Othello und der fischlederne Tabaksbeutel - Andreas Babillotte - E-Book

Othello und der fischlederne Tabaksbeutel E-Book

Andreas Babillotte

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Beschreibung

Über die Seefahrt, eine der größten Errungenschaften der Menschheit, ist viel geschrieben worden. Dies ist die ganz persönliche Geschichte des Autors Andreas Babillotte. Aber da keine Geschichte ganz und gar real ist und keine ganz und gar fiktiv, reihen sich seine Geschichten und die Schiffstagebuchauszüge aus seinem Seemannsalltag wie Kalenderblätter aneinander, um Sie, werte Leser, darin eintauchen zu lassen.

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INHALT

Vorwort

GAMO

Mein erstes Segelboot

SANTA RITA

Als Schiffsjunge unterwegs nach Südamerika

CAP SAN ANTONIO

Freuden und Leiden eines Leichtmatrosen zwischen Rio de Janeiro und Buenos Aires

COLUMBUS AMERICA

Erste Erfahrungen auf einem Containerschiff

CAP ANAMUR

Begegnung mit dem Mittleren Osten

LITANIA

Winter in der Ostsee

SCHULSCHIFF DEUTSCHLAND

Eine etwas andere Begegnung mit der Bundesmarine

GONGOLA HOPE

Catwalk in Nigeria

PROTEKTOR

Suche nach der MÜNCHEN

AMPHITRITE

Mit „Hansen“ rund um Fyn

OLYMPIC

Tohuwabohu an Board

ERIK

Spanferkel auf dem Tankschiff

RICHARD

Notsignale als Silvesterfeuerwerk

ROBERT

Essen, essen, essen

SEA CLOUD OF GRAND CAYMAN

Mit den Reichen und Schönen zum Markusplatz in Venedig

VAGASTO

Vaters Ganzer Stolz

BUTABA

Unser Journalist geht nie wieder an Bord

DOROTHEE

Suezkanal und Natascha aus dem Roten Meer

ATLANTIS

Hindernisreise mit Gästen

VAGRANT

Altösterreich und Heidelberg

ANNA CATHARINA

Resozialisierung als Projekt

CREOLE

Fabulieren auf einem Dreimaster

PEPI

Weihnacht Zweier

KALLISTO

Bauernfrühstück auf Barbados

FELICITA

Von der Werft zum Rettungshubschrauber

ANNY VON HAMBURG

Glück in Glückstadt

MARY ANNE II

Ein Rentier im Schlauchboot

QUEEN NEFERTITI

Snickers und Martini

TUCAN

Mit dem Frachtsegler von der Elbe in den Mistral

ROMINTA

Ein Schiff mit Pferdenamen

RENALO

Karibik und bezahlte Freunde

JADE

Auf Schatzsuche in der Nordsee

CARINTHIA VI

Viele Koffer für Kreta

CARINTHIA VI Zweite Reise

The world is my ashtray

EVVE

Sukosan und Sobe

THE ONE

Facettenreiches Yachting an der Cote d’Azur

ALBACORA

Carwash in Buxtehude

ONDA BLUE

Ramazotti ist nicht an Bord

KRISTINA HØY

Baggern für Marokko

MARVIVA MED

Im Dienste der Ökologie

PAZ und YAAKUN

Auch auf Schiffen Ärger mit dem TÜV

JOHANN SMIDT

Alle bis auf Zwei

SJS

Angeln ohne UKW-Gerät

POKROV

Mit Ruderschaden unterm Vollmond

HERCULES

Schätze von Karthago

SJS Zweite Reise

Hetzjagd an Portugals Küsten

DUO

Ein Teebeutel und ein blinder Passagier

JOHANN SMIDT Zweite Reise

Eines Lehrers Segeltraum

ALEXANDER VON HUMBOLDT

Rumverkostung im Roten Salon

JOHANN SMIDT Dritte Reise

Mit Schülern über den Atlantik

PEGASUS BLUE

Ankunft im Sturm

VOYAGER

Der Kapitän ist seekrank

WESTERN STAR

Vom Tauchboot zum Flüchtlingsschiff

ALVARO

Fototermin vor Mallorca

Vorwort

„Jeder Seemann ein Artist – zwei Seeleute ein ganzer Zirkus“

Über die Seefahrt, eine der größten Errungenschaften der Menschheit, ist viel geschrieben worden. Dies ist meine persönliche Geschichte – aber: „Keine Geschichte ist ganz und gar real, keine ganz und gar fiktiv“, hat eine tschechoslowakische Schriftstellerin einmal gesagt.

Und so reihen sich meine Geschichten und die Schiffstagebuchauszüge aus meinem Seemannsalltag wie Kalenderblätter aneinander, um Sie, werte Leser, einen Blick auf den „Zirkus“ werfen zu lassen, dem ich seit mehr als 50 Jahren angehöre.

Eines möchte ich an dieser Stelle unbedingt einfügen – in Anbetracht vielfältiger Diskriminierungen, denen wir überall begegnen: Die „Fipse“, meine philippinischen Mitarbeiter, wie ich sie liebevoll nannte und nenne, mochten und mögen es, wenn ihr Captain sie so ansprach.

Und Ausdrücke wie der „Alte“ für den Kapitän waren in der Alltagssprache an Bord absolut üblich. Deshalb habe ich meine Tagebuchauszüge auch unverändert wiedergegeben, so bleiben sie authentisch für den jeweiligen Zeitabschnitt.

Natürlich kann dieses Buch nur Ausschnitte aus meinem Seemannsleben wiedergeben. Hierbei wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen, ein paar etwas sprödere Abschnitte, wie technische Beschreibungen, können Sie ja – mit einem Zwinkern meinerseits – querlesen.

GAMO

Mein erstes Segelboot

Die GAMO war mein erstes Segelboot. Ein Vaurien, eine Zweimannjolle mit olympischer Klasse aus der Mooser Werft am Untersee des Bodensees. Meine Eltern hatten auf Mallorca mit der Reiseagentur Neckermann einen Segelkurs besucht, und kamen mit dem damaligen B-Segelschein zurück. Sie hatten den Vaurien in Moos gekauft und ihn GAMO benannt nach dem Segelschiff , auf dem sie ihren Schein gemacht hatten. Und ich sollte damit Segeln lernen, ich, der ich noch keine Ahnung vom Segeln hatte.

