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Eine übelgelaunte Schwiegermutter, zwei Morde und jede Menge Zähneknirschen für Kati Kati Blum hat ein Problem. Ihre Schwiegermutter hat Zahnweh und ist noch unausstehlicher als üblich. Blöd nur, dass gerade jetzt ihr Zahnarzt tot aufgefunden wird. Das wiederum ruft den attraktiven Kommissar Lars auf den Plan. Obwohl Kati nicht gerade unglücklich darüber ist, Zeit mit ihm zu verbringen, kann sie an seine Raubmordtheorie nicht so recht glauben. Zeit zu handeln, beschließt sie deshalb und stellt ihre eigenen Ermittlungen an. Das Chaos ist perfekt, als sie zusammen mit Freundin Nina knietief im Müll steckt und zu allem Überfluss ihre Schwiegermutter plötzlich selbst in Lebensgefahr gerät. Kati hat ein für alle Mal genug und schwört, nicht zu ruhen, bis sie der Sache ein Ende gesetzt hat! Charmant, lustig, skurril – einzigartige Buchmomente mit dem Wohlfühlkrimi aus Bayreuth! Dieser Roman ist in sich abgeschlossen. Alle "Kati Blum ermittelt"-Romane können unabhängig voneinander gelesen werden. LeserInnenstimme zu KATI BLUM ERMITTELT: Witzig, skurril, spannend - lesenswert!
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Planlos ins Chaos
Kati Blum ermittelt – Band 3
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Birgit Gruber
Dies ist ein Roman.
Die Namen der behandelten Personen sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten mit real existierenden (lebenden oder toten) Menschen wären reiner Zufall.
Die kleinen Schnurrhaare zitterten aufgeregt, aber sie rührte sich nicht von der Stelle. Wie eine Statue saß die kleine Katze auf meiner Sofalehne und starrte mir geradewegs in die Augen. Es schien, als würden wir spielen: Wer zuerst blinzelte oder wegschaute, hatte verloren. Ein massiver Fortschritt, wenn man bedachte, dass das Kätzchen vor drei Tagen bei mir eingezogen war und sich seitdem unter meinem Bett versteckt hatte. Nun jedoch fixierten mich seine grünen Augen und zogen mich regelrecht in den Bann. Das grau-weiße Fell schimmerte in den Sonnenstrahlen, die durchs Fenster hereinfielen. So, wie die Katze dasaß, mit den langen Haaren und dem anmutenden Gesichtchen, strahlte sie regelrecht etwas Erhabenes aus. Dabei musste es sie eine ungeheure Kraft kosten, sich mir derart zu stellen, so scheu, wie sie sich seit unserem ersten Aufeinandertreffen verhalten hatte. Sie besaß meine Hochachtung dafür.
Ich lehnte mich etwas vor, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, und streckte meinen Arm ganz langsam aus, um sie zu streicheln. Sie war nur etwas größer als meine Handfläche. Zarte zwölf Wochen alt, und genaugenommen war ›sie‹ ein Kater und gehörte zur Rasse ›Norwegische Waldkatze‹. So jedenfalls hatte man es mir im Tierheim mitgeteilt, als sie mir übergeben worden war. Dabei war ich eigentlich nur beruflich dort gewesen, um ein paar Fotos zu knipsen.
Ich bin Kati Blum, arbeite freiberuflich bei der örtlichen Tageszeitung und werde immer dann losgeschickt, wenn Firmenjubiläen oder Festlichkeiten eine kurze Erwähnung in der Zeitung finden sollen, möglichst mit Foto.
Genau aus diesem Grund hatte ich vor drei Tagen dem Tierheim einen Besuch abgestattet. Eine edle Spenderin hatte sich gefunden und dem Verein eine großzügige Summe in Höhe von zweitausend Euro zukommen lassen. Das wollte natürlich publik gemacht werden – vielleicht mit dem Hintergedanken, weitere tierliebe Menschen auf die Idee zu bringen, es ihr gleichzutun. Also schoss ich ein hübsches Foto von einem überdimensionalen Scheck zusammen mit ein paar Hunden und Katzen, darunter das kleine Fellknäul, das mir nun gegenübersaß. Katzen- und Hundebabys kamen schließlich immer gut an.
