New York Christmas Story - Karin Bell - E-Book
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New York Christmas Story E-Book

Karin Bell

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Beschreibung

Wenn du dein Herz an jemanden verlierst, der dich für eine andere hält …
Eine moderne Cinderella-Story im winterlich-romantischen New York

Cathlyn Jones liebt ihr ruhiges Leben als Verkäuferin bei Macy’s in New York. Doch ihre Normalität gerät aus den Fugen als Steven Hartford – angesehener Anwalt mit unwiderstehlichem Charme – sie für eine ihrer gut betuchten Kundinnen hält. Sofort funkt es zwischen den beiden, obwohl mehr als nur eine Lüge zwischen ihnen steht, und Cathlyn schafft es nicht die falsche Annahme richtig zu stellen. Dem Traum von guten Feen, berauschenden Bällen und ihrem Märchenprinzen folgt ein unschönes Erwachen, das sie nicht nur ihr Herz kosten könnte …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Winterküsse im Central Park.

Erste Leser:innenstimmen
„Eine wunderschöne Cinderella-Story im modernen weihnachtlichen Gewand.“
„Dieser Liebesroman erzeugt ein winterlich märchenhaftes New York-Feeling – genau das, was ich zu Weihnachten am liebsten lese.“
„Romantisch, fesselnd und herzzerreißend!“
„Es war ein vergnügliches und auch emotional aufwühlendes Leseerlebnis.“

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Seitenzahl: 266

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Über dieses E-Book

Cathlyn Jones liebt ihr ruhiges Leben als Verkäuferin bei Macy’s in New York. Doch ihre Normalität gerät aus den Fugen als Steven Hartford – angesehener Anwalt mit unwiderstehlichem Charme – sie für eine ihrer gut betuchten Kundinnen hält. Sofort funkt es zwischen den beiden, obwohl mehr als nur eine Lüge zwischen ihnen steht, und Cathlyn schafft es nicht die falsche Annahme richtig zu stellen. Dem Traum von guten Feen, berauschenden Bällen und ihrem Märchenprinzen folgt ein unschönes Erwachen, das sie nicht nur ihr Herz kosten könnte …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels New York Christmas Story.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Oktober 2022

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-760-1 Hörbuch-ISBN: 978-3-98637-764-9

Copyright © 2020, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2020 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Winterküsse im Central Park. (ISBN: 978-3-96817-419-8).

Covergestaltung: ARTC.ore Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Eisfrei, © Samshyt, © Franzi, © SurfsUp, © Ann in the uk Lektorat: Carolin Diefenbach

E-Book-Version 14.11.2023, 17:15:05.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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New York Christmas Story

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

New York Christmas Story
Karin Bell
ISBN: 978-3-98637-764-9

Wenn du dein Herz an jemanden verliebst, der dich für eine andere hält …Eine moderne Cinderella-Story im winterlich-romantischen New York

Das Hörbuch wird gesprochen von Anja Kalischke-Bäuerle.
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In liebevoller Erinnerung an unseren Opa Johann.

Du wirst uns dieses Jahr an Weihnachten sehr fehlen.

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

ich freue mich riesig darüber, dass „New York Christmas Story“ in die dritte Auflage geht und meine Geschichte ein weiteres Mal die Chance bekommt, gesehen zu werden. Für mich persönlich gibt es kein romantischeres Setting als New York zur Weihnachtszeit. Der verschneite Central Park, die Schlittschuhbahn am Rockefeller Center und das märchenhafte Plaza Hotel sind geradezu perfekt, um sie in eine Liebesgeschichte einzubauen. Doch meine Liebe zu New York begann nicht mit einer Romanze, sondern mit Kevin McAllister. Ich war zwölf und saß in der ersten Reihe im Kino. Eigentlich war es der Fußboden vor der ersten Reihe, denn es war eine Vorstellung im örtlichen Feuerwehrhaus und der Saal brechend voll.

Ich saß, bzw. lag also direkt vor dieser riesigen Leinwand und wurde regelrecht ins weihnachtliche New York hineingezogen. Aus dieser Position wirkte das Plaza Hotel noch imposanter, die Ganoven Harry und Marv noch furchteinflößender und die geschmückten Fassaden und Schaufenster wie aus einer anderen Welt. Ich hoffe, dass ich euch mit meiner märchenhaften „New York Christmas Story“ ebenfalls verzaubern kann. Es gibt zwar keinen Kevin, aber dafür einen echten Prinz Charming, der das Herz am rechten Fleck hat.

