2,49 €
Wie überzeugt man einen Millionär davon, dass Liebe kein naives Märchen ist? Irgendwie muss das der hübschen Autumn gelingen. Sonst wird der arrogante Grey Holloway, in dessen elegantem Resort sie als Hochzeitsplanerin arbeitet, sie über kurz oder lang feuern. Er hält ihren Job für eine unnütze Ausgabe! Dass es zwischen ihr und Grey knistert, könnte ihr helfen. Denn plötzlich findet Autumn sich in einer heißen Sommeraffäre wieder – und wenn sie in Greys Augen blickt, könnte sie schwören, dass sie darin Liebe entdeckt …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 202
IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2021 by Karen Booth Originaltitel: „Best Laid Wedding Plans“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA, Band 2229 3/2022 Übersetzung: Simone Fischer
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 3/2022 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751508940
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de
Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.
Autumn Kincaid war von Natur aus optimistisch und ein Mensch, der jeden Moment des Lebens voll auskostete, doch leider reichte das nicht aus, um zu verhindern, dass ihre Vergangenheit sie jetzt einholte. Das bewies die abscheuliche Schlagzeile auf einer Klatsch-Website an diesem Morgen:
Hochzeitsplanerin am Altar sitzen gelassen – Tochter eines umstrittenen Hollywood-Produzenten gedemütigt.
Sie krallte ihre Finger in das Lenkrad ihres BMW, als sie sich der Einfahrt von Moonlight Ridge näherte, dem luxuriösen Bergresort in Asheville, in dem sie als selbstständige Hochzeitsplanerin alle Hochzeiten auf Basis einer Gewinnbeteiligung organisierte. Es war fast drei Monate her, dass ihr Verlobter sie verlassen hatte, also war das beileibe keine sensationelle Neuigkeit mehr. Die Boulevardpresse hatte sich wohl einfach entschlossen, die traurige Geschichte von der Hochzeitsplanerin, die als Braut am Altar sitzen gelassen wurde, wieder aufzuwärmen. Darüber hatten sie damals schon berichtet, weil es ihnen einen Vorwand gegeben hatte, über ihren Vater zu schreiben, was Leser und damit Geld brachte. Ihr Vater war nämlich berühmt und berüchtigt und bot manchen Menschen daher eine gute Möglichkeit, mit ihm Geld zu verdienen, und oft genug musste Autumn den Preis dafür zahlen.
Sie seufzte leise, ehe sie parkte, aus ihrem Auto stieg und den Weg zum Haupteingang des historischen Hotelgebäudes hinaufging. Autumn liebte es, Hochzeiten im Moonlight Ridge zu planen, aber die aktuelle Negativschlagzeile gefährdete ihren Vertrag mit dem Luxusresort ernsthaft. Es war schließlich schon schwer genug, moderne Bräute davon zu überzeugen, dass das etwas in die Jahre gekommene Moonlight Ridge der ideale Ort für ihre Hochzeit war, aber das hatte sich dank der kürzlichen Renovierungsarbeiten zum Glück geändert. Sie hatte eigentlich gedacht, ihr Job würde nun einfacher werden, doch dann hatte die Boulevardpresse wieder dazwischengefunkt.
Beim Gedanken daran, dass sie nun noch mehr Schadensbegrenzung betreiben musste, wurde ihr ganz flau. Aber sie wollte optimistisch in die Zukunft blicken und sich mit ihrem Schicksal abfinden. Also ging sie hocherhobenen Hauptes durch die Lobby und die breite Treppe hinauf zu den Verwaltungsbüros im dritten Stock, um sich mit ihrer besten Freundin Molly Haskell zu treffen, der Geschäftsführerin des Luxushotels.
Trotz aller Widrigkeiten gab es zwei Lichtblicke in Autumns Leben: Erstens wohnte sie nicht mehr in Los Angeles, und in ihrer Wahlheimat Asheville konnte sie in relativer Anonymität leben. Das war alles, was sie wirklich wollte – frei sein. Einfach nur Autumn sein, die Hochzeitsplanerin.
Als Autumn an der offenen Tür des Managementbüros stehen blieb, entdeckte sie den zweiten Lichtblick: ihre beste Freundin Molly, die der Grund war, warum sie überhaupt nach Asheville zurückgekehrt war. Obwohl Autumn sich bewusst war, dass sie über ihre Probleme sprechen mussten, verspürte sie Erleichterung bei dem Gedanken daran, sich mit Molly auszutauschen.
