No Limits - Marco Carini - E-Book
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No Limits E-Book

Marco Carini

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Beschreibung

Gnadenlose Jagd – entdecken Sie „No Limits“ von Marco Carini jetzt als eBook bei dotbooks. Der Hamburger Starreporter Mike Rohwer hat eine geheime Leidenschaft: Blind Dates mit fremden Frauen aus der SM-Szene, mit denen er seine Lust an besonderen Sexpraktiken auslebt. Das wird ihm zum Verhängnis, als eine seiner Gespielinnen tot aufgefunden wird – in seinem Garten. Eine öffentliche Hetzkampagne vernichtet Rohwers berufliche Existenz. Der Journalist beginnt, auf eigene Faust ermitteln. Die Spur führt in die Bremer SM-Szene. Hier wird Rohwer mit einer Welt ohne Moral konfrontiert, in der alles käuflich ist und ein Menschenleben nichts zählt. Zu spät merkt der Reporter, dass er es mit einem übermächtigen Gegner zu tun hat, der vor nichts zurückschreckt. Seine Entdeckungen werden für ihn bald zur tödlichen Gefahr – und nicht nur für ihn … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „No Limits“ von Marco Carini. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 470

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Über dieses Buch:

Der Hamburger Starreporter Mike Rohwer hat eine geheime Leidenschaft: Blind Dates mit fremden Frauen aus der SM-Szene, mit denen er seine Lust an besonderen Sexpraktiken auslebt. Das wird ihm zum Verhängnis, als eine seiner Gespielinnen tot aufgefunden wird – in seinem Garten. Eine öffentliche Hetzkampagne vernichtet Rohwers berufliche Existenz. Der Journalist beginnt, auf eigene Faust ermitteln. Die Spur führt in die Bremer SM-Szene. Hier wird Rohwer mit einer Welt ohne Moral konfrontiert, in der alles käuflich ist und ein Menschenleben nichts zählt. Zu spät merkt der Reporter, dass er es mit einem übermächtigen Gegner zu tun hat, der vor nichts zurückschreckt. Seine Entdeckungen werden für ihn bald zur tödlichen Gefahr – und nicht nur für ihn …

Über die Autorin:

Marco Carini, geboren 1962 in Hamburg, studierte Politikwissenschaften und Germanistik. Er war zwei Jahre als Pressesprecher des Ministeriums für Finanzen und Energie in Schleswig-Holstein tätig und arbeitete als Journalist, u.a. bis heute als Redakteur bei der taz. Nach zahlreichen Sachbüchern und Kurzgeschichten ist No Limits sein Romandebüt.

***

Neuausgabe März 2015

Copyright © der Originalausgabe 2010 by Rotbuch Verlag, Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung und Titelbildabbildung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/xello

ISBN 978-3-95824-003-2

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Marco Carini

No Limits

Kriminalroman

dotbooks.

»Die Mächtigen sind immer Sadisten, und wer Macht erdulden muss, dessen Körper wird zur Sache, zur Ware.«

1

Suvadees Schrei war stumm, und so konnte nur sie selbst ihn hören. Gelähmt vor Ekel und Entsetzen starrte sie auf den massigen Körper, der sich langsam auf sie schob. Eine kräftige Hand öffnete ihre Schenkel, und Finger bahnten sich den Weg in ihr unberührtes Inneres. Dann stieß etwas gewaltsam in ihre Körpermitte vor. Hinter dem Film aus Tränen nahm sie nur verschwommen wahr, dass sich der speckige, gerötete Leib auf sie wälzte und sie zu zerquetschen drohte. Die Blumen auf der scheckigen Tapete tanzten hinter dem Schleier auf ihrer Netzhaut auf und ab, als er sich monoton über und in ihrem zerbrechlichen Körper bewegte. Bei jedem Stoß drang das röchelnde Schnaufen des Kolosses in ihre Ohren. Der Geruch seines säuerlichen Schweißes, die fauligen Dünste, die sein weit aufgerissener Mund verströmte, nahmen ihr den Atem.

