Partyvolk Population - Marc Oliver Nissen - E-Book

Partyvolk Population E-Book

Marc Oliver Nissen

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Beschreibung

Was macht ihr so in einer Bar? Leute beobachten in Verbindung mit viel Alkohol und Musik? Das ist schon mal ein Anfang. Klar, beim Tindern riechen die Klamotten nicht nach Rauch, doch in einer Kneipe triffst du auf die harte Realität von schrägen Typen und Du kannst sie nicht weg swipen. Leider. Dieses kleine Buch macht es Dir einfach. Es beschreibt die Leute, die dir gegenübersitzen. Nenne sie einfach Klass, Jan, Julia oder Daniel. Ganz egal. Du findest sie überall. Es beschreibt eine Generation zwischen Selbstüberschätzung und Internet. Wenn Du denkst, die Generation Golf war schlimm, hast Du noch nie mit einem Millenial diskutiert. Ein Kondensat der Jugend mit überspitzten Charakteren.

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„Man muss im Leben Lachen. Lachen trainiert alle Gesichtsmuskeln und hält Dich jung. Ernst zu schauen verursacht schreckliche Falten. Ich rate auch zu starkem Trinken – das hilft dem Humor auf die Sprünge.“

(Lemmy Kilmister, Motörhead)

Dem Spiel des Lebens und Mah-Jongg gewidmet

Liebe Leserin, lieber Leser. Dieses Buch spielt in einer Bar. In einer Bar, in der es voll und laut ist und in der Menschen feiern. Die Bar heißt „Loungebereich“ oder kurz Lounge. Die Party nennt sich „Loungeevent“ und getanzt wird nachdieserPlaylist von Spotify. Die Titel findet Ihr nach Protagonisten der Story geordnet auch am Ende dieses Buches aufgelistet. Auf Spotify könnt ihr auch manuell nach der Liste „Partyvolk Population“ suchen. Ich empfehle Euch, diese Liste auf Eure Player oder Smartphones zu laden und sie beim Lesen zu hören. So entfaltet sich das Kopfkino am besten. Wenn ihr euch jetzt noch dazu ein paar Bier reinschraubt, kann die Party richtig steigen. Viel Spaß.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Tom

Tom

Tom

Tom

Tom

Tom

Barbara

Jan

Jan

Tom

Judith

Judith

Tom

Jochen

Tom und Jochen

Daniel

Florian

Florian

Florians Rückblick (Rudis Erleuchtung)

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Klaas

Katta aus der Sicht von Tom

Daniel und Barbara

Jan und Nadine

Judith und Florian

Klaas und Katta

Tom und Katta

Epilog

Prolog

Dieses Buch ist frustrierend. Wenn Du dich also auf ein erheiterndes Buch für deinen Urlaub oder ein langes Wochenende gefreut hast, muss ich dich enttäuschen. Lustiger Titel hast Du gedacht, das nehme ich mit oder verschenke ich. Nun, der Titel ist doch echt Scheiße und hat nur bedingt mit dem Inhalt zu tun - ist ja auch egal. Worum geht es? Kennt ihr das? Eure Mutter hat euch früher den Kopf gestreichelt. Voller Stolz hat sie über euch gesagt, ihr wärt einzigartig. Etwas ganz Besonderes. Die Verwandten haben sich eingereiht in diese Lobhudelei und dein Freund oder deine Freundin sagen noch heute von dir du seiest Mrs. oder Mr. Right? One in a Million.

Einer, von 80 Millionen? Daran habe ich auch geglaubt, bis ich mich einem aufwändigen Selbstversuch ausgesetzt habe. Somit ist dieses Buch nicht nur frustrierend. Es ist auch wissenschaftlich und zumindest zum Teil autobiographisch.

Studien berichten es gäbe irgendetwas zwischen 6 und 30 Millionen Insektenarten.

Man ist sich da nicht so sicher. 7,5 Milliarden Menschen leben auf der Erde. 80 Millionen davon in Deutschland. Doch betrittst Du eine Kneipe (oder einen Club – wir werden später noch erfahren was eine Kneipe zu einem Club macht), so siehst Du immer in die gleichen Gesichter. Unabhängig von Land oder Region.

In einer Bar verdichtet sich die Vielfalt der menschlichen Masse auf eine immer gleiche Auswahl an unangenehmen Typen.

