Organisationstheorien -  - E-Book

Organisationstheorien E-Book

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Beschreibung

This new edition of the successful textbook Organization Theories discusses various approaches to theory formation in organization research, offers a critical presentation of the most important organization theories and evaluates their empirical explanatory power. It includes chapters on the foundations of organization theory in scientific theory, Max Weber=s analysis of bureaucracy, management teachings (from good-practice rules through Taylorism to the human relations movement), decision-making theory in the behavioural sciences, the situational approach, institutional economic theory, approaches involving evolutionary theory, neo-institutionalism, interpretive theories, network theory and Luhmann=s systems theory. All the chapters have been revised and updated for the eighth edition.

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Alfred Kieser, Mark Ebers (Hrsg.)

Organisationstheorien

8., erweiterte und aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

 

 

 

 

8., erweiterte und aktualisierte Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-034896-7

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-034897-4

epub:  ISBN 978-3-17-034898-1

mobi:  ISBN 978-3-17-034899-8

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Vorwort zur 7. Auflage

 

 

 

Für die 7. Auflage haben wir alle Kapitel inhaltlich grundlegend überarbeitet, um neuere Entwicklungen aktualisiert und das Lehrbuch auch strukturell in einigen Teilen neu gestaltet. Wir sind dankbar, dass die folgenden neuen (Ko-)Autoren uns bei dieser Aufgabe unterstützt haben: Klaus Beck, Indre Maurer, Emilio Marti, Simon Oertel und Elke Weik.

Gegenüber der 6. Auflage haben wir die Struktur des Lehrbuches in vier Punkten geändert. Die Theorien der Managementlehre, Taylorismus, Human Relations Bewegung und Organisationspsychologie werden nun gestrafft in einem Kapitel vorgestellt und diskutiert. Wir haben zwei neue Kapitel aufgenommen: »Interpretative Theorien: Sprache, Kommunikation und Organisation« und »Netzwerktheorien«. Für diese neuen Theorien musste das Kapitel zur Strukturationstheorie leider weichen.

Wir danken den folgenden Personen sehr herzlich für die wertvollen Hinweise und Anregungen, die sie den Autoren dieses Buches für die Überarbeitung ihrer jeweiligen Kapitel gegeben haben: Jessica Chromik, Isabella Reichert, Stefan Sigmund, Norbert Steigenberger und Hendrik Wilhelm. Elke Schäfer danken wir für die Erstellung der Satzvorlage und des Literaturverzeichnisses.

Friedrichshafen und Köln, im Mai 2014

Alfred Kieser und Mark Ebers

Vorwort zur 8. Auflage

 

 

 

Für die 8. Auflage haben wir alle Kapitel inhaltlich grundlegend überarbeitet und um neuere Entwicklungen aktualisiert. Die mit der 7. Auflage neu gestalteten Schwerpunktsetzungen und Autorenschaften haben wir beibehalten.

Wir danken Elke Schäfer, Luise Burhoff und Lisa Kilian für das Korrekturlesen der Kapitel, die Unterstützung bei der Erstellung der Satzvorlage und des Literaturverzeichnisses.

Mannheim und Köln, im November 2018

Alfred Kieser und Mark Ebers

Kapitelübersicht

 

 

 

1  Wissenschaftstheorie der Organisationstheorie

Andreas Georg Scherer und Emilio Marti

2  Max Webers Analyse der Bürokratie

Alfred Kieser

3  Managementlehren – von Regeln guter Praxis über den Taylorismus zur Human Relations-Bewegung

Alfred Kieser

4  Die Verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie

Ulrike Berger, Isolde Bernhard-Mehlich und Simon Oertel

5  Der Situative Ansatz

Alfred Kieser

6  Institutionenökonomische Theorien der Organisation

Mark Ebers und Wilfried Gotsch

7  Evolutionstheoretische Ansätze in der Organisationslehre – Die Population Ecology-Theorie

Michael Woywode und Nikolaus Beck

8  Neoinstitutionalistische Ansätze in der Organisationstheorie

Peter Walgenbach

9  Interpretative Theorien: Sprache, Kommunikation und Organisation

Elke Weik

10  Netzwerktheorie

Mark Ebers und Indre Maurer

11  Organisationen in Luhmanns Systemtheorie

Wil Martens und Günther Ortmann

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 7. Auflage

Vorwort zur 8. Auflage

Kapitelübersicht

1          Wissenschaftstheorie der Organisationstheorie

1.1       Wozu Organisationstheorie?

1.2       Wozu Wissenschaftstheorie?

1.3       Das Subjekt-Objekt-Modell als vorherrschendes Wissenschaftsverständnis

1.4       Methodische und normative Kritik am Subjekt-Objekt-Modell

1.4.1     Interpretative Ansätze

1.4.2     Kritische Ansätze

1.4.3     Postmoderne Ansätze

1.5       Wissenschaft im Spannungsfeld zwischen Individuen und Institutionen

1.5.1     Funktionalistische Ansätze

1.5.2     Rational Choice Ansätze

1.6       Von der Systematisierung zur kritischen Beurteilung

1.6.1     Perspektiven zur Inkommensurabilitätsdiskussion

1.6.2     Das Begründungsprogramm des Konstruktivismus

1.6.3     Implikationen für die Forschungspraxis

2          Max Webers Analyse der Bürokratie

2.1       Entstehungsgeschichte

2.2       Rationalisierung als Leitidee

2.3       Rationalisierung auf der Ebene der Weltbilder: Die Entzauberung der Welt

2.4       Rationalisierung auf der Ebene der Institutionen: Die Bürokratie

2.5       Rationalisierung der praktischen Lebensführung: Bürokratien als »stahlharte Gehäuse«

2.6       Wege aus den »stahlharten Gehäusen«

2.7       Würdigung

2.7.1     Zur Methode

2.7.2     Kritik an der Protestantismus-These

2.7.3     Kritik an Webers Analyse der Bürokratie

2.7.4     Weiterentwicklungen

3          Managementlehren – von Regeln guter Praxis über den Taylorismus zur Human Relations-Bewegung

3.1       Managementlehren als Lehren von der »guten Praxis«

3.1.1     Beispiele aus vier Jahrtausenden

3.1.2     Kritik der einfachen Managementlehre

3.2       Scientific Management

3.2.1     Rezeption und Weiterentwicklungen des Scientific Management

3.2.2     Kritik des Scientific Management

3.3       Human Relations-Bewegung

3.3.1     Entstehungsgeschichte

3.3.1.1   Human Relations als Reparaturbetrieb

3.3.1.2   Die Psychotechnik als Ergänzung des Taylorismus

3.3.1.3   Human Relations als Wissenschaft: Von Beleuchtungsexperimenten zur Erleuchtung der Wissenschaftler in den Hawthorne-Experimenten

3.3.2     Hawthorne in der Kritik: Ideologie oder Wissenschaft?

3.4       Zur Aktualität von Taylorismus und Human Relations-Ansatz

4          Die Verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie

4.1       Entstehungsgeschichte und Erkenntnisinteressen

4.2       Hauptaussagen und -konzepte

4.2.1     Das Organisationskonzept der Verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie

4.2.2     Teilnahme- und Beitragsentscheidungen

4.2.2.1   Gleichgewicht von Anreizen und Beiträgen

4.2.2.2   Herrschaft, Mitgliedschafts- und Leistungsmotivation

4.2.3     Entscheidungen in Organisationen

4.2.3.1   Individuelles Entscheidungsverhalten: Das Konzept der begrenzten Rationalität

4.2.3.2   Organisatorische Einflüsse und Begrenzungen: Der Umgang der Organisation mit Komplexität und Unsicherheit

4.2.3.3   Der Zielbildungsprozess

4.3       Entscheidungen in mehrdeutigen Situationen: Das Mülleimer-Modell (Garbage Can Model)

4.4       Organisationales Lernen

4.4.1     Komplikationen im Lernprozess, Unterbrechungen des Lernzyklus und die Auswirkungen der begrenzten Rationalität auf das Lernen der Organisation

4.4.2     Lernen aus seltenen Ereignissen

4.4.3     Exploration und Exploitation

4.4.3.1   Kompetenzfallen (competency traps)

4.4.3.2   Misserfolgsfallen (failure traps)

4.4.3.3   »Handlungsanweisungen« für die Balance von Exploration und Exploitation

4.4.4     Abergläubisches Lernen (superstitious learning)

4.4.5     Lernen aus zweiter Hand (vicarious learning)

4.5       Kritische Würdigung

4.5.1     Empirische Studien

4.5.2     Komplexität der Theorie

4.5.2.1   »Offenes« und »geschlossenes« System

4.5.2.2   »Handlungsrationalität« und »Systemrationalität«

4.5.3     Selektivität der Theorie

5          Der Situative Ansatz

5.1       Entstehungsgeschichte

5.2       Konzeptionen und Methoden

5.3       Ergebnisse empirischer Untersuchungen

5.3.1     Der Einfluss der Organisationsgröße

5.3.2     Der Einfluss der Umwelt

5.3.3     Der Einfluss der Fertigungstechnik

5.4       Kritik und Weiterentwicklungen

5.4.1     Endogene Kritik

5.4.2     Exogene Kritik

5.4.3     Weiterentwicklungen: Die Einbeziehung der Entscheider, der Information Processing View und Strukturtypen

5.4.4     Wie der Situative Ansatz aus der Mode kam

6          Institutionenökonomische Theorien der Organisation

6.1       Erkenntnisinteresse und Erklärungsmuster

6.2       Theorie der Verfügungsrechte

6.2.1     Erkenntnisinteresse

6.2.2     Grundkonzepte und Annahmen

6.2.3     Hauptaussagen und Methode

6.2.4     Anwendungsbereiche

6.2.5     Kritische Würdigung

6.3       Agenturtheorie

6.3.1     Erkenntnisinteresse

6.3.2     Grundkonzepte und Annahmen

6.3.2.1   Vertragstheoretisches Organisationskonzept

6.3.2.2   Charakterisierung der Akteure

6.3.2.3   Agenturkosten als Determinante der Vertragsgestaltung

6.3.3     Hauptaussagen

6.3.3.1   Agenturprobleme

6.3.3.2   Anreiz-, Kontroll- und Informationsmechanismen

6.3.4     Anwendungsbereich: Die Trennung von Eigentum und Kontrolle der Unternehmung

6.3.5     Würdigung

6.3.5.1   Probleme und Weiterentwicklungen der Theorie

6.3.5.2   Probleme der empirischen Analyse

6.4       Transaktionskostentheorie

6.4.1     Erkenntnisinteresse

6.4.2     Grundkonzepte und Annahmen

6.4.2.1   Effizienzkriterium

6.4.2.2   Charakterisierung der Akteure

6.4.2.3   Determinanten der Vorteilhaftigkeit institutioneller Arrangements

6.4.2.4   Transaktionscharakteristika

6.4.2.5   Charakteristika institutioneller Arrangements

6.4.3     Hauptaussagen und Anwendungsbereiche

6.4.3.1   Die institutionelle Gestaltung einer Austauschbeziehung bei hohen transaktionsspezifischen Investitionen: Das Beispiel Fisher Body - General Motors

