PHANTOM: A Dark Retelling - Greer Rivers - E-Book

PHANTOM: A Dark Retelling E-Book

Greer Rivers

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Beschreibung

*Eine düstere, moderne und romantische Neuerzählung des Musicalklassikers Phantom der Oper. Aber diesmal wird der Mann hinter der Maske nicht aufhören, bis sie ihm gehört.* Sie ist meine Muse, und ich bin ihr musikalischer Dämon. Vor einem Jahr wurde ich Zeuge der dunklen Seite der süßen Scarlett Day. Seither ist sie meine Obsession. Ich war zufrieden damit, ihr Geheimnis zu sein. Zufrieden damit, sie aus der Ferne zu beschützen. Bis ein Feind aus meiner Vergangenheit sie ins Visier nahm. Unsere Familien verbindet eine tiefe Geschichte des Hasses und Scarlet steckt mittendrin. Währenddessen spielt ihr Verstand ihr Streiche. Als eine Panikattacke sie auf grausame Weise überkommt, trete ich aus dem Schatten, um sie zu retten. Jetzt, wo sie mir gehört, kann ich sie nicht mehr gehen lassen. Ich habe die Dunkelheit überwunden. Sie verführt mich mit ihrem Licht. Aber wenn meine Maske weg ist, wird sie Angst vor dem Monster darunter haben?

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Prolog
Ouvertüre
AKT 1
Szene 1
Szene 2
Szene 3
Szene 4
Szene 5
Szene 6
Szene 7
Szene 8
Szene 9
AKT 2
Szene 10
Szene 11
Szene 12
Szene 13
Szene 14
Entr’acte
Szene 15
AKT 3
Szene 16
Szene 17
Szene 18
Szene 19
Szene 20
Szene 21
Szene 22
Szene 23
Szene 24
Szene 25
AKT 4
Szene 26
Szene 27
Szene 28
Szene 29
Szene 30
Szene 31
Szene 32
Reprise
Epilog
Danksagung

Greer Rivers

 

 

PHANTOM

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Übersetzt von Madlen Müller

PHANTOM

 

 

© 2024 VAJONA Verlag GmbH

 

 

 

Übersetzung: Madlen Müller

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel

»Phantom (Tattered Curtain Series)«.

Vermittelt durch die Agentur:

 

WEAVER LITERARY AGENCY, 8291 W. COUNTY ROAD 00 NS., KOKOMO, IN 46901, USA

 

Korrektorat: Sandy Brandt und Susann Chemnitzer

Umschlaggestaltung: TRC Designs

Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz

 

VAJONA Verlag GmbH

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

Für meine wilde Seite, Athena, du verrückte Bitch. Besorg dir mal ’ne Mütze Schlaf, Mädchen.

 

___________________

 

Wenn ich das Phantom bin, dann deshalb, weil der Hass der Menschen mich dazu gemacht hat. Wenn ich gerettet werden kann, dann nur, weil deine Liebe mich erlöst.

 

– Gaston Leroux, Das Phantom der Oper

Hinweis

 

Der Roman behandelt Themen wie psychische Krankheiten, Demenz, Depressionen, Suizid, physische Gewalt, Mord, Folter, sexuelle Belästigung, sexuelle Belästigung von Minderjährigen, Drogenmissbrauch und Stalking.

Anmerkung der Autorin

 

Die »Tattered Curtain«-Reihe, inspiriert von klassischen Geschichten und Bühnenstücken, kann unabhängig voneinander und in jeder Reihenfolge gelesen werden. Phantom ist eine düstere und spicy Neuerzählung von Gaston Leroux’ Phantom der Oper. Enthalten sind Mafia- und Stalkingelemente, verpackt in ein modernes Setting in New Orleans.

Es war einmal …

 

Eine Autorin mit einer bipolaren Störung

 

Im Jahr 2014 hatte ich meine erste manische Episode. Ich musste in eine Psychiatrie eingewiesen werden und danach begann meine Reise mit einer bipolaren Störung. Manchmal ist es ein Abenteuer, aber meistens eine gottverdammte Odyssee.

Ich habe, so lange ich denken kann, mit meiner mentalen Gesundheit gekämpft und besuche Therapeuten und Psychiater seit 2009. Dennoch gibt es immer noch viele aufs und abs in meinem Kampf um eine bessere mentale Gesundheit. Ich kämpfe mit meinem Alter Ego (das ich witzigerweise Athena genannt habe), ertrage mehrere Medikamente, die manche Ärzte mir verschrieben haben, um »auszuprobieren«, wie mein Gehirn darauf reagiert (meistens schlecht) und erlebe Phasen von Depression.

Ich habe vieles aus meinen eigenen Erlebnissen in dieser Geschichte verarbeitet und jedes Symptom, das Scarlett erleidet, habe ich selbst erlebt. Du oder jemand, den du kennst, hat vielleicht auch eine bipolare Störung und erlebt diese anders und das ist okay. Wie bei den meisten Dingen gibt es nicht die einzig wahre bipolare Störung und es gibt kein Allheilmittel. Für mich hat das Schreiben viel geholfen. Ich wüsste wirklich nicht, wo ich heute ohne wäre, und ohne meinen Ehemann und meinen Therapeuten. Oh, und den Medikamenten, natürlich.

Am Ende sage ich eines: Falls du nach Antworten auf die Geheimnisse deines Gehirns suchst … such weiter. Es ist schwer. Es ist beschissen. Aber deine Gesundheit und dein Glück sind es wert. Du bist es wert.

 

Vergiss nie: Du wirst geliebt. Du wirst gewollt. Du bist wichtig.

Phantom

 

Sie ist meine Muse und ich bin ihr démon de la musique.

 

Vor einem Jahr habe ich Scarlett Days dunkle Seite beobachtet. Seitdem ist sie meine Obsession.

 

Ich war zufrieden damit, ihr Geheimnis zu sein. Zufrieden, sie von Weitem zu beschützen … bis mein Feind aus der Vergangenheit sie ins Visier nahm.

 

Unsere Familien sind durch Hass verbunden und Scarlett gerät ins Schussfeld.

 

Währenddessen spielt ihr Verstand ihr Streiche. Als eine Panikattacke sie heimsucht, komme ich aus dem Schatten, um sie zu retten.

 

Jetzt, da sie mir gehört, kann ich sie nicht wieder gehen lassen.

 

Ich bin der Meister der Dunkelheit. Aber sie lockt mich mit ihrem Licht.

 

Aber wenn meine Maske gefallen ist, wird sie dann das Monster darunter fürchten?

Prolog

 

Scarlett

 

Vor einem Jahr

 

 

Ich schwebe auf den musikalischen Noten, die in der Luft hängen. Jede einzelne ist laut und perkussiv, während sie alle aus den offenen Türen der Bars in der Bourbon Street tanzen. Wenn ich mich umdrehe, kann ich die hohen Töne einfangen und sie aus voller Kehle mitsingen.

Das Tempo ist langsamer, als ich es gewohnt bin. Aber im Moment ist alles so langsam.

Selbst das Lachen um mich herum klingt träge und kämpft mit den fröhlichen Jazztönen, die seit einer Woche in meinem Kopf brummen.

All die Wörter, Beats und Melodien vermischen sich. Die in meinem Kopf kollidieren mit denen, die auf der Straße zu hören sind. Ich bin mir nicht sicher, was ich im Moment am lautesten vernehme. Sie vermischen sich alle zu einem rauen Missklang.

Ich höre auf, mich zu drehen, strecke meine Zunge heraus und frage mich, ob ich den Puderzuckerduft, der aus dem Café Beignet strömt, schmecken kann, obwohl es ein paar Blocks entfernt ist.

»Schaff sie verdammt noch mal hier raus, Jaime.« Ich bleibe stotternd stehen und drehe mich um, um demjenigen, dem die Stimme gehört, ins Gesicht zu sehen. Sie vibriert leise, aber ist immer noch über all dem Chaos in und um meinen Kopf herum zu hören. Sie lässt meine Nackenhaare aufstellen und bringt mich zum Erschaudern, während ich meine langen schwarzen Locken hinter mein Ohr streiche.

Aber als ich mich zu den tiefen Bässen umdrehe, kann ich den Besitzer nicht finden, nur meinen besten Freund Jaime. Mein armer Freund kaut an seinen Fingernägeln und blickt sich um. Müdigkeit und Niedergeschlagenheit trüben seine sonst so strahlenden braunen Augen.

»Was ist los?«, frage ich, aber meine Stimme klingt seltsam. Erst als ich es noch einmal versuche, merke ich, dass meine Zunge immer noch heraushängt. Ich rolle sie wie ein Chamäleon zurück in meinen Mund und kichere.

Jaime flucht auf Spanisch und sieht noch niedergeschlagener aus als sonst. »Sie ist krank, Mann. Ich kann es in ihren Augen sehen, wie du gesagt hast.«

Mit wem spricht er?

Verwirrung versucht, durch den Nebel in meinem Kopf zu dringen, aber ich wehre sie mit aller Kraft ab. »Du bist nicht lustig.«

»Wir müssen gehen, Scarlett«, antwortet Jaime mit einem wackeligen Lächeln und versucht offensichtlich, ein albernes Gesicht aufzusetzen, um mich abzulenken, während er mit meinen High Heels winkt. »Lass uns dein Imitat von Manolos wieder anziehen –«

Ich stampfe mit den Fußballen auf den schmutzigen Boden und jammere: »Aber sie tun weh.«

»Zu Schade, Mädchen. Ich habe dir gesagt, du sollst sie im Quartier nicht tragen, aber du hast nicht auf mich gehört, und jetzt sind wir hier. Entweder ziehst du sie wieder an oder ich muss dich tragen. Aber beeil dich. Die Bullen denken jetzt schon, dass du echt Loca bist.«

»Also, das ist gemein –«

Er greift nach mir, während ich schmolle, aber ich drehe mich flink auf meinen nackten Füßen weg.