Die erste Fahrt mit der GAMO führte meinen Vater und mich von Moos nach Horn. Horn liegt am Untersee und man muss ein Horn umsegeln, um von Moos nach Horn zu kommen. Es klappte alles nicht so wirklich richtig, aber wir kamen an! Auf dem dortigen Campingplatz waren im Sommer etliche Leute, die auch ihre Boote in Horn liegen hatten. Auch die Familie B. aus Fellbach, mit ihren beiden Kindern Sybille und Wolfgang. Sie verbrachten die Ferien in ihrem Wohnwagen, der einst Herrn Lou van Burg gehört hatte – und sie hatten ebenfalls einen Vaurien. So kam es, dass Wolfgang und sein Vater mir das Segeln beibrachten. Mit allem drum und dran. Mit Sybille unternahm ich Flirtversuche, jedoch vergeblich. Aber sie segelte mit mir, während Wolfgang und sein Vater auf ihrem Boot segelten. So verbrachten wir in den 1960er Jahren einige schöne Sommer segelnd auf dem Bodensee – lange bevor ich mit der wirklichen Seefahrt begann.

SANTA RITA

Als Schiff sjunge unterwegs nach Südamerika

Die SANTA RITA, ein Handelsschiff mit 6291 Bruttoregistertonnen und dem Rufzeichen DIGE, war mein erstes „richtiges“ Schiff , auf dem ich im November 1969 als Schiff sjunge angemustert habe. Körpergröße mindestens 145 cm und Körpergewicht mehr als 50 kg, das waren unter anderem Grundvoraussetzungen: 145 cm, weil die letzte Sprosse am Mast 145 cm von der Mastspitze entfernt ist und 50 kg, damit einen der Wind nicht davon wehte. Und gesund musste man sein, ansonsten erhielt man die Seediensttauglichkeit nicht. Zuvor hatte ich auf dem Priwall in Travemünde die Schiff sjungenschule besucht, „Mosesfabrik“ genannt, wo wir alles lernten, was man auf einem Handelsschiff wissen sollte. Ein dreimonatiger Lehrgang für alle, die an Deck zur See fahren wollten. Es ging auch so zu wie auf einem „richtigen“ Schiff. Wir gingen Wachen, glasten die Uhrzeiten, knoteten, spleißten, takelten und nähten uns einen Seesack. Pullen=rudern. Flaggen setzen. Das internationale Alphabet, mit Buchstaben und Flaggen. Lichtmorsen und akustisches Morsen. Gezeitenkunde. Wetterkunde. Ladungskunde. Das Glasen ist im Übrigen das halbstündliche Anschlagen an die Schiffsglocke, das anzeigt, wie viele halbe Stunden einer vierstündigen Wache bereits vergangen sind.

Nach Feierabend, wenn wir an den Strand gingen, nahm ich meine Gitarre mit und spielte für uns Schiffsjungen Bänkelsongs von Franz Josef Degenhardt. Schon damals erhielt ich den Spitznamen „Degenhardt“, der mir auf den Schiffen erhalten blieb.

Zum Ende des Lehrgangs kamen die Reedereivertreter, luden uns nach Hamburg auf eines ihrer Schiffe ein und boten uns Ausbildungsverträge an. Es gab immer ein Mittagessen, eine Stange Zigaretten und manchmal auch eine Flasche Schnaps. Dann wurden die Verträge gezeigt, man unterschrieb und „hatte“ ein Schiff. Ich schaute mir das in Ruhe an und wartete bis fast zum Ende des Lehrgangs auf der Mosesfabrik, um einen Vertrag zu unterschreiben. Die Hamburg Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft bot den für mich besten Vertrag: Drei Jahre Ausbildung bis zum „Matrosen in der Seeschifffahrt“. Der Werdegang war folgendermaßen: Schiffsjunge, Jungmann, Leichtmatrose, Vollmatrose – und das auf unterschiedlichen Schiffen und Fahrtgebieten der Reederei. Und: Drei Monate Schiffsjungenheuer für die Zeit auf der Mosesfabrik und gestellte Arbeitskleidung.

Ich war gerade 17 geworden und von der Schule geflogen, dem Pädagogium in Baden-Baden. Den Grund für meinen Rauswurf zeigt folgende Geschichte auf: Das „Pädda“ hatte ein Landschulheim, das die Schule mit Lebensmitteln versorgte. Wir Schüler durften einmal im Monat oder alle zwei Monate, ich weiß das nicht mehr ganz genau, dort bei der Ernte helfen oder beim Schlachten. Es waren schulfreie Tage – sozusagen „Ferien auf dem Bauernhof“. Mir machte das viel Spaß und es gab immer gutes Essen. Es wurde geschlachtet, Kesselfleisch und Wurst gemacht. Einmal hatte ich ohne Erlaubnis eine geräucherte Leberwurst mitgenommen und sie in unserem Zimmer in den stillgelegten Kachelofen gehängt, ohne darüber nachzudenken, dass der Geruch sich schnell ausbreiten würde. Die Hausdame fragte sofort nach dem Schuldigen und wenn dieser sich nicht melden würde, bekäme das gesamte Zimmer – wir waren acht Jungs – Heimfahrsperre. Ich habe mich daraufhin gemeldet – und bin trotzdem nach Hause gefahren. Das brachte mir den Schulverweis! Ein Patient meines Vaters, ein ehemaliger Seemann, setzte in mir den Funken, zur See zu fahren. Ich brauchte damals noch die Erlaubnis von den Eltern, um zur See zu fahren, denn ich wurde ja erst mit 21 Jahren volljährig.

Am 04. November 1969 stieg ich auf SANTA RITA in Hamburg, Schuppen 52, als Schiffsjunge ein. Und hatte keine Ahnung, was ich zu tun hatte. Der Bootsmann, umgangssprachlich der „Scheich“ genannt, schickte mich nach achtern=hinten, damit ich mich in meiner Kammer umziehen sollte. Diese Kammer hieß auch „Hotel zur Schraube“, da der Schiffspropeller fast genau darunter und neben uns war. Wir schliefen in zwei Kojen übereinander, es gab einen Tisch mit Sitzbank, zwei Spinde, zwei Bullaugen=Fenster, keine Klimaanlage, Frischwasser war begrenzt. Mein erster Auftrag vom Bootsmann in Hamburg lautete, die frische Farbe, die gerade von Land auf die Back=Vorschiff geliefert worden war, im Kabelgatt zu verstauen. Mit dabei war ein Matrose, der mir die Farbeimer hinunterreichte. Die stapelte ich pyramidenförmig rund um den Niedergang in der Reihenfolge: Groß unten und nach oben kleiner und leichter werdend. Wir wurden zur Teatime gerufen und als wir zurückkamen, waren die Farbeimer, die oben standen, wegen eines Wellenschlages in die Tiefe gefallen. Diese Fallhöhe hatten sie natürlich nicht überlebt, und es war „alles so schön bunt hier“ wie bei Nina Hagen! Schuld hatte natürlich ich, der „Moses“, wie der Schiffsjunge genannt wurde.