6.4.3.2   Hauptaussagen

6.4.3.3   Anwendungsbereiche

6.4.4     Kritische Würdigung

6.4.4.1   Bedeutung für die Organisationsforschung

6.4.4.2   Probleme der Theoriekonstruktion

6.4.4.3   Empirischer Bewährungsgrad

6.4.4.4   Erkenntnisbeitrag

6.5       Schlussbetrachtung

7          Evolutionstheoretische Ansätze in der Organisationslehre – Die Population Ecology-Theorie

7.1       Konzeptionen

7.2       Empirische Untersuchungen

7.2.1     Konzepte zur Erklärung des Scheiterns und der Gründung von Organisationen

7.2.2     Das Konzept der Dichteabhängigkeit

7.3       Organisationaler Wandel

7.4       Organisationale Identität

7.5       Erweiterungen

7.6       Würdigung

8          Neoinstitutionalistische Ansätze in der Organisationstheorie

8.1       Entstehungsgeschichte und konzeptionelle Orientierung

8.2       Institutionalisierung, Institutionen

8.3       Makroinstitutionalistischer Ansatz

8.3.1     Institutionalisierte Regeln und Erwartungen als Erklärungsfaktoren einer zunehmenden Ausdifferenzierung der formalen Struktur von Organisationen

8.3.2     Technische und institutionelle Umwelten von Organisationen

8.3.3     Folgen der Adoption institutionalisierter Strukturelemente und Managementpraktiken

8.3.4     Institutionelle Isomorphie in organisationalen Feldern

8.3.5     Entkopplung

8.3.6     Die drei Säulen von Institutionen

8.4       Mikroinstitutionalistischer Ansatz

8.5       Kritik und Weiterentwicklungen

8.5.1     Allgemeine Würdigung

8.5.2     Akteure, Interessen, strategisches Verhalten und Macht

8.5.3     Institutionelle Unternehmer, institutioneller Wandel, Institutionalisierungs- und Deinstitutionalisierungsprozesse

8.5.4     Heterogenität in und zwischen organisationalen Feldern

8.5.5     Ausblick

9          Interpretative Theorien: Sprache, Kommunikation und Organisation

9.1       Kurzcharakterisierung

9.2       Die Bedeutung von Sprache für Organisationen

9.3       Erste Ebene: Die symbolische Dimension von Sprache

9.3.1     Organisationkultur

9.3.1.1   Grundkonzepte und Annahmen

9.3.1.2   Kulturtypologien

9.3.1.3   Erfolg durch Organisationskultur?

9.3.1.4   Organisationale Identität

9.3.2     Symbolisch-Interpretative Ansätze

9.3.2.1   Grundkonzepte und Annahmen

9.3.2.2   Anwendungen

9.4       Zweite Ebene: Die sinnstiftende Dimension von Sprache

9.4.1     Der Prozess des Organisierens nach Weick

9.4.1.1   Sprechen ist Organisieren

9.4.1.2   Organisieren ist Gestalten

9.4.1.3   Enactment

9.4.2     Sinnstiftung

9.4.2.1   Grundkonzepte und Annahmen

9.4.2.2   Organisationale Sinnstiftung

9.4.2.3   Anwendungen

9.5       Dritte Ebene: Die ideologisch-politische Dimension von Sprache

9.5.1     Grundkonzepte und Annahmen

9.5.1.1   Von der Interpretation zur Postmoderne

9.5.1.2   Jean-François Lyotard: Sprachspiele und Techno-Wissenschaft

9.5.1.3   Pierre Bourdieu: Sprache und symbolische Macht

9.5.1.4   Michel Foucault: Macht/Wissen

9.5.1.5   Erstes postmodernes Fazit: Sprache, Macht und Wissen

9.5.2     Anwendungen: Critical Management Studies (CMS)

9.5.2.1   Gegen Naturalisierung

9.5.2.2   Gegen Performanz

9.5.2.3   Gegen Rationalität

9.5.2.4   Gegen Universalisierung

9.5.2.5   Gegen Hegemonie

9.5.2.6   Für Reflexivität

9.5.2.7   Deutschsprachige Kritische Organisations- und Managementforschung

9.6       Methodologien und Methoden

9.6.1     Strukturalistische und Ethnomethodologische Methodologien

9.6.2     Diskursanalyse

9.6.3     Methoden

9.7       Kritische Würdigung

10       Netzwerktheorie

10.1       Überblick

10.2       Entstehungsgeschichte

10.3       Annahmen und Grundkonzepte

10.4       Erkenntnisinteresse und Erklärungsmuster

10.5       Anwendungsbereiche

10.6       Methode

10.7       Kritische Würdigung

11       Organisationen in Luhmanns Systemtheorie

11.1       Das Kardinalproblem: Entlastung von Kontingenz und Komplexität

11.2       Interaktion, Organisation, Gesellschaft

11.3       Die Autopoiesis der Organisation

11.4       Entscheidung, Kommunikation, Handlung

11.5       Entscheidung als Transformation von Kontingenz

11.6       Struktur, Erwartung, Ereignis

11.7       Strukturen der Organisation: Entscheidungsprämissen

11.8       Wo bleibt der Mensch? Mitgliedschaft und Motivation

11.9       Funktionale Teilsysteme und Organisationen

11.10       Problemlösung als Paradoxieentfaltung

11.11       Anwendungen und Weiterentwicklungen

11.12       Kritische Würdigung

Literatur

Stichwortverzeichnis

Man vergisst immer wieder,

auf den Grund zu gehen. Man setzt

die Fragezeichen nicht tief genug.

Ludwig Wittgenstein (1984b)

1          Wissenschaftstheorie der Organisationstheorie

Andreas Georg Scherer und Emilio Marti

 

1.1       Wozu Organisationstheorie?

Mit »Organisationen« werden Menschen tagtäglich konfrontiert. In der Ausbildung, bei der Arbeit, in der Freizeit, bei der Religionsausübung sowie in vielen anderen Lebensumständen erlebt sich der Mensch als Teil einer Organisation, sieht sich als Individuum den Möglichkeiten und Zwängen einer Organisation ausgesetzt. Dies gilt im besonderen Maße für die Wirtschaft und die in der Wirtschaft tätigen Individuen. Bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen sind die Menschen darauf angewiesen, ihre Handlungen aufeinander abzustimmen. Organisationen stellen ein herausragendes Instrument dar, eine solche Koordination vorzunehmen. Dass dies nicht immer einfach ist und daher auch nicht immer gelingt, wissen wir aus unserer eigenen Erfahrung im Umgang mit Organisationen oder können es der Wirtschaftspresse entnehmen, die regelmäßig von Fällen berichtet, in denen die Koordination scheitert.

Die Organisationstheorie soll nun das Entstehen, das Bestehen und die Funktionsweise von Organisationen erklären bzw. verstehen. Sie dient damit (implizit oder explizit) der Verbesserung der Organisationspraxis. Selbstverständlich haben alle Menschen bereits ein intuitives Alltagswissen davon, wie Organisationen funktionieren. Das Wissen der Organisationstheorie soll sich von diesem Alltagswissen durch ein systematischeres Vorgehen und durch Nachvollziehbarkeit unterscheiden. Wer jedoch erstmals eine Organisationsvorlesung besucht oder ein entsprechendes Lehrbuch zu Rate zieht, wird verwundert feststellen, dass es die Organisationstheorie gar nicht gibt. Vielmehr findet sich in den meisten Organisationslehrbüchern eine Vielzahl an organisationstheoretischen Ansätzen, die selbst bei näherer Betrachtung nur wenig gemeinsam haben und in vielen Fällen sogar widersprüchlich zueinander sind. Warum gibt es nun so viele verschiedene organisationstheoretische Ansätze? Warum können sich die Forscherinnen und Forscher nicht auf einen konsistenten Ansatz einigen?

Dazu muss man sich erstens vergegenwärtigen, dass Organisationen hochkomplexe soziale Gebilde sind, in denen vieleProbleme auftreten können, die einer theoretischen Durchdringung wert sind. Der Gegenstandsbereich der Organisationstheorie ist so breit, dass darunter eine Vielzahl von Teilaspekten fällt, die nur schwer unter ein gemeinsames Dach einer wie auch immer gearteten »Supertheorie« zu integrieren sind. So lassen sich etwa die Beziehungen zwischen Individuum und Organisation thematisieren, zwischen Gruppe und Organisation, das Verhältnis von Organisation und Umwelt, das Verhältnis von Organisationsstrukturen und -prozessen, das Verhältnis von Organisation und alternativen Koordinationsformen (z. B. marktliche Austauschbeziehungen), die Beziehungen zwischen verschiedenen Organisationen, die Rolle von Machtprozessen in Organisationen, der Wandel von Organisationen etc. In der Literatur hat sich inzwischen hierfür eine Kategorisierung nach der Analyseeinheit durchgesetzt (vgl. z. B. Astley/Van de Ven 1983; Hage 1980; Pfeffer 1982). Je nachdem, ob sich die Theorien mit dem Verhalten von Individuen in Organisationen, dem Verhalten ganzer Organisationseinheiten und ihrer Strukturen oder aber mit den Beziehungen zwischen Organisationen und der Umwelt beschäftigen, unterscheidet man zwischen Mikro-, Meso- und Makrotheorien der Organisation (Hage 1980). Die Breite und Vielfalt an Themen reicht aber noch nicht aus, um zu verstehen, was einer Integration unter einer einheitlichen Perspektive prinzipiell im Wege steht.

Hinzu kommt nämlich zweitens, dass jeder dieser Teilaspekte wiederum aus der Perspektive verschiedenerWissenschaftsverständnisse beleuchtet werden kann. Jeder organisationstheoretische Ansatz arbeitet (explizit oder implizit) auf der Basis eines bestimmten Wissenschaftsverständnisses. Nun variieren diese Wissenschaftsverständnisse stark zwischen den verschiedenen organisationstheoretischen Ansätzen. Organisationsforscherinnen und -forscher haben offenbar kein gemeinsames Verständnis davon, was es heißt, Wissenschaft zu betreiben. Sie kommen mit unterschiedlichen Methoden zu ganz verschiedenen, zum Teil sogar widersprüchlichen Ergebnissen. Auch über den Zweck der Forschungstätigkeit besteht keine Einigkeit. Diese unterschiedlichen Wissenschaftsverständnisse werfen die grundsätzliche Frage auf, ob überhaupt und in welchem Sinne »objektive Erkenntnis« möglich ist. Genau mit dieser Problematik beschäftigt sich die Wissenschaftstheorie, die im Zentrum der folgenden Überlegungen steht.

Wir gehen zuerst auf den Zweck der Wissenschaftstheorie ein (Kap. 1.2). Die Wissenschaftstheorie dient der Reflexion der Organisationstheorie, indem sie (teilweise implizite) Wissenschaftsverständnisse explizit macht und so eine Systematisierung und kritische Beurteilung ermöglicht. Anschließend beschreiben wir das vorherrschende Wissenschaftsverständnis: das Subjekt-Objekt-Modell (Kap. 1.3). Dieses Wissenschaftsverständnis liegt vielen organisationstheoretischen Ansätzen zugrunde, etwa dem Situativen Ansatz (Kap. 5). Andere Ansätze kritisieren dieses Wissenschaftsverständnis jedoch. Interpretative, kritische und postmoderne Ansätze (Kap. 9) äußern methodische und normative Kritik am Subjekt-Objekt-Modell (Kap. 1.4). Funktionalistische Ansätze (Kap. 11) und Rational Choice Ansätze forschen auf der Basis von nochmals anderen Wissenschaftsverständnissen, die das Verhältnis zwischen individuellem Verhalten und gesellschaftlichen Institutionen grundverschieden verstehen (Kap. 1.5). Nach diesem Systematisierungsversuch gehen wir noch auf die Frage ein, wie diese verschiedenen Wissenschaftsverständnisse kritisch beurteilt werden können und was dies für das Verhältnis zwischen ihnen bedeutet (Kap. 1.6). Wir erläutern das Inkommensurabilitätsproblem sowie den Orientierungsvorschlag des methodischen Konstruktivismus.

