One last shot - Macht es am Ende doch noch Klick? - Betty Cayouette - E-Book

One last shot - Macht es am Ende doch noch Klick? E-Book

Betty Cayouette

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Beschreibung

Ein zehn Jahre alter Heiratspakt, ein Supermodel und ein Fotograf – und die letzte Chance für die Liebe ... Macht es am Ende doch noch Klick?

Emerson und Theo waren als Teenager unzertrennlich. Aber gerade als sie sich endlich ihre Gefühle füreinander gestanden hatten, zieht Emerson überstürzt nach L.A. und bricht den Kontakt ab. Zehn Jahre später ist sie ein gefragtes Model und Theo arbeitet als Modefotograf – trotzdem trennen sie Welten. Eine Erinnerung auf dem Handy erinnert die beiden an den Heiratspakt, der sie einst verband, und Emerson wird klar, dass sie Theo wiederfinden muss! Kurzerhand lässt sie sich für eine Kampagne buchen, die er fotografiert, und reist dafür in die romantischen Cinque Terre in Italien. Doch Theo ist nicht so glücklich Emerson zu sehen, wie sie gehofft hatte …

Friends-to-Lovers- und Second-Chance-Trope vor der wunderschönen Kulisse Italiens – BookTok-Sensation @bettysbooklist liefert das romantischste Debüt des Sommers!

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Seitenzahl: 617

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Buch

Emerson und Theo waren als Teenager unzertrennlich. Aber gerade, als sie sich endlich ihre Gefühle füreinander gestanden hatten, zieht Emerson überstürzt nach L.A. und bricht den Kontakt ab. Zehn Jahre später ist sie ein gefragtes Model, und Theo arbeitet als Modefotograf – trotzdem trennen sie Welten. Eine Erinnerung auf dem Handy erinnert die beiden an den Heiratspakt, der sie einst verband, und Emerson wird klar, dass sie Theo wiederfinden muss! Kurzerhand lässt sie sich für eine Kampagne buchen, die er fotografiert, und reist dafür in die romantischen Cinque Terre in Italien. Doch Theo ist nicht so glücklich, Emerson zu sehen, wie sie gehofft hatte …

Autorin

Elizabeth – Betty – Cayouette schreibt, produziert Videos und kreiert Content. 2021 gründete sie ihre mittlerweile viralen TikTok- und Instagram-Kanäle unter dem Namen @bettysbooklist und gehört damit inzwischen zu den beliebtesten Buchempfehlungsaccounts der Welt: Zahlreiche Medien wie The Boston Globe, Euronews, Fox News, The London Times und Glamour UK berichteten bereits über sie. Sie hat über 448 000 Follower auf allen Plattformen und begeistert mit ihren viralen Buchvideos. Außerdem arbeitete Betty als Videografin bereits mit erstklassigen Mode- und Lifestyle-Marken zusammen. Ihre Erfahrungen aus der Modewelt bringt sie nun in ihrem romantischen Debütroman One Last Shot ein.

Weitere Informationen unter: www.bettysbooklist.com

Betty Cayouette

ONE LAST SHOT

Macht es am Ende doch noch Klick?

Roman

Deutsch von Sonja Fehling

Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel »ONELASTSHOT« bei St. Martin’s Publishing Group, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2024 by Betty Cayouette

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur

Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Redaktion: Daniela Bühl

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

nach einer Originalvorlage von St. Martin’s Press, New York

Umschlagdesign: Olga Grlic

Umschlagillustration: © Marianna Tomaselli

JS · Herstellung: DiMo

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg 

ISBN 978-3-641-31110-0V002

www.blanvalet.de

Liebe Leser*innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr am Ende des Buchs, gleich nach der Danksagung, eine persönliche Anmerkung der Autorin.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch.

Wir wünschen allen das bestmögliche Leseerlebnis!

Betty Cayouette und der Blanvalet Verlag

Für meine Mom Susan, die mich immer unterstützt

KAPITEL 1

Emerson

Ich habe mich immer in den Romantischen Komödien gesehen, die ich als Kind geschaut habe. Ich war das tollpatschige, unbeholfene Mädchen, das darauf hoffte, trotzdem irgendwie den Jungen abzukriegen. Jetzt habe ich die Umstyling-Szene hinter mir, aber immer noch nicht die große Liebe gefunden. Stattdessen sitze ich hier und versuche, eine Theorie über meinen Freund zu widerlegen, was allein schon beweist, dass meine Beziehung vor dem Aus steht. Alle meine Beziehungen haben auf ziemlich spektakuläre Weise geendet.

Ich stehe von der Couch auf, einer reinweißen Ledergarnitur, die Josh mir gekauft hat, als er mitbekam, wie ich ein Instagram-Foto davon abspeicherte. Romantisch, oder? Nur, dass ich reinweiße Möbel hasse, was ich ihm damals auch sagte. Das Bild hatte ich für Georgia, meine beste Freundin, heruntergeladen. Außerdem waren wir zu dem Zeitpunkt gerade mal eine Woche zusammen gewesen. Leicht anmaßend, dann schon Möbel auszusuchen.

Ich gehe zum Bücherregal hinüber und ziehe einen meiner Lieblingsromane heraus: Liebe in jeder Beziehung von Stephen McCauley. Schon älter, aber eine tolle Geschichte, von der es sogar eine gute Verfilmung gibt. Josh schwört, dass er jedes einzelne Buch in diesem Regal gelesen hat, aber in letzter Zeit fällt mir immer häufiger auf, dass er jedes Mal, wenn ich ihm eine Frage zu einem der Romane stelle, das Thema wechselt.

»Schatz? Hast du das hier gelesen?« Ich drehe Josh die Titelseite des Buchs zu. Er spielt im Baseball-Team der Red Sox, und bei unserer ersten Begegnung dachte ich, er könnte vielleicht der Richtige sein. Ein Mann zum Heiraten, der es wert ist, dass ich ständig von L.A. nach Boston fliege, um ihn besser kennenzulernen – was ich jetzt schon seit sechs Monaten tue.

»O ja, das ist großartig. Einer der besten Romane aller Zeiten.« Josh steht ebenfalls auf und kommt zum Regal herüber, wo er mir den Arm um die Taille legt und mich an sich zieht.

»Ich hab es gerade noch mal gelesen. Diese Wendung am Ende lässt mich irgendwie nicht los. Wie fandest du sie?« Mit dem Buch in der Hand, drehe ich mich zu ihm um und blicke ihn intensiv an, während ich auf seine Antwort warte.

Er drückt mich an sich und gibt mir einen langen Kuss, nimmt mir, ohne sich von mir zu lösen, mit einer Hand das Buch ab und legt es achtlos zurück ins Regal – allerdings nicht auf seinen ursprünglichen Platz, sondern auf die anderen Romane oben drauf. Dann umfasst er mit seiner nun freien Hand mein Kinn, obwohl er genau weiß, dass ich das hasse. Ich kann die Pickel schon fühlen, die sich unter seinen Fingern auf meiner Haut bilden. Angeekelt weiche ich ein Stück zurück. »Schatz, die Wendung. Wie fandest du sie?«

»Total krass«, murmelt er in meinen Mund hinein, während er sich wieder an mich presst. »Das war die beste Stelle im ganzen Buch.«

»Du warst also echt überrascht, als sie den Typ als Geisel genommen haben?«

»Klar. Super Ende«, entgegnet er und lässt seine andere Hand langsam nach unten wandern. Abrupt löse ich mich von ihm. Ich wusste es.

»Josh, das ist eine Romantische Komödie. Da gibt es keine Geiseln. Was du wüsstest, wenn du es gelesen hättest.« Durchdringend starre ich ihn an. »Hast du überhaupt eins von diesen Büchern hier gelesen? Jedes Mal, wenn ich mit dir darüber reden will, denkst du dir irgendwas aus, um das Thema zu wechseln, oder du küsst mich!«

Ich verschränke die Arme vor der Brust, um ihm klarzumachen, dass er sich nicht vor einer Antwort drücken kann. Er stößt einen Seufzer aus und lässt den Blick über das Regal schweifen, wahrscheinlich auf der Suche nach irgendeinem Buch, dessen Verfilmung er gesehen hat. »Josh, sei einfach ehrlich.«

Das deckenhohe Regal an der Stirnseite seines Wohnzimmers ist über und über mit Büchern gefüllt, darunter einige meiner absoluten Lieblingsromane. Als ich während einer Silvesterparty zum ersten Mal sein Apartment betrat, fiel mir diese unglaubliche Wand der Literatur sofort ins Auge, und ich wusste, dass ich unbedingt ihren Besitzer kennenlernen musste. Nachdem ich gerade erst mit einem Schauspieler Schluss gemacht hatte, der nicht einmal seine Drehbücher vollständig durchlas, war ich mehr als bereit dazu, jemanden zu daten, der meine Leidenschaft fürs Lesen teilte. Ich dachte, ich könnte mich mit ihm über die Bücher unterhalten, die ich nur so verschlungen hatte; vielleicht sogar über die Geschichten, die ich mir nachts im Bett ausdachte.

Tja, da hatte ich mich wohl getäuscht.