Alles Liebe, Karin Bell

1

Dezember 2000

„,Und die wunderschöne Fee zückte ihren Zauberstab und verwandelte das zerrissene Kleid in ein glitzerndes Gewand, die grauen Mäuse in stattliche Kutscher und einen Riesenkürbis in eine goldene Kutsche.‘“

Ruby Mitchell legte das dicke Märchenbuch auf dem Nachttisch neben dem Kinderbett ab und steckte anschließend die kuschelige Daunendecke um ihre Enkeltochter fest. Mit einem Lächeln auf den Lippen streichelte sie Cathlyn eine blonde Strähne aus der Stirn, bevor sie sie liebevoll tadelte. „Aber jetzt wird endlich geschlafen, junge Dame. Es ist fast elf und das war wirklich die allerletzte Geschichte für heute.“

„Aber, Grandma, du weißt doch, wie sehr ich Märchen liebe.“ Ein verhaltenes Gähnen unterbrach den schwachen Protest des kleinen Mädchens, dann rieb es sich müde die Augen. „Außerdem kann doch niemand so toll vorlesen wie du.“

Ruby schmunzelte. Ihre Kleine wusste ganz genau, wie sie sie um den Finger wickeln konnte. Schlagartig mischte sich Traurigkeit in ihre Gedanken, denn sie wusste auch, dass sie die Einzige war, die Cathlyn überhaupt noch vorlas. Seit ihr Schwiegersohn im vergangenen Jahr nach dem Tod ihrer Tochter wieder geheiratet hatte und seine neue Frau samt ihren Zwillingstöchtern bei ihm eingezogen waren, hatte sich vieles verändert.

So kam es immer häufiger vor, dass Cathlyn die Wochenenden lieber hier bei ihnen in Queens verbrachte, wie ihre Enkelin Ruby anvertraut hatte, als auf Long Island, da das prachtvolle Haus mit Personal mittlerweile „Cruellas“ Anstrich bekommen hatte. Von dem gemütlichen Nest, das ihre Tochter einst so liebevoll eingerichtet hatte, war nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen wirkte das große Haus nun wie ein Museum, unpersönlich und kalt. Es tat ihr in der Seele weh, wenn sie daran dachte, dass ihr einziges Enkelkind mit so einer furchtbaren Person und deren verzogenen Gören aufwachsen musste.

Plötzlich heulte der Wind, der bereits seit dem Abendbrot tobte, laut auf und rüttelte so heftig am Dachstuhl ein Stockwerk über ihnen, sodass sie es auch in dem kleinen Gästezimmer im Obergeschoss, direkt gegenüber dem Schlafzimmer ihrer Großeltern, knarren hörten. Erschrocken sahen sich die beiden an, ehe Cathlyns Blick zum Fenster fiel.

„Grandma, sieh doch, es schneit!“

Ehe Ruby ihre Enkelin zurückhalten konnte, war diese aus dem kuscheligen Bett gesprungen. Fest drückte sie ihre Nase an die Fensterscheibe, an der sich im Laufe des Abends etliche winzig kleine Eiskristalle gebildet hatten.

Für einen Moment verfolgte auch sie gebannt das Schauspiel, das sich draußen abspielte, bis Cathlyn nach ihrer Hand griff. Mit Tränen in den Augen sagte das Mädchen: „Ich vermisse Mom … Ob sie mir so vom Himmel ein Zeichen schickt? Das macht sie immer, wenn ich sie ganz arg vermisse.“

Ruby warf einen letzten Blick auf die dicken Schneeflocken, die nun überall am Fenster klebten, und drückte Cathlyn an sich. Nur mit Mühe gelang es ihr, den dicken Kloß im Hals herunterzuschlucken, um ihrer Enkelin zu antworten. „Da bin ich mir ganz sicher, mein Schatz.“

2

20 Jahre später

Wild wirbelte der Schnee in dicken Flocken durch die Straßen, als sich die Pforten zum Macy’s, New Yorks größtem und ältestem Kaufhaus, öffneten. Über dem Eingang prangte ein überdimensionaler Weihnachtskranz aus Tannenzweigen mit einer tiefroten Schleife, während unzählige Lämpchen die Fassade des alterwürdigen Gebäudes am Herald Square zum Leuchten brachten.

Endlich war es wieder so weit: Die Weihnachtssaison war eröffnet. Manhattan zeigte sich von seiner märchenhaftesten Seite und lockte so Tausende von Touristen und Romantikern in die Stadt. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich auch an diesem Freitagmorgen die festlich dekorierten Gänge und Abteilungen des Warenhauses mit Kundschaft füllten. Heimlicher Star war jedoch, wie in jedem Jahr, der hauseigene Weihnachtsmann, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem „echten“ Santa hatte und seit nunmehr 150 Jahren Tradition war.

Cathlyn Jones warf einen letzten Blick in den Spiegel und trat aus dem Aufenthaltsraum hinaus in den Laden. In wenigen Minuten würde sich dieser Bereich der Damenabteilung mit den Frauen der Upperclass füllen, die fest entschlossen waren, die Kreditkarten ihrer Ehemänner zum Glühen zu bringen.

Cathlyn überprüfte ein weiteres Mal die Auslagen: bunte Cashmere-Pullis, metallicfarbene Daunenjacken, Mäntel mit Nerzbesatz, gefütterte Lammfellboots und, der Renner in dieser Saison, Skibekleidung, mit der frau auch in der Stadt eine tolle Figur machte. Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als ihr Blick auf eine neongrüne Hose fiel. Na ja, über Geschmack ließ sich bekanntlich streiten …

Automatisch griff sie nach dem Preisschild – und machte große Augen. Wie zu erwarten, lag der Wert weit über ihrem Monatsgehalt – obwohl die Preise sie nach fünf Jahren als Verkäuferin eigentlich nicht mehr überraschen sollten. Doch bei diesem Stück rechtfertigte nicht einmal das Material die dreitausend Dollar. Die neongrüne Skihose hätte ebenso gut von der Stange sein können.