Molly blickte von ihrem Schreibtisch auf und winkte Autumn zu sich, während sie telefonierte. Ihre hellgrünen Augen waren von Sorge umwölkt.
„Ich verstehe. Ich hoffe, Sie finden einen anderen Ort für Ihre Hochzeit“, sagte Molly zu ihrem Gesprächspartner.
Autumns Magen zog sich zusammen. Hatte etwa noch ein Hochzeitspaar abgesagt? Das war nach der ersten Flut negativer Schlagzeilen über Autumn ebenfalls passiert. Als ob ein gebrochenes Herz nicht schon genug wäre, musste sie auch noch die Demütigung ertragen und ihren beruflichen Niedergang fürchten.
„Natürlich. Ich werde veranlassen, dass Ihr Scheck sofort zurückerstattet wird.“ Molly drehte sich in ihrem Stuhl herum, legte den Hörer auf und lächelte Autumn dann freundlich an. Es lag ein deutlicher Hauch von Mitleid in der Luft. „Wie geht es dir? Hältst du durch?“, fragte sie besorgt.
„Ich wollte eigentlich gerade sagen, dass es mir gut geht, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. War das wieder eine Absage?“
Molly zuckte merklich zusammen. „Ich fürchte, ja. Blair Morgan. Ihre Mutter rief an und sagte, sie sei bestürzt über die negative Publicity.“
Ein Gefühl tiefer Enttäuschung erfasste Autumn. „Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich überrascht bin, aber das bin ich nicht. Ich bin einfach nur enttäuscht und beschämt.“
„Es tut mir so leid.“
„Hat Mr. Holloway dieses Mal etwas erfahren? Ich weiß ja, dass du es geschafft hast, die ersten Artikel vor ihm zu verheimlichen.“ Jameson Holloway war der Besitzer des Moonlight Ridge, und der Gedanke, Jameson zu enttäuschen, war für Autumn unerträglich. Er war so ein unglaublich freundlicher und großzügiger Mann.
„Ich glaube nicht, dass er es weiß. Mack und ich tun unser Bestes, um jede belastende Nachricht von ihm fernzuhalten, und natürlich verstecken wir auch weiterhin seine Zigarren vor ihm.“
Autumn brachte ein leises Lachen zustande. Jamesons Vorliebe für Zigarren war allseits bekannt, doch er hatte vor ein paar Monaten einen Hirnschlag erlitten, was bedeutete, dass er nicht mehr rauchen durfte. Zum Glück erholte er sich sehr gut. Dennoch waren alle besorgt, vor allem seine drei Adoptivsöhne Mack, Grey und Travis. Die Brüder wollten nacheinander nach Asheville zurückkehren, um sich während Jamesons Genesung um das Hotel zu kümmern. Mack war als Erster dran, Grey und Travis sollten im Laufe der nächsten Monate nachkommen. Für Molly war es ein großes Glück, denn sie und Mack waren in ihrer Jugend ein Paar gewesen und hatten sich nun wieder neu ineinander verliebt. Autumn freute sich für sie, auch wenn ihre eigene Beziehung nicht so verlaufen war, wie sie es sich erhofft hatte.
„Ich hoffe, ihr könnt die ganze Sache von Mr. Holloway fernhalten“, sagte Autumn. „Jared hat mich vor drei Monaten abserviert. Das ist doch längst Schnee von gestern.“
Molly stand auf und ergriff Autumns Hand. Sie schaute sie mit ihren großen grünen Augen an und strich sich eine ihrer blonden Locken hinters Ohr. „Ja und nein. Ich glaube, du bist so sehr damit beschäftigt, nach vorne zu schauen, dass du vergisst, dass die Nachricht für manche neu ist.“
War das wirklich so? Autumn wollte es nicht glauben. „Ich bin nun mal eine Überlebenskünstlerin, das weißt du doch. Ich kämpfe mich einfach durch und mache weiter.“
„Du machst das toll! Ich weiß, wie sehr du dich bemühst.“
Für Autumn war Molly unsagbar wertvoll. Sie hatten sich kennengelernt, als sie beide elf Jahre alt gewesen waren. Autumns Familie war nach Asheville gereist, um im Moonlight Ridge Urlaub zu machen. Mollys Vater hatte damals für Jameson gearbeitet, und als er starb, hatte Jameson Mollys Familie erlaubt, weiterhin auf dem Anwesen zu leben. Molly und Autumn hatten sich auf Anhieb gut verstanden, als Autumn mit dem Hund ihrer Familie spazieren gegangen und dieser unten am See ausgebüxt war. Molly hatte ihr geholfen, den Welpen aufzuspüren, bevor ihr Vater davon erfuhr. So war eine Freundschaft entstanden, die noch stärker geworden war, als Autumns Familie im nächsten Sommer zurückkehrte. Auch als Autumns Familie keinen Urlaub mehr in Asheville machte, waren die Mädchen in Kontakt geblieben, der allerdings im Laufe der Jahre etwas abgenommen hatte. Aber sie hatten beide gewusst, dass ihre Freundschaft so stark war, dass sie unabhängig von der verstrichenen Zeit und der Entfernung sofort wieder beste Freundinnen sein würden, sobald sie erneut zusammen waren. Diese Freundschaft war es, die Autumn auf den Gedanken gebracht hatte, nach Asheville zu ziehen, als ihr in L.A. alles zu viel wurde.