Ich kann exakt den Moment erkennen, als er einknickt, nur um sich dann eine neue Strategie zu überlegen. »Süße, es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe.« Er nimmt meine Hand und führt mich zurück zur Couch. »Du warst einfach so begeistert davon, dass wir die gleichen Bücher mögen, und ich hab mir gedacht, wenn ich dir sage, dass ich die meisten davon gelesen habe, wäre das nicht unbedingt eine Lüge, weil ich sie noch lesen wollte, um dich damit zu beeindrucken.«

»Hast du sie dann gelesen?« Damit könnte ich vielleicht leben. Ich lege meine manikürten Finger um seine rauen Handflächen. Mir alle zwei Wochen meine Nägel mit Gellack bestreichen zu lassen, zerstört sie auf Dauer, aber sobald das Zeug drauf ist, sehen sie immer makellos aus, und laut meinem Agenten ist das das Einzige, was zählt.

»Na ja, nicht so richtig. Ich hatte einfach keine Zeit, weil ich so viel trainiert hab.«

Sehnsuchtsvoll blickt er in die Richtung, in der sich sein Fitnessstudio befindet, als wünschte er, er läge jetzt dort auf seiner Hantelbank und würde zum dritten Mal heute Gewichte stemmen, anstatt mit mir zu reden.

»Hast du wenigstens eins davon gelesen?« Bei meiner Frage verzieht Josh schmerzhaft das Gesicht, doch ich lasse nicht locker. Ich muss unbedingt etwas finden, das die ganze Sache wiedergutmacht, dann kann ich vielleicht vergessen, dass er mich belogen hat. Wenn unsere Beziehung überleben soll, brauche ich das. »Sind das alles Bücher, die du noch lesen willst?«

»Na ja, genau genommen hat meine Innenarchitektin sie vorbeigebracht, für die Party, bei der wir uns kennengelernt haben. Meine Mom war hier und meinte, dass das Wohnzimmer … na ja, sie hat es ›geistlos‹ genannt, aber ich finde, ›seltsam‹ passt besser. Es sah seltsam aus, als nur meine Pokale im Regal standen. Ich wollte das ganze Zeugs später ins Altpapier werfen und wieder meine eigenen Sachen ins Regal stellen, aber da ich dadurch dich kennengelernt habe, sind die Dinger es definitiv wert, sie zu behalten.« Er lächelt, während er den Satz beendet, als hätte er gerade irgendetwas Romantisches gesagt und nicht, dass er vorhatte, Bücher im Wert von mindestens sechstausend Dollar zu vernichten.

»Ins Altpapier?« Es kostet mich jedes Quäntchen an Willenskraft, das ich noch in mir habe, meine Stimme ruhig zu halten. »Da stehen bestimmt vierhundert Hardcover. Die könntest du wenigstens spenden.«

»Wer will denn so viele Bücher haben?« Er wirkt ehrlich perplex. Hat er noch nie etwas von einer Bibliothek gehört?

Das war’s. Ich bin hier weg.

»Josh, das mit uns funktioniert nicht für mich.« Sein Mund öffnet sich protestierend.

»Aber Emerson … Das verstehe ich nicht«, sagt er flehentlich und fährt sich mit einer seiner schwieligen Hände durch sein lockiges Haar. »Süße, lass uns einfach noch mal darüber reden. Wir könnten wegfahren, nach Mexiko, ein bisschen entspannen und uns aussprechen. Weißt du was, ich kaufe noch mehr Bücher, sagen wir im Wert von sechstausend Dollar, die kannst du dann spenden.« Skeptisch runzelt er die Stirn, während er das sagt, bevor er meine Hand mit seiner umschließt. »Die Beziehung mit dir ist genau das, was ich immer wollte. Du bist die Frau, die ich immer wollte. Das hier ist doch nur ein dummer Streit. Zusammen kriegen wir das wieder hin.«

Sanft löse ich meine Hand aus seinem Griff. »Josh, ich glaube nicht, dass das zwischen uns die große Liebe ist. Nicht wirklich, und ganz sicher sind wir nicht bis in alle Ewigkeit füreinander bestimmt. Es tut mir sehr leid, aber du wirst eine andere finden, die perfekt zu dir passt.«

Ich kann in weniger als einer Minute hier raus sein. Ich habe immer einen Koffer gepackt, damit ich kurzfristig zu einem Shooting aufbrechen kann. Genau in dem Moment, als ich mich verabschieden will, marschiert Josh auf die Wand zu und rammt seine Faust so heftig hinein, dass er ein Loch hinterlässt und einige gerahmte Fotos zu Boden fallen. Aber bis spätestens morgen Abend wird nichts mehr davon zu sehen sein, da bin ich mir sicher – dafür wird seine Assistentin sorgen. Und ich bin mir auch sicher, dass ich das Richtige tue. Hinter mir gleitet der Koffer über das Parkett, und die geräuschlose Bewegung der Rollen untermalt meine Schmach, als ich vorsichtig die Tür schließe und das nun unter Scherben liegende Foto von uns beiseiteschiebe, das während der World Series aufgenommen wurde. Dieses Bild wird garantiert eins der vielen sein, mit denen das People Magazine morgen die unvermeidliche Chronik meines Liebeslebens illustrieren wird. Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir: SUPERMODELUNDHERZENSBRECHERINEMERSONWIEDERGETRENNT – ALLIHREBEZIEHUNGENAUFEINENBLICK!

Mag ja sein, dass negative Presse besser ist als gar keine, aber es wäre schön, wenn meine Fehlschläge wenigstens einmal privat bleiben würden. Wenn ich nur einmal ohne Make-up aus dem Haus gehen könnte, ohne dass innerhalb einer Stunde Hunderte von Artikeln erscheinen, in denen steht, dass ich total fertig aussehe. Ich habe schon völlig vergessen, wie es sich anfühlt, sich ganz natürlich verhalten zu können. Ich muss ständig auf jedes Detail achten, das ich der Welt von mir präsentieren will, denn sobald es da draußen ist, gehört es nicht mehr zu meinem wahren Selbst, sondern ist Teil meines öffentlichen Images. Ich weiß, ich sollte mich nicht über die Schattenseite der Branche beklagen. Immerhin haben mir diese Branche und mein Aussehen zu meiner Berühmtheit verholfen, und dieser Ruhm hat meinem Leben Stabilität gegeben. Etwas, wonach ich mich in meiner Kindheit immer gesehnt habe. Darum nehme ich auch gern die Nachteile in Kauf.

In der Sekunde, als ich mich auf das Bett in meinem Hotelzimmer fallen lasse, lege ich sämtliche Posen ab. Jetzt, da ich endlich allein bin und nicht mehr alle Blicke im Raum wie ein Gewicht auf mir lasten, genieße ich es, einfach mal die Schultern zu entspannen. Ich habe mich sicher schon seit zehn Jahren nicht mehr vor irgendjemandem hingefläzt; nicht, seit ich Emerson (ohne Nachnamen) bin und Emerson zu einer Marke geworden ist. Mein Beruf ist mein Leben, trotzdem erschöpft es mich immer noch, ständig perfekt aussehen zu müssen. Agenturen und Kunden lieben meine »Ballerina-Haltung« – genau wie alle meine Ex-Freunde –, aber das bedeutet auch, dass ich mich nie richtig entspannen kann. Was okay ist. Vollkommen okay. Zumindest sage ich mir das immer wieder.

Ich beuge mich über das Display meines Handys und scrolle stumpfsinnig meine Social-Media-Feeds durch. Bilder anderer Models und Berühmtheiten ziehen wie ein endloser Strom an mir vorbei. Mittlerweile zucke ich nicht mehr zusammen, wenn ich mein Gesicht in einer Werbeanzeige sehe. Fotos, die mich zwar abbilden, sich aber nicht so anfühlen, als wären sie von mir. Nach einigen Minuten – oder vielleicht auch einer Stunde, was schwer zu sagen ist, wenn man einmal in den betäubenden Strudel von Instagram geraten ist – halte ich jedoch mitten in der Bewegung inne und starre die Nachricht an, die vor mir aufgepoppt ist.

Kleine Erinnerung: Wenn du bis 28 nicht verheiratet bist, heiratest du Theo! Heute in einer Woche!

Theo.

Mein Magen schlägt einen Purzelbaum. Nicht zu fassen, dass ich unseren Pakt vergessen habe.

Ich habe Theo seit zehn Jahren nicht mehr gesprochen, doch allein der Gedanke an ihn führt dazu, dass sich in meinem Innern verschiedene Gefühle freikämpfen: Bedauern, Sehnsucht, Scham. Er war meine erste Liebe – und vielleicht sogar meine letzte. Ich kann fest davon überzeugt sein, den Mann, mit dem ich gerade zusammen bin, über alles zu lieben, doch sobald die Erinnerung an Theo und mich hochkommt – an das, was wir zusammen hatten –, denke ich einen Moment lang, dass es für mich niemals einen anderen geben kann als ihn. Seit der Highschool jage ich dem Glücksgefühl hinterher, das Theo in mir ausgelöst hat. Unserer besonderen Verbindung, der Tatsache, dass er meine Gedanken kannte, noch bevor ich sie ausgesprochen hatte, und der Art, wie er nur mich gesehen hat und nicht die Person, die man in der Öffentlichkeit aus mir macht. Für ihn war ich einzig und allein Emerson Grey.

