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Mit Pippi Langstrumpf ist jeder Tag voller Überraschungen. Wenn Pippi in die Schule oder auf den Jahrmarkt geht, dann stellt sie alles auf den Kopf. Und niemand erzählt so tolle Geschichten wie sie – vor allem von früher, als Pippi mit ihrem Vater, dem Kapitän Efraim Langstrumpf, über die Weltmeere segelte … Erstmals mit hinreißenden Bildern von Katrin Engelking. Aktualisierte, überarbeitete Textfassung.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Pippi Langstrumpf ist das stärkste und lustigste Mädchen der Welt. Seit Tommy und Annika Pippi kennen, ist jeder Tag ein Abenteuer. Egal ob sie 18 Kilo Bonbons kaufen, Pippi einen entlaufenen Tiger einfängt oder Besuch von ihrem Vater, dem Kapitän Langstrumpf, bekommt: Mit Pippi ist nichts mehr wie früher!
ERSTES KAPITEL
Wenn jemand zufällig in die kleine, kleine Stadt kommen und sich vielleicht, ehe er sich’s versieht, etwas zu weit hinaus in den einen Außenbezirk verirren sollte, dann würde er die Villa Kunterbunt zu sehen kriegen. Nicht dass etwas Besonderes an dem Haus wäre – eine ziemlich baufällige alte Villa mitten in einem ziemlich verwahrlosten alten Garten. Aber der Fremde würde vielleicht doch stehen bleiben und wissen wollen, wer dort wohnt. Alle Leute, die in der kleinen, kleinen Stadt lebten, wussten natürlich, wer in der Villa Kunterbunt wohnte, und sie wussten auch, warum ein Pferd auf der Veranda stand. Aber jemand, der aus einer anderen Gegend kam, konnte es ja nicht wissen. Und der würde sich bestimmt wundern. Am meisten, wenn es ganz, ganz spät und beinah schon dunkel war und wenn er, obwohl es so spät war, ein kleines Mädchen entdeckte, das im Garten umherging und gar nicht so aussah, als ob es schlafen gehen wollte. Sicher würde er dann denken:
Ich möchte wissen, warum die Mama des kleinen Mädchens nicht dafür sorgt, dass es ins Bett kommt. Alle anderen Kinder schlafen ja um diese Zeit.
Denn wie sollte er wissen, dass dieses kleine Mädchen keine Mama hatte? Es hatte auch keinen Papa, jedenfalls keinen, der zu Hause war. Es wohnte ganz einfach allein in der Villa Kunterbunt. Na ja, vielleicht nicht ganz allein, wenn man genau sein will. Ihr Pferd wohnte ja auf der Veranda. Und dann hatte sie auch einen Affen, der Herr Nilsson hieß. Aber von alledem konnte natürlich jemand, der in die Stadt gereist kam, keine Ahnung haben. Wenn das kleine Mädchen zur Gartentür kam – und das tat sie bestimmt, denn sie redete gern mit Leuten – , dann würde er, nachdem er sie richtig angeschaut hatte, nicht umhinkönnen zu denken:
Das ist das sommersprossigste und rothaarigste Kind, das ich jemals gesehen habe!
Und vielleicht dachte er weiter:
Eigentlich ist es ganz hübsch, sommersprossig und rothaarig zu sein, jedenfalls wenn man so gesund und vergnügt aussieht wie dieses Kind.
Es würde ihn vielleicht interessieren, wie das kleine rothaarige Mädchen hieß, das da so allein in der Dämmerung herumschlenderte, und wenn er dicht vor der Gartentür stand, so brauchte er nur zu fragen:
»Wie heißt du?«
Die Antwort würde sicher kommen, mit sehr vergnügter, munterer Stimme:
»Ich heiße Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf, Tochter von Kapitän Efraim Langstrumpf, früher der Schrecken der Meere, jetzt Südseekönig. Aber man nennt mich nur Pippi.«
Ja, so war es. Dieses Mädchen heißt Pippi Langstrumpf. Und wenn sie sagt, ihr Papa sei Südseekönig, so glaubt sie es wenigstens selbst. Denn ihr Papa war eines Tages von einem Sturm ins Meer geweht worden und verschwunden, als er und Pippi auf dem Meer segelten, und da Pippis Papa ziemlich dick war, glaubte Pippi absolut nicht, dass er ertrunken sei. Es lag ja auf der Hand zu glauben, dass er auf einer Insel an Land gespült worden und Südseekönig über eine Menge Eingeborene geworden war. Und genau das glaubte Pippi.
Es konnte ja sein, dass dieser reisende Fremde, wenn er genügend Zeit hatte und nicht am selben Abend mit dem Zug weiterfahren musste, sich etwas eingehender mit Pippi unterhielt und so nach und nach erfuhr, dass sie ganz allein in der Villa Kunterbunt wohnte, abgesehen von einem Pferd und einem Affen. Und wenn er ein gutes Herz hatte, konnte er nicht umhin zu denken:
Wovon lebt eigentlich das arme Kind?