Dann beging ich den Fehler, einer Mitarbeiterin gegenüber zu erwähnen, dass ich mit Katzen großgeworden war, und nein, ich hätte derzeit kein Haustier. Vielleicht irgendwann einmal. Langer Rede kurzer Sinn: Eins führte zum anderen. Anfangs hatte ich mich noch gegen eine spontane Lebensgemeinschaft mit dem kleinen Kater gesträubt, denn seitdem nach nur dreijähriger Ehe mein Mann plötzlich an einem bislang unerkannten Herzfehler verstorben war und mich zur jungen Witwe gemacht hatte, lebte ich auch gut ohne einem männlichen Mitbewohner an meiner Seite. Aber die Tierheimmitarbeiterin hatte nicht mehr lockergelassen und die Mitleidskarte des süßen, armen kleinen Findelkinds ausgespielt, zumal es sich um eine Rassekatze handelte. Ein echter Glücksfall! Wir wären einfach füreinander bestimmt … und so weiter und so fort. Er war aber auch süß.
Da saßen wir also, der Kleine und ich. Zum ersten Mal, seit ich ihn in meinem Baumhaus abgesetzt hatte, durfte ich ihn nun tatsächlich berühren und spürte das seidig-glatte Fell unter meinen Fingern, während ich ihn sanft streichelte. Langsam schloss er seine Augen und begann zu schnurren. Zuerst leise, dann immer lauter.
»Wow! Für so einen kleinen Kerl hast du ein ganz schön lautes Organ«, stellte ich überrascht fest. »Was hältst du von Max? Ich meine, irgendwie muss ich dich ja nennen. Jetzt, nachdem wir doch noch Freundschaft geschlossen haben.«
Er öffnete einen Spaltbreit die Augen, bevor er sie wieder zufallen ließ und die Streicheleinheiten weiterhin sichtlich genoss. Ich wertete seine Reaktion als Zustimmung. Somit war es beschlossene Sache.
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Max‘ Schnurren im Zusammenspiel mit den hereinfallenden wärmenden Sonnenstrahlen hatte eine beruhigende und einschläfernde Wirkung auf mich. Das konnte aber auch daran liegen, dass ich bereits seit fünf Uhr auf den Beinen war. Da meine Einkünfte aus dem Zeitungsjob nicht für den Lebensunterhalt ausreichten, war ich seit einiger Zeit auch im Frühstücksservice im Hotel Zur Sonne tätig.
Ich merkte, wie meine Glieder schwer wurden, und die Aussicht auf ein kleines Mittagsschläfchen war mehr als verlockend.
Gerade als ich mich wohlig aufs Sofa kuschelte, schwang mit Wucht die Wohnungstür auf und ein Tornado namens Anke wehte herein. Erschrocken fuhr ich hoch und Max konnte sich gerade noch mit seinen kleinen Krallen festhalten, bevor er von der Lehne fiel.
»Tot! Tot! Und warum muss ich sowas aus der Zeitung –«, bellte sie, bevor sie innehielt und mit spitzem Finger auf Max zeigte. »Was ist DAS?!«
Ich sah von ihr zu Max, der nun doch auf dem Boden gelandet war, sich elegant abrollte und verschwand. Schnell beeilte ich mich aufzustehen und die Tür, die immer noch offenstand, hinter Anke zu schließen, bevor mein kleiner Mitbewohner das Weite suchen konnte. Bei Ankes Anblick hätte ich es ihm nicht verübeln können.