1.2       Wozu Wissenschaftstheorie?

Die Wissenschaftstheorie dient der Beschreibung und der kritischen Distanzierung vom faktischen Wissenschaftsbetrieb, sei es in der Organisationstheorie oder anderen Wissenschaften. Sie stellt eine Reflexion über Wissenschaft dar, indem sie zwei Grundfragen zu beantworten versucht (vgl. Steinmann/Scherer 2000):

(1)  Welchen Zwecken dienen die Wissenschaften und welchen Zwecken sollen sie dienen?

(2)  Welche Mittel setzen die Wissenschaften zur Erreichung dieser Zwecke ein und welche Mittel sollen sie einsetzen?

Hervorzuheben ist dabei, dass beide Fragestellungen sowohl die bloße Beschreibung der Wissenschaftspraxis (deskriptive Wissenschaftstheorie bzw. Wissenschaftssoziologie) als auch die kritische Anleitung der Wissenschaftspraxis (normative Wissenschaftstheorie bzw. Wissenschaftstheorie im eigentlichen Sinne) umfassen. Das Verhältnis von Organisationspraxis, Organisationstheorie und Wissenschaftstheorie lässt sich also wie folgt beschreiben (Abb. 1.1). Die Organisationstheorie dient der Reflexion der Organisationspraxis. Sie fragt danach, wie die Organisationspraxis betrieben wird und wie sie betrieben werden sollte. Die Wissenschaftstheorie dient dagegen der Reflexion über die Organisationstheorie: Wie wird die Organisationstheorie betrieben und wie sollte sie sinnvoller Weise betrieben werden?

Abb. 1.1: Zum Verhältnis von Wissenschaftstheorie, Organisationstheorie und Organisationspraxis (vgl. Tsoukas/Knudsen 2003)

Wenn hier von »der« Wissenschaftstheorie die Rede ist, so darf dies allerdings nicht zur Annahme verleiten, es gäbe ein allgemein anerkanntes Wissenschaftsverständnis. Vielmehr setzen unterschiedliche organisationstheoretische Ansätze unterschiedliche Mittel (Methoden) ein und verfolgen unterschiedliche Zwecke. Dies hängt damit zusammen, dass ihre Forschung (implizit oder explizit) auf unterschiedlichen Wissenschaftsverständnissen aufbaut (Burrell/Morgan 1979; Gioia/Pitre 1990). In der wissenschaftstheoretischen Debatte werden diese Wissenschaftsverständnisse auch als Paradigmen bezeichnet (Kuhn 1962). Jedes Wissenschaftsverständnis (oder Paradigma) gibt – explizit oder implizit – eine bestimmte Antwort auf die oben formulierten Grundfragen der Wissenschaftstheorie.

Bezüglich der Zwecke der Wissenschaft (erste Grundfrage) existieren einerseits organisationstheoretische Ansätzen, die die Welt erklären bzw. verstehen wollen. Ihnen liegt gemäß Jürgen Habermas (1968) ein technisches oder praktisches Erkenntnisinteresse zugrunde. Diese Forschung dient (implizit oder explizit) der Stabilisierung und Optimierung des Status quo eines sozialen Systems. Andere organisationstheoretische Ansätze wollen die Welt hingegen verändern. Sie sind durch ein emanzipatorisches Erkenntnisinteresse motiviert. Sie sehen den Zweck der Wissenschaft darin, den Status quo eines sozialen Systems kritisch zu hinterfragen und Alternativen aufzuzeigen, die den Menschen mehr Freiheit und Selbstbestimmung in der Gemeinschaft mit anderen ermöglichen (Kap. 1.4.2). Zugleich werden damit auch gesellschaftstheoretische Fragen berührt (zu den Erkenntnisinteressen, siehe auch Marti/Scherer 2016).

Bei den Mitteln der Wissenschaft (zweite Grundfrage) lassen sich verschiedene ontologische, epistemologische und methodologische Grundannahmen unterscheiden. In der Ontologie wird der Charakter des Untersuchungsgegenstands erörtert. Hier steht zur Debatte, ob der Untersuchungsgegenstand unabhängig vom erkennenden Subjekt existiert (Realismus) oder ob er erst durch das erkennende Subjekt erzeugt bzw. durch eine soziale Konstruktion mehrerer Subjekte konstituiert wird (Nominalismus). Bei der Epistemologie geht es um die Frage, wie sich (wahres) Wissen über den Untersuchungsgegenstand erlangen lässt (Scherer/Does/Marti 2015). Hier stehen sich unterschiedliche Wahrheitstheorien gegenüber, so z. B. die »Korrespondenztheorie der Wahrheit«, die Wissen als »Abbild« der Welt begreift, und die »Kohärenztheorie der Wahrheit«, nach der Wissen durch logische Ableitung aus vorhandenem Wissen generiert wird (Kap. 1.3). Schließlich thematisiert die Methodologie, welche Methoden sich zur Untersuchung eines Gegenstandes einsetzen lassen. Zentral ist dabei die Frage, ob sich die Organisationspraxis mit naturwissenschaftlichen Methoden untersuchen lässt oder ob dafür eine eigenständige kulturwissenschaftliche Methode erforderlich ist (Kap. 1.4.1).

Unterschiedliche organisationstheoretische Ansätze bauen also auf unterschiedlichen Wissenschaftsverständnissen auf, die sich hinsichtlich der verfolgten Zwecke (Erkenntnisinteressen) und eingesetzten Mittel (Grundannahmen zur Ontologie, Epistemologie und Methodologie) unterscheiden. Im nächsten Abschnitt diskutieren wir das am weitesten verbreitete Wissenschaftsverständnis: das Subjekt-Objekt-Modell.

1.3       Das Subjekt-Objekt-Modell als vorherrschendes Wissenschaftsverständnis

Das Verhältnis zwischen der Forscherin oder dem Forscher (»erkennendes Subjekt«) und dem »Erkenntnisobjekt« ist schon lange Gegenstand kontroverser Debatten in Philosophie und Wissenschaftstheorie. Das »Subjekt-Objekt-Modell« bezeichnet dabei ein Wissenschaftsverständnis gemäß dessen sich die Sozialwissenschaften weitgehend an den in den Naturwissenschaften gebräuchlichen Vorgehensweisen orientieren sollen. Das Subjekt-Objekt-Modell hat sich als Synthese aus dem Grundlagenstreit zwischen »Rationalismus« und »Empirismus« entwickelt (vgl. Hollis 1994). Der Empirismus geht davon aus, dass der Mensch mit seinem sinnlichen Wahrnehmungsapparat einen unmittelbaren Zugang zur »Realität« hat und dadurch Gewissheit über seine Erkenntnis erlangen kann. Er lässt die Induktion zu, d. h. den Schluss von einem singulären Satz über ein Ereignis, dessen Wahrheit durch Wahrnehmung festgestellt wird, auf allgemeingültige Sätze. Dagegen postuliert der Rationalismus, dass über die Wahrheit von Aussagen über die Wirklichkeit allein aus Vernunftgründen »a priori« entschieden werden kann, so dass sich die Realität gleichsam »logisch« erschließt. Durch Deduktion, d. h. durch die logische Ableitung von weiteren Sätzen aus den als allgemeingültig unterstellten Axiomen, lassen sich größere Aussagesysteme entwickeln.

Im Spannungsfeld zwischen Empirismus und Rationalismus hat die Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts mehrere Varianten des »Subjekt-Objekt-Modells« hervorgebracht. Wichtig ist hierfür erst einmal der logische Empirismus der 1920er und 1930er Jahre. Der logische Empirismus unterscheidet zwischen analytischen Sätzen, die den Regeln der Logik entsprechen, und empirischen Sätzen, die sich an der Realität überprüfen lassen (Carnap/Hahn/Neurath 1979). Empirische Sätze versteht er dabei als »Abbilder« realer Gegenstände und definiert die Wahrheit von Sätzen als Übereinstimmung mit der »Realität« (Korrespondenztheorie der Wahrheit). Diese Annahme wird jedoch bereits innerhalb des logischen Empirismus in der sog. »Protokollsatz-Debatte« kritisiert. So argumentiert Otto Neurath (1979), dass sich sog. »Protokollsätze«, mit denen die Wahrnehmung eines Sachverhalts sprachlich repräsentiert (»protokolliert«) werden soll, nicht mit der Wirklichkeit selbst vergleichen lassen, da Sätze immer nur mit Sätzen, nicht aber mit sprachfreien Entitäten vergleichbar sind. Die Korrespondenztheorie der Wahrheit weicht daher einer Kohärenztheorie, der zufolge die Wahrheit einer Aussage als widerspruchsfreie Übereinstimmung mit einem System anderer (wahrer) Aussagen definiert ist. Nun müssen wissenschaftliche Aussagen »mit möglichst vielen Protokollaussagen« übereinstimmen (Neurath 1979).

Karl Popper und Hans Albert entwickeln diese Überlegungen im sog. kritischen Rationalismus weiter. Der kritische Rationalismus stellt ebenfalls eine Synthese aus Empirismus und Rationalismus dar, wenn auch mit einer anderen Gewichtung. Popper (1968, 1969) erkennt zwar die Erfahrung als entscheidende Geltungsinstanz wissenschaftlicher (empirischer) Aussagen an. Er verwirft jedoch die Induktion als wissenschaftliche Methode, weil ein Induktionsprinzip als allgemeingültiges Gesetz nicht aus sich selbst heraus begründet werden kann. Popper (1979) lässt ausschließlich die Deduktion zu, also die logische Folgerung eines Satzes aus einem bereits gültigen Satz. Hier stellt sich allerdings das Problem des Anfangs: Wie soll ein erster (gültiger) Satz, aus den sich alle weiteren Sätze ableiten, überhaupt begründet werden? – Jeder Versuch, einen solchen Anfang zu setzen, muss (i) in einer zirkulären Begründung des Anfangs, (ii) einem infiniten Regress oder (iii) einer willkürlichen Setzung enden (»Münchhausen-Trilemma«) (vgl. Albert 1980). Da es demzufolge keine absoluten Anfangssätze gibt, aus denen sich alles Wissen deduzieren lassen könnte, strebt Popper statt der Verifikation die Falsifikation an. Aus zu prüfenden Theorien sollen durch Deduktion empirisch gehaltvolle Sätze (Hypothesen) abgeleitet werden. Wenn diese Hypothesen an der Erfahrung scheitern, gelten sie als falsifiziert, womit die zugrundeliegenden Theorien zu verwerfen sind. Werden die Hypothesen dagegen bestätigt, so gelten die Theorien als bewährt. Eine endgültige Verifizierung ist nicht möglich. Popper (1972) ist jedoch der Überzeugung, dass durch das systematische Verwerfen von »falschen« Theorien ein kumulatives Anwachsen des Wissens erfolgt (für dieses Verständnis von »Theorie« vgl. auch Bacharach 1989; Whetten 1989).

Das Subjekt-Objekt-Modell ist damit im Kern beschrieben. Die wichtigsten Charakteristika lassen sich anhand folgender Punkte zusammenfassen (vgl. Kunneman 1991):

(1)  Die »Realität« und deren unveränderliche Struktur (bestehend aus gegebenen Entitäten und Beziehungen zwischen diesen) existieren vor jeder menschlichen Erkenntnis und sind dem erkenntniserlangenden Subjekt objektiv vorgegeben (ontologische Grundannahme).

(2)  Die Erkenntnis dieser Struktur ist prinzipiell möglich. Das Subjekt erlangt Erkenntnis über die Realität durch systematische Beobachtungen. Auf der Basis dieser Beobachtungen überprüfen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Gesetze und Theorien, mit deren Hilfe sich die Erscheinungen der realen Welt kausal erklären lassen (epistemologische Grundannahme).

(3)  Die wissenschaftliche Methode liefert Regeln, mit deren Hilfe ein Lernprozess initiiert und kontrolliert werden kann. Auf dieseWeise wird ein Erkenntnisprozess in Gang gesetzt, der das verfügbare Wissen über Natur und Kultur stetig vermehrt (methodologische Grundannahme).