Erst vor Kurzem hatte Cathlyn ein ähnliches Modell bei Target gesehen, als sie mit ihrer Grandma unterwegs gewesen war. Hin und wieder wurde sie in dem riesigen Supermarkt in Queens sogar selbst fündig, aber „solche Art von Kleidung“ war hier nicht erwünscht, wie ihr Vorgesetzter bereits damals beim Vorstellungsgespräch nach einem Blick auf ihr Outfit klargestellt hatte.

Umso überraschter war Cathlyn gewesen, dass sich die Verkäuferinnen der High-End-Produkte nach Lust und Laune im Lager bedienen konnten. Eigens zu diesem Zweck schickten die Designer zusätzliche Outfits, damit die Angestellten gleichzeitig als lebendige Mannequins fungieren konnten. Cathlyn liebte es, sich zumindest für den Job herauszuputzen – obwohl, verkleiden kam der Sache wohl näher, in ihrer Freizeit liebte sie es schließlich bequem.

„Cathlyn, guten Morgen, meine Liebe!“

Aus ihren Gedanken gerissen, drehte sich Cathlyn überrascht nach der ihr bekannten Stimme um und entdeckte Dana Carter, eine ihrer Stammkundinnen, mit glühenden Wangen auf sie zusteuern. Heute steckte die Brünette in einem grauen Wollmantel und kuscheligen Stiefeln, die ihren klassischen Stil perfekt unterstrichen.

„Guten Morgen, Mrs Carter. Wie geht’s Ihnen?“ Cathlyn schenkte der eleganten Dame ein breites Lächeln und lief ihr eilig entgegen. Von all ihren Kundinnen mochte sie Dana am liebsten. Sie war bodenständig, nett und hatte ein großes Herz.

„Mir geht es prima, Cathlyn“, erwiderte Dana gut gelaunt, ehe sie sich erstaunt umsah. „Bin ich etwa die Erste? Das würde bedeuten, ich habe noch freie Auswahl, bevor die Aasgeier kommen!“

„Ganz genau und zufälligerweise haben wir heute auch ein neues Ensemble von Ihrem Lieblingsdesigner bekommen“, informierte Cathlyn Dana in verschwörerischem Tonfall.

„Wirklich? Ach, das ist ja wunderbar!“, jauchzte Mrs Carter und legte sich die Hand auf die Brust. „Das trifft sich ausgezeichnet, schließlich findet in drei Wochen mein alljährlicher Winterball im Plaza statt. Sie müssen kommen, Cathlyn. Sobald die Einladungen da sind, bringe ich Ihnen eine vorbei.“

Wehmütig sah Cathlyn Dana Carter an und Erinnerungen an längst vergessene Dinnerpartys im Hause ihrer Eltern brachen über sie herein. Als Kind hatte sie es geliebt, sich für solche Gelegenheiten herauszuputzen. Ihre Mom hatte ihr eigens dafür die schönsten Kleider bestellt und ihr sogar die Haare aufgedreht. Doch seitdem „Cruella“ das Zepter übernommen hatte, war Cathlyn während dieser Veranstaltungen lieber den ganzen Abend auf ihrem Zimmer geblieben, um zu lesen.

Mit einem besorgten „Cathlyn?“ riss ihre Stammkundin sie aus den Gedanken und sah sie fragend an.

„Vielen Dank, Mrs Carter, das hört sich wirklich fantastisch an, aber ich weiß nicht, ob ich da reinpasse“, erwiderte Cathlyn betrübt lächelnd.

Dana legte ihr mütterlich die Hand auf den Arm und sah sie liebevoll an. „Es sind ja noch drei Wochen. Überlegen Sie es sich in Ruhe. Ich jedenfalls würde mich sehr freuen, wenn Sie kämen.“

Bei Danas liebevoller Geste und ihrer sanften Stimme wurde Cathlyn sofort warm ums Herz. Für einen kurzen Moment war sie versucht, der Einladung spontan zuzusagen, dann verließ sie jedoch der Mut. „Ich werde es mir ganz sicher überlegen, Mrs Carter“, anwortete sie stattdessen mit fester Stimme.

Dana schenkte der jungen Frau ein zufriedenes Lächeln und antwortete mit einem Augenzwinkern: „Sie werden es nicht bereuen, meine Liebe. So, jetzt zeigen Sie mir endlich das Schmuckstück, von dem Sie geredet haben. Ich hoffe, es funkelt schön, denn das Motto dieses Jahr lautet ‚Wintermärchen‘.“

„Dann habe ich genau das Richtige für Sie.“ Cathlyn grinste breit und führte Dana aufgeregt in den Bereich für Abendmode.