»Auf keinen Fall, High-May! High-may! High-mayyyyy«, brülle ich seinen Namen in einem schrägen Ton und halte die Augen offen, um ein Date für meinen Freund zu finden, damit er heute Abend endlich mal ein bisschen Spaß hat. Ein superheißer, kleiner, touristisch aussehender Typ im College-Alter kommt genau zum richtigen Zeitpunkt vorbei und ich ergreife seine Hand.

»Komm her! Mein bester Freund auf der ganzen weiten Welt braucht dringend Sex. Er wird unlustig, wenn er schon lange keinen guten Schwanz mehr bekommen hat.«

»No Joda, Scarlett.« Er reißt meine Hand von der des anderen Kerls weg und legt seinen Arm um meine Schulter, um mich an seine Seite zu drücken. »Natürlich findest du den sexiesten Kerl der Bourbon Street genau dann, wenn ich dich hier rausholen muss. Wo zum Teufel ist diese Wingwoman-Energie, wenn ich sie wirklich brauche?«

»Der ganze Spaß in mir ist mit meinem Vater gestorben.« Ein schrilles Lachen entweicht mir, obwohl ein scharfer, messerartiger Schmerz in meiner Brust versucht, meine Euphorie zu durchbrechen.

»Mierda, Scarlo, es tut mir le–«

»Nein!« Ich rolle unter seinem Arm hervor und schiebe meine Hand in sein entschuldigend dreinblickendes Gesicht. »Nein, nein, nein. Keine Traurigkeit mehr! Das habe ich schon alles durchgemacht. Ich bin einen Monat lang nicht aus dem Bett gekommen und jetzt fühle ich mich frei! Ich werde fliegen … tanzen … nein, warte!« Ich tippe mit dem Finger auf das nächstgelegene leuchtende Neonschild. »Lass uns was trinken gehen!«

»Du hast dein ganzes Geld in weniger als vierundzwanzig Stunden ausgegeben, Scarlo. Du bist pleite.«

Meine Unterlippe schiebt sich vor. »Bitte? Hübscher, Hübscher, Hübscher bitte? Ich zahle es dir zurück, ich schwöre!«

»Dominguez!«, ruft diese sexy, mürrische Stimme wieder dazwischen. »Ich bin auf dem Weg. Lass sie nicht aus den Augen.«

Ich versuche so zu tun, als ob ich es nicht höre, weil ich nicht sicher bin, ob es nur eine weitere Frequenz ist, die sich dem Stimmgewirr in meinem Gehirn anschließt, bis ich merke, dass Jaime jemanden auf Lautsprecher hat.

Er zieht eine Grimasse und hält sich das Telefon ans Ohr, als ein DJ seinen mobilen Wagen in der Mitte der Bourbon Street entlang fährt. Ich kreische und klatsche wie eine dieser Zimbeläffchen-Musikboxen. Ohne einen Blick zurück auf meinen Debbie-Downer-Freund zu werfen, verliere ich mich in der tanzenden, drehenden Menge, die dem DJ folgt.

Heiße Typen lehnen sich über das Geländer des Balkons über mir und wollen meine Titten sehen. Ich lache wild und reiße mir mein nagelneues schwarzes, durchsichtiges Spitzentop vom Leib, das ich mir heute in einer Boutique in der Royal Street geliehen habe, als ich merkte, dass ich das gesamte Geld meines Stipendiums ausgegeben hatte. Ich hole aus, werfe es ihnen zu und juble, als sie sich darum streiten und es in Fetzen reißen. Mein schwarzer BH bedeckt mich immer noch, aber das ist den Jungs egal. Aus dem Himmel regnet es trotzdem Perlen auf mich herab. Ich versuche, sie alle aufzufangen, aber stolpere und falle über die Plastikkugeln auf den unebenen Bürgersteig und lande auf den Knien. Ein Lachanfall bricht aus mir heraus, bis ich ein brennendes Gefühl auf meiner Haut spüre. Meine schwarzen Locken hängen über meinen Augen und ich werfe sie zurück, um besser sehen zu können.

»O nein …« Ich keuche leise beim Anblick der winzigen Glasscherben, die in der Haut an meinen Knien stecken.

Es ist in Ordnung. Ich spüre es nicht wirklich. Ich bin unbesiegbar. Ein klein wenig Glas tut nicht weh, und jeder Schmerz, den ich innerlich – oder äußerlich – empfinde, wird verschwinden, sobald ich endlich anfange zu trinken. Jaime hat widerwillig zugestimmt, in die Bourbon Street zu gehen, um meine unruhige Energie wegzutanzen, aber seit wir die Straße betreten haben, ist er nichts weiter als ein Spielverderber und versucht, mich zurück in das Wohnheim des Bordeaux Conservatory of Music zu schleppen.

Die Schule und die New French Opera nehmen den ganzen Block von Toulouse bis St. Louis und Dauphine bis Bourbon ein. Wir sind noch nicht weit gekommen. Verdammt, ich wette, wenn ich mich anstrengen würde, könnte ich eine meiner neuen Perlen gegen ein Eckfenster schleudern.

So lustig das auch klingen mag, ich entscheide mich dagegen, weil ich nicht riskieren will, Jaime daran zu erinnern, dass er mich buchstäblich über seine Schulter werfen und zurückbringen kann, ohne zu schwitzen.

Ein tiefer Seufzer bringt mich dazu, meine nackten Schultern in der schwülen Sommernachtsluft hängen zu lassen. Mit dem Ausatmen überkommt mich eine gewaltige Welle der Erschöpfung, die mich fast den Rest des Weges zu Boden stürzen lässt.

Aber ich kämpfe dagegen an. Ich kämpfe schon seit vier Tagen dagegen an. Kein Schlaf bedeutet keine Albträume. Keine Albträume bedeuten eine glückliche Scarlett. Ich habe es erst vor einer Woche herausgefunden, es war magisch und hat mich in kürzester Zeit aus meiner Trübsalsblase geholt.

Um den Drang, die Augen zu schließen, zu bekämpfen, konzentriere ich mich auf das hübsche Stroboskoplicht, das oberhalb der Bar vor mir strahlt. Es strahlt in den Mitternachtshimmel und lässt die Sterne mit einem Kaleidoskop von Farben prächtig leuchten.

Ich lehne mich zurück, stütze meine Ellbogen auf dem erhöhten Bürgersteig ab und mache es mir bequem, ignoriere dabei die Scherbe, die mich daran hindert, mein Bein ganz durchzustrecken, und die die Dreistigkeit besitzt, diesen Moment zu ruinieren. Ein Tumult hinter mir unterbricht meine Konzentration, als ich mich gerade aufrichten will, und ich werde brutal an beiden Armen hochgerissen.

»Hey! Lass mich los!«

»Ma’am, Sie haben das Recht zu schweigen …«

Zwei heiße Polizisten aus New Orleans lesen mir meine Rechte vor, während sie mich zu einem geparkten Polizei-Geländewagen an der Ecke Bourbon und Toulouse Street bringen, direkt vor dem New French Opera House.

»Scheiße!« Jaime flucht von irgendwo hinter uns und meine Augen weiten sich. Mein bester Freund aus New Orleans flucht niemals anders als auf Spanisch, Französisch oder seiner eigenen persönlichen Kombination von Spanglisch. Es sei denn, die Kacke ist wirklich am Dampfen.

»Hören Sie auf, sich zu wehren, Ma’am, sonst müssen wir Sie tasern.«

»Lasst mich los, dann höre ich auf, zu kämpfen!« Ich krächze und trete. »Jaime! Hilfe!«

»Sie ist im dritten Semester am Bordeaux Conservatory. Ihr Wohnheim ist direkt hinter mir. Ich kann sie nach Hause bringen«, bietet Jaime an, als er uns endlich eingeholt hat.

»Nein, das geht nicht. Sie hat sich gerade selbst verletzt und wir haben sie bereits verhaftet, als sie uns anschrie.«

»Weshalb verhaften Sie sie?«

Die Leute glotzen und ich starre sie an. Sie lachen nur als Antwort.

Arschlöcher.

»Wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit und ordnungswidrigen Verhaltens. Normalerweise lassen wir diese Art von Vergehen im Viertel durchgehen, aber sie ist außer Kontrolle, Sir. Wir müssen sie zumindest in die Ausnüchterungszelle stecken, zu ihrem eigenen Besten.«

»Betrunken!?« Ich schnaube und versuche, mich aus dem Griff zu befreien, aber die Polizisten packen mich fester an meinem Oberarm. »Ich habe nicht einmal etwas getrunken!«

»Ja, verdammt richtig«, brummt einer von ihnen. »Mal sehen, was der Atemalkoholtest auf der Polizeiwache sagt, Süße. Wir haben dich trotzdem wegen ordnungswidrigen Verhaltens erwischt.«

Ich knurre den Polizisten an, halte aber inne, als Jaime mir einen spitzen Blick zuwirft und mich auffordert, die Klappe zu halten.

