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Bei einer Routinekontrolle ändert sich das Leben des knallharten Officers Maxwell Sharp schlagartig, als er von einem Auto erfasst und bewegungsunfähig zurückgelassen wird. Ohne Gefühl in seinen Beinen versucht Max, sich in ein Leben zurückzukämpfen, das scheinbar nichts als Hürden für ihn bereithält. Zu dauerhafter Schreibtischarbeit verdonnert, gezwungen seine Wohnung zu verlassen ... als wäre das Leben als schwuler Polizist nicht schon herausfordernd genug gewesen. Und dann taucht auch noch der Mann in der Dienststelle auf, der für all sein Leid verantwortlich ist: Peter Dawson. Erfolgreicher Geschäftsmann und nach außen hin der ständige Sunnyboy. Er will sich stellen, sich entschuldigen, doch auf all das kann Max verzichten, denn das gibt ihm sein altes Leben nicht zurück. Dass ausgerechnet Peter für ihn der Schlüssel zu einem Abenteuer voller Leidenschaft und neuer Chancen ist, damit hätten die beiden Männer wohl selbst am wenigsten gerechnet.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Prolog
1. Max
2. Peter
3. Max
4. Peter
5. Max
6. Max
Zwei Monate später
7. Peter
8. Max
9. Peter
10. Max
11. Peter
12. Max
13. Peter
14. Max
15. Peter
Zwei Monate später
16. Max
17. Peter
18. Max
19. Peter
20. Max
21. Peter
22. Max
23. Peter
24. Max
25. Peter
26. Max
27. Peter
28. Max
29. Peter
30. Max
31. Peter
32. Max
33. Peter
34. Max
35. Peter
The Monarch Hill University 2024
Copyright © Velvet Morgan 2022
Velvet Morgan c/o TEXTWERKSTATT
Sabrina Cremer, Körfken 80, 44227 Dortmund
Cover: Shutterstock
Korrektorat: Textwerkstatt - Sabrina Cremer
Umschlaggestaltung: NK Design (Nadine Kapp) Kontakt: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten.
Eine Vervielfältigung oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren gestattet. Sämtliche Handlungen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, Markennamen und Lieder werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Örtliche Begebenheiten wurden teilweise dem Storyverlauf angepasst. Alle Markennamen und Warenzeichen, die in dieser Geschichte verwendet werden, sind Eigentum der jeweiligen Inhaber.
Mein Name ist Maxwell Sharp.
Sharp.
Messerscharf.
Mit einem extrem guten Sachverstand, schnellem Handlungsvermögen, unbändiger Entscheidungskraft und dem Willen, alles zu schaffen.
Ich lebe für meinen Job, denn das Polizeiwesen liegt bei uns in den Genen.
Mein Vater, Captain Sharp, mittlerweile in Rente. Mein Großvater, der legendäre Comissioner, mittlerweile verstorben.
Und ich.
Officer, zumindest noch.
Ich war auf dem Weg nach ganz oben. An die Spitze der New Yorker Polizei. Ganz so, wie es sich für den Namen Sharp gehört.
Ich konnte mich nicht damit zufriedengeben, Officer im Streifendienst zu bleiben, und das würde ich auch nicht. Ich hatte meinen Weg hoch auf der Karriereleiter schon genau durchgeplant. Und ich würde mich definitiv von nichts stoppen lassen.
Das waren meine Gedanken, meine Träume, meine Wünsche ...
Bis zu jenem Tag.
Dem Tag, als sich alles schlagartig änderte und aus dem durchsetzungsstarken Vorzeigeofficer ein Krüppel wurde.
Doch ich würde nicht aufgeben.
Ich konnte nicht aufgeben.
Ich hatte meinen Eltern, allen voran meinem Vater, schon genug damit angetan, schwul zu sein.
Ein schwuler Polizist. Der auch noch dazu stand, an Männern interessiert zu sein.
Ein Skandal.
Eine Schande für die Familie.
Dementsprechend schlecht war auch das Verhältnis zu meinem Vater. Wenigstens meine Mutter hielt zu mir, egal was ich tat.
Auf sie konnte ich mich verlassen.
Doch auch sie konnte mir nicht helfen.
Mein Leben würde nie wieder so werden, wie es einmal gewesen war.
Meine Träume waren nicht mehr realistisch und auch nicht mehr realisierbar.
Ich würde mich nie wieder aus diesem Rollstuhl erheben, nie wieder Streife fahren, mich nicht zum Sergeant hocharbeiten.
Für den Rest meines Lebens war die Schreibtischarbeit im Revier alles, was mir blieb.
Schreibtischarbeit, vor der ich mich damals immer gedrückt hatte.
Ich hasste dieses Leben.
Ich hasste mich selbst oder das, was von mir übrig geblieben war. Doch am meisten hasste ich diesen Menschen, der mir das angetan hatte.
Er hatte mein Leben ruiniert.
Mich zum Krüppel gemacht.
Und doch konnte ich ihn einfach nicht vergessen.
Die blauen Augen.
Die blonden Haare.
Er sah aus wie ein Engel, auch wenn er für mich der Teufel war.
