Oh, mein Gott! - Maria Fischer - E-Book

Oh, mein Gott! E-Book

Maria Fischer

0,0

Beschreibung

Oh, mein Gott! Ein geflügeltes Wort, das nichts bedeutet - und doch alles ... Schreckliche Erlebnisse haben Marias Vertrauen in Gott und die Welt für lange Zeit zerstört. Tief verletzt, hungrig nach Liebe, hat sie Entscheidungen getroffen, die schlimmstes Leid nach sich zogen. Ihr Weg hatte auch sein Gutes: Durch Gottes Segen hat fast jede ihrer sogenannten "falschen Entscheidungen" im Leben vieler Menschen eine glückliche Wendung bewirkt. Dieses Buch ist unbequem. Es spricht zu Menschen, die sich nicht anmaßen, jemanden zu verurteilen. Menschen, die keinen Stein auf andere werfen. Gott hat Marias Herz, ihre Liebe und ihr Vertrauen wieder. Sein Werkzeug für die Menschen zu sein ist zum Sinn ihres Lebens geworden. Jetzt sieht sie den Ausruf "Oh, mein Gott!" in einem neuen Licht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 146

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Foto: Kerstin Nolden, 2017

...das Schwarzwaldmädel,

Försters Kind, Papas Prinzessin auf der Reise in die weite Welt…

Ihre packende

Lebensgeschichte verrät die

Autorin Maria Fischer auf den folgenden Seiten.

Viel Freude beim Lesen!

Kontakt: facebook-Seite „Oh, mein Gott!“

Vorwort

Über meine Cousine Maria wurde in unserer gutbürgerlichen Familie nur in Andeutungen gesprochen. Sie war immer unterwegs – sehr weit weg. Und wie das so ist, wenn jemand fort ist, war sie für mich eine geheimnisvolle, interessante Frau, die ich zu gerne kennengelernt hätte.

Absolut angenehm überrascht war ich, als sie bei einem Familientreffen plötzlich vor mir stand. In der Welt zu Hause, das Herz am rechten Fleck, umwerfend präsent, gradlinig, grundehrlich und direkt.

Eine Freundschaft ist entstanden, die ich nicht mehr missen möchte. Diese Biografie ist unser gemeinsames Werk. Maria, schön, dass es dich gibt!

Felicitas D. Noorollah Zadeh

Inhalt

1. Teil:

Unter der Fuchtel – mein Freiheitsdrang

2. Teil:

Die große Freiheit – ich gehe mit Gott

1. Teil „Unter der Fuchtel“ – mein Freiheitsdrang

Oh mein Gott, es kann kaum schlimmer kommen! Da sitze ich nun in Amsterdam im Fenster und biete meinen Körper an. Mein Mann auf der anderen Straßenseite gibt mir Zeichen, ich solle meinen Pullover nicht über die Knie ziehen. So muss also die Hölle sein! Ich erwarte nichts mehr vom Leben. Vollgepumpt mit Drogen und Whisky warte ich auf einen Kunden. Aber lass mich mal von vorne anfangen...

Episoden aus meiner Kindheit

Meine Mutter ist mit achtzehn Jahren unschuldig in die Ehe gegangen. Sehr bald hat sie drei Söhne geboren: Michael, Martin und Hubert. Nach fünf Jahren Pause kam ich im Freiburger Marienkrankenhaus zur Welt und nochmal fünf Jahre später das Franzele. Viel weiß ich nicht von ihm; er ist am Plötzlichen Kindstod gestorben und war dann einfach nicht mehr da...

Im Forsthaus in der Freiburger Wintererstraße war es sehr gemütlich. Wir hatten ordentlich Platz im Haus, im Garten und im angrenzenden Wald, und den nutzten wir mit Vergnügen.