»Sie sagt tatsächlich die Wahrheit«, antwortet er laut. »Ich weiß nicht, was mit ihr los ist, aber sie braucht Hilfe, kein Gefängnis. Können Sie ihr helfen?« Er schiebt sein Handy in die Tasche und fährt sich mit beiden Händen durch sein dichtes, dunkelschwarzes Haar und bringt dabei seinen Pompadour durcheinander.

Mensch, der Typ ist wirklich aus der Form geraten. Seine Frisur ist immer perfekt, und sein normalerweise Broadway-taugliches Timbre hat etwas nervig Flehendes an sich.

Aber eine winzige Stimme, die sich in meinen Gedanken über das Stimmgewirr erhebt, sagt mir, dass er recht hat.

Irgendetwas ist mit mir ernsthaft nicht in Ordnung.

Nein. Scheiß auf diese Stimme.

»Lasst mich … gehen!«

Um ihnen zu entkommen, mache ich mich schlaff. Die Polizisten haben das nicht erwartet und lassen mich auf den Hintern fallen. Ich stehe sofort auf und sprinte los, als hinge mein Leben davon ab.

Der Wind saust an mir vorbei. Ich bin viel zu schnell für die Verlierer-Polizisten, die mich zum Anhalten auffordern. Ich bin so schnell, ich könnte jedes Rennen gewinnen. Verdammt, ich hätte am College Leichtathletik belegen sollen, anstatt zu singen. Oh, Scheiße … Vielleicht kann ich nach meinem Abschluss zu den Olympischen Spielen gehen … Es sei denn, ich werde ein großer Star am Broadway … Vielleicht könnte ich sogar beides machen … Aber nein, scheiß auf den Broadway … Ich will meine eigene Bühne …

Mein Gesicht trifft mit voller Wucht auf den Boden, als mich etwas auf den Bürgersteig stürzen lässt und mich aus den Gedanken reißt, die so schnell rasen wie ich selbst. Ich spüre es nicht. Ich bin nur sauer, dass jemand die verdammte Frechheit hat, mich aufzuhalten.

Ich rolle auf den Rücken, fluche und spucke vor Wut, bis ich merke, dass es verdammt noch einmal Jaime ist, der mich eingeholt hat.

»Was zum Teufel, Trottel? Was soll der Scheiß?«

Der Idiot hat Tränen in den Augen, aber ich bin diejenige, die er gerade wie ein gottverdammter Linebacker niedergetrampelt hat. Herrgott noch mal.

»Es tut mir so leid, Scarlo. Ich musste es tun. Sie wollten dich tasern.« Er flüstert eine wässrige Entschuldigung, übergibt mich aber trotzdem an die beiden Polizisten.

Sobald ich in ihrem Gewahrsam bin, knallen sie mich gegen das kalte Metall des Polizei-Geländewagens.

»Oh, Gott, seid sanft zu ihr, bitte! Es geht ihr nicht gut. Das ist nicht sie.« Er fleht sie weiterhin an, mir nicht wehzutun, aber sie hören nicht auf ihn, als sie mir gewaltsam die Hände auf den Rücken reißen, um mir Handschellen anzulegen, und einen Schrei aus meiner Kehle erzwingen.

»Es tut mir leid, Scarlett. So, so leid. Er wollte nicht, dass ich das tue, aber du brauchst Hilfe.«

»Wer zum Teufel ist er? Und scheiß auf ihre Hilfe. Sag ihnen, sie sollen mich in Ruhe lassen, Jaime!«, schreie ich, wütend darüber, dass ihm die Tränen über die Wangen laufen, obwohl er nicht derjenige ist, der gerade verhaftet wird.

Er schüttelt den Kopf, als ich brutal durch die offene Tür des Geländewagens gestoßen werde. Die Polizisten reden mit mir, aber ich kann meine Augen nicht von dem Verräter, der mein bester Freund ist, abwenden und die Stimmen in meinem Kopf laufen auf voller Lautstärke, übertönen alles andere.

»Scarlett Day?«

Ich reiße meinen Blick von Jaime los, nach vorn Richtung Fahrersitz, um einen der Polizisten zu sehen, der gerade noch vor mir stand.

»Wie zum Teufel bist du so schnell dorthin gekommen?«

Der Polizist runzelt die Stirn, als ob er verwirrt wäre. »Wir bringen dich ins Krankenhaus, um dein Knie untersuchen zu lassen. Wenn es stimmt, was dein Freund sagt, dass du im Moment nüchtern bist, wird man dich untersuchen und vielleicht einweisen lassen, anstatt dich in eine Ausnüchterungszelle zu stecken.«

Ich schnaube. Verdammte Idioten. Die haben gottverdammt keine Ahnung davon, was es heißt, verrückt zu sein. Ich bin mit Verrückten aufgewachsen, bis meine Mutter schließlich das getan hat, was für alle am besten war und weglief. Verdammtes Glück für sie.

»Ich bin nicht verrückt«, zische ich zurück und drehe mich zum Fenster, um Jaime dafür zu beschimpfen, dass er mich in diesen Schlamassel gebracht hat. Aber er wird bereits von jemandem angeschrien, den ich nicht einmal kenne.

Aber, oh Scheiße, das würde ich gerne …

Der Mann ist umwerfend, auch wenn die Wut seine hellen Wangen erröten lässt. Er ist ein paar Zentimeter größer als mein über ein Meter achtzig großer Freund, und ich lecke mir über die Lippen, denn verdammt, er ist die Art von Mann, an die ich meine Jungfräulichkeit verlieren würde. Allerdings würde ich ihn dazu bringen, diese blöde Maske von seiner rechten Gesichtshälfte zu nehmen. Zugegeben, die ist auch ziemlich heiß. In meinem Kopf kreisen die Gedanken um all die Stellungen, die ich mir diese Woche auf Pornoseiten angeschaut habe, weil ich so oft versucht habe, allein zu kommen.

Aber als er sich dem Polizeiauto zuwendet, und wir losfahren, schmilzt die Wut von der unbedeckten Seite seines Gesichts und alles um mich herum wird still. Meine Brust weitet sich mit der dringend benötigten Luft, und meine Sicht konzentriert sich ausschließlich auf ihn. Er sagt etwas, das ich nicht verstehen kann, aber die Art und Weise, wie seine Lippen ein O formen, veranlasst mich, dasselbe mit meinen zu tun. Sein dunkler, fesselnder Blick lässt mich gegen den Sitz lehnen, bis der Geländewagen in die Toulouse Street abbiegt und ihn im Staub zurücklässt.

Ich versuche, mir seinen Schatten im getönten Fenster vorzustellen, verwundert über den Fremden, der meine Gedanken zum ersten Mal seit der Ermordung meines Vaters zur Ruhe gebracht hat.

 

Ouvertüre

 

Sol

 

Der heutige Tag

 

 

Wenn sie lacht, stelle ich mir vor, wie ich ihr meinen Schwanz in die Kehle schiebe. Funkelnde Tränen die über ihr wunderschönes Gesicht fließen, bis ich komme.

Aber wenn sie singt … verdammt, wenn sie singt … das ist wahre Ekstase.

Von meinem Platz in der fünften Loge des Theaters aus kann ich die wunderschöne Sopranistin perfekt hören, wie sie Je veux vivre aus Charles Gounods Roméo et Juliette vorträgt. Ich schließe ganz entspannt die Augen, während meine hübsche kleine Muse jeden Ton trifft.

Es ist der letzte Abend dieser besonderen Oper für die Theaterstudenten des Bordeaux Conservatory of Music. Sie führen sie schon seit Wochen in ihrem Heimattheater im New French Opera House auf, aber mein Engel spielt zum ersten Mal die Hauptrolle. Es war ein hartes Jahr für sie, und sie hat in der Abgeschiedenheit ihres eigenen Zimmers ständig geübt, um von ihrer Zweitbesetzung befördert zu werden.

Heute Abend, als das Rampenlicht auf sie gerichtet ist, beweist Scarlett ihrem schmierigen Regisseur – und dem Rest des Auditoriums –, dass sie von Anfang an die Hauptrolle hätte spielen sollen.

»Sol«, drängt mein Zwillingsbruder Ben leise neben mir, zieht mich von der Show unter mir weg und zurück zu unserem Treffen.

Seine knochenweiße Totenkopfmaske verdeckt die rechte Seite seines Gesichtes, genau wie bei mir. Ich kann weder sein schwarzes Haar noch seine warmen blauen Augen in der Dunkelheit unserer Theaterloge sehen, also mache ich mir nicht die Mühe, mich zu ihm umzudrehen. Ben anzusehen ist wie ein Blick in den Spiegel einer Zukunft, die es nie gab. Diese Realität wurde mir noch nie so deutlich vor Augen geführt wie jetzt, wo der Bruder des Mannes, der diese Zukunft niedergebrannt hat, direkt vor uns sitzt.

Vor zehn Jahren musste ich Rands Bruder ermorden, um seinen Klauen zu entkommen. Ich war erst fünfzehn. Rand weiß, dass das, was sein Bruder getan hat, unverzeihlich ist. Ich bin schockiert, dass er die Eier hat, nach all den Jahren um dieses Treffen zu bitten, als ob die Geschichte unserer Familien nicht irreparabel mit Blut befleckt wäre.

Ich komme verdammt noch einmal nicht darüber hinweg. Die Wut kocht in meinen Adern, seit dieses Treffen begonnen hat, aber der erbärmliche blonde Idiot uns gegenüber ist völlig ahnungslos.