(4)  Der mit Hilfe dieses Lernprozesses erzielte Erkenntnisfortschritt ermöglicht immer bessere Problemlösungen und trägt so zum gesellschaftlichen Fortschritt bei. Die Legitimität von gesellschaftlichen Normen kann jedoch – gemäß dem Wertfreiheitspostulat – nicht wissenschaftlich erörtert werden (philosophische Grundannahme).

Diese wissenschaftstheoretischen Diskussionen blieben nicht ohne Folgen für die Organisationstheorie. Auch dort setzt sich in den 1950er und 1960er Jahren zunächst eine Orientierung an den Methoden der Naturwissenschaften durch. Die Rezeption des Subjekt-Objekt-Modells findet ihre stärkste Ausprägung bei der Entwicklung des Situativen Ansatzes, der sich im Laufe der 1960er Jahre als bis heute dominierende Forschungsrichtung der Organisationstheorie in den USA herausschält (Donaldson 1996a, 1996b) (Kap. 5). Der Situative Ansatz beruht auf der Annahme einer statischen Konzeption der Organisation und ihrer Umwelt. Die Organisation, so die Annahme, wird in ihren Strukturen durch die Charakteristika ihrer jeweiligen Situation determiniert, bspw. durch die Umwelt (Burns/Stalker 1961; Lawrence/Lorsch 1967), Technologie (Woodward 1965), Größe (Blau 1970a; Pugh/Hickson/Hinings/Turner 1969) oder Strategie (Chandler 1962). Die empirische Forschung will diese Wirkungszusammenhänge untersuchen und in Form von Gesetzen beschreiben. Lex Donaldson (1996a) bringt diesen Anspruch klar zum Ausdruck: »Organizations are to be explained by scientific laws in which the shape taken by organizations is determined by material factors […] These laws hold generally across organizations of all types and national cultures. The organization adopts a structure that is required by the imperatives of its situation.«

Neben dem Situativen Ansatz forschen auch andere organisationstheoretische Ansätze auf der Grundlage des Subjekt-Objekt-Modells, wie z. B. der Taylorismus oder die Human Relations-Bewegung (Kap. 3).

1.4       Methodische und normative Kritik am Subjekt-Objekt-Modell

Im Folgenden präsentieren wir die Kritikpunkte, die gegen das Subjekt-Objekt-Modell vorgebracht wurden, und zeigen auf, welche alternativen Wissenschaftsverständnisse aus dieser Kritik hervorgegangen sind (die Ausführungen orientieren sich an unseren Überlegungen aus Scherer 2003). Während das Subjekt-Objekt-Modell in den Naturwissenschaften auf große Akzeptanz gestoßen ist, werden in den Sozialwissenschaften schon seit langer Zeit Vorbehalte gegen dieses Wissenschaftsverständnis formuliert. Diese Vorbehalte stützen sich auf andere Forschungstraditionen, wie z. B. die Dialektik, den Historismus oder die Hermeneutik (vgl. zum Überblick Habermas 1968, 1985b; Kunneman 1991). Innerhalb der Organisationstheorie motivierte dies einerseits interpretative Ansätze (vgl. z. B. Daft/Weick 1984; Hatch/Yanow 2003; Isabella 1990; Osterloh 1993; Smircich/Stubbart 1985). Andererseits rückten auch normativ-ethische Fragestellungen in den Fokus (vgl. z. B. Alvesson/Willmott 1992a; Löhr 1991; Shrivastava 1986; Steinmann/Löhr 1994). Während interpretative und kritische Ansätze (in Abgrenzung vom Subjekt-Objekt-Modell) eigene Wissenschaftsverständnisse entwickeln, stellen postmoderne Ansätze die privilegierte Rolle der Wissenschaft grundsätzlich in Frage. Postmoderne Ansätze sehen wissenschaftliche Forschung bloß als eine menschliche Ausdrucksform, die nicht privilegiert werden sollte gegenüber anderen menschlichen Ausdrucksformen wie Malerei, Musik oder Lyrik. Im schlimmsten Fall sei die Wissenschaft sogar ein ungerechtfertigter Gebrauch von Macht (vgl. z. B. Feyerabend 1987) (Kap. 9).

1.4.1     Interpretative Ansätze

Eine erste Kritiklinie zielt auf die methodischen Annahmen des Subjekt-Objekt-Modells ab. Dabei wird argumentiert, dass der naturwissenschaftliche Zugang nicht geeignet ist, um soziale Phänomene zu erfassen. Die Naturwissenschaften hantieren mit unbelebter Materie. Der Forschungsgegenstand der Sozialwissenschaften dagegen konstituiert sich aus Akteurinnen und Akteuren, die selbst reden und handeln (Hollis 1995). Die zu erforschende soziale Realität ist kommunikativ vorstrukturiert und entsteht und verändert sich im Verlauf des Forschungsprozesses, ohne dass dies durch den Forschenden vollständig kontrolliert werden kann (Giddens 1984b). Das sog. »Forschungsobjekt« der Sozialwissenschaften ist so gesehen gar kein Objekt: Es hat und macht seine eigene Geschichte und bringt dabei seine Subjekthaftigkeit zur Geltung.

Ein objektiver, neutraler Zugang von außen – aus der Perspektive eines Beobachtenden – ist daher gar nicht möglich. Die »Sphäre der vergänglichen Dinge und des bloßen Meinens« (Habermas 1969) lässt sich auf diese Weise nicht erschließen. Für die Sozialwissenschaften werden daher interpretative Methoden als Alternative vorgeschlagen, mit denen ein verstehender Zugang gesucht wird (zum Überblick vgl. Giddens 1984b; Hatch/Yanow 2003; Osterloh 1993). Diese Methoden schließen im Wesentlichen an die Tradition der Hermeneutik an, d. h. an die Textauslegung in den Geisteswissenschaften. Sie tragen der Subjekthaftigkeit des Forschungsgegenstandes insofern Rechnung, als mit ihnen versucht wird, redend die subjektiven Sinngehalte der handelnden Akteurinnen und Akteure gleichsam aus der Perspektive einer teilnehmenden Person zu erschließen.

In der Organisationstheorie gewinnen diese Ideen in den 1970er Jahre an Bedeutung, als das Subjekt-Objekt-Modell im Allgemeinen und der Situative Ansatz im Speziellen zunehmend hinterfragt werden (vgl. z. B. Benson 1977; Clegg/Dunkerley 1980; Schreyögg 1978; Silverman 1970; Zey-Ferrell 1981). Alternative Ansätze werden vorgeschlagen, die der methodischen Kritik am Subjekt-Objekt-Modell Rechnung tragen. Im Gegensatz zum Situativen Ansatz sehen sie die Organisation als eine Entität an, die im Wesentlichen durch kulturelle und politische Prozesse erhalten und verändert wird. Während der Situative Ansatz nach objektiven Gesetzmäßigkeiten sucht, die gleichsam hinter dem Rücken der Akteurinnen und Akteure deren Verhalten bestimmen, machen die neueren Ansätze deutlich, dass Organisationen nach Regeln ablaufen, die durch das Handeln der Akteurinnen und Akteure selber geschaffen und verändert werden (vgl. Benson 1977). Die organisatorische Wirklichkeit ist aus dieser Perspektive nicht objektiv vorgegeben, sondern Ergebnis einer sozialen Konstruktion (vgl. Reed 1992).

Mit einer derartigen Position wird die ontologische Grundannahme des Subjekt-Objekt-Modells verändert (vgl. Chia 1997). Das dem interpretativen Ansatz zugrundeliegende Wissenschaftsverständnis geht davon aus, dass soziale Realitäten nicht als »harte Fakten« gegeben sind und entsprechend erforscht werden können, sondern von den Mitgliedern einer sozialen Gemeinschaft (unterschiedlich) konstruiert und interpretiert werden. Soziale Sachverhalte werden daher nicht als gegenständliche Einheiten, sondern als durch das Handeln der Akteurinnen und Akteure entstehende Regeln und Bedeutungen betrachtet. Beim Forschen geht es demnach nicht um ein objektives Beobachten (wie im Subjekt-Objekt-Modell), sondern um ein Teilnehmen, durch das die subjektiven Sinngehalte der Akteurinnen und Akteure erfragt werden. Forschende müssen dabei eine Interpretation der Interpretationen der Akteurinnen und Akteure vornehmen (»doppelte Hermeneutik«) (vgl. Giddens 1984b). Während Forschung im Sinne des Subjekt-Objekt-Modells Theorien gewöhnlich durch großzahlige quantitative Untersuchungen zu stützen trachtet, setzt interpretative Forschung auf eine oder wenige Fallstudien. Das Verfahren ist dem Charakter nach mehr induktiv: Die Forschenden eröffnen den Untersuchungsprozess möglichst unbefangen ohne Formulierung einer Ausgangshypothese oder Theorie. Diese sollen sich erst im Verlauf des Befragungs- und Auswertungsprozesses ergeben und durch abermalige Interviews mit den Befragten immer wieder abgeglichen werden. Isabella (1990) illustriert diesen Ansatz in mustergültiger Weise, wenn sie untersucht, wie das Management organisationale Ereignisse während einer organisatorischen Umbruchsphase deutet. Durch Interviews mit 40 Managerinnen und Managern versucht sie zu verstehen, wie und warum gewisse Interpretationen vorgenommen werden und wie dadurch das Handeln der beteiligten Personen orientiert wird (zum dazugehörigen Verständnis von »Theorie« vgl. z. B. Sutton/Staw 1995; Weick 1995b).

Damit ist das Wissenschaftsverständnis von interpretativen Ansätzen umrissen (Kap. 9). Ein ähnliches Wissenschaftsverständnis findet sich auch bei Max Weber. Weber (1972) geht es ebenfalls um eine »Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend versteht« (Kap. 2). Ähnlichkeiten bestehen auch zu neoinstitutionalistischen Ansätzen. Letztere betonen mit Berger und Luckmann (1966), dass die soziale Realität – mit all ihren Institutionen – sozial konstruiert ist (Kap. 8). Damit schreiben sie subjektiven Sinngehalten ebenfalls eine zentrale Rolle zu.

Trotz aller methodologischer Unterschiede zum Subjekt-Objekt-Modell halten interpretative Ansätze an dem Interesse fest, das Entstehen und den Bestand sozialer Ordnung zu ergründen. Sie beschäftigen sich nicht mit dem Problem sozialer Konflikte und der Legitimierung sozialen Wandels, sondern damit, wie über die subjektiven Sinngehalte der Akteurinnen und Akteure und deren Interpretationsprozesse soziale Ordnung entsteht (vgl. Burrell/Morgan 1979). Damit orientieren sich interpretative Ansätze – ebenso wie Ansätze, die auf dem Subjekt-Objekt-Modell aufbauen – am Status quo sozialer Ordnung, nicht jedoch an deren Kritik und Veränderung (Reform) (vgl. Willmott 1990).