„Danke. Ich weiß das wirklich zu schätzen“, antwortete Autumn. „Du sollst wissen, dass ich nicht zulassen werde, dass noch mehr Bräute abspringen.“
Molly biss sich auf die Unterlippe, und Autumn spürte ihr Zögern. „Was das angeht … Mack hat mir heute Morgen mitgeteilt, dass er der Meinung ist, dass die Brüder sich mehr um den Hochzeitsteil des Geschäfts kümmern sollten. Zumindest eine Zeitlang, bis sich das alles gelegt hat und wir wieder auf festerem Boden stehen. Vielleicht bekommen wir dann ja auch ein paar Buchungen mehr.“
Damit hatte Autumn nicht gerechnet. Sie hatte erwartet, dass Molly vielleicht eingreifen würde, aber die Brüder? „Was wissen sie denn von Hochzeiten? Mack leitet eine Brauereikette, Travis ist Koch, und der dritte Bruder ist doch Architekt, oder?“
„Ja, Grey ist Architekt. Er ist auf nachhaltige und klimafreundliche Gebäude für Unternehmen spezialisiert, und er ist es auch, mit dem du demnächst zusammenarbeiten wirst.“
„Bauwerke und Brautjungfern. Ja, das klingt total sinnvoll.“
Molly grinste, denn sie kannte Autumns Sinn für Humor. „Mack muss noch mit ihm darüber reden. Er kommt heute nach Asheville.“
„Wie lange bleibt er denn?“
„Nur den Sommer über. Er will nicht länger hierbleiben, als er muss.“
Autumn mochte Grey Holloway schon vom Hörensagen nicht, aber welche Wahl hatte sie schon? Sie hatte die Probleme schließlich verursacht und musste daher auch versuchen, sie zu lösen. „In Ordnung.“
„Ich glaube, dass es gut werden wird. Grey weiß, wie man ein erfolgreiches Unternehmen führt, und er kann unglaublich gut mit Zahlen umgehen. Er kennt außerdem viele Familien in Asheville, weil er hier gelebt hat. Das könnte sich als nützlich erweisen.“
Autumn verschränkte frustriert die Arme vor der Brust. Alles war gut gewesen, bis Jared mit ihr Schluss gemacht hatte. Er schien perfekt für sie gewesen zu sein – ein Mann mit Ambitionen und Träumen, der dennoch bodenständig und aufrichtig war. Aber ihre Liebe und damit auch ihre Traumhochzeit zerbrachen, als Jared ein lukratives Jobangebot bei einer großen Maklerfirma in New York erhalten hatte. Er hatte Autumn gebeten, mit ihm zu kommen, aber es hatte so halbherzig geklungen, dass sie sofort gespürt hatte, dass etwas nicht stimmte. Er hatte befürchtet, dass die Bekanntheit ihrer Familie seiner Karriere schaden könnte. Das hatte er zwar nicht ausgesprochen, aber sein Gesichtsausdruck und seine Taten hatten ihr alles gesagt, was sie wissen musste.