Mein Vater Rupert Fischer war erst Jäger, dann Förster, Oberförster und schließlich Forstamtmann. Ich war Papas Prinzessin, fühlte mich von ihm geliebt und bei ihm geborgen. Zu meiner Mutter hatte ich ein eher kühles Verhältnis. Ganz früh lernte ich, wie ich meinen Papa um den Finger wickeln konnte. Als kleiner Knopf lief ich in den Ort, um im Krämerladen Opitz in Herdern Süßigkeiten zu holen. Zum Beispiel Lakritzstangen für 2 Pfennige das Stück. Geld brauchte ich keins. Ich hatte herausgefunden, dass ich die Süßigkeiten mitnehmen durfte, wenn ich sagte: „Forstamtmann Fischer zahlt.“ Einmal monatlich präsentierte Opitz meinem Papa dann die Rechnung. Irgendwann langte es ihm, und er bat den Ladenbesitzer: „bitte geben Sie dem Kind nichts mehr.“

Papa nannte mich Moggele. Das bedeutet so viel wie Bonbon. Oft gingen wir auf die Jagd oder streiften zusammen durch den Wald. Wir pirschten uns ganz nah ans Rotwild oder warteten geduldig auf dem Hochstand, bis die Rudel vorbeizogen. Papa wusste natürlich alle Baumnamen, konnte jedes Zwitschern, jeden Gesang dem Vogel zuordnen, lehrte mich die Namen von Gräsern, Pilzen und anderen Pflanzen, die Eigenheiten der Schmetterlinge und der vielen interessanten Wesen, die der Wald zu bieten hat.

Sein Bruder, der Bildhauer Alfons Fischer, hat den Rupert-Fischer-Brunnen gefertigt, der noch heute dort steht, wo einst mein Elternhaus war. Der Brunnen ist auf jeder Karte verzeichnet, die Touristen in Freiburg kaufen können.

Unser Garten war ein wildes, fruchtbares Paradies. Es gab alle Früchte, die man sich vorstellen kann: Beeren, Äpfel, Pflaumen, hell und dunkel, viele Gemüsesorten und Kräuter. Wir hielten Hühner und Gänse, konnten uns mit Eiern und Geflügelfleisch versorgen. Mutter hat nur Joghurt für ihre Diät und Reis gekauft. Alles andere war aus Eigenanbau und selbst gemacht.

Wenn ein Mädchen mit größeren Brüdern aufwächst, lernt sie entweder, sich durchzusetzen, oder sie geht unter. Ich machte jeden Streich mit und übertrieb ihn in der Regel noch. Außerdem war ich waghalsig und wenn es darum ging, Wettbewerbe auszutragen, interessierte ich mich nicht besonders für Einzelheiten.

Auf einem sehr steilen Hang hinter dem Haus sind wir Schlitten gefahren. Voller Energie zog ich den Schlitten den Berg rauf. Kaum saß ich, da raste ich schon den Steilhang runter. Dummerweise hatte ich meine Brüder nicht gefragt, wie man bremst. Also bin ich über die Straße gesaust und mit aller Wucht an einen Steinpfosten, der einen Gartenzaun abgrenzte. Ich bin ja unverwüstlich, aber den Schlag hab ich in Erinnerung behalten, und ich hab bei dem Aufprall die ersten Zähne verloren.

Wir hatten ein jüdisches Hausmädchen, Hella. Oma hatte sie mit vielen anderen in im Waldgasthaus St. Ottilien vor den Nazis und vor den Franzosen versteckt. Damals hatte sie veranlasst, dass die Waldarbeiter Bäume fällen, die sie quer über die Straße legten, damit die Verfolger keine Lust mehr hatten, die vielen Hindernisse zu überwinden. Aus Dank hat Hella uns eine junge Gazelle geschenkt. Sie war noch sehr klein, und ich habe sie mit Milch großgezogen. Damit das springfreudige Tier nicht davonlief, mussten wir einen zwei Meter hohen Zaun bauen.