Wir liefen aus in Richtung Nordsee. Auf der Elbe wurde ich schon seekrank, ich musste mich heftig übergeben, aber das ging vorüber. Wir liefen einige Häfen an der Nordküste Europas an, Bremen, Rotterdam, Antwerpen, um dann den Atlantik zu überqueren nach Südamerika. In Bremen ging schon der erste von uns Schiffsjungen von Bord. Und in Rotterdam der zweite – sie hatten sich die Seefahrt anders vorgestellt!

Die HSDG, Hamburg Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft, fuhr Stückgut im Liniendienst nach Brasilien, Uruguay und Argentinien. Auf dem Rückweg nahmen wir Tabak und Kaffee mit. Die SANTA RITA fuhr nur nach Brasilien. Als Schiffsjunge an Bord musste ich all das machen, wozu die anderen keine Lust hatten: Also früh aufstehen und Kaffee und Tee zubereiten für die Jungmänner, die Leichtmatrosen, die Matrosen, den Bootsmann, den Zimmermann, den Storekeeper=Lagerhalter im Maschinenraum, den Kochsmaat, den Bäckerlehrling, damit diese etwas zum Wachwerden hatten. Danach alles wieder abräumen und spülen, das nennt sich Backschaft machen – auf „backen“ und ab „backen“. Anschließend die Kammern des Bootsmanns, Zimmermanns und Storekeepers putzen. Dann ging es an Deck zum Arbeiten bis kurz vor Mittag. Mittag war von 11:30 - 12:30 Uhr. Und wieder Backschaft. Aus der Kombüse der Besatzung das Mittagessen nach achtern in die Mannschaftsmesse bringen. Dann wieder von achtern über die Deckslast=Ladung an Deck zurück zur Kombüse etwa 60 Meter, x-Mal hin+zurück mit vollbeladenen Tellern. Jeden Tag! Zu jeder Mahlzeit! Frühstück war von 07:30 Uhr bis 08:30 Uhr, damit alle Wachhabenden zu essen bekamen, die, die von der Wache kamen und die, die zur Wache gingen. So lagen die Mahlzeiten bis aufs Abendbrot immer eine halbe Stunde vor bis eine halbe Stunde nach dem Wachwechsel. Die Offiziere und Ingenieure aßen mittschiffs in der Offiziersmesse und ebenso die bis zu sechs Passagiere, die immer mitfuhren.

Eine besondere Herausforderung war für mich das Frühstück am Sonntag und am Donnerstag, der auch „Seemannssonntag“ genannt wird. Denn da gab es zum Frühstück Eier nach Wunsch. Ein jeder Seemann an Bord durfte sich an diesen beiden Tagen Eier nach seiner Wahl wünschen: Spiegelei normal, von beiden Seiten, mexikanisch, mit Zwiebeln, mit Tomaten, mit Champignons, Rührei mit und ohne, harte oder weiche Eier und so weiter. Mon Dieu! 16 Männer warteten auf ihre Wunscheier, aber ich hatte schon vor der Kombüse die meisten Bestellungen wieder vergessen. Zum Glück kannte der Koch seine Pappenheimer und wusste, wer welche Eier wie haben wollte. Anfangs konnte ich nur zwei Teller tragen, dann vier und am Ende sogar sechs. Und es musste schnell über die Deckslast gehen, im Freien, mit manchmal sehr viel Wind und Schiffsbewegung. Coffeetime um 10:00 Uhr und Teatime um 15:00 Uhr kamen noch hinzu, und danach ging’s an Deck, um die tagtäglich anfallenden Schiffsarbeiten zu erledigen.

Ein Stückgutschiff wie die SANTA RITA war ein Schiff mit Masten und Ladebäumen, mit Luken und Lukendeckeln, sowie dem Ladegeschirr, das regelmäßig gewartet werden musste. Das hieß für uns Schiffsjungen, dass wir die Drahtseile mit Fett einreiben mussten, denn Wind und Wetter lassen dieses Fett langsam verschwinden. Eine Drecksarbeit war das! Da saß nun der Schiffsjunge in einem Bootsmannsstuhl mit einem Eimer Fett an der Seite angebunden, und „labsalbte“ das drahtige Tauwerk. Mit der Hand in den Fetteimer und dann das Fett gleichmäßig auf dem Drahtseil auftragen. Und dabei darauf achten, dass einem einzelne lose Stahldrähte nicht in die Hand stachen. Oder wir saßen in der Vorpiek, dem vordersten Raum im Schiff und spleißten Stroppen für die Kaffeesäcke in Brasilien. Stroppen sind Endlosschlingen ohne Knoten. Oder wir „fuhren Rostmaschine“ an Deck, das heißt, das Eisendeck wurde mit einer Art Häckselmaschine entrostet. Oder wir wuschen die Masten und Bäume – vorzugsweise auf der Heimreise, damit das Schiff schön aussah, bei Ankunft am Schuppen 52. Auch hier kam der erwähnte Bootsmannsstuhl wieder zum Einsatz. Um einen Mast herum hingen so üblicherweise vier Seeleute, von denen jeder „seinen“ Teil des Mastes gleichzeitig im Wechsel mit Seifenwasser und Frischwasser reinigte. Und da sich das Schiff natürlich auf See bewegte, schwang man um den Mast oder um den Ladebaum wie auf einer Schaukel. Und mit den fettigen oder seifigen Händen konnte man sich kaum festhalten. Für den Fall der Fälle, trugen wir natürlich alle einen Sicherheitsgurt. Und nach dem „Farbewaschen“ wurde der Mast weiß gestrichen. Auch hier wieder vier Mann, mit Farbeimer, Pinsel und Rolle. Dieselbe Prozedur erhielten alle horizontal liegenden Ladebäume!

Bevor wir in einen Hafen einliefen, wurde löschklar gemacht, das hieß, alle Laderäume wurden aus ihrer horizontalen Lage in einen 45 Grad Winkel gestellt. Umgekehrt, wenn wir aus einem Hafen ausliefen, wurde seeklar gemacht, das hieß, alle Ladebäume wurden wieder gelegt und die Ladeluken verschlossen und gesichert.

Ein Stückgutschiff wie die SANTA RITA, konnte fast alles transportieren: In den Luken befanden sich Kisten, Ballen, Säcke, Fässer, Stahlrollen, Holz, Autos, LKW und hin und wieder Schüttgut in kleineren Mengen, meistens Salze, also Ladungen, die keine Standardmaße haben. Das mit dem Verladen muss man sich so vorstellen: Im Zwischendeck gab es ebenfalls Ladeluken. Durch diese wurde die Ladung in den Schiffsrumpf verladen. War der Unterraum voll, wurde mittels Scherstöcken=Eisenträgern, die quer zur Schiffsrichtung eingesetzt wurden und den hölzernen Lukendeckeln ein durchgehendes Deck geschaffen, das Zwischendeck, das ebenfalls beladen werden konnte. Daher kommt auch der seemännische Ausdruck: „Chinge for Chinge=Scherstock für Banane“=Much ado about nothing!

