanken allein.
Gutes Mädchen. Das hatte ich oft gehört. Von meiner Familie, aber später auch im Beruf. Und irgendwann war ich hier gelandet. Mit dieser vermaledeiten Aufgabe: dem Quälen. Nicht, dass es bei der Ankunft hieße, den Seelen ginge es zu gut. Ich hatte schließlich keinen Bock, selbst dort eine Strafe abzusitzen.
»Äh, zum Tartaros, Miss?« Der Taxifahrer schien genau zu wissen, woran ich dachte.
Ich nickte schwach. »So wie immer. Andere fahren in den Urlaub. Ich bringe Seelen in den Tartaros.« Die Achseln zuckend, steckte ich den Lippenstift wieder ein und wandte mich erneut dem Spiegel zu. »Zeig mir die Ware.«
Ein erbostes Gesicht erschien, und ich konnte die Seele, die es darstellte, in meinen Gedanken schreien und toben hören. Es beschimpfte mich wüst.
»Das hilft dir jetzt leider auch nicht mehr«, sagte ich, und beinahe war mir, als würde ich ihren Schmerz und die Angst vor dem, was kommen mochte, spüren.
»Es ist nicht sehr weit, Miss. Sie können sich ruhig ein wenig entspannen. Sie sehen müde aus.«
Oh, du weißt gar nicht, wie sehr müde ich bin, dachte ich. Meine Schläfe mit einer Hand massierend, sank ich in den Sitz zurück, doch mein Körper weigerte sich weiterhin, das zu tun, was der Fahrer von mir verlangte. Immerhin war da noch die Ware. Seele, korrigierte ich mich. Als ob Zeus meine Gedanken hören konnte.
Irgendwo weit in der Ferne blitzte es.
Na, lassen wir es mal lieber nicht darauf ankommen …
Ich schüttelte den Kopf und versuchte, in dem Spiegel etwas zu erkennen.
Der Schemen schrie nach wie vor und zog milchig weiße Schlieren unter der Oberfläche.
Das ungeübte Auge eines Sterblichen hätte sich vielleicht täuschen lassen, und der Spiegel wäre fortgeworfen worden.
Aber ich wusste, dass da mehr war. Zudem wusste ich, dass die Seele froh sein konnte, dass ich den Auftrag angenommen hatte und nicht etwa meine Schwester Okypete.
An meiner Stelle hätte sie sie vermutlich bereits tausend Jahre des Schmerzes durchleben lassen, noch ehe sie mit ihr aus der Stadt heraus gewesen wäre.
Ich spürte, wie sich in meinem Rücken etwas regte. Obwohl ich zuerst über die eine, dann über die andere Schulter sah, konnte ich nicht erkennen, was es war.
»Meister Hermes hat mir aufgetragen, Sie premium zu chauffieren. Das ist das neue Sondermodell. Rückenmassage.«
Wie gut, dass ich meine Flügel eingefahren hatte und schon längst nicht mehr benutzte. Sonst hätte es wohl ein Desaster gegeben. Trotzdem lächelte ich den Mann verbunden an. »Danke.« Ein Wörtchen, das ich von anderen viel zu selten hörte.
Erneut registrierte ich ein Zupfen und Zerren an meinen Gedanken. Der Schemen wollte offenbar, dass man sich ihm widmete. Wenn der wüsste …
Ich besah mir die Finger meiner freien Hand und erkannte mit Freude, dass zumindest noch etwas so war, wie es sein sollte: Meine Nägel waren lang und scharf, ganz wie früher. Genau so wie sie sein mussten, um mühelos in die Oberfläche des Spiegels einzutauchen und nach dem Schemen zu greifen, der nun panisch flüchtete. Doch es war mein Spiegel, der nach meinen Regeln spielte. Egal, wie lange er sich wehren mochte, irgendwann erwischte ich ihn doch. Und zwar dann, wenn ich es wollte.
Ich ließ ihn ein wenig länger zappeln. Sollte er ruhig meinen, er hätte eine Chance. Das konnte auf Dauer sogar schlimmer sein als Schmerzen. Auch wenn ich die einzige meiner Schwestern war, die das verstanden hatte.
Götter, wie ich diese Art der Bestrafung hasste! Warum konnte ich den Seelen nicht etwas Gutes tun, die ihr Leben lang anständig gewesen waren?