Selbst im letzten Schuljahr, als ich schon größere Kampagnen shootete und das Getuschel über mich auf den Fluren nicht mehr negativ war, interessierte ihn nur, ob mich der Job wirklich glücklich machte. Während meine Mom blind jeden Werbevertrag unterschrieb, den mein Agent für mich ergattert hatte, war Theo derjenige, dem auffiel, dass ich enttäuscht war, als ich an Halloween nicht in Salem sein konnte, weil ich von einem Modelabel gebucht worden war. Er durchschaute das, was ich sagte, und verstand, was ich wirklich meinte. Dann rief er mit verstellter Stimme meinen Agenten an, tat so, als wäre er mein Dad, und gab überzeugend vor, dass ich die Grippe hätte. Anschließend verbrachten wir eine wunderschöne Woche damit, einheitliche (und extrem uncoole) Skelettkostüme zu nähen. Das war viel besser als irgendein langweiliges Shooting.

Diese Erinnerungsnachricht muss in der Cloud abgespeichert gewesen sein – ich habe x neue Handys gekauft, aber meine ID ist dieselbe geblieben. Unseren Pakt hatte ich völlig vergessen. Ich lege mich wieder aufs Bett zurück und presse das Telefon an meine Brust. Diesen Pakt hatten wir in der Highschool geschlossen, als wir achtundzwanzig noch für uralt hielten und uns die zehn Jahre nach unserem Abschluss wie eine Ewigkeit vorkamen. Wir hatten den Moment, als wir die Erinnerung eingespeichert hatten, regelrecht zelebriert und sie so programmiert, dass sie zuerst an Theos Geburtstag und dann, eine Woche später, an meinem aufpoppen würde. Damals hatten wir herumgewitzelt, dass wir so noch eine Woche Zeit hätten, um zumindest eine provisorische Hochzeit auf die Beine zu stellen. Ich fand es so romantisch, wie in einer Romantischen Komödie, in der die beiden am Ende natürlich zusammenkamen, was ihre Familie und Freunde schon von Anfang an gewusst hatten.

Erneut starre ich die Erinnerungsnachricht an. Es ist die erste, was bedeutet, dass Theo heute Geburtstag hat. Daran hatte ich gar nicht gedacht. In der Highschool hätte ich mir nie vorstellen können, jemals seinen Geburtstag zu vergessen oder nicht diejenige zu sein, mit der er ihn verbringen würde. Aber wir sind nicht mehr die Personen von damals – dazwischen liegen so viele Jahre und Kilometer. Es ist tatsächlich ein ganzes Jahrzehnt her, dass wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben. Die Bedeutung dieser Erkenntnis zieht mich herunter wie ein Bleigürtel unter Wasser. So hatte ich mir mein Leben nicht vorgestellt.

Wenn diese Erinnerung kein Zeichen vom Universum ist, dass ich endlich die Sache klären sollte, die ich am meisten bereue, weiß ich es auch nicht.

Ich habe Theos Lebensweg begierig von meinem falschen Profil aus verfolgt. Ich schaue mir jede Story an, die er veröffentlicht, achte aber tunlichst darauf, nicht jeden Post von ihm zu liken, dafür nehme ich jedes Bild genauer unter die Lupe, das er getaggt hat. Natürlich weiß ich, dass er Fotograf ist, nur leider taggt er selten die Marken, für die er arbeitet. Von seinen Neffen zeigt er wesentlich mehr als von sich. Trotzdem scrolle ich jetzt seine Seite durch, klicke auf die neuesten Posts und suche wie eine Besessene nach mehr Informationen.

In der Regel interessiere ich mich nicht für Fotografie, aber seine Bilder sind einfach unglaublich. Auch diesmal hat er die Marke nicht getaggt, doch die Fotos sind wunderschön und viel kunstvoller als die, die man normalerweise bei der Kampagne einer Kaufhauskette zu sehen bekommt. Nicht nur, dass die günstigen Klamotten perfekt in Szene gesetzt sind – und er alles mit eingearbeitet hat, was das Angebot sonst noch hergibt: von Lichterketten bis hin zu Heizgeräten –, er scheint die Models gleichzeitig auch in ihren authentischsten und schönsten Momenten eingefangen zu haben. Außer ihm habe ich noch niemanden getroffen, der so gut fotografieren kann.

Ich mache einen Screenshot von der Seite und schicke ihn direkt an Natalie, meine Assistentin.

Ich muss unbedingt wissen, für wen er arbeitet, am besten sofort!!! Was ist sein nächster Auftrag?

Sie braucht nur sieben Minuten, um sich zu melden, doch in dieser Zeit habe ich schon ein drei Jahre altes, getaggtes Foto gefunden und die Seite von Anthem durchsucht und bin nun zu neunundneunzig Prozent sicher, dass ich meine Antwort gefunden habe. Natalie bestätigt meinen Verdacht.

Theo Carson arbeitet für Anthem. Die shooten in zwei Tagen ihre Sommerkollektion.

In zwei Tagen! Abrupt setze ich mich auf und rufe meinen Agenten an. »Emerson?«, meldet er sich. »Ist was passiert?«

Sein überraschter Tonfall lässt mich die Augen zusammenkneifen. Ich rufe nie an, schließlich habe ich schon am Anfang meiner Karriere beschlossen, mich in die Gruppe von Matts »unkomplizierten Mädchen« einzureihen. Unkompliziert zu vermitteln und unkompliziert in der Zusammenarbeit mit anderen. Außerdem belaste ich ihn nie mit meinen persönlichen Problemen, wie es einige andere Mädchen fatalerweise tun. Ich habe verstanden, dass Gefühle einem nicht helfen, wenn man es bis ganz nach oben schaffen will. Was mein einziges Ziel ist.

Ich kann mir schon vorstellen, welche Szenarien Matt gerade durch den Kopf gehen. Hat der Friseur ihre Haare versaut? War das chemische Peeling zu aggressiv, sodass sie eine Woche ausfällt? Lebensmittelvergiftung? Damit käme er sicher klar. »Hi! Entschuldige, dass ich dich anrufe.« Ich erstarre. Ich bin es einfach nicht gewohnt, ihn um irgendetwas zu bitten. Unbehaglich rolle ich mich auf den Bauch und spiele nervös mit meinem Haar. Es ist ganz splissig, weil mein Team darauf besteht, mein blondes Haar noch zusätzlich mit Strähnchen aufzuhellen, damit ich wie das perfekte amerikanische Mädchen aussehe. Zeit für eine Glanzspülung.

»Was ist los? Emerson?«

»Oh, sorry … nichts ist los, tut mir leid«, stammle ich. »Ähm, also, eigentlich wollte ich nur fragen, ob du mir vielleicht … ähm … ein Shooting bei einem bestimmten Label verschaffen könntest. Eins, das … äh … etwas anders ist als die, die mich sonst buchen.«

»Welches Label?« In seiner Stimme schwingt Anspannung mit. Normalerweise bin ich Haute-Couture-Model, eins seiner besten. Ich werde für jede Kampagne von Chanel, Gucci, Valentino und Prada gebucht. Vor sieben Jahren habe ich sogar aufgehört, für Onlinekampagnen im Haute-Couture-Bereich zu shooten, weil er der Meinung war, dass mein Wert dadurch sinken würde, und bei Modenschauen laufe ich mittlerweile nur noch während der wichtigsten Fashion Weeks.

»Anthem? Ich weiß, die sind eher kommerziell ausgerichtet, und das mache ich sonst nicht, aber ich würde wahnsinnig gerne mit deren Team arbeiten. Und die haben einige richtig gute Kampagnen produziert.« Ich halte den Atem an. Anthem als kommerzielles Label zu bezeichnen ist eine sehr geschönte Umschreibung. In Wahrheit sind sie eine Kaufhaus- oder Mall-Ladenkette, die ein paarmal im Jahr eine Kollektion herausbringt, und definitiv kein Modelabel. Aber was ich über Theos Arbeit für sie gesagt habe, ist wahr. Seine Bilder sind nicht nur viel künstlerischer, als sie es für diese Art von Mode sein müssten, sondern auch voller schöner Motive, und sie erzählen eine Geschichte. Sie verleihen dem Unternehmen Klasse und sorgen dafür, dass jede Generation sich dort einkleiden möchte.

Die Abscheu am anderen Ende der Leitung ist geradezu mit Händen greifbar. »Anthem? Das bringt dir doch gar nichts. Im Gegenteil: Damit schadest du deiner Karriere nur, selbst wenn du das Gesicht der Kampagne wirst.«

»Ist mir egal.«

»Oh, warum rufe ich dann nicht am besten gleich bei Walmart an? Oder Woolworth? Den Job buche ich dir jedenfalls nicht.« Es ist mehr als offensichtlich, dass er mich für völlig durchgeknallt hält.

