Out of the box - Sophie C. Angerer - E-Book

Out of the box E-Book

Sophie C. Angerer

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Beschreibung

"OUT OF THE BOX" ist ein zynisch-sarkastischer, gesellschafts- und selbstkritischer Selbstverwirklichungs-Roadtrip, der durch die Psyche führt und seinen Endpunkt in der Liebe findet. Ob die Liebe zu sich, zu anderen Menschen oder zum Leben.

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Alle handelnden Charaktere, Namen, Orte und Handlungen sind, abgesehen von gelegentlich erwähnten Markenprodukten oder Personen des öffentlichen Lebens, frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist reiner Zufall und völlig unbeabsichtigt.

To my soulmates

INHALT

THE DAY BEFORE PAST, BETWEEN FUTURE AND BEHIND NOW

MEETING JOHN – oder, wie ich meine Wände anstrich

MEETING CRAIG – oder, wie Peter Pan auf einem Einhorn ritt

MEETING CHRIS – oder, ob „hä“ erzieherisch mehr angesehen ist als „was“

MEETING JASON – oder, wie Gretchen meine Intimrasur nicht sah

MEETING GÜNTHER – oder, wie ich lernte im Regen nass zu werden

MEETING JOHN AGAIN– oder, wie ich ein Reh von einem Zebra unterschied

MEETING YOU – oder, über das Einrahmen von Papierservietten

MEETING ME

THE DAY BEFORE PAST, BETWEEN FUTURE AND BEHIND NOW

Es gibt nur wenige Menschen, die eines Morgens wie ein Gummiflummi aus dem Bett gesprungen sind, sich gesagt haben “ich möchte das werden, das macht mich glücklich”, den Gedanken dann eisern verfolgt und genau dieses Ziel erreicht haben. Dabei geht es weniger um den Gedanken, was das Ziel oder die Idee dahinter ist, sondern um diesen spezifischen Moment.

Diesen Moment der Erkenntnis, dass man weiß, womit man die Jahre eines Lebens füllen möchte. Und zwar nicht nur füllen, sondern so leben, dass man am Ende zurückblicken kann und sich die Gesamtheit dessen anfühlt, wie in eine weiche Decke eingehüllt zu sein.

Mit allen Konsequenzen, glücklichen und traurigen Momenten. Mit all dem, was man vielleicht auch nicht immer tun möchte. Im Gegensatz zu dem, was einem ein Strahlen in das Gesicht zaubert. Diese Balance zwischen bitter und süß annehmen. Mit all seinen möglichen Schritten, die man nicht beeinflussen kann.

Immer wieder habe ich dieses Bild vor Augen, von einem sechsjährigen Kind, das zu seinen Eltern sagt: „ich möchte einmal Feuerwehrmann, Arzt, Polizist oder Sonstiges werden“. Es ist dieses klischeehafte Bild, das mich seit meiner Jugend verfolgt. Nämlich seit dem Zeitpunkt, als ich drauf kam, dass ich dieses Klischee nicht erfüllte. Und mich anfing zu fragen: was willst du eigentlich werden? Muss ich etwas werden? Diese ewige Frage: was macht mich glücklich? Muss mich etwas glücklich machen? Was zeichnet das aus? Ist es nicht nur ein ewiger Marathon, eine Jagd nach diesem flüchtigen Moment, den man als Glück bezeichnen kann? Und gibt es eine Art Masterplan, den wir weder beeinflussen, noch einsehen können?

Lange Zeit drängt man sich selbst in ein Schema und hofft innerhalb dessen seine flüchtigen Momente des Glücks zu finden. Das Problem an der Sache ist nur: man merkt öfter, dass es das nicht ist, als andersherum. Ist es dann falsch? Oder hat man sich nur geändert?

Was passiert, wenn man einfach nicht mehr dieses Rädchen im Gesamtbild sein will, sondern ausbricht? Soll ich etwas verraten? Gar nichts passiert, außer vielleicht, dass man sein Glück findet.

Ausbrechen ist wichtig, ausbrechen ist gefährlich, ausbrechen kann einem das Genick brechen. Und solange man sich nicht der Gefahr stellt, sich gehörig die Finger zu verbrennen, wird man auch nie richtig gelebt haben. Doch warum sind wir denn dann hier? Wozu all diese Zeit, wenn wir sie nicht so nutzen, wie wir das möchten? Wozu ein Haus kaufen, wenn es nie ein Zuhause wird? Wozu gut essen gehen, wenn man es nicht schmecken kann? Wozu ans Ende der Welt reisen, wenn man den Wind nicht spüren kann? Wozu all das?