»Einen wunderschönen guten Tag, hübscheste Frau im Raum«, sagte ich, als ich den Besprechungsraum betrat, und schenkte meiner langjährigen Streifenpartnerin Amber ein strahlendes Lächeln.
»Witzig, als ob gerade du das beurteilen könntest.«
»Hey, ich wollte nur nett sein, schließlich ist es verdammt früh am Morgen und wahrscheinlich hast du genauso viel Energie wie ich.«
»Glaub mir, ich habe die halbe Nacht nicht geschlafen. Sein Name war Hunter und o mein Gott, Max, ich kann dir sagen, es war ein Feuerwerk!« Grinsend ließ ich mich neben Amber sinken und betrachtete sie belustigt.
»Ach wirklich? Und, wirst du Hunter wiedersehen oder eher der ›once in a lifetime‹Fick?«
»Du weißt doch, es ist kompliziert.«
»Ich weiß auf jeden Fall, dass du extrem schwierige Ansichten von einem zweiten Date mit einem Mann hast.«
»Sagt derjenige, der auf eine wirklich stabile und intakte Beziehung zurückblicken kann, die ihn mit so viel Liebe und Zufriedenheit erfüllt, dass er sich gar nichts anderes mehr vorstellen kann in seinem Leben.«
»Hey, ich bin ein schwuler Polizist. Was erwartest du?«
»Schwuler Polizist ist eine miese Ausrede.«
»Was ist deine?« Amber grinste und trank einen Schluck von dem Kaffee, was sie immer dazu brachte, das Gesicht zu verziehen. Sie hasste ihn genauso sehr, wie ich es tat, nur im Gegensatz zu mir wurde sie daraus nicht schlau und trank ihn jeden Morgen.
Sie hatte vollkommen recht mit ihren Worten, denn ich war wirklich nicht gerade der Typ, der Beziehungstipps geben sollte. Schließlich war meine letzte Beziehung eine halbe Ewigkeit her ... wenn man mit siebenundzwanzig schon von halben Ewigkeiten reden konnte.
Ich mochte es lieber, mich zwanglos durchs Leben zu vögeln und vögeln zu lassen, wobei auch das in den letzten Wochen und Monaten nachgelassen hatte.
Mir fehlte die Lust, auszugehen, denn irgendwie brachten mir all die belanglosen Ficks nicht mehr den Kick, den ich normalerweise darin gefunden hatte.
Vielleicht wurde ich einfach zu alt für den ganzen Scheiß.
Vielleicht war aber auch die Zeit gekommen, wo ich mich ernsthaft nach etwas Festem umschauen sollte. Nur musste der Mann, der es mit mir aushielt, wohl erst noch gebacken werden.
Und das, obwohl ich mich selbst eigentlich als sehr umgänglichen Kerl beschreiben würde. Etwas, worin Amber mir wahrscheinlich sofort zustimmen würde. Wir zwei kamen jedenfalls seit Jahren unglaublich gut miteinander klar.
»Okay, alle herhören, ich habe heute einiges zu erzählen«, erklang die Stimme des Captains, während Amber neben mir grinste. Ich wusste bereits, was durch ihren Kopf ging. Wahrscheinlich dasselbe wie bei mir und so manch anderem in diesem Raum, denn der Captain hatte immer viel zu erzählen. Er hörte sich halt unheimlich gerne selbst reden. Davon waren wir nach einem Jahr mit ihm als unserem Leiter wirklich überzeugt.
Doch heute gab es ausnahmsweise einige Neuigkeiten. Ein Straftäter war auf der Flucht, der in der letzten Nacht einen bewaffneten Raubüberfall getätigt hatte. Nichts Neues hier in New York. Auch nicht, dass er bei seiner Flucht wild um sich geschossen und dabei drei Leute getötet hatte.
Wir lebten in einer wilden Großstadt und die Zeiten wurden einfach nicht besser. Klar, Manhattan strotzte vor Wolkenkratzern, vor reichen Bonzen und vor Touristen, doch es gab durchaus auch die anderen Ecken in dieser Stadt.
Ecken, von denen niemals ein Besucher etwas mitbekommen würde. Zumindest nicht, wenn er, wie die meisten Touristen, nur tagsüber die Sehenswürdigkeiten der Stadt abklapperte. Oder was die Menschen so für Sehenswürdigkeiten hielten.
Ich war in New York geboren worden, hier aufgewachsen. Für mich war es einfach normal.
Aber für mich waren viele Dinge normal, die für andere ein absolutes No-Go waren. Zum Beispiel ein schwuler Polizist zu sein ...
Das Briefing dauerte wie immer eine halbe Stunde, bevor wir zu unserem Streifenwagen gingen, bereit für diesen Tag.
»Lass dich nicht wieder über den Haufen schießen, Max«, rief mir einer der Kollegen zu, während ich genervt die Augen rollte. Seit unserem Einsatz vor zwei Wochen bekam ich diesen Spruch jeden Tag aufs Neue um die Ohren gehauen.
Wir waren zu einem Routineeinsatz gerufen worden, der schnell außer Kontrolle geraten war, als die neunundachtzigjährige Nachbarin des Mannes, den wir eigentlich festnehmen wollten, mit einem Revolver hantiert und auf mich geschossen hatte.