Spätestens wenn ihr anfangt in diesem Buch den einen oder anderen zu erkennen, der Euch vielleicht jetzt gerade gegenübersitzt, werdet ihr bemerken, dass menschliche Individualität ein Witz ist und ihr bekommt schlechte Laune. Die Artenvielfalt der Partyvolk Population liegt bei unter 10. Das schmerzt. Zusätzlich schmerzt die brutale Dominanz von dummen Menschen unter diesen 10, die schon lange die Hoheit in Medien und sozialen Netzwerken übernommen hat. Charles Bukowski hat einmal gesagt, dass das Problem dieser Erde sei, dass intelligente Menschen voller Selbstzweifel sind, während die Dummen vor Selbstvertrauen strotzen. Da hat er Recht und auch seine Beobachtungen sind durch harte, betrunkene Selbststudien in schäbigen Bars entstanden. Also ist diese Lektüre auch so eine Art Kneipenliteratur. Nicht in der Qualität von Bukowski aber immerhin mit viel Alkohol.

Außerdem ist es immer cool, Bukowski zu zitieren.

Alkohol ist die Erlösung für intelligente Menschen. Sie ist die rote Pille die dir Morpheus reicht.

„Das ist deine letzte Chance. Danach gibt es kein Zurück. Nimm die blaue Pille – die Geschichte endet. Du wachst in Deinem Bett auf, glaubst was auch immer du glauben willst. Nimm die rote Pille und du bleibst hier im Wunderland und ich zeige dir, wie weit das Kaninchenloch reicht.“

Dumme Menschen sind die evolutionäre Antwort auf die Anforderungen, um im täglichen Rattenrennen zu bestehen.

Dummheit schützt Dich vor Wahnsinn und macht Dich zum unverwässerten Konsumenten. Alkohol ermöglicht Dir das Leben als Longdrink zu genießen ohne es pur in die Fresse zu bekommen. Dummheit ist die Quelle von animalischen Sex. Während der intelligente Mensch sich noch fragt welche Art von Verhütung er nutzen sollte, hat der Dumme schon drei Kinder gezeugt und hatte mächtigen Spaß dabei. Deshalb wird er überleben. Kalorien zählende Veganer verbringen Unmengen an Zeit und Aufwand für die politisch korrekte Ernährung, während der Vollidiot ein Kilo Hack pro Tag für unter 5 Euro verdrückt und damit über 90 wird.

Im Alltag treffen diese beiden Welten in der Regel nicht aufeinander. Ausnahmen sind Supermarktkassen, Autobahnen oder überbelegte Parkplätze. Verbale, ergebnisorientierte Kommunikation ist aufgrund der unterschiedlichen Sprachebenen prinzipiell nicht möglich und endet meist in einem Desaster. Mit Vorteil für den körperlich überlegenden Dummen, der statt Fremdsprachen in Abendkursen lieber zum Kickboxen gegangen ist. Darwinistische Anpassung an Lebensräume.

In einer Bar allerdings, können diese Gesetzmäßigkeiten durch den Genuss von Alkohol umgangen werden und verwischen.

Und hier beginnt die Artenbestimmung im weiteren Verlauf des Buches. Somit ist dieses Werk ebenfalls eine Enzyklopädie.

Ist erst einmal der Zustand des leichten Glimmens erreicht, passen sich Semantik, allgemeine Ausdrucksweise und Sprachregister wie durch ein Wunder an und Ebenen werden überwunden, Brücken gebaut.

Die Zunge wird schwerer, intellektuelle Gedanken veröden in Synapsen und schaffen es nicht über das Sprachorgan hinaus. Anders als beim Kiffen. Dumme Menschen kiffen in der Regel nicht. Intelligente Menschen können sich aber durchaus dumm kiffen.

Auch das nennt man Evolution.

Im weiteren Verlauf des Buches lernen wir verschiedene Personen kennen, die sich durch ihr Sozialverhalten und durch ihr Äußeres stark unterscheiden und sich bewusst oder unbewusst bestimmten Gruppen zugehörig fühlen. Dies geschieht durch den Selbsterhaltungstrieb des Menschen und ist ethnologisch kein wirkliches Phänomen. Es ist nur sehr lustig anzuschauen. In der Gruppe ist man stärker und in der Gruppe pflanzt man sich fort. Idioten poppen vornehmlich Idioten, Schnösel treiben es mit Schnöseletten usw.