Trotz ihres gebrochenen Herzens bedauerte Autumn ihre Entscheidung nicht, in Asheville geblieben zu sein. Sie hatte sich hier eine Karriere aufgebaut, und sie hatte Molly an ihrer Seite. Trotzdem war der Kummer jetzt wieder so groß wie am ersten Tag. „Ist ja meine eigene Schuld. Ich habe mich in den falschen Mann verliebt.“
„Es tut mir so leid.“
Tränen brannten in Autumns Augen, aber sie würde jetzt nicht weinen, nicht einmal vor ihrer besten Freundin. „Schon okay. Jared und ich waren einfach nicht füreinander bestimmt.“ Sie nahm ihre Brille ab und putzte die Gläser mit dem Saum ihrer Bluse.
„Mach dir keine Sorgen. Du schaffst das schon, sowohl privat als auch beruflich. Grey wird dir bei Letzterem helfen.“
Autumn war sich immer noch nicht sicher. „Was wäre, wenn ich Nein sage? Ich bin schließlich keine Angestellte vom Moonlight Ridge, ich arbeite ja selbstständig.“
Molly verzog die Lippen und schien sich unwohl zu fühlen. „Aber da wir die Gewinne aus diesen Hochzeiten teilen, würdest du ein beträchtliches Einkommen verlieren. Kannst du es dir leisten, einfach auszusteigen? Wenn ich du wäre, würde ich alles tun, um die Holloway-Brüder zufriedenzustellen.“
„Ist mein Vertrag denn gefährdet?“
„Die Hochzeiten sind eine wichtige Einnahmequelle für das Hotel, und die Brüder sind gerade dabei, jeden Geschäftsbereich genau zu überprüfen. Sie wollen sicherstellen, dass Jamesons Zukunft gesichert ist. Wenn sich die finanzielle Situation des Resorts nicht verbessert, können wir es vielleicht nicht mehr retten.“
„Die Antwort lautet also Ja.“
„So weit lassen wir es nicht kommen. Konzentrier dich einfach darauf, Grey zu zeigen, wie hart du arbeitest und was du alles tust, um die Hochzeiten in Moonlight Ridge perfekt zu machen.“
Autumn war nicht überzeugt, aber ihre innere Optimistin war bereit, es zu versuchen. „Natürlich werde ich alles tun, was nötig ist. Ich werde nicht aufgeben, nur weil es ein paar Probleme gibt.“
„Das ist die richtige Einstellung.“ Molly strahlte. „Du wirst bestimmt gut mit Grey auskommen.“
Grey Holloway fühlte sich beim Betreten des Hauses seines Adoptivvaters Jameson wie in eine andere Zeit zurückversetzt. „Hallo? Mack?“, rief er nach seinem Bruder, der ihn gebeten hatte, ihn hier zu treffen.
„Hier oben!“, rief Mack aus dem zweiten Stock.
„Ich komme“, murmelte Grey, während er durch die geräumige, offene Küche und am Esszimmer vorbei zur hinteren Treppe schritt. Jameson lebte seit unzähligen Jahren in diesem Haus auf dem weitläufigen Gelände des Resorts Moonlight Ridge. Überall um Grey herum befanden sich Erinnerungen an seine Vergangenheit – gerahmte Fotos von ihm und seinen Brüdern … der glänzende Holztisch mit den vielen Stühlen … und die Aussicht aus den Fenstern auf die sanften Hügel, die üppigen Rasenflächen und die dichten Baumbestände.
Einige Erinnerungen waren für alle sichtbar, aber noch mehr waren in Greys Kopf gespeichert und für ihn so kostbar wie die Luft zum Atmen. Zum Beispiel die Art und Weise, wie Jameson den achtjährigen Grey aus seiner instabilen Familiensituation gerettet und ihn in diesen liebevollen und verlässlichen Haushalt aufgenommen hatte. Dasselbe hatte er auch für Greys Adoptivbrüder Mack und Travis getan. Jetzt, mehr als zwanzig Jahre später, hätte Grey nicht dankbarer sein können, und er war sich sicher, dass Mack und Travis genauso empfanden.
Manche Kapitel ihrer gemeinsamen Vergangenheit waren jedoch weniger rosig, wie der Autounfall, nach dem die drei Brüder einander fremd geworden waren. Diese Nacht in Macks altem Truck war wirklich schrecklich gewesen. Die Stimmung war äußerst gereizt, und in einem Moment hatte Grey die Fassung verloren und seine Brüder wüst beschimpft. Bis dahin war er der Ruhige und der Friedensstifter gewesen. Er war so außer sich und hatte ihnen hässliche Dinge an den Kopf geworfen, von denen er immer noch wünschte, er könnte sie zurücknehmen. Der Streit hatte Mack abgelenkt, sie waren auf der alten Holzfällerstraße aus der Kurve geflogen und in die Schlucht gestürzt. Es hatte ihr Leben für immer verändert.