1.4.2     Kritische Ansätze

Auch die normativen Annahmen des Subjekt-Objekt-Modells können hinterfragt werden. Mit der normativen Kritik werden die sozialphilosophischen Grundannahmen dieses Wissenschaftsverständnisses bezweifelt. So wird eingewendet, dass die am Subjekt-Objekt-Modell orientierte sozialwissenschaftliche Forschung sich einseitig auf die Interessen der Mächtigen ausrichtet und ihnen die sozialtechnologischen Mittel zum Erhalt ihrer Macht zur Verfügung stellt. Konflikte mit anderen Interessenträgern werden nur insoweit berücksichtigt, wie ihr funktionaler Beitrag zur Erhaltung des sozialen Status quo erfasst und kontrolliert werden kann. Eine kritische Beurteilung des Status quo sozialer Systeme wird dagegen unter Verweis auf das Wertfreiheitspostulat zurückgewiesen (Burrell/Morgan 1979). Damit verschließen sich die Sozialwissenschaften aber einer expliziten Erörterung dessen, was sie implizit immer schon vorentschieden haben. Dies betrifft die Grundentscheidungen darüber, was in der sozialen Welt als gut und was als schlecht angesehen werden soll bzw. wie der Interessenausgleich stattfindet. Dies betrifft dann auch das Problem, wie Konflikte gelöst werden und welche Interessen dabei zur Geltung kommen sollen. Wissenschaft im Sinne des Subjekt-Objekt-Modells dient demnach nicht einer wertneutralen »objektiven« Erkenntnisgewinnung, sondern ist implizit immer schon Ausdruck eines bestimmten Erkenntnisinteresses, es ist nämlich dem Interesse an technischer Verfügbarmachung der Welt verpflichtet. In der dialektischen Tradition wird dagegen versucht, einem emanzipatorischen Erkenntnisinteresse Geltung zu verschaffen. Dies bedeutet, dass mit wissenschaftlicher Arbeit auch Kritik an den bestehenden Gesellschaftsverhältnissen und ihrer gegenwärtigen Machtverteilung ermöglicht werden soll (Habermas 1969; Willmott 1997, 2003).

Anhängerinnen und Anhänger einer »kritischen Theorie« richten sich primär gegen das Subjekt-Objekt-Modell und die darauf aufbauenden organisationstheoretischen Ansätze. Zugleich weisen sie auf Schwächen der interpretativen Ansätze hin (eine aufschlußreiche Diskussion zwischen Vertreterinnen und Vertretern von kritischen und interpretativen Ansätzen findet sich in Putnam/Bantz/Deetz/Mumby/Van Maanen 1993). An den bisher besprochenen Ansätzen kritisieren sie, dass diese den Status quo sozialer Systeme nicht hinterfragen. Nach Auffassung der kritischen Ansätze ist jede Forschung durch bestimmte Erkenntnisinteressen motiviert (Habermas 1968). So basiert Forschung im Sinne des Subjekt-Objekt-Modells auf einem technischen Erkenntnisinteresse. Das produzierte Wissen dient demzufolge der Prognose und Kontrolle von sozialen Sachverhalten (Willmott 2003). Interpretative Ansätze sind dagegen durch ein praktisches Erkenntnisinteresse motiviert. Ihr Wissen soll die intersubjektive Verständigung fördern. Habermas (1968) ergänzt diese beiden Erkenntnisinteressen durch ein drittes Erkenntnisinteresse: das emanzipatorische Erkenntnisinteresse, das die kritischen Ansätze verfolgen und dabei die beiden anderen Erkenntnisinteressen kritisch begleiten. Forschung mit diesem Erkenntnisinteresse zielt darauf ab, den Status quo kritisch zu hinterfragen und zu verändern. Dazu untersucht sie, ob bestimmte Institutionen und Praktiken, welche häufig für selbstverständlich gehalten und nicht hinterfragt werden, in ungerechtfertigter Weise zur Unterdrückung und Ausbeutung bestimmter Gruppen beitragen (Marti/Scherer 2016; Willmott 2003).

Die sozialkritischen Diskussionen in der Philosophie bringen in den 1970er Jahre auch in der Organisationstheorie einen grundlegenden Wandel mit sich. Es setzt sich langsam die Auffassung durch, dass das Überleben von sozialen Systemen nicht in der gleichen Weise objektiv feststellbar ist, wie das Überleben biologischer Entitäten. Was »Überleben« bezogen auf soziale Systeme bedeutet, wird vielmehr kulturell definiert und ist nicht in den Strukturen einer Gesellschaft ein für alle Mal festgelegt (vgl. Habermas 1971). Die Definition der Bedeutung von »Überleben« eines sozialen Systems kann daher als ein politischer Beeinflussungsprozess verstanden werden, in dem Machtprozesse und die Interessen der beteiligten Akteurinnen und Akteure eine große Rolle spielen (Benson 1977). Im Gefolge dieser Einsicht entzünden sich Diskussionen darüber, wer das Überleben sozialer Systeme und die hierfür notwendigen Mittel definieren darf (z. B. wie lässt sich ein Existenzminimum in der Gesellschaft definieren und sicherstellen? Wie findet ein sozial gerechter Interessenausgleich statt?). In dieser Diskussion wird die Legitimationsgrundlage sozialer Herrschaft thematisiert, wodurch sich das Forschungsinteresse von der sozialen Ordnung und ihren Funktions- und Überlebensbedingungen hin zum Interesse an der Legitimierung der sozialen Ordnung selbst verschiebt (Clegg/Dunkerley 1980). Mit diesen Diskussionen werden also nicht nur die methodischen Mängel der ontologischen Grundannahmen des Situativen Ansatzes aufgedeckt, sondern wird auch die Legitimität seines Forschungsinteresses angezweifelt. Während in den 1960er und 1970er Jahren vielfach noch ganz selbstverständlich angenommen wird, dass die Erhöhung der Produktivität der Unternehmen zu einer Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse beiträgt, so werden diese normativen Grundannahmen im Laufe der 1970er Jahre immer mehr in Frage gestellt und z. B. die Gewinnerzielung und Gewinnverteilung problematisiert (Clegg 1981; Clegg/Dunkerley 1980; Silverman 1970). Diese ersten Versuche kulminierten später in den sog. »Critical Management Studies« (Alvesson 1987b; Alvesson/Deetz 1996, 2000; Alvesson/Willmott 1992b, 1995, 2012; Deetz 1995), welche die Organisationstheorie im Sinne des Subjekt-Objekt-Modells scharf kritisieren.

Auch bei anderen organisationstheoretischen Ansätzen lassen sich die zugrundeliegenden Forschungsinteressen hinterfragen. Bei der Verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie könnte die Kritik bspw. daran ansetzen, dass sich dieser Ansatz primär auf jene Strukturen und Prozesse fokussiert, die dem Systembestand dienen, womit negative Auswirkungen auf das Individuum unterbeleuchtet bleiben (für diese Kritik siehe Kapitel 4). Bei Taylors Managementlehre wiederum lässt sich hinterfragen, inwiefern diese Theorie nicht primär der Herrschaftssicherung des Managements dient und die Entscheidungsspielräume der involvierten Personen ungerechtfertigt einschränkt (Kap. 3).

1.4.3     Postmoderne Ansätze

Der Begriff »Postmodernismus« lässt sich nur schwer definieren. Einerseits wird der Begriff in der organisationstheoretischen Literatur in unterschiedlicher Weise verwendet (Boje/Gephart/Thatchenkery 1996; Calás/Smircich 1997; Hassard 1993a, 1993b; Kilduff/Mehra 1997; Norris 2000). Andererseits würde jede fixe Definition einem der Grundgedanken der postmodernen Ansätze widersprechen. Trotzdem kann man unterscheiden zwischen der »Postmoderne« als Epoche (teilweise als »Postmodernität« bezeichnet) und der »Postmoderne« als einer neuen Form der Epistemologie (»postmoderne Philosophie«) (Hassard 1993a, 1993b; Parker 1992). Im Folgenden geht es um letztere.

Postmoderne Ansätze wenden sich gegen realistische Vorstellungen von der Welt als bestehend aus vorgegebenen Entitäten und deren Beziehungen und von Wissen über die Welt als strukturgleiches Abbild dieser Entitäten und Beziehungen. Stattdessen wird argumentiert, dass die Welt und unser Wissen über sie durch unsere gemeinsame Sprache konstituiert wird. Hassard (1993a) formuliert dies wie folgt: »We can only ›know the world‹ through the particular forms of discourse our language creates.« Soweit ähnelt die Argumentation jener der interpretativen und kritischen Ansätze. Sie orientiert sich an der Einsicht Ludwig Wittgensteins (1984a), dass wir keine Sprache lernen und keine Sätze verstehen können, wenn wir nicht an der Lebensform teilnehmen, in der die Sprache verwendet wird. Menschen partizipieren demnach an verschiedenen Sprachspielen, welche die Regeln definieren, wie Worte in Handlungskontexten zu verwenden sind. Durch das Lernen dieser Regeln üben Menschen ein Sprachspiel ein, wodurch sie erst miteinander kommunizieren, sich gegenseitig verstehen und so ihre Handlungen koordinieren können.

Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied zu interpretativen und kritischen Ansätzen. Letztere gehen davon aus, dass man trotz unterschiedlichen Interpretationen (zumindest prinzipiell) durch einen herrschaftsfreien Diskurs zu einem gemeinsamen Verständnis der organisationalen Realität gelangen kann (Habermas 1973; Habermas 1981b). Hingegen lehnen postmoderne Ansätze jedes Streben nach Einigkeit und Konsens ab. Sie sehen Konsens als ungerechtfertigte Unterdrückung des Pluralismus an Interpretationen und Lebensformen. Stattdessen akzeptieren postmoderne Ansätze nur lokale Wahrheiten, welche sich aus den verschiedenen Sprachspielen heraus ergeben. Jedes dieser Sprachspiele definiert dabei unterschiedliche Kriterien für Wahrheit und Gerechtigkeit. Vor diesem Hintergrund erscheint die moderne Wissenschaft als Versuch, einen Meta-Diskurs zu etablieren, wodurch die Wissenschaft eine privilegierte Rolle jenseits aller Sprachspiele erhalten würde (Lyotard 1999). Aus einer postmodernen Perspektive ist eine solche Position weder möglich noch begründbar. Statt auf Konsens, fokussieren sich postmoderne Ansätze auf Differenzen und den Erhalt des Pluralismus an Sprachspielen.

Worin besteht nun die Methode der postmodernen Kritik? Postmoderne Ansätze versuchen aufzuzeigen, wie oberflächlich die normativen Strukturen und Regeln unserer sozialen Welt sind (Hassard 1993a). Dafür schlägt Derrida (1979, 1983) seinen dekonstruktiven Ansatz vor, mit welchem sich die impliziten und inhärenten Widersprüche identifizieren lassen, die in jedem Text (und damit auch in jeder Regel) anzutreffen sind. Zudem verwendet er das Konzept der »différance« um zu zeigen, dass jedes Symbol ein bestimmtes Objekt bezeichnet, sich aber zugleich von diesem Objekt unterscheidet. Dieses Konzept soll zu mehr Reflexivität und Selbstkritik in der Forschung anhalten.

So gesehen erscheinen postmoderne Ansätze weniger als neue Methode der Wissensgenerierung, sondern als eine neue Form des Diskurses, in welchem etabliertes Wissen hinterfragt wird. Kritikerinnen und Kritiker wenden jedoch ein, dass postmodernen Ansätzen eine normative Theorie zur kritischen Analyse sozialer Interaktionen fehlt (Habermas 1985a; Norris 2000; Thompson 1993; Willmott 1998). Sie kritisieren, dass postmoderne Ansätze nur etablierte Formen des Wissens angreifen, ohne Alternativen zur Wissensgenerierung aufzuzeigen (Kap. 9).

1.5       Wissenschaft im Spannungsfeld zwischen Individuen und Institutionen

In diesem Abschnitt wenden wir uns der Frage zu, wie individuelles Verhalten und gesellschaftliche Institutionen zusammenhängen (siehe dazu auch unsere Ausführungen in Scherer (2003)). Diese Frage bleibt häufig sowohl bei Ansätzen unterbeleuchtet, die auf dem Subjekt-Objekt-Modell aufbauen, als auch bei interpretativen Ansätzen. Keiner dieser Ansätze entwickelt eine eigenständige Theorie gesellschaftlicher Institutionen. Für die Organisationstheorie ist dies jedoch ein zentrales Thema. Die Frage ist dabei, ob das individuelle Verhalten weitgehend durch die gesellschaftlichen Strukturen (wie z. B. Organisationen, Kulturen) determiniert wird oder ob – aus anderer Perspektive betrachtet – gesellschaftliche Strukturen durch individuelles Verhalten erst konstituiert werden (Giddens 1984a; Vanberg 1975).