Zu seiner Verteidigung sei gesagt, dass er heute Abend nicht mit unprovozierter Gewalt rechnen sollte. Nicht hier. Es macht zwar Spaß, darüber zu fantasieren, wie man ihn in der Pause an einem Vorhangseil aufhängt, aber es ist nicht so, dass ich in der Lage sein werde, es umzusetzen. Das Opernhaus ist neutraler Boden unserer Seite, also hat er nichts zu befürchten. Außerdem ist mein beschissenes Schicksal nicht unbedingt Rand Chatelains Schuld. Sondern die seiner Familie.

Obwohl Rand der letzte Chatelain und der Erbe ihres Vermögens ist, ist er nach allem, was zwischen unseren Familien passiert ist, aus New Orleans geflohen. Er ging in New York zur Schule und reiste fast ein Jahrzehnt durch die Welt. Er ist vor seiner Verantwortung geflohen und hat die Obhut seines Teils von New Orleans dem Stellvertreter seines toten Vaters, Jacques Baron, überlassen.

Oder zumindest hatte Baron das Sagen. Jetzt ganz sicher nicht mehr.

Bei dem erfreulichen Gedanken grinse ich hinter meinem Getränk, bis ich Rand bemerke, der mich hoffnungsvoll anlächelt. Seine strahlend weißen Zähne glänzen im schummrigen Licht der New French Opera und sein blondes Haar schimmert golden, wie die unschuldigen Engel, die über dem großen Kristallkronleuchter in der Mitte der Decke des Hauses gemalt sind. Verdammt nervig.

»Sie ist hübsch, nicht wahr?« Rand zwinkert mir mit einem dämlichen Grinsen zu, während er so tut, als ob er an einem Insider-Witz beteiligt wäre. »Die Sängerin? Erstaunliche Stimme.«

»Hübsch?«, frage ich, während ich meinen Sazerac schwenke. Madam G’s Barkeeper versorgen mich immer während meiner Treffen, aber nicht einmal der berauschende Cocktail kann mir helfen, diesen Idioten zu ertragen. »Hübsch ist eine Beleidigung.« Das letzte Wort spucke ich aus, bevor ich mich zurückhalten kann, und kippe den Rest meines Drinks runter.

»Sol.« Bens sanfte Ermahnung reicht kaum aus, um mich an meine Position zu erinnern. Aber Rands berechnender Blick besiegelt die Abmachung. Vor allem, wenn er sich nach vorn beugt, als hätte er endlich etwas, mit dem er verhandeln kann.

»Ich habe einen Vorschlag, aber nur im Tausch gegen den Bau eines Chatelain-Hotels im French Quarter und den ungehinderten Zugang zu Port NOLA, versteht sich.«

Bevor ich ihn anschnauzen kann, flüstert Ben barsch zurück. »Wir haben es dir gesagt, Rand. Die Häfen und das French Quarter gehören uns. Abgesehen von Port NOLA ist alles auf der anderen Seite der Schnellstraße Chatelain-Land, wie Central City, der Garden District –« »Du bekommst all die hübschen kleinen Blumen«, biete ich ihm mit einem selbstgefälligen Blick an, den Rand mit einem Stirnrunzeln quittiert.

Ben schüttelt den Kopf und fährt fort. »Das war in den letzten zehn Jahren so, dank deines Bruders. Deine Familie hat dem Waffenstillstand zugestimmt –«

»Nein, mein Bruder Laurent hat dem Waffenstillstand zugestimmt«, korrigiert Rand. »Und dann hat er ihn gleich danach umgebracht.« Er streckt seinen Daumen in meine Richtung und ich proste ihm mit meinem leeren Steinglas zu.

»Es war mir eine Freude, Chatelain.«

Die Freude, von der ich weiß, dass sie nur eine Fassade ist, verschwindet, als er mich mit zusammengekniffenen Augen ansieht. »Du Wichs–«

»Alles im Rahmen des Waffenstillstands, möchte ich hinzufügen«, wirft Ben ein, der offensichtlich versucht, uns zum Schweigen zu bringen, bevor ich das Treffen, das mir scheißegal ist, versaue. »Willst du den Namen deines Bruders entehren, indem du seinen eigenen Waffenstillstand brichst? Er war derjenige, der die Klausel geschrieben hat, dass jeder Angriff auf ein Familienmitglied mit gleichem Blut vergolten werden kann.«

»Ich würde sagen, dein Bruder ist glimpflich davongekommen«, brumme ich.

Als würde mein Körper mich für mein Schicksal verantwortlich machen, flackert ein Phantom-Juckreiz auf der vernarbten Haut meines rechten Arms auf. Aber meine ganze Aufmerksamkeit ist darauf gerichtet, Rand herauszufordern. Ich habe einen Nerv getroffen, doch er weiß, dass ich im Moment unantastbar bin. Keiner von uns kann etwas dafür, dass sein Bruder den Waffenstillstand unterzeichnet hat, während er ihn aktiv gebrochen und damit seine Strafe verdient hat. Würde Rand Vergeltung üben, würde er das Wort seines toten Bruders entehren. Ganz zu schweigen davon, dass ich, wenn Rand mich zuerst angreift, mit gleichem Blut zurückschlagen kann. Gemäß dem Waffenstillstand seines Bruders, versteht sich.

Die Missbilligung meines Bruders ist spürbar. Es ist nicht so, dass er Rand vertraut. Ben will nur, dass dieses Treffen ohne Drama endet. Aber es ist das erste Mal seit einem Jahrzehnt, dass unsere Familien miteinander sprechen. Dass es unangenehm werden würde, war vorprogrammiert.

Ben hat sich nie für die unangenehmen Details interessiert, die notwendig sind, um eine Stadt sicher, wohlhabend und loyal zu halten. An diesen Teil bin ich gewöhnt. Er schüttelt Hände. Ich benutze Fäuste. Die Machenschaften sind seine Stärke, er schützt unsere Leute mit finanziellen und legalen Mitteln. Ich bin für die Sicherheit zuständig und regiere mit Körperkraft und Wissen. Meine Schatten arbeiten mit Madame Gastoneaux aus der Kneipe unter uns zusammen. Gemeinsam sind wir unübertroffen im Sammeln von Geheimnissen aus dem ganzen French Quarter und darüber hinaus. Erpressung funktioniert genauso gut wie Fäuste. Manchmal sogar besser.

»Die Bordeaux’ gehen nicht westlich der Autobahn«, erinnert Ben ihn. »Die Chatelains gehen nicht nach Osten oder nach Port NOLA. Das Hotel im French Quarter wird nicht funktionieren, weil unsere Leute auf der anderen Seite keine Geschäfte machen. Nicht ohne Einladung und nur, wenn die eine Seite der anderen schadet.«

Ich grinse. »Und wenn man bedenkt, dass ich nicht einmal auf eine Einladung warten oder das Garden District verlassen musste, um zu meinem Recht zu kommen, seit dein verdammter Bruder mich entführt hat –«

»Der Punkt ist«, meldet sich Ben wieder zu Wort, »der Waffenstillstand wurde geschlossen, um unsere eigenen Leute zu schützen. Unsere Mütter haben versucht, die jahrhundertelange Fehde unserer Familien zu glätten, indem sie uns drei auf dasselbe Internat geschickt haben, und das ist kläglich gescheitert. Laurent mag tot sein, aber wir alle wissen, dass Sol der lebende Beweis dafür ist, dass unsere Familien jetzt quitt sind.« Meine rechte Gesichtshälfte brennt unter der Maske, und Rand zuckt zusammen, obwohl ich nicht sicher bin, ob wegen seines oder meines Verlustes. Nur weil wir als Kinder befreundet waren – bevor ich als Druckmittel benutzt wurde – bedeutet das nicht, dass diese Loyalität den Tod seines eigenen Bruders überlebt hat, egal wie sehr der ältere Chatelain ein Monster war.

Rand seufzt zerknirscht und ich versuche wieder, ihn auszublenden, um der Arie zu lauschen. Aber seine Stimme hat etwas Nasales, das ich nur schwer ignorieren kann.

»Ich weiß. Ich bin seit zehn Jahren nicht mehr auf dem Laufenden, aber wir waren nicht immer Rivalen. Ich dachte, ich biete dir zumindest an, sie dir vorzustellen, falls du Interesse hast.«

»Woher zum Teufel kennst du Scarlett Day?« Die Frage kommt knurrend aus mir heraus, bevor ich merke, dass ich spreche.

Rands Lippen verziehen sich zu einem stolzen Lächeln. »Wusstest du das nicht? Lettie und ich kennen uns schon sehr lange. Man könnte sagen, wir sind Jugendliebende.«

Mit jedem Wort, das er sagt, wird mein Griff um das leere Getränk in meiner Hand fester. Während ich überlege, wie ich reagieren soll, entspanne ich meine Finger, einen nach dem anderen. Wenn ich noch einmal ein antikes Glas zerbreche, wird Madame G mich bei lebendigem Leib häuten und kochen, und dieses Mal werde ich nicht einmal einen toten Chatelain vorweisen können.

»Wie?«, antworte ich schließlich, während mein Verstand die Neuigkeiten noch immer nicht verarbeiten kann. »Wir sind alle drei ein paar Jahre älter und haben in Frankreich studiert, während Scarletts Familie aus den Appalachen stammt.«

Rands Augenbraue hebt sich, und ich spüre, wie Ben neben mir erstarrt. Ich habe mein Blatt zu schnell gezeigt.