Sie kämpfte dagegen an, das Bewusstsein zu verlieren. Bilder ihrer Mutter schossen Suvadee durch den Kopf. »Mama, warum hast du mich alleingelassen? Mama, warum beschützt du mich nicht?«

Mit einem Ruck entfernte sich das Ungetüm aus ihrem erstarrten Körper. Seine fleischige Hand griff in ihre Haare. Die Pranke des Mannes zerrte Suvadees Kopf in die Richtung seines von ihrem Blut verschmierten Geschlechtsteils. Sie verstand nicht, was der Mann ihr sagte. Sie vernahm nur den drohenden Unterton der fremden Worte.

Der Druck, mit dem sich Daumen und Zeigefinger seiner freien Hand zwischen ihre Kiefer bohrten, ließ sie den Mund unwillkürlich öffnen. Dann stieß er hinein. Sie würgte und rang nach Luft, als er tief in ihren Rachen eindrang. Der feste Griff dirigierte ihren Kopf.

Die Elfjährige verstand nicht, was da mit ihr geschah. Von allen Seiten näherte sich tiefe Schwärze. Im selben Moment spürte sie sein Zucken, hörte sie seinen irren Aufschrei und schmeckte die fischig-klebrige Flüssigkeit, die er ihr in den Hals pumpte. Als er wortlos von ihr abließ, schloss Suvadee die Augen. Sie spürte das blutige Rinnsal, das zwischen ihren Pobacken hinabrann. In ihr tobte ein Orkan aus Schmerz und Scham.

Als sie die Lider wieder öffnete, war der Mann verschwunden.

***

Rohwer nahm den Hörer in die linke Hand. Das Licht hatte er zuvor wie immer gelöscht. Seine Fingerkuppe drückte zweimal auf die Tastatur des schnurlosen Telefons, das die Eingabe mit einer schnellen Folge biepsender Töne quittierte. Die Nummer hatte er schon vor Jahren eingespeichert.

Die fremden Stimmen im »Karussell« setzten sein Kopfkino in Gang. Sie brachten ihn auf andere Gedanken, ließen Bilder von den Körpern der Frauen entstehen, deren Worte er durch die Muschel vernahm. Stimmen, die seine Fantasie ankurbelten und seinen Geist und Körper in eine Erregung versetzten, die anwuchs, bis er sich irgendwann Erleichterung verschaffte.

Rohwer war es zur Gewohnheit geworden, fast jeden Abend mit den Stimmen der Unbekannten intime Fantasien auszutauschen. Fantasien, die um das Zusammenspiel von Macht und Ohnmacht kreisten. Er lauschte den Intros der Frauen. Die meisten begannen mit dem Wort »Hallo«. Hallo, ich bin Susanne, Monika, Birgit. Magst du dich bei mir melden? Viele waren dahingehaucht, im gequälten Bemühen, dabei verrucht zu klingen.

»Natascha will heißen Sex mit dir, mein Süßer.«

Für Frauen war der Zugang zu der Datingline kostenlos. Die meisten von ihnen wollten einfach plaudern. Viele suchten Telefonsex, einige reale erotische Abenteuer, nur wenige eine dauerhafte Beziehung. Einige Frauen waren genau wie er Stammgäste hier, die meisten aber arbeiteten für die Betreiber der Line. Ihre Aufgabe war es, die Männer, die ihre Anrufe teuer bezahlten, möglichst lange zu melken.

Er selbst hatte ein provokantes Intro gewählt, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ: »Dominanter, erfahrener Mann sucht junge devote Frau, die davon träumt, zur Lustsklavin erzogen zu werden.« Der Text passte exakt in die vier Sekunden, die für die kurze Vorstellung zur Verfügung standen.

Rohwer ließ die Stimmen an sich vorbeirauschen. Sein Hirn spulte die Ereignisse des Tages noch einmal im Zeitraffer ab. Der Ressortchef hatte ihn zunächst auf eine Pressekonferenz geschickt, auf der über die letzten Vorbereitungen zur Eröffnung der neuen Hamburger Sporthalle berichtet wurde. Später hatte er die im Redaktionssystem aufgelaufenen Agenturmeldungen sortiert und für die »Hamburg Aktuell«-Spalte in Form und auf Länge gebracht. Ein ganz normaler Arbeitstag. Nicht besonders anstrengend, und doch fühlte er sich erschöpft, wie so oft in letzter Zeit.