Bier, Shots und Konsorten können hier der Schlüssel zu komplexen Verbindungen (chemisch wie menschlich) sein. Vieles ist möglich, doch ändert es rein gar nichts am Resultat. Am Ende, wenn in irgendeiner Bar das Licht angeht, bilden sich aufs Neue Pärchen, die am kommenden Samstag in der Fußgängerzone zwei Jack Wolfskin Jacken kaufen und somit für den Fortbestand des kümmerlichen Rests der menschlichen Individualität sorgen. In dumpfen, faden Glück.

Die gute Nachricht ist hier, dass wir Menschen es nicht merken. Und wir bemerken es immer weniger, weil wir praktisch zu einer Selbstreflexion nicht mehr in der Lage sind, seit wir uns vor das Radio, die Glotze oder YouTube fläzen. Das ist auch gut so. Würde der Mensch nicht über die Jahrtausende Zerstreuung in Form von Religion, Kultur, Sport, Yps-Heften mit Gimmick, Smartphones oder das Internet gehabt haben, hätte er den Planeten schon mehrfach in die Luft gejagt.

Overkill. Zur Zeit des kalten Krieges reichten die Atomarsenale dieses Planeten zur 30-fachen Sprengung des gesamten Planeten.

Das findet sich in Songs von Ultravox, Men at Work oder Frankie goes to Hollywood wieder.

„War – what is it good for?“ Aber lassen wir das, sonst stellen Sie mich hier noch in die Anti-Kriegsroman Ecke. Das ist nicht meine Message und ist mir viel zu esoterisch. Ist das hier Agnostik für Anfänger?

Diese Frage kann vielleicht Kettcar beantworten, ich kann es nicht. Ich stelle lediglich fest, dass der Mensch zu blöd ist und die Evolution ihn irgendwann links überholt hat. Das macht aber nichts, denn er beschäftigt sich viel lieber mit anderen Dingen, ist wahnsinnig gut im Feiern und größtenteils harmlos. „Mostly Harmless“ – sagt dazu der Eintrag im Anhalter vom Autor Ford Prefect.

Und hier schließt sich der Kreis. Am Ende wollen wir alle doch nur das eine. Ein leckeres Bier, ein wenig Spaß und wenn möglich nicht alleine im Bett einschlafen. Dazu tindern wir uns durchs Leben in der Hoffnung, dass bald die nächsten 11 Minuten anbrechen würden.

Oder wir gehen in Bars, lassen uns volllaufen und starren gedankenschwer in der Gegend rum. Ich habe letzteres getan und zum Lesen dieses Buches, empfehle ich Euch das auch.

Prost.

1. Tom

„Do you believe in life after love?“ Irgendwie eine interessante Frage. So etwas fragt man sich nur, wenn einem nach akutem Wegrennen ist. Und sowieso nur dann, wenn eh alles zu spät ist. Alles vorbei ist, alles irgendwie dumpf und mit viel zu viel Mitten und zu wenig Höhen eingepegelt ist. Metaphorische Parallelen zwischen einem Mischpult und mir. Witzig, dachte Tom. Höhen waren viel zu wenig. Alles versank im Mittelmaß. Mittlere Reife, mittleres Einkommen, Mittelklassewagen, mittelgroß, Mittel zum Zweck. Und immer nur Dumpf, als hätte man Joghurtbecher auf den Ohren. Wie ein letzter Gang mit dem Hund, wenn in der Nachbarschaft eine Party steigt, zu der man nicht eingeladen ist.

Musik dringt herüber, aber kommt irgendwie nicht durch. Es fehlt die Klarheit, mit der der Song in letzter Konsequenz messerscharf und spitz ins Ohr dringt. Er findet seinen Weg nicht durch das Labyrinth der Bogengänge und verödet schließlich in der Schnecke, ohne jemals die Chance gehabt zu haben, die Hirnnerven zu erreichen und Emotionen freizusetzen. Sowieso seltsam, was ich da so in meinem Hörorgan mit mir herumtrage. Wie darf ich mir den Mediziner vorstellen, der Begriffe für ein Sinnesorgan prägte, die nun für immer für die gesamte Menschheit gelten.

Auch für mich? Tom war sich nicht sicher, ob er damit einverstanden war. Ich habe keinen Bezug zum Schmiedehandwerk und der Steigbügel fällt wegen meiner Pferdeallergie schon mal von vorne herein durch.