Auch an Deck wurde manchmal Ladung gefahren, die allerdings leicht sein musste wegen der Stabilität des Schiffes.

Und so etwa sah ein ganz normaler Arbeitstag für uns aus, wenn wir im Hafen lagen: Wenn wir Salze gelöscht hatten, mussten die Luken für die neue Ladung sauber sein. Dazu packten wir uns in Ölzeug, klebten Hals, Hand+Fußgelenke ab, so konnte das Wasser, mit dem wir den Laderaum reinigten, nicht überall eindringen, was bei Salzen kein Spaß ist. Oder wir luden gesalzene Tierfelle, die entsetzlich stanken. Oder Säcke mit sogenanntem Ochsenblut, also Hämatit oder Eisenoxid. Alles andere wurde entweder mit dem bordeigenen Ladegeschirr oder von Kränen an Land verladen, und um den Vorgang zu kontrollieren, stand am Lukenrand ein Schauermann und dirigierte mit Handzeichen den Lösch+Ladevorgang. Beim Laden mit Kränen von Land bewegte der Kranführer die Ladung direkt ins Schiff oder hinaus. Und auch hier stand einer von uns am Lukenrand zur Kontrolle oder der Kranführer behielt den Überblick. Wenn die Luken leer waren, reinigten wir den Laderaum besenrein und bereiteten ihn für die neue Ladung vor. Da wir oft hauptsächlich Kaffee und Tabak luden, war die Vorbereitung einfach. Man legte als Stauholz einfache Bretter aus, damit die Ladung keinen direkten Kontakt zum Rumpf des Schiffes hatte, da Kaffee und Tabak in Säcken und Ballen geladen wurden.

Einmal fuhren wir 40 trächtige Kühe von Antwerpen nach Santos, Brasilien. Für sie wurde ein Holzverschlag an Deck gebaut und mit Stroh ausgelegt, damit sie es „schön“ haben sollten. Je näher wir dem Äquator kamen, desto wärmer wurde es auch den Kühen und ich als Schiffsjunge durfte sie mit Wasser abkühlen. Mitreiste auch ein Cowboy für die 40 schwangeren Kühe, ein Belgier, der kaum deutsch sprach. Da ich in der Schule Französisch gehabt hatte, war ich der Dolmetscher. Aber es gab nicht viel Zeit fürs Reden, denn ich „hatte“ meine Backschaft und er seine Kühe. Aber das Schiff war nicht des Cowboys Heimat und er schmiss die erste Mistgabel über Bord und dann auch die zweite und damit letzte. Also wurde vom Storekeeper eine neue Mistgabel geschweißt, aber die war so schwer, dass der Cowboy es mit ihr gerade bis zur Reling schaffte, um den Kuhmist ins Meer zu werfen.

Da SANTA RITA ein Ausbildungsschiff war, lernten wir unglaublich viel vom Bootsmann und von den Matrosen. Der 1. Offizier übernahm für uns Schiffsjungen den Part der Berufsschule. In der Schiffshierarchie kam nach dem Bootsmann der „Schlüsselmatrose“, der für alle Lagerräume des Schiffes, den sogenannten Schapps, die Schlüssel hatte, außer für den Maschinenraum. In jedem Schapp befanden sich Werkzeuge für die Arbeiten an Deck. Im Kabelgatt dagegen lagerten Tauwerk, Farben, Festmacher=die Leinen, mit denen ein Schiff im Hafen festgebunden wird, schweres Werkzeug, Ketten, Ersatzteile jeglicher Art, Lampen, Stellagen und vieles mehr, auch ein Ersatzanker.

Zur Ausbildung gehörte auch Wachegehen. Da ich nicht volljährig war, ging ich einen Teil der 8-12 Wache. Hierbei musste ich Ausguck gehen, das heißt, draußen in der Nock stehen, einem Teil der Kommandobrücke auf beiden Seiten des Ruderhauses, den Horizont beobachten und alles dem Steuermann melden, was ich zu sehen bekam. Diesen, üblicherweise der 3. Offizier, musste ich auch mit Kaffee versorgen. Und ich lernte, das Schiff zu steuern. Im Nordatlantik konnte ich das gut üben, da kaum Schiffe in der Nähe waren. Der 3. Offizier stellte mich ans Ruder und erklärte mir, wie man steuert und das Schiff auf Kurs hält. Zuvor hatte er den Autopiloten ausgeschaltet, und ging eine rauchen. Ich „schlenkerte“ über den Atlantik, in der Annahme, ich mache das schon ganz gut. Nach einer Stunde kam der Steuermann zu mir, schaltete den Autopiloten wieder ein und ich ging, müde wie ich war, in meine Koje. So ging das ein paar Nächte und ich war der Meinung, dass liefe doch alles nicht schlecht – bis der Kapitän mich auf Brücke rufen ließ. Kapitän Meier war ein jovialer Typ, auch bekannt für seine Partys und seine „Äquatortaufen“ mit den Passagieren. Er fragte mich, wie ich denn gesteuert hätte und ich antwortete, das sei ganz gut gegangen. Da nahm er mich mit in den hinteren Teil der Brücke, auch Kartenraum genannt und zeigte mir den Kursschreiber, der meine „Steuerübungen“ aufgezeichnet hatte. Es war wirklich „geschlenkert“ und die Konsequenz war: Ich durfte vier Wochen lang jeden Abend am Ruder stehen. Der Vorteil: So lernte ich das Steuern wirklich, so dass der Kapitän mich immer ans Ruder ließ, wenn wir in einen Hafen ein - oder ausliefen.

Auf dem Achterdeck an Steuerbord stand eine Art Swimmingpool, der mit Seewasser gefüllt wurde. Schwimmen konnte man darin nicht, aber schwimmähnliche Bewegungen waren möglich. Eines Nachmittags saß ich im Pool, als der Zweite Offizier aus der Steuerbordnock zu mir herunterschaute.

Ich deutete auf einen imaginären Punkt auf See. Auch er schaute dahin, sah natürlich nichts, weil nichts zu sehen war. Ich aber spielte das Spiel weiter und deutete mit Handzeichen in den weiten Atlantik hinaus. Der Zweite Offizier ging in die Brücke und kam mit einem Fernglas zurück. Aber auch mit Fernglas konnte er nicht sehen, was nicht existierte. Da ich aber weiterhin gestikulierte, schaltete er das Radargerät an – wie ich das auszubaden hatte!

Einmal fuhren wir an der nordeuropäischen Küste einige Häfen an für Ladung nach Südamerika, auch Antwerpen. Der Bootsmann drückte mir einen Rosthammer und einen Roststecher in die Hand: Ich sollte Rost stechen=entrosten in Luke vier. Mit meinem Werkzeug in den Händen konnte ich mich an der senkrecht nach unten führenden Sprossenleiter nicht halten und fiel ins Zwischendeck. Glücklicherweise verstauchte ich mir nur den Fuß, doch ich konnte nicht mehr arbeiten. Aber ich durfte nach Paris fahren, um mich zu „bilden“.