»Was führt Sie eigentlich an diesen vermaledeiten, furchtbaren Ort, Miss?« Wieder war es die Stimme des Taxifahrers, die mich aus meinen Gedanken riss.
Meine Finger spürten nach wie vor die kühle Oberfläche des Spiegels, die sich wie zu Wasser gewordenes Glas an meine Haut schmiegte.
»Job.«
»Ich weiß, es geht mich nichts an, aber Sie sehen aus, als könnten Sie jemanden zum Reden brauchen.«
»Ich bin Aello. Nennen Sie mich gern Ellie. Wie heißen Sie?«
»Echios. Die meisten sagen Os zu mir.« Er setzte noch etwas nach, das nach »Aber das hat schon lange niemanden mehr interessiert« klang. Ich ging nicht darauf ein. Wenn ich jetzt nachfragte, würde ich nicht dazu kommen, mein Herz zu öffnen, und ich merkte, wie sehr ich das im Moment brauchte. Wie sehr ich jemanden benötigte, der mir zuhörte. Mir und nur mir.
Das Zeitfenster, in dem ich meine Gedanken loswerden konnte, war indes wieder dabei, sich zu schließen.
»Wissen Sie, was passiert, wenn Menschen sterben, Os?«, fragte ich ihn, als der Wind durch das Schiebedach hereinfuhr und mir die Frisur zerzauste. Für einen Moment fühlte ich mich nostalgisch und strich mir eine losgelöste Strähne aus dem Gesicht.
Er zuckte kaum merklich die Schultern, während beide Hände weiterhin sicher auf dem Lenkrad verweilten. »Sie sterben und kommen in die Unterwelt. Ende.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ganz so einfach ist es nicht.« Ein schweres Seufzen, das sich nicht mehr aufhalten ließ, entfuhr mir. »Der da«, ich hielt den Spiegel hoch und hoffte, dass ich ihn damit nicht vom Fahren ablenkte, »ist ein ganz besonders schwieriger Fall. Ich erzähle Ihnen nicht, was er in seinem Leben alles getan hat. Es reicht, wenn Sie wissen, dass er alle Höllenqualen verdient hat. Und mehr.«
Wieder zuckte Os die Schultern. Als würde er so was jeden Tag hören. Wie ich. Ich schüttelte mich bei dem Gedanken. War ich mittlerweile wirklich dermaßen abgebrüht?
Das Massieren in meinem Rücken wurde ein wenig drängender, und die Innenseite meines Schulterblattes begann zu jucken. Ich sagte dazu nichts. Das hier sollte mir guttun, und vielleicht hatte ich so was schon so lange nicht mehr erlebt, dass ich nicht mal mehr wusste, wie man sich entspannte. Womöglich gehörte das Jucken ja dazu?
»Und da komme ich ins Spiel.«
»Bestrafen Sie ihn etwa?« Os‘ Augen weiteten sich, und für einen Moment sah ich etwas Dunkles, etwas Verlangendes in ihnen aufblitzen. Erst da fiel mir auf, dass der Mann viel zu gut aussah, um immer nur von hinten gesehen zu werden.
Ein schamhaftes Kichern unterdrückend, fuhr ich fort: »Nein. Also … irgendwie schon ein bisschen.« Die Pause, die ich einlegte, reichte aus, um seine Brauen in die Höhe schnellen zu lassen. Ich kannte diesen Blick. Er überlegte sich gerade, ob es das wert war, seine Seele dafür auf ewig mit dunklen Schleiern zu umhüllen. Und so wie seine Augen in diesem Moment in die Ferne schweiften, gewann die Seite, für die ich eigentlich keine Zeit hatte.
Auch wenn ich nichts dagegen gehabt hätte. War ja schließlich nicht meine Seele.
»Ich bin dafür da, die Seelen einzufangen. Die wissen, was auf sie zukommt, sobald sie erkennen, dass sie nicht mehr aufwachen werden.«
»Dass sie tot sind?«
»Ich wollte es nicht so direkt sagen, aber –«
»Mit mir können Sie direkt sein, Miss Ellie. Ich halte das aus.« Und als wollte er mich davon überzeugen, dass es tatsächlich so war, spannte er den Bizeps seines rechten Arms für mich an. Ein Bizeps, der locker den Umfang des Kopfes eines ausgewachsenen Schafes besaß.