»Du weißt viel über meine Lettie, nicht wahr?« Der Drang, ihm mein Glas in sein zufriedenes Gesicht zu schmettern, ist stark, aber ich warte ungeduldig auf seine Erklärung. »Scarletts Vater war ein umherreisender Musiker. Sie begleitete ihn überall hin, auch zu seinen Sommertourneen ins French Quarter. Ich bin überrascht, dass sie überhaupt Geld hat, um diese Schule zu bezahlen. Ihr Bordeaux’ seid nicht billig.«

»Wir vergeben hier in Bordeaux viele Stipendien«, offenbart Ben zu meinem Missfallen. »Miss Day hat ein Stipendium erhalten, nachdem ihr Vater verstorben ist.«

»Stimmt, er wurde ermordet. Arme Scarlett.« Besorgnis macht sich in seinem Gesicht breit, als er sie noch einmal ansieht, aber so leicht lasse ich ihn nicht davonkommen.

»Er wurde im Garden District ermordet«, antworte ich und ziehe die linke Augenbraue hoch. Aber Rand scheint meinen vorwurfsvollen Ton nicht zu bemerken. »In deinem Bezirk.«

»Es ist schrecklich. Mein Vater und mein Bruder fanden Gefallen an ihm, als sie ihn spielen sahen, weißt du, bevor sie westlich der Schnellstraße verbannt wurden. Ich lernte sie eines Sommers bei einem seiner Auftritte kennen, und dann waren wir unzertrennlich, bis ich zur Schule musste. Schade, dass sie nicht mehr da sind, um sie zu sehen.« Er wirft mir einen finsteren Blick zu, bevor er wehmütig zu Scarlett auf die Bühne schaut. »Sie hätten gerne gesehen, wie Little Lettie aufblüht. Sie hat es auch verdient.«

Als Rand sich in seinem Samtsessel umdreht, um uns beide anzusehen, flackern Bens Augen durch seine Maske zu mir. Er verschränkt seine Finger und fährt fort.

»Diese Fehde hat viele Menschen aus unseren Familien getötet. Deshalb ist der Waffenstillstand so wichtig. Und warum wir das Hotel Chatelain im French Quarter ablehnen müssen. Abgesehen von der erheblichen Geschichte, die eure Gebäude zerstören würden, sind unsere Familien besser dran, wenn sie auf verschiedenen Seiten der Stadt Geschäfte machen. Wie wir es vereinbart haben.«

Rands dünne Lippen verziehen sich zu einer geraden Linie, und er richtet seinen Blick wieder auf die Bühne. Ein Blick, der dem Hunger gleicht, den ich in mir spüre, zeigt sich in der Spannung um seine Augen. Ich starre wie gebannt auf die Seite seines Kopfes. Wenn er wüsste, was in den Gewölben unter der Bühne hängt, würde es diesen geblendeten Blick sofort aus seinem Gesicht wischen. Scarlett Day gehört mir. Einer seiner Männer musste das auf die harte Tour lernen.

Rand wendet sich wieder uns zu und studiert das Innere von Loge fünf. »Ich fand es schon immer merkwürdig, dass eure Familie hier ihre Treffen abhält. Aber ich muss sagen, bei einer Show wie Miss Day kann ich verstehen, warum ihr das Opernhaus als neutralen Ort nutzen wollt.«

Und weil ich es nie verlasse.

Meine Familie nennt das New French Opera House ihr Zuhause, seit wir 1920 das verkohlte Grundstück des früheren Namensgebers gekauft haben. Das ursprüngliche Haus brannte fast bis auf die Grundmauern nieder, und als die ursprünglichen Besitzer das Gebäude nicht mehr durch eine Versicherung retten konnten, wurde das Grundstück frei. Meine Urgroßmutter war verzweifelt über den Untergang des ursprünglichen französischen Opernhauses, und Bordeaux-Männer können zu ihren Frauen nie Nein sagen. Ben und seine Frau Maggie, die Tochter von Madam G, sind das perfekte Beispiel dafür.

Aber mein Urgroßvater wollte nicht nur seiner Frau eine Freude machen, er sah auch eine günstige Gelegenheit, als die Prohibition in Kraft trat. Er kaufte das Grundstück des alten französischen Opernhauses und baute eine nahezu originalgetreue Kopie mit besseren Sicherheitsvorkehrungen. Sie verkauften die alte Bordeaux-Villa im Garden District, und Jeremiah Bordeaux machte aus dem Neuen French Opera House ein Konservatorium für Kunststudenten, damit meine Urgroßmutter unterrichten und ihre Leidenschaft in Vollzeit ausleben konnte. Er entwarf sogar Wohnheime für die Studenten und einen Familienflügel, in dem Ben und Maggie jetzt leben.

Doch darunter nutzte er die etwas höhere Lage des French Quarter zu seinem Vorteil und baute ein hochwassersicheres Labyrinth aus Kellern und Tunneln, das er während der Prohibition nutzen konnte. Seine illegale Destillerie betrieb er in der darunter liegenden Kneipe Masque. Die Vorfahren von Madam G schlossen einen Vertrag mit ihm, und seitdem ist das Masque in ihrem Besitz und wird von ihnen betrieben. Das Maskenmotiv, das damals eingeführt wurde, schützte die Gäste vor einer möglichen Strafverfolgung, falls sie jemals erwischt werden sollten – was nie der Fall war.

Heute schützt es mich.

Sobald ich als Teenager aus der Verbrennungsstation des Krankenhauses entlassen wurde, verließ ich den Familientrakt im Obergeschoss und nutzte die Keller und Tunnel als mein eigenes Zuhause. Jetzt sind meine einzigen Aufenthaltsorte die Keller, die Tunnel, das Opernhaus und das Masque. Ohne Maske gehe ich nirgendwo hin, also ist das mein Zuhause. Hier fühle ich mich am wohlsten und meine Schande ist nicht für die ganze Welt sichtbar.

Deshalb konnte ich Tag und Nacht Scarletts süße Stimme hören. Mein Engel der Musik arbeitet hart an ihrer Fertigkeit. Sie hat mich – selbst ein wahrer Dämon – in den letzten Wochen mehr inspiriert als jede andere Stimme oder jeder andere Komponist, den ich im Laufe der Jahre studiert habe. Gounod selbst würde töten, um sie jetzt seine Lieder singen zu hören. Ich weiß, dass ich es getan habe.

Die letzten Töne der Arie hallen durch den Saal, und es juckt in meinen Fingern, in den tosenden Applaus einzustimmen. Dank der Scheinwerfer kann mein schlechtes Augenlicht immer noch den gold-roten Schimmer in jeder wilden schwarzen Locke ausmachen. Ihre elfenbeinfarbene Haut glänzt unter den heißen Strahlen und der Ausdruck des Staunens auf ihrem Gesicht ist einfach atemberaubend.

Nach unzähligen Proben und Gesangsübungen wusste ich, dass sie das Haus zum Beben bringen würde. Ich möchte sie anfeuern, aber jedes Zeichen von Schwäche vor einem Chatelain zu zeigen, wird ihr nur eine Zielscheibe auf den Rücken malen. Das habe ich schon zu oft getan.

Einem Chatelain – egal welchem Chatelain – die Oberhand zu geben, kann ein Todesurteil bedeuten. Ich werde nicht zulassen, dass Scarlett mitten in unser Minenfeld gerät.

Das hält Rand jedoch nicht auf.

»Bravo! Bravo!« Er springt auf und lehnt sich über das goldene Geländer, klatscht und ruft ihr mit der gleichen Inbrunst zu, wie ich es mir wünsche. Ihr Blick richtet sich auf meine Theaterloge, und ihre silbernen Augen funkeln im Scheinwerferlicht. Das große Loch in meiner Brust beginnt zu pulsieren, als sie nach oben blickt und ihr Lächeln breiter wird.

Sieht sie, dass ich es bin? Weiß sie, dass ich für sie da bin?

Ich habe mich immer im Schatten versteckt, aber der Gedanke, dass meine Muse mich endlich gesehen hat, bringt mich dazu, aufzustehen. Doch Rand fängt an, wie ein Verrückter zu winken, und die Erkenntnis setzt ein.

Er ist es. Sie sieht nur ihn. Ihre Jugendliebe. Ich bin viel zu lange in der Dunkelheit, hinter meiner Maske geblieben.

Ben und ich verlangen, dass diejenigen, mit denen wir Geschäfte machen, ihre Gesichter zeigen, während unsere Männer – meine Schatten – Masken tragen, um die Anonymität derjenigen zu gewährleisten, die für die Bordeaux’ arbeiten. Das dient nicht nur dem Schutz unserer Männer und ihrer Familien, sondern verhindert auch Aufstände. Und obwohl ich immer von dieser Politik profitiert habe, bedauere ich sie jetzt.

Die Art, wie Scarlett Rand anlächelt, bereitet mir Bauchschmerzen. Zweifellos saugt er die Art und Weise, wie sie ihn ansieht, in sich auf und versteht, wie es auf mich wirkt, denn er sieht mich mit einem zufriedenen Lächeln an. Das Opernhaus soll ein sicherer Bereich sein, frei von Gewalt. Heute jedoch fantasiere ich aus Eifersucht darüber, dieses selbstgefällige Stück Scheiße über das Geländer zu werfen.

»Ich glaube, sie erkennt mich!«, ruft er triumphierend.

Ich schweige, aber Ben antwortet leise, als sich die Menge beruhigt und die Bühnenbeleuchtung erlischt. »Sieht so aus.«

»Ja?« Rand nickt aufgeregt. »Ich sollte zu ihr gehen, oder? Hallo sagen?«

»Nein«, knurre ich. Meine rechte Hand ballt sich zur Faust und mein Wolfram-Schädelring wird warm, als ich mir vorstelle, wie ich Rands hübsches Gesicht blutig schlage.