Aber darüber brauchte er sich wirklich keine Sorgen zu machen.
»Ich bin reich wie ein Zauberer«, pflegte Pippi zu sagen. Und das war sie. Sie hatte einen ganzen Koffer voller Goldstücke, den sie noch von ihrem Papa bekommen hatte.
Der reisende Fremde brauchte also nicht zu glauben, dass Pippi Not litt. Sie kam großartig zurecht ohne Mama und ohne Papa. Nun war es natürlich so, dass sie niemanden hatte, der ihr sagen konnte, wann sie abends ins Bett gehen sollte. Aber Pippi hatte einen Ausweg gefunden. Sie sagte es zu sich selbst. Manchmal sagte sie es nicht eher als ungefähr gegen zehn Uhr, denn sie hatte niemals richtig daran geglaubt, dass Kinder unbedingt um sieben Uhr ins Bett müssten. Gerade dann war es ja am allerschönsten. Daher brauchte sich der reisende Fremde durchaus nicht zu wundern, Pippi in ihrem Garten herumspazieren zu sehen, obwohl die Sonne schon untergegangen war und es anfing, kühl zu werden, und Tommy und Annika schon längst in ihren Betten lagen.
Wer waren Tommy und Annika? Ach, das konnte der fremde Reisende ja auch nicht wissen!
Tommy und Annika, das waren Pippis Spielkameraden, die in dem Haus neben der Villa Kunterbunt wohnten. Es war schade, dass der Reisende nicht etwas früher gekommen war, denn dann hätte er Tommy und Annika sehen können. Das waren wirklich zwei liebe und artige Kinder, und ganz sicher hätte er Tommy und Annika bei Pippi angetroffen. Denn sie liefen jeden Tag zu Pippi hinüber und waren immer bei ihr, außer wenn sie schliefen oder aßen oder in der Schule waren.
Aber um diese Zeit am Abend schliefen sie natürlich, denn Tommy und Annika hatten einen Papa und auch eine Mama, und beide fanden, dass es für Kinder am besten war, wenn sie um sieben Uhr schlafen gingen.
Wenn der reisende Fremde sehr, sehr viel Zeit hatte, blieb er vielleicht eine Weile stehen, nachdem Pippi Gute Nacht gesagt und sich von der Gartentür entfernt hatte. Nur um zu sehen, was sie tat, wenn sie allein war, und ob sie wirklich nicht hinein- und gleich ins Bett gehen würde. Er konnte sich ja hinter den Torpfosten stellen und vorsichtig in den Garten spähen. Wenn Pippi nun mal das tat, was sie mitunter des Abends zu tun pflegte, wenn sie Lust zu einem Ritt hatte! Wenn sie nun mal auf die Veranda ging, das Pferd mit ihren starken Armen hoch in die Luft hob und es in den Garten hinaustrug! Dann würde der reisende Fremde sich wohl die Augen reiben und sich fragen, ob er träume!
»Was in aller Welt ist das für ein Kind!«, würde er vielleicht hinter dem Gartentor zu sich selbst sagen. »Ich glaube wahrhaftig, sie kriegt es fertig, das Pferd hochzuheben! Das ist doch das merkwürdigste Kind, das ich je gesehen habe!«
Und damit hatte er recht. Pippi war das merkwürdigste Kind, das es gab, wenigstens in dieser Stadt. Vielleicht gab es anderswo merkwürdigere Kinder, aber in der kleinen, kleinen Stadt gab es so etwas wie Pippi Langstrumpf nicht noch einmal. Und nirgends, weder in der kleinen Stadt noch auf einem anderen Fleck der Erdkugel, gab es jemanden, der so stark war wie sie.
ZWEITES KAPITEL
An einem schönen Frühlingstag, als die Sonne schien und die Vögel zwitscherten und in allen Gräben Wasser floss, kamen Tommy und Annika zu Pippi herübergelaufen. Tommy hatte Zuckerstücke für Pippis Pferd mitgebracht, und Annika und er blieben eine Weile auf der Veranda und streichelten das Pferd, bevor sie zu Pippi hineingingen. Pippi lag noch im Bett und schlief, als sie hereinkamen. Ihre Füße lagen auf dem Kopfkissen, und der Kopf lag ganz tief unter der Bettdecke. So schlief sie immer. Annika kniff sie in den großen Zeh und sagte:
»Wach auf!«
Herr Nilsson, der kleine Affe, war schon wach. Er war auf die Deckenlampe hinaufgesprungen und hatte sich dort niedergelassen. Allmählich fing es an, sich unter der Bettdecke zu bewegen, und plötzlich kam ein roter Kopf zum Vorschein. Pippi schlug ihre klaren Augen auf und lächelte breit.