»Matt, vergiss bitte nicht, dass du genau genommen für mich arbeitest. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass dir allein die American-Express-Kampagne letztes Jahr mit mir als Testimonial genug Geld eingebracht hat, um dich jetzt schon zur Ruhe zu setzen.«

Gespannt halte ich den Atem an. So aggressiv war ich noch nie zu ihm, in der ganzen Zeit nicht, in der wir jetzt zusammenarbeiten. Er ist zwar kein angenehmer Mensch, aber ein sehr guter Agent, und er hat mich von Anfang an betreut. Gegen seine Erfolgsbilanz lässt sich nichts sagen. Und ich weiß, dass er mich immer vor den Fotografen geschützt hat, über die andere Models nur hinter vorgehaltener Hand sprechen, und er hat mich nie zu Kampagnen geschickt, die das Ende meiner Karriere hätten einläuten können – was man von den meisten anderen Agenten nicht behaupten kann, denen man mit einem riesigen Scheck vor der Nase herumwedelt. Aber diesen Job brauche ich einfach. »Emerson, ich kann das nicht mit unterschreiben. Das fällt auch auf mich zurück.«

»Dann besorge ich mir den Job eben selbst. Oder bitte Natalie darum, die sicher gerne deine zwanzig Prozent einstreicht.«

»Das würdest du nicht tun«, sagt er kurz ab. Die Vorstellung, dass meine zwanzigjährige Assistentin seinen Anteil bekommt, macht ihn definitiv wütend. »Wieso ist dir das so wichtig? Sonst sagst du doch nie was zu den Shootings, die ich dir besorge.«

»Ich will mit Theo Carson arbeiten. Er ist ein alter Freund von mir.«

Die Stille, die daraufhin folgt, ist ziemlich laut. Mir fällt zwar nichts ein, womit ich sie füllen könnte, aber ich kann die Räder in Matts Gehirn förmlich arbeiten hören.

»Jetzt sag nicht, du hast mit Josh Schluss gemacht«, meldet er sich schließlich wieder zu Wort. »Jedes Foto von euch beiden hat dir einen Auftrag eingebracht. Den Nike-Job hast du ihm zu verdanken.«

»Ich habe mich auch dafür bei ihm bedankt. Also, was sagst du? Besorgst du mir das Shooting bei Anthem?«

Er seufzt schwer. »Ach, Emerson, bitte. Das wäre eine wirklich schlechte Entscheidung. Davon abgesehen hat es auch einen Vorteil, dass du dich von Josh getrennt hast. Jetzt kannst du doch bei Harry Butler unterschreiben.«

»Du weißt genau, dass ich das nicht machen will.« Harry war der erste Mann, den ich nach meinem Umzug nach L.A. gedatet habe, als ich mir noch einzureden versuchte, über Theo hinweg zu sein. Es fing als reine PR-Beziehung an – mit Vertrag und allem Drum und Dran, da ich ziemlich schnell zum neuen »It«-Model aufgestiegen war und seine Musikkarriere gerade richtig ins Rollen geriet. Doch dann verstanden wir uns tatsächlich gut und versuchten, die Beziehung auch nach Vertragsende noch weiterzuführen. Das Ganze dauerte nicht lange, aber Harry ist immer noch ein guter Freund. Wirklich nur ein Freund. Und gerade bemüht er sich, mich zu einem weiteren einjährigen Vertrag als seine PR-Freundin zu überreden, weil alle Welt jedes Mal ausrastet, wenn wir nur zusammen fotografiert werden. Sicher lässt sich nicht leugnen, dass es sowohl seiner als auch meiner Karriere einen Riesenschub verpassen würde, und ich habe ihn ehrlich gern. Aber ich will eine richtige Beziehung.

»Du stehst gerade an einem entscheidenden Punkt. Es ist eine Sache, das begehrteste Model der Welt zu sein, solange du jung bist, aber diesen Erfolg in deine Dreißiger hinüberzuretten? Dafür brauchst du Harry. Seine Zielgruppe, seine Fans. Den Hype, den ihr zwei zusammen auslöst. Willst du nicht als wahres Supermodel in Erinnerung bleiben?«

»Natürlich will ich das. Aber ich muss unbedingt Theo wiedersehen. Und dafür brauche ich den Job bei Anthem und diese eine Woche mit ihm.« Ich weiß selbst, dass ich an einem Wendepunkt in meiner Karriere stehe – und in meinem Leben, denn irgendwie scheine ich einfach nichts zu finden, was mich so richtig glücklich macht. Das letzte Mal, als ich das Gefühl hatte, wirklich authentisch zu sein, war in der Zeit mit Theo – er ist also ein guter Startpunkt für meine Suche, zumindest der beste, der mir gerade einfällt.

Matt gibt ein Knurren von sich. »Okay, ein Kompromiss: Du bekommst dieses lächerliche Shooting und deine Woche mit Theo. Sollte das mit euch in der Zeit nichts werden, unterschreibst du den Ein-Jahres-Vertrag mit Harry. Und du stimmst der Verlobung nach neun Monaten zu.«

Ich atme einmal tief durch, während ich darüber nachdenke. Falls das mit Theo nichts wird, werde ich am Boden zerstört sein. Und meinem Image mit dem Shooting für Anthem umsonst einen Knick verpasst haben. Vielleicht ist es dann gar nicht das Schlechteste, mich ein Jahr lang nur auf meine Karriere zu konzentrieren, denn darum geht es eigentlich in diesem Vertrag: ein Jahr voll von öffentlichen Auftritten, Medienrummel und so vielen Shootings wie möglich. »Okay. Aber ohne Verlobung.«

»Du weißt doch, dass sein Team darauf besteht. Als Teil des Deals. Du kannst die Verlobung jederzeit lösen.«

»Ach komm, Matt. Harry wird auch ohne Verlobung zustimmen.«

»Er ist derjenige, der das forciert. Vielleicht will er es ja wirklich.«

Ich verdrehe die Augen. »So ein Quatsch. Er will nur eine Weltkarriere und weiß, dass eine Verlobung mit mir ihm ein gigantisches Medieninteresse verschafft und ihn raketenartig nach oben katapultiert. Und noch höher.« Was stimmt. Harry hatte ursprünglich als Sänger angefangen, doch mittlerweile arbeitet er auch als Schauspieler und Model und designt gerade seine eigene Modekollektion. Unsere PR-Beziehung war ein Sprungbrett für ihn.

»Dann nutz das doch auch für dich. Gib den Leuten, was sie wollen, und zieh deine Vorteile daraus. Eine Verlobung von euch beiden wäre die Story des Jahrhunderts. Wenn du zustimmst, rufe ich direkt bei Anthem an: Solltest du am Ende des Jobs nichts mit dem Kerl am Laufen haben, unterschreibst du den Vertrag mit Harry, einschließlich aller Bedingungen.«

Ich kann geradezu hören, wie Matt den Atem anhält. »Na schön«, willige ich schließlich ein. Das Shooting findet schon in ein paar Tagen statt, ich kann also nicht ewig mit Matt verhandeln. Ich bekomme eine Woche. Sieben Tage, um meine Beziehung mit Theo zu klären, herauszufinden, wie mein Leben in Zukunft aussehen soll, und vielleicht meine Authentizität und die Leidenschaft wiederzuerlangen, die ich einmal hatte.

»Super. Ich setze mich sofort dran! Und falls du nach ein, zwei Tagen doch noch zur Vernunft kommen solltest, sag’s mir einfach, und ich bestehe auf der ›Sie muss weder Strafe zahlen noch ins Gefängnis‹-Austrittsklausel, die ich in deinen Standardvertrag eingebaut habe. Danach wird es zwar nicht ganz so leicht, aber wenn dein Verstand wieder einsetzen sollte, werde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um dich da rauszuholen.«

Er hat recht, was Anthem angeht, das ist mir schon klar. Es ist kein guter Karriereschritt. Trotzdem verspüre ich zum ersten Mal keine Angst. Keinen Druck, es bis an die Spitze zu schaffen und dort bleiben zu müssen. Ich werde mit Theo arbeiten. Ihn sehen. Dieser Gedanke erfüllt mich mit Ruhe. Er ist der einzige Mensch, der mir schon immer das Gefühl gegeben hat, dass alles in Ordnung kommt, selbst wenn es dafür keinerlei Anzeichen gibt. Seit meiner Teenagerzeit habe ich all meine Kraft und Mühe in meine Karriere gesteckt, um nicht eines Tages zurückzublicken und zu erkennen, dass ich lediglich meine fünfzehn Minuten Ruhm hatte und nichts mehr davon übrig ist. Ich wundere mich immer noch über den riesigen Erfolg, den ich habe. In der Highschool war ich nie so beliebt, dass ich aus der Masse herausgestochen wäre, und für meine Eltern war ich offensichtlich auch nicht interessant genug, um geliebt zu werden. Doch irgendwie ist es meinem Team gelungen, die Welt davon zu überzeugen, dass ich etwas wert bin, und dieser Erfolg ist alles, was ich habe. Deshalb muss ich nun mein Privatleben an die erste Stelle setzen, denn vielleicht bekomme ich keine weitere Chance mehr, mich mit Theo auszusprechen.