Diese Frage wird in den Sozialwissenschaften seit langem diskutiert (Giddens 1984a; Rosenberg 1995). Funktionalistische Ansätze und Rational Choice Ansätze geben dabei grundverschiedene Antworten. In diesem Abschnitt präsentieren wir diese beiden Ansätze und erläutern das jeweils zugrundeliegende Wissenschaftsverständnis. Auf der einen Seite schreiben funktionalistische Ansätze der Gesellschaft spezifische Eigenschaften zu, die nicht auf individuelles Verhalten zurückgeführt werden können. Diese Eigenschaften einer Gesellschaft prägen ihre Mitglieder. Rosenberg (1995) formuliert dies wie folgt: »The members of a society are governed by social forces that exist independent of them. The behavior of individuals is determined by norms of conduct of which we are not aware. These norms are imposed on us by social institutions, which determine the degree of social integration of a society's members.« Auf der anderen Seite plädieren Rational Choice Ansätze für den methodologischen Individualismus. Sie argumentieren gegen die Existenz »sozialer Fakten«. Stattdessen wollen sie alle gesellschaftlichen Phänomene auf individuelles Verhalten zurückführen. Die Gesellschaft ist damit nichts als eine Ansammlung von Individuen und jedes soziale Phänomen lässt sich als eine Folge bzw. als eine Aggregation individuellen Verhaltens erklären.

1.5.1     Funktionalistische Ansätze

Funktionalistische Ansätze werden in den Sozialwissenschaften seit über einem Jahrhundert diskutiert. Entwickelt wurden sie primär durch Herbert Spencer (1897) und Emile Durkheim (1961). Beide argumentieren, dass soziale Systeme (wie z. B. Gesellschaften, soziale Gruppen, Organisationen) spezifische Eigenschaften haben. Demnach existieren »soziale Fakten« (Durkheim 1961), welche nicht hinreichend durch das Verhalten von Individuen erklärt werden können. Stattdessen sind soziale Phänomene durch die Funktion zu erklären, die sie beim Errichten und Aufrechterhalten der sozialen Ordnung spielen.

Funktionalistische Ansätze postulieren damit wesentliche Ähnlichkeiten zwischen Gesellschaften und Organismen. Sie orientieren sich an der Einsicht der Biologie, dass zum Überleben eines Organismus das Zusammenwirken seiner Teile (»funktional«) notwendig ist. In analoger Weise versuchen funktionalistische Ansätze das Auftreten bestimmter sozialer Phänomene damit zu erklären, dass sie eine notwendige Bedingung für den Bestand der betrachteten sozialen Systeme darstellen. Zudem teilen funktionalistische Ansätze mit der Biologie ein evolutionäres Verständnis von Entwicklung. Sie gehen davon aus, dass in der sozialen Welt – ähnlich wie in der Natur – durch externe Kräfte determiniert wird, welche Institutionen oder strukturellen Alternativen besser »passen«. Diese externen Kräfte sind Teil eines Selektionsmechanismus, welcher überlegene strukturelle Alternativen selektioniert und damit die soziale Welt auf ein höheres Evolutionsniveau hebt.

Auf dieser Basis wurden verschiedene Varianten von funktionalistischen Ansätzen ausgearbeitet, von denen die moderne Systemtheorie (Luhmann 1984) eine bedeutende darstellt (vgl. zum Überblick Burrell/Morgan 1979; Hollis 1995; Lechner 2000; Merton 1957) (Kap. 11). Am Anfang dieses Theorieentwicklungsprozesses steht der Ansatz von Durkheim (1961), welcher sich stärker am Methodenarsenal der Naturwissenschaften orientiert als die nachfolgenden Varianten. Durkheim geht davon aus, dass auch in den Sozialwissenschaften allgemeine Gesetze über Ursache-Wirkungszusammenhänge identifiziert werden können, um soziale Phänomene zu erklären. Beobachtbare soziale Phänomene (wie z. B. organisationale Strukturen oder Institutionen) werden dabei als Ursachen verstanden, welche (als Wirkung) bestimmte soziale Funktionen realisieren. Zwei Annahmen sind für diese älteren funktionalistischen Ansätze zentral: Sie gehen davon aus, dass erstens soziale Systeme zum Überleben ganz bestimmte Funktionen ausführen müssen und dass es zweitens zur Erfüllung einer Funktion nur genau eine Strukturalternative gibt (»Postulate of indispensibility«, vgl. hierzu kritisch Gresov/Drazin 1997; Merton 1957). Demzufolge weisen soziale Systeme notwendigerweise bestimmte Strukturmerkmale auf, ohne dass hierzu Alternativen bestehen. Wie bereits gezeigt, spielen diese Annahmen auch im Situativen Ansatz (Kap. 5) und der zugrundeliegenden Theorie der strukturellen Anpassung (Donaldson 1996a, 1996b; Gresov/Drazin 1997) sowie in evolutionstheoretischen Ansätzen eine besondere Rolle (Kap. 7).

Mit einer solchen deterministischen Sichtweise lässt sich allerdings das Entstehen sozialer Ordnung nicht ausreichend erklären (vgl. Rosenberg 1995). Erstens ist der Begriff der »Funktion« nicht hinreichend bestimmt. In den meisten Arbeiten wird er auf das »Überleben« eines Systems bezogen, ohne dass klar wird, was »Überleben« in Hinblick auf soziale Systeme überhaupt genau bedeuten soll (Luhmann 1962). Anders als in der Biologie existiert in den Sozialwissenschaften kein eindeutiges Kriterium für den »Tod« eines sozialen Systems. Vielmehr wird das Wohlbefinden einer Gesellschaft normativ definiert – und zwar von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Mit ihrem Anspruch der wertfreien Theoriebildung können sich funktionalistische Ansätze deshalb nicht zum normativen Zustand von Gesellschaften äußern (vgl. Burrell/Morgan 1979; Habermas 1981b; Rosenberg 1995). Zudem ist die Definition einer bestimmten Funktion bis zu einem gewissen Grad artifiziell und willkürlich. Alle beobachtbaren sozialen Phänomene könnten letztendlich durch eine »Funktion« erklärt werden, der sie angeblich dienen. Funktionalistische Ansätze wurden deshalb teilweise als »empirisch leer« bezeichnet, etwa wenn Rosenberg (1995) kritisch anmerkt: »Nothing will refute the hypothesis that the institution has some function or another.«

Zweitens ist bei dieser deterministischen Sichtweise nicht einzusehen, warum nicht auch andere institutionelle Lösungen (»funktionale Äquivalente«) geeignet sind, die erforderlichen Funktionen zu erfüllen. Aus diesem Grunde wollen Vertreterinnen und Vertreter der neueren Systemtheorie den Bezugspunkt der Analyse verschieben, um damit die Strukturbildung besser erklären zu können (vgl. Lechner 2000; Luhmann 1962; Willke 1991). Das deterministische Kausalitätsdenken soll durch die Analyse funktionaler Äquivalente überwunden werden (vgl. Gresov/Drazin 1997; Luhmann 1962; Merton 1957, 1967). Dies ist in zwei Varianten möglich: zum einen kann der Möglichkeitsraum der Ursachen in Hinblick auf eine Wirkung, zum anderen der Möglichkeitsraum der (intendierten und nicht-intendierten) Wirkungen in Hinblick auf eine Ursache ausgeleuchtet werden. So versucht z. B. die neuere Systemtheorie, alternative Strukturvarianten in ihrem Beitrag zur Erhaltung der Grenze zwischen einem sozialen System und seiner Umwelt zu untersuchen (»Zweckprogrammierung«). Alternativ hierzu lassen sich auch bestimmte Ursachen durch »konditionale Programmierung« fixieren und in ihren möglichen Wirkungen und Nebenwirkungen thematisieren (Luhmann 1973).

In dieser Variante von funktionalistischen Ansätzen wird die Funktion nicht mehr als eine »zu bewirkende Wirkung« aufgefasst, sondern als ein »regulatives Sinnschema, das einen Vergleichsaspekt äquivalenter Leistungen organisiert« (Luhmann 1962). Die kausale Erklärung des Subjekt-Objekt-Modells mit ihrer Eins-zu-eins-Entsprechung zwischen Ursache und Wirkung erscheint unter einer solchen Perspektive nur noch als Spezialfall einer funktionalen Erklärung (vgl. Gresov/Drazin 1997; Luhmann 1962).

Den funktionalistischen Ansätzen in all ihren Varianten wird allerdings eine konservative Denkhaltung vorgeworfen (Rosenberg 1995), weil sie den sozialen Wandel nicht hinreichend in den Blick nehmen (Burrell/Morgan 1979; Dahrendorf 1961) bzw. den Legitimationshintergrund sozialer Strukturen und die dabei wirkenden Machtprozesse nicht durchleuchten (Habermas 1971; Habermas 1981b). Hier könnten die »Critical Management Studies«, welche bisher noch zu sehr auf die Kritik von Organisationen und Institutionen, nicht aber auf die positive Entwicklung von Alternativen fokussiert sind, einen wichtigen Beitrag liefern, indem sie aus einer normativen Perspektive die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft reflektieren (Habermas 1981b). Dies wäre jedoch eine neue Stossrichtung innerhalb der Organisationstheorie, insofern eine kritische Theorie der Institutionen erst noch entwickelt werden muss (Habermas 1992).

1.5.2     Rational Choice Ansätze

Rational Choice Ansätze nehmen eine Gegenposition zu funktionalistischen Ansätzen ein (für einen Überblick vgl. Bohman 1991; Hollis 1994; Rosenberg 1995; Vanberg 1975). Sie versuchen, soziale Phänomene der Makro-Ebene über die Mikro-Ebene zu erklären. Dies wird ersichtlich, wenn man mit Coleman (1990a) zwischen vier Typen von Beziehungen unterscheidet (Abb. 1.2): (0) Beziehungen auf der Makro-Ebene, z. B. zwischen gesellschaftlichen Strukturen und organisationalen Strukturen; (1) Beziehungen von der Makro- zur Mikro-Ebene, z. B. zwischen gesellschaftlichen Strukturen und individuellen Präferenzen; (2) Beziehungen auf der Mikro-Ebene, z. B. zwischen individuellen Präferenzen und individuellem Verhalten; (3) Beziehungen von der Mikro- zur Makro-Ebene, z. B. zwischen individuellem Verhalten und organisationalen Strukturen.

Rational Choice Ansätze lehnen Erklärungen des Typs 0 ab. Der Zusammenhang zwischen Makro-Ursache und Makro-Wirkung müsse vielmehr über die Mikro-Ebene hergestellt werden, durch eine Kombination der anderen drei Typen von Erklärungen (vgl. Coleman 1986, 1990a). Makro-Wirkungen sollen demzufolge nicht durch die Existenz von »sozialen Fakten« erklärt werden, sondern durch Mechanismen auf der Mikro-Ebene. Jedoch muss festgehalten werden, dass sich die Rational Choice Forschung (und mit ihr die ökonomische Theorie) bis heute vorwiegend auf Erklärungen des Typs 3 fokussiert, z. B. wie individuelles Verhalten bestimmte institutionelle Arrangements hervorbringen. Erklärungen der Typen 1 und 2 sind selten und werden noch seltener kombiniert. Erklärungen des Typs 2 untersuchen bspw., wie individuelle Werte (Präferenzen) das Verhalten in ökonomischen Kontexten beeinflussen (Vroom 1964), während Erklärungen des Typs 1 diese individuellen Werte (z. B. Altruismus) kausal zu erklären versuchen (Fehr/Gächter 2000).

