Ömmes auf der krummen Straße - Klaus Blochwitz - E-Book

Ömmes auf der krummen Straße E-Book

Klaus Blochwitz

0,0

Beschreibung

Meine Geschichte spielt in dem Zeitraum Kriegsende bis zur Wiedervereinigung mitten im Kohlenpott. Mit all ihren so unterschiedlichen Menschen, ihren Sorgen, ihren Überlebenswillen. Langsam ging es mit den Menschen von der krummen Straße aufwärts. Dann begann die Ära der Zechen Stilllegungen.....

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 618

Veröffentlichungsjahr: 2015

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Klaus Blochwitz

Ömmes auf der krummen Straße

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Impressum neobooks

Kapitel 1

Am frühen Morgen schlurfte Herbert aus dem Haus. Er hatte mal wieder einen Job gefunden, Herbert war froh darüber und gleichzeitig stinksauer, dass ihn die Arbeit so kaputt machte.Obwohl er als ehemaliger Bergmann harte Arbeit gewohnt war, fiel ihm diese Arbeit wirklich schwer.

Ach, Scheiße, dachte Herbert, Hauptsache ist doch, dass die Olle mal nichts zu meckern hatte, weil ich keinen Job habe. Die Frau begreift einfach nicht, dass man in meinem Alter keine Chance mehr auf eine normale Arbeit hat. Wäre bloß der alte Pütt noch da,dachte Herbert bitter, was ging es mir damals gut. Arbeit satt und dickes Geld in der Tasche. Mit den Kumpels durch die Straßen gezogen und die Ischen angemacht. Mensch, was hatten wir jungen Kerle Geld verdient – und heute? Heute haben wir einen sauberen und blauen Himmel über uns, abe keine Maloche.

Mann, war das damals eine Schau, als er seine Elli kennen lernte, er, der immer ein bisschen im Abseits stand, wenn es um Mädchen ging. Sicher, er war kein Supermann,spindeldürr war er und mit flotten Sprüchen hatte er es auch nicht so drauf. Aber irgendwie kam er mit Elli zusammen und seine Kumpels staunten anfangs nicht schlecht,Herbert und Elli, wer hätte das gedacht. Denn Elli war zu der Zeit so das Mädchen überhaupt, schick, ein bisschen kess, ein einhunderttausend Volt Wirbelwind.

Was haben die beiden für verrückte Sachen angestellt, so dass selbst seine Freunde meinten, allen voran Wilhelm, sie sollten es mal etwas ruhiger angehen lassen.

Den Bogen hatten Herbert und Elli dann mit ihrer Tramp-Tour nach Italien überspannt. Herbert hatte einfach sein Zelt und ein paar Klamotten eingepackt, Elli ebenso und ab ging es Richtung Süden.

Vom Gardasee schickten die beiden Ansichtskarten, von Rimini, von Genua und Alassio,eine noch aus der Schweiz und schon waren sie wieder zuHause.

Jetzt bekamen die beiden Ärger mit ihren Eltern;Hermann und die anderen schüttelten nur im stummen Erstaunen die Köpfe.

Stubenarrest, Elli durfte Herbert vorläufig nicht sehen, das ganze Geld zu Hause abgeben – so etwas gab es damals noch. Mann, oh Mann, was ist bloß aus seiner Elli geworden, gerade mal zehn Jahre verheiratet und man hat nichts als Ärger mit seiner Frau.

Es fing eigentlich schon kurz nach ihrer Hochzeit an, irgendwie war Elli immer mit allem unzufrieden, ständig sprach sie von der verrückten Zeit, da war was los gewesen, da hatte man noch Spaß, aber was ist jetzt? JedenTag zur Arbeit, Essen kochen, putzen, waschen.

Nein, dachte Herbert, so hatte er sich das verheiratet sein nicht vorgestellt. Dabei wollte Elli unbedingt heiraten, Herbert lachte immer und sagte zu ihr: „Mädchen, wir heiraten bestimmt, aber wir sind noch so jung, lass uns die Zeit genießen.“

Als sich dann der Nachwuchs einstellte, hoffte Herbert, dass es mit ihrem ersten Kind besser wird. Aber es blieb, wie es war, es wurde eher noch schlimmer. Elli war und blieb mit ihrem Leben einfach unzufrieden, keiner wusste, was mit der Frau passiert war.

Früher kochte hier das Leben, es war dreckig, laut und sicher auch ungesund, aber die Menschen konnten sich was leisten, bauten sich ihr Häusken und tranken ihr Bierken und konnten in den Urlaub fahren. Bella Italia, jeder Kumpel konnte da mitreden.

Herbert strampelte auf seinem alten Fahrrad zur Firma und hing seinen Gedanken nach. Auf Ickern war es, als er mit seinen Kumpels die Gegend unsicher machte. Wenn Samstag keine Schicht war, trafen sich alle in Renates Tanzschuppen und schwoften und soffen bis zum Umfallen. Die Mädchen kreischten und taten auf vornehm und verschwanden ruckzuck mit den jungen Kerlen um die Ecke.

Jupp und Karl hatten was mit zwei Schwestern angefangen, die eine von denen hatte ein Auge, ein sehr ernstes Auge, auf Jupp geworfen, aber Jupp lachte nur und dachte gar nicht daran, etwas ernstes daraus zu machen. Je mehr das Mädchen versuchte, den Jupp an sich zu binden, umso mehr flitzte Jupp durch die Mädchen.

Herbert schüttelte ob solchen Glückes nur mit dem Kopf, das müsste ihm auch mal passieren. Aber bei ihm lief es meistens so, dass, wenn er mal ein Mädchen kennen lernte, schon ein anderer Kerl da war und er dann im Regen stand. Die anderen Jungs hatten einfach einen besseren Dreh drauf als er. Er war nicht unbeliebt oder gar ein Außenseiter, in seiner Clique war er voll drin, auch mit den Mädchen hatte er keine Probleme,solange sie alle zusammen in der Gruppe waren. Aber mit einer Verabredung haute es einfach nicht hin, die anderen waren immer schneller als er. Bis es mit Elli schnackelte, keiner wollte oder konnte es glauben, Herbert und Elli?

Aber die beiden wurden ein Pärchen, allen Unkenrufen zum Trotz. Es fing eigentlich ganz normal an mit den beiden, die üblichen Verabredungen, Kinobesuche, treffen mit der Clique, rumhängen mit allen an der alten Parkbank. Fast unmerklich veränderte sich dann das Verhalten von Elli und Herbert, die ersten Sachen wurden von den beiden durchgezogen, was beiden anderen ungläubiges Staunen hervorrief.

Elli machte in dem Brunnen auf dem großen Platz mitten in der Stadt die schwedische Filmschauspielerin nach, was natürlich den Unwillender Passanten auslöste und die Polizei auf den Plan rief. Klatschnass und laut lachend fuhren sie auf Herberts Moped weg, zu Hause wartete schon die Polizei!

Kaum war die Geschichte vorbei, brachten die beiden den nächsten Klops. Sie hatten ein paar Bierflaschen dabei und setzten sich damit in eine Milchbar. Der Bedienung sagten sie, sie wollten nichts bestellen, sie hätten richtige Getränke dabei!

Herbert und Elliwaren schon ein Kapitel für sich. Selbst die härtesten Strafen ihrer Eltern bremsten die beiden nicht, sie waren außer Rand und Band. Das einzig Gute war bloß, dass beide ihrer Arbeit nach gingen.

Herbert quietschte auf seinem Fahrrad um die Ecke, als er angerufen wurde: „Heute Abend bei Ömmes?“

Grüßend hob Herbert den rechetn Arm.

Schnaufend und stöhnend schleppte Herbert die Schweinehälften vom Tiefkühllader ins Kühlhaus, die Viecher waren beinhart gefrorenund ließen sich ganz schlecht packen, die rutschten immer wieder von der Schulter, dass war eine Scheiß-Plackerei.

Ein Arbeiter gab Herbert dann einen Metalllappen, mit kleinen Haken auf der Oberfläche. Mit einer Schlaufe konnte dieser Metalllappen um den Hals gelegt und befestigt werden. Die halben Schweine waren immer noch Scheiße schwer und saukalt, aber jetzt rutschten sie nicht mehr von seiner Schulter.Es ging so jetzt etwas einfacher für Herbert.

Endlich konnten sie Pause machen, ein heißer Topf Kaffee und eine Stulle, was tat das gut. Gequatscht wurde während der kurzen Pause über alles und nichts, selbst der kleine, aber bullige Spanier gab seinen Teil dazu.

„Noch zwei Stunden“, stöhnte Herbert, als er beim Reinschleppen der halben Schweine an der großen Uhr vorbei lief. Ich fress’ nie mehr im Leben was von Schwein, dachte er grimmig, was mich die Viecher quälen.Aber dann musste er laut lachen, was wären wir damals froh gewesen, wenn wir das Schweinefleisch zu essen gehabt hätten,was ich heute noch nicht mal mitnehme, weil es für uns mittlerweile zu fettig geworden ist. Ab und zu nahm Herbert mal ein Eisbein oder schon mal ein paar Koteletts mit im Personalkauf.

Manchmal fragte einer der Nachbarn, ob er etwas mitbringen könnte, vor allem während der Grillzeit waren die Koteletts, Holzfäller Steaks, Würstchen und Spießchen sehr begehrt und sie waren preiswerter als beim Metzger.