Sie war der Meinung, wir wären die Bösen und sie wollte uns vertreiben, weil der Mann von nebenan immer so lieb zu ihr war, sich um sie kümmerte und für sie einkaufte. Eine wahrhaft rührende Geschichte, wenn man außen vorließ, dass er wahrscheinlich keinen einzigen Einkauf auch bezahlt hatte.
Mal ganz zu schweigen von dem Mädchen, das er seit Wochen stalkte.
Die Kugel war Gott sei Dank nicht durch meine schusssichere Weste hindurchgedrungen, sondern hatte nur einen fetten Bluterguss an meinen Rippen hinterlassen.
Ich galt im Revier als absoluter Draufgänger. Vermutlich etwas, womit die meisten Kolleginnen und Kollegen einfach nicht rechneten, schließlich war ich der schwule Polizist. Keine Ahnung, womit sie rechneten. Dass ich in einem rosa Tutu Ballett tanzte, um einen bewaffneten Täter zur Aufgabe zu zwingen?
Oder dass ich mir die Fingernägel lackierte?
Ich stand einfach nur auf Männer. Nicht auf die Klischees, die man schwulen Männern aufzudrücken versuchten.
Klar, mit Sicherheit gab es auch diese Exemplare, ich jedenfalls war keines davon. Ich war durchsetzungsstark, knallhart und vollkommen unerschrocken. Wenn es jemanden gab, der immer bereit war, seinen Arsch zu riskieren, dann definitiv ich. Etwas, womit Amber erst lernen musste, klarzukommen. Schließlich war sie meine Partnerin und wir mussten uns da draußen blind aufeinander verlassen.
Mittlerweile wusste sie allerdings ganz genau, dass ich Gefahren gut einschätzen konnte und über genug Sachverstand verfügte, die Situation nicht unnötig brenzlig zu machen oder sie gar zu unterschätzen.
Okay, gut, es grenzte an ein Wunder, dass mir bei all meinen Wagnissen noch nie etwas Ernsthaftes geschehen war. Ich hatte wahrscheinlich alle meine Schutzengel aufgebraucht. Anders war es nicht zu erklären, dass ausgerechnet ich, der Draufgänger unseres Reviers, von einer alten Lady über den Haufen geschossen worden war.
Etwas, das bis heute noch schwer an meinem Ego nagte. Und natürlich war das auch allen im Revier klar. Deshalb zogen sie mich ja auch so gerne damit auf. Ich versuchte mein Bestes, ihnen nicht den Gefallen zu tun, mich darüber aufzuregen oder mir überhaupt etwas anmerken zu lassen, aber das war verdammt schwer.
Vor allem, weil die Sticheleien auch einfach nicht nachlassen wollten. Immer setzte wieder einer einen Spruch drauf.
Amber grinste neben mir, wobei sie mir die Schlüssel für den Streifenwagen zuwarf, die ich lässig auffing.
»Hier, du kriegst von mir den Mitleidsbonus des Tages und darfst fahren.«
»Du bist ja nur neidisch, weil die alte Lady auf mich und nicht auf dich geschossen hat«, witzelte ich, während ich auf dem Fahrersitz Platz nahm.
»O ja, stimmt. Jetzt wo du es sagst, wird mir einiges klar.« Ich wusste, dass ich Amber an diesem Tag einen verdammt großen Schrecken eingejagt hatte. Wir waren schon lange nicht mehr nur Kollegen, sondern weitaus mehr. Wir waren Freunde, ja vielleicht sogar beste Freunde. Zumindest war es bei mir so.
Ich hatte nicht viele Leute, mit denen ich mich gerne umgab. Keine Ahnung, warum nicht, aber ich war schon immer eher der Einzelgänger gewesen. Meine Vermutung lag darin, dass ich in meiner Kindheit und Jugend zu viel damit zu tun gehabt hatte, meinem alten Herrn und der Familientradition zu folgen. Ein ganzer Mann werden. Auf die Polizeischule gehen.
Die Karriereleiter beim NYPD erklimmen, als stolzer Cop der Sharp Familie.
Mit messerscharfem Sachverstand. Knallharten Reflexen und unbändigem Durchhaltevermögen. Darauf war ich seit frühester Kindheit gedrillt worden.
Wenn ich weinte, wurde ich ausgeschimpft und bestraft.
Wenn ich mich nicht durchsetzen konnte, wurde mir eine Lehre erteilt. Gerne auch in Form von Schlägen. Ohne meine Mutter könnte ich heutzutage nicht auf meine Kindheit zurückblicken und schöne Erinnerungen finden. Doch dank ihr gab es neben den ganzen Bestrafungen auch wunderschöne Momente voller Spaß. Momente, in denen ich einfach ich sein konnte. Der kleine Max.
Nicht Maxwell, der angehende Polizist. Junge, der die Familientradition fortführen und alle stolz machen würde.
Denn nur darum ging es bei uns. Wahrscheinlich hatte es schon vor meiner Geburt angefangen.
Auf meinem ersten Baby Foto trug ich jedenfalls schon einen Strampler, der aussah wie eine Uniform des NYPD.