Viele glauben, auszubrechen ist ein Luxus, den man sich nicht leisten kann. Und ja, es ist ein Luxus sich auf die Reise nach sich selbst zu begeben. Doch, wer glaubt, dass das eine einfache Reise ist, bei der es nur darum geht ein paar Tickets zu einer Destination zu kaufen, der irrt.

Im Hamsterrad ist es zwar oftmals langweilig, aber kuschelig. Es passiert latent genau nichts, außer vielleicht ein paar Highlights, die einem neue Energie geben, das zu tun, dessen man eigentlich überdrüssig ist.

Sich selbst finden ist Arbeit. Es ist oft grausam, brutal, tut weh, ist unangenehm und kneift. Und so muss es auch sein, denn innerhalb der Wohlfühlzone kneift höchstens die Jogginghose zwischen den Arschbacken.

Man beschließt selten selbst, sich auf die Reise nach sich zu begeben. Das passiert. Wenn man bereit dafür ist oder gerade, wenn man es nicht ist. Es ist ein Prozess, auf den man wenig Einfluss hat. Auf den man sich einlassen muss, weil man darauf vertraut, dass sich alles ineinander fügt. Alles ein großes Ganzes ist und man sich keine Sorgen machen braucht. Das hat nichts mit Religion, Spiritualität oder Sonstigem zu tun. Es liegt viel mehr der Gedanke zugrunde, einfach mal gehörig auf alles zu scheißen, was von einem erwartet wird.

Wir werden alle irgendwann von dieser Welt gehen. Das ist unser Rahmen, in dem wir uns bewegen. Die Geburt und der Tod. Alles dazwischen steht uns zur Verfügung. Stellt euch ein Leben ohne diese Grenze vor. Wie trostlos wäre das Leben, wenn es kein Ende gäbe? Der Mensch braucht Grenzen. Nicht nur, um sie zu überschreiten, auszuloten oder zu respektieren. Grenzen, die wir nicht überbrücken können, geben uns den Rahmen, in welchem wir uns bewegen können. Den Tod können wir nicht überwinden. Das steht weder in unserer Macht, noch in unserer Vorstellungskraft. Aber so morbide das auch klingen mag, es ist die einzige Grenze, die uns das Leben gesetzt hat.

Das Großartige an dem Ganzen ist, dass man nicht reisen muss, um weit weg zu kommen. Im Gegenteil. Die Reise beginnt in einem selbst.

Es handelt sich um diesen Moment, an dem man seine Augen öffnet. Und Dinge sieht, die immer schon dagewesen sind, nur im Verborgenen lagen, weil man nicht bereit war sie in diesem Licht zu sehen. Weil alles seine Zeit hat und erst der Blick freigemacht wird, wenn man es selbst zulässt.

MEETING JOHN – oder, wie ich meine Wände anstrich

Der Mensch, von dem ich erzählen werde, heißt natürlich nicht John. Aber es ist ein schöner Verallgemeinerungsname. So wie Max Mustermann. Ich frage mich, wie sich der wohl fühlen musste, als man beschloss, ihn als stereotype Vorlage zu gebrauchen. Hat bei der Namensgründung niemand an die Gefühle von Max Mustermann gedacht? Der hat ja schließlich auch ein Herz.

Jedenfalls. John kann man immer verwenden. Der Name löst eine wohlwollende Fremde aus, die gleichzeitig Nähe bringt, wo keine ist.

John und ich lebten in einem Zeitalter sozialer Medien. Noch nie war es so leicht in kürzester Zeit neue Freundschaften zu schließen. Zack. Freundschaftsanfrage bestätigt. Schon kannte man den Tagesablauf des Anderen. Es gab keine globalen Grenzen. Alles war zu einem großen Ganzen vernetzt worden, man musste es nur nutzen. Und trotzdem begann die Geschichte mit John in der realen Welt. Für die Generation, die damit nichts anfangen kann: das ist die verschwommene Zone rings um den Smartphone-Bildschirm herum. Nennt man auch Leben. Ist ziemlich abgefahren dort. Wie Facebook. Nur krasser.