Das neue Kleid von Valentino war ganz einfach perfekt für sie. Schlicht, elegant und gut mit ihren üblichen Accessoires zu kombinieren. Darauf hatten die beiden Frauen immer ein besonderes Augenmerk, wenn sie Danas Garderobe aussuchten. Die Kleidung durfte auf keinen Fall zu bunt sein, weshalb sie oft über Beige, Schwarz, Grau oder Marine nicht hinauskamen. Im Gegenzug durften die Schuhe und Handtaschen etwas auffälliger sein. Außerdem trug ihre Stammkundin für ihr Leben gern Perlen und wurde nicht müde, ihr bei jeder Gelegenheit eine kleine Anekdote aus ihrem bewegten Leben zu erzählen. Und Cathlyn wurde ihrerseits nicht müde, ihr spannend zu lauschen. Deshalb freute sie sich ganz besonders, dass der heutige Montagmorgen mit einem Besuch von Mrs Carter begann.

Vorsichtig griff Cathlyn nach dem Kleid. Auf den ersten Blick wirkte es unscheinbar, doch wenn der Stoff sich bewegte, kamen die unzähligen Pailletten zum Vorschein, die vom Licht reflektiert wurden und die Umgebung in ein funkelndes Meer verwandelten. Auch Cathlyn verschlug es bei dem Anblick noch immer den Atem.

Erwartungsvoll sah sie zu Dana, die sprachlos die Hände vor den Mund hielt und das Kleid mit verklärtem Blick ansah. Es schien, als würde Dana jedes winzige Detail des aufwändig bestickten Kleides in sich aufnehmen.

„Einfache Ohrstecker und die Samtpumps, die Sie neulich gekauft haben, machen das Outfit perfekt“, schlug Cathlyn lächelnd vor.

„Ich bin verliebt! Und wie schön es funkelt!“ Für einen Augenblick wirkte die Dame wie ein junges Mädchen, das mit großen, glänzenden Augen ein Prinzessinnenkleid bewunderte, doch dann mischte sich ein Ausdruck von Wehmut in ihren Blick. „Wie schade, dass mich mein Henry nicht mehr in diesem Kleid sehen kann.“

Cathlyn sah ihre Kundin mitfühlend an. Henry Carter musste ein unglaublicher Mann mit einem großen Herz gewesen sein. Beinahe jedes Mal, wenn sie sich trafen, kam Mrs Carter nicht umhin, ihn zu erwähnen. Sie erzählte von den Geschäftsreisen ins Ausland und den gemeinsamen Abenteuern, die sie dort erlebt hatten. Besonders gerne mochte Cathlyn die Geschichten über Spanien oder Frankreich … Länder, die sie selbst irgendwann einmal gerne besuchen würde.

Mrs Carter wirkte jedoch keineswegs betrübt oder in Trauer, wenn sie von der gemeinsamen Zeit und den vielen sozialen Projekten erzählte, die ihr Mann unterstützt hatte, sondern stolz und voller Tatendrang. Sie hatte es sich nämlich zur Aufgabe gemacht, sein Vermächtnis fortzuführen.

„Dann probiere ich dieses schicke Teil doch gleich mal an.“ Mrs Carter zwinkerte Cathlyn verschwörerisch zu, als sie gemeinsam die Umkleide ansteuerten.

„Guten Morgen, Mrs Carter! Wie schön, dass Sie uns beehren!“ Wie aus dem Nichts kam in dem Moment Cathlyns Chef Mr Hector hinter einem Kleiderständer hervor und entlockte ihr so ein Augenrollen. Er musste sie einfach zu jeder Zeit kontrollieren.

Neugierig warf er einen Blick auf das Paillettenkleid. „Oh, eine ausgezeichnete Wahl!“, fuhr er mit einem schleimigen Lächeln fort. „Ich hoffe, alles ist zu Ihrer vollsten Zufriedenheit?“

Beinahe unauffällig gelang dem kleinen, glatzköpfigen Mann mit Nickelbrille ein Seitenblick auf Cathlyn, durch den er wahrscheinlich ihr heutiges Outfit in Sekundenschnelle musterte. Anscheinend zufrieden mit dem, was er sah, wandte er sich wieder Mrs Carter zu.

„Das Valentinokleid ist wie für Sie gemacht! Darf es denn noch etwas sein? Passende Schuhe oder vielleicht ein neues Täschchen?“, fragte er übereifrig weiter und schnitt Cathlyn nicht nur den Weg, sondern auch sie von ihrer Kundin ab, während er ihr das Kleid förmlich aus der Hand riss.

Irritiert starrte Mrs Carter den hageren Mann mittleren Alters an, bevor ihr Blick auf dessen Hemd fiel, das über und über mit kleinen rosafarbenen Pudeln bedruckt war.

„Ich darf doch sehr bitten“, war alles, was sie sagte, und nahm ihm mit einem Lächeln, aber dennoch bestimmt das Kleid wieder ab. „Ms Jones kümmert sich bereits hervorragend um mich.“

„Ja, sicher“, flötete der Leiter der Damenabteilung und schob seine Mitarbeiterin nach vorne. „Cathlyn, auf was warten Sie noch?“

Cathlyn unterdrückte ein genervtes Schnauben und schenkte ihrem Vorgesetzten stattdessen ein freundliches Lächeln, ehe sich dieser mit einer lächerlichen Verbeugung von Mrs Carter verabschiedete.