Herbert holte für heute die letzten Schweinehälften ins Kühlhaus,freute sich auf die warme Dusche und auf seine Kumpels heute Abend und hoffte, dass seine Frau spät genug nach hause kam, damit er ohne Palaver verschwinden konnte.

Rudi hatte das Haus direkt neben Herbert und im Laufe der vielen Jahre hatte sich so etwas wie eine gute Nachbarschaft entwickelt. Anfangs taten sich die Anwohner der krummen Straße schwer mit Rudi, er war ihnen irgendwie fremd. In Rudis Haus wohnte vorher ein allseits beliebtes Ehepaar, Günter und Beate, aber Günter starb und Beate zog zu ihrer Tochter ins Bergische.

Günter war ein alter Hauer und seine Kumpels wohnten alle in der nächsten Umgebung in der krummen Straße. Die Grillsamstage von Beate waren rings um sehr beliebt und keiner fehlte dabei. Und dann war mit einem Schlag alles zu Ende, Günter weg, Beate weg und dafür kam dann wenig später Rudi. Er stellte sich bei seinen Nachbarn vor, aber jeder ließ den Krawatten Träger spüren, dass alle auf ihn verzichten können.

Kapitel 2

Rudi aber ging in seiner ruhigen Art an die Arbeit und brachte das Haus von Günter und Beate langsam, aber sicher in Ordnung.

Eines Tages klopfte Rudi bei Herbert an und fragte höflich, ob er ihm im Haus helfen könne,wenn es seine Zeit erlaube, denn alleine käme er nicht mehr weiter. Herbert zögerte nur einen ganz kurzen Moment und ging dann mit nach nebenan. Herbert rief dann noch Jupp und Karl dazu, abends saßen die Männer bei einer Flasche Bier zusammen. Die drei Männer versprachen Rudi, am Wochenende weiter zu helfen, Samstag morgen kämen sie rüber.

Die Häuser in der krummen Straße waren vom Grundriss her alle gleich, von der Straße aus gesehen war links neben einem Vorbau, in dem sich die Küche befand, der Eingang.Es ging drei Stufen hoch und man betrat einen kleinen, überdachten Vorraum. Hier wurden früher die Schuhe ausgezogen und abgestellt.

Rechts war dann die Eingangstür, dahinter befand sich der Flur mit dem Treppenhaus zur ersten Etage und in den Keller, rechts war die Küche, links kam man ins Wohnzimmer und vom Wohnzimmer ging eine Tür zum Schlafzimmer.

In der ersten Etage befanden sich je nach dem drei kleinere oder zwei größere Zimmer.

Hinzu kam der Dachboden.

Die Küche hatte Rudi selbst fertig gemacht, aber die Wand zwischen Wohn-und Schlafzimmer konnte er nicht allein abbrechen. Oben hatte er das eine Zimmer zu einem schönen Bad umgebaut und die beiden anderen Räume zu einem größeren Schlafzimmer.

Als Rudi seine Umbauten den Männern zeigte, war vor allem Herbert baff, weil er gerade dem Krawattenträger das eigentlich am wenigsten zugetraut hatte.

Samstagmorgen kamen die drei Männer wie zugesagt,wenig später traf auch noch Hans ein. Die Männer stützten die Decke ab und schlugen anschließend die Wand heraus.Der Bauschutt wurde hinaus gebracht und die Männer verabschiedeten sich dann am frühen Abend von Rudi.

Rudi machte noch gründlich sauber, ging unter die Dusche und dann zu Ömmes.

Am nächsten Wochenende bauten die Männer an der Stelle der heraus gebrochenen Wand links und rechts einen Mauersockel hoch und ein paar Tage später legten sie den schweren, massiven Balken darauf. Hans fragte Rudi sehr interessiert nach der Herkunft des Balkens.

Die Stützgerüste wurden entfernt und alle staunten über den großen Raum, der jetzt entstanden war.

Rudi stellte den Männern einen Kasten Bier hin und sagte: „Ich habe für uns etwas zu essen bestellt.“

Alle nickten erfreut.

Herbert fragte Rudi, was er jetzt noch weiter vorhabe; der Boden müsse raus und dann wolle er Fliesen legen. Aber damit müsse er sich noch beschäftigen, weil er davon absolut keine Ahnung habe.

Herbert nahm Rudi ein wenig zur Seite und schilderte in kurzen, knappen Worten die Situation von Jürgen. Der könne jeden Pfennig gebrauchen und wenn er ein paar Mark für Jürgen übrig hätte, würde der ihm den Boden machen und die Fliesen prima verlegen. Rudi nickte hoch erfreut und erleichtert: „Klar, machen wir so!“

Sonntagmorgen klopfte Rudi bei Jürgen an, dessen Frau öffnete und fragte ziemlich unhöflich, was anliege. Jürgen kam auch an die Tür und Rudi trug sein Problem vor. Jürgen nickte schon: „Können wir uns das mal ansehen?“, und griff nach seiner Jacke.

Sie gingen das Stück Straße runter bis zu Rudis Haus. Er erzählte Jürgen, wie ihm seine Nachbarn schon geholfen hatten und auch Jürgen bot sich sofort an. Rudi öffnetedie Haustür und Jürgen war ebenfalls baff, als er den großen,leeren Raum sah. Interessiert schaute er sich die Konstruktion unter der abgefangenen Decke an und fragte genau wie Hans nach dem Balken.

„Die alten Dielen müssen raus“, sagte Jürgen, „und dann muss eine Schüttung in die Zwischenräume,Estrich drauf, wenn der trocken ist, kann ich anfangen zu fliesen.“

Rudi verstand nicht viel und nickte zu allem.

Jürgen fragte Rudi nach dem Material. „Muss noch gekauft werden.“

„Soll ich das erledigen?“, schlug Jürgen vor. „Das wäre prima.“

Rudi holte seine Brieftasche und gab Jürgen ein paar Scheine. „Du bekommst eine Rechnung und dann verrechnen wir das Geld.“

Abschließend fragte Rudi bei einer Flasche Bier, was er für die Arbeit bekomme. „Du wirst mir schon genug geben“, antwortete Jürgen.

So kam Rudi langsam in der Zechen-Siedlung an.

Ein paar Wochen später hatten Jürgen und Hans auch ein paar schöne Balken von Rudi bekommen.Auf dem Weg zu Ömmes gesellten sich zu Jürgen Hans und Wilhelm dazu. Am Stammtisch saßen schon Franz und Beate,

Beate begrüßte alle mit einem lauten und freundlichen „Hallo“.Der Rest ging im allgemeinen Lärm unter. Ömmes brachte Pils und zwei Wacholder an den Tisch, begrüßte die neu hinzu gekommenen Gäste und wünschte einen schönen Abend

Hermann machte sich mit seinem Lieblingsthema Tauben bemerkbar und obwohl eigentlich keiner so richtig hinhörte,palaverte er über seine Tauben weiter.

Rudi kam hinzu, nickte freundlich in die Runde, trank einen Schluck von seinem Pils, was Ömmes gewohnheitsmäßig schon an den Tisch gebracht hatte. Beate saß schräg gegenüber von Rudi, sie beobachtete ihn intensiv. Franz bemerkte es und kicherte. Rudi schaute ihn etwas irritiert und fragend an: „Is’ was?“ Franz wehrte ab und grinste zu Beate rüber, Beate grinste zurück und war kein bisschen verlegen. Sie wandte sich jetzt direkt an Rudi, mit einem gekonnten Augenaufschlag sagte sie: „Dich würde ich sofort nehmen.“

 „Das ist nett von dir“, strahlte Rudi Beate an,„aber wir lassen es besser so wie es ist.“

Franz dachte an die vielen Frauen Bekanntschaften von Rudi und nickte innerlich zustimmend. Rudi ist schon einer.

Nach dem er das Haus von Günter und Beate gekauft und richtig gut renoviert hatte, fing er an, Frauen mit zu bringen und was für Frauen, das waren schon Hingucker. Einige kamen für ein paar Wochen, andere nur ein Wochenende, einige kamen mit ihrem eigenen Wagen und andere zu Fuß oder mit dem Fahrrad,aber immer waren es schicke Frauen.

Hermann kam mit seinem Thema Tauben nicht so richtig durch und versuchte es jetzt mit Fußball, aber anscheinend hatte heute auch keiner Bock auf Fußball. Hermanns Gemurmel ging langsam unter, nichts sagendes Reden machte die Runde. Ömmes brachte Pils und Wacholder und dann sagte Franz plötzlich: „Ich mach langsam Schluss!“

Alle Köpfe drehten sich zu Franz und fragten erstaunt, ob er schon genug habe?

Franz nickte, er habe morgen einen anstrengenden Tag.

Die Gespräche rund um den Stammtisch verstummten,jeder hing seinen Gedanken nach.

Franz drehte das Pilsglas und ihm kam sein beruflicher Anfang in den Sinn.

Nach seiner Lehre wurde er sofort von seinem Chef als Jungverkäufer übernommen. Innerlich musste er lachen, war das ein Spektakel auf der krummen Straße, als er zum ersten Mal mit seinem Firmenwagen nach Hause kam. Die ganze Nachbarschaft lief zusammen und bestaunte sein Auto.