Andere Gedanken, andere Gedanken! Götter, sonst komme ich nie im Tartaros an.
Das Klingeln meines Telefons riss mich abermals aus meinen Überlegungen.
Bereits beim zweiten Schrillen nahm ich ab. »Ja?« Ich wollte Mneme nicht schon wieder gleich zu Anfang verärgern. Oder nerven. Oder beides.
»Wo seid ihr gerade?«
Ich leitete die Frage an Os weiter.
»Nicht mehr lange. Vielleicht noch eine halbe Stunde.« Jetzt schien er genauer hinzusehen. Als wolle er wissen, mit wem ich telefonierte.
»Ha…«
»Ja, ja, hab’s mitbekommen. Zeus meinte, du sollst direkt danach wieder zurück in die Zentrale kommen. Es wartet ein Briefing auf dich zu deinem nächsten Auftrag.«
»Könnt ihr mir nicht einfach die Daten aufs Telefon schicken, und ich mach mich gleich auf den Weg?«, wollte ich wissen. Der Umweg würde mich viel zu viel Zeit kosten, und eigentlich sollte ich abends bei meiner Familie aufschlagen. Das hatte ich ganz klar gesagt, noch bevor ich den Auftrag angenommen hatte. Auch wenn das in diesem Unternehmen absolut niemanden interessierte. Schon gar nicht … nein, ich würde seinen Namen nicht nennen.
Heute würde ich keine Überstunden leisten. Sonst hätte ich meine Mutter wieder am Hals, die sich schlimmer als die Furien aufführen und sich auf mich stürzen würde, wenn ich zu spät zum Abendessen erschien.
»Es ist komplizierter. Deshalb musst du nachher noch mal kommen.«
»Heute keine Überstunden. Das hab ich seit Wochen im Kalender stehen!«, beschwerte ich mich bei ihr. Mir war klar, dass es die Falsche traf, aber irgendwo musste ich meinen Ärger loswerden.
»Sag das nicht mir. Sag es dem Boss, sobald du da bist.«
Als ob irgendwer irgendwann einmal dem Boss die Leviten lesen würde. Schon gar nicht ich! Davor würde ich mich lieber von meiner Mutter lebendig zerstückeln lassen.
Ich merkte erst, dass Mneme längst aufgelegt hatte, als das Tuten in der toten Leitung an mein Ohr drang. Fast in Zeitlupe senkte ich mein Telefon. »Wo waren wir gerade?«
»Dass Sie mir sehr unverblümt sagen wollten, was mit den Seelen passiert, sowie Sie sich ihrer annehmen.« Os grinste anzüglich. Jetzt bestand kein Zweifel mehr daran, was er wirklich dachte.
Ich grinste zurück, denn es tat gut, zur Abwechslung auch einmal als etwas anderes als eine Enttäuschung oder als eine willenlose Arbeitsmaschine gesehen zu werden.
»Die meisten wehren sich und versuchen zu entkommen. Aber ich kriege sie immer. Irgendwann.« Mein Lächeln, das sich daraufhin wie zu Asche verbranntes Holz anfühlte, war verschwunden. Der Wind hatte es mit sich nach draußen geholt, wo vielleicht eine andere Welt als diese auf mich warten könnte.
»Auf dem Weg zum Tarta…«
Wieder mein Telefon.
»Verdammte Kacke! Dass man hier nie in Ruhe ein Gespräch führen kann!« Ich schaute nicht einmal auf das Display, auch wenn ich das vielleicht hätte tun sollen. »Was ist denn jetzt schon wie…?«
»Wie sprichst du mit deiner Mutter, Windsbraut?«
Uff. Vermaledeite Unterweltsscheiße. »Ich dachte, es sei …«
»Es ist einerlei, wer am anderen Ende spricht. So begrüßt man niemanden, junges Fräulein!«
Ich plusterte mich auf. Vorhin, als Mneme auf diese Weise mit mir gesprochen hatte, hatte ich darüber gelacht. Jetzt aber musste ich verdammt noch mal an mich halten, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Denn am Ende würde nicht ich als Siegerin hervorgehen. So viel stand fest.