Und dann war ich mir irgendwann, während all des Drucks und während ich den für mich vorbestimmten Weg ging, darüber klar geworden, dass ich mich zu Jungs aus meiner Klasse hingezogen fühlte.
Es war eine Zeit gewesen, wo es so langsam mit den ersten Beziehungen losging ...
O Gott, ich konnte mich noch genau erinnern. Harrison Porter. Der Inbegriff meiner schlaflosen Nächte.
Quarterback in der Schulmannschaft.
Er stand natürlich auf Mädchen und wurde von allen vergöttert, aber verdammt, wäre er schwul gewesen, ich hätte ihn wahrscheinlich vom Fleck weg geheiratet.
Doch mir einzugestehen, dass ich niemals so »normal« sein würde, wie es mein Dad gerne hätte ... ich konnte mich noch so genau an all die schlaflosen Nächte, an meine Probleme und an die Qualen erinnern.
Bis ich mich im Alter von achtzehn Jahren endlich meiner Mutter anvertraut hatte.
Und natürlich reagierte sie genau so, wie ich es von ihr erwartet hatte. Sie hatte mich eine halbe Ewigkeit lang in den Arm genommen und mir mit ruhiger Stimme gesagt, dass sie so etwas schon ganz lange geahnt hatte.
Für sie war keine Welt zusammengebrochen. Anders als für meinen Vater, der mich selbst heute noch nicht wieder angucken konnte. In seinem Blick lag noch immer Ekel. Ekel vor seinem eigenen Sohn. Vor mir. Vor dem, was ich tat. Vor dem, wer ich war.
Dabei hatte ich mein ganzes Leben alles getan, um ihn zufriedenzustellen, um ihn glücklich zu machen ... und wäre dabei selbst fast auf der Strecke geblieben. Ohne meine Mutter, da war ich mir sicher, wäre ich das auch.
Vermutlich hätte ich irgendeine Frau geheiratet, nur damit ich meine Familie auch rundum glücklich machte.
Ich wusste gar nicht mehr genau, wann ich überhaupt die Eingebung hatte, dass es mein Leben war, und nicht das von meinem Vater. Doch als diese Erkenntnis erst einmal zu mir durchgedrungen war, ging es mir plötzlich verdammt gut.
Ich hatte kein Problem mehr damit, zu mir zu stehen und nach außen hin der Mann zu sein, der ich nun mal war.
Ein stolzer, knallharter, schwuler Polizist.
Zwischendurch stellte ich mir immer mal wieder die Frage, ob es wohl daran lag, dass ich von Anfang an darauf gedrängt worden war, Polizist zu werden, oder ob ich mir diesen Job auch freiwillig ausgesucht hätte. Doch was wäre mein Leben schon ohne Verfolgungsjagden, Ladendiebstähle und Freiern, die sich von einer Nutte mit der immer gleichen Masche hatten abziehen lassen.
Ich liebte mein Leben. Ich liebte das, was ich tat. Ich liebte meinen Job, ich liebte Amber, ich liebte das, was ich noch vorhatte auf der NYPD Karriereleiter.
Ich liebte meine Nächte im Rocket Hills, einem Schwulenclub, der mir schon so manch spannende und anregende Begegnung beschert hatte.
Ich liebte die Reisen in ferne Länder. Kurzum: Ich war mit mir verdammt im Reinen und alle, die es nicht waren, hatten halt Pech.
Es war mein Leben und nur ich konnte bestimmen, was ich damit anfing, wie ich mich darin verhielt, welche Entscheidungen ich traf und welche Wege ich einschlug.
»Weißt du, dass ich schon lange nicht mehr zum Essen bei euch war?«
Ich blickte Amber an und hob dabei überrascht die Augenbrauen.
»Ernsthaft? Du möchtest freiwillig in der Gesellschaft meines Vaters sein?« Ich hatte Amber schon einige Male zu uns eingeladen und es waren immer lustige Abende geworden. Also zumindest für Amber, meine Mutter und mich.
Mein Vater hatte eher widerwillig am Tisch gesessen, kurz mit uns gegessen und sich dann in sein »Hobbyzimmer« zurückgezogen.
Einen Raum, in dem ich immer herzlich willkommen gewesen war, bis ich mich als schwul geoutet hatte. Seitdem war ich nicht mehr sein Sohn und somit auch nicht mehr willkommen in seinem Leben.
Dass er mich überhaupt noch in seinem Haus duldete, war wahrscheinlich lediglich meiner Mutter zu verdanken, die ihm gar keine andere Wahl ließ.
Keine Ahnung, womit sie den alten Griesgram erpresste, anders konnte ich es mir jedenfalls nicht erklären, dass er das mit sich machen ließ.
»War dein Vater je bei einem Essen dabei?«, fragte Amber gespielt schockiert, was mich sofort auflachen ließ. Stimmt, er hatte immer so wenig mit uns geredet, dass man wirklich denken könnte, er wäre gar nicht dort gewesen. Amber ritt gerne auf dem Thema herum, da sie mich dazu drängen wollte, die Kluft zwischen meinem Vater und mir irgendwie wieder geradezubiegen. Auch wenn es da in meinen Augen nichts gab, was man geradebiegen konnte. Er hatte seine Einstellung. Ich meine. Und ich konnte schlecht meine Homosexualität rückgängig machen, um wieder in sein Weltbild zu passen.