»Eine Katze.«
»Das sehe ich! Du weißt aber schon, dass laut Mietvertrag keine Haustiere erlaubt sind?«
Anke, ihres Zeichens meine Schwiegermutter und Vermieterin, war wie immer herzallerliebst. Wir kannten uns nun seit gut fünf Jahren, und ebenso lange wohnte ich hier, in der kleinen Wohnung über der Garage, die ich liebevoll ›mein Baumhaus‹ nannte. Baumhaus deshalb, weil sie gleich neben der Einfahrt zum Blum’schen Anwesen lag und direkt gegenüber eine große alte Eiche stand, die mit ihren Ästen und Blättern hin und wieder meine Fenster kitzelte. Das Blum’sche Hoheitsgebiet umfasste mehrere tausend Quadratmeter, lag fast mitten in Bayreuth und war vermutlich seit Anbeginn der Zeitrechnung in Familienbesitz. So führte sich meine Schwiegermutter auch auf. Die Blums waren alteingesessene Bürger, besaßen seit Urzeiten das Juweliergeschäft der Stadt, schwammen in Geld und gehörten zur Bayreuther High Society. Ankes Lebensaufgabe war es zu regieren, aber ›aufplustern‹ würde es meiner Meinung nach wohl besser treffen. Als ich ihren geliebten Sohn Thorsten spontan im Urlaub kennengelernt und gleich geheiratet hatte, war sie not amused gewesen. Aber über die Jahre hinweg hatten wir einen Weg gefunden miteinander auszukommen. Nach Thorstens überraschendem Tod durfte ich gnädigerweise hier wohnen bleiben, jedoch nicht ohne eine kleine monatliche Mietzahlung. Und da ich mich inzwischen in meinem Baumhaus heimisch fühlte, tat ich das auch.
»Mietvertrag?«, fragte ich. Mir war nicht bekannt, dass ein solches Papier überhaupt existierte. Ich bereute aber sofort, überhaupt darauf eingegangen zu sein.
»Hatschi!« Ankes Niesen war ohrenbetäubend. »Was?« Glücklicherweise schien sie meine Nachfrage nicht gehört zu haben. »Du weißt, dass ich Katzen nicht ausstehen kann. Jetzt bin ich anscheinend sogar gegen die Viecher allergisch!« Sie schniefte wenig damenhaft und trat den Rückzug an.
Ich unterdrückte ein Grinsen. Ein weiterer Grund, Max auf jeden Fall zu behalten, wenn das bedeutete, dass Anke nicht mehr hier auftauchen würde. Zumal sie so gut wie nie anklopfte und immer wieder einfach hereinschneite, wie es ihr gefiel. So wie heute. Zugegeben, das kam nur selten vor, aber wenn ihr etwas auf dem Herzen lag, war meiner Schwiegermutter Privatsphäre – zumindest, was mich betraf – gänzlich unbekannt. Zum Glück lag zwischen meinem Baumhaus und der Blum’schen Villa eine lange Auffahrt und damit ein gewisser Sicherheitsabstand zwischen uns.
***
Maria, die gute Seele des Blum’schen Haushalts, saß mit einem Kaffee in der Hand auf der Terrasse und beobachtete versonnen Erik, der gerade dabei war, Laub zu rechen. Es war ein richtig warmer Herbsttag. Der goldene Oktober, wie man so schön sagte.
»Hast du Anke gesehen?«, fragte ich und setzte mich zu ihr.
»Schade, dass die heißen Sommertage vorbei sind.« Sie seufzte, ihren Blick weiterhin auf Erik geheftet.
Ich lächelte meine mütterliche Freundin verschmitzt an. »Du meinst, weil nun wieder Klamotten angesagt sind?«
»Könnte man so sagen«, gab sie zu.
Heute trug Erik Jeans und T-Shirt, während er in den vergangenen Monaten meist mit nacktem Oberkörper schweißtreibende Arbeiten verrichtet hatte. Auch ich kam nicht umhin, ein wenig enttäuscht zu sein, beneidete Maria aber gleichzeitig dafür, dass sie sich das kleine Angestelltenhäuschen seit dem Sommer mit diesem blonden, jungen und absolut heißen Adonis teilte.