Auf SANTA RITA gab es einen Ersten Koch, einen Zweiten Koch, einen Kochsmaat, einen Bäcker, einen Küchenjungen und sogar einen Küfer.

Bevor wir den ersten Hafen in Brasilien anliefen, begannen der Koch und der Bäcker Unmengen von Schwarzbrot zu backen. Und beim Einlaufen standen in den Kombüsenfenstern zwei Lautsprecher, aus denen laut die Klänge „über deine Höhen weht der Wind so kalt...“ schallten. Damit wussten alle im Hafen: SANTA RITA ist wieder da. Und Unmengen Schwarzbrot wurden an deutsche Auswanderer verkauft, sowie auch Fischkonserven, die sie „Fisch in Dose gerollt“ nannten. So verdienten sich der Koch und der Bäcker ein paar Extracruzeiros.

Meine Aufgabe am Vorabend vor dem Einlaufen in einen Hafen war es, durch die Kammern der Decksbesatzung zu gehen und allen Präservative und eine Schutzcreme für das „beste Stück” auszuhändigen, kostenlos zur Verfügung gestellt von der Seeberufsgenossenschaft. Ich „sang“ meinen Slogan: „Ficktüten und Nillencreme für alle“! Eines Abends öffnete ich die Tür zur Bootsmannskammer und wollte gerade mit meinem Angebot loslegen, als ich sah, dass in der Kammer Passagiere saßen. Blitzschnell schaltete ich um auf: „Schnürsenkel, Kaugummi, Postkarten“! und verschwand ganz schnell.

Im Übrigen betrug meine Heuer damals 150.- DM im Monat. Die ich mithilfe von Überstunden aufbessern konnte. Einige Male wurde ich in Hamburg in den legendären SILBERSACK auf Sankt Pauli geschickt, um für den Koch das „Hormonpräparat“ K.H.3 abzuholen. Für diesen Gang gab er mir eine Packung davon, die mir wiederum in Brasilien 100.- DM einbrachte. Zusätzlich konnte ich noch eine Flasche Whiskey und eine amerikanische Jeans verkaufen. Damit war mein Landgang gesichert. Und der war in Brasilien besonders schön und voller Abenteuer für einen 17jährigen und aufregend mit den exotischen Brasilianerinnen.

Auf der SANTA RITA hatte ich außerdem noch die Prüfung zum Jungmann und Leichtmatrosen abgelegt. Eine der Prüfungsaufgaben war es, das Rufzeichen des Schiffes mithilfe von Signalflaggen am Hauptmast zu setzen. Die Flaggen sollten aufgerollt gesetzt werden und erst am Masttop auswehen. Natürlich wehten mir bei der Prüfungsvorbereitung die Flaggen schon auf dem halben Weg nach oben aus, bis mir der Schlüsselmatrose heimlich den Tipp gab, in den Slipstek=seemännischer Knoten ein Streichholz zu stecken. Und wenn alle vier Flaggen im Top angekommen waren, sie mit einem kräftigen Ruck zu brechen. Das war’s – und damit war ich als Leichtmatrose auf CAP SAN ANTONIO angemustert.

CAP SAN ANTONIO

Freuden und Leiden eines Leichtmatrosen zwischen Rio de Janeiro und Buenos Aires

So musterte ich am 12. Februar 1971 auf der CAP SAN ANTONIO an, einem Stückgutschiff mit 7433 Bruttoregistertonnen und dem Rufzeichen DNAG. Das Schwesterschiff, die CAP SAN DIEGO, ist heute in Hamburg als Museumsschiff zu besichtigen. Da ich jetzt als Leichtmatrose gemustert war, bedeutete das vor allem eine bessere Heuer – und keine Backschaft mehr! Wir wohnten nur noch zu zweit in einer Kammer, hatten Klimaanlage und waren nicht mehr im „Hotel zur Schraube“ untergebracht. Das Fahrtgebiet dehnte sich bis nach Uruguay und Argentinien aus.

Die sechs Schiffe der Cap-San-Klasse galten in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts als die schönsten Schiffe. Sie hatten fast Yachtcharakter, so elegant kamen sie daher. Man nannte sie auch die „Weißen Schwäne des Südatlantiks“. Und die CAP SAN ANTONIO fuhr schon wesentlich schneller als die SANTA RITA. Auch gab es damals schon die ersten Kühlluken auf Cap San, in denen Fleisch und Obst aus Argentinien nach Nordeuropa gefahren wurden. Nach Südamerika fuhren wir nach wie vor Stückgut. In Brasilien luden wir Tabak und Kaffee, Santos-Kaffee und Rio-Kaffee. Beide Sorten durften auf keinen Fall zusammen gelagert werden, da sonst das Aroma des einen auf das des anderen übergehen konnte. Der Kaffee kam in Säcken an die Pier und wurde in Endlosstroppen in die Luken geladen. Die Kaffeesäcke blieben in den Stroppen, damit sie im Löschhafen einfach nur anzupicken waren. Der Tabak kam in 50 kg Ballen an Bord und auch die verschiedenen Tabaksorten mussten getrennt gestaut werden.

Auf einer unserer Reisen nahmen wir Polopferde mit nach Deutschland – diesmal mit einem besseren Cowboy als der von der SANTA RITA. Einmal hatten wir sogar eine Ladung Pinguine an Bord – unglaublich, aber wahr! Sie waren für einen Zoo bestimmt und wir hatten ihnen einen Pool aus Persenninge gebaut, in dem sie wie die Pinguine standen! Ich durfte sie regelmäßig mit Seewasser erfrischen. Und ein anderes Mal transportierten wir sogar Rehe.

Abends, wenn wir wach frei waren, gingen wir an Land, um uns zu vergnügen. In Brasilien waren die Bars nach Reedereien getrennt. Hamburg-Süd ging in die Skandinavia Bar und Hapag Lloyd in eine andere. Die Bars waren reine Kontaktstellen, um mit Frauen ins Geschäft zu kommen. Man machte einen Preis aus, der sich an der Heuer orientierte, und war dann die gesamte Liegezeit mit dieser Frau zusammen. Sie holte einen nach Feierabend vom Schiff ab und brachte einen morgens wieder an Bord. Mit dem vereinbarten Betrag war alles bezahlt: Der gemeinsame Strandgang, der Kinobesuch, das Abendessen, das Waschen der Wäsche, das Tanzen in den Bars, die Maniküre und natürlich der Sex. Und manchmal, aber nur manchmal, hatte ich Glück bei den Damen… Durch die Sonne war mein Haar fast blond geworden. Und das mochten die Frauen. Und sie mochten diesen 18jährigen aus Deutschland, der so charmant sein konnte. Zudem spielten wir, die Bordband, ab+zu in den Kneipen unsere Lieblingslieder, wobei „I can´t get no satisfaction“ immer am besten ankam.