Auf der anderen Seite konnte ich Amber auch verdammt gut verstehen. Sie hatte ihren Vater verloren, als sie noch ein Baby gewesen war, und würde jetzt mit Sicherheit alles dafür tun, ein gutes Verhältnis zu ihm zu haben. Wahrscheinlich war es für sie deshalb auch so schwer zu ertragen, dass wir keinerlei Beziehung mehr zueinander hatten, obwohl für uns rein theoretisch die Möglichkeit bestand, die ihr genommen worden war.
»Also ich kann gerne meiner Mutter noch mal vorschlagen, dass ich dich mitbringe. Sie ist doch sowieso hin und weg von dir, seit du zum ersten Mal mit dabei warst. Erinnerst du dich noch?«
»Die dunkle Vergangenheit. Das ist doch schon ewig her. Damals warst du noch grün hinter den Ohren.«
»Und du warst trotzdem schon total begeistert von deinem neuen Partner.«
»Was blieb mir denn auch anderes übrig?« Sie zwinkerte, während sie cool mit den Schultern zuckte. Ich wusste, dass sie sich damals gefreut hatte, als wir miteinander kombiniert worden waren. Endlich musste sie nicht mehr mit einem der älteren Kollegen fahren, sondern war selbst diejenige, die ein Küken in ihren Streifenwagen gesetzt bekam, dem sie ihr Wissen weitervermitteln konnte.
Eine große Ehre. Vor allem weil Amber gerade einmal fünf Jahre älter war als ich.
Sie war verdammt gut in ihrem Job und ich wusste, dass sie ganz kurz vor ihrer Beförderung zum Sergeant stand. Etwas, das ich ihr von ganzem Herzen gönnte. Sie riss sich für diesen Job den Arsch auf. Genau wie ich.
Ich würde irgendwann auch vor dieser Beförderung stehen und ich wusste, dass sie sich dann für mich genauso freute.
Was das allerdings für uns als Team bedeutete, war noch unklar. Vermutlich würde sie dann mehr in die Arbeit im Revier einbezogen werden, weshalb ich garantiert auch Schichten mit einem anderen Partner fahren musste. Der Gedanke daran behagte mir nicht, denn wir zwei konnten uns mittlerweile blind vertrauen.
Außerdem wusste sie ganz genau, dass ich zwar Risiken einging, aber dass ich sie vorher kalkulierte und nicht vollkommen kopflos handelte, auch wenn es für manch Außenstehenden so wirkte.
Etwas, das bei einem anderen Partner definitiv zu Problemen führen konnte. Wir waren so oder so viel zu sehr aufeinander fixiert. Das hielt uns nicht nur der neue Captain oft genug vor, doch Gott sei Dank interessierte uns das nicht.
Wir nahmen weiterhin zur gleichen Zeit frei, um erst gar nicht in die blöde Situation zu kommen, mit jemand anderem fahren zu müssen.
Der erste Funkspruch der Zentrale ließ auch heute nicht lange auf sich warten. Wir mussten zu einer Schlägerei in der Innenstadt. Zwei Touristen, die sich um ihren Platz in der Warteschlange prügelten.
Öfter mal was Neues.
»Ich hab jetzt schon keine Lust auf das hysterische Gezeter«, gab ich ehrlich zu, was Amber neben mir auflachen ließ.
»Hey, wir können nicht immer nur mit gezogenen Waffen irgendwelche Gebäude stürmen und einen auf SWAT machen. Dann musst du die Einheit wechseln, das habe ich dir schon so oft gesagt. Solche Draufgänger wie dich suchen sie da. Keine Angst vor rein gar nichts und dabei trotzdem irgendeinen Plan im Kopf.«
»Ich weiß. Und du weißt, dass ich mit dem Gedanken spiele. Vielleicht werde ich mich nächstes Jahr mal anmelden.«
»Warum erst nächstes Jahr?«
Ich warf Amber einen kurzen Seitenblick zu, während sie mich durchdringend ansah. Ich wusste, dass sie diese Worte vollkommen ernst meinte. Auch wenn es für sie die Hölle wäre, wenn sich unsere Wege dann trennten. Sie wusste, wie oft ich schon mit diesem Gedanken gespielt hatte.
Nur es war etwas anderes, ihn auch in die Tat umzusetzen.
Ich hatte keine Angst davor, zu scheitern. Die hatte ich nie. Ich war in perfekter körperlicher Fitness. Mein Körper bestand nur aus Muskeln, die ich jeden Tag im Gym trainierte. Meine Kondition war durch das Lauftraining herausragend.
Ich konnte verdammt gut schießen, hatte perfekte Reflexe. Ja, wahrscheinlich würde ich es sogar zum SWAT schaffen, aber irgendetwas hielt mich zurück.
Ich konnte nur nicht benennen, was es war.