In gespielter Entrüstung schüttelte ich den Kopf. »Maria! Er könnte dein Sohn sein.«
»Was? Ich mag alt sein, aber ich bin nicht blind!« Sie lächelte und sah mir endlich in die Augen. »Schauen darf man doch.«
Ich lachte. »Stimmt!«
Nachdem im letzten Winter Marias Mann Richard verstorben war, hatte Anke nach einigem Hin und Her Erik ins Haus geholt, der die Hausmeistertätigkeiten übernahm. Zuerst war Maria wenig begeistert gewesen, ihr kleines Häuschen direkt neben der Villa mit einem anderen Mann teilen zu müssen, zumal er halb so alt war wie sie selbst. Aber das hatte sich relativ schnell geändert.
»Magst du auch einen Kaffee?«
»Eigentlich suche ich Anke.«
»Ha!« Noch ehe Maria antworten konnte, tauchte meine Schwiegermutter im Türrahmen auf und zeigte mit spitzem Finger auf mich. Dann griff sie nach etwas, und im nächsten Moment warf sie die Tageszeitung vor mich auf den Tisch. Mit verschränkten Armen sah sie mich abwartend an, während ich die Schlagzeile las.
Zahnarzttod auf Praxisstuhl, lautete der reißerische Titel.
Das hatte sie also gemeint, als sie vorhin bei mir hereingefegt war. Ich wusste doch, dass ich das Wort ›tot‹ vernommen hatte, bevor unser Gespräch dank Max in eine andere Richtung gelenkt worden war und Anke so schnell, wie sie gekommen war, wieder verschwand.
Stirnrunzelnd blickte ich auf. Den Mund gespitzt, mit den Fingern auf ihren Arm klopfend, stand sie vor mir und erinnerte mich unwillkürlich an einen Marineoffizier, der gewillt war, mich vors Kriegsgericht zu zerren.
»Was habe ich damit zu tun?«, wagte ich die tollkühne Frage.
Maria verzog wissentlich das Gesicht.
»Ich glaube, ich hol‘ mal Kaffee«, warf sie ein und stand auf.
»Dr. Hammerbichel! Es handelt sich um Dr. Hammerbichel, Herrgott noch mal!« Mit schriller Stimme warf meine Schwiegermutter dramatisch die Hände in die Höhe.
»Was? Er hat einen Patienten umgebracht?«
»Nein! Du meine Güte! Er ist tot! Dr. Hammerbichel ist tot.« Frustriert zog sie einen Stuhl heran und ließ sich drauffallen.
»Hat er jemandem den letzten Nerv geraubt?«, fragte ich in einem Anfall von Galgenhumor.
Anke rollte mit den Augen. Zum Glück stellte Maria eine dampfende Tasse Kaffee vor ihr ab. Meine Schwiegermutter konnte jetzt sichtlich einen Schluck gebrauchen.
Ich überflog derweil den Zeitungsartikel. Laut Angaben der Polizei wurde Dr. Hammerbichel gestern Morgen in seiner Zahnarztpraxis tot aufgefunden. Nach dem aktuellen Stand gingen die zuständigen Ermittler von Raubmord aus.
Prompt wanderten meine Gedanken zu Lars. Ob er einer der besagten Ermittler war? Immerhin war er seit einigen Monaten Kriminalhauptkommissar bei der Kripo Bayreuth. In meinem Magen spürte ich ein seltsames Ziehen, das öfters auftrat, wenn ich an ihn dachte. Aber wie immer ignorierte ich es. Abgesehen von einigen Küssen war noch nie mehr zwischen uns passiert. Das lag vermutlich daran, dass ich einen Hang dazu hatte, ihm gehörig auf die Nerven zu gehen, indem ich mich in Angelegenheiten einmischte, die mich seiner Meinung nach nichts angingen, und er leider allzu oft den Macho heraushängen ließ.
»Warum muss ich sowas aus der Zeitung erfahren?«, nahm meine Schwiegermutter das Gespräch wieder auf und setzte die Tasse geräuschvoll auf dem Tisch ab.