Einmal ist eine Maus vom Hausdach gefallen. Ich habe sie gefangen, gewaschen, ihr Puppenkleider angezogen und sie in den Puppenwagen verfrachtet. Mein Bruder Michael hat die Maus einfach gepackt, sie auf den Boden gelegt und einen großen Stein darauf gedrückt. Ich bin nicht nachtragend, aber wegen dieser Sache war ich sehr lange sauer auf ihn.

Wenn wir Räuber und Gendarm gespielt haben, hat uns Mutter ein Tablett voll mit leckeren Marmeladenbroten gebracht. Was für ein Genuss, dieses selbstgebackene Brot und die selbst gekochte Marmelade zu essen! Ja, wenn man sich so erinnert, sieht es wirklich so aus, als seien wir in einer heilen Welt aufgewachsen.

Meine erste Erfahrung, die mich tief erschüttert hat, war, als ich ungefähr sechs Jahre alt war. Mein Vater hatte Waldarbeiter eingestellt, die für die Baumschule zuständig waren. Wenn sie Pause hatten, hat einer der Männer mich zur Gruppe gelockt, hat mich auf den Tisch gesetzt und mir ein leckeres Wurstbrot gegeben. Dann hat er meinen Rock hochgezogen und hat mich an den Beinen und im Schritt gestreichelt und geleckt – zur Belustigung der anderen. Ich habe gespürt, dass das unnatürlich war. Ich fand es so eklig und habe mich geschämt, aber damals habe ich mich nicht getraut, etwas zu sagen. Glücklicherweise hat mein Vater das zufällig mal gesehen, und er hat die Leute auf der Stelle entlassen. Wäre mein Papa nicht so ein gottesfürchtiger Mann gewesen, hätte er bestimmt sein Gewehr geholt und den Mann erschossen, so wütend sah er aus!

Unser erster Fernseher war die Familien-Attraktion! Allerdings durften wir nur abends die Nachrichten anschauen und mussten dann ins Bett. Wenn wir Kindersendungen oder schöne Serien anschauen wollten, haben wir uns Süßigkeiten geholt und sind zum Fernsehen zu den Nachbarn gegangen. Doof war nur, wenn unser Stamm-Nachbar nicht da war. Dann mussten wir unser Glück an anderen Türen versuchen.

Nach dem Mittagessen legten sich unsere Eltern zum wohlverdienten Mittagsschlaf hin. Währenddessen hatte immer einer von uns den Spüldienst, der andere trocknete ab und wieder ein anderer räumte das Geschirr in Schränke und Schubladen.

Das war gut organisiert, aber einmal wollten alle den Abwasch machen und niemand die anderen Aufgaben. Ich war körperlich zu klein, um mich gegen meine großen Brüder durchzusetzen. Also schmetterte ich vor Wut einen Mörser in das Küchenfenster.

Hubert, der schon immer sehr lösungsorientiert und verantwortungsvoll war, hat sofort den Rahmen ausgebaut und ihn in den Hühnerhof gestellt. Ich sollte das restliche Glas vom Rahmen lösen.

Allerdings habe ich nicht darauf geachtet, dass überall Glas verstreut lag. Wie es so kommen sollte, lag eine große Scherbe zwischen meinen Füßen, und dann passierte es: ich habe mir mit dem linken Fuss die Scherbe voll in den rechten Fuß gestoßen. Ich hab geschrien wie am Spieß, so dass Papa aus dem Schlaf gerissen wurde.

Das Blut hat gespritzt, und Papa hat mir den Fuß ganz schnell verbunden. Dann ist er mit mir ins Krankenhaus gefahren. Da war was los! Die Arterie und die Sehne vom großen Zeh waren durch. Na ja, wenn ich Mist mache, dann aber richtig! Die Narbe und der steife Zeh erinnern mich heute noch daran!