»Ach, habt ihr mich in die Zehen gekniffen? Ich hab geträumt, dass es mein Papa war, der Südseekönig, der nachsehen wollte, ob ich Hühneraugen habe.«
Sie setzte sich auf den Bettrand und zog ihre Strümpfe an. Der eine war schwarz, und der andere war geringelt.
»Nee, wahrhaftig, man bekommt keine Hühneraugen, solange man die hier hat«, sagte sie und stieg in ihre großen schwarzen Schuhe, die genau doppelt so groß waren wie ihre Füße.
»Pippi«, sagte Tommy, »was wollen wir heute machen? Wir haben schulfrei.«
»Tja, darüber lohnt es sich nachzudenken«, sagte Pippi. »Um den Weihnachtsbaum tanzen können wir nicht, denn den haben wir vor drei Monaten rausgeworfen. Die Gräben sind nicht mehr zugefroren, sonst hätten wir den ganzen Vormittag Schlittschuh laufen können. Nach Gold zu graben wäre ja ganz lustig, aber das geht auch nicht, denn wir wissen nicht, wo das Gold liegt. Das meiste Gold liegt übrigens in Alaska, und da kann man vor lauter Goldgräbern nicht durchkommen. Nein, wir müssen uns etwas anderes ausdenken. mehr zugefroren, sonst hätten«
»Ja, aber was Lustiges«, sagte Annika.
Pippi flocht ihr Haar in zwei harte Zöpfe, die vom Kopf abstanden. Sie überlegte.
»Wie wär es, wenn wir uns auf den Weg in die Stadt machen und einkaufen gehen?«, fragte sie schließlich.
»Aber wir haben kein Geld«, sagte Tommy.
»Ich hab welches«, sagte Pippi. Und um es zu beweisen, ging sie zu ihrem Koffer, der voller Goldstücke war, und machte ihn auf. Sie nahm eine ordentliche Handvoll und steckte die Münzen in ihre Schürzentasche mitten auf dem Bauch.
»Wenn ich jetzt nur meinen Hut hätte, dann wäre ich fertig zum Gehen«, sagte sie.
Der Hut war nirgends zu sehen. Pippi schaute erst in die Brennholzkiste, aber da war er merkwürdigerweise nicht. Dann ging sie in die Speisekammer und guckte in die Brotbüchse, aber da lagen nur ein Strumpfband, ein kaputter Wecker und ein kleiner Zwieback. Schließlich schaute sie sogar auf die Hutablage, aber da war nichts anderes als eine Bratpfanne und ein Schraubenzieher und ein Stück Käse.
»Nirgendwo ist Ordnung, und man findet kein bisschen«, sagte Pippi missvergnügt. »Das Stück Käse hab ich allerdings schon lange vermisst. Gut, dass es sich angefunden hat. – Hallo, Hut, willst du mit einkaufen gehen oder nicht? Wenn du nicht sofort zum Vorschein kommst, ist es zu spät!«
Aber kein Hut kam zum Vorschein.
»Na schön, dann ist es seine Schuld, wenn er so dumm ist. Aber ich will keine Klagen hören, wenn ich nach Hause komme«, sagte sie streng.
Kurz danach konnte man sie in die Stadt traben sehen, Tommy und Annika und Pippi mit Herrn Nilsson auf der Schulter. Die Sonne schien so herrlich, der Himmel war so blau, und die Kinder waren so vergnügt. Es rieselte im Graben neben dem Weg. Es war ein tiefer Graben mit viel Wasser drin.
»Ich hab Gräben gern«, sagte Pippi und stieg ohne viel Bedenken ins Wasser runter. Es reichte ihr bis über die Knie, und wenn sie richtig sprang, spritzte es bis hinauf zu Tommy und Annika.
»Ich spiel, dass ich ein Schiff bin«, sagte sie und pflügte durch das Wasser. Gerade als sie das gesagt hatte, stolperte sie und tauchte unter.
»Besser gesagt, ein Unterseeboot«, fuhr sie unbekümmert fort, als sie mit der Nase wieder hochkam.
»Aber Pippi, du bist ja ganz nass«, sagte Annika ängstlich.
»Was ist denn da Schlimmes dabei?«, sagte Pippi. »Wer hat gesagt, dass Kinder unbedingt trocken sein müssen? Kalte Abreibungen sind ja so gesund, hab ich sagen hören. Nur hierzulande redet man sich ein, dass Kinder nicht in Gräben gehen dürfen. In Amerika sind die Gräben so gerappelt voll mit Kindern, dass kaum noch Platz für Wasser ist. Die bleiben das ganze Jahr drin. Im Winter frieren sie natürlich fest, und die Köpfe gucken aus dem Eis heraus. Die Mamas müssen hingehen und ihnen Obstsuppe und Fleischklößchen bringen, denn die Kinder können ja nicht zum Mittagessen nach Hause kommen. Aber die sind kerngesund, darauf könnt ihr euch verlassen.«