„Was für ein Schleimer und dann noch sein gruseliger Modegeschmack!“, entfuhr es Mrs Carter, als Cathlyns Chef hinter der nächsten Ecke verschwunden war. „Wie halten Sie es nur mit dem Kerl aus?“

Cathlyn hob entschuldigend die Hände. „Na ja, ich liebe es eben hier bei Macy’s – und daran kann nicht einmal mein Boss etwas ändern.“ Ein zartes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, als sie begann, in Erinnerungen zu schwelgen. „Schon als kleines Mädchen war ich fasziniert von den Dekorationen, den gefüllten Regalen, nicht zu vergessen die Feinkostabteilung und unser weltbekannter Santa.“

Mrs Carter seufzte verträumt und sah Cathlyn verständnisvoll an. „Ich weiß genau, was Sie meinen, meine Liebe. Da würde ich auch Opfer bringen.“

3

Steven Hartford zog den Kopf zwischen die Schultern sowie seine Aktentasche nah an den Körper, um sich und die Arbeitspapiere vor den dicken Flocken zu schützen, als er aus dem Taxi schlüpfte, das ihn ausnahmsweise direkt vor dem Kaufhaus herausgelassen hatte. Unter normalen Umständen wäre es nicht möglich gewesen, in zweiter Reihe zu parken, schon gar nicht an einem Freitagabend. Aber nachdem der Verkehr beinahe zum Erliegen gekommen war, machte es auch keinen Unterschied mehr, ob die folgenden Fahrzeuge nun seinetwegen ein Hupkonzert veranstalteten oder weil sie es einfach gewohnt waren.

Schnell huschte Steven durch eine der Drehtüren, die sich am Seiteneingang von Macy’s befanden, und schüttelte kurz darauf seine Kleidung aus, ehe er eintrat. Sofort hüllten ihn ein Schwall warmer Luft sowie ein fröhlicher Weihnachtssong ein. Bevor er sich interessiert umsah, öffnete er automatisch die Knöpfe des Mantels, um seinen Schal zu lockern.

Wie jedes Jahr übertrumpfte die neueste Weihnachtsdekoration diejenige vom Vorjahr. Auch dieses Mal hatte man keine Kosten und Mühen gescheut, dem guten Namen des Warenhauses alle Ehre zu machen. Tannengirlanden spannten sich wie Torbögen von einer Seite zur anderen, klassische Farben wie Rot und Gold dominierten Decken sowie Treppengeländer und wohin das Auge reichte, entdeckte man weihnachtliche Ornamente und Figuren wie Zuckerstangen, Weihnachtssocken, Christbaumschmuck und wunderschöne Schneekugeln. Steven musste lächeln, denn der Zauber der Weihnachtszeit verfehlte auch bei ihm nicht seine Wirkung.

Während er sich noch etwas im Erdgeschoss umsah, entdeckte er am Grabbeltisch nahe den Kassen einen witzigen Anhänger für seine Schwester. Ohne lange zu zögern, griff er ihn sich, bezahlte schnell und verstaute ihn in seiner Tasche. Anschließend steuerte er die Rolltreppen an, um in die Damenabteilung im zweiten Stock zu fahren und ein Geburtstagsgeschenk für seine Mom zu besorgen – wie immer in letzter Minute.

Sie hatte ein Faible für Halstücher; weshalb er sich entschieden hatte, sie auch in diesem Jahr mit einem solchen zu überraschen. Er wusste ja selbst, dass es mittlerweile etwas langweilig wurde, aber so war er wenigstens auf der sicheren Seite.

Mit einem kritischen Blick auf die Armbanduhr stellte er fest, dass ihm ohnehin keine Zeit mehr blieb, sich nach etwas anderem umzuschauen – der Laden würde bereits in einer Viertelstunde schließen.

Als er das zweite Stockwerk erreichte, atmete er erleichtert auf. Im Vergleich zum Erdgeschoss war hier oben deutlich weniger los. Mit einigen wenigen Blicken verschaffte er sich einen Überblick und sah sich daraufhin etwas hilflos nach einer Verkäuferin um. Im hinteren Bereich des Stockwerks, bei den Umkleiden, entdeckte er schlussendlich zwei Frauen, die sich offensichtlich einen Spaß daraus machten, einen neonfarbenen Skioverall mit allerlei Accessoires zu kombinieren. Zum zweiten Mal an diesem Tag schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen, als er die beiden amüsiert beobachtete. So wie es aussah, kannten sich die Verkäuferin, die er durch das Namensschild als solche identifiziert hatte, und Kundin, da sie sehr vertraut miteinander umgingen und immer wieder kicherten.

Schnell erhaschte er einen Blick auf eines der Accessoires, das die Kundin trug – ein hübsches Tuch, das wie gemacht war für seine Mom –, und steuerte entschlossen auf die Frauen zu. Das kehlige Lachen der Kundin drang an sein Ohr, während er näher kam, und als sie die dicke Pelzkappe vom Kopf zog, unter der blondes, schulterlanges Haar zum Vorschein kam, konnte er auch ihr Gesicht sehen. Ihre grauen Augen leuchteten vor Freude, ihre Wangen waren rosig und ohne Vorwarnung rutschte ihm das Herz in die Hose. Gab es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick tatsächlich oder hatten ihm das Winterwonderland im Erdgeschoss und die Musik, die immer noch auf ihn eindudelte, den Verstand vernebelt?