Vielleicht ist das meine letzte Chance auf die wahre Liebe.

KAPITEL 2

Theo

Ich bin ein Optimierer. Ich verleihe dem Banalen Glanz, kreiere weltweite Kampagnen für Produkte wie Spülmittel und poliere das Image von Marken auf, die mehr sein wollen als ein Teil des Wocheneinkaufs. Ich sorge dafür, dass die Leute dieses bestimmte Paar Flip-Flops so sehr haben wollen, dass sie dafür extra zum Laden fahren, anstatt es beim Lebensmittelkauf im Supermarkt in den Wagen zu werfen, weil es am Ende eines Gangs im Schnäppchenregal steht. Das ist zwar kein besonders glamouröser Job, aber die Herausforderung verschafft mir eine gewisse Befriedigung, und ich habe mir eine Nische in einem extrem gesättigten Umfeld geschaffen.

Bademode zu fotografieren, ist allerdings wahnsinnig langweilig und öde. Ganzkörperbild vom Model, von vorne, hinten, oben, vorne, hinten, unten, dann das nächste Model an den exakt selben Punkt manövrieren. Noch mal zehn Badeanzüge hier, dann ab zum nächsten Motiv. Die Models sind so talentiert, die Beleuchtung und Location so wunderschön, dass auch einer meiner Assistenten die Fotos machen könnte, ohne den Vergleich mit mir scheuen zu müssen. Der Sonnenuntergang ist mein Höhepunkt des Tages. Dann dürfen die Models endlich ihr Haar nass machen und können mir ein bisschen mehr Variationen anbieten. Das ist zwar nicht die kreative Arbeit, für die ich normalerweise beauftragt werde, aber ich bin froh, der Haus-und-Hof-Fotograf von Anthem zu sein, weil sie gut bezahlen und am Set eine entspannte Atmosphäre herrscht.

Kampagnenshootings sind allerdings etwas ganz anderes. Dort kann ich meine eigene Vision erschaffen und umsetzen, solange ich die schmalen Outfits und die fünfundzwanzig Warenhausprodukte präsentiere, die nicht wirklich zu den Klamotten passen, aber in derselben Saison verkauft werden müssen. Und ein weiteres Plus: Die Klamotten sind maßgeschneidert, im Gegensatz zu der Bademode, die zusammengesteckt wird, sodass die Mädchen sich nicht groß bewegen können, ohne dass man die Nadeln sieht. Da bei Anthem keine Bilder retuschiert werden, weil die Firma deswegen vor Jahren übel von der Presse abgestraft wurde, können die Nadeln nicht gelöscht werden. Aber man kann sie verstecken und die Kundinnen auf diese Weise täuschen. Mein Lieblingsshooting für Anthem ist Weihnachten, wenn wir im Juli Berge von Kunstschnee ankarren und eine Hütte samt Bäumen damit abdecken, die wir anschließend mit Lichterketten schmücken. Außerdem habe ich dann ein beinahe unbegrenztes Budget zur Verfügung, um alles, von Schlafanzügen bis hin zu Staubsaugern, in Szene zu setzen. Aber jetzt sind wir in der Badesaison, und als das nächste Model vom Trailer zum Set herüberkommt und mir vor die Linse geschoben wird, setze ich mein gewinnendes Lächeln auf und wende mich zu meinen Kunden um. »Dieser Piqué-Stoff ist der Wahnsinn! Sieht total hochwertig aus. Davon muss ich unbedingt eine Detailaufnahme machen.«

Miranda, die Chefstylistin, strahlt. »Der wird definitiv ein Seller in dieser Saison! Und er ist robust, auch nach zig Wäschen noch. Die Materialtests waren echt gut. Stacey musste leider noch einen wichtigen Anruf erledigen, aber für das hier werden wir auf jeden Fall Vertis und Horis brauchen. Und kannst du mir eins von ihr mit dem pinken Becher machen? Davon haben wir einen Riesenbatzen eingekauft.«

»Klar, kriegst du!« Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf das Model, mit dem ich noch nie zusammengearbeitet habe. Somit hat sie sehr wahrscheinlich auch noch nicht für Anthem geshootet. »Horis sind Horizontalaufnahmen, also im Hochformat«, erkläre ich ihr. »Dabei kannst du einfach ganz locker und lässig bleiben. Strahlendes Lächeln finden wir toll, Lachen, kleine Makel. Du musst nur daran denken, dich nicht so weit rumzudrehen, damit die Nadeln am Rücken nicht im Bild sind. Und wir bringen noch irgendwie den Becher mit rein, ich überlege mir kurz was.« Vielleicht könnte sie sich Sonnenmilch daraus über den Körper gießen? Oder Wasser? Dieser Hauch von Erotik verkauft sich immer gut.

»Okay, klingt super!«, flötet sie. Früher habe ich mir immer Gedanken darüber gemacht, dass die Models gehemmt und unsicher werden, wenn ich ihnen sage, dass sie sich nicht zu viel bewegen dürfen. Aber nachdem ich dauernd Beschwerden über die vielen nicht zu gebrauchenden Aufnahmen mit Nadeln bekommen hatte, habe ich beschlossen, die Mädchen vorher darüber zu informieren. Die meisten sind ohnehin Profis, die sich von meinen Anweisungen nicht einschüchtern lassen.

Als ich den Verschluss löse, geht ein Alarm los. Stirnrunzelnd blicke ich nach unten auf die Kamera. So ein Geräusch habe ich noch bei keinem Fotoapparat gehört. Jetzt bereue ich es, dass ich eingewilligt habe, dieses Hightechmodell zu benutzen, anstatt meiner üblichen Kamera. Der Digitaltechniker, von dem wir die Ausrüstung leihen und der während des Shootings die »Beste Aufnahme des Tages« auswählt, hat mich dazu überredet, aber neue Technik kann ihre Tücken haben.

»Das ist dein Handy, Kumpel, nicht die Kamera«, informiert mich Kevin, mein erster Assistent.

»Ah, okay«, entgegne ich lachend und übergebe ihm den Fotoapparat, um mein Telefon herauszuholen. Tatsächlich leuchtet auf dem Display eine Erinnerungsnotiz auf.

Kleine Erinnerung: Wenn du bis 28 nicht verheiratet bist, heiratest du Emerson! Heute in einer Woche!

Röte schießt mir in die Wangen. Dann fängt der Sand vor meinen Augen plötzlich an zu flirren, und ich bin froh, dass ich in weiser Voraussicht die Kamera weitergegeben habe. »Ich brauche mal fünf Minuten Pause«, murmle ich.

Sofort stieben alle auseinander, um entweder etwas zu trinken zu holen, zur Toilette zu gehen oder sich einfach nur den puren Luxus zu gönnen, sich nach vier Stunden Stehen endlich hinzusetzen. Ich verziehe mich außer Hörweite und tue so, als müsste ich telefonieren, während ich eigentlich versuche, mich wieder zu fangen. Emerson. Wie konnte ich vergessen, dass heute Stichtag für unseren Pakt ist? Am Set bin ich so fokussiert, dass ich schon meinen eigenen Geburtstag vergessen habe, aber den Pakt? Ich vergesse nie etwas, das mit Emerson zu tun hat.

Fassungslos setze ich mich hin und reibe mir übers Gesicht. Ich kann mich noch genau erinnern, wo wir waren, als wir diese Erinnerungsnotiz geschrieben haben. Es fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen, und gleichzeitig, als läge es eine Million Jahre zurück, dass wir zwei alberne Zehntklässler waren und beschlossen zu heiraten, wenn wir aus unerklärlichen Gründen mit achtundzwanzig noch Single sein sollten; uns eine Woche Zeit für die Vorbereitungen zu nehmen und dann kurz vor Emersons Geburtstag durchzubrennen. Amüsiert lache ich in meine Hand hinein. Unglaublich, dass wir achtundzwanzig für alt hielten.

Das letzte Mal habe ich Emerson mit achtzehn gesehen. Es ist also ein Jahrzehnt her, das wir uns im selben Raum aufgehalten haben. Am selben Strand waren. Ich war immer froh, dass sie nicht für die Labels arbeitet, für die ich fotografiere. Oder vielleicht bin ich auch verzweifelt deswegen? Das ist schwer zu sagen, wenn ich beim bloßen Gedanken an sie kaum noch Luft bekomme. Auch jetzt spüre ich dieses vertraute Ziehen tief in meiner Brust, fühle, wie sich die Angst immer enger um meine Lunge und mein Herz legt, bis ich glaube, gleich zu explodieren. Dieses Gefühl – ein Schmerz, der mir vollkommen neu war und zum ersten Mal nach den eindrucksvollen achtundvierzig Stunden auftrat, die zu unserer Trennung geführt hatten – bewahrte mich davor, um sie zu kämpfen. Mittlerweile ist es nicht mehr so extrem wie damals, trotzdem habe ich mich dazu entschlossen, lieber auf Nummer sicher zu gehen und sie in Ruhe zu lassen, anstatt die Panikattacke zu ertragen, die mich erfassen würde, wenn ich ihr gegenüberträte.