In Buenos Aires luden wir tiefgekühlte Rinderhälften. Meine Aufgabe war es, die Temperatur der angelieferten Rinderhälften zu kontrollieren. Dazu schlug ich einen langen und ziemlich dicken Nagel in das Fleisch, um dann mit einem Thermometer die Kerntemperatur des Fleisches zu messen, die bei mindestens minus 18 Grad Celsius liegen sollte. Die Schauerleute mochten mich deshalb gar nicht, denn jede Rinderhälfte, die nicht die notwendige Temperatur hatte, ging zurück in den Lastwagen. In den Kühlluken hingen dann die Rinderhälften in weißen Jutesäcken dicht an dicht. Dunkle, kalte Luken mit eisigen Rinderhälften in weißen Jutesäcken. Die schwangen um mich herum, während ich zweimal am Tag dort unten die Temperaturen messen „durfte“. Neben tiefgefrorenen Steaks fuhren wir auch Obst in den Kühlluken, hauptsächlich Äpfel in Kisten. So hatten wir immer saftige Steaks und frisches Obst auf der Heimreise.

Während der Liegezeit frequentierten wir die Hafenkantine von Buenos Aires. Die war der Renner, denn man bekam da für wenig Geld ein riesiges Steak mit Salat und Rotwein – das konnte der Koch uns nicht jeden Tag bieten. Und nach Feierabend gingen wir wieder an Land. Meistens an die Plaza 25 de Mayo. Oder ins BAROBAR, eine Kneipe der einheimischen Jugend, mit einem riesigen Korb voller Erdnüsse am Eingang.

In Argentinien lief das mit den Frauen anders. Man traf sich mit einer Frau, bezahlte sie, und sie gab einem eine Adresse. Es blieb dabei das Risiko, dass die Adresse nicht stimmte oder die Dame nicht erschien. So erging es mir eines nachts in einem Viertel von Buenos Aires, welches ich nicht kannte. Ich hatte kein Geld mehr und wusste nicht, wie ich zum Schiff zurückkommen sollte. Ich stellte mich an eine Bushaltestelle und wartete auf einen Bus. Ein leerer Bus hielt und ich versuchte dem Fahrer zu erklären, wohin ich wollte und dass ich kein Geld mehr hätte. Mein Spanisch war damals eher rudimentär, aber er verstand mich und sagte, „steig ein, es ist meine letzte Fahrt für heute“ und er fuhr mich durch die halbe Stadt bis zum Hafen.

Einmal hatte ich Nachtwache und konnte nicht an Land. Nachtwache heißt, nach den Leinen sehen, darauf achten, dass kein Feuer irgendwo entsteht, bei Regen die Luken schließen und wieder öffnen, wenn der Regen vorbei ist. Mein Mitbewohner war mit vielsagendem Blick an Land gegangen, um sich zu vergnügen. Na ja, dachte ich, den siehst du erst morgen früh wieder, wenn er zur Arbeit an Deck erscheint. Es gab viel zu tun bis Mitternacht, da der Lösch- und Ladebetrieb rund um die Uhr ging. Ich durfte nur bis 24:00 Uhr arbeiten wegen Nachtarbeit im Hafen oder was immer der Grund dafür war. Jedenfalls ging ich gegen zwölf in die Messe, um noch ein Bier zu trinken. Und dann wollte ich in die Koje. Aber kaum war ich in unserer Kammer angekommen, merkte ich, dass mein Mitbewohner schon in der Koje lag, obwohl ich dachte, er sei noch an Land. Unsere Kojen hatten Vorhänge, um eine gewisse Intimität zu gewährleisten – soweit das möglich war. Der Kojenvorhang von M., meinem Kumpel, war vorgezogen, aber die Kojenlampe brannte noch. M. zog den Vorhang zurück, um mich zu begrüßen. So konnte ich sehen, er lag da nicht alleine in seinem Bett. Er hatte sich einen Schatz von Land mitgebracht, eine dunkelhäutige Argentinierin, die mir auch gleich schöne Augen machte. Ich aber war nur müde und wollte schlafen. M. fragte mich, ob ich vielleicht auch mit Maria…? Ich wollte nicht, fiel in meine Koje, zog den Vorhang vor und war ruckzuck eingeschlafen. Am nächsten Morgen lag M. allein in der Koje und ich fragte, ob ich das mit Maria nur geträumt hatte. Aber M. schwelgte noch in der traumhaften Nacht mit der heißen Argentinierin Maria. Drei Tage später bekam er das Traumergebnis des Hafenarztes: Tripper!

Buenos Aires war immer der letzte Ladehafen für uns in Südamerika. Von dort fuhren wir ohne Unterbrechung nach Nordeuropa. Vor dem Auslaufen Buenos Aires malten wir die Seite=Außenhaut des Schiffes weiß, die in Hamburg Landseite werden sollte, um sie dem Reedereiinspektor bei Ankunft Hamburg als wunderschöne Landseite präsentieren zu können. Dies taten wir auf einem Prahm, einem Floß aus Holzlatten und Ölfässern. Wir waren immer zu zweit auf dem Prahm, denn wir mussten uns an der Schiffsseite entlang bewegen, um diese weiß anzustreichen. Auf dem Prahm hatten wir neben der weißen Farbe auch immer einen Topf rote dabei für Ausbesserungsarbeiten am Unterwasserschiff. Ab und zu kam ein argentinisches Boot vorbei und fragte, ob wir ein wenig weiße Farbe abgeben könnten, sie würden auch dafür bezahlen. Das taten wir und bekamen roten Wein dafür. Und dabei kam mir die Idee, wie ich mich am Bootsmann rächen könnte. Mit diesem hatte ich mich schon mehrfach angelegt, denn er hatte es auf mich abgesehen und mich zu vielen Strafarbeiten verdonnert. Und so zahlte ich es ihm heim: Ich malte alle zu Wasser führenden Auslässe nicht nur rot an, ich gab ihnen obendrein noch einen schönen roten Kringel dazu, der rundherum das gesamte Weiß des Rumpfes „malerisch“ unterbrach. Das konnte der Bootsmann von Deck aus nicht sehen, aber wohl der Inspektor, der in Hamburg an der Pier stehen würde, um sein Schiff zu inspizieren.

Und so bekam der Bootsmann sein Fett weg, als wir in Hamburg einliefen, ohne zu wissen, weshalb.