Am Abend hatte er sich noch mit einem Politiker der Opposition beim Portugiesen in der Nähe des Rathauses getroffen. Nach diesem Arbeitsessen hatte Rohwer ein paar vertrauliche Behördenunterlagen über eine geplante Umgehungsstraße am Südrand der Stadt an sich genommen. Er würde sie morgen – an seinem freien Tag – durcharbeiten, um sie tags darauf der Redaktionskonferenz als Schlagzeile zu präsentieren.

Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Sie haben eine neue Nachricht von ... lautete der monotone Bandtext. Dann wurde das Intro eingespielt: »Zwanzig, devot, willig und lustvoll, sucht dominanten Liebhaber für ausgefallene Rollenspiele.«

Die Stimme klang jung, fast mädchenhaft und hatte einen hellen, sympathischen Klang.

»Wollen Sie die Nachricht hören?«, meldete sich die weibliche Computerstimme zurück.

Rohwer wollte und drückte die entsprechende Taste.

Die Botschaft war kurz: »Hallo, hier ist Jasmin, melde dich mal.«

Der Tonfall und mehr noch der Nachhall ihrer Worte erregten Rohwer. Die meisten Stimmen, die hier an sein Ohr drangen, waren ihm bekannt. Doch diese Frau, da war sich Rohwer sicher, hatte er auf der Line noch nie zuvor gehört.

Er schickte eine Nachricht zurück: »Hier ist Marc, ein sinnlich-dominanter Mann aus Hamburg.« Er konnte sich nicht mehr erinnern, warum er sich gerade diesen Namen als Pseudonym ausgesucht hatte. Aber er benutzte keinen anderen, schon um bei der Vielzahl der Nachrichten nicht durcheinanderzukommen. Dann setzte er hinterher: »Interessiert dich mein Intro? Und woher kommst du?«

Rohwer versendete seine Nachricht per Tastendruck.

Gespannt harrte er der Antwort, die einige Minuten auf sich warten lassen würde. Er malte sich in Gedanken das Mädchen aus, das zu dieser Stimme gehörte. Vor seinem inneren Auge entstanden knabenhafte Formen, zwei kleine, feste Brüste, eine schmale Taille und ebenso schmale Schultern, auf die langes, wallendes Haar fiel. Seine Fantasie konnte kein Gesicht formen. Es gelang ihm nie, einer Telefonstimme, mit der er Intimitäten austauschte, ein Antlitz zu geben. Es gab nur Körper.

Es dauerte nicht lange, da erhielt Rohwer eine neue Mitteilung von der Frau, die sich Jasmin nannte.

»Ich komme aus Bremen. Ich suche die pure Lust, und deine Stimme reizt mich. Erzähl mir, was du mit mir machen würdest, wenn ich jetzt bei dir wäre!

Bremen klang gut. Wie oft hatte Rohwer seine Neugierde an eine Frau gehängt, von der er dann im Laufe der hin- und hergeschickten Nachrichten erfuhr, dass sie in Passau, Weimar oder bestenfalls in Köln lebte. Das Spiel, das hier am Hörer begann, übte auf ihn nur dann die Faszination aus, die er suchte, wenn ein reales Treffen im Bereich des Möglichen lag. Er nahm mit Genugtuung wahr, dass seine tiefe, dunkle Stimme, in der ein rauchiges Timbre mitschwang, ihre Wirkung offenbar nicht verfehlte. Er genoss es, seinen sonoren Bass noch ein bisschen rauer zu modellieren und seinen Worten durch wohlgesetzte Pausen stärkere Geltung zu verschaffen.

Rohwer schickte eine Botschaft zurück: »Was suchst du? Willst du deine Fantasien nur am Telefon auskosten oder auch live?