Allenfalls eine musikalische Affinität würde ich mir zuschreiben und kann mich mit Bezeichnungen wie „Trommelfell, Ohrtrompete oder Paukenhöhle ganz gut anfreunden. Sei´s drum. Toms Bier war leer und er musste nun wieder den Versuch starten Nachschub zu ordern. Er hasste es. Sich an einer Bierflasche festzuhalten, gab Tom seit seinen ersten Nachtleben Gehversuchen immer die nötige Sicherheit. Er empfand es als eine Art Stange an der man sich im Bus festhalten konnte, als eine Art Berechtigung in der jeweiligen Lokalität bleiben zu dürfen. „Seht her – ich bin zahlender Kunde – auch wenn ihr euren Laden schließen wollt, ihr müsst warten bis ich ausgetrunken habe.“

2. Tom

In Kneipen stand Tom immer strategisch günstig am Tresen, um schnell und unkompliziert seine Bestellung aufgeben zu können. Er bestellte immer zwei Bier, um die Anzahl der Bestellvorgänge des Abends zu halbieren. Er zahlte immer beim Erhalt der Ware, denn er fühlte sich seiner Freiheit beraubt, auf die willkürliche Beachtung seines Zahlungswunsches durch die überforderte Servicekraft angewiesen zu sein. Er wollte gehen können, wann er wollte. Der Bestellvorgang an sich gehörte zu dem lästigen Übel, das gewünschte Getränk zu bekommen. Kann man das nicht über Amazon prime bestellen? Tom bezeichnete sich selbst nicht als schüchtern, doch vermied er es meistens in irgendeiner Form auf sich aufmerksam machen zu wollen. Eine Bierbestellung in einer total überfüllten Szenekneipe mit DJ und einem zum Feiern aufgelegten Partyvolk erforderte aber genau dies.

Der Tresen selbst war bis auf den letzten Zentimeter durch trinkwütiges Publikum gefüllt.

Tom fluchte. Was für den Straßenstrich oder Männerurinale schon längst galt, sollte vom zuständigen Ordnungsamt unter Androhung von schweren Sanktionen auch an dieser Stelle Beachtung finden.

Der Schamabstand. Ein gesetzmäßig festgelegter Abstand zwischen zwei Menschen beim Praktizieren menschlicher Bedürfnisse.

Für alles haben wir Gesetze, dachte Tom.

Selbst fürs Ficken oder Pissen. Wie lange darf ich hier ohne Bier mit meinem offensichtlichen Bestellblick stehen, bis mir der dadurch entstandene Rückfluss des Bewusstseins durch temporären Alkoholabbau einen Realitätsschaden zufügt? Diese Frage muss ich zeitnah mit Stevie diskutieren.

Nach 12 Semestern Rechtswissenschaft bis zum 1. Examen sollte hierüber ein fundiertes Wissen vorhanden sein. Seit Stevie den Bußgeldbescheid eines Ordnungsamtes wegen Parkens im Halteverbot abwehren konnte, weil er den Abteilungsleiter juristisch abwägen ließ, ob der gesellschaftliche Schaden durch falsches Parken größer sei, als der seines Durchfalls und der zu diesem Zeitpunkt aktiven Darmtätigkeit, galt Stevie als so etwas wie ein Rechtsexperte. Ich schreib ihm morgen mal eine Mail.

3. Tom

Tom schätzte sich mit seinen 1,86 m mittelgroß ein und war damit ganz zufrieden. Vier Zentimeter mehr wären nicht schlecht gewesen, doch seine bisherigen Freundinnen, auch Katta, waren allesamt nicht größer als 1,70 m gewesen. Selbst zu den wenigen Anlässen, zu denen seine Mädchen einmal hochhackige Schuhe trugen, passte das Größenbild aus dem Blickwinkel gesellschaftlicher Normen.

Er konnte damit leben. Schwieriger war es für ihn schon, wenn er seine Figur beschreiben sollte.

Lange Zeit gab es überhaupt keinen Anlass darüber nachzudenken. Tom hatte die Kleidergröße seit seiner Konfirmation nicht mehr verändert, doch als er aus Langeweile damit Anfing sich in Onlineforen oder Partnerbörsen, Tinder etc. rumzutreiben, musste er auch hierzu Stellung beziehen.