»Gibs zu, du bewirbst dich nur nicht für eine Stelle, weil du dir vor der Aufnahmeprüfung in die Hosen scheißt.«
»Als ob. Du weißt, dass ich die spielend schaffen würde.«
»Also, warum dann? Weil du doch den Weg deiner anderen Familienmitglieder einschlagen willst? Ich weiß, dass ich dir mit diesem Thema auf den Wecker gehe, weil ich es innerhalb kürzester Zeit jetzt schon mehrfach angesprochen habe, aber ich meine es einfach total ernst, Max.
Du bist wie geschaffen fürs SWAT, mit deiner Fitness, deinen Reflexen und deiner verdammten Nervenstärke. Gut, vielleicht müssten sie dir dort etwas von deiner überstürzten Entscheidungsfreude abnehmen, aber alles andere ...«
Ich atmete tief durch, denn ich wusste nicht, was ich entgegnen sollte.
»Ich will nicht diejenige sein, die dir im Weg steht.«
»Du? Was redest du denn da?«
»Ich glaube manchmal, dass du diesen Weg nicht gehst, weil du das, was wir haben, nicht verlieren willst. Diese Harmonie zwischen uns. Und ich kann es verstehen. Du hattest es bis jetzt nie einfach. Ich meine, verdammt, selbst auf dem Revier hast du es bei einigen nicht leicht, weil du offen zu deiner Homosexualität stehst.
Aber du betonst immer, dass du dich davon nicht abhalten lässt, deinen Weg zu gehen. Dann tu es auch in dieser Hinsicht nicht. Ich denke wirklich, dass dich das behindert.«
»Tja, ich liebe deine Gesellschaft viel zu sehr und ich weiß, dass es dir ähnlich geht«, erwiderte ich zwinkernd, während ich den Wagen stoppte. Ein seltsamer Ort für eine Touristenstreitigkeit, aber es erklärte, warum wir gerufen worden waren. Vor den großen Sehenswürdigkeiten befanden sich überall Polizisten, die solche Situationen dann schnell regeln konnten.
Aber hier an den Docks war es eher selten, Touristen zu treffen.
»So lenkt man gut vom Thema ab.«
»Ich will dich nicht schockieren, Amber, aber wir sind am Einsatzort angekommen. Da steigt man dann nun mal aus und bleibt nicht im Wagen sitzen, um das Gespräch erst zu Ende zu führen. Der Bürger braucht unsere Hilfe.«
»Natürlich. Entschuldigung, Officer Sharp. Wie konnte ich mich nur von dieser glasklaren Faktenlage ablenken lassen?«
»Typischer Anfängerfehler halt. Siehe und lerne.« Amber verdrehte die Augen, während sie mir zu den beiden Streithähnen folgte.
Der erste Einsatz des Tages. Eine Bagatelle. Und trotzdem war ich froh, dass wir diesen Streit jetzt übernehmen mussten, denn ich hatte weder Lust über Ambers Vorstoß nachzudenken, noch mit ihr darüber zu reden.
Ich würde es in Erwägung ziehen. Doch zunächst musste ich ein paar Nächte darüber schlafen.
Und ja, dieses Mal tat ich es nicht einfach so wieder als Hirngespinst ab. Ich würde mich ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzen. Vielleicht war es ja wirklich ein Weg, den ich einschlagen konnte. Auch wenn ich eigentlich alles schon so genau geplant hatte.
Obwohl, nein ... nicht ich hatte es geplant, verdammt! Es war für mich geplant worden.
Von ihm.
Von meinem Vater.
Doch warum sollte ich nicht von diesem ach so tollen Weg abweichen. Ich hatte den Namen Sharp ja eh schon in den Dreck gezogen.
Das SWAT war die Elite.
Besser als die Besten.
Nicht dass er hinterher noch stolz auf mich war, wenn ausgerechnet der schwule Sohn es schaffte, besser zu sein, als alle Generationen Sharps es zuvor gewesen waren.
Generationen von toughen Männern, die jetzt dank mir aussterben würde.
Schließlich bekamen schwule Männer weder Kinder noch würden sie es schaffen, diese Kinder, die sie dann von »irgendwoher bekamen«, tough aufzuziehen und zu wahren Männern zu machen.
Schade, wenn man es einfach nicht geschafft hatte, ins einundzwanzigste Jahrhundert zu kommen.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Pieper!«, rief ich meiner persönlichen Assistentin zu, bevor ich gut gelaunt wie immer in meinem Büro in der Chefetage verschwand.
Wie konnte ich auch keine gute Laune haben?
Ich war dreiunddreißig Jahre alt.
Gutaussehend.
Mächtig.
Reich.
Es gab keinen Traum, den ich mir von meinem Geld nicht erfüllen konnte ...
Okay, scheiße, das war eine dumme Floskel, die leider rein gar nicht zutraf, aber sie hatte schon den ein oder anderen Artikel in der Zeitung geprägt.
Zum Beispiel den Artikel über New Yorks erfolgreichsten Geschäftsmann unter vierzig.
Oder den Artikel über New Yorks heißeste Junggesellen.
Sie alle wussten einen Scheiß. Auch wenn ich aus meiner Sexualität eigentlich kein Geheimnis machte. Doch es schien die Frauenwelt reichlich wenig zu interessieren, dass ich schwul war.
Die Frauenherzen flogen mir trotzdem zu. Oder besser gesagt meinem Geld. Ich als Mensch interessierte von diesen Frauen wahrscheinlich nicht einmal ein Prozent.