Ich öffne die Suchmaschine auf meinem Handy und tippe Emersons Namen ein. Als ich sie das letzte Mal gegoogelt habe, war sie auf der Titelseite des People Magazine abgebildet, Händchen haltend mit ihrem Baseballspieler-Freund. Das Foto zu sehen, versetzte mir keinen Stich; es fühlte sich eher so an, als hätte mir jemand ein Messer ins Herz gerammt. Sie mochte Baseball nie. Normalerweise bemühe ich mich, sie nicht zu oft zu suchen, aber wenn Emerson für eine Kampagne engagiert wird, gehen die Bilder viral. Es ist extrem schwer, ihr aus dem Weg zu gehen, und noch schwerer, nicht an unsere Beziehung zu denken, wenn an der Plakatwand vor deiner Wohnung ihr Gesicht abgebildet ist – und eine ihrer manikürten Hände, mit der sie sich gerade Lippenstift von Dior aufträgt. Inzwischen ist sie so berühmt, dass sie nicht mehr als irgendeine ein Meter achtzig große Blondine mit perfekten Maßen engagiert wird. Nein, jetzt geht der Auftrag an Emerson. Anrede nur mit Vornamen, wie bei Twiggy oder Madonna. Sie ist eine Variante von Kendall Jenner oder Gigi Hadid, mit der sich die Leute identifizieren können; der Inbegriff des Aschenputtels, das nichts hatte und ein Star wurde, ohne reiche Eltern oder eine berühmte Tante. Millionen Menschen auf der ganzen Welt folgen ihr in den sozialen Medien in der verzweifelten Hoffnung, selbst mit siebzehn entdeckt und berühmt zu werden.

Ich dagegen habe ihren Namen seit Jahren nicht mehr laut ausgesprochen. Seit Allison mich in einer Bar vom Boden der Toilette aufsammeln musste, nachdem ich Emerson in einer Instagram-Werbung gesehen hatte, habe ich beschlossen, dass es an der Zeit ist, etwas zu tun. Also habe ich mich in Richtung kommerzielle Fotografie umorientiert, die gut bezahlt wird und mir ein angenehmes Leben ermöglicht. Dank einiger Assistentenjobs hatte ich bei Anthem schon einen Fuß in der Tür und wusste, dass ich bei den großen, nicht so glamourösen, massenmarktorientierten Firmen eine gute Chance hatte, während es Jahre dauern könnte, mir einen Namen bei Galerien oder Magazinen zu erarbeiten. Und ich musste fotografieren, um den Tag durchzustehen. Wenn ich arbeitete, dachte ich nicht nach, und nur so konnte ich über die Trennung hinwegkommen, ordentlich Geld verdienen und wenigstens meiner Familie und den Leuten außerhalb der Branche gegenüber den Eindruck vermitteln, erfolgreich zu sein, während ich mich ein paar Jahre lang zu orientieren versuchte.

Doch dann wurden aus den paar Jahren zehn, in denen ich Bikinis für fünf Dollar und heruntergesetzte Dekokissen ablichtete. Jedes Kind träumt davon, eines Tages ein Superstar zu sein, auch wenn es für die meisten nur ein Luftschloss bleibt. Ich hatte in der Schulzeit ebenfalls viel höhere Ziele als jetzt. Ich träumte davon, eigene Ausstellungen in Galerien zu bekommen, meine Bilder in Museen zu präsentieren und große Kunst zu erschaffen. Aber es blieb auch bei der Träumerei. Stattdessen wurde ich irgendwann erwachsen und passte meine Träume an. Jetzt bin ich glücklich damit, der Mann zu sein, der das Alltägliche zum Glänzen bringt – und dadurch verkauft. Das war und ist zwar nicht mein Traum, aber ich werde respektiert. Mittlerweile bemühe ich mich nicht einmal mehr darum, glamourösere Aufträge in der Modewelt oder für Magazine zu bekommen; ich bin zufrieden damit, in Boston zu leben, in der Nähe meiner Familie, wo ich die Möglichkeit habe, zwischen den Aufträgen mit meinen Neffen Fußball zu spielen, im Sommer mit meinem Bruder zu grillen und professionelle Fotos von der Katze meiner Schwägerin zu machen. Währenddessen ist Emerson zum Gesicht der internationalen Haute Couture aufgestiegen. Ich versuche, nicht darüber nachzugrübeln, was sie jetzt von mir halten würde. Ihre Träume haben sich auf noch unglaublichere Weise verwirklicht, als wir uns das je hätten ausmalen können, während meine sich der Realität angepasst haben.

Bei jedem neuen Handy, das ich mir kaufe, muss ich schmerzhafterweise alles vom alten Modell rüberziehen. All die Fotos aus der Highschool, die ich von Emerson gemacht habe, damals, als ich noch kaum verstanden habe, wie eine Kamera funktioniert; als ich dachte, es wäre mein Verdienst, dass sie so eine Ausstrahlung auf den Bildern hat. Und diese Notiz, die geradezu darum gebettelt hat, von mir gelöscht zu werden. Aber das konnte ich nicht. Die Erinnerung an diesen perfekten Tag konnte ich einfach nicht löschen. Ich stehe auf und nehme mir einen Moment Zeit, um die Atemübung durchzuführen, die Allison mir damals auf dem Toilettenboden beigebracht hat – eine Technik, die ich seitdem für alles Mögliche angewandt habe, von Emerson über Verkaufszahlen bis hin zu … na ja, eigentlich benutze ich die Zirkularatmung hauptsächlich, um mich zu beruhigen, wenn ich an Emerson denke.

Als ich mich wieder halbwegs normal fühle, kehre ich ans Set zurück. Dort warten zwei Models, beide mit gesenkten Köpfen, sodass ihr kunstvoll zerzaustes Haar die Smartphones in ihren Händen verdeckt. »Ich kann es echt nicht glauben«, sagt die eine junge Frau. »Die waren so ein perfektes Paar. Na ja, also, er ist jetzt nicht Harry, aber davon abgesehen, lässt man sich so einen doch nicht entgehen. Den heiratet man.«

Das andere Model schüttelt bedauernd den Kopf. »Ich weiß, und ihre Erklärung war so … na ja, so vernünftig. Das heißt, er scheint nicht mal irgendwie durchgeknallt zu sein oder so was. Das ist so traurig. Aber ich hoffe, sie kommt jetzt wieder mit Harry zusammen – die beiden haben so gut zusammengepasst.«

»Hast du schon mal mit ihr gearbeitet? Sie ist echt so gut. Wobei sie mir schon wie eine Zicke vorkommt. Ich meine, die hat echt ’nen ganz schönen Männerverschleiß.«

Stirnrunzelnd sehe ich den beiden zu, obwohl ich mir schon denken kann, über wen sie reden. Den Schlagzeilen, als Emerson mit Harry Butler zusammen war, konnte man nicht entgehen. Ich versuche, einen Blick auf die Handydisplays zu erhaschen, kann aber die Buchstaben nicht richtig erkennen.

»Ich bin mal mit ihr in Mailand gelaufen«, gibt die andere zurück. »Sie ist tatsächlich total nice. Und stell dir vor: Er ist direkt nach einem Spiel zu ihr geflogen und hat noch während der Modenschau auf sie gewartet. Das war so süß.«

Moment … ein Spiel? Mein Herz zieht sich zusammen. Sie sprechen also definitiv über Emerson. Ich habe die Presseberichte gelesen, als ihr Baseball-Freund das gemacht hat. Harper’s Bazaar hat die Story damals als Erstes veröffentlicht, und ab dann hat sie jeder gebracht; manche Medien haben sogar darüber spekuliert, dass er in Mailand einen Heiratsantrag für sie geplant und dafür den kompletten Dom gemietet hat. Für mich endete jener Abend auf Allisons Couch, mit Atemmaske und viel zu viel Wein.

»Wer hat sich jetzt schon wieder getrennt?«, frage ich und bemühe mich um einen möglichst lockeren Tonfall. Ich will Einzelheiten wissen, traue mich aber nicht, sie selbst nachzuschauen. Wahrscheinlich würde ich wieder auf dem Boden der nächsten Toilette enden.

»Emerson und Josh!«, entgegnen die Models einstimmig. Eine der beiden hält mir ihr Handy hin, um mir ein Foto zu zeigen, auf dem Emerson ihr Gesicht mit der Hand verdeckt, während sie aus einem Hotel herauskommt. »Das ist so traurig.«

Ich nicke, aber in meinem Kopf rasen die Gedanken hin und her. Sie macht mit ihrem Baseball-Typen Schluss, am selben Tag, an dem unsere Erinnerungsnotiz aufpoppt? Das kann kein Zufall sein. Andererseits hat sie die Nachricht vielleicht gar nicht mehr auf ihrem Handy. Das Telefon von damals hat sie ganz sicher nicht mehr. Jemand wie sie hat bestimmt schon tausendmal das Handy gewechselt – wer weiß, vielleicht hat sie sogar mehrere gleichzeitig. Wie hoch ist die Chance, dass unser Pakt immer noch in eins davon einprogrammiert ist?