Dabei war das Auto wirklich nichts Besonderes. Ein kleines, sehr einfaches Nachkriegsauto, aber immerhin!

Mit seinem kleinen Fahrzeug löste er einen wahren Boom aus. Jeder war plötzlich wild auf ein Auto und alle kauften natürlich ihren fahrbaren Untersatz bei Franz, so dass er nach und nach jedem von der krummen Straße einen PKW verkaufte.

Der eine oder andere fragte Franz noch nach einem Campinganhänger. Auch das konnte er zur Zufriedenheit erledigen Mit diesem prima Geschäft konnte er damals schon früh das Haus seiner Eltern kaufen und auch schon ein bisschen renovieren. Franz hatte weiterhin mit dem Verkauf von Autos viel Erfolg, aber er blieb immer auf dem Teppich, er war sogar einer der letzten,die in Urlaub fuhren.

Denn alle Welt fuhr nach Italien!

Franz seufzte tief auf, trank den Rest aus dem Pilsglas und verabschiedete sich.

Der Stammtisch löste sich jetzt auch langsam auf, es war immer so gewesen, Franz hatte sein Autohaus, Wilhelm war Lehrer und Herbert und Jürgen hatten ihre  Olle.

Nach einem verregneten Wochenende, es hatte so geplästert,dass man kaum einen Wagen auf der Straße sah, geschweige denn einen Fußgänger, sah Herbert, wie Wilhelm seinen Kleinwagen aus der Garage auf die Straße fuhr, er hob die Hand zum Gruß, als er Herbert sah.

Im Vorbeifahren erhaschte Herbert einen Blick auf die Geige, ohne die Wilhelm selten unterwegs war. Sicher hatte Wilhelm wieder Musikunterrichtin der Schule, dachte Herbert so bei sich. Wilhelm ging voll und ganz in seinem Beruf auf, er war Lehrer mit Leib und Seele. Er paukte nicht nur den Stoff durch, er war wirklich für seine Schüler da und natürlich für seine Familie.

Eigentlich fiel ihm keine Familie ein, die so harmonisch zusammen lebte. Wilhelm wohnte mit seiner Familie im Haus seiner Eltern. Für sie hatte Wilhelm einen schönen Anbau am Haus Richtung Garten bauen lassen,mit Durchgangstür zum Haus. Abends saßen, wann immer es möglich war, alle Hausbewohner zum Essen beisammen. Oft hatten sie Besuch,Wilhelm pflegte geschickt den Kontakt zu seiner und Hildegards Familie, so dass sich keiner benachteiligt fühlen konnte oder musste und alle kamen gerne.

Herbert machte sich auf den Weg zum Schlachthof, mit schaudern dachte er an die kalten, halben Schweine. „Du siehst aus, als wenn du den Deibel gesehen hättest“, wurde er angesprochen. Er sah hoch und schaute in die blauen Augen von Hans.

„Da hast du völlig Recht“, antwortete er, „ich brauch bloß an die kalten Schweine denken, dann habe ich meinen Deibel!“

„Kann ich gut verstehen“, nickte Hans,„hast du immer noch keine vernünftige Arbeit gefunden?“

Pah“, schnappte Herbert, „wer gibt denn ’nem alten, ausgedienten Bergmann ’ne vernünftige Arbeit?“

Hans klopfte Herbert mitfühlend auf die Schultern.

„Und bei dir noch alles in Ordnung?“

„Ja“, nickte Hans, „noch hat der Chef genug Aufträge."  

   "Handwerk hat eben doch goldenen Boden.“

Hans wackelte dazu zweifelnd mit den Händen. „Wer weiß schon,was noch auf uns zukommt.“

„Ich habe keine Ahnung“,murmelte Herbert.

„Dann mach es mal gut. Wir sehen uns bei Ömmes.“

Als Herbert am Schlachthof ankam, erfuhr er als erstes, dass er seinen letzten Tag hatte, keine Arbeit mehr, er solle aber seine Telefonnummer hinterlegen, Papiere bekommeer nach Feierabend.

„Da fängt die Woche ja wieder prima an“, fluchte Herbert vor sich hin, „oh, Mann, was wird die Olle wieder meckern, da hat die wieder Polen offen, wenn sie hört, dass ich wieder keine Arbeit habe.“

In der Frühstückspause wurde Herbert von einem Kollegen angesprochen,wenn er wolle, könne er morgen mit ihm Kohlen fahren.Herbert fiel ein Stein vom Herzen, er hatte wieder Arbeit und keine Diskussionen mit der Frau und die Kohlensäcke sind wenigstens nicht so kalt wie die verdammten Schweinehälften.

Wilhelm war in der Schule mit Mathematik beschäftigt und obwohl ihn der Stoff mächtig beanspruchte, kamen immer die Gedanken um Herbert auf. Wie soll das bloß mit Herbert weitergehen, Herbert findet einfach keine vernünftige Arbeit,der geht noch daran kaputt und dann noch der ständige Knatsch mit seiner Frau. Was bloß die Elli gebissen hat?Wilhelm schüttelte seinen Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Mathematik.

Im Haus schräg links gegenüber von Herbert wurde mächtig malocht. Herman hatte seinen Bausparvertrag ausgezahlt bekommen und konnte jetzt endlich sein Haus umbauen.

Seit Jahren schwärmte er uns allen vor, wie er das Haus umbauen will, wenn das Geld erstmal ausgezahlt ist. Ein schönes, großes Bad, das Wohnzimmer soll von vorne bis hinten durchgehen,wie er es bei seinem Nachbarn gesehen hatte, mit einer schönen Essecke und als Clou einen Wintergarten.

Hermann musste den Wintergarten oft und immer wieder erklären und beschreiben, weil anfangs keiner so richtig was damit anfangen konnte.

Erst als Hans es auf einen einfachen Nenner brachte,haben es alle verstanden und dann war Ruhe. Jetzt endlich konnte Herman seinen Traum verwirklichen und alle gönntenes ihm und Brigitte, und halfen tüchtig mit.

Die beiden hatten so ein bisschen die Rolle von Günter und Beate übernommen,ihre Grillpartys waren bekannt und immer gut besucht. Jetzt konnten sich alle revanchieren, ohne dass Herman empört ablehnen konnte.

Einmal brachte Rudi aus absolut lauterenGründen Grillsachen und Getränke mit, da war die Hölle los.Herman und Brigitte waren tödlich beleidigt und nur nach langem beruhigen konnte es wieder gerade gebogen werden.

Aber Rudi brachte erstaunlicherweise während der Umbauzeit immer wieder etwas mit, was Hermann gerade dringend brauchte! Manchmal grinste Hermann Rudi verständnisvoll an und klopfte ihm auf die Schulter. Die beiden verstanden sich jetzt ohne viele Worte.

Nach vielen Monaten nahm der Umbau langsam Formen an und alle fanden es toll und alle waren stolz auf ihre Arbeit.Hermann wollte direkt am Wochenende eine Einweihungsparty starten, aber seine Frau wehrte erstmal milde lächelnd ab und verwies auf den Staub und Dreck und Gardinen waschen!

Aber dann kam die Party und die ging in die Geschichte der krummen Straße ein! Selbst die alten Kumpels von Herbert kamen mit Frau und Kindern und, mein lieber Scholli, Jupp und Karl setzten der Party die Krone auf.

Kapitel 3

Herbert schob sein Fahrrad das Stück bis zur Querstraße und drehte sich um. Die krumme Straße war schon eine Sache für sich, sie ist wirklich krumm. In einem leichten Links-Rechts-Bogen verband sie die beiden Hauptstraßen, das alte Kopfsteinpflaster,die alten Bäume am Straßenrand, die alten, schön renovierten Häuser.

Auf der linken Seite folgten die Häuser dem Straßenverlauf, rechts dagegen waren sie gerade in einer Flucht gebaut, wodurch sich von Jürgens Haus bis zum Haus von Herbert eine freie Fläche ergab, auf der eine Bank in mitten einer kleinen Grünanlage stand.

Ein leichtes Lachen schüttelte Herbert, als er an die früheren Zeiten dachte, ein Plumpsklo im Anbau, Badezimmer kannte kein Mensch, Samstags wurde die alte Zinkbadewanne in die Küche gestellt und dann wurde einer nach dem anderen abgeschrubbt.

Der Garten war besser in Schuss als das Haus und der Stall wurde auch besser gepflegt, weil darin fast jeder ein Schwein stehen hatte. Hühner so wie so, meistens auch noch Enten und Gänse.

Der große Herd in der Küche war die einzige Heizquelle für das ganze Haus und im Winter froren alle in ihren dünnen Betten.

Und Hunger hatten wir, bis Vater Pflanzen für den Garten organisiert hatte und dann brachte e rnoch klamm heimlich in einer alten Tasche mucksmäuschenstill ein Ferkel mit, nach und nach kamen dann Hühner und Gänse dazu.

Vater hatte dann auch regelmäßig Arbeit auf’m Pütt und langsam ging es aufwärts.

Eines Abends, es war saukalt, wir Kinder froren wie verrückt, obwohl wir zum Teil dick eingewickelt in alten Säcken und Decken auf den Schlitten saßen, die von den Vätern durch den Schnee gezogen wurden. Die Kinder waren neugierig wie nur etwas, weil keines wusste, warum sie so spät mit ihren Vätern unterwegs waren.

Sie redeten alle wild durch einanderund stellten die tollsten Vermutungen an.

Plötzlich zeigten dieVäter an, dass jetzt Ruhe sein müsste und erschreckt duckten sich die Kinder in ihre Decken. Die Schlitten wurden von den Männern eng zusammen gezogen und dann sagte Hermanns Vater leise, aber eindringlich, warum sie hier waren und was gemacht werden sollte.

Schnell kapierten die Jungs, warfen die Decken und die alten Säcke ab, zitterten jetzt vor Kälte. Sie rannten leise auf die Eisenbahnwaggons zu und kletterten wie die Katzen daran hoch, liefen auf den Waggons weiter, bis sie die mit den Kohlen gefunden hatten, sie winkten ihren Vätern zu,dass sie her kommen sollten.

Herbert, Wilhelm, Jürgen undHermann warfen die dicken Kohlebrocken von den Waggons herunter und die Männer sammelten diese ein und verstauten sie auf die Schlitten.

Manche Kohlebrocken waren fest gefroren,so fest, dass die Jungs heftig arbeiten mussten, um sie los zu brechen.Jetzt schwitzten die Kinder trotz der beißenden Kälte,unerwartet kam dann der Ruf von ihren Vätern: „Kommt runter, für heute haben wir genug.“

Die Jungens wurden von ihren Vätern wieder in die Decken gewickelt und in einem Affentempo ging es nach Hause. Endlich wurde es mal richtigwarm im Haus, die Mutter wärmte die Decken der Kinder an und brachte sie mit Tränen in den Augen zu Bett.

Der Kohlenklau ging einige Wochen gut und dann knallten bei der letzten nächtlichen Aktion Schüsse durch die Nacht. Die Soldaten schossen auf die Kohlendiebe. Es wurde erfreulicherweise niemand verletzt, aber es gab auch keine Kohlen mehr und das Frieren fing wieder von vorne an.

Niemand hatte für diese Kälte vernünftige Klamotten, vor allen Dingen keine richtige Winterkleidung. Es war einfach in diesem Winter jedem und allen saukalt.

So ein Mist, dachte Herbert, und ich muss jetzt in einem Scheißjob Kohlen schleppen. Sein Vater hatte immer gepredigt,dass die Arbeit das allerwichtigste ist, ohne Arbeit läuft nicht viel. Scheiße, ich will ja malochen, aber keiner gibt mi reine vernünftige und solide Arbeit.

Also los, Kohlenn schleppen.

Als sein Vater aus der russischen Gefangenschaft zurück kam,war Herbert gerade zehn Jahre alt und hatte Schwierigkeiten,Kontakt zu finden und den fremden Mann einzuordnen, aber er sah auch, dass der Mann seiner Mutter viel half und er hörte seine Mutter tatsächlich ab und zu lachen! Da durch wurde es dann auch für ihn leichter und irgendwann waren sie eine Familie.

Herbert schwang sich auf sein Fahrrad und strampelte Richtung Kohlenhändler. Die krumme Straße bog rechts ab, wenn man von der Stadt kam, und verband dadurch die Friederikenstraße mit der Hauptstraße. Die krumme Straße war kurz,auf jeder Seite standen gerade mal zehn Häuser, hier kannte jeder jeden und alle kamen gut mit einander aus. Herberts Haus stand ziemlich genau in der Mitte der Straße, ein Haus weiter wohnte Rudi, ein weiteres Haus weiter links wohnte Jürgen.

Auf der anderen Seite wohnte im ersten Haus Beate. Zwei Häuser weiter Hans, direkt daneben Hermann, der mit dem Wintergarten. Die beiden letzten Häuser hatten Wilhelm und Franz. Franz hatte das schönste Haus, er hatte es im Original belassen, mit Sprossenfenstern und so, aber innen das Modernste und richtig schick.

Es gab keinen Gemüsegarten mehr, auch keine Schweine im Stall, nur die Menschen sind da wie gewohnt. Ruhig und zuverlässig.

Neben Franz war das Eckhaus mit der Kneipe von Ömmes. Ömmes legte immer lautstark Wert darauf, dass er zumindest zu fünfzig Prozent zur krummen Straße gehöre. Um das zu untermauern, hatte er mir nichts, dir nichts einen Eingang zu seiner Kneipe von de krummen Straße aus durchbrochen.

Damit war Ömmes endgültig in der krummen Straße angekommen.

Nach ungefähr vier Wochen wurde Herbert ins Lohnbüro gerufen, mit weichen, mit sehr weichen Knien ging er in das Büro. Es wurde ihm eine Tätigkeit als LKW-Fahrer angeboten,nur fahren, keine Kohlen schleppen, fast normale Arbeitszeit(mir doch völlig schnuppe!) Überstunden jederzeit möglich. Urlaubs- und Weihnachtsgeld auch!

Für Herbert war Weihnachten und Ostern auf einen Tag.

Beate konnte man mit Rudi vergleichen, na ja, abgesehen davon, dass sie halt eine Frau und Rudi ein Mann war. Aber von der Lebenseinstellung, vom Charakter, vom beruflichen Ehrgeiz her waren die beiden schon sehr gleich. Im Privatleben war es dasselbe wie im Beruf, immer Vollgas!

Wenn Beate feierte, dann aber richtig. Wenn Beate in Urlaub fuhr, aber hallo! Wenn Beate etwas anpackte, dann ging es ruck zuck.

Das bekamen Jürgen und Inge so richtig zu spüren, als Jürgen seine Arbeit als Bergmann verlor und in ein tiefes Loch stürzte.Seine Frau machte ihm auch noch die Hölle heiß, statt zu helfen oder zu unterstützen, machte sie ihn so richtig platt. Sie protzte mit ihrer Arbeitsstelle, er könne froh sein, dass sie wenigstens noch Geld verdiene.

Langsam sickerte das Dilemma von Jürgen und Inge durch und Beate fackelte nicht lange, marschierte zu den beiden. Es dauerte eine Weile, bis sie zurück kam, aber Jürgen und Inge ging es danach deutlich besser.

Beate verlor nie ein Wort darüber, was da im Haus von Jürgen und Inge abgelaufen war und das rechneten ihr alle hoch an.

Ansonsten machte Beate einfach das, was sie für richtig hielt. Anfangs hatten die Anwohner der krummen Straße ihre liebe Not und ihre Probleme damit, Beate klärte das rigoros in einem Treffen auf und seit dem herrschte Ruhe. Beate macht irgend etwas in Werbung, sie erzählt nie davon, sie sagt immer:„Arbeit ist meine Sache, Bier trinken ist unsere Sache!“

Beate stammt aus einem so genannten guten Elternhaus und sie war das schwarze Schaf. Aus purem Trotz heiratete sie sehr jung ein richtiges Windei, nach einem Jahr war es vorbei, als ihr Mann fest stellen musste, dass von dem vielen Geld seiner Schwiegereltern nichts für ihn dabei war.

Eines Tages war er verschwunden und Beate reichte die Scheidung ein. Damit war diese Geschichte Vergangenheit.

Sie trennte sich von ihrem Elternhaus unmittelbar nach der Lehre und arbeitete sich verbissen und mit viel Einsatz hoch und höher. Jetzt hatte sie alles, was sie haben wollte. Ein eigenes Haus, ein Auto, eine gute Arbeit und sie konnte gut leben

.Ein paar Wochen später ging Herbert zu Jürgen und fragte ihn, ob er als Beifahrer arbeiten wollte. Jürgen fiel Herbert fast um den Hals. Damit hatte auch Jürgen wieder eine feste Arbeit nach langen Jahren der nur gelegentlichen Arbeitsstellen.

 Die krumme Straße ging wieder einmal in die friedliche Vorweihnachtzeit.

Auf dem Weg zu Ömmes traf Hans auf Beate und gleich darauf kamen Hermann und Jürgen dazu, ein Gespräch kam aber nicht in Gang, jeder hing seinen Gedanken nach.

Herbert, Franz und Rudi saßen bereits am Stammtisch und hatten ihr Pils vor sich stehen. Ömmes begrüßte Beate und nickte den drei Männern zu, während er die Getränke auf den Stammtisch stellte. Es kamen die üblichen Themen zur Sprache, jeder palaverte mit jedem über Gott und die Welt

.Hans ging als letzter der Runde leicht schwankend nach Hause, er freute sich über die Weihnachtsdekoration an und in den Häusern und Vorgärten. Er wurde beinah ein wenig melancholisch.Im weiter laufen kamen ihm die vergangenen Weihnachtsfeste in den Sinn.

Wie schnell die schlechten Zeiten vergessen werden, Zeiten, in denen sich satt essen können schon fast ein Wunder war.Er war zehn Jahre, wie Herbert, als sein Vater aus der Gefangenschaft zurück kam. Der Mann war krank und kaputt, dass konnte er sogar als Kind erkennen. Sein Vater wurde Nacht für Nacht von furchtbaren Alpträumen gequält.

Morgens war er dann oft völlig verstört, so dass er manchmal nicht wusste,wo er war. Es dauerte lange, sehr lange, bis sein Vater auf die Reihe kam, aber so richtig gesund wurde er nie.

An manchen Nachmittagen, wenn Hans mit den Schularbeiten fertig war,nahm sein Vater ihn mit in den Schuppen und zeigte ihm,woran er gerade arbeitete.

Einmal war es ein großer und stabiler Küchentisch, das andere Mal ein zierliches Hängeschränkchenfür die Kleinigkeiten seiner Mutter. Während sein Vater an irgendeinem Teil herum werkelte, saß er gemütlich in der halbdunklen Ecke auf einem Haufen alter Kartoffelsäcke und sah zu.

Und manchmal fing sein Vater an, über den Krieg zu sprechen, erst war es nur ein leises, unverständliches Gemurmel,das dann nach und nach verständlicher wurde. Sowie Hans damals verstanden hatte, musste sein Vater wohl in Finnland stationiert gewesen sein und diese Kämpfe in denfinnischen Urwäldern gegen die Russen müssen furchtbar,entsetzlich grausam gewesen sein.

Sein Vater war anfangs wohl heilfroh, als er an die Ostfront versetzt wurde. Aber ermerkte schnell, dass er vom Regen in die Traufe gekommen war.

Der einzige Lichtblick für seinen Vater war wohl die Zeit in Frankreich, eine kurze Zeit bloß und wieder ging es nach Russland. Den dicken Knacks hat mein Vater wohl in Russland bekommen,als seine Kompanie ein unbekanntes, kleines russischesDorf unbedingt halten musste und dabei höllische Verluste erlitt, sinnierte Hans weiter.

Einmal erzählte sein Vater von einem Hafen an der Ostsee. Es war saukalt und die Flüchtlinge wollten auf das Schiff, es waren Tausende und es war kein sehr großes Schiff.

Die Menschen stürzten in das eiskalte Wasser bei dem Versuch, auf das Schiff zu kommen,Frauen, Kinder, alte Leute. Zu guter Letzt schossen die Soldaten auf die Flüchtlinge, um sie daran zu hindern, auf das Schiff zu kommen.

Die Straße konnte man nur noch daran erkennen, dass links und rechts die Trümmerberge höher waren als sie selbst. Das Dröhnen der Flugzeuge wummerte in den Ohren und das Geräusch der fallenden Bomben war schrecklich, nervtötend.

Ein widerlicher Brandgeruch hing in der staubigen Luft und immer wieder krachte ein Haus oder eine Ruine von einer Bombe getroffen mit einem wahnsinnigen Getöse zusammen.

Die Hitze wabberte infernalisch über den Trümmern. Die nicht mehr vorhandene Straße bog sich etwas nach links, etwas weiter stand ein noch halbwegs intaktes Haus.

Auf den Treppenstufen zum Hauseingang saß ein Kind, ein kleines Kind, die dunklen Augenvor Angst starr aufgerissen, durch das schmutzige Gesicht malten die Tränen helle Straßen.

Das Kind saß wie versteinert in dem Chaos.

Die Bombenabwürfe kamen näher, als plötzlich eine Frau aus dem Inneren des Hauses stürzte, das Kind hochriss und im Haus verschwand.

Eine Bombe krachte in das Haus und hinterließ nur noch einen gewaltigen Krater,über dem sich eine riesige Staubwolke ausbreitete.

Nachdenklich ging Hans weiter und dachte bei sich, dass sein Vater ihm damit schlimme Erinnerungen hinterlassen hat. Aber sein leises Erzählen hat ihm wenigstens etwas geholfen und ich muss damit leben, es gehört zu meinem Vater undmir.

Hans kam nach seiner Schreinerlehre aus dem Sauerland hierher, weil er hier eine Arbeitsstelle gefunden hatte und so blieb er hier hängen. Er war immer noch ledig, heftig sozialkritisch,schon früh um die Umwelt besorgt.

Nach ein paar Jahren konnte er sich das Haus neben Hermann kaufen und renovierte es viele Jahre lang, bis es ein richtiges Schmuckkästchen war. Natürlich mit viel Holz, schließlich ist Hans Schreiner!

Jürgen und Herbert kamen neunzehnhundertneunundvierzig in die Volksschule an der Hauptstraße. Ein Jahr später wurde Hermann eingeschult. Franz war da schon drei Jahre auf der Schule und Wilhelm kam durch den Umzug seiner Elternneunzehnhundertfünfzig in diese Schule.

Wilhelm besuchte nach der Schule das Gymnasium, Jürgen und Herbert gingen auf dem Pütt in die Lehre, während Hermann nach der Schule eine Lehre als Metaller machen konnte.

Trotzdem hielten die fünf eisern Kontakt, trafen sich regelmäßig an den Wochenenden und unternahmen viel gemeinsam. Später kam dann noch Hans und noch etwas später Rudi in die Clique, die Runde machte dann Beate voll.

Der Kontakt mit Wilhelm ging ein bisschen durch sein Studium verloren, aber ganz weg war er nie. Wann immer er es ermöglichen konnte, meistens spielte das fehlende Geld die ausschlaggebende Rolle, tauchte er an dem einen oder anderen Wochenende in der krummen Straße auf.

Einen alten, verschrammten Koffer voller schmutziger Wäsche brachte er dann seiner Mutter mit, für seinen Vater fand er immer irgendein altes Buch als Mitbringsel oder die Kopie eines alten Notenblattes.

Das Wiedersehen der Fünferbande war immer ein Riesen-Hallo und die Jungs mit der Lehrstelle hatten dann doch mal einen Tacken (Groschen!) mehr für ein Bier übrig.

Sie sprachen über die fünf,sechs Jungs, die seit einiger Zeit mit ihren Mopeds und Mofas durch die krumme Straße rasten und mit dem Krach und den Auspuffgasen die Anwohner belästigten und auch verärgerten.

Die Bande wurde immer frecher und dreister, machte sich richtig unbeliebt in der Straße. Alle waren sich darüber einig,dass es so nicht mehr weitergehen konnte.

Hermanns Vater bot sich an, mit den Jungs zu sprechen, was natürlich nichts nutzte, im Gegenteil, die wurden immer respektloser. Am nächsten Freitagabend trafen sich die Burschen wieder an der Parkbank, machten Randale, warfen die leeren Bierflaschen auf die Straße, dass die Glassplitter überall herum flogen, warfen ihren Müll in die kleine Grünanlage, in der die alte Parkbank seit ewiger Zeit stand.

Mit jeder Flasche Bier führten die sich verrückter auf, grölten unflätig, zertraten die Pflanzen und dann waren sehr plötzlich sechs, sieben Männer aus der Nachbarschaft da und sagten den jungen Burschen, dass es jetzt genug sei, sie sollten verschwinden und die Anwohner in Ruhe lassen.

Statt Ruhe zu geben, wurden die rotzfrech und gaben erst klein bei, als die Männer etwas bedrohlich auf sie zu gingen. Alle glaubten, dass damit die Geschichte gegessen war, leider war es aber nicht so.

Am nächsten Freitagabend waren sie wieder da, noch lauter und frecher und mit ein paar Mann Verstärkung. Unauffällig verständigten sich die Anwohner der krummen Straße und dann kam eine Gruppe Männer von der Friederikenstraße und eine zweite Gruppe Männer von der Hauptstraße auf die Rowdys zu. Diese wurden dann sehr schnell sehr kleinlaut, zwei, drei von den älteren Jungs riskierten noch eine freche Lippe und dann setzte es heftige Prügel. Keiner sah jemals etwas von der Gruppe wieder.

Kapitel 4

An diesem Wochenende hatte die krumme Straße ein Riesenthema:Der erste Mensch im Weltraum, der Russe Gagarin war es …… was musste das den Amis stinken.

Das Studium von Wilhelm machte gute Fortschritte und er fand auch erfreulicherweise in der nächst gelegenen Schule eine Junglehrerstelle.

Herbert und Jürgen waren inzwischen gestandene Bergleuteund

Franz hatte seine Lehre als Automobil Verkäufer angeschlossen und war als Jungverkäufer von seiner Lehrfirma übernommen worden.

Hermann war Geselle und als Metallarbeiter viel auf Montage.

Die Jungs verdienten jetzt alle ganz gut Geld und alle waren sich darüber einig, dass auch einiges auf die hohe Kante gelegt wird.

Das war so die Zeit, als in der krummen Straße die Kanalisation gelegt wurde und die Häuser endlich vernünftige Bäder und Toiletten bekamen.

Nach dem Umbau standen die Häuser sofort zum Verkauf. Die Eltern der fünf jungen Männer waren sofort entschlossen, den Hauskauf zu wagen. Der Kaufpreis erschien anfangs allen wahnsinnig hoch, aber sie konnten mit der bisherigen Miete fast den Kaufpreis an die Zeche abzahlen.

Die zwei Häuser zwischen Beates Haus und dem von Hans kauften die bisherigen Mieter, es waren Flüchtlingsfamilien aus Ostpreußen, die kurz nach dem Bauende in die Häuser eingezogen waren.

Es waren ruhige Leute, die ganz für sich lebten.Freundlich, höflich, aber kaum Kontakt.

Die zwei Häuser imAnschluss von Hermann und Brigitte wurden später von ihren zwei Kindern bewohnt, die Tochter hatte einen Stahlkocher geheiratet, die beiden hatten einen Sohn, der später in dem Nachbarhaus wohnte.

Der Sohn war dann beim Bund geblieben, hatte inzwischen eine gute Position, die Ehe war kinderlos geblieben. Dann kamen noch die Häuser von Wilhelm und Franz und Ömmes mit seiner Kneipe, das war die eine Seite der krummen Straße.

Nachdem die vier jungen Männer ihren Dienst beim Bund hinter sich hatten, rutschten sie wieder mehr oder weniger reibungslos in ihre Berufe, kamen so langsam wieder im zivilen Leben an.

Als Adenauer damals dafür sorgte, dass Deutschland wieder eine Armee bekam und Mitglied der Nato wurde, war für allein der krummen Straße die Bundeswehr ganz weit weg. Bis die Bescheide bei den jungen Leuten eintrafen. Die Eltern von Hermann, Herbert und Wilhelm fielen aus allen Wolken. Die Erinnerungen an den zweiten Weltkrieg waren doch noch sehr frisch.

Erst vor ein paar Wochen waren die letzten SS Offiziere gehängt worden und nun mussten die jungen Leute zum Militär.

Herbert und Jürgen hatten ein paar Schwierigkeiten,wieder auf ihrer Zeche anzufangen, die Zechenleitung wollte sie unbedingt mit einer Abfindung nach Hause schicken,aber nach einigem Hin und Her klappte es dann auch für sie

Große Aufregung verursachte das Schiffsunglück im Atlantik vor EnglandsKüste in der Silvesternacht. Tagelang hielt es die Welt in Atem, es ging schließlich doch unter und der Kapitän wurde als Held gefeiert.

Der König von England starb und seine Tochter wurde Königin.

Bei der Winter Olympiade gewannen die Sportler die ersten Medaillen für Nachkriegsdeutschland.

In der krummen Straße kehrte langsam wieder der normale Alltag ein, die Leute gingen zur Arbeit, kümmerten sich um ihren Garten und um das liebe Vieh und pflegten die Nachbarschaft.

Die große, weite Welt blieb wieder ein bisschen außen vor.

Hans blieb vor seinem Haus stehen und schaute noch mal die Straße runter. Rudi hatte wirklich die schönste und geschmackvollste Weihnachtsdekoration, seine Nachbarn links von ihm hatten wie jedes Jahr voll übertrieben und dann noch voll daneben.

Im Laufe des Jahres wurde das Haus von Rudi fertig, Jürgen hatte das Wohnzimmer spitzenmäßig gefliest und anschließend noch alles tapeziert und gestrichen, den Garten in Ordnung gebracht und dann lud Rudi die ganze krumme Straße zur Einweihungsparty ein.

Die Nachbarn staunten nicht schlecht, als sie Rudis Haus von innen sahen und er zeigte allen das ganze Haus von oben bis unten und umgekehrt. Und allen erzählte Rudi, wie toll ihm die Nachbarn geholfen haben und ganz besonders erwähnte er Jürgen. Der strahlte über das Lob über alle vier Backen und das den ganzen Abend! Hermann zeigte Brigitte sehr genau den Umbau, vieles wollte er auch so machen

.Aber was soll es, Geschmäcker sind eben unterschiedlich,Weihnachten sieht eben jeder anders. Hans schloss seine Haustür auf, Jürgen und Beate winkten noch mal rüber, dann kehrte Ruhe auf der Straße ein

Hans hatte eigentlich ein ziemlich normales Elternhaus gehabt,der Alltag war so vor sich hin geplätschert, ohne große Höhen und Tiefen und genau das hat ihn so nervös, unruhiggemacht.

Es war kurz vor dem Ende seiner Lehrzeit, da war ihm auf einmal klar, er musste weg von hier. Hans hatte sich die Stellenangebote in den Zeitungen angeschaut und wurde schnell fündig, ein Stellenangebot als Schreinergeselle mit Unterkunft.

Eines Tages beim Abendessen informierte Hans seine Eltern, sein Vater nickte nur, seine Mutter fragte etwas irritiert, warum so weit weg?

So kam Hans zur Arbeit in der Nähe der krummen Straße und in Kontakt mit Hermann.

Nach ein paar Jahren saß Hans bei seiner Firma fest im Sattel, er hatte sich gut eingearbeitet und sein Chef hielt große Stücke auf ihn.

Hans war sparsam und als er von Hermann erfuhr, dass in der krummen Straße recht preiswert ein Haus zu kaufen war, griff er zu und so kam er dann im Laufe der Zeit in die Clique.

Manchmal kamen ihm die Geschichten seines Vaters über den Krieg in den Sinn, aber sie verblassten mit der Zeit immer mehr. Seine Eltern kamen nach dem Krieg nicht mehr richtig zusammen,vielleicht war die lange Trennung schuld, wer weiß das schon?

Sie bemühten sich beide um ein normales zusammen leben,aber es stand einfach zu viel unausgesprochenes zwischen den beiden und sie taten sich schwer mit dem Reden.

Hans war heilfroh, dass wenigstens die finanzielle Seite stimmte.Wenn zu diesem Elend auch noch Geldmangel hinzu gekommen wäre, wäre es für seine Eltern ganz schlimm.

Mit etwas melancholischen Gedanken an seine Eltern und an das Mädchen aus der Nachbarschaft schlief Hans endlich ein.

Als endlich der Luftangriff ab ebbte und die Entwarnung los heulte, lag die Straße in Schutt und Asche, überall dicker, stinkender Qualm, Feuer überall, schreiende Menschen. Alles rannte auf einen riesigen Trümmerhaufen zu. „Hier war einLuftschutzkeller“, gellte es über die Trümmer, „da sind noch Leute drin.“

Mit bloßen Händen fingen die Menschen an ,wahllos einige Trümmer weg zu räumen, aber es war völligvergeblich. Plötzlich schrie an Mann: „Hier ist der Eingang!“

Mit Eisenstangen wurde die Tür aufgehebelt, entsetzt prallten die Menschen entsetzt  zurück. In den Keller war brennender Phosphor gelaufen ...

Es war das letzte Treffen der Runde vor den Feiertagen, es war eine ruhige und besinnliche Stimmung in der Kneipe. Die Gespräche waren ruhig und freundlich, Herbert und Jürgen saßen neben einander und sahen rundum zufrieden aus; Herbert wollte Anfang des neuen Jahres sein Auto wieder anmelden!

Die beiden Männer waren wieder im normalen Leben durch die Festanstellung bei dem Kohlenhändler angekommen.Bei beiden war auch zu Hause wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt.

Hermann war wie jedes Jahr völlig aus dem Häuschen wegen der Feiertage, er und seine Frau waren verrückt nach ihren Kindern und Enkelkindern. Weihnachten war für Hermann der absolute Höhepunkt des Jahres, darüber vergaß er sogar seine Tauben und das will was heißen.

Wilhelm verbrachte Weihnachten auch mit seiner Familie und Hans, Beate und Rudi verschwanden wieder über die Feiertage wie jedes Jahr und kamen erst am Neujahrstag zurück. Bei Hans wusste man, dass er zu seinen Eltern fuhr, aber bei Beate und Rudi war das nicht bekannt und es wird auch wohl nie bekannt werden. Keiner wusste, was die beiden in den Tagen anstellten.

Und da weder Beate noch Rudi je etwas erzählten,fragte auch kein Mensch mehr, es war halt so.

Aber dieses Jahr überraschte Rudi alle, er blieb zu Hause! Nicht alleine, um Gotteswillen nicht, aber er blieb zu Hause. Beate lief wie jedes Jahr am frühen Nachmittag an Heiligabend mit einem Beutel über dem Arm von Haus zu Haus, wünschte allen schöne Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr, dabei gab sie jedem ein kleines Geschenk. Danach stieg sie in ihr Auto, vollgepackt mit Koffern und weg war sie, ein letztes Winken, der Wagen fuhr um die Ecke in die Hauptstraße.

Es waren ruhige Tage von Weihnachten bis Neujahr, selbstdas Wetter spielte mit und brachte passend ein bisschen Frost und einen Hauch von Schnee.

Man sah sich in den Tagen,sprach miteinander, tauschte gute Wünsche aus und war rund um zufrieden. Nach einem lauten Silvesterfeuerwerk begann das neue Jahr genauso ruhig, der Alltag wurde gemächlich angegangen,

Beate und Hans waren wieder eingetroffen.Rudi verbreitete eine heitere Ruhe um sich, Herbert meldete sein Auto an, Jürgen wurde von Tag zu Tag ruhiger und selbstsicherer, seine Frau Inge war auffallend ruhig geworden,man hörte nur noch Jürgen hier und Jürgen da.

Aber das neue Jahr nahm Fahrt auf und zog die krumme Straße mit.

Der Winter ging so unauffällig wie er gekommen war und das Frühjahr übernahm mit Macht das Regiment. Die Menschen erschienen nach und nach in ihren Gärten, die ersten bunten Blumen blühten und Hermanns Tochter gab bekannt, dass sie ihr zweites Kind erwartete.  Hermann war reineweg verrückt vor lauter Freude.

Wenn er zu Hause war,konnte man ihn dauernd zum Nachbarhaus, in dem seineTochter wohnte, rüber rennen sehen. Brigitte winkte lächelnd ab, ihr Mann wäre einfach verrückt nach Enkelkindern. Als am Wochenende der Sohn von Hermann und Brigitte vom Bund nach Hause kam, wäre Hermann wohl am liebsten bis zum Bahnhof gerannt, um seinem Sohn die Neuigkeit zuerzählen. Da sie aber nicht wussten, wie ihr Sohn anreiste, ob mit dem Auto oder der Bahn, musste sich Hermann schweren Herzens gedulden.

Sein Schwiegersohn war leider beruflich dauernd unterwegs, er hatte zwar eine gute Arbeit beim Bund,aber eben leider immer auf Achse.

Als alle zu Hause waren,stieg bei Hermann und Brigitte die große Familienfeier, sie war laut und es ging in den Sonntag herein, aber alle freuten sich mit.Hermann frotzelte ein bisschen mit seinem Sohn, aber der und seine hübsche Frau lächelten nur still, sie würden ihn auch schon noch zum Opa machen! Hermann war rundum selig.Mit strahlendem Lächeln informierte Hermann die ganze krumme Straße und alle freuten sich mit Hermann, dem frischgebackenen Opa.

Die beiden Söhne von Herbert waren zwar auch schon ein paar Jahre verheiratet, aber Nachwuchs war noch nicht in Sicht. Die beiden Schwiegertöchter mit ihren Männern waren beruflich so stark eingebunden, dass an Nachwuchs nicht zu denken war. Es hieß immer nur: vielleicht später.

Herbert machte in der Firma noch ein bisschen Karriere, er fuhr jetzt einen Fernlaster mit drei- bis viertägigen Touren.Damit war das Finanzielle endlich kein Thema mehr.

Herbert holte Jürgen ab, fragte ihn, ob er seine Klamotten für die längere Tour dabei habe.

„Aber klar!“, antwortete Jürgen gutgelaunt.

Jürgen war fast nicht wieder zu erkennen, seit er wieder eine geregelte Arbeit hatte, den Knatsch mit seiner Frau ließ er einfach außen vor.

In der Firma angekommen, holten sie sich die Papiere für die Tour und fuhren los. Herbert saß am Lenker und Jürgen goss zwei Becher mit Kaffee voll, er sagte nichts, weil er wusste, dass Herbert morgens erst mal seine Ruhe brauchte. Aber es war eine angenehme Stimmung in der Fahrerkabine, der starke Diesel brummte satt und sie hatten eine lange und angenehme Fahrt vor sich bis zum großen Überseehafen.

Sie waren schon eine ganze Weile auf der Autobahn Richtung Westen, als Herbert sagte: „Hoffentlich hält die Firma wenigstens so lange durch, bis wir unsere Rente einreichen können.“ Jürgen fiel die Kinnlade runter, eine eiskalte Faust presste sein Herz zusammen, sollte die Scheiße schon wieder losgehen?

„Was meinst du? Was soll das heißen?“,stammelte Jürgen zu Herbert rüber.

„Du merkst doch sicher auch“, antwortete Herbert ruhig und leise, „dass die Kohlefahrten immer weniger werden.“

„Ja sicher, aber … wir wollen nur hoffen, dass der Alte früh genug neue Arbeit für uns bekommt. Irgendwie muss er von der Kohle weg und etwas ganz anderes anfangen.

"Hast du denn schon irgend etwas gehört, dass es mau wird?“

 „Nein, nein“, winkte Herbert ab,„noch haben wir unsere Arbeit.“

„Mensch, bloß nicht wieder arbeitslos, daran gehe ich kaputt“, rutschte Jürgen unruhig auf seinem Sitz herum.

Herbert lenkte den Truck auf einen belebten Parkplatz, stellte den Motor ab und ging pinkeln. Jürgen wechselte zum Fahrersitz und kurze Zeit später fuhren sie weiter.

Jürgen wurde durch das Fahren etwas von seinen trüben Gedanken abgelenkt, bis Herbert fragte: „Du bist doch auch mein Jahrgang?“

Jürgen nickte: „Warum?“

„Dann müssenwir beide sehen, dass wir die paar Jahre noch schaffen. Denn das Arbeitslosengeld kann man vergessen.“  

„Oh Mann,bloß nicht“, jammerte Jürgen, „Inge bringt mich dann endgültig um.“

Herbert lachte: „Na, so schlimm wird es schon nicht werden!“

Jürgen sah zu Herbert rüber: „Hast du ne Ahnung!“`

Jürgen maulte über einen Autofahrer und fuhr dann von der Autobahn runter Richtung Hafen. Er lenkte den großen Lkw locker durch das Hafengewimmel und fand schnell ihre Abladestelle.Am nächsten Morgen konnten sie den Wagen beladn wieder abholen.

Diese Ladung mussten sie weit in den Süden bringen.

Jetzt fuhr Herbert wieder und Jürgen saß ziemlich still neben ihm, er betete zu allen Göttern und Heiligen,die ihm einfielen, bloß nicht wieder arbeitslos werden.

Er sah verstohlen zu Herbert rüber, der saß ruhig und gelassen am Lenkrad, das beruhigte ihn etwas. Nach dem bekanntenAutobahnkreuz fuhren sie Richtung Würzburg, um dann auf die Autobahn Richtung Kempten zu wechseln. Auf einem Rasthof hinter Kempten übernachteten sie.

Nach der Auslieferung ihrer Fracht fuhren sie nach Ingolstadt und nahmen dort Fracht auf für ihren Standort.

Ein paar Tage später wurden die Mitarbeiter vom Betriebsrat informiert, dass die Firma Gefahrgut- und Spezialtransporte übernehmen will und die Fahrer, die sich dafür interessierten,sollten sich im Büro melden.

Herbert und Jürgen waren die ersten im Büro.

Im Laufe der Zeit übernahmen die beiden Söhne des Kohlenhändlers die Firma und bauten diese nach und nach zu einer großen Spedition aus. Wahrscheinlich wollen die beiden Anfang nächsten Jahres sogar mit Heizöl anfangen.

Als Jürgen das hörte, dachte er, da hat Herbert mal wieder den richtigen Riecher gehabt.

Das Kohlengeschäft war fast auf null, alle Welt hatte jetzt Zentralheizung und die wird mit Heizöl betrieben. Ein Stück weiter vom Firmenplatz weg sollten die Tanks gebaut werden.

Jürgen klopfte ziemlich kräftig an die Haustür von Herbert,der öffnete und guckte etwas erstaunt. Jürgen konnte sich vor Aufregung gar nicht verständlich machen: „Die Amis sind auf dem Mond gelandet“, verstand Herbert dann doch.

„Klar und ich bin der Kaiser von China!“

„Wirklich!“ Jürgen gab keine Ruhe und zum Glück kam Elli und bestätigte es. Herbert schaute Jürgen und seine Frau ziemlich verdutzt an: „Mein lieber Scholli, erst die Russen mit dem Sputnik, dann Leika im Weltraum und Gagarin und jetzt sausen die Amis tatsächlichauf den Mond! Jetzt fehlt nur noch“, meinte Herbert, „dass einer die grünen Männchen vom Mars gesehen hat und alle schreien: das stimmt.“

Jürgen ging mit Herbert rüber zu Hermann und schellte an der Tür, Hermann machte total verschlafen auf und knurrte die beiden an: „Wisst ihr eigentlich,wie spät es ist?“

Beide überschütteten Hermann mit der Neuigkeit und Hermann winkte beide rein und machte den Fernseher an. Es stimmte also, die Amis waren tatsächlich auf dem Mond gelandet. Nach einer frühen Flasche Bier gingen die beiden wieder und Hermann legte sich wieder schlafen.

Jürgen und Herbert waren kaum auf der Straße, kam ihnen Wilhelm ganz aufgeregt entgegen: „Wisst ihr schon, wisst ihr schon?“Die drei redeten noch eine ganze Weile heftig mit einander und gingen dann doch etwas beruhigt nach Hause.

Da haben wir für unseren Abend aber ein ganz heißes Thema, dachteWilhelm bei sich.

Die Anwohner der Siedlung krumme Straße hatten das Frühjahr hinter sich, Ostern war vorbei, jetzt stand Pfingsten vor der Tür und die ersten Urlaubsreisen wurden geplant.

Hermann und Brigitte hatten wegen der Schwangerschaft ihrer Tochter alles abgeblasen. Herbert und Jürgen mussten erst abwarten, wie die Planung in der Firma aussah,

Wilhelm fuhr mit seiner Familie an die Nordsee. Seit ein paar Jahren fährt Wilhelm jetzt schon an die Nordsee, es gibt da einen schönenCampingplatz. Anfangs fuhren seine Kinder auch mit, aber als sie so achtzehn, zwanzig wurden, war das vorbei.

Beate und Rudi lassen sich nicht aus über ihre Pläne, aber da wird wieder was ganz Dolles heraus kommen.

Letztes oder vorletztes Jahr war Rudi auf einer Tour in Norwegen und Beate machte auf Kultur in Verona.

Rudi war auch schon in Nordafrika und Beate auf einer Kreuzfahrt in der Ägäis.

Rudi war auch schon per Anhalter unterwegs gewesen, ab und zu erzählte er davon.Egal, wo er auch war, er lernte stets nette Mädchen oder Frauen kennen, hier schmunzelte Rudi immer freundlich und wechselte das Thema.

Im Juli und August wurde es dann still in der krummen Straße, die Urlaubszeit machte sich doch bemerkbar. Hermann und Brigitte war es recht, sie und ihreTochter konnten die Ruhe gut gebrauchen. Irgendwie war ihreTochter nervös, unruhig, obwohl vom Befund her alles inOrdnung war.

Als Hermann seine Brigitte heiratete, war bei Brigittes Eltern nicht alles eitel Sonnenschein, wie konnte ihre Tochter bloß einen Arbeiter heiraten, immerhin hatte sie doch Abitur, auch wenn sie dann anschließend nicht studiert hatte, weil sie nur einenStudienplatz in Süddeutschland bekommen konnte, aber nicht von zu Hause weg wollte.

Mit den Jahren hat sich das Verhältnis zwischen ihnen dann ein bisschen normalisiert, zwischen durch bekam Hermann aber immer wieder mal gesagt,dass ihre Brigitte doch eigentlich etwas Besseres verdient hätte.Mittlerweile ist es etwas ruhiger geworden, mit dem Haus und dem Enkelkind und so.

Hermann lernte Brigitte während der Arbeitszeit kennen. Sie arbeitete in einer Firma gegen über und machte bei schönem Wetter in den Pausen schon mal einen Spaziergang. Hermann kam von seiner Mittagspause an der Pommesbude zurück und da sahen sich die beiden zum ersten Mal, beim dritten Mal fasste Hermann seinen ganzen Mut zusammen und wünschte der jungen Frau einen guten Tag.

Er sprang vor Freude fast in die Luft, als die Frau den Gruß freundlich erwiderte. Am nächsten Tag trafen sie sich zufällig an der Pommesbude und hier konnte Hermann die junge Frau ohne weiteres ansprechen, weil hier eben jeder mit jedem redete. Sein Schwarm nahm das Gespräch auch sofort auf und darin konnte Hermann dann einflechten, dass er für vier, fünfTage auf Montage sei und am Dienstag wieder zurück wäre.Sie lächelte ihn verständnisvoll an und sagte dann zu ihm:„Dann bin ich doch am Dienstag in meiner Pause wieder hier.“

Hermann ging das Herz auf und trotzdem fuhr er mit sehr gemischten Gefühlen auf Montage. Auf der Baustelle traf er mit Hans zusammen, der in seiner Nähe arbeitete und Schreiner war. Sie arbeiteten eng zusammen, weil Hermann die Metallrahmen für die Wände aufbaute und Hans dann die Holzplatten einsetzte. Das Ganze ergab dann einen attraktiven Messestand. Es war für beide viel Arbeit und die paar Tage gingen ruckzuck vorbei.

Es war Dienstag und es goss in Strömen.Hermann ging trotzdem zur Pommesbude und die Sonne ging auf, sie war da, trotz Regen und Sturm! Am Wochenende trafen sie sich zum ersten Mal und so nahm es seinen Lauf.

Brigitte war ruhig, lieb, voller Verständnis für seine Arbeit und so heirateten sie. Als erstes brachte Brigitte einen Sohn zur Welt und zwei Jahre später eine Tochter, die jetzt selbst zum zweiten Mal schwanger war und ihren Eltern etwas Sorgen deswegen bereitete.

Hermann konnte mit seiner jungen Frau in den zwei oberen Räumen seines Elternhauses wohnen, aber er baute kurz darauf an der Rückseite des Hauses einen gut angepassten und geräumigen Anbau. Der gefiel seinen Eltern so gut, dass sie anstelle des jungen Paares in den Anbau zogen und das Haus dem jungen Glück überließen.

Die beiden jungen Leute machten aus dem alten Haus das Beste, was sie mit dem knappen Geld schaffen konnten. Hermann versprach seiner Brigitte, dass er das Haus ganz nach ihrem Geschmack renovieren würde, sobald das Geld dafür vorhanden war.

Die Hochzeit von Hermann und Brigitte löste einen waren Boom aus, Jürgen und Inge meldeten ihre Hochzeit an, Wilhelm und seine Hildegard und Herbert und Elli wollten es auch wagen.

Die krumme Straße stand Kopf, vier Hochzeiten in einem Jahr hatte es so noch nie gegeben. Die Nachbarn hockten Stunden um Stunden zusammen, um alles zu besprechen,auch mit Ömmes, der ja eine riesige Aufgabe bewältigen musste.

Die unterschiedlichsten Wünsche der Brautpaare mussten auf einen Nenner gebracht werden. Dem Pfarrer fiel die Kinnlade herunter, als er von diesen vier Hochzeiten hörte.Die vier Brautpaare einigten sich auf den August als Termin und zwar sollte an jedem Wochenende im August eine Hochzeit statt finden mit jeweils einer kleinen Feier im Familienkreis und am ersten Wochenende im September sollte dann die große Feier für alle vier Brautpaare bei Ömmes stattfinden.

Dieser Vorschlag wurde von allen für gut befunden und so nahmen die Vorbereitungen ihren Lauf. Die vier Hochzeiten verliefen ruhig, ein bisschen feierlich schon, aber auch laut und fröhlich, obwohl Brigittes Eltern ein bisschen enttäuscht dabei saßen, weil doch ihre Tochter etwas Besseres verdient hätte.

Aber Brigitte war selig mit ihrem Hermann und die Laune ihrer Eltern war ihr völlig egal.

Bei Herbert und Elli ging es ein bisschen verrückter zu, aber damit hatten eigentlich alle gerechnet.Herbert hatte zu seiner Hochzeit eine Musikgruppe kommen lassen, die schon nach kurzer Zeit mit ihrer wilden Musik die Stimmung bei den jungen Leuten hoch kochen ließ.

Und dann kam der September und die krumme Straße stand Kopf. Alle waren da, selbst der Pastor ließ sich blicken, das Wetter meinte es gut mit den Hochzeitern und Ömmes hatte den großen Saal fantastisch hergerichtet. Er hatte die großenSchiebetüren an der Stirnseite des Saales komplett aufgeschoben und eine Tanzfläche auf dem Rasen angelegt.

Herberts Musikgruppe von seiner Hochzeitsfeier war auch wieder da und siehe da, die fünf Musiker konnten auch ganz „normale“Musik machen, so dass die Älteren als erste auf der Tanzfläche waren.

Die Hochzeiter hatten sich mit Ömmes auf ein kaltwarmes Büfett geeinigt und Ömmes hatte sich damit selbst übertroffen, es war wirklich für jeden Geschmack etwas dabei.

Es wurde gegessen und getrunken, gelacht und erzählt, getanzt und jeder hatte seinen Spaß. Die Eltern der Brautpaare hatten sich in einer Gruppe zusammen gefunden und unterhielten sich prächtig, sie alle kannten sich seit Ewigkeiten,kamen prima miteinander aus, hatten sich in schlechten Zeiten gegenseitig geholfen und gemeinsam das geschafft, auf das sie heute mit viel Stolz blicken konnten.

Hermanns Vater sagte irgendwann leise zu seiner Frau: „Es ist richtig schön, dass keiner mehr vom Krieg erzählt.“ Seine Frau nickte: „Höchstens kommen noch mal die Geschichten der Kinder zur Sprache,wie die mit den Einmachgläsern oder die Bauerngeschichte.“

Leise lachte er auf: „Das war aber auch eine tolle Sache“, und seine Frau grinste fröhlich zurück. Jeder war bei jedem, selbst die jungen Leute saßen mit unter zwischen den Älteren und Alten und Hermann war mit seiner Brigitte oft bei seinen sehr alten Großeltern. Sein Opa und seine Oma guckten noch mit hellwachen Augen umher, nur die alten Knochen machten nicht mehr so richtig mit, aber sonst waren die beiden Alten noch gut dabei.

Der Saal wurde langsam leer,die Musik schmusiger, leiser und die Elterngeneration machte dann still und zufrieden irgendwann am frühen Morgen Schluss.

Als die Leute aus dem Haus rechts neben Hermann auszogen,griff sein Schwiegersohn sofort zu und zog mit seiner Frau und dem Jungen umgehend ein. Nach und nach baute Hermann das Haus um, bis es so da stand, wie es sich seine Tochter und sein Schwiegersohn vorgestellt hatten. Als dann noch sein Sohn mit Hilfe vom Bund das Haus rechts neben seinerTochter kaufen konnte, war seine und Brigittes Freude grenzenlos.

Jetzt fehlte nur noch der Nachwuchs bei den beiden,dann war alles rund und gut.

Die ersten Urlauber kehrten zurück. Von Rudi und Beate hatten sie wie immer einen Urlaubsgruß erhalten, Rudis Karte kam aus Skandinavien und Beates aus den arabischen Emiraten.

Seit ein paar Wochen war die Runde bei Ömmes etwas dünn besetzt gewesen, jetzt war sie wieder komplett, alle Urlauber waren zurück.

Jeder konnte viel erzählen. Rudi war ein bisschen ruhig, auch Hans war seit seiner Rückkehr aus den Feiertagen sehr ruhig, aber er war ja schon immer ein ruhiger Mensch, jetzt fiel es aber merklich auf, Hans sagte jedoch nichts.

Beate erzählte ohne Luft zu holen und ununterbrochen von ihrem Urlaub, nach einer ganzen Weile war sie fertig mit ihrer Schilderung und alle sahen erwartungsvoll auf Rudi. Rudi lächelte freundlich und sagte nichts.