Sie wollten Designerklamotten, ein Leben in Saus und Braus und ein wenig heißen Sex mit einem gut aussehenden Kerl.
Ich hatte in meinem Leben tatsächlich schon mit ein paar Frauen geschlafen. In meiner wilden Phase, als ich mich einfach ausprobieren wollte. Doch nie hatte es mir so viel Erfüllung gegeben wie beim Sex mit Männern.
Ich war schwul. Ich würde für immer schwul bleiben. Eine Erkenntnis, die mich zwar erst mit zwanzig so wirklich ereilt hatte, über die ich heute allerdings nicht mehr so entsetzt war wie zu diesem Zeitpunkt.
Zuvor hatte ich es immer nur für eine Phase gehalten.
Ich war in recht lockeren Verhältnissen hier in New York aufgewachsen. Meinen Eltern war es stets komplett egal gewesen, wer mit wem und warum, Hauptsache man war glücklich.
Wahrscheinlich war ich auch deshalb so spät damit gewesen, mich in meiner Sexualität überhaupt festzulegen. Schließlich musste ich mich ja auch erst einmal hinreichend ausprobieren.
Jetzt mit dreiunddreißig stand ich jedenfalls mit beiden Beinen mitten im Leben und wusste ganz genau, was ich wollte. Sowohl beruflich als auch privat.
Nur der richtige Mann für »privat« schien einfach nicht zu existieren.
Während es auf der Arbeit einfach wunderbar lief, ja, es hätte vermutlich gar nicht besser laufen können, bewies ich in meinem privaten Bereich definitiv kein gutes Händchen, was die Wahl meiner Partner anging.
Leider wollten auch im homosexuellen Bereich viele Männer einfach nur eins: mein Geld.
Der Mister Right, auf den ich wirklich sehnsüchtig wartete, war mir einfach noch nicht begegnet.
Mein Problem war vielleicht auch, dass ich genau darauf wartete. Dass er mir begegnete. Ich hatte nämlich schlicht und ergreifend keine Zeit dazu, ihn zu suchen. Ich ging nie großartig aus, war noch nie in einschlägigen Clubs gewesen. Die bisherigen Männer waren zufällige Bekanntschaften gewesen. Über Geschäftspartner.
Doch davon hatte ich mittlerweile einfach die Schnauze voll.
Auch belangloses Rumficken gehörte nicht mehr zu den Dingen, die ich in meinem Leben unbedingt noch brauchte. Klar, Bedürfnisbefriedigung, aber nicht mehr jeden Tag. Meine Sturm- und Drangzeit war definitiv vorbei. Wahrscheinlich gerade, weil ich mich in meinen jungen Jahren immer so sehr ausgetobt hatte.
Sexualität war in unserer Familie immer ein ganz offenes und lockeres Thema gewesen. Generation Achtundsechziger Eltern. Für sie war die Welt sowieso durchgehend rosarot und einfach nur locker.
Noch heute, wo sie sich Gott sei Dank durch mein Geld endlich ihren größten Traum erfüllen konnten.
Sie lebten jetzt in einem umgebauten VW Bus und reisten durch die Weltgeschichte. Etwas, das ich ihnen von ganzem Herzen gönnte.
Für sie war es eh immer die Hölle gewesen, sich in den festgelegten Strukturen zu bewegen und nach den Vorgaben anderer Menschen zu leben. Einem Hamsterrad, dem sie vor einigen Jahren einfach entflohen waren, während ich mittendrin steckte. Zumindest teilweise.
Schließlich war ich mein eigener Chef und bestimmte selbst, was ich tat. Wann ich es tat. Wie ich es tat.
Ich hätte garantiert auch nicht in anderen Strukturen arbeiten können. Nicht mit der Art und Weise, wie ich erzogen worden war. Mein Glück, dass die Nachfrage nach Nachhaltigkeit so groß geworden war und mein Unternehmen somit stetig wuchs und wuchs und wuchs ...
Mittlerweile beschäftigte ich einige Hundert Mitarbeiter und mein Kontostand überschlug sich beinah. Nur dass das Geld mir gar nicht so viel bedeutete.
Es war schön, es zu besitzen, es beruhigte, aber es war nicht das Wichtigste auf der Welt für mich.
Gut, ich schwelgte schon im Luxus. Ein Penthouse auf der Billionaire’s Avenue, eine Luxusjacht vor Anker auf einem der teuersten Stellplätze dieser Stadt. Vier Luxuskarossen. Ein Fuhrpark von Mitarbeiterautos. Zwei Fahrer, die mir Tag und Nacht auf Abruf zur Verfügung standen, wenn ich selbst mal keine Lust hatte, zu fahren.
Eine Haushälterin, Marga, Gott, was würde ich nur ohne sie tun. Wahrscheinlich wäre ich schon längst verhungert. Und ein ganzes Team aus Reinigungskräften, das sich um meine zweihundert Quadratmeter Wohnung, meine Wäsche und alles, was tagtäglich so anfiel, kümmerte.