»Ich wollte bloß anrufen, um dich zu fragen, ob du auf dem Heimweg eine Flasche Rum holen kannst. Du weißt ja, die Sorte, die dein Vater am liebsten hat.« Alles, was ich heraushörte, war, dass sie es nicht guthieß, wenn er das verdammte Zeug soff wie Wasser. Aber so war er eben.
Der Moment der Wahrheit. Mein Herz begann jetzt schon zu flattern. »Jaaaa, also, was das …«
»Nein.«
»Du weißt noch gar nicht, wa…«
»Doch. Und ich verbiete es.«
»Mitéra …«
»Komm mir nicht so, Fräulein.«
Aha! Jung war ich inzwischen allem Anschein nach nicht mehr. Das war für die Töchter vorbehalten, die sich benehmen konnten.
»Du hast es versprochen.«
»Ich weiß«, hauchte ich und senkte den Kopf. Glaubte sie denn, ich machte meinen Job gern? Tat gern das, wofür ich offenbar geboren worden war?
»Ich ka…«
»Regel das! Ist mir egal, wie. Und hol den Rum!«
Tut-tut-tut-tut-tut. Die tote Leitung dröhnte jetzt lauter in meinen Ohren als je zuvor, und die Stille, die das Geräusch in den Hintergrund drängte, zerfetzte mir beinahe das Trommelfell.
»Ihre Mutter, Miss Ellie?«, wollte Os wissen.
Ich nickte und versuchte, mich gerade zu halten, denn mein Körper wollte schlicht in sich zusammensacken.
Nicht, weil ich mich endlich entspannte, sondern weil mir anscheinend alles in meinem Leben den Atem und die Nerven rauben wollte.
»Wenn dieses dämliche Telefon noch einmal läutet, werfe ich es aus dem Fenster!«
Dabei sah ich in meine andere Hand und dachte wieder an den Schemen. Ich hatte ihn mittlerweile genug durch den Spiegel gejagt, eine Bewegung, die ich schon jahrhundertelang auf dieselbe Art und Weise durchgeführt hatte.
Ich schüttelte den Kopf.
Was war da ein Essen, das ich verpasste?
Mein Gewissen, das blöderweise klang wie meine Mutter, meldete sich zu Wort. Es machte mir Vorwürfe, dass ich in den letzten Jahrhunderten so viele Essen verpasst hatte, dass man mit ihnen den Hunger von Tausenden Sterblichen hätte stillen können – und das mehr als einmal.
Hastig drängte ich all das beiseite. Vielleicht weil ich schlicht die Nase voll davon hatte oder weil ich die Seele erwischt hatte, die inzwischen schreiend und zappelnd versuchte, sich von meinen Fingern loszumachen und dabei so laut brüllte, dass ich drohte, taub zu werden.
»Jedenfalls ist es meine Aufgabe, die Seelen auf dem Weg zum Tartaros zu quälen. Langsam, manchmal auch schneller …«
Verdammt noch mal! Diese tiefblauen Augen, die sich just verdunkelten und mich mit einem Verlangen in dem Rückspiegel ansahen, dass mir ganz schwindelig wurde! Wie sollte man bei so etwas arbeiten?
»… bis sie sich wünschen, man würde sie einfach in der Unterwelt abladen«, schloss ich beinahe ein wenig atemlos.
Os entging es nicht, und seine Augen funkelten, als er lächelte.
»Und was haben Sie gerade mit ihm getan, Miss Ellie?« Er nahm eine seiner Hände vom Lenkrad und legte sie lässig auf den Schaltknüppel.
»Ich habe ihn durch den Spiegel gejagt. Und jetzt werde ich ihm Schmerzen zufügen.« Müssen, fügte ich stumm hinzu und senkte den Kopf. Das alles machte mich krank, und ich wusste es.
»Haben Sie schon einmal über Urlaub nachgedacht?«, wollte er wissen.
Ich war mir nicht sicher, ob er mit allen Gästen so viel sprach oder nur mit mir, aber im Grunde war es mir egal.
Der Mann schien genau zu wissen, welche Fragen er stellen musste, damit man sich der unangenehmen Wahrheit stellte. Es war eine Sache, sie ewig vor sich hin gären zu lassen und sie so gut es ging zu ignorieren, weil man bereits wusste, dass sich etwas zusammenbraute.