»Wie ›Warum‹?« Ich war heute aber auch wieder schwer von Begriff. »Vielleicht, weil deine Connections zur Polizei doch nicht so gut sind, wie du dachtest? Offensichtlich stehst du nicht auf der Liste der als erstes zu informierenden Personen, wenn in Bayreuth etwas passiert.«
»Hmpf.« Ankes Augen verformten sich zu Schlitzen. Mir war durchaus klar, dass ihr das als Queen – wie Maria und ich sie insgeheim nannten – missfiel. »Ich meinte«, zischte sie, »warum du mir das nicht gesagt hast!«
»Ich?« Völlig verdattert blinzelte ich meine Schwiegermutter an. »Woher hätte ich davon wissen sollen?« Anke hatte keine Ahnung, dass ich mich gelegentlich in Polizeiangelegenheiten einmischte. Lars hatte sie zwar einmal flüchtig kennengelernt, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ihr seine berufliche Tätigkeit nicht bekannt war. Oder irrte ich mich, und die Queen wusste Bescheid?
Wie auch immer mein Verhältnis zu Lars sein mochte, er würde sich lieber einen Strick nehmen, als mich über irgendwelche Vorfälle zu informieren – das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
»Arbeitest du jetzt bei der Zeitung oder nicht? Du musst davon gewusst haben, schon bevor der Artikel in den Druck ging.«
»Ich bin eine kleine freie Mitarbeiterin. Glaubst du im Ernst, ich würde brandheiße News vorab erfahren?«
Meine Schwiegermutter räusperte sich. »Stimmt, hatte ich vergessen. Ist ja klar, dass du es nicht fertigbringst, dir eine ansehnliche und respektable Position zu erarbeiten. Eine, die der Familie Blum und deren Status angemessen ist. Mein Fehler.«
Wäre ich nicht im Laufe der Zeit gegen Ankes Spitzen immun geworden, hätte ihr Vorwurf sicherlich eine tiefe Kerbe in mein Selbstbewusstsein gegraben. So aber …
»Macht ja nichts. Ich freue mich immer, wenn ich deinen Erwartungen entsprechen kann.«
Kopfschüttelnd fuhr sie fort. »Aber du warst immerhin letzte Woche als Pressefotografin zum Praxisjubiläum vor Ort. Allein deshalb hätte ich erwartet, dass du im Bilde bist.«
»Was für ein schönes Wortspiel. Aber nein, tut mir leid.«
Ich blickte meine Schwiegermutter über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg an. Dr. Hammerbichel war seit Jahrzehnten der Zahnarzt ihres Vertrauens. Abgesehen davon, war der gute Doktor auch in den oberen gesellschaftlichen Reihen eingegliedert und somit nicht nur der Leibarzt ihres Gebisses, sondern auch ein Freund gewesen. Jedenfalls sofern meine Schwiegermutter überhaupt so etwas wie Freunde hatte. Aber das wollte ich nicht beurteilen.
Erst Ende vergangener Woche hatte Dr. Hammerbichel sein dreißigjähriges Praxisjubiläum gefeiert. Sämtliche Praxisräume waren zu diesem Zweck herausgeputzt worden. Zur abendlichen Feier erschien das Bayreuther Who is Who, und meine Wenigkeit war als Vertreterin der Presse dabei. Bereits als ich eintraf, standen überall Geschenke und bombastische Blumenarrangements. Es gab Champagner und feine Häppchen. Sogar eine Cellistin war auf dem Stuhl hinter dem Empfangstresen platziert worden und sorgte für stimmungsvolle musikalische Unterhaltung. Zuerst überrascht über ein derartiges Aufhebens – dreißigjähriges Praxisjubiläum hin oder her – wurde ich kurz darauf darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Doktor nur wenige Tage zuvor auch einen runden Geburtstag hatte feiern dürfen. Somit waren die Feierlichkeiten an diesem Abend zusammengelegt worden.