»Ich glaube, Sol will damit sagen, dass der Rest der Aufführung noch kommt. Ganz zu schweigen davon, dass wir hier noch nicht fertig sind«, sagt Ben und versucht verzweifelt, uns bei der Stange zu halten.

»Und der Waffenstillstand«, füge ich hinzu. »Sie gehört mir.«

Ich spüre, wie Ben sich neben mir versteift und ich kann es ihm nicht verübeln. Selbst ich kann die Besessenheit in meiner Stimme hören. Es ist gefährlich.

»Er hat recht, sie ist tabu«, steuert Ben mit einer Lüge zu. »Sie lebt im Quartier unter unserem Schutz.«

Rand schüttelt den Kopf und spricht leise, während die Oper weitergeht. »Ich bin zwar schon eine Weile weg, aber ich erinnere mich noch gut an die Eckdaten des Waffenstillstands. Nur weil sie im French Quarter lebt, gehört sie noch lange nicht dir. Ich sehe keine Brandzeichen oder Amulette, die ihre Loyalität signalisieren. Der Waffenstillstand soll nur sicherstellen, dass keiner von uns auf der falschen Seite der Grenze oder gegen jemanden, den ihr ausdrücklich beschützt, ein Verbrechen begeht. Ich werde sie nicht verletzen. Ich habe Scarlett immer gemocht und sie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen. Ich will nur Hallo sagen, sie vielleicht auf einen Drink einladen. Du kannst sie mir nicht vorenthalten, Bordeaux. Ich gehöre nicht zu deinen Schatten.« Er spuckt das Wort aus wie einen Fluch.

»Wenigstens wissen meine Schatten, wer sie anführt«, entgegne ich.

»Das ist ein verdammter Tiefschlag«, sagt Rand, als ich mich langsam von meinem Sitz erhebe und ihn mit meinen einen Meter achtzig überrage. Zu seiner Ehre – Rand versucht sein Bestes, um mir in die Augen zu sehen, bevor Ben zwischen uns tritt.

»Du machst eine Szene«, zischt Ben. »Und es gibt bereits eine, für die die Leute bezahlt haben. Lass uns die Show nicht ruinieren.« Er dreht sich zur offenen Tür. »Sabine?«

Unsere Stellvertreterin, eine hochgewachsene Brünette mit hellbrauner Haut und einem kurvigen, athletischen Körper, tritt aus dem Schatten. Ihre Maske ist eine meiner Lieblingsmasken, ein gehörntes, von Flammen umgebenes Dämonengesicht, das ihre obere Gesichtshälfte bedeckt und nur ihre kohlefarbenen Augen preisgibt. Ihre Hand ist bereit, nach dem Dolch zu greifen, der nie von ihrer Seite weicht.

Sabine ist gut. Sogar verdammt gut. Niemand sonst in der Loge kann sehen, wie bereit sie ist, Rand noch vor seinem nächsten Atemzug zu töten. In einem hellen Raum würde sogar ich mit dieser messerschwingenden Füchsin kämpfen. Aber wenn die Lichter aus sind, ist mir niemand ebenbürtig.

»Soll ich den Müll von Chatelain rausbringen?«, fragt Sabine beiläufig.

»Müll?« Rand zischt. »Du hast nicht gedacht, dass mein Bruder Müll ist.«

Ein kaum wahrnehmbares Grinsen umspielt ihre Lippen, während sie meinem Blick sorgfältig ausweicht. Es ist die größte Emotion, die sie jemals zeigt. »Das war, bevor Laurent sein wahres Gesicht gezeigt hat. Was mich betrifft, sollten Chatelains mit Zementschuhen in den Mississippi geworfen werden, wie in guten alten Zeiten.«

Rands Gesicht verzieht sich vor Abscheu. »Ich weiß nicht, was er jemals in dir gesehen hat.«

»Ein leichtes Ziel. Aber jetzt bin ich eine Bedrohung. Also was brauchst du?«, wendet sie sich an Ben, den moralischen Kompass aus Bordeaux. Wenn sie mich fragen würde, würden wir Rand gemeinsam über das Geländer werfen.

»Begleite ihn zurück zu seinem Platz im Publikum. Wir sind hier fertig.«

»Mit Vergnügen. Komm mit, Randy Boy.«

»Halt die Klappe«, brummt Rand, folgt ihr aber nach draußen, während er sein Revers zurechtrückt und mir einen hochmütigen Blick zuwirft. »Ich muss sowieso zu einer Sopranistin. Oh, und da sie technisch gesehen ungebunden ist, beanspruche ich sie. Betrachte sie als Chatelain. Wer weiß, vielleicht wird sie eines Tages eine.«

Ich habe mich schon halb aus meinem Sitz erhoben, als Sabine die Tür hinter sich schließt. Bens beharrlicher Griff um meinen Unterarm ist das Einzige, was mich davon abhält, ihnen nachzustellen. Mein Körper vibriert, ich will einen weiteren Chatelain erwürgen und seinen aufgeblasenen Arsch aus dieser Welt entfernen.

Das Gefühl ist nicht neu, aber ich habe seit meinem fünfzehnten Lebensjahr keinen Chatelain mehr gesehen, und diesmal pulsiert ein anderer Drang in meinen Adern. Statt des gleichmäßigen Trommelschlags der Rache prallt etwas anderes auf den perkussiven Rhythmus, den ich gewohnt bin.

Angst.

Meine Haut kribbelt. Ein Chatelain, der in meinen Kopf eindringt, ist inakzeptabel.

»Das ist es nicht wert, Bruder. Du hast ihm schon eine Nachricht in den Kellern mit diesem Bastard Jacques gesandt.« Ich werfe meinem Zwilling einen Blick zu, sein Gesicht wird vom schwachen Schein des Telefons erhellt. »Ich schreibe Maggie eine Nachricht. Chatelain will vielleicht hinter die Bühne. Ich möchte, dass sie vorbereitet ist.«

Ich nicke einmal. Unser Unternehmen lebt davon, sich in der Öffentlichkeit zu verstecken, aber wir ziehen nie Unschuldige mit hinein. Viele der Bühnenarbeiter stehen auf unserer Gehaltsliste, seitdem das New French Opera House und die Flüsterkneipe darunter neutraler Boden sind. Wir haben uns geschworen, nie etwas auf dem Gelände anzufangen, aber wir werden es verdammt gern zu Ende bringen. Jeder Muskel in meinem Körper rebelliert, als ich mich ruhig hinsetze und beschließe, auf meinen Bruder zu hören. Ben lässt sich neben mir nieder und ich versuche, trotz der Angst, die in mir aufsteigt, den Rest von Scarletts Auftritt zu verfolgen.

»Glaubst du wirklich, dass er hinter die Bühne gehen wird?«, frage ich, als mir das Gefühl das Atmen schwer macht.

»Du kannst sie nicht haben, Sol.«

Ich werfe einen flüchtigen Blick in Bens Richtung, bevor ich ihn abwimmle. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«

»Scarlett Day. Eine Frau wie Scarlett liebt das Licht. Das Rampenlicht, um genau zu sein. Du müsstest aufhören, aus all den Gerüchten Kapital zu schlagen und aus dem Schatten heraustreten, an den du dich klammerst.«

»Entspann dich, Bruder. Ich will nur nicht, dass ein Unschuldiger in die Schusslinie gerät. Ich bleibe bei den eifrigen Touristen, die du mir bringst.« Die Lüge brennt auf ihrem Weg nach oben, verwandelt meine Zunge in Asche und zwingt mich zum Schlucken. »Sie ist nichts.«

»Ich habe dich noch nie so aufgeregt wegen nichts gesehen.« Ben schnaubt. »Und ich kann mich nicht erinnern, wann du das letzte Mal eine andere Frau auch nur angesehen hast, geschweige denn Zeit mit einer der Touristinnen verbracht hast, die um deine Aufmerksamkeit gebettelt haben. Aber Tatsache ist, wenn Scarlett Day mit den Chatelains in Verbindung steht, ist sie tabu. So ist es sicherer.«

In ihrem schneeweißen Kleid strahlt Scarlett, während sie an der Seite ihres Co-Stars und besten Freundes, Jaime Dominguez, singt. Zu wissen, dass sie jemanden hat, bei dem ich darauf vertrauen kann, dass er sie in meiner Abwesenheit beschützt, gibt mir einen Frieden, der der nie leicht zu finden ist. Aber ich werde da sein, wenn Chatelain sie besucht. Und wenn nicht, habe ich sie ganz für mich allein. Mein Schwanz zuckt hinter meinem Reißverschluss bei dieser Aussicht.

»Sie. Ist. Tabu«, murmelt mein Zwilling eindringlicher.

Die linke Seite meiner Lippen hebt sich in meiner Arroganz. »Das werden wir sehen.«

Ich spüre Bens musternden Blick auf mir, als wüsste er schon alles, was ich denke. Schließlich antwortet er mit einem Seufzer. »Ich bin sicher, sie wird auf der After-Party im Masque sein. Chatelain wird wahrscheinlich auch kommen, nur um dich zu ärgern. Ich schätze, du wirst aus dem Schatten treten müssen.«

Ein finsterer Blick zieht mein Gesicht zusammen und spannt die Haut auf der rechten Seite. Verdammt, ich hasse Menschenmengen. Scarlett geht nicht mehr aus, wie ich es von ihr kenne, sondern bleibt in ihrer Freizeit zu Hause, um zu lernen oder zu üben. Aber ich will verdammt sein, wenn sie geht und ich nicht da bin. »Ich habe etwas Dringendes, das meine sofortige Aufmerksamkeit erfordert, sobald die Show zu Ende ist. Vielleicht treffe ich dich danach unten.«

Ich bin nicht überrascht über die wissend hochgezogene Augenbraue meines ehemaligen Spiegelbildes.