Travis wäre fast gestorben, daher schwor Grey sich in dieser Nacht, nie wieder die Kontrolle zu verlieren.
Der bloße Gedanke daran schnürte ihm sofort die Kehle zu. Trotz des Versprechens, das er sich selbst gegeben hatte, würde er vielleicht niemals über diese Schuldgefühle hinwegkommen. Andererseits waren Mack und Travis auch keine Engel gewesen. Mack war gefahren, und Travis … nun ja, sie wären gar nicht draußen gewesen, wenn er nicht hinter einem Mädchen her gewesen wäre, das ihn nicht einmal wollte. Sie waren zwar keine biologischen Geschwister und sahen sich nicht einmal annähend ähnlich, aber die schiere Stärke ihrer Verbindung hatte ihnen immer das Gefühl gegeben, unbesiegbar zu sein. Doch in dieser Nacht hatte ihre Liebe zueinander sie auseinandergetrieben. Grey war sich nicht sicher, ob sie einander jemals wieder so nah sein würden, wie sie es einst gewesen waren, aber er und Mack versuchten es zumindest. Mit Travis war es deutlich schwieriger. Er hatte von ihnen dreien allerdings auch am meisten verloren.
Im oberen Stockwerk befanden sich die Schlafzimmer, die Mack, Travis und Grey in ihrer Kindheit bewohnt hatten, die nun aber nicht mehr so aussahen wie früher. Nachdem er die Brüder jahrelang angefleht hatte, zu Besuch zu kommen und sich endlich wieder zu versöhnen, hatte Jameson einen sehr offensichtlichen Schachzug getan, indem er den gesamten zweiten Stock renovieren und neue Schlafzimmer mit angeschlossenen Bädern einbauen ließ. So hat jeder von euch genug Platz, um eine Freundin mitzubringen, hatte er gesagt. Oder vielleicht eines Tages auch Ehefrauen und Enkelkinder. Jameson würde alles tun, um ihre Ausreden zu entkräften, denn er war in Bezug auf sie sehr sentimental und weichherzig. Hartnäckig und stark war er allerdings auch. Wie es der Zufall so wollte, erleichterten die Renovierungsarbeiten die Verhandlungen, als Mack Giada als Jamesons Pflegerin einstellte. Sie war die Haushälterin im Moonlight Ridge gewesen, als die Jungs noch klein waren, bevor sie fortging und mehrere Jahre als Krankenpflegerin in einer Notaufnahme in Florida arbeitete. Nun war sie nach Asheville zurückgekehrt, um sich um Jameson zu kümmern, und wohnte in Macks altem Zimmer.
Am Ende des Flurs befand sich Jamesons Arbeitszimmer. Das Licht, das in den Flur strahlte, verriet Grey, wo Mack gerade war.
„Weiß Dad, dass du hier oben bist und herumschnüffelst?“, fragte Grey, als er den Raum betrat. Es sah aus, als hätte ein Tornado eine Fabrik für Bürobedarf verwüstet. Überall lagen Stapel von Papier, Ordnern und Büchern.
„Da bist du ja.“ Mack ließ einen Aktenordner auf Jamesons Schreibtisch fallen, dann ging er zu Grey und umarmte ihn. „Wie war dein Flug?“
Grey klopfte ihm auf den Rücken. Trotz der Umarmung fühlte es sich immer noch so an, als würde eine Mauer zwischen ihnen stehen. Würde sich das jemals ändern? „Gut. Ich konnte unterwegs einiges an Arbeit erledigen.“
„Wie geht es mit den Plänen für die Brauerei voran?“ Mack schenkte Grey ein Lächeln, wobei seine Augen funkelten.
„Ich habe sie fast fertig.“ Grey arbeitete gerade an den Bauplänen für die Brauerei, die Mack in der verlassenen Steinscheune auf dem Grundstück errichten wollte. Mack war nämlich in den letzten zehn Jahren zu einem wahren Bier-Mogul aufgestiegen. Seine Corkscrew-Craftbeer-Brauereien hatten fünfundzwanzig Filialen im ganzen Land. Mack hatte zwar eine angestellte Architektin, aber er hatte Grey gebeten, dieses Projekt zu entwerfen. Es war ein Friedensangebot, das Grey nur zu gern angenommen hatte.