Bella war unser Jagdhund. An einem heißen, unerträglich schwülen Tag hat sie mich durch den Wald begleitet. Plötzlich hat sie wie verrückt gezogen und hat mich schneller als je zuvor nach Hause gebracht. Kaum war ich in Sicherheit, ist ein höllisches Gewitter losgegangen, bei dem viele Bäume umgestürzt sind. Als ich das Chaos durchs Fenster beobachtete wurde mir klar, dass sie mir das Leben gerettet hat.

Als Papa in den Innendienst versetzt wurde, hat er Bella weggegeben. Mir hat man gesagt, sie sei in Ferien. Ich habe sie nie wieder gesehen.

Nein Moggele, noch nicht, aber bald

Mama hat ihren Brustkrebs besiegt. Fünf Jahre später die niederschmetternde Diagnose: Gebärmutterkrebs! Als sie im Dezember gestorben ist, war es keine größere Katastrophe für mich. Ich hatte ja noch meinen geliebten Papa.

„Papa, bin ich jetzt ein Waisenkind?“, habe ich ihn gefragt.

„Nein Moggele, noch nicht, aber bald.“

Damals war mir nicht klar, wie bald er von mir gehen würde. Ich hielt ihn für unsterblich, auch wenn er schon damals schwerkrank war. Aber ihn zu verlieren, das konnte ich mir nicht vorstellen.

Umso mehr Gedanken machte sich Papa über meine Zukunft. Er wollte mich gut aufgehoben wissen, wenn er nicht mehr war. Nach dem Tod meiner Mutter meldete er mich im Internat an, im Franziskanerkloster Bonlanden bei Biberach an der Riss.

Rebellion

Ein neuer Lebensabschnitt begann. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen dagegen. Ein junger Mensch mit unbezähmbarem Freiheitsdrang. Alles war nur ein „Muss!“ Jeden Morgen musste ich in die Kirche, musste beten, musste an Gott glauben, musste mich wie ein anständiges Mädchen benehmen und so weiter.

Um hier rauszufliegen, musste ich drei böse Dinge tun – für mich die leichteste Übung. Dumm war nur: Papa hatte vorgesorgt und für drei Jahre im voraus bezahlt. Also blickten die gestrengen Schwestern milde aufs Mariechen und bewachten sie besonders gut.

Ich war in der Falle. Je fürsorglicher mich die schwesterlichen Arme umklammerten, desto panischer wurde ich. Mehrmals bin ich ausgerissen – und wieder eingefangen worden. Dann hab ich auf dem Klo geraucht, aber auch das wurde mir vergeben. Lauter schlimme Sachen, aber keine führte zum ersehnten Rausschmiss.

Also wurde ich Stammkundin bei einem Zahnarzt in Biberach. Ich hatte höllische Angst vor den Terminen – und trotzdem war jeder einzelne ein Highlight. Zwar wurde ich hingebracht und abgeholt, aber der Geruch der Stadt, die Menschen, Autos, der Hauch von Freiheit und Leben war jedes Opfer wert. Abends war es wieder still um mich. Katholische, meditative Ruhe im Internat für Höhere Töchter.

Ihre ersten Ferien mit ihrem geliebten Papa genoss Prinzessin Maria zunächst unbeschwert. Ich sonnte mich in seiner liebevollen, uneingeschränkten Zuwendung. Mein Temperament und meine hohen Ansprüche müssen ihn in seinem Zustand viel Kraft gekostet haben. Gleichzeitig richtete ihn die gemeinsame Zeit auf.

Mein Vater litt unter dem von-Hippel-Lindau-Syndrom, einer Erbkrankheit, an der schon Opa gestorben war. Nachdem Papa an einem Hirntumor operiert worden war, musste ihm eine Niere entfernt werden. Als die Sommerferien zu Ende waren und ich ins Internat zurück musste, wurde mir plötzlich klar, wie schlimm es um ihn stand.