»Etwas … oder jemand?«

Ich mache mir keine Mühe zu antworten. Wie immer kennt mein Bruder die Antwort bereits.

 

 

 

 

 

 

 

 

AKT 1

 

Szene 1

 

Scarlett

 

Nach der Show

 

 

Mein Herz rast, während die Menge jubelt. Es ist ein Rausch, den ich nicht beschreiben kann, obwohl ich seit Jahren darauf brenne, ihn zu spüren. Eigentlich müsste ich erschöpft sein, nach all den Vorbereitungen für die Show, aber die Energie vibriert in meinen Adern. Meine Nerven liegen blank, seit Jilliana sich in letzter Minute krank gemeldet und die Hauptrolle ihrer Zweitbesetzung überlassen hat.

Mir.

Ich verbeuge mich erneut mit meinen Schauspielkollegen und freue mich, dass ich endlich den Traum verwirklicht habe, für den mein Vater so hart gearbeitet hat.

»Du wirst im Mittelpunkt des Rampenlichts stehen, Lettie, und dich vor der bewundernden Menge verbeugen.«

Und das tue ich. Es ist aufregend und spannend und ich habe das Gefühl, alles erreicht zu haben, was er wollte.

Aber trotzdem … es ist alles, was er wollte. Ich dachte, es wäre auch alles, was ich wollte, aber es ist nicht genug. Ich habe das fehlende Stück noch nicht gefunden, aber wenn ich es tue, wird es sich himmlisch anfühlen. Was etwas beängstigend ist, wenn man bedenkt, wie ich mich jetzt fühle.

Ich darf heute Abend auf keinen Fall vergessen, meine Medikamente zu nehmen.

Mein bester Freund drückt meine linke Hand. Jaimes wunderschönes Lächeln erstrahlt auf seinem bronzefarbenen Gesicht und seine dunkelbraunen Augen funkeln im Scheinwerferlicht.

»Genieße es, Scarlo. Du hast es dir verdient.« Seine Stimme übertönt den Jubel und mein Lächeln wird breiter auf meinen ohnehin schon schmerzenden Wangen. Wir verbeugen uns ein letztes Mal, bevor wir hinter die Bühne eilen.

Sobald wir an den offenen Vorhängen vorbeigekommen sind, schlängeln Jaime und ich uns durch die jubelnden und feiernden Darsteller zu meinem nahe gelegenen Schlafsaal, der gleichzeitig meine Garderobe ist. Sobald ich durch die Tür trete, schaue ich zu meinem Schminktisch, aber der Platz in der Ecke ist leer. Ich habe kaum Zeit, mein Stirnrunzeln zu verbergen, bevor Jaime mich spielerisch an den Schultern schüttelt.

»Scarlo, Püppchen, du hast es heute Abend geschafft. Ich höre dir schon seit Monaten beim Üben zu, aber woher kommt das? Wir haben die gleichen Gesangslehrer, und die haben mir nie beigebracht, so zu singen!«

»Ich weiß nicht.« Ich lache, mir ist etwas unwohl bei all dem Lob. »Das ganze Üben scheint sich gelohnt zu haben.«

Wenn er die Wahrheit wüsste, würde er ausflippen. Mein ganzes Leben lang gab es nur mich und meinen Vater, also ist Jaime der Bruder, den ich mir immer gewünscht habe. Er hat mich nicht nur vor den Gefahren der Welt beschützt, sondern auch vor mir selbst. Seit ich letztes Jahr meine erste richtige manische Episode hatte, hat er dafür gesorgt, dass ich auf mich aufpasse. Wenn er herausfinden würde, dass ich mit einer Stimme und Musik in meinem Kopf übe, würde er mich sofort wieder in das Irrenhaus sperren. Und das darf verdammt noch mal nicht passieren.

»Nun, was auch immer du tust, mach weiter so, Cher.« Seine einzigartige Mischung aus Latino- und Louisiana-Akzent ist immer dann besonders stark, wenn er aufgeregt ist oder getrunken hat. Ehrlich gesagt, könnte es im Moment beides sein, da er vor einer Show gerne ein oder zwei Gläser Tequila trinkt.

So aufgeregt ich wegen meines Debüts im New French Opera House bin, so nervös bin ich auch, also gehe ich zu meinem Schminktisch und beginne, meine Schubladen zu durchsuchen.

»Scheiße, fühlst du dich schlecht?«

Jaime kennt mich so gut, dass es beängstigend ist. Auf seine Frage, ob ich das Gefühl habe, auf dem Weg zu einer manischen Episode sein zu können, schüttle ich leicht den Kopf.

»Nein … glaube ich? Ich habe letzte Nacht gut geschlafen, aber diese Nervosität wird mich wach halten. Es könnte der Anfang von etwas sein, wenn ich sie nicht in den Griff bekomme. Aber noch gibt es keinen Grund zur Sorge.«

Ich lege meinen Plastikpillenbehälter auf den Tisch und werfe eine der Angstmedikamente ein, die mir verschrieben wurden, um mein Herzrasen in solchen Momenten zu beruhigen. Um es herunterzuspülen, nehme ich einen großen Schluck aus meiner Wasserflasche auf dem Schreibtisch.

»Ich bin stolz auf dich, Scarlo.«

Meine Augenbraue hebt sich. »Worauf?«

»Dass du auf dich aufpasst. Dass du heute Abend die Bühne gerockt hast. Such es dir aus, Babe. Du wirst besser sein, als dein Vater es sich je hätte träumen lassen.«

Jaime kannte meinen Vater nicht. Wir lernten uns erst nach dem Tod meines Vaters kennen, als ich mich in einer depressiven Phase befand. Er hat sich einen Weg durch meine Abwehr gebahnt, und jetzt, da mein Vater nicht mehr lebt, ist Jaime mein persönlicher Motivationscoach und meine Stimme der Vernunft.

Aber jetzt gibt es noch eine andere Stimme, von der ich mir wünschte, sie hören zu können. Sie taucht nie auf, wenn andere in der Nähe sind, also muss ich geduldig sein. Und ich muss auf jeden Fall dafür sorgen, dass niemand herausfindet, dass ich wieder Scheiße höre. Seit Monaten höre ich die Stimme und die Musik und hatte keine anderen Probleme. Vielleicht sind akustische Halluzinationen gar nicht so schlimm, solange man alles andere unter Kontrolle hat?

Durch die offene Tür räuspert sich jemand, und ich drehe mich um, um einen Mann zu sehen, den ich seit Jahren nicht gesehen habe.

»Oh mein Gott, Rand? Ich dachte bereits, das wärst du da oben!«

»Scarlett, es ist so schön, dich zu sehen.«

Mein Freund aus Kindertagen wirft seine Arme um mich. Ich kämpfe gegen den Drang an, mich bei dieser fast vergessenen Berührung zu versteifen, und zwinge mich, ihn mitsamt der Wasserflasche zu umarmen. Er drückt mich fest an sich, der Duft von Gardenien steigt mir in die Nase und erinnert mich an die duftenden Gärten, in denen er aufgewachsen ist. Ich ziehe mich zurück, um dem Geruch zu entkommen, aber grinse ihn an.

»Was machst du hier? Wie lange ist das her? Zehn Jahre?«

»Jep …« Er gluckst herzlich. »Zehn ganze Jahre. Eine viel zu lange Zeit.«

»Ja, du meine Güte. Das ist eine Ewigkeit.« Ich trete zurück und nehme mir einen Moment Zeit, ihn in mich aufzunehmen, während er dasselbe zu tun scheint.

Sein dichtes blondes Haar ist nach hinten gegelt und so ordentlich wie immer, passend zu seinem perfekt geschnittenen Anzug. Dieses hübsche jungenhafte Aussehen, in das ich mit zwölf Jahren verknallt war, hat sich zu einem adretten männlichen Model entwickelt. Er sieht verdammt gut aus. Als seine Hand auf meinem unteren Rücken ruht, schrauben sich meine Nerven in die Höhe.

»Ich habe deinen Auftritt gesehen und wollte dir sagen, wie umwerfend du da draußen warst. Aber mir war nicht klar, dass du …«, seine hellblauen Augen blicken zu Jaime, bevor sie wieder auf mir ruhen, »beschäftigt bist.«

»Jaime? Oh, Gott, nein. Er wäre mehr an dir interessiert als an mir.« Ich lache und drehe mich zu Jaime, um eine Bestätigung zu erhalten, doch mein Freund runzelt die Stirn und verschränkt die Arme.

»Wer bist du noch mal?«, fragt Jaime unvermittelt und lässt meine Augen größer werden.

»Tut mir leid, ich war in diesem Moment gefangen.« Ich richte meine Wasserflasche erst auf meinen früheren besten Freund und dann auf meinen jetzigen. »Jaime, das ist mein Freund, Rand. Rand, das ist Jaime.«

Jaime verbeugt sich mit einer Geste, die den langen weißen Ärmel seines gerüschten Dichterhemdes streckt und sein ledernes Totenkopfarmband zum Vorschein bringt, das er selbst während eines Auftritts nicht ablegen will.