Dann fügte er noch schnell hinzu: »Erzähl mir, welche Erfahrungen du schon gesammelt hast!«

Es gehörte zu seinem Spiel, dass er nie viel von sich preisgab, ohne zuvor die Frau am anderen Ende der Leitung aus der Reserve gelockt zu haben. Er war derjenige, der das Gespräch lenkte, derjenige, der die Entscheidung darüber traf, in welche Richtung sich der von langen Pausen unterbrochene Dialog entwickeln sollte. Die dominante Rolle, in die er eintauchte, wenn er den Hörer in die Hand nahm, und die mehr als nur Fassade war, verlangte genau diese Struktur.

Ihre Antwort kam prompt: »Ich suche einen Mann, der weiß, wo es langgeht. Der mich nimmt und erzieht.« Dann erzählte die junge Frau, dass sie mit siebzehn einen dominanten Mann kennengelernt hatte, dem sie ihren Körper anvertraut hatte. Sie hatte sich fesseln und mit der Peitsche züchtigen lassen. Ihr »Meister«, wie sie ihn nannte, hätte sie an jedem Ort zu jeder Zeit auf jede nur erdenkliche Weise benutzt – ganz nach Lust und Laune und ohne jemals um Erlaubnis zu fragen.

»Ich liebe es, mich auszuliefern«, versicherte ihre Stimme. »Ich genieße diesen Thrill.«

Jetzt war es an der Zeit, mit der nächsten Antwort aufs Ganze zu gehen. Rohwers Aufforderung war ein Befehl: »Lass dich mit mir direkt verbinden!«

Fieberhaft malte er sich aus, wie die Frau sich ihm anbot. Wie er mit ihr machen konnte, was ihm gerade in den Kopf kam. Sie fesseln, um den Verstand bringen, aber auch hart penetrieren oder ihren Körper durch die gezielten Schläge seiner Gerte mit Striemen bedecken.

Männerfantasien, dachte Rohwer.

Fantasien, die er lange nicht zugelassen hatte, jetzt aber in der Anonymität dieser Line ausleben konnte. Und nicht nur hier. Nach der Trennung von Christiane, der Mutter seiner Tochter, hatte Rohwer begonnen, seine Lust an dem zu erforschen, was er »die härtere Gangart« nannte.

Vier Jahre war es jetzt her, dass er zum ersten Mal mit dieser ihm bis dahin unbekannten Form der Lust in Berührung gekommen war. Er hatte mit Angelika, einer selbstbewussten Rechtsanwältin mit atemberaubender Figur, drei oder vier Nächte verbracht, als ihre Augen die seinen fixierten und sie ihn unvermittelt aufforderte: »Schlag mich.«

Rohwer glaubte, sich verhört zu haben.

»Ich meine es ernst«, quittierte Angelika sein Schweigen. »Schlag mich!« Um ihr einen Gefallen zu tun, gab er ihr, während er sie von hinten nahm, mit der Hand einige Klapse auf den Hintern.

Als sie erschöpft beieinanderlagen, sagte sie: »Das meine ich nicht. Ich will Schmerz spüren. Wenn du mich wirklich begehrst, dann hab keine Skrupel.«

Beim nächsten Treffen brachte sie eine Gerte mit, ledern und solide gearbeitet. Ihren nackten Rücken vor sich, hatte Rohwer ausgeholt und den Hieb zwischen ihren Schulterblättern niedergehen lassen. Der Schlag blieb ohne Reaktion, von einer leichten Rötung der oberen Rückenpartie abgesehen. Rohwer holte erneut aus, schlug diesmal fester.

Erst beim dritten Hieb, den er setzte, vernahm er ein leises Stöhnen. Er schlug wieder zu, noch fester. Im selben Augenblick wurde er unsicher, ob er nicht zu weit gegangen war. Er stand da, fast reglos, voller Scham, aber im Bann einer in ihm aufsteigenden Lust, die er so nicht kannte.

»Worauf wartest du?«, unterbrach Angelika die Stille.

Im nächsten Schlag steckte Rohwers ganze Kraft. Angelika zuckte, aber ihr Körper wich der Gerte nicht aus. Rohwer griff ihr zwischen die Beine. Er fühlte eine Nässe, wie er sie bei dieser Frau noch nicht erlebt hatte. Nach zwei weiteren Schlägen drehte sie sich um, präsentierte ihm ihre Brüste und ihr Geschlecht. Sie sagte kein Wort. Ihr Blick, ihr kaum wahrnehmbares Nicken genügten als Aufforderung.