Wie in Trance ging er weiter und starrte die junge Frau einfach nur an. Sie hatte Stil, war topgepflegt und bestimmt eine dieser verwöhnten Upper-East-Side-Töchter, um die er künftig eigentlich einen großen Bogen hatte machen wollen. Doch irgendetwas passte hier nicht. Mit ihrem amüsierten Grinsen wirkte sie viel zu „echt“ und nicht so künstlich wie die anderen schwerreichen jungen Frauen, die er kannte.

Eine freundliche Stimme holte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück und sein Blick fiel auf die Verkäuferin, die ihn fragend ansah. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Ähm, guten Abend“, stammelte er und sah der Kundin nach, die sich hektisch auf den Weg zur Umkleide machte, beinahe so, als wäre ihr der Aufzug nun unangenehm.

„Ich weiß, ich bin spät dran, aber ich bräuchte noch ein Last-Minute-Geschenk … Das Tuch gerade eben hat mir sehr gut gefallen“, fuhr Steven fort und nickte hoffnungsvoll mit dem Kopf in Richtung Umkleide.

„Oh, das Tuch? Kommen Sie doch bitte mit, Mister, hier drüben haben wir eine fantastische Auswahl an Tüchern.“

Steven folgte der Verkäuferin und nach einem schnellen Blick zur Damenumkleide war er sich ziemlich sicher, dass sich die Kundin mit voller Absicht darin verschanzte. Dabei wünschte er sich nichts mehr, als noch einmal ihr herzliches Lachen zu hören.

„Hier haben wir das schöne Stück – Cashmere mit Seide und einem dezenten Allover-Monogrammprint.“

Steven griff nach dem weichen Schal und fuhr mit dem Daumen über die feinen Fransen an den Enden. „Wirklich sehr hübsch und mal was anderes. Auch die blaue Farbe sieht sehr nett aus.“

„Es ist tatsächlich ein wunderschönes Tuch und mit dem Monogrammprint ein echter Hingucker“, fügte die Verkäuferin freundlich hinzu und sah ihn abwartend an.

Plötzlich ertönte der Gong, der die baldige Schließung des Kaufhauses ankündigte, und Stevens Lächeln verwandelte sich in ein amüsiertes Grinsen. „Puh, gerade noch Glück gehabt.“

Die Verkäuferin führte ihn schmunzelnd zur Kasse. Auf dem Weg dorthin passierten sie erneut die Umkleide. Mit einem letzten Blick in ebenjene Richtung musste Steven feststellen, dass diese mittlerweile leer waren. So wie es aussah, hatte die scheue Kundin die letzten Minuten, während er sich das Tuch angesehen hatte, zum Flüchten genutzt.

Für einen kurzen Moment spielte er mit dem Gedanken, die Verkäuferin nach ihr zu fragen, verwarf den Einfall jedoch schnell, da sie ihm ohnehin keine Auskunft geben oder gar einen Namen verraten würde.

Nachdem er bezahlt hatte, verabschiedete er sich freundlich und verließ das jetzt nahezu menschenleere Kaufhaus durch den Vordereingang.

Als Steven ins Freie trat, konnte er kaum die Hand vor Augen sehen und auch seine Schuhe versagten nach wenigen Metern ihren Dienst. Er fühlte, wie eiskaltes Wasser seine Socken augenblicklich durchnässte. Innerhalb der wenigen Minuten, die er in dem Kaufhaus verbracht hatte, waren New Yorks Wege zur Gänze vom Schnee bedeckt worden.

Nach einem Blick zur Straße, wo sich die Autos nur im Schneckentempo vorwärtsbewegten, beschloss er, die U-Bahn nach Hause zu nehmen. Schnell knöpfte er sich den Mantel bis oben hin zu und bahnte sich seinen Weg durch die Schneemassen.

Nach wenigen Metern erreichte er die Subway-Station am Herald Square, die sich direkt neben dem Kaufhaus befand. Ehe er die Stufen allerdings hinabstieg, warf er automatisch einen Blick nach links oben, konnte jedoch keinen Blick auf das Empire State Building erhaschen. Die Spitze des Wolkenkratzers war komplett vom Schnee verschluckt worden.

Steven griff nach dem Handlauf und stieg vorsichtig die rutschigen Treppen hinab. Kurz darauf erreichte er endlich den Bahnsteig der Linie F, die nordaufwärts zur Upper East Side führte. Im Gegensatz zu draußen stand in den Tunneln der U-Bahn-Stationen die Luft, weshalb Steven seinen Mantel erneut etwas öffnete und sich dann unbehaglich umsah.

Er fuhr eher ungerne mit der Subway, lediglich in Ausnahmefällen wie heute, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Nicht, dass er sich zu fein wäre, im Gegenteil. Er mochte es nur nicht, dicht an dicht mit Fremden auf engem Raum zu stehen. Besonders jetzt wurde ihm mal wieder bewusst, wie voll es in seiner Heimatstadt zur Weihnachtszeit war.