COLUMBUS AMERICA

Erste Erfahrungen auf einem Containerschiff

Auf dem nächsten Schiff wurde alles anders! Die COLUMBUS AMERICA, mein erstes Containerschiff mit 19146 Bruttoregistertonnen und dem Rufzeichen DJJO, fuhr von Europa nach Canada, USA, durch den Panamakanal nach Australien, nach Neuseeland und zurück. Die gesamte Ladung war nun in Containern an Bord. Wir wussten größtenteils nicht, was sich in ihnen befand. Es gab auch noch kaum Erfahrungsberichte, zum Beispiel für das Laschen der Container an Deck. Die Besatzung sicherte die Container mit Stahlseilen, an deren Enden Kauschen eingespleißt waren, die wir mit Haken an allen Containern befestigten, ähnlich wie über Kreuz laufende Spanngurte. Heute, auf den neueren Containerschiffen, wird nur noch die unterste Reihe gelascht und das mit Stangen. Bis heute unverändert blieben die sogenannten Cones, eine Art Keile, die die Container mittels Verriegelung verbinden, damit sich die bunten Kisten nicht bewegen. Das Stauen, Löschen und Sichern der Ladung wurde früher allein von uns, der Schiffsbesatzung, bewerkstelligt – heute wird alles von den Schauerleuten=Hafenarbeitern erledigt.

Inzwischen hatte ich in Travemünde, wo ich drei Jahre zuvor als „Moses“ angefangen hatte, am 14.09.1971 den Matrosenbrief erworben. Dieser entspricht dem Gesellenbrief an Land. Im Oktober dann endlich angemustert als Matrose OA=Offiziersanwärter! Damit war einiges anders geworden: Ich hatte überwiegend Dienst auf der Brücke und musste nicht an Deck arbeiten, außer beim Laschen der Container. Und da ich der Rudergänger war, blieb ich immer auf der Brücke beim Ein+Auslaufen.

Der damaligen Zeit entsprechend hatte ich lange Haare, einen Bart à la d’Artagnan und ich trug eine blaue Uniform mit meinem ersten Stern auf den Schulterstücken. Und eine Schirmmütze, unter der meine langen Haare hervorquollen. Es war die Jungfernfahrt der COLUMBUS AMERICA mit geladenen Gästen, die in Cuxhaven wieder das Schiff verließen. Immer wieder lag mir der Kapitän in den Ohren, ich solle mir doch die Haare abschneiden. Für mich gab es jedoch keinen Grund dafür – erst in der Hitze Australiens ging ich zum Frisör.

Auf der COLUMBUS AMERICA gab es auch erstmals eine Gemeinschaftsmesse, in der alle zusammen die Mahlzeiten einnahmen.

Und ich hatte eine Einzelkammer! Mit eigenem Badezimmer! Man hatte mich auf die 4-8 Wache gesetzt, was schön war, denn so hatte ich immer Sonnenauf+untergang. Die 4-8 Wache ging ich mit dem 1. Offizier, Herrn S. Er war Fußballfan, ich nicht. Somit hatten wir wenig gemeinsam. Zum Rauchen meines schwarzen Tabaks musste ich in die Nock. Einmal fragte er mich, was das für eine Musik sei, die ich da höre. „Middle of the Road“, sagte ich. Er: „Ich will nicht wissen, wo die spielen, sondern wer das ist!“ Aber ich habe viel von ihm gelernt, vor allem über die astronomische Navigation mit dem Sextanten. Als erstes musste ich morgens und abends die sechs Sterne vorausberechnen, die uns zur Beobachtung dienten, um die aktuelle Position des Schiffes zu bestimmen. Diesen Vorgang nannten wir „Sterne schießen“! Den genauen Zeitpunkt des Sterneschießens musste ich am Chronometer ablesen. Das Zeitablesen verlief so: Ich stand über das Chronometer gebeugt, mit Stift und Papier in der Hand. Der Erste Offizier rief von der Nock: Achtung! Dabei schwenkte er den Sextanten so, dass das Gestirn einen Halbkreis auf dem Horizont beschrieb und in dem Augenblick, in dem der absolute Punkt auf dem Horizont erreicht war, rief er: Achtung Null! In exakt diesem Augenblick musste ich die Zeit aufschreiben, beginnend von den Sekunden zur Minute und zur Stunde. Das ganze sechs Mal, dann hatten wir, nach entsprechender Berechnung, unsere Position. Zum Unterschied dazu die terrestrische Navigation, die jeder Segler kennt: Fuhren wir in Landnähe, peilte ich alle Leuchttürme zur Ortsbestimmung.

Aber auch auf COLUMBUS AMERICA hatte sich in der Navigation schon einiges verändert. Wir machten zwar immer noch, wie oben beschrieben, terrestrische und astronomische Navigation, aber es gab mittlerweile neue Funknavigationssysteme, zum Beispiel Decca und Loran. Und heute benutzen auch wir bei der Seefahrt das GPS-System – und das gibt es heute in jedem Handy! Außerdem musste ich, um an der Hamburger Seefahrtschule, der heutigen Hochschule für Nautik, angenommen zu werden, mein Beobachtungsheft mit den astronomischen Berechnungen, die ich an Bord der COLUMBUS AMERICA gemacht hatte, vorlegen.

Die Häfen, die wir anliefen, waren reine Containerhäfen, es gab nicht mehr das gemütliche Liegen wie in Rio oder Santos. In New York lagen wir weit entfernt von Manhattan. So war Landgang schwierig. Eines Tages erschien der Seemannspastor, der fast in jedem Hafen an Bord kam, um sich um uns zu kümmern und fragte, wer an Land wolle. Ich wollte natürlich und er versprach, mich abends abzuholen und mit mir nach Manhattan Downtown zu fahren. Er kam mich abholen mit einem gelben großen Schulbus wie im Film!

Unsere Reise ging weiter durch den Panama-Kanal nach Australien. Hier sollte eine „Container-Revolution“ beginnen, an der drei Schiffe der Reederei beteiligt waren: COLUMBUS AMERICA, COLUMBUS AUSTRALIA und COLUMBUS NEW ZEALAND, die im immer gleichen Rhythmus die immer gleichen Häfen anliefen: Halifax, New York, Philadelphia, Panama-Kanal, Sydney, Brisbane, Melbourne, Wellington, Christchurch, Auckland und zurück. An Bord war ein fahrbarer Kran, der zum Be+Entladen der Container vorhanden war für die Häfen, in denen diese Kräne noch nicht aufgebaut waren. Und ich musste dann dem jeweiligen Kranführer unseren Kran an Bord erklären, denn wir durften ihn aufgrund landesbedingter Vorschriften nicht bedienen. Da die lokalen Kranfahrer allesamt sehr erfahren waren, hörten sie mir nur mit halbem Ohr zu. Und so verlor der eine oder andere immer wieder mal einen Container auf dem Weg vom Schiff an Land, weil er zu schnell auf einen Knopf gedrückt hatte – das verlängerte anfangs unsere Liegezeiten.