Geschlecht: männlich

Größe: 186cm

Figur:

Dünn, schlank, sportlich, normal, muskulös, etwas mehr (für Frauen auch gerne Rubens), dick.

Schwierig. Ist dünn gut? Oder heißt dünn abgemagert und ausgemergelt wie Top Models oder Rüdiger Nehberg nach einer Amazonas Expedition? Für mich sind das Kettenraucher mit mangelnder Flüssigkeitsaufnahme und schlechtem Atem. Sportlich. Sportlich hört sich erst mal gut an. Aber mit welcher Tendenz?

Eher Ausdauersportler also dann doch wieder dünn, oder Eiweiß trinkende Dumpfbacke aus der Muckibude? Was ist, wenn ich sportlich angebe und Sie sich mit mir zum Joggen im Park verabredet? Geht nicht überlegte Tom.

Normal. Normal ist Mainstream.

Mittelmaß. Unlustig, unkreativ, Angestellter im mittleren Dienst. Hatten wir schon. Geht auch nicht.

Etwas mehr und dick sowieso nicht und entsprach ja auch der Wirklichkeit. Egal. Fick Dich Tinder.

Tom hatte jetzt langsam extremen Bierdurst.

Das Mysterium am Bier ist, dass es immer wieder sofort schmeckt, dass es, obwohl man ihm erst einige Stunden vorher abgeschworen hat, einen nach kurzem Genuss in die richtige Stimmung versetzt. Leicht bleiern, glücklich, fadenscheinig, männlich, entrückt. Das geht nur mit Bier. Und Tom meinte Bier. Nicht diesen Brausequatsch, der sich Biermix nennt, nur damit die hopfenverarbeitende Industrie die jugendlichen Nachwuchsalkoholiker zwischen 12 und 15 schon mal auf die richtige Spur bringt. RTD´s, Premixes, was für ein Blödsinn. Die Mutter aller Alkopops ist das Alsterwasser. Das kann man noch verantworten. Jetzt mischen Beck´s, Holsten und Konsorten alles mit Bier, was die Lebensmittelindustrie so hergibt. Das widerstrebt der Kultur eines Wirkungstrinkers.

Auf dieser Welt ist man auf sich allein gestellt, da gibt es keine Kompromisse. Entweder ich will Bier – oder ich will Brause. Voll sein oder „etwas mehr“ oder Rubens, sportlich, dünn.

Oder, Oder, Oder.

Die Tresenlandschaft ist ein Spiegelbild unserer Ellenbogengesellschaft. Ohne Durchsetzungskraft, Gewalt, Geld oder Bestechung kommst Du nicht ans Ziel. Keine Chance. Kein Bier.

Es geht nicht wie zu Peter Clark´s Zeiten britisch geordnet der Reihe nach, es funktioniert nur mit Taktik.

Taktik 1 – Der strategische Belagerer.

Jeder Tresen hat einen Ein- und auch einen Ausgang. Manchmal in Form einer ausgesparten Lücke zwischen Element und Wand, manchmal als profane Gelenkklappe.

Ganz egal, das Servicepersonal muss hier durch, um die Gästeschar mit Alkohol zu versorgen. Die Wahrscheinlichkeit hier zum Zuge zu kommen ist relativ hoch. Funktioniert nicht auf Volksfesten an Bierwagen.

Taktik 2 – Die Wippe

Für Menschen ab 1,90 m Körpergröße. Der Oberkörper neigt sich leicht über die Tresenkante in einem Winkel bis maximal 45 Grad. Ähnlich wie am Stufenbarren. Erzeugt Aufmerksamkeit beim Schankpersonal. Kann aber auch das Gegenteil durch Nichtbeachtung hervorrufen.

Taktik 3 Table Dance

Funktioniert so gut wie nie. Mit ausgestrecktem Arm mit Geldscheinen wedeln reizt die Psyche der VWL Studentin, der eine glorreiche Zukunft im Management bevorsteht.

4. Tom

Das war nicht Tom. Tom setzte auf das Gesetz des Zufalls. Auf die konservative Art eines Verkaufsgesprächs. Zahlungswillige Kunden drücken durch ihren Blick, durch ihre Mimik aus, was sie gerade wünschen. Geschultes Fachpersonal weiß dieses Bedürfnis zu deuten.