„Fantastisch. Ich freue mich schon darauf, gemeinsam mit dir daran zu arbeiten“, sagte Mack.
„Ich mich auch. Wir sollten die Baustelle zusammen besichtigen und dann die Details durchsprechen. Ich bin bis zum Labor Day hier, also sollten wir keine Zeit verlieren.“ Grey konnte es noch immer kaum glauben, dass er zurück in Asheville war und längere Zeit hierbleiben würde. Als er vor mehr als zehn Jahren nach New York gegangen war, um Architektur zu studieren, hatte er sich niemals vorstellen können, für mehr als ein Wochenende zurückzukehren, denn zu viele Geister suchten ihn hier heim, und es gab zu viel Potenzial für unangenehme Gespräche und Dramen.
„Sehe ich auch so. Moonlight Ridge befindet sich in einer finanziellen Notlage, deshalb müssen wir die Brauerei so schnell wie möglich eröffnen. Die momentanen Einnahmen reichen nicht annähernd aus, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.“
„Das ist mir bewusst.“ Greys Gespür für Zahlen hatte Mack dazu veranlasst, ihn zu bitten, einen genaueren Blick auf die Finanzen des Hotels zu werfen, nachdem Jameson aus dem Krankenhaus gekommen war. Es gab nämlich, gelinde gesagt, Unregelmäßigkeiten. Grey vermutete, dass jemand Geld unterschlug, doch nur ein Fachmann konnte den Schuldigen ausfindig machen und herausfinden, wie dieser den Diebstahl beging. „Ich habe eine Wirtschaftsprüferin engagiert. Da die meisten Geschäftsunterlagen in Papierform vorliegen, habe ich sie gebeten, hierher zu kommen. Ich habe sie in einem der Gästehäuser untergebracht.“
„Das ist gut. Ich habe nämlich keine Ahnung, wo wir anfangen sollen.“
„Da Dad unten im ersten Stock wohnt, während er sich erholt, sollten wir in der Lage sein, uns regelmäßig hier hochzuschleichen und alle benötigten Akten zu holen.“
„Er darf auf keinen Fall etwas davon erfahren, weil er keinen Stress haben darf“, sagte Mack. „Wir sollten es wahrscheinlich auch vor Giada geheim halten. Ich weiß nicht, wie viel sie ihm erzählt.“
„Wo sind die beiden eigentlich?“
„Draußen. Sie unternehmen einen Spaziergang mit den Hunden. Du solltest sie mal zusammen sehen. Es ist urkomisch. Sie motzt ihn an, er motzt zurück, und dann lachen sie sich kaputt. Ich glaube, da könnte Liebe in der Luft liegen.“
„Liebe?“ Grey wollte nicht so ungläubig klingen, aber ihr Paps erholte sich schließlich gerade erst. War es da gut, eine Beziehung einzugehen?
Mack zuckte mit den Schultern. „Molly und ich gehen davon aus.“
Mack hatte seit seiner Rückkehr nicht nur seine Liebesbeziehung zu seiner Jugendliebe neu entflammt, sie überlegten sogar, auf dem Gelände des Resorts ein Haus zu bauen. Mack, der Mann, der ständig auf Achse gewesen war, hatte beschlossen, in Asheville sesshaft zu werden. „Wie geht es Molly? Ist bei euch beiden noch alles in Ordnung?“
Mack schaute aus dem Fenster, und ein verschmitztes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er dachte bestimmt gerade an sie. War er wirklich so glücklich? Das verwirrte Grey. So hatte er selbst noch nie für jemanden empfunden. „Kannst du ein Geheimnis bewahren?“, fragte Mack.