Anke war natürlich auch mit von der Partie gewesen. Sie hatte regelrecht mit Adleraugen darüber gewacht, welche Fotos ich schoss, und mich instruiert, auch ja einen denkwürdigen Artikel für die Zeitung zu entwerfen. Naja, was man eben aus einem Foto samt Vierzeiler herausholen kann, hatte ich bei mir gedacht, aber brav genickt. Durch die Aufgabe einer größeren Anzeige des Herrn Dr. Hammerbichel entstanden schlussendlich doch einige Wörter und Zeilen mehr. Insgesamt mit Fotos, Text und Anzeige eine dreiviertel Seite. Sehr zur Zufriedenheit meiner Schwiegermutter.
»Hier steht etwas von Raubmord.« Ich schob die Zeitung über den Tisch. »Vielleicht hat sich jemand für die vielen Geschenke interessiert, die er bekommen hat.«
Anke rieb sich mit den Händen müde über die Augen und seufzte. »Vermutlich.«
Der Tod dieses Mannes schien ihr wirklich nahezugehen. »Wer soll sich denn jetzt bitteschön um meine Zähne kümmern?«, stieß sie dann hervor. »Roland war der Beste, um nicht zu sagen eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Ich geh doch nicht zu einem dieser dahergelaufenen Scharlatane.«
Na gut, vielleicht täuschte ich mich auch. Wie immer ging es meiner Schwiegermutter wohl nur um sich selbst. Aber ich kam nicht umhin, ihre Zähne näher in Augenschein zu nehmen. So unauffällig wie möglich natürlich! Hatte ich da was verpasst? Was hatte Schwiegermutti denn alles machen lassen? Die Haare auf den Zähnen hatte jedenfalls selbst Dr. Hammerbichel nicht entfernen können.
»Hast du gehört? Es gibt wieder eine Leiche. Also eine ermordete Leiche. Leichen gibt´s ja jeden Tag.« Nina redete aufgeregt auf mich ein.
Gemütlich schlenderten wir Richtung Innenstadt. Nina hatte mich nach meiner Frühstücksschicht vor dem Hotel Zur Sonne abgefangen, bereit für eine verfrühte Mittagspause und mit einem unbändigen Redefluss. Seitdem sie mit mir –beziehungsweise durch mich – mit zwielichtigen Ganoven in Kontakt gekommen war, schien sie regelrecht darauf zu brennen, mal wieder etwas Außergewöhnliches zu erleben. Ich konnte das nur bedingt verstehen, da ich selbst gefühlt immer nur irgendwie in solche ›Situationen‹ hineinrutschte.
»Also, schieß los. Was weißt du?«, bohrte sie nach und zappelte neben mir auf und ab. Gemächlich schob ich mein Hollandrad. »Nicht mehr, als in der Zeitung steht«, gestand ich.
»Wirklich? Keine Details? Was ist mit Lars? Was sagt der?«
»Woher soll ich das wissen? Den hab‘ ich seit längerem nicht gesehen.« Genauer gesagt, seit dem Tag, als er Erik auf meiner Terrasse entdeckt hatte. Die hatte unser neuer ›Mann für alles‹ des Blum’schen Anwesens nämlich für mich angelegt. Zum Dank hatte ich ihn zum Abendessen dort eingeladen. Und das war wirklich ein großes Dankeschön. Denn wer mich kannte, wusste, dass das Kochen nicht unbedingt meine Leidenschaft war. Ich hatte mich an einem Rumpsteak mit Bohnen und Kartoffelschnitzen probiert. Auf dem Teller hatte es auch richtig gut ausgesehen, auch wenn ich es geschmacklich als etwas zäh empfunden hatte. Aber Erik hatte nichts dergleichen gesagt, sondern geduldig an dem Stückchen Fleisch herumgesäbelt, mich mit seinen blauen Augen und dem Hundertwattlächeln angesehen und mich damit regelrecht in Verlegenheit gebracht. Das schaffte man auch nicht so schnell.