Er nutzte die Zeit, um sich die Szenerie ein wenig näher zu betrachten. Immer wenn er diesen leichten Glimmer hatte, gelang es ihm sich teilweise von sich selbst zu lösen und seine Umgebung als ein Außenstehender zu wahrzunehmen.

Es war der Tresenbereich einer Szenebar.

Einer Szenebar, die aufgrund ihrer Einrichtung schon den Begriff der Individualität allein für sich gepachtet hatte. Es gab tausende dieser Szenebars in Deutschland. Sie hießen „Sonderbar“, „Wunderbar“, „Café Central oder „Campus Lounge.“

Nur, wann wird eine Kneipe, die vielleicht vorher König Pilsener Stube heißt, zur Szenebar? Welche Metamorphose muss sie durchlaufen, außer den Namen zu ändern?

In einer Kneipe spielt man Skat, in einer Szenebar spielt man Backgammon oder Schwimmen.

In einer Kneipe sucht man Erholung und ein Gespräch mit der Wirtin Gisela, in einer Szenebar wird gechillt.

Diese Szenebar hieß „Loungebereich“. Das „Lounge“ (jeder sagte das so) war innen eingerichtet wie zu den WG Zeiten des Inhabers. Jetzt, da diese schon lange zurücklagen und die Frau des Inhabers solche Kindereien nicht erlaubte und schon gar keine Gäste oder Partys zu Hause in der Siedlung mit den günstigen Baugrundstücken auf dem Lande, musste sich dieser eben hier bei der Arbeit austoben und ganz tief in die Farbkiste greifen, vermutete Tom. Genau genommen kannte Tom den Inhaber nicht und hatte ihn auch noch nie zu Gesicht bekommen, aber dass dies der Grund für violettfarbene Wände mit Wischtechnik sein musste, stand definitiv außer Frage.

Über den grünen Sofas im Landhausstil hingen große, schwere Spiegel in dicken, schnörkeligen, goldenen Rahmen eingefasst.

Vor den Sofas standen teilweise Nierentische, die viel zu klein waren für die Vielzahl an Getränken und auch Tellern, die dort abgestellt wurden. Manchmal fand man auch längliche, abgeschabte Couchtische aus dunklem Holz mit Zeitungsfach. Bei der weiteren Auswahl der Sitzgelegenheiten wie Stühle, Sessel oder auch Klappstühle blieb man sich dem Stilmix irgendwo zwischen Neoklassizismus, 50iger-70iger Jahre bis hin zu Ikea treu. Einzig die goldfarbenen Kronleuchter und auch die Kerzenähnlichen Wandlampen in den Ecken passten zumindest thematisch zu den Schnörkelspiegeln.

Die Räumlichkeit des Lounge hatte hohe Altbaudecken mit rudimentären Resten von Stuck, dessen Konturen aber nach und nach im Wulst der übergestrichenen Farbschichten verloren gingen. Analog zu den hohen Decken, gab es hohe Fenster mit Rundbögen und breiten Fensterbrettern. Auf einigen lagen Sitzkissen, auf anderen lagen verschiedene Zeitungen, Stadtmagazine und Flyer.

Im Eingangsbereich des Lounge zeugte ein Zigarettenautomat von den guten alten, unbeschwerten Rauchertagen in der Gastronomie, diese waren auch hier vorbei.

Daneben hing eine Pinnwand, die genauen Aufschluss über die hier anwesenden Gäste und deren Lebensgeschichten gab.

„Sie, 23, Studentin auf Lehramt sucht nach plötzlichem Auszug des Mitbewohners eine Mitbewohnerin. Nichtraucherin, nicht zu unordentlich und Energiekosten orientiert.“

Direkt darunter: „Er, 25, Sportstudent, Raucher, sucht cooles WG Zimmer zu sofort.

Am besten keine Pädagogen. Rest findet sich.“

Der Tresen des Lounge, an dem Tom immer noch offensiv blickend auf eine Bestellmöglichkeit wartete, während die Belagerer, Wipper und Geldwedeler ein Bier nach dem anderen einsackten, erstreckte sich in der Länge über 2/3 des Raumes, an der Wand gelegen, gegenüber dem Eingang.

Links vom Tresen befanden sich die Plüschsofaecken und rechts vom Tresen war ein Flur der zu den Toiletten und zu diversen Privaträumen führte.

5. Tom

Gut, dann erst mal aufs Klo. Vielleicht hat sich die Situation danach ein wenig entspannt.