Kaum drei Monate später sitze ich wieder im Zug nach Freiburg. Ich habe Angst. Papa ist im Krankenhaus. Seine zweite Niere ist jetzt auch befallen, und er wird zusehends schwächer. Die Ärzte sagen, es geht zu Ende. Trostlos jagt die graue Landschaft an mir vorbei. Unaufhaltsam wie das Schicksal. Der Regen peitscht an die Fenster. Es ist kalt, zugig.

„Moggele...“, Papa lächelt schwach und richtet sich auf. Zärtlich streichle ich über sein Gesicht, gebe ihm einen Kuss auf die Stirn. Mein Herz blutet, wenn ich ihn so sehe. Im reinweißen Bett, das kaum blasser ist als er selbst. Ich weiß, dass es diesmal ein Abschied für immer ist.

Mein Elternhaus ist leer, fremd, beklemmend. Papas Zustand ist unverändert, und ich muss zurück nach Biberach.

Mein allerschlimmster Verlust

„Nein!“ Ich kann es nicht fassen. Alles ist nur noch schlimm. Ich starre die Oberin an. Das Gebetsbildchen in ihrer Hand. Ein Stück Papier, mit dem sie mich trösten will.

„Mariechen...“

Ich habe keine Worte. Trauer, unbändige Wut, Schmerz, der mein Herz zerreißen will. Die unbeholfene Oberin. Selbstvorwürfe. Warum war ich nicht noch die paar Stunden bei Papa geblieben? Ich will weg, alleine sein – nein, ich will zu Papa...

Beerdigung in Freiburg. Ich weiß nicht, wie ich hier her gekommen bin. Wie ein Albtraum verfolgt mich die schreckliche Stunde nach meiner Ankunft in Biberach. Man hatte mich vom Bahnhof abgeholt und ziemlich wortkarg direkt ins Büro der Oberin gebracht.

Gehorsam hatte ich mich gesetzt, und sie hat mir ein Gebetsbildchen gezeigt, auf dem eine Hand abgebildet war.

„Das ist Gottes Hand“, hat sie gesagt. „Er ist unser Heiland. Du musst immer wissen, dass das dein Papa ist, der dich fest hält in deinem Leben.“

„Ich habe einen Papa, und ich komme gerade von ihm.“

„Nein, dein Papa ist eben gestorben. Du musst zurück nach Freiburg fahren.“

Alle reden von Gott. Einem liebevollen, gütigen Vater, der immer unser Bestes will. Ich weine, schreie. Mein Inneres ist eiskalt und gleichzeitig brennt der Schmerz unerträglich! Ich kann Gott nicht spüren, nicht seine Liebe, von der dort vorne der Pfarrer predigt. Gott ist kein Ersatz für Papa. Niemals!

Onkel Robert war der letzte, der mit Papa gesprochen hat. Genau so ungeschickt wie alle anderen versucht er mich zu trösten.

„Papas letzte Worte waren für dich. Ich soll dich grüßen und gut auf sein Moggele aufpassen. Jetzt werd' halt ich dich Moggele nennen.“

Das war zu viel für mich. Ich hab ihn geschlagen und angeschrien: „dieses Wort ist für mich gestorben! Lass mich in Ruhe, lasst mich alle in Ruhe!!!“

Papas Liebe war nicht mehr. Mit seinem Tod ist ein großer Teil von mir gestorben. Zerbrochen. Für immer weg. Ich habe alles verloren, was mir lieb war: meinen Papa, mein Zuhause, meine heile Welt, meine schöne Jugend, Papas starken Schutz, meinen Hund... In dieser Zeit habe ich „zugemacht“. In offener Rebellion gegen den Rest der Welt.

Als dann noch mein Elternhaus, mein geliebtes Forsthaus, wegrationalisiert und abgerissen wurde, verschloss ich mein Herz ganz. Die schönen Erinnerungen kann mir keiner nehmen, aber niemand durfte mir in Zukunft zu nahe kommen. Mit fünfzehn Jahren sah ich nur noch das Negative. Zwei Jahre musste ich noch im Internat aushalten, dann kam ich wieder zurück nach Freiburg.