Grey musste lachen. „Ich bin nicht gerade dafür bekannt, Klatsch und Tratsch zu verbreiten.“
„Ich werde Molly einen Antrag machen! Den Ring habe ich schon.“
Grey konnte sich nicht vorstellen, wie man so viel Enthusiasmus für eine so große Lebensveränderung aufbringen konnte, vor allem, wenn sie sich später als Fehler herausstellen konnte. Aber er wusste auch, dass Mack es durchzog, wenn er sich einmal zu etwas entschlossen hatte. „Du bist bestimmt nervös.“
„Erstaunlicherweise nicht. Ich habe ihr bereits gesagt, dass ich heiraten und mit ihr ein Haus bauen und eine Familie gründen will. Das hier ist also nur eine Formalität. Ich schätze, ich bin es leid, herumzusitzen und darauf zu warten, dass das Leben passiert.“
„Herumsitzen kann man das, was du gerade machst, ja wohl kaum nennen. Du bist wahnsinnig erfolgreich. Du hast ein wirklich tolles Unternehmen aufgebaut.“
„Das ist aber nicht dasselbe. Das weiß ich jetzt.“
Grey hoffte, dass sein Bruder das auch in Zukunft noch so sehen würde, denn es gab viele Unsicherheitsfaktoren in diesem Spiel. Dennoch konnte er sich nicht dazu durchringen, seine Zweifel zu äußern. Er und Mack versuchten schließlich gerade, ihre Beziehung zueinander wiederaufzunehmen. „Glückwunsch. Ich freue mich für dich.“
„Danke. Ich würde gern hier auf dem Grundstück heiraten.“
„Das wird Dad bestimmt sehr freuen.“
„Es könnte auch gut für Moonlight Ridge sein, weil es etwas positive Publicity bringt. Das Geschäft mit den Hochzeiten geht gerade nämlich etwas zurück.“
„Ist mir aufgefallen, als ich mir die Zahlen angesehen habe.“ Die Brüder hatten sich vorgenommen, das Familienunternehmen zusammen wieder zu Ruhm und Rentabilität zu führen, und Hochzeiten waren nun mal ein wichtiger Bestandteil davon.
„Ich hatte gehofft, du würdest dir diesen Aspekt des Geschäfts einmal gründlich ansehen, genauso, wie du es mit den Finanzen gemacht hast.“
„Ich kenne mich mit Zahlen und Architektur aus. Von Hochzeiten habe ich keine Ahnung.“
„Musst du ja auch nicht. Es geht nur darum, dass wir die Finanzen in den Griff bekommen. Vielleicht ist dieser Bereich die Ursache für die Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung. Wir müssen herausfinden, ob wir nicht mit anderen Veranstaltungsorten mithalten können, weil wir veraltet sind. Das Problem haben wir bereits in Angriff genommen und mit Renovierungen begonnen. Aber vielleicht geht es den jungen Bräuten nicht schnell genug. Molly meint, die Mütter lieben Moonlight Ridge, aber die Töchter wollen lieber etwas Modernes. Die andere Möglichkeit ist, dass es an unserer Hochzeitsplanerin Autumn Kincaid liegt. Sie war vor Kurzem in den Schlagzeilen.“
„Wieso das?“
„Ihr Vater ist Leo Kincaid, deshalb landet sie ab und zu auf Klatschseiten. Ihr Verlobter hat die Hochzeit in letzter Minute abgesagt, und das hat die Presse natürlich gründlich ausgeschlachtet.“
Grey verfolgte die Unterhaltungsbranche nicht sehr aufmerksam, aber er hätte schon auf dem Mond leben müssen, um Leo Kincaid nicht zu kennen. Der Mann war immerhin beschuldigt worden, im Laufe seiner Karriere Dutzende von Frauen in Hollywood sexuell missbraucht zu haben. „Wow.“
„Ich weiß. Das ist absolutes Neuland für uns. Wir hatten noch nie eine so umstrittene Mitarbeiterin, und wir verlieren Kunden wegen dieses Dramas. Viele der wohlhabenden Familien wollen nichts mit so etwas zu tun haben.“
„Wir könnten ihren Vertrag kündigen.“
Mack schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, dass du das verhindern kannst. Sie ist Mollys beste Freundin, und Dad mag sie auch sehr. Wir haben außerdem diesen Sommer mehrere große Hochzeiten, für die wir Autumn brauchen.“
Grey war sich immer noch nicht sicher, wie er bei all dem helfen konnte, aber Hochzeiten waren wichtig für Moonlight Ridge. Er musste es also versuchen. „Irgendetwas sagt mir, dass es ihr nicht gefallen wird, wenn ich mich einmische. Vor allem, weil ich nichts über das Thema weiß.“
„Das ist auch besser so. Auf diese Weise kannst einen neuen Blickwinkel einbringen“, erwiderte Mack.
Von unten ertönten nun Stimmen und Bellen. „Grey? Bist du schon hier? Ich habe draußen ein fremdes Auto gesehen“, erklang dröhnend Jamesons Stimme.