An einem Tag, den ich rückblickend als DEN Tag bezeichnen könnte, obwohl mir das zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, traf ich also John. Vielleicht war mir die Magie dieses Tages noch nicht bewusst, weil ich in diesem Moment noch gar nicht wusste, dass eine Reise bevorstehen würde. Wie gesagt: so etwas plant man auch nicht. Das passiert.

Ich stand morgens auf und hatte den Drang einmal etwas anderes zu tun als das, was ich normalerweise tat. Woher dieser Drang kam, konnte ich selbst nicht definieren. Bisher kannte ich dieses Gefühl nicht. Es musste nichts außergewöhnlich anders sein. Es hätte auch passieren können, dass ich einfach einmal meinen Kaffee mit Sojamilch, statt mit normaler Milch trinken würde. Meine Ansprüche waren mittlerweile nicht mehr allzu weit gedehnt. Half auch nichts. Das Gleiche galt auch für meine Männerwahl. Mittlerweile war mein Anspruch, dass sie atmeten. Ein Penis wäre natürlich auch schön, aber da wurde die Sache schon wieder kompliziert.

Es musste auf jeden Fall etwas passieren. Ich wollte auf einmal meine kleine Box namens Leben verlassen und etwas für meine Erinnerung tun. Etwas, von dem man auch in Jahren noch gerne erzählen würde. Wovon man speisen konnte. An das man mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurückblicken konnte. Lachend, weil es so schön war. Weinend, weil es unwiederbringlich vorbei war. Nicht wieder kommen konnte. Weil dieser Moment, dieses Erlebnis, diese Erinnerung so nie wieder existieren würde.

Mir wurde bewusst, wie viel meine Umgebung zu bieten hatte und wie wenig ich davon bisher ausschöpfte. Und dieser Gedanke machte mich erst traurig und schließlich sogar wütend. Ich hatte nicht das Gefühl etwas zu verpassen, aber definitiv zu wenig aus allem rauszuholen. Es gab so viel mehr und ich sah es nicht einmal. Weil ich zu bequem war und lieber an Gewohnheiten festhielt. Pure Faulheit.

Ich rief meine Freundin an. Viele Freunde hatte ich nicht. Ich pflegte lieber tiefsitzende Beziehungen, als oberflächliche Bekanntschaften. Auch saß ich lieber alleine Zuhause, als Menschen zu treffen, die mich nicht wirklich interessierten. Das lag sicherlich auch daran, dass ich wunderbar Zeit mit mir alleine verbringen konnte. Ich hatte immer etwas zu tun, selbst wenn ich nichts tat. Das nennt man auch Phantasie. Diese war ausgesprochen rege und ausgebildet. Ich liebte es, mich in Tagträumen zu verlieren. Illusionen und Hirngespinste, die ich zwar realisieren hätte können, aber lieber in meinem Kopf einsperrte. In meiner Welt war alles möglich. Dort kannte man mich auch gut. In meinem Kopf war all das möglich, wozu ich in der Realität nur begrenzt fähig war. Meine eigenen, kleinen Blockbuster.

Es fand, wie jedes Jahr, ein Surf Worldcup an einem nahe gelegenen See statt. Ein riesen Event, das ich schon so lange besuchen wollte, mich aber immer gescheut hatte vor zu großen Menschenmassen, zu wenig Parkplätzen, zu langen Wartezeiten und eben allem, außer Wohlfühlzone. Lieber Zuhause bleiben und darüber nachdenken, was ich dort hätte erleben können. Gewohnte Wege gehen, an denen ich mich auskannte. Auf denen nichts passierte, was nicht vorhersehbar war.

Aber nicht so diesen Morgen. Ich hatte mir einen Kaffee mit Sojamilch gemacht. Schmeckte nicht besonders gut, aber wenigstens einmal anders.

Ich wusste, meine Freundin würde so viel Spontanität eher skeptisch gegenüberstehen. Unsere Freundschaft war in einem ähnlich unaufregenden Konzept gefangen, wie es unsere Alltage waren, über die wir uns austauschten oder meist aufregten. Aber ich hatte mir schon eine überzeugende Rede überlegt, um ihr klar zu machen, dass wir für unser Alter definitiv zu alt waren. 28 und ein Leben wie eine Rentnerin, deren Highlight es war ihre Dritten in ein Glas zu werfen. Das ging einmal gar nicht.