Die Schiffsführung bestand aus deutschen Führungskräften und die Decksbesatzung kam von den Ellis-Islands aus dem Pazifik. Dort hatte die Reederei ein ausgemustertes KÜMO=Küstenmotorschiff als Schiffsjungenschule hingelegt, auf dem die Insulaner das Basiswissen der Seefahrt lernen sollten. Es waren allesamt friedliche und freundliche junge Männer, die bei uns an Bord waren. Nur wunderten wir uns, dass nach kurzer Zeit die Toilettensitze immer wieder kaputt waren. Das lag daran, dass die Jungs sich mit Arbeitsschuhen auf die Klobrille hockten, die dafür nicht geschaffen war. Pro Tag bekamen sie zwei geöffnete Flaschen Bier. Geöffnet deswegen, damit sie das Bier nicht lagern konnten, um irgendwann eine Party steigen zu lassen. Denn unter Alkoholeinfluss wurden selbst die Insulaner unberechenbar.

CAP ANAMUR

Begegnung mit dem Mittleren Osten

Mein nächstes Schiff war die CAP ANAMUR, ein Stückgutschiff mit 5053 Bruttoregistertonnen und dem Rufzeichen DGIC, die später als Rettungsschiff für vietnamesische Flüchtlinge bekannt wurde. Damals, im Juli 1972, war sie noch ein Stückgutschiff auf der Levanteroute von Hamburg bis in die Türkei und nach Israel. Mein erster Gang, wenn ich an Bord kam, war damals immer der zuerst zum Kapitän, um ihm den Heuervertrag und das Seefahrtbuch zu geben. Im Seefahrtbuch sind alle Schiff e eingetragen, die Größe der Schiff e, die Fahrtgebiete und wie lange und in welcher Position man auf ihnen angemustert war. Ich war immer noch Matrose und Offiziersanwärter. Und meine Haare waren wieder lang! Aber diesmal sagte der Kapitän: Endlich mal einer mit langen Haaren! Es war seine letzte Fahrt vor der Pensionierung, was mir eine besondere Reise bescheren sollte. Denn vor jedem Hafen, den wir anliefen, fragte mich der Kapitän, ob ich da schon einmal an Land gewesen sei. Natürlich war ich nicht überall gewesen, und so übernahm er meine Hafenwache und ich durfte an Land, um die Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Aber ich musste ihm Bericht erstatten, über alles, was ich gesehen hatte in Athen, Istanbul und manch anderem Hafen. In Ashdod, Israel, machte ich einen Ausflug nach Jerusalem und Bethlehem – auf dem Weg dorthin wies uns die Reiseleiterin auf die sechs Millionen Bäume hin, die zum Gedenken der sechs Millionen ermordeten deutschen Juden gepflanzt worden waren.

Die CAP ANAMUR war ein Stückgutschiff wie SANTA RITA und CAP SAN ANTONIO. Aus der Türkei fuhren wir Teppiche und Haselnüsse, aus Israel Obst in Dosen. Auf einer Fahrt hatten wir im Laderaum holländischen Käse, der in roten Kugeln gestaut war und jede Menge rohe Eier. Den Käse kegelten wir an Deck, was dem Kapitän gar nicht gefiel. Und die Eier, die schmuggelten die Schauerleute gerne an Land, in speziellen Gürteln um ihre Hüften. Wir konnten schon am Gang sehen, wer sich Eier unrechtmäßig unter den Nagel gerissen hatte. Da standen dann an der Gangway der Bootsmann und ein Matrose und klemmten den Schauermann zwischen sich ein – das war’s dann mit dem Rührei.

Und auf ebendieser CAP ANAMUR, die auch zur Hamburg Südamerikanischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft gehörte, machte ich fast meine gesamte Fahrtzeit in der Seeschifffahrt als Matrose voll. Danach ging ich in Hamburg zur Seefahrtschule, um das Kapitänspatent zu erwerben. Das Studium der Nautik beinhaltet wie jedes andere Studium eine Menge theoretisches Fachwissen, bei uns aus den Bereichen: Nautik, Navigation, Meteorologie, Mathematik, Physik+Chemie, Schiffsstabilität, Logistik, Maschinentechnik, Seerecht, Psychologie an Bord, maritimes Englisch, Hygiene an Bord, medizinische Grundkenntnisse für Notfälle an Bord und natürlich die Führung eines Schiffes und seiner Besatzung. Nach der Seefahrtschule musste ich zwei Jahre Fahrtzeit als Steuermann vorweisen, bevor ich das eigentliche Kapitänspatent erhalten konnte. Die Fahrtzeit hierfür habe ich bei mehreren Reedereien und in unterschiedlichen Fahrtgebieten abgeleistet. Meistens ging ich zum Arbeitsamt, um mir ein „neues“ Schiff zu suchen. Ich hätte auch bei der Hamburg-Süd bleiben können, die mir das Angebot machte, das Studium zu bezahlen, wenn ich anschließend zwei Jahre bei ihnen führe. Allerdings mussten wir schon im ersten Semester feststellen, dass es dort einen „Spion“ gab, der unsere Noten an die Reederei übermittelte. Damit hatte sich für die meisten von uns, die „Lüt vonner Süd“, das Angebot erledigt. Während meines Studiums in Hamburg wohnte ich in der Övelgönne bei Käpt’n Lührs, der Zimmer an Seefahrtschüler vermietete. Er selbst war nie zur See gefahren – vielleicht hatte er einmal die Elbe im Ruderboot überquert – sah aber genau so aus, wie man sich einen „echten“ Seemann vorstellt: Prinz-Heinrich-Mütze, Finkenwerder Fischerhemd und einen weißen Vollbart, auch Seemannsfräse genannt. In seiner Övelgönner Seekiste, einer Art „Museum“, hatte er eine Kammer aus einem alten Segelschiff nachgebaut, ein präparierter Walpenis hing von der Decke und er hatte japanische Schnapsgläser. Leer sahen diese aus wie normale Schnapsgläser, goss man jedoch Flüssigkeit, meistens Schnaps, hinein, erschienen auf dem Grund des Glases eine nackte Frau oder ähnliche erotische Abbildungen. Ansonsten war neben dem Studieren an der Seefahrtschule das Leben in Hamburg ein Studentenleben wie anderswo auch.

Im Juli 1975, mit 25 Jahren, legte ich die Prüfung für das Kapitänspatent ab und holte die allgemeine Hochschulreife nach.

LITANIA

Winter in der Ostsee

Im November 1975 musterte ich auf MS LITANIA von der Reederei Peter Döhle, Hamburg, mit 999 Bruttoregistertonnen und dem Rufzeichen DGLZ, erst nochmal als Matrose an, da mir ein Rest Fahrtzeit für das Patent fehlte. Inoffiziell fuhr ich aber als 2. Offizier, weil der Kapitän krank war und ich ging seine Wache.