Vielleicht war es also vermessen, wenn ich so großkotzig immer von mir behauptete, dass das Geld egal war. Ohne Geld, kein Luxus ... und verdammt, ich würde trotzdem klarkommen. Da war ich mir einfach sicher.
In einem Bus leben und durch die Welt fahren wie meine Eltern, das konnte ich mir zwar nicht vorstellen, aber in einem kleinen Haus mit großem Garten leben ...
Ich hatte einfach keinen richtigen Plan von meinem Leben. Wie auch, wenn ich nicht mal wusste, ob ich jemals Mister Right treffen würde, mit dem ich so einen Plan auch umsetzen konnte.
Wollte ich Kinder? Keine Ahnung. Eher ja als nein.
Wollte ich mich aus der Firma zurückziehen, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen? Auf jeden Fall.
Doch das waren alles nur Hirngespinste. Es gab keine Familie, keinen Mister Right, kein Haus mit Garten in irgendeinem Vorort. Es gab nur die Firma und mich. Und all die Angestellten, die darauf bauten, dass ich keinen Bockmist veranstaltete, damit sie alle ihre Jobs behalten konnten.
Dieser Punkt war der größte Druck in meinem Leben. Ich hatte wirklich immer Angst, es zu versauen.
»Mister Dawson, hier ist ihr Kaffee. Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.«
»Danke, Pieper. Das wünsche ich Ihnen auch.« Sie lächelte mich freundlich an und schwang ihren Hintern auffällig, während sie mein Büro wieder verließ. Zugegebenermaßen war sie eine sehr attraktive Frau, sofern ich das beurteilen konnte. Sie besaß eine gute Figur, ein wirklich herzliches Lächeln und ihre dunklen Augen mit den langen Wimpern ließen sie immer strahlen. Doch sie wusste in der Theorie, dass ich schwul war. Es schien nur nicht zu ihr durchgedrungen zu sein. Doch das kannte ich ja bereits.
Meinetwegen sollte sie mir schöne Augen machen, solange sie gut und zuverlässig arbeitete, war es mir vor allem eins: vollkommen egal.
Ich fuhr mir mit der Hand durch meine viel zu langen blonden Haare, die wahrscheinlich mal wieder einen Haarschnitt vertragen könnten, doch ich fand es ziemlich lässig, sie in einen Manbun zu binden, während ich diesen maßgeschneiderten Anzug trug, mit Turnschuhen verstand sich.
Man konnte mich einfach nicht in eine Schublade stecken, denn das mochte ich nicht und deshalb ließ ich es nicht zu.
Ich war nicht der aalglatte CEO, so wie es bei vielen meiner Kollegen der Fall war. Ich hatte Ecken und Kanten.
Gott, ich konnte mich noch genau an die Aufregung erinnern, als ich in meinem lässigen Aufzug bei einem Vortrag aufgetaucht war. Ich glaubte, sie hätten mich am liebsten des Saales verwiesen, doch ich war leider der Hauptredner gewesen. Ohne Krawatte, mit bunten Sneakers. Genau so, wie man dort nicht mal als Kellner auftauchen durfte.
»Was ändern meine fehlende Krawatte und die fehlenden Lackschuhe daran, dass ich der Beste auf meinem Gebiet bin und Sie jetzt an diesem Vortrag teilhaben lassen werde?« Genau so hatte ich begonnen. Genug Arsch in der Hose für solche Dinge besaß ich allemal.
Ich hatte die nötigen Eier, um mich durchzusetzen. Um alles durchzusetzen, was ich wollte. Und dazu musste ich verdammt noch mal nicht hetero sein. Es wurde nur endlich mal Zeit, dass das auch die alten Dinosaurier in diesem Geschäft verstanden, doch dort lag das größte Problem. Es gab wirklich immer noch Firmen, die nicht mit mir zusammenarbeiten wollten, weil ich nicht so »normal« war wie alle anderen.
Tja, schön, dass ich partout auch nicht mit diesen Firmen, aber vor allem nicht mit diesen Menschen zusammenarbeiten wollte.
Ich ließ einen Blick über meinen Terminkalender schweifen und nickte zufrieden. Nur angenehme Sachen. So mochte ich das.
Jetzt würde ich mir erst mal meine schöne heiße Tasse Kaffee schmecken lassen. Es war eine lange Nacht gewesen. Nicht weil ich so wild gevögelt hatte, sondern weil ich im Fitnessstudio meinen Körper zum Äußersten getrieben hatte.
Etwas, das ich ab und an brauchte.
Ich legte allgemein viel Wert auf eine gute Fitness, doch manchmal musste ich auch einfach spüren, dass ich noch lebte. Nach Tagen in der Firma, ohne viel Sonnenlicht und ohne viel Freizeit, was leider viel zu oft geschah.
Gut, dass Abhilfe in Form von Oliver und Shavonne, meinen beiden langjährigen Mitarbeitern, geschaffen worden war. Sie unterstützten mich seit ein paar Wochen in der Führungsposition, sodass einem Sommer auf meiner Jacht bald nichts mehr im Wege stehen würde.
Das Leben war zu schön, um es mit Arbeit zu verschwenden. Und mein Bankkonto war zu prall gefüllt, um es nicht in vollen Zügen zu genießen.
Meine Nacht war recht schlaflos gewesen.