Es läutete relativ lange und ich wollte schon auflegen, als ich gerade noch ihre Stimme hörte. Ich stieg sofort ein, ohne Umwege:

„Lina! Wir sind alte Weiber im Alter von 28. Heute erleben wir was. Egal, was du schon Langweiliges geplant hast… DAS wird einfach viel besser werden. Lass uns nichts erwarten, sondern einfach tun.“

Dem konnte meine Freundin nichts entgegenbringen. Ich bemerkte, wie sie meinem Enthusiasmus erst skeptisch gegenüberstand, sich dann aber von ihm mitreißen ließ. Ihre Antwort dauerte ein bisschen und ich biss mir auf die Unterlippe, um die Spannung ein wenig zu mindern. Alleine würde ich den Schritt heute nicht wagen. Es lag an ihr und ich setzte in diesem Moment meine ganze Hoffnung in sie. Kam mir dabei lächerlich und peinlich vor. Es ging nur darum, eine Stunde Autofahrt weit zu fahren, um etwas zu erleben. Das alleine zeigte mir, wie dringend nötig es war.

„Du hattest mich schon, als du sagtest, dass wir alte Weiber sind. Lass uns das machen.“

Lina war psychologisch gesehen eigentlich relativ leicht zu überlisten. Zeige ihr ihre Grenzen auf und man kann sicher sein, dass sie diese zwar kennt, aber definitiv nicht respektiert. So nach dem Motto: „Lass das ich kann das. Oh kaputt.“ Es gab nur schon lange niemanden mehr, der ihre Grenzen erweiterte.

In einer Stunde würden wir uns treffen. Ich ging ins Badezimmer, um mich fertig zu machen. Gestern hatte ich mir einen roten Lippenstift gekauft. Die ganzen Jahre, habe ich nie Lippenstift getragen, weil ich meinen Mund nicht mochte. Die Lippen waren nicht schön geschwungen und schmal. Ich wollte ihn nicht noch extra betonen. Aber wenn wir schon einmal dabei waren Dinge anders zu machen, dann gleich richtig. Für manche mag das trivial klingen, aber ich hielt diesen 10-Euro-Lippenstift vor mich, als wäre er meine Freiheitsfackel.

Ich hatte mal gelesen, dass man gerade die Körperteile an einem betonen sollte, die man nicht mochte, um sich mit ihnen zu versöhnen. Man könnte auch einfach zum Islam konvertieren und anfangen Burka zu tragen. Wäre auch eine Option gewesen. Aber das wäre wohl Themaverfehlung, 6, setzen, gewesen. Der Aufruf zur Betonung der ungeliebten Körperteile erklärte für mich, warum so viele dicke Frauen hautenge Leggings trugen. Sie hatten wohl auch diesen Artikel gelesen. Die Redaktion hätte am Ende ruhig anmerken sollen, dass dies keine Aufforderung war, andere Menschen optisch zu verletzen. Aber schließlich handelte es sich bei meinen Lippen um einen reinen Komplex und nicht um einen Zellulitisbepackten Oberschenkel. Wir wollen ja schon ein wenig realistisch bleiben und meinen Hang zur Theatralik nicht noch schüren.

Also trug ich den Lippenstift in knalligem Korralfarbton auf. Und, auch wenn es anfangs wirklich ungewohnt war, fühlte sich dieses Unbekannte gut an. Anders. Leicht befremdlich, aber das hatte etwas für sich. Ich blickte mich länger im Spiegel an und mochte, was ich sah. Dieser Zustand war auch noch nicht oft dagewesen. Normalerweise sah ich mein Spiegelbild und dachte mir: ok, dann wasche ich dich halt.

Schnell in eine zerrissene Jeans-Hotpans und ein weißes Shirt gesprungen, konnte es dann auch schon losgehen. Nein, das war nicht wieder das Beherzigen des redaktionellen Tipps. Hotpans konnte ich mir erlauben. Ich fragte mich, wie lange das wohl noch so bleiben würde, wenn ich weiterhin um Mitternacht Pizza essen würde. Gut, Pizza und Schokokekse. Ok! Pizza, Schokokekse und einen halben Liter Limonade. Das würde ich sofort einstellen, bevor ich doch noch konvertieren musste.