»Jaime Dominguez, auch bekannt als ihr bester Freund. Und so, wie du mich ansiehst, sollte ich wohl klarstellen, dass ich ihr schwuler bester Freund bin. Kein Grund, sie anzupinkeln.«

»Rand Chatelain«, antwortet er und zwinkert mir zu. »Und es gibt keinen Grund, mein Revier zu markieren. Scarlett weiß, wo wir stehen. Wir kennen uns schon lange. Meine Familie hat die Musikkarriere ihres Vaters hier unten unterstützt.« Er zieht mich zu einer weiteren Umarmung heran, und diesmal lasse ich mich darauf ein, viel besser vorbereitet als beim letzten Mal. »Und, oh, Little Lettie, wie ich dich vermisst habe.«

Der Kosename meines Vaters überrollt mich wie ein Güterzug. Die ganze Nacht war ein Wechselbad der Gefühle und eine verdammte Träne steigt in mein Auge. Ugh, was für ein Gefühlschaos. So peinlich.

»Ich habe dich auch vermisst«, antworte ich automatisch, bevor ich mich aus seiner Umarmung befreie und versuche, mich zu fangen. Mein Herz hat sich noch immer nicht beruhigt und der Anblick meines Jugendschwarmes lässt es aus dem Takt geraten.

»Du bist also ein Chatelain?«, fragt Jaime, seine Stimme ist fast monoton. »Was machst du hier?«

»Ähm, Jaime, er ist aus New Orleans«, flüstere ich scharf. »Er hat jedes Recht, hier zu sein.«

»Nicht auf dieser Seite«, fügt Jaime kryptisch hinzu.

»Jaims, was soll das überhaupt bedeuten?« Ich kichere und kneife die Augen zusammen, um ihn in seinem Verhalten zu unterbrechen. Aber sein Gesichtsausdruck ist zurückhaltend und angespannt, sein Blick nur auf Rand gerichtet.

Glücklicherweise scheint Rand von der plötzlichen Unhöflichkeit meines Freundes nicht beunruhigt zu sein, sondern beobachtet den Raum mit seinem durchdringenden Blick.

Wenn wir als Kinder tagsüber in der Bourbon Street saßen und Leute beobachtet haben, dachte ich, dass Rands klare Augen ihn praktisch allwissend machten. Er schien alles über jeden zu wissen, sogar über die Touristen. Ich frage mich, was er denken würde, wenn er jetzt meine Wohnung studieren könnte.

Es gibt ein kleines Wohnzimmer, meinen Schmink- beziehungsweise Schreibtisch und eine Küchenzeile. Im anderen Zimmer befindet sich ein einfaches Schlafzimmer mit angrenzendem Bad. Es ist nicht viel, aber es ist mehr, als nur aus dem Koffer zu leben, und nachdem ich mein Leben lang mit meinem Vater gereist bin, ist das alles, was ich brauche. Trotzdem kommt die alte mädchenhafte Angewohnheit, ihn beeindrucken zu wollen, wieder zum Vorschein.

»Sorry, Rand, ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist. Der Kerl braucht einfach einen guten Tequila nach einer Show. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst, wenn er bereits auf der Bühne alles gegeben hat.«

»Ein Schatten seiner selbst, was?« Rand konzentriert sich zum ersten Mal wirklich auf Jaime und mustert ihn von oben bis unten. »Das New French Opera House ist neutral«, sagt er ohne weitere Erklärung und verwirrt mich zutiefst, aber Jaime scheint zu verstehen, als seine Augen sich leicht verengen. Es ist, als würden sie in einer Art seltsamen Jungensprache sprechen.

»Okay … nun, um ehrlich zu sein, du hasst die Oper. Oder zumindest hast du es früher getan.« Ich stoße Rand mit dem Ellbogen in die Rippen und er reibt sich spielerisch die Seite.

»Ich hasse die Oper nicht. Dein Geträller als Kind war nicht ideal, aber heute Abend? Verdammt Lettie, du warst eine Vision.«

Seine Augen schweifen über mein weißes Spitzenkleid, und ich verlagere meine Füßen von der Intensität seines Blickes. Ich kann mein nervöses Lächeln nicht unterdrücken, während ich mir im Stillen wünsche, dass meine Medikamente gegen die Angstzustände endlich anschlagen.

»Danke. Ich habe ein bisschen geübt, seit meiner Trällerzeit.«

Rand lacht herzhaft und die Spannung im Raum löst sich. Irgendwie. Zumindest bis er auf meinen Schreibtisch zugeht. Als er meinen Pillen-Organizer in die Hand nimmt und schüttelt, gefriert mir die Luft in der Brust.

»Bist du krank? Ich habe gesehen, dass du Medikamente nimmst.«

»Wow. Das geht dich nichts an.« Jaime. Mann.

Röte steigt mir in die Wangen. Ich stimme innerlich zu, antworte aber trotzdem: »Oh, ja, mir geht es gut. Es ist nichts weiter. Nur etwas Angst.«

Er schüttelt meine Pillendose, wie, um seinen Standpunkt noch einmal zu betonen. »Das sind eine Menge Medikamente nur für Angstzustände …«

»No joda, Chatelain –«

»Ist schon gut!« Ich unterbreche, bevor sich mein alter bester Freund und mein neuer Freund wieder grundlos an die Gurgel gehen.

Bei solchen Gesprächen möchte ich mich am liebsten in ein Loch verkriechen und verstecken, aber ich habe mir geschworen, mich normal zu verhalten. Die Besetzung weiß es. Die ganze Uni weiß es praktisch. Warum nicht mein Freund aus Kindertagen?

»Das Medikament ist … für … Ich habe eine bipolare Störung. Typ eins, um genau zu sein.« Ich zucke mit den Schultern und widerstehe dem Drang, mich zu einer Kugel zusammenzurollen. Rands Kiefer erschlafft und seine braunen Wangen röten sich, als er die Pillendose abstellt. »Oh, Scheiße. Ich … Scarlett, es tut mir leid. Ich habe nicht –«

Ich winke seine Entschuldigung ab. »Keine große Sache. Oder zumindest versuche ich, keine große Sache daraus zu machen. Es ist wie bei jeder anderen Krankheit auch. Wenn ich meine Medikamente nicht nehme, können die Symptome wieder aufflammen. Der einzige Unterschied ist, dass meine Symptome manchmal bedeuten, dass ich ein bisschen verrückt werden kann.« Ich lächle meinen Freund an, der schon alles gesehen hat. »Jaime weiß es.«

»Ja, wir brauchen so schnell keine Suite im Château Psych.«

Rand bewegt sich unbehaglich bei unseren Witzen. Seine blonden Augenbrauen sind fast bis zum Haaransatz hochgezogen, aber ich merke, dass er sein Bestes gibt, um lässig zu wirken, während er seinen Arm nicht ganz so lässig um meine Taille legt. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. »Klingt, als hättest du mir viel zu erzählen, Little Lettie. Was hältst du davon, wenn wir uns bei einem Drink unterhalten?«

Als Kind habe ich ihn regelrecht vergöttert, aber das endete abrupt, kurz bevor er zurück ins Internat ging. Inzwischen sind wir beide erwachsen und die Dinge sind ganz anders als damals. Unser Altersunterschied spielt zum Beispiel keine Rolle mehr. Ehrlich gesagt, er ist ein guter Fang, und ich sollte mich über die ganze Aufmerksamkeit freuen, die er mir gerade schenkt. Aber seit Dads Tod – und allem, was danach passiert ist – fällt es mir schwer, mich zu freuen oder überhaupt unter Menschen zu gehen.

Deshalb mag ich die Stimme.

Ich schüttle den Gedanken ab und erinnere mich daran, dass ich den Menschen vor mir antworten sollte, die wirklich da sind.

Bevor ich den Mund aufmachen kann, lässt mich ein Krachen aus dem Flur aus Rands Griff springen.

»Mist. Tut mir leid.« Ein Kichern hallt vom Flur wider. Ich erkenne Maggie Bordeaux’ sanfte Tonlage sofort. Sie ist ständig am Bordeaux Conservatory of Music präsent, und obwohl sie die stellvertretende Regisseurin der Theaterschule ist, könnte sie im Moment genauso gut befördert werden, denn der eigentliche Regisseur, Monty Arquette, weiß nicht, was er tut. »Tut mir leid, Leute. Ich habe mein Walkie-Talkie fallen lassen – oh.«

Maggie hält mitten im Satz inne und kramt in ihrer hinteren Jeanstasche nach ihrem Telefon.

»Du bist Rand Chatelain. Was machst du im French Quarter?«

»Das habe ich auch gesagt«, brummt Jaime.

»Warum fragen das alle?« Ich versuche, zu lachen, um die Situation zu entschärfen, aber es gelingt mir nicht, denn Maggie und Rand starren sich gegenseitig an.

Sie unterbricht den Blickkontakt zuerst und starrt auf das Telefon in ihrer Hand. Eine Wolke aus dichten, federnden Korkenzieherlocken will ihr in die Augen fallen, aber sie schiebt sie zurück. Im schwachen Licht des Flurs leuchtet der Bildschirm auf ihren dunkelbraunen Wangen, als sie das Gesicht verzieht und murmelt: »Das beantwortet wohl meine Frage. Ich hätte mir mehr Sorgen um meine Nachrichten als um mein Walkie-Talkie machen sollen.«