Als die Subway plötzlich heranrauschte und ihm ein Schwall abgestandener Luft ins Gesicht schlug, drückte er intuitiv seine Aktentasche und die weihnachtliche Geschenktüte von Macy’s an den Körper, um sie festzuhalten. Die Türen öffneten sich und eine Masse an Menschen strömte heraus. Schnell bahnte sich Steven seinen Weg durch die Menge, stieg ein und ließ sich erleichtert auf einem freien Platz nieder.

Nur vier Stopps und er hätte es geschafft. Erst jetzt bemerkte er, wie müde er tatsächlich war und wie sehr ihm nach diesem Zehn-Stunden-Tag die Füße brannten. Für einen Augenblick schloss er die Augen und versuchte, sich zu entspannen, während er im Kopf die nächsten Stationen durchging.

Nach der Haltestelle Bryant Park würden sie am Rockefeller Center vorbeifahren, hinauf zur 57. Straße. Von dort aus ging es weiter in Richtung Central Park, unter dessen südöstlicher Ecke sie scharf rechts weiter zur Lexington Avenue Station abbiegen würden. Dort würde er aussteigen.

Steven öffnete wieder die Augen und sah sich unauffällig um. Die meisten Fahrgäste sahen so aus, wie er sich heute fühlte: müde und abgeschlagen. Die Touristen offensichtlich von den kilometerlangen Sightseeing- und Shoppingtouren durch die Stadt und die Geschäftsleute und Angestellten von ihren Schichten.

Mit einem Zischen öffneten sich die Türen, ehe weitere Fahrgäste in den Waggon hineinströmten und sich dicht aneinanderdrängten. Auch wenn ihn die Enge hier drinnen zunehmend störte, musste er zugeben, dass die Zeitersparnis im Vergleich zum Taxi enorm war, von den Kosten ganz zu schweigen. Aber für seine Familie, besonders für seinen Dad mit eigener Limousine, war es zur Normalität geworden, sich herumchauffieren zu lassen. Schließlich musste sich sein Dad als potenzieller Senator vom „Volk“ abheben, wie er ihm bei jeder Gelegenheit einzutrichtern versuchte.

Die Durchsage kündigte den für ihn vorletzten Stopp an und Steven raffte seine Sachen zusammen. Wenige Sekunden später stieg er aus der U-Bahn und die Treppen zur Lexington Avenue hinauf, wo es immer noch schneite.

Mit großen Schritten lief er die wenigen Meter zu seiner Wohnung, die sich in einem großen Appartementhaus am Central Park befand. Erleichtert atmete er auf, als er in der Dunkelheit endlich die grüne Markise mit der aufgedruckten Hausnummer 408 und den Portier vor dem Eingang entdeckte. Wie immer im Winter, wenn sich New York in eine märchenhafte Schneekugel verwandelte, trug dieser zusätzlich zu seiner gefütterten Uniform eine Pelzkappe und dicke Handschuhe.

„Guten Abend, Mr Hartford. Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Tag?“, fragte der Mann, als Steven das Gebäude erreichte, und griff mit der Hand zur Tür, um sie zu öffnen.

„Danke, Raul, aber auf dieses Schneechaos könnte ich gut verzichten. Ich bin einfach nur froh, dass ich jetzt daheim angekommen bin“, erwiderte Steven müde lächelnd und verabschiedete sich mit einem freundlichen Nicken schnell wieder von ihm.

Zügig passierte er die marmorne Eingangshalle und steuerte dann direkt den Aufzug an, neben dem sich ein opulent geschmückter Weihnachtsbaum befand.

Während Steven auf den Lift wartete, schenkte er der fünf Meter hohen Nordmanntanne ein anerkennendes Lächeln. Die Zweige wirkten, als würden sie unter dem Gewicht der abertausenden Lämpchen und silbernen Kugeln ächzen.

In dem Moment öffneten sich mit einem leisen Pling die Türen und er fuhr hinauf zur obersten Etage, in der sich seine Eigentumswohnung befand.

Es war die kleinste Wohnung im ganzen Gebäude, da sie direkt unter dem Dach lag, aber dafür wurde er mit der besten Aussicht belohnt. Außerdem hatte seine Wohnung Charme. Mit mehreren kleinen Erkern und darauf sitzenden Türmchen ausgestattet, war sie dem französischen Renaissance-Stil des Plaza nachempfunden.

Steven verließ den Aufzug, tippte am Display neben der Tür seinen Zugangscode ein und betrat schließlich die Wohnung. Drinnen angekommen, stellte er seine Aktentasche sowie die Einkaufstüte am Boden ab und befreite sich schnell von seinem durchnässten Mantel und den Schuhen. Anschließend nahm er vorsichtshalber das Geschenk für seine Mutter aus der Tüte, da diese durch den Mangel an Schutz ebenfalls nass geworden war, um die kleine Schachtel, in der sich das Tuch befand, auf Feuchtigkeit zu überprüfen. Erleichtert, dass die Verpackung keinen Schaden genommen hatte, stellte er sie auf der Konsole neben der Tür ab, damit er sie morgen nicht vergaß.

Der Anblick des Geschenkkartons von Macy’s weckte sogleich Erinnerungen an die unbekannte Schönheit, die sich allzu offensichtlich vor ihm versteckt hatte. So Furcht einflößend war er nun auch wieder nicht.