Sonnenbrille, Rucksack auf den Rücken geworfen, raus in den strahlenden Sonnenschein. Ich blieb vor der Haustüre noch kurz stehen, schloss die Augen und hielt mein Gesicht in Richtung Sonne. Es kitzelte leicht auf meiner Haut und ich fühlte mich gut. Sofort hüllte mich der glühende Ball in eine sanfte Wärme. Es war erst April. Kurz überlegte ich, wo ich mein Auto geparkt hatte und kam drauf, dass ich keine Ahnung hatte. Wann war ich überhaupt das letzte Mal wohin gefahren? Kurzer Gedächtnisverlust, gefolgt von Geistesblitzen, die mich den Weg nach rechts einschlagen ließen.

Auto gefunden, den perfekten Sound eingelegt und los konnte es gehen in Richtung Freundin. Diese Anziehungskraft zwischen meinem Auto, mir und meinem Tabakkonsum überraschte mich immer wieder. Ich war in der Beziehung wie ein nikotinabhängiger, motorisierter pawlowscher Hund. Autotür zu, Zigarette an, Fenster auf. Ich hörte die Glocke im Hinterkopf klingeln. Sollte mal wieder mein Auto putzen. Konnte anhand des Mülls rekonstruieren, wann ich wo was konsumiert hatte. Irgendwie eine schöne Art von Erinnerung, aber schalten sollte man doch noch können. Dachte an meinen Papa, der schon lange nicht mehr da gewesen war und immer das Autoputzen übernommen hatte. Er schimpfte zwar jedes Mal fürchterlich, aber ich war mir sicher, dass er sich innerlich über diese Vaterrolle freute.

Mein Auto bedeutete für mich Freiheit und ich musste an eine Vorlesung aus der Uni denken, an der Zigaretten als „torches of freedom“ bezeichnet wurden. Dass ich Dank meines Autos Mitschuld hatte, dass es im April fast 30 Grad hatte, brauchen wir jetzt an dieser Stelle nicht diskutieren.

Das sympathische an meiner Freundin, abgesehen davon, dass sie meine Freundin ist, ist derselbe Grundgedanke: Autotür zu, Zigarette an, Fenster auf. Natürlich qualifiziert sie nicht das alleine meine Freundin zu sein, aber es sagt schon sehr viel über uns beide aus. Ich hatte sie vor Jahren durch Zufall getroffen und wir wussten vom ersten Augenblick an, dass wir beide auf der Suche nach jemanden waren, dessen Knall kompatibel mit dem jeweils anderen war.

Bei strahlendem Sonnenschein und qualmenden Fahrzeuginnenraum, machten wir uns auf die Reise zu dem Riesenevent. Die Frau, die ich vor dem heutigen Aufstehen war, würde sich nun Gedanken machen, dass wir eigentlich zu spät dran waren und sicher schon die Hölle los war. Dass es sicher Stau gäbe. Und so weiter. Aber diese deutschen Mallorca-Manieren hatte ich heute zusammen mit den Handtüchern in die Waschmaschine geschmissen. Dann wird es halt ein wenig unbequem, aber deswegen fuhren wir auch gerade mit 130 über die Autobahn, weg von unserem Alltag. 130 mag jetzt nicht schnell klingen, aber in einem Dixi-Klo auf vier Rädern, wie ich mein Auto gerne nannte, war das schon eine Leistung.

Ich sah in den Rückspiegel und die Stadt hinter uns wurde immer kleiner und unbedeutender. Die Straße vor uns immer länger und glänzender im hellen Sonnenlicht. Ich ließ den Gedanken zu, dass ich gar nicht dort ankommen musste, um einen unvergesslichen Tag zu erleben. Denn dieser Tag, dieses Gefühl hatte heute mit mir begonnen. An das geplante Ziel zu kommen war nur ein Bonus.

„Wo müssen wir hin“, kreischte meine Freundin, als wir in die Straße einbogen, die direkt zum Event führte. Ich kreischte einstimmend zurück: „keine Ahnung“ und wir lachten lauthals.

Es gab keinen Stau. Keine Massenpanik. Kein Stress.

„Halten wir uns die Augen zu und lassen das Schicksal entscheiden“, scherzte ich und bog einfach rechts ein, wo ein großes Schild mit der Aufschrift „Parkplatz“ stand.

„Ja, das ist eine gute Idee“, lachte meine Freundin, „einfach Schilder lesen bringt’s halt manchmal doch.“

Und ja, wir waren beide blond. Aber das tut jetzt hier nichts zur Sache.