Abb. 1.2: Wechselbeziehungen zwischen der Mikro- und Makro-Ebene (nach Coleman 1990 mit Modifikationen von Abell 2000 und den Autoren)

Rational Choice Ansätze basieren damit auf den folgenden drei Annahmen (Abell 2000):

(1)  Methodologischer Individualismus: Die Existenz »sozialer Fakten« (Durkheim 1961) wird verneint. Soziale Phänomene (wie z. B. gesellschaftlicher Wandel) können durch das Verhalten von Individuen und ihre Interaktionen erklärt werden (Elster 1989; Homans 1958).

(2)  Optimalität: Individuen optimieren ihr Verhalten mit Blick auf ihre Präferenzen und Möglichkeiten. Im Gegensatz zur neoklassischen Ökonomik wird dabei nur begrenzte Rationalität unterstellt (»satisficing«; vgl. Simon 1982).

(3)  Selbst-Bezogenheit: Individuen fokussieren sich ausschließlich auf ihre eigenen Präferenzen und versuchen, ihre eigeneWohlfahrt zu maximieren. Während gewisse Forscherinnen und Forscher dies für eine empirische Annahme halten, die getestet werden kann (z. B. Abell 2000; Falk 2003; Fehr/Gächter 2000), halten andere dies für eine methodologische Annahme, ohne die ökonomische Erklärungen zu inakzeptablen Tautologien führen würden (vgl. Homann/Suchanek 2005 und die Ausführungen zum homo oeconomicus).

Anders als in der Soziologie (Coleman 1986, 1990a; Friedman/Hechter 1988) oder Politologie (Downs 1957) werden Rational Choice Ansätze in der Organisationstheorie selten als solche bezeichnet und vertreten. Dennoch haben darauf aufbauende Theorien aus der ökonomischen Theorie in den 1990er Jahren einen prominenten Status in der Organisationstheorie erlangt (siehe z. B. Barney/Hesterley 1996; Milgrom/Roberts 1992). Diese Ansätze werden als institutionenökonomische Theorien der Organisation bezeichnet (Kap. 6). Sie umfassen die Agenturtheorie sowie die Theorie der Verfügungsrechte und die Transaktionskostentheorie. Letztere beide besprechen wir im Folgenden.

Die Theorie derVerfügungsrechte (property rights theory) nutzt einen Rational Choice Ansatz, um die Existenz von Organisationen zu erklären (Alchian/Demsetz 1972). Sie wendet sich damit der Frage zu, warum überhaupt Unternehmen bestehen, wenn doch der freie Markt (gemäss der klassischen und neoklassischen Ökonomik) ökonomische Aktivitäten optimal koordiniert (Coase 1937). Alchian und Demsetz (1972) argumentieren nun, dass Individuen einerseits einen Anreiz zur Kooperation haben, da sie in Teams oft effizienter arbeiten als alleine. Andererseits haben sie in Teams einen Anreiz zur Drückebergerei, da sich der Beitrag jedes einzelnen Team-Mitglieds oft nur schwer oder gar nicht bestimmen lässt. In dieser Situation ist es rational, bestimmte Individuen damit zu beauftragen, die Anstrengung der einzelnen Team-Mitglieder zu kontrollieren (bis zum Punkt an dem die Grenzkosten der Kontrolle dem Grenznutzen der reduzierten Drückebergerei entsprechen). Durch diese Kontroll-Funktion wird eine Hierarchie eingeführt. Alchian und Demsetz (1972) erklären damit institutionelle Arrangements auf der Makro-Ebene (die Existenz hierarchischer Organisationen) als Resultat des rationalen Verhaltens ökonomischer Akteurinnen und Akteure auf der Mikro-Ebene. Dies entspricht einer Erklärung des Typs 3 in der Terminologie Colemans (1990a).

Auch die Transaktionskostentheorie (transaction cost theory) baut auf einem Rational Choice Ansatz auf (Coase 1937; Williamson 1975a; Williamson 1985). Im Gegensatz zur Theorie der Verfügungsrechte will die Transaktionskostentheorie nicht die Existenz von Unternehmen erklären, sondern die Wahl zwischen unterschiedlichen institutionellen Arrangements. Williamson (1975a) argumentiert, dass Märkte und Hierarchien alternative institutionelle Arrangements darstellen, um Transaktionen zu koordinieren. Ouchi (1979, 1980) führt Clans als drittes institutionelles Arrangement ein, während in jüngster Zeit auch hybride institutionelle Arrangements diskutiert wurden, wie z. B. Netzwerke, Joint Ventures oder Franchising. Die Transaktionskostentheorie trifft zwei Annahmen zur Rationalität ökonomischer Akteurinnen und Akteure: Erstens sind die Individuen selbst begrenzt rational (Simon 1947) und zweitens sind sie mit opportunistischem Verhalten seitens der anderen Individuen konfrontiert. Beides führt zu Transaktionskosten (z. B. Kontrollkosten). Vor diesem Hintergrund werden ökonomische Akteurinnen und Akteure jenes institutionelle Arrangement wählen, das die Transaktionskosten möglichst klein hält. Beispielsweise lassen sich Transaktionen bei hoher Unsicherheit nur schwer mit Verträgen regeln, da sich Probleme und passenden Lösungen beim Vertragsabschluss schlecht vorhersehen lassen. Hier können Hierarchien die Transaktionskosten reduzieren, da eine übergeordnete dritte Partei Lösungen verordnen kann, nachdem Probleme aufgetreten sind. Die Transaktionskostentheorie erklärt damit institutionelle Arrangements auf der Makro-Ebene durch rationales Verhalten auf der Mikro-Ebene, was wiederum einer Erklärung des Typs 3 entspricht.

Trotz ihrer Erfolge in den Sozialwissenschaften werden Rational Choice Ansätze kontrovers diskutiert (Elster 1986; Green/Shapiro 1994; Kersting 2000; Kondylis 1999; Scott 2000a; Zey 1998). Die Kritik wendet ein, dass Rational Choice Ansätze die Kooperation zwischen Individuen letztlich nicht erklären können. Insbesondere bleibe unklar, warum rationale Individuen in jenen Fällen überhaupt Organisationen formen, wenn ihr fortwährender Nutzen nicht garantiert ist oder wenn sie von den sozialen Institutionen profitieren können, auch wenn sie nicht zu ihrer Etablierung beizutragen (Trittbrettfahrerproblem) (Hardin 1968; Olson 1965). Zudem wird das durch Optimalität und Selbstbezogenheit charakterisierte Rationalitätsverständnis als zu eng bezeichnet (Kersting 2000; Kondylis 1999), denn »actors make decisions to act on a number of complex bases, including group loyalty, trust, cooperation, legitimacy, and authority« (Zey 1998).

Zugleich werden normative Defizite bemängelt (vgl. z. B. Habermas 1992, 1996, 1998; Kersting 2000). Rational Choice Ansätze verstehen die gesellschaftliche Ordnung und das Allgemeinwohl lediglich als Aggregation individueller Präferenzen, die ihrerseits nicht hinterfragt werden. Damit beschränkt sich das Ziel der Politik darauf, einen »optimal compromise between given, and irreducibly opposed, private interests« (Elster 1986) zu finden, ohne die kommunikativen Prozesse der Präferenzbildung in den Blick zu nehmen. Rational Choice Ansätze führen damit zu einem zu engen Verständnis demokratischer Politik, mit dem die Grundpfeiler der sozialen Ordnung in eine Schieflage geraten können. Erstens muss eine richtig verstandene Konzeption demokratischer Politik die Notwendigkeit eines politischen Forums voraussetzen, in dem Individuen als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger (statt durch selbstbezogenes Optimieren) in argumentativen Prozessen ihre Präferenzen erst bilden und sich darüber verständigen, wie die Gesellschaft gestaltet werden sollte. Zey (1998) schreibt dazu: »Collective rationality is the result of public and rational dialogue about the common good. In the political realm, a reasonable outcome is more likely when preferences are transformed, not when they are aggregated. The goal of politics should be unanimous and thoughtful consensus, not an optimal compromise between irreducibly opposed interests.« Zweitens muss eine Konzeption demokratischer Politik ein weiteres Missverständnis von Rational Choice Ansätzen vermeiden. Diese gehen nämlich davon aus, dass auf der Ebene der staatlichen Politik die Rahmenordnung für die Regulierung des Marktes durch einen Prozess der Interessenaggregation bestimmt werden kann. Dieser Prozess soll gemäß dieser Ansätze ebenso als marktliche Austauschbeziehung verstanden werden. In diese Richtung weisen etwa politikökonomische Theorien der Demokratie, die Wahlen als eine Art Marktkoordination zwischen rational agierenden Politikanbietern (Mandatsträger, Parteien) und Nachfragern (Wählern) konzipieren (Downs 1957). Dies führt jedoch zu keiner Begründung der Theorie der politischen Ordnung, sondern zu einem infiniten Regress. Denn der Markt stellt keinen natürlichen Zustand dar (Simon 1991b), sondern muss durch politische Institutionen etabliert werden (Block 1994). Funktionierende Märkte erfordern starke staatliche Institutionen (Block 1994). Der Markt ist jedoch nicht in der Lage, die institutionellen Voraussetzungen seines Gelingens selbst zu erzeugen.

1.6       Von der Systematisierung zur kritischen Beurteilung

In den obigen Ausführungen wurden diverse organisationstheoretische Ansätze anhand der zugrundeliegenden Wissenschaftsverständnisse systematisiert. Begonnen haben wir mit dem Subjekt-Objekt-Modell (Kap. 1.3). Auf diesem Wissenschaftsverständnis baut bspw. der Situative Ansatz auf. Gegen dieses Wissenschaftsverständnis haben jedoch interpretative Ansätze methodische Kritik formuliert, während kritische und postmoderne Ansätze normative Einwände erhoben haben (Kap. 1.4). In Abgrenzung zum Subjekt-Objekt-Modell haben diese Ansätze andere Wissenschaftsverständnisse entwickelt. Schließlich haben wir gezeigt, dass funktionalistische Ansätze und Rational Choice Ansätze jeweils auf der Basis von Wissenschaftsverständnissen operieren, die das Verhältnis zwischen individuellem Verhalten und gesellschaftlichen Institutionen grundverschieden verstehen (Kap. 1.5).

Ausgehend von der Vorstellung, dass Wissenschaft letztlich der Verbesserung der Praxis dienen soll, darf sich Wissenschaftstheorie nicht auf die Systematisierung von Wissenschaftsverständnissen beschränken, sondern muss auch eine kritische Beurteilung dieser unterschiedlichen Wissenschaftsverständnisse möglich machen. Ansonsten hat dies negative Konsequenzen sowohl für die Theorie als auch für die Praxis. In der Forschung führt das unvermittelte Nebeneinander unterschiedlicher Wissenschaftsverständnisse beispielweise zu unterschiedlichen Verständnissen von »Theorie«. Auf der einen Seite erheben Forscherinnen und Forscher wie Bacharach (1989) die Testbarkeit zum zentralen Kriterium für Theorien: »If it is not testable, no matter how profound or aesthetically pleasing it may be, it is not a theory.« Der »value of testing« (Whetten 1989) wird hochgehalten und dadurch wird es für Theorien entscheidend, dass Variablen ganz genau operationalisiert werden (Feldman 2004). Auf der anderen Seite wollen bspw. Sutton und Staw (1995) diese empirischen Anforderungen reduzieren: »If a theory is particularly interesting, the standards used to evaluate how well it is tested or grounded need to be relaxed […]. We need to recognize that major contributions can be made when data are more illustrative than definitive.« Statt der Testbarkeit werden die verwendeten Begriffe und Kategorien zum zentralen Kriterium für Theorien. Demnach bringen Theorien den »interim struggle« (Weick 1995b) der Forscherinnen und Forscher zum Ausdruck, die mit neuen Begriffen und Kategorien andere Sichtweisen auf die »Realität« eröffnen. Dies zeigt, dass den oben referierten Wissenschaftsverständnissen jeweils verschiedene Annahmen über die Realität (»ontologische Grundannahmen«) sowie unterschiedliche Verständnisse von »Theorie« zugrunde liegen.