Steven schmunzelte, als er an ihren überraschten Gesichtsausdruck dachte, dabei hatte sie in diesem neongrünen Skioverall nicht einmal schlecht ausgesehen. Vermutlich würde sie sogar in einem alten Kartoffelsack voller Ruß im Gesicht eine gute Figur machen.

Nachdenklich lief er in sein Badezimmer, wo er sich von den feuchten Klamotten befreite, um kurz darauf in eine bequeme Jogginghose samt Kapuzenpulli zu schlüpfen. Anschließend machte er sich fröstelnd auf den Weg in die Küche.

Kurz überlegte er, ob er noch irgendwelche Instantsuppen im Schrank hatte – natürlich kein Vergleich zur selbst gekochten Hühnerbrühe seiner Mom –, entschied sich dann jedoch für den Lieferdienst. Kurz darauf hatte er eine große Portion Thai-Suppe mit Hühnchen bestellt, die ihn sicher genauso gut von innen aufwärmen würde.

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen schaltete Steven schließlich das Licht im Wohnzimmer aus und lief zu der kleinen Dachgaube hinüber, die etwas versteckt am anderen Ende des Wohnzimmers und hinter seinem Bücherregal lag. Hierhin hatte er noch nicht einmal seine Ex-Verlobte geführt – geschweige denn sie hinter den Büchern alleine gefunden –, denn er wusste, dass sie diesen magischen Ort für immer zerstört hätte.

Bei dem Gedanken an Valerie verzog Steven kurz das Gesicht und ließ seinen Blick anschließend gedankenverloren über den Central Park schweifen, der ihm von hier oben zu Füßen lag. Viel konnte er im Dunkeln zwar nicht mehr erkennen, dafür zogen ihn die unzähligen kleinen Lichter, die den Park und die umliegenden Häuser beleuchteten, umso mehr in ihren Bann.

4

„Grandma, bist du dir sicher, dass du so viel Mehl brauchst?“ Cathlyn warf einen skeptischen Blick auf den Inhalt des riesigen Einkaufswagens und manövrierte das störrische Ding geschickt um die nächste Ecke. Es war Samstagvormittag und die beiden erledigten gerade ihren Wocheneinkauf.

„Ja, das Seniorencenter zählt auf uns, mein Liebling. Ich bin schließlich die Einzige meiner Freundinnen, die noch kräftig zupacken und kneten kann“, verteidigte sich Ruby.

Mit einem beschämten Grinsen sah sich Cathlyn um. Im Gegensatz zu ihrer Grandma war sie sich der Zweideutigkeit ihres Satzes deutlich bewusst. Allerdings wusste sie nur zu gut, wie wichtig ihrer Großmutter die jährliche Weihnachtsbackaktion war.

„Halt, stopp, meine Kleine“, sagte Ruby da plötzlich und hielt Cathlyn am Arm fest, damit sie stehen blieb. „Sieh dir diese BHs an! Was Neckisches zu Weihnachten hat noch niemandem geschadet.“

Mit offenem Mund verfolgte Cathlyn, wie sich ihre Oma einen hautfarbenen Büstenhalter in Körbchengröße D von der Kleiderstange schnappte und diesen ungeniert vor ihre Brust, samt Strickjacke, spannte. „Zwei Stück für zwanzig Dollar, das nenn ich mal ein Schnäppchen.“

Im hohen Bogen flogen die BHs ebenfalls in den Wagen, dann verschwand ihre Grandma bis zu den Ellbogen in einem Wühltisch, der neben der Stange stand. „Hier ist sogar ein passender Slip!“ Mit einem zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht schlenderte Ruby wieder zurück zu ihrer Enkelin.

„Nicht unbedingt derselbe Farbton, aber dein Grandpa merkt den Unterschied eh nicht.“

Mit einem belustigten Kopfschütteln schob Cathlyn den Wagen weiter durch die Gänge. Sie war von ihrer Grandma schon so einiges gewohnt. Ja, sie war zu laut, man hörte ihr Organ meilenweit gegen den Wind, noch dazu nahm sie kein Blatt vor den Mund und trug ihr Herz auf der Zunge. Aber genau das liebte Cathlyn so an ihr, denn sie kannte es auch anders.

Clara Jones, ihre Großmutter väterlicherseits, war das komplette Gegenteil von Ruby und obendrein total versnobt. Ihr Verhältnis war schon immer irgendwie schwierig gewesen und das lag nicht nur daran, dass die Mutter ihres Vaters überhaupt keinen Spaß verstand. Es war eher der Tatsache geschuldet, dass sie ihrer Enkelin gerne ihren eigenen Stempel aufgedrückt hätte.

Cathlyn schüttelte sich bei dem Gedanken an die arrangierten Teegesellschaften von damals und beschloss, sich lieber auf die Schnäppchen um sie herum zu konzentrieren. Dabei hatte sie es gar nicht nötig, auf Sonderangebote zu achten, im Gegenteil. Sie könnte sich jederzeit kaufen, was sie wollte, schließlich war sie reich und ihre Familie väterlicherseits sehr einflussreich.