Mein Handy klingelte weiter weg von mir und ich wusste nicht, wo ich es verstaut hatte. Entweder im Rucksack hinten im Kofferraum oder in meiner Jacke, die ich notfalls mitgenommen hatte. Ich war zwar ein Optimist, aber ein Optimist mit Regenschirm.

„Scheiße wo ist mein Handy“, fragte ich laut und suchte während dem Fahren die mir erreichbaren Möglichkeiten ab.

„Vielleicht hast du es Zuhause vergessen“, antwortete meine Freundin, ebenfalls suchend, wobei wir uns dabei mehr in die Quere kamen, als halfen.

Wir sahen uns kurz entgeistert an, weil wir beide nicht wussten, ob das nun ein verdammt guter Scherz oder ernst gemeint war und fingen kurz darauf lauthals zu lachen an.

Dieser Tag war bereits gewonnen.

„Und jetzt“, fragte mich Lina, während die Autotüren zuknallten.

Ich blickte mich kurz um, sah keine Schilder und zuckte mit den Achseln. Wir waren verloren. Das war’s. Wir würden morgen berichten, dass wir nur den Parkplatz gesehen hatten.

„Immer den Massen nach wie die Lemminge würde ich mal sagen“, erwiderte ich schließlich und blickte in Richtung einer kleinen Gruppe, die einen Plan zu haben schien.

„Ja, das können wir ja besonders gut. Kommen hierher, um wieder einen auf Klippenspringer zu machen.“

Die Feuerzeuge zischten und die Zigarettenenden glühten, während wir den anderen folgten. Wohin sie gingen wussten wir zwar nicht, aber wir folgten ihnen unauffällig.

Es ging ein ziemlich starker Wind, der meine Haare durch die Luft wirbelte und das weite Shirt um meinen Körper spielen ließ. Ich genoss dieses Gefühl. Lina eher weniger.

Sie versuchte ihre Haare irgendwie zu bändigen, was ihr nicht gelang und sie deshalb irgendwann aufgab.

„Ah! Heute sind die Kiter dran“, las sie laut vor, als sie vor dem Poster mit dem Wochenendprogramm stand.

Man darf nicht außer Acht lassen, dass es Kiter und nicht Kite-Surfer heißt. Das erklärte mir jedenfalls einmal viel später ein Surfer in einer Bar. Er war demnach kein Kiter. Das war wohl so eine Art Bretterkrieg zwischen Männern in zu weiten Klamotten. Als ich das damals zu ihm sagte, protestiere er natürlich laut. Ich weiß bis heute nicht, ob es wegen der Bezeichnung Bretter oder zu weite Klamotten war. Ich vergaß während des einstündigen Vortrages über Spirit und Windstärke zu fragen.

„Soll uns nichts Schlimmeres passieren, als jede Menge Surfer.“ (Sorry Mike). Damals kannte ich wie gesagt den Unterschied noch nicht. War in dem Moment aber auch nicht weiter schlimm für mich. War nicht mein Krieg.

„Na ich hoffe uns passieren noch ein oder zwei Bier dazwischen.“

„Ich glaube da werden um einige mehr passieren. So von ganz allein. Ohne, dass wir das wollen.“

Nicht, dass man glauben könnte, meine Freundin und ich seien Alkoholikerinnen oder suchtbezogene Menschen, was ich damit aber auch keinesfalls abstreiten möchte, aber wir bogen eigentlich sofort zum nächsten Stand ab, um uns jeweils ein Bier zu kaufen. Wir suchten uns einen Platz direkt am Wasser, wo die Kiter waren. Als wir angestoßen hatten und der Erste direkt zum Wettbewerb startete, waren wir sofort Feuer und Flamme. Kannten uns null aus, fanden es aber großartig. Alle sahen heiß aus, alles war cool, jeder war lässig, die Musik war nicht gut, aber so laut, dass es das wieder relativierte. Ich überlegte mir, wie cool diese ganzen Menschen waren, wenn man ihnen das Wasser, die Boards, die Bräune, die Badehosen und die Sonnenbrillen wegnahm. Blieben wohl nur kleine Jungs mit großen Träumen. Ein Lächeln huschte mir über das Gesicht bei dem Gedanken, wie sie alle in Anzügen im Büro hinter ihren Computern aussahen. Wenn nur noch das Surfen im Internet blieb, würden sie sich dann an ihren Krawatten neben einem Strandfoto aufhängen? Einmal den Zynismus beiseitelegen und einfach genießen. Würde schwer werden, aber einen Versuch war es wert.