Der nächste Hieb streifte ihre linke Brustwarze, dann sauste die Gerte auf die andere Brust nieder. Angelika stöhnte auf, schob ihr Becken nach vorn und nickte erneut, diesmal fordernder.

»Kannst du haben«, war der einzige Gedanke, den Rohwer noch zustande brachte. Dann zielte er auf das rasierte Dreieck und traf exakt den Punkt zwischen den Schamlippen.

Mitten im Schlag schaltete sich erneut die Stimme vom Band ein: »Diese Frau möchte Kontakt mit Ihnen aufnehmen.« Danach erklang abermals das Intro von Jasmin. Mit einem Tastendruck schaltete er die Verbindung frei.

»Hallo, hier bin ich«, meldete sie sich. Ihre Stimme klang noch kecker als zuvor.

»Schön, dich live zu hören«, quittierte Rohwer die kurze Begrüßung. »Beschreib dich für mich. Ich will dich mir vorstellen können.«

In den nächsten Minuten entstand in seinem Kopf das Bild einer dunkelblonden Frau mit lockiger Löwenmähne, grünblauen Augen und einem schlanken, zierlichen Ein-Meter-fünfundsechzig-Körper, dem hochhackige Pumps mehr Geltung verschafften. Seine Fantasie formte ihren Worten üppige Brüste mit dunklen Warzenhöfen, kleinen, steil aufragenden Nippeln, eine schmale Taille und eine rasierte Scham nach.

Mit jedem Detail, das sie über sich verriet, bekam das Bild schärfere Konturen – Konturen einer Versuchung.

Log sie sich schön? Spielte sie nur? War sie tatsächlich auf der Suche nach einem Abenteuer, oder wurde sie doch nur dafür bezahlt, ihre Telefonpartner möglichst lange zu beschäftigen? Wenn sie dafür entlohnt wurde, Männerträume zu befördern, dann spielte sie ihre Rolle perfekt.

»Was brauchst du genau?«, fragte Rohwer. »Wie lebst du deine Devotheit aus?« Er meinte zu hören, dass sie schmunzelte.

»Ich bin vergnügungssüchtig«, antwortete die Stimme mit einem unbekümmerten Tonfall, der ihn kickte. »Ich begehre jeden Mann, der weiß, was er will, und es sich einfach nimmt. Jeden Mann, der mich als Objekt seiner Lust benutzt, erniedrigt und demütigt.«

Dann fügte sie hinzu: »Ich brauche das, um mich zu spüren.«

Rohwers Müdigkeit war längst verschwunden. Seine hart erigierte Männlichkeit ließ sich nicht mehr verleugnen. Wer spielt hier mit wem?, schoss es ihm durch den Kopf. Er hatte – scheinbar – die Zügel des gerade begonnenen Dialogs in der Hand. Er fragte, sie antwortete. Doch ihre Worte jonglierten mit seiner immer stärker aufkeimenden Begierde. Er wollte sie haben.

»Ich suche keinen Telefonsex. Ich suche die Frau, die ihre Lust real ausleben will – zügellos und ohne Grenzen«, steuerte Rohwer auf sein Ziel zu.

»Ich suche genauso wenig wie du nur ein Gespräch«, kam postwendend die Antwort.

»Was reizt dich an mir?«, wollte er wissen. »Du hast noch nichts über mich erfahren.«

»Die Art, wie du sprichst, ruhig und entschieden, das gefällt mir«, sagte sie leise. »Ich mag deine Stimme, sie erregt mich. Ich muss nicht wissen, wie du aussiehst. Ein dunkler Raum wäre schön. Ein ganz dunkler Raum. Um dich zu hören, zu riechen, deine Lust zu spüren, wenn du dich an mir auslebst. Ich will nichts weiter als eine kleine, willige Schlampe sein, an der du deinen Hunger stillst. Schlag und fick mich, das ist alles, was ich will!«

Jeder Satz traf. Mitten ins Zentrum seiner Lust. »Wo liegen deine Grenzen?«, fragte er. Sie sollte weitersprechen, damit er ihr lauschen konnte.