Aber es war etwas anderes, sich völlig nackt und ohne Waffen einer Gefahr zu stellen, die man selbst zutage förderte.
»Ständig«, beantwortete ich Os‘ Frage zum Urlaub. Ich seufzte schwer. Ich fühlte mich, als würde ich damit einen Großteil meiner Last loswerden.
»Dann sollten Sie das tun.«
»Das ist einfacher gesagt als getan, Os.«
Ich schüttelte den Kopf und betrachtete die Oberfläche des Spiegels. Nun da der Schemen sich ergeben hatte und sich nicht mehr bewegte, waren die milchigen Schlieren nicht länger zu sehen. Und mit einem Mal wusste ich, was ich tun musste.
Da klingelte mein Telefon und holte mich in die Wirklichkeit zurück.
Immer noch hatte ich es in der anderen Hand und starrte darauf, während der plärrende Ton das Innere des Wagens erfüllte wie eine explosive Mischung, die gleich hochgeht.
Und als wäre eine Sicherung bei mir durchgebrannt, umklammerte ich das Telefon und den Spiegel mit einer Hand, öffnete mit der anderen das Schiebedach und schleuderte beide Gegenstände in hohem Bogen nach draußen in den pfeifenden Fahrtwind.
Es tat so verdammt gut, beides von mir zu werfen, dass ich es am liebsten gleich noch mal getan hätte. Und dann wieder.
»Haben Sie …?«
»Ja, habe ich, und ich bereue es kein Stück«, erwiderte ich grinsend und öffnete meinen Sicherheitsgurt. »Urlaub klingt nach einer wahnsinnig tollen Sache. Sagen Sie, Os, wissen Sie zufällig, wo es guten Rum zu kaufen gibt?«
Für einen Moment weiteten sich seine Augen. Es stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, dass er an meinem Verstand zweifelte.
Vielleicht dachte er auch über meine Pläne und Verpflichtungen nach und über all die Leute in meinem Leben, die mir vorschreiben wollten, was ich zu tun hatte. Er brauchte sich aber keine Sorgen machen. Denn ich hatte mich niemals zuvor so klar im Kopf gefühlt wie jetzt.
»Ich habe eine Flasche hier, falls Sie …«
»Lassen Sie uns ein paar Tage Auszeit am Meer machen. Nur Sie, ich und diese Flasche Rum. Oder auch eine zweite oder dritte …«
Seine Augen – auch wenn ich es nicht für möglich gehalten hätte – verdunkelten sich ein Stück weit mehr, und ich konnte bereits spüren, wie das Verlangen in meinem Schoß brannte.
Ich ignorierte die Gänsehaut, die sich auf meinem Körper ausbreitete. Am liebsten hätte ich dem Drang sofort nachgegeben, mich direkt im Wagen auf ihn zu stürzen, aber ich kämpfte den Gedanken nieder. Auch darauf konnte ich noch warten.
»Wir treffen uns auf der Isla Mujeres; ich fliege schon mal vor. Bring Rum mit. Und vergiss die Klamotten. Die werden wir nicht brauchen.« Für das, was ich im Sinn hatte, war es seltsam, ihn weiterhin zu siezen.
Ich schlüpfte aus dem Schiebedach, die Flügel ausbreitend in dem Moment, als die kühle Luft sie traf. Der Wind strömte durch die Federn hindurch, und es war, als würde man ein Kissen am Fenster aufschütteln. Sie plusterten sich auf und fühlten sich mit einem Mal so mächtig an wie schon seit Jahrhunderten nicht mehr.
Mein Blick flog gen Himmel. Ein Sturm braute sich zusammen, und Zeus wusste, was ich vorhatte. Und das gefiel ihm ganz und gar nicht. In der Ferne zerriss ein violetter Blitz den Himmel und tauchte ihn in sein unheimliches Licht. Dann donnerte es so gewaltig, dass selbst mein Innerstes dadurch erzitterte. Das gab mir den Tritt, den es benötigte, damit ich – einem Schmetterling gleich – vollends aus dem Wageninneren emporstieg.
Dann legte ich den Kopf zurück und atmete den Geruch der um mich tosenden Winde tief ein, bevor ich schrie: »Ich bin Aello Windsbraut, und ich bin frei!«
Autorin von „Der Weg der Windsbraut“
Catherine Snow