Auch für die Praxis ist eine kritische Beurteilung verschiedener Wissenschaftsverständnisse relevant. Wenn zur Bearbeitung eines Problems verschiedene organisationstheoretische Ansätze beanspruchen, eine Orientierung zu geben, die aus ihnen abgeleiteten Handlungsempfehlungen jedoch widersprüchlich sind, dann stellt sich wiederum die Frage nach einer kritischen Beurteilung dieser konkurrierenden Ansätze. Ansonsten würde die Auswahl einer Handlungsempfehlung willkürlich und ohne begründete theoretische Stützung sein.

Im Folgenden geben wir deshalb einen Überblick über die bisherige Diskussion zum Verhältnis zwischen unterschiedlichen Wissenschaftsverständnissen. Anschließend führen wir aus, wie der Methodische Konstruktivismus dieses Problem analysiert und ziehen daraus Implikationen für die Forschungspraxis.

1.6.1     Perspektiven zur Inkommensurabilitätsdiskussion

Die Debatte innerhalb der Organisationstheorie über das Verhältnis zwischen unterschiedlichen Wissenschaftsverständnissen dreht sich um den Begriff der Inkommensurabilität. Inkommensurabilität bedeutet, dass Ansätze oder Theorien (1) radikal verschieden sind, dass sie sich (2) in einem Konkurrenzverhältnis befinden, womit eine Entscheidung erforderlich wird, und dass (3) kein objektiver Vergleichsmaßstab besteht, mit dessen Hilfe sich eine Entscheidung treffen lässt (Lueken 1992). Der Begriff der Inkommensurabilität wurde durch den Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn (1962) zunächst in der Wissenschaftstheorie in weiteren Kreisen bekannt gemacht. In der Organisationstheorie entfachte sich in den 1980er und 1990er Jahren eine hitzige Debatte darüber, inwiefern organisationstheoretische Ansätze und Theorien inkommensurabel sind. Im Folgenden präsentieren wir vier Positionen in dieser Debatte (Scherer 1998; Scherer/Steinmann 1999).

(1) Mit dem Wort »Isolationismus« wird eine Position bezeichnet, die der Auffassung ist, dass der Pluralismus verschiedener Wissenschaftsverständnisse nicht überwunden werden darf, weil sonst die intellektuelle Freiheit ungerechtfertigt eingeschränkt wird (Burrell/Morgan 1979; Jackson/Carter 1991, 1993). Gleichwohl heben Vertreterinnen und Vertreter dieser Position hervor, dass sich Theorien zumindest anhand der innerhalb ihres Wissenschaftsverständnisses geltenden Regeln begründen lassen und sich an diesen Regeln orientieren sollen. Jeder Versuch aber, die Inkommensurabilität zu überwinden, wird abgelehnt, da dies letztlich immer zu einer ungerechtfertigten Dominanz eines bestimmten Wissenschaftsverständnisses führt. Die Möglichkeit einer rationalen Einigung zwischen konkurrierenden Positionen wird damit negiert (Jackson/Carter 1991).

(2) Die Bezeichnung »back to basics« stammt von Michael Reed (1992), der sich kritisch mit dem Bestreben mancher Forscherinnen und Forscher auseinandersetzt, die Organisationstheorie auf die Grundlage des Situativen Ansatzes zu stellen. Dieses Bestreben soll der Eindämmung des Theorienpluralismus dienen, zielt aber letztlich auf die Dominanz jener Ansätze ab, die sich am Subjekt-Objekt-Modell orientieren. Anhängerinnen und Anhänger dieser Position, wie etwa Lex Donaldson (1985, 1988, 1995, 1996a), vertreten die These, dass über die Güte konkurrierender Theorien mittels empirischer Tests entschieden werden kann (vgl. auch Bacharach 1989; Hinings 1988; Lammers 1981b, 1981a; McKelvey 2003; McKinley 1995). Das dabei zugrundeliegende Wissenschaftsverständnis wird von Donaldson gegen Kritik immunisiert. Donaldson (1988) ist der Auffassung, dass die von ihm vertretene empirische Organisationstheorie nur anhand ihrer eigenen Methodologie beurteilt werden darf: »Organisation Theory needs to be recognized as legitimate in its own terms.« Auf diese Weise fällt er aber letztlich in eine isolationistische Perspektive zurück. Er stützt sich auf die dogmatische Behauptung, dass sich die Organisationstheorie am Subjekt-Objekt-Modell orientieren soll.

(3) Die Bezeichnung »anything goes« schließt an die Position von Paul Feyerabend (1975) an. Feyerabend wirft diese provokative These in den Streit um Kuhns Untersuchungen ein. Sie kennzeichnet eine relativistische Auffassung, die jede wissenschaftliche und praktische Position als gleichberechtigt ansieht, da eine vollständige Begründung von Positionen gar nicht möglich ist (vgl. Morgan 1983; Reed 1992). Während die isolationistische Position immerhin noch die Geltung von Regeln innerhalb der jeweiligen Wissenschaftsgemeinden anerkennt, gibt die »Anything goes«-Perspektive auch dies auf. Die Wahl einer Perspektive kann dann letztlich nicht mehr durch wissenschaftliche Bemühungen gestützt werden (vgl. Morgan 1983). Auf die Spitze getrieben führt dies zur Unmöglichkeit von Wissenschaft (Schreyögg 1992). Die Wahl einer Perspektive ist, so Feyerabend, in das Belieben des einzelnen gestellt. Der Wissenschaft wird dabei keine privilegierte Rolle mehr zugewiesen. Sie unterscheidet sich damit nicht mehr von alltäglichen, nicht-wissenschaftlichen Formen des Entscheidens und Handelns.

(4) Die »Multiparadigmenperspektive« postuliert schließlich, dass der Dialog über konkurrierende Wissenschaftsverständnisse (Paradigmen) hinweg geführt werden muss, um Fortschritte in der Wissenschaft zu erzielen (Gioia/Pitre 1990; Lewis/Grimes 1999; Lewis/Kelemen 2002; Morgan 1990b; O'Connor/Hatch/White/Zald 1995; Schultz/Hatch 1996). Sie sind weiterhin der Auffassung, dass es nicht Aufgabe der Wissenschaft ist, nach der einen Wahrheit zu suchen, vielmehr produziert die Forschung viele Wahrheiten. Eine Multiparadigmenperspektive soll dazu beitragen, die Vielfalt dieser Wahrheiten zu erkennen, um zu »umfassenderen Erklärungen« (Gioia/Pitre 1990; Kelemen/Hassard 2003) sozialer Phänomene zu gelangen. Die forschungspraktische Umsetzung einer solchen Position soll mittels multiparadigmatischer Sequentiell- oder Parallelstudien angestrebt werden (Evered/Louis 1981; Gioia/Pitre 1990; Lewis/Grimes 1999; Schultz/Hatch 1996), bei denen die Forscherinnen und Forscher einen Forschungsgegenstand aus verschiedenen Perspektiven (d. h. mit anderen Wissenschaftsverständnissen) untersuchen (vgl. z. B. Gioia/Donnellon/Sims 1989; Hassard 1991). Eine solche Auffassung führt jedoch zu keiner Lösung des Inkommensurabilitätsproblems. So ist nicht einzusehen, warum die schlichte Addition von Perspektiven ein besseres Gesamtbild ergeben soll, wenn im Prinzip jede einzelne der Perspektiven falsch sein kann. Was fehlt, ist offensichtlich eine zusätzliche Begründungsleistung, die die Multiparadigmenperspektive allerdings aus sich selbst heraus nicht aufzubringen vermag (Scherer/Steinmann 1999).

Dieser kurze Überblick zeigt, dass die Inkommensurabilitätsdebatte in eine Sackgasse geraten ist. Im Folgenden skizzieren wir einen Ausweg aus dieser Problematik, den Vertreterinnen und Vertreter des sog. methodischen Konstruktivismus in der Wissenschaftstheorie vorgeschlagen haben. Damit soll aufgezeigt werden, wie eine kritische Beurteilung von Wissenschaftsverständnissen möglich und durchführbar ist.

1.6.2     Das Begründungsprogramm des Konstruktivismus

Das Problem des richtigen »Anfangs« beim Theorieaufbau stellt eine besondere Schwierigkeit dar (Kap. 1.3). Hans Albert (1980) hat dies plastisch als »Münchhausen-Trilemma« beschrieben: Fragt man nach der Begründung einer Theorie, so bleibt nichts anderes übrig, als wiederum auf Theorien zu verweisen. Werden diese Theorien von neuem bezweifelt, entgeht man dem drohenden infiniten Begründungsregress nur, wenn man dogmatisch, d. h. willkürlich, an irgendeiner Stelle den Begründungsversuch abbricht oder wenn man die eigene Begründung auf Aussagen stützt, die eigentlich erst zu begründen sind (argumentativer Zirkel). Weil sich für den kritischen Rationalismus bei der Begründung von Theorien kein geeigneter Anfang setzen lässt, haben seine Vertreterinnen und Vertreter den Begründungsanspruch zugunsten der Idee der Falsifikation aufgegeben (Albert 1980). Letztlich wird dadurch eine kritische Beurteilung von organisationstheoretischen Ansätzen verunmöglicht. Diese Betrachtungsweise geht jedoch von einem bestimmten Verständnis des Verhältnisses von Theorie und Praxis aus: Demnach geht die Theorie der Praxis methodisch voraus, d. h. die Handlungspraxis der Menschen wird stets durch explizite oder implizite Theorien geleitet (Abb. 1.3).

Der methodische Konstruktivismus, der in den 1960er Jahren von den beiden Philosophen Wilhelm Kamlah und Paul Lorenzen (1973) entwickelt wurde, hat ein anderes Verständnis des Verhältnisses von Theorie und Praxis entwickelt, wodurch – wie wir aufzeigen werden – eine kritische Beurteilung von organisationstheoretischen Ansätzen letztlich möglich wird. Ziel dieses Vorschlages ist es, einen Anfang auszuweisen, der als Anlass und methodischer Ausgangspunkt jeder Theoriebildung einsichtig gemacht werden kann. In der konstruktiven Konzeption gehen Sprechen und Handeln der Theorie methodisch voraus. Dass es dabei immer um Handeln geht – auch Sprechen wird als besonderer Fall des Handelns begriffen –, wird durch die Verwendung des Begriffs »Praxis« deutlich gemacht. Mit dem Begriff »primärer« oder »vortheoretischer Praxis« wird ein Handlungszusammenhang bezeichnet, in dem die Menschen ihr Leben ohne die bewusste und reflektierte Anwendung von Theorien bewältigen. Jeder Mensch kann sich vergegenwärtigen, dass dieser Bereich menschlicher Praxis einen sehr großen Teil seines Lebens ausmacht. Ganz gleich, ob im Beruf, in der Freizeit oder bei der alltäglichen Lebensbewältigung, wir können uns verständigen, die geeigneten Mittel zur Verfolgung unserer Zwecke wählen oder aber Streit schlichten, indem wir mehr oder weniger unbewusst ein Know-how