»Zeig mir meine Grenzen«, antwortete sie. »Ich habe sie noch nicht kennengelernt. Wenn ich zu dir Vertrauen habe, kannst du mich benutzen. Wenn ich mich bei dir sicher fühle, dann schenke mir deine Härte. Fessele mich, ohrfeige mich, quäle mich. Aber bitte langweile mich nicht. Das ist das Einzige, was ich dir nicht verzeihen würde.«

Der Satz war pure Provokation. Alles an dieser Frau war Provokation. Die Mischung aus zur Schau getragener Unterwürfigkeit und selbstsicherer Schlagfertigkeit zog Rohwer immer stärker in den Bann dieser Stimme. War sie wirklich so abgebrüht? Die Worte »Vertrauen« und »sich sicher fühlen« waren Hinweise, dass diese Frau nicht von einem schonungslosen Draufgängertum beseelt war und keine sexuellen Exzesse um jeden Preis suchte. Lebte sie ihre Devotheit wirklich aus? Oder tauchte sie nur in der Anonymität dieser Line in eine Traumwelt ein, die eine Lebensader ihrer Lust traf, die niemals gelebt werden durfte?

»Ich will dich«, entschied Rohwer. »Bist du für mich bereit?«

Wenn diese Frau nur in Gedanken in ihre verbotenen Fantasien eintauchen wollte, würde sie spätestens jetzt die Verbindung unterbrechen oder zumindest in eine Warteschleife abbiegen.

»Ich bin immer bereit«, kam prompt die Reaktion.

Rohwer blickte auf die Leuchtziffern seines Radioweckers. Es war mittlerweile zwanzig nach eins. »Bist du motorisiert?«

»Ja, wieso?«

»Dann setz dich jetzt in deinen Wagen und komm zu mir.« Rohwer verlieh seiner Stimme Nachdruck. Zum ersten Mal spürte er ihr Zögern.

»Ich muss morgen früh arbeiten, es ist spät.«

»Es ist nie zu spät, sich seiner Lust hinzugeben«, befand Rohwer. Dann fügte er hinzu: »Gibt es einen Grund, morgen nicht blauzumachen?«

Wieder vernahm er ein leises Schmunzeln.

»Wahrscheinlich keinen, den du akzeptieren würdest.«

»Dann sind wir uns ja einig. Also mach dich auf den Weg!«

»Was hast du mit mir vor?« Jasmins Stimme klang jetzt nicht mehr ganz so forsch.

»Das wirst du sehen, nein, spüren, wenn du hier bist.«

Er hörte nur ihren Atem.

»Auf einmal Angst vor der eigenen Courage?«

Nun provozierte er. Und genoss dieses Spiel. Sie hatte sich weit vorgewagt. Sehr weit. Jetzt hing der Fisch am Haken. Die Rollen waren verteilt.

»Okay, wohin soll ich kommen?«

Rohwer nannte ihr seine Adresse.

»Gib mir noch deine Telefonnummer, dann starte ich durch.«

Er nannte ihr auch die zwölf Ziffern seines Handy-Anschlusses.

»Du magst mich für tollkühn halten, aber ich bin nicht naiv«, hörte er sie sagen. »Du hast sicher Verständnis, dass ich einer Person meines Vertrauens Bescheid sage, wo ich mich aufhalte.«

»Selbstverständlich«, betonte Rohwer. Dann fügte er mit einem leicht belehrenden Unterton hinzu: »Das solltest du bei so einem Date grundsätzlich tun.

Rohwer beschrieb ihr den Weg von der Autobahnabfahrt zu seiner Wohnung und forderte sie anschließend auf, ihm auch ihre Handynummer mitzuteilen. Er kramte nach seinem Mobiltelefon und speicherte die Zahlenfolge.

»Was soll ich anziehen?«, fragte Jasmin.

»Wirf dir einen Mantel über die Schultern – mehr musst du nicht an deinem Körper tragen.«

Er vernahm ein leises Schlucken.