Zucht und Ordnung

Unsere Großeltern hatten uns aufgenommen. Zwei disziplinierte Menschen mit ausgeprägtem Kontrollzwang. Besonders Oma. Als Mädchen, und dazu noch ein widerspenstiges, stellte ich von vorn herein ein erhöhtes Sicherheitsrisiko dar. Damit ich ihnen keine Schande machte, war mein Tag minutiös organisiert. Ständig war ich rechenschaftspflichtig. Jeder Weg, jeder Termin, jede Busfahrt wurde sorgfältig dokumentiert, und sollte ich mich auch nur ein paar Minuten verspäten, war der Teufel los.

Sie lebten in gehobenem Wohlstand. Ihnen gehörten das Gelände am Sandfang, die Waldgaststätte in St. Ottilien mit einem großen Grundstück, das Areal des heutigen Strandbads und das Haus, in dem wir von nun an wohnten. Im dritten Stock hatten wir Geschwister eine gemeinsame Wohnung. Ich bekam ein kleines Zimmer, die ehemalige Küche.

Nachdem ich die Zeit im Internat mehr oder weniger unbeschadet überstanden hatte, sollte ich was Anständiges lernen. Wie langweilig! Mich hat keiner gefragt, was ich gerne machen wollte. Keinen interessierte es, meine Talente und Stärken zu entdecken. Ich sollte was schaffen, damit ich gefordert war und nicht auf dumme Gedanken kam. Für sie war es wichtig, dass ich nach der Lehre ein Papier in der Tasche hatte. Ich hatte einen Hauptschulabschluss und eine hauswirtschaftliche Ausbildung mit Handelsschule. Ein gutes Fundament für einen soliden Beruf.

„ohn-mächtig“

Drei Jahre lernte ich in der Konditorei bei meinem Onkel Robert Schmidt hinterm Freiburger Hauptbahnhof. Oma hat jede meiner Bewegungen kontrolliert, was mir die Luft zum Atmen nahm. Die Arbeit war sehr anstrengend und der ständige Druck, nach Dienstschluss sofort nach Hause zu müssen, war kaum auszuhalten.

Beim Kaffeeservieren kippte ich das erste Mal um. Aus heiterem Himmel. Im Krankenhaus wachte ich wieder auf. Die Ärzte haben ein Blutgerinnsel gefunden, das man nach ihrer Aussage nicht behandeln konnte. Je größer die Kontrolle von außen wurde, desto weniger hatte ich mein eigenes Leben, meine Gesundheit im Griff. Ich war im wahrsten Sinn des Wortes „ohn-mächtig“. Das Gefühl, in ein tiefes Loch zu fallen, bedrängte mich immer öfter. Die Ohnmachtsanfälle dauerten immer länger. Fünf bis zehn Minuten waren mittlerweile „normal“.

Niemand kannte die Ursache, und beeinflussen ließ sich das schon gar nicht. Einmal bin ich sogar vor die Straßenbahn gefallen, die gerade noch bremsen konnte! Es war richtig gefährlich.

Als die Schulmediziner nicht mehr weiter wussten, wurde ich für drei Monate in die Psychiatrie eingewiesen. Ich weiß noch genau, wie wir dort im Fernsehen die Übertragung der ersten Mondlandung angeschaut haben.

Ferien am Bodensee. Ich war ein kleines Stück rausgeschwommen, als ich wieder bewusstlos wurde. Ein junges Mädchen war mein rettender Engel. Sie hat mich über Wasser gehalten und an Land gebracht. Später hat sie dafür von der DLRG eine Medaille bekommen.

Das beste aber war, dass die Eltern des Mädchens eine Frau kannten, die Heilerin in Dornbirn, Vorarlberg hinter Bregenz war. Sie versicherten mir, dass das keine esoterische Zauberei war und dass die Heilerin bereits vielen Menschen geholfen hatte.