Nina, die eigentlich unbedingt an diesem Abend mit von der Partie sein wollte, hatte leider kurzfristig absagen müssen, weil sie mit Migräne im Bett gelegen hatte. Ich wusste, dass ihr die Absage vermutlich noch größere Kopfschmerzen bereitet hatte. Seitdem sie Erik zum ersten Mal gesehen hatte, war sie derart verzückt von ihm, dass sie gar nicht anders konnte, als ihre Fühler nach ihm auszustrecken. Doch sie hielt sich für ihre Verhältnisse ziemlich zurück. Vielleicht lag das an dem obligatorischen Freundinnenkodex – schließlich wohnte Erik in meinem Hoheitsgebiet.
Nun ja, jedenfalls hatten Erik und ich gerade bei einem Glas Wein gesessen, als Lars unangekündigt bei mir aufgetaucht war. Obwohl er sich zu uns gesetzt hatte und die beiden Männer ein unterhaltsames Gespräch geführt hatten, war ich Lars seither nicht mehr begegnet.
»Dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt, wieder Kontakt aufzunehmen«, forderte Nina ohne Umschweife.
Vehement schüttelte ich den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
»Sag nur, dich interessiert nicht, was mit dem Zahnklempner passiert ist!« Abrupt blieb Nina stehen und sah mich ungläubig an.
»Was soll schon mit ihm passiert sein? Er wurde ausgeraubt, hat den Einbrecher auf frischer Tat ertappt und … aus die Maus.«
»Was ist denn nur los mit dir?«
»Nichts. Warum?«
»Naja, so kenne ich dich gar nicht. Bist du nicht neugierig? Warum sollte jemand eine Arztpraxis ausrauben? Da gibt´s doch nichts, außer Akten und piksende Minigeräte, die grässliche Geräusche machen und wehtun.« Wir setzten unseren Weg fort und bogen in die Maxstraße ein.
»Ich tippe mal, der Einbrecher hatte es auf die Geschenke abgesehen, die Dr. Hammerbichel bekommen hat. Das Praxisjubiläum letzte Woche, du weißt schon. Da waren bestimmt so manche wertvollen Sachen darunter.«
Nina lief stumm neben mir her und dachte darüber nach.
»Trotzdem finde ich, du solltest Lars wiedersehen«, stellte sie dann fest.
Statt einer Antwort zog ich es vor, mir am Imbissstand ein paar Bratwürste zu bestellen.
***
Bereits von weitem sah ich ihn. Er schlenderte am Seiteneingang des Hofgartens entlang. Obwohl ich noch einige Meter entfernt war, kam ich nicht umhin, wieder einmal zu bemerken, wie gut er doch mit seiner sportlichen Statur und dem frechen Haarschnitt aussah. Mein Herz schlug etwas zu schnell, als ich mich ihm näherte. Fast instinktiv drehte er sich um und sah mir direkt in die Augen.
»Na so was. Gerade habe ich an dich gedacht«, sagte er mit seiner angenehmen, samtigen Stimme.
Wirklich? Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch und lächelte.
»Hallo, Lars.« Ich überwand die letzten Meter und stand neben ihm. Er war etwas größer als ich, so dass ich mein Kinn ein wenig anheben musste, um ihm in seine blaugrauen Augen sehen zu können.
»Kati.« Er nickte grinsend. Wie meistens trug er einen Dreitagebart, der ihm in Kombination mit seinen markanten Gesichtszügen einen Hauch von Verwegenheit verlieh und mir des Öfteren weiche Knie bescherte.
»Du warst doch bei dem Praxisjubiläum und hast Fotos gemacht. Die bräuchte ich. Alle«, kam er ohne große Vorrede zur Sache. Deshalb hatte er also an mich gedacht. Mein Lächeln fiel in sich zusammen. Lars entging das nicht. »Du brauchst gar nicht damit anzufangen, dass du nicht weißt, von was ich rede. Ich kenne dich nur allzu gut. Bestimmt hast du dich schon mit Dr. Hammerbichels fragwürdigen Todesumständen befasst. Gib´s ruhig zu.«
Mit süffisantem Blick beobachtete er meine Reaktion.
»Ich?«, fragte ich entrüstet. Mir war