Aber selbst wenn sie die Erinnerung nicht mehr hat und der Tag der Trennung doch Zufall ist – irgendetwas sagt mir, dass ich diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen darf. Das könnte meine letzte Chance sein.

»Ich muss noch mal schnell telefonieren, bin gleich wieder da.« Stacey blickt nicht mal von ihrem Handy auf, während ich eilig davonmarschiere.

Nervös scrolle ich meine Kontakte durch auf der Suche nach der Nummer, an die ich mich seit zwei Jahren klammere, seit ich Allison geradezu bekniet habe, mir über ihre Nobelagentur den Kontakt von Emersons Modelagenten zu besorgen. Einige Jahre lang wollte ich es nicht wahrhaben, dass sie mir eine klare Abfuhr erteilt hatte, doch schließlich entschied ich mich dafür, sie ernst zu nehmen. Wenn ich mir allerdings an unseren Geburtstagen alte Fotos von uns ansehe, wenn ich mitbekomme, dass sie das Gesicht einer besonders außergewöhnlichen Kampagne ist, oder wenn ich mich allein zu Hause betrinke, fällt es mir immer noch schwer zu glauben, dass sie nicht die gleichen Gefühle für mich hatte wie ich für sie. Deshalb habe ich in einem schwachen Moment nach der Nummer gefragt, nur um sie zu haben. Ich habe sie nie gewählt … bis jetzt.

In der Leitung tutet es, dann meldet sich eine energiegeladene Stimme. »Nanu, wem verdanke ich denn die Ehre, dass Theo Carson mich anruft? Meines Wissens vertrete ich noch keine Kaufhausketten.«

»Ha…hallo?«, stammle ich. »Hallo! Hier ist Theo Carson, ein Freund von Emerson. Die … Ihre Klientin ist. Was Sie wohl wissen … Ähm … Ich glaube, ich habe ihre aktuelle Nummer nicht, deshalb habe ich mich gefragt, ob Sie … ähm … ihr vielleicht etwas von mir ausrichten könnten … bitte?« Am anderen Ende herrscht Schweigen.

»Was soll ich ihr denn ausrichten?«, fragt er schließlich und klingt nun wachsam und kurz angebunden.

»Na ja, wir haben uns schon eine Weile nicht mehr gesprochen, und ich wollte sie fragen, ob sie vielleicht Lust hätte, sich mal mit mir zu treffen und über alte Zeiten zu plaudern.« Ich schlucke hart. Das wird nicht reichen. Sie wird mich niemals anrufen, wenn ich so tue, als wären wir nur alte Freunde und mehr nicht. »Können Sie ihr ausrichten, dass ich das, was ich damals mit achtzehn am Strand zu ihr gesagt habe, immer noch genauso meine?« Hoppla, das war jetzt zu viel. Rudere zurück. »Ach, Moment, vergessen Sie’s. Sagen Sie ihr einfach, dass sie mir fehlt.«

Das ist die Wahrheit. Nicht die ganze Wahrheit – dass ich wahnsinnig in sie verliebt war und nie aufgehört habe, sie zu vermissen –, aber das muss genügen. Zumindest erst mal. Ich klinge jetzt schon total lächerlich; wie ein Teenager, der für ein Mädchen schwärmt, und nicht wie ein erwachsener Mann, der erfolgreich im Berufsleben steht.

»Ist notiert«, entgegnet ihr Agent. »Wort für Wort. Ich werde es weitergeben.«

Bevor ich noch irgendwas sagen kann, hat er aufgelegt. Ich stecke mein Handy wieder in meine Hosentasche und lächle. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit empfinde ich beim Gedanken an Emerson etwas, das mir nicht vertraut ist.

Hoffnung.

KAPITEL 3

Neunte Klasse

Emerson

In dem Moment, als ich die Turnhalle der Schule betrat, wusste ich, dass ich hier fehl am Platze war. Ich hatte meinen Abschluss an der Junior High School mit zwanzig anderen Achtklässlern gemacht, die ich schon seit dem Kindergarten kannte. Die meisten meiner Mitschülerinnen und Mitschüler hatten auf Privatschulen gewechselt, und nun, da ich hier ganz allein stand, ohne einen meiner Freunde an der Seite, vor einer Flut von Teenagern, die alle irgendwie älter und cooler aussahen als ich, wurde mir klar, dass ich meine Mom hätte anflehen sollen, mich woanders hinzuschicken.

In dieser Turnhalle befanden sich mehr Leute, als auf meiner alten Schule insgesamt gewesen waren. Ich hatte mir bescheuerterweise eine kurze Sporthose und ein Tanktop angezogen und trug nicht mal einen Hauch von Make-up im Gesicht. Die Oberstufenschülerin hinterm Empfangstresen sah mich mitleidig an, während sie mich meiner Orientierungsgruppe zuwies. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht löste einen leichten Anflug von Panik in mir aus.

Verstohlen betrachtete ich die Mädchen in meiner Gruppe. Sie hatten alle langes Haar, das sich an den Spitzen lockte, ohne eine Spur von Elektrostatik. Frisierten die sich selbst? Ich dagegen trug mein blondes Haar in einem kurzen Bob, nicht weil mir das so besonders gut gefiel, sondern weil ich dann außer Bürsten nichts damit machen musste. Das war das Einzige, was ich konnte, und meine Mom war keine große Hilfe, wenn es um Styling ging. Die Mädchen hatten ihre Augen mit Mascara betont, und ihre sich schnell bewegenden Münder glänzten von Lipgloss. Wieso hatte ich diesen geheimen Unterricht verpasst, in dem offensichtlich allen anderen Mädchen beigebracht wurde, wie man erwachsen und glamourös aussah? Ich hatte nicht einmal meine eigene Mom je geschminkt gesehen, aber sie hatte das auch nie nötig gehabt. So war ich nur mit den Furcht einflößenden Gerüchten aufgewachsen, wie mörderisch es auf der regulären Highschool zuging, und eine Sekunde lang fragte ich mich, ob das, was ich gehört hatte, vielleicht tatsächlich stimmte.

Ich ließ den Blick durch die Halle über die anderen Schüler schweifen und blieb an einem Jungen hängen, der ein paar Meter von mir entfernt stand. Er war sehr hochgewachsen, aber muskulös und hatte wunderschöne Augen mit langen Wimpern, um die ihn jedes Mädchen beneidet hätte. Während die anderen Jungen sich wie halbstarke Affen aufführten, wirkte er … sympathisch. Und wenn ich ganz ehrlich war, sah er ziemlich heiß aus. Nur mit Mühe löste ich meinen Blick von seinem Körper, und als ich ihn wieder auf sein Gesicht richtete, stellte ich erschrocken fest, dass er mich anstarrte.

Die peinliche Röte, die mir daraufhin in die Wangen schoss, blieb eine gefühlte Ewigkeit an mir haften, auf jeden Fall die ganze Zeit über während der Vorstellungsrunden und Kennenlernspielchen. Als wir endlich zum Rundgang durch die Schule aufbrachen, schloss der Unbekannte zu mir auf. Er trank einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche und hielt sie anschließend mir hin. »Auch was? Du siehst so heiß aus.« Jetzt kroch ihm die Röte ins Gesicht, wobei die Farbe durch seinen gebräunten Teint kaum auffiel. »Also wörtlich gemeint … körperlich … Es ist heiß hier drinnen, wollte ich sagen.« Er machte eine genervte Handbewegung durch den Raum.

Ich konnte spüren, dass einige Mädchen uns anstarrten und sich fragten, wieso jemand wie er mit jemandem wie mir redete. Aber ich versuchte, sie zu ignorieren, und nahm stattdessen die Wasserflasche entgegen. »Danke.« Ich trank einen großen Schluck, weil ich plötzlich nicht mehr zu wissen schien, wie man Wasser trinkt. Nahm ich die kleine Öffnung immer ganz in den Mund? War das zu sexy? Oder sollte ich dabei lieber graziöser vorgehen und nur einen kleinen Schluck trinken? Natürlich verschluckte ich mich prompt und hustete und spuckte, als ich ihm die Flasche zurückgab.

»Was für eine Vollidiotin«, raunte eins der Mädchen kichernd ihrer Freundin zu. Ich rechnete damit, dass der Unbekannte mich stehen lassen und wieder zu den anderen zurückkehren würde, doch er blieb und schlug mir mit einer seiner großen Hände auf den Rücken, während er mir mit der anderen die Flasche abnahm, sodass ich mich auf meine Knie stützen und abhusten konnte.

»Das war kein Versuch, dich umzubringen, ich schwöre«, sagte er lachend. »Ich bin übrigens Theo.«

»Emerson«, brachte ich schließlich hervor, während mir die Tränen aus den Augen liefen. »Und mach dir keine Gedanken. Ich wusste schon, als ich hier ankam, dass ich den Tag nicht überstehen würde.«

Was redete ich da? Überstehen? Ich klang, als wäre ich fünfzig! Doch er kniff lachend die Augen zusammen. »Es ist echt ganz schön viel. Ich glaube nicht, dass ich mir merken kann, wo welcher Raum ist.«

»Ich auch nicht. Ganz sicher nicht. Wir sind an vier meiner Klassenräume vorbeigekommen, und ich weiß jetzt schon, dass ich mich morgen garantiert total verlaufen werde.« Neugierig, ob wir irgendein Fach zusammen hatten, reckte ich den Hals, um seinen Stundenplan einsehen zu können. Doch obwohl er zum Teil dieselben Kurse hatte wie ich, gab es keine Überschneidung.