Dann versprach sie mit erneut erwachter Verwegenheit: »Ich werde darunter nackt sein.« Nach einer kurzen Pause fügte sie in ernstem Tonfall hinzu: »Ich habe noch eine Bedingung. Ich will ein Codewort. Wenn ich es ausspreche, hörst du sofort auf, egal was du grad mit mir anstellst. Darauf bestehe ich.«

»Natürlich«, antwortete Rohwer, »auch das sollte selbstverständlich sein.«

»Deine Art gefällt mir«, sagte sie.

»Deine mir auch.« Diesmal musste er lächeln. »Dann bis gleich.«

»Bis gleich!« Sie legte auf.

Rohwer atmete tief durch. Er fixierte die Decke und ließ ihre Sätze durch seinen Kopf kreisen. Sein Körper war müde und schlaff. Sein Hirn aber spuckte in hektischer Aktivität Bilder aus, und sein Hormonhaushalt fing an, außer Kontrolle zu geraten. Rohwer stand auf, zwängte sich in eine Jeans und zog sich ein Sweatshirt an. Barfuß ging er in die Küche. Er verschüttete einen Löffel Kaffeepulver bei dem Versuch, es in den Filter zu bugsieren, und warf die Maschine an. Er zündete sich eine Kerze und anschließend eine Zigarette an, setzte sich an den hölzernen Esstisch und starrte durch die Fensterscheiben hinaus in die Schwärze der Nacht.

2

Im Gehen schloss der Rothaarige den Gürtel und ordnete seine Kleidung. Natasit Nuh, der im Hinterzimmer der Absteige auf ihn gewartet hatte, faltete die Hände und senkte den Kopf zum Wai. »Wie gefällt sie dir, Farang?«

Der Rothaarige nahm Platz und musterte den schmächtigen Thai, dessen Gesicht von dem flackernden, durch das Fenster einfallenden grellen Neonlicht der Leuchtreklamen in immer neue Farben getaucht wurde. Es dauerte lange, bis er antwortete. »Sie ist gut, Natasit, sehr gut sogar.« Er zündete sich eine Zigarre an, blies ein paar Ringe in die vor Hitze flirrende Luft und goss einen kräftigen Schluck Mekhong in das schlierige Glas. »Sie ist genau der Typ Mädchen, der bei unseren deutschen Kunden ankommt. Ich spiele mit dem Gedanken, sie ins Haus zu holen.«

Nuh lauschte gespannt den Worten des Mannes, der ihm immer wieder wie ein Riese aus einer fremden Welt vorkam. »Du kümmerst dich persönlich um ihre Ausbildung, Natasit, und sorgst dafür, dass sie gesund bleibt.«

»Was erwartest du von mir, Farang?«

»Sorge dafür, dass sie lernt, ihre Freier geschickt und mit Demut zu bedienen. Lehre sie, einem Mann die Wünsche von den Augen abzulesen. Sie darf natürlich, wenn nötig, geschlagen werden, aber du garantierst mir dafür, dass auf ihrem Körper keine Spuren zurückbleiben.« Er nahm einen Schluck und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Am wichtigsten aber ist: keine Krankheiten, kein Verkehr mit Risiko.«

»Das schmälert aber ihren Preis und ist kaum zu kontrollieren«, bemühte sich Nuh einzuwenden, wohl wissend, dass jeder Widerspruch zwecklos war.

Der Rothaarige beugte sich ein Stück vor, packte den Hemdkragen des Bordellbesitzers mit seiner fleischigen Pranke und zog den Mann zu sich heran. »Natasit, ich bin mir sicher, dass du einen Weg finden wirst. Du haftest mir persönlich für ihre Gesundheit. Haben wir uns verstanden?!«

Als Zeichen der Zustimmung schlug Natasit die Augen nieder.

Ächzend stemmte sich der Rothaarige aus dem Rattanstuhl, in dem sein ausladendes Gesäß eingepfercht gewesen war. »Unterrichte mich über ihre Fortschritte, Natasit«, warf er seinem Gastgeber im Hinausgehen zu. »Und pass gut auf sie auf. Ich habe mit ihr noch etwas ganz Besonderes vor.«

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