Die Tour durch die Schule ging weiter, während der Typ, der uns herumführte, monoton irgendwelche Infos über Anwesenheitspflicht bei Schulversammlungen und Sondererlaubnisse für Essen außerhalb des Campus herunterleierte. Schließlich hielten wir vor der Mensa an.

»Wollen wir uns verdrücken?«, raunte Theo mir zu. »Mein Bruder ist im Abschlussjahrgang und hat mir gesagt: Das hier ist die letzte Station der Einführungstour. Die zeigen uns die Mensa und überlassen uns dann uns selbst, damit wir uns mischen und die anderen kennenlernen können.«

Ich wusste, dass ich eigentlich versuchen sollte, mich hier zu integrieren und wenigstens eine Freundin zu finden, aber schon allein bei dem Gedanken krampfte sich mein Magen zusammen. Es war offensichtlich, dass ich nicht die richtigen Sachen anhatte, um irgendwelche Kontakte zu knüpfen, und seien es nur zaghafte. Besser, ich betrieb Schadensbegrenzung und startete am nächsten Tag einen frischen Versuch, wenn ich aussah wie jemand, die sich, ohne aufzufallen, an den Tisch der coolsten Vierzehnjährigen setzen konnte, die ich je gesehen hatte. »Auf jeden Fall.«

Froh, dass wir schnell gingen, weil ich zu schüchtern war, um ihn anzusehen, folgte ich Theo nach draußen zu den Fahrradständern. Hätte ich ihm in die Augen blicken müssen, hätte ich auf seine Standardfragen sehr einsilbig geantwortet, oder noch schlimmer: totalen Schwachsinn.

»Auf welcher Schule warst du denn vorher? Ich hab dich noch nie gesehen.« Seine Schultern waren so breit, dass ich ihm am liebsten ein V auf den Rücken gemalt hätte, bis hinunter zu seinem Po. Deshalb blieb ich auch ein Stück hinter ihm, obwohl meine Beine lang genug waren, um mit ihm Schritt zu halten. Doch er verlangsamte sein Tempo sofort, damit ich aufschließen konnte.

»Ich war auf der Watermark. Ja, die Hippieschule, in der es keine Sommerferien gibt, aber dafür – wie mir jetzt erst auffällt – ziemlich viele Nerds. Liebenswerte Nerds zwar, aber das erklärt wohl trotzdem, warum ich hier noch keine Freunde habe.«

Sein Lachen klang heller als seine eigentliche Stimme, und ich fragte mich, ob er sie vorher bewusst gesenkt hatte, um an diesem Tag des ersten Eindrucks selbstbewusster zu wirken. »Dann hab ich ja richtig Glück gehabt. Hätte ich dich erst morgen getroffen, hätte dich schon irgendeine Gruppe in Beschlag genommen.«

»Das bezweifle ich.«

Wir hielten vor den Fahrradständern an und machten uns beide an unseren Kombinationsschlössern zu schaffen. Ich nutzte den Moment, um mich wieder zu fangen. Wollte ich mich wirklich aus der Einführungsveranstaltung schleichen, noch dazu mit einem Jungen, den ich gar nicht kannte?

Theo setzte seinen Helm auf und schloss den Gurt. Der Helm war blau, ziemlich zerbeult und unmodisch, doch Theo schien das kein bisschen unangenehm zu sein. »Wo ist denn dein Helm?« Stirnrunzelnd blickte er sich um, als könnte der Kopfschutz wie von Zauberhand plötzlich an meinem Lenker auftauchen.

»Den habe ich zu Hause vergessen«, log ich. In Wahrheit war es mir zu peinlich, ihn mitzubringen. Die älteren Schüler, die ich hier öfter herumfahren sah, trugen nie einen, und meiner war knallpink – ein Überbleibsel aus meiner Zeit an der Mittelschule, das nicht richtig saß, das ich aber hatte behalten müssen, weil meine Mom sich weigerte, mir einen neuen zu kaufen, schließlich war meiner ja »noch gut«.

Theo schnallte seinen Helm wieder ab und beugte sich über den Fahrradständer, um mir das Plastikding in die Hand zu drücken. In der Millisekunde, die diese Bewegung dauerte, rutschte sein T-Shirt hoch, und ich konnte einen Blick auf seine wohldefinierten, gebräunten Bauchmuskeln erhaschen. Mir stockte der Atem, was dazu führte, dass sich mein Protest verzögerte, und als ich endlich die Sprache wiederfand, hatte ich den Helm schon in der Hand.

»Ich nehme deinen Helm nicht! Den brauchst du doch. Und außerdem bin ich eine sehr gute Radfahrerin. Ich komme also klar.«

»Sehr gut, hm? Falls du’s nicht weißt: Die meisten Fahrradunfälle passieren auf dem Nachhauseweg, dort, wo die Leute dauernd langfahren. Weil sie da nämlich zu selbstsicher sind.« Energisch zog er sein Fahrrad aus dem Ständer. »Solange du keinen Helm trägst, fahre ich nicht mit dir los.«

»Tja, dann muss ich wohl allein fahren – deinen nehme ich nämlich nicht.« Damit warf ich ihm den Helm zurück. Die Luft zwischen uns war ziemlich aufgeladen und knisterte nur so vor Spannung. Eigentlich wollte ich nicht diejenige sein, die dem ein Ende setzte, aber klein beigeben wollte ich auch nicht.

Theo holte ein ziemlich ramponiertes Handy aus der Hosentasche und fing an, nervtötend langsam eine SMS einzutippen. Schweigend stand ich daneben und verdrehte – in der Hoffnung, dass es süß und frech wirkte – die Augen in seine Richtung, während wir stumm auf eine Antwort von wem auch immer warteten. Als sein Handy endlich piepte, breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. In diesem Moment wusste ich, dass ich alles tun würde, um ihn erneut so zum Strahlen zu bringen. Es war, als würde sein ganzer Körper dabei leuchten.

Mit zwei Schritten lief Theo zu einem anderen Fahrrad in der Reihe hinüber, löste einen hübschen silbernen Helm von dessen Lenker und warf ihn mir mit einer Verbeugung zu.

»Ach, jetzt klaust du auch noch? Wem gehört der denn?« Seiner Freundin? Mein Herz zog sich zusammen. Wir kannten uns zwar erst seit etwa anderthalb Stunden, aber ich wusste schon, dass er mir gefiel. Sehr sogar.

»Der Freundin von meinem Bruder. Sie war die Leiterin der Einführung, die am Empfangstisch.«

Leider wusste ich nur zu gut, wen er meinte. Das Mädchen, das mich mit einem wenig dezenten Blick darauf hingewiesen hatte, dass ich idiotisch aussah und hier nicht hinpasste. »Er fährt sie nach Hause, und du kannst den Helm einfach morgen wieder mitbringen. An deinem Lenker, da du ja dann deinen eigenen Helm aufhaben wirst.«

Ich streckte ihm die Zunge raus, was ihn zum Lachen brachte. »Und wo fahren wir jetzt hin?«

»Wo möchtest du denn gerne hin?«

»Ich dachte, du hättest einen Plan, als du mich dazu überredet hast, die Schule zu schwänzen.«

Plötzlich öffneten sich die Türen des Schulgebäudes, und Leute strömten nach draußen. Ich musste schnell mit Theo von hier verschwinden, bevor ihn die anderen Mitschüler, die er sicher schon kannte, entdecken und in Beschlag nehmen würden. Bevor fünf oder mehr Mädchen ihn umringten und ihm klar wurde, dass er sich die Falsche für seine Flucht ausgesucht hatte. Ich brauchte unbedingt einen Freund hier in der Highschool, und ich wollte, dass er es war. »Fahr einfach hinter mir her!«, rief ich ihm über die Schulter zu und trat in die Pedale.

In kameradschaftlichem Schweigen radelten wir nebeneinander durch die Straßen, während ich uns zum Strand lotste. Wir wohnten zwar in Salem, aber ich hatte jeden Tag meiner kurzen, dreiwöchigen Sommerferien am Marblehead Beach verbracht, wo stündlich der Abfall aufgesammelt wurde und der Sand nicht so steinig war. Mit dem Rad war man schnell dort, allerdings gab es auf der Strecke einen steilen Hügel, wo ich meistens abstieg und schob, weil ich zu faul war, dort hochzufahren. Heute strampelte ich dagegen wie eine Wilde, schließlich sollte er nicht sehen, dass ich mein Rad schob, nachdem ich vorhin so mit meinen Fahrkünsten angegeben hatte. Doch er fuhr einfach an mir vorbei und streckte seine langen Beine durch, während er sich aus dem Sattel erhob. »Ich weiß, wo wir hinfahren!«, rief er mir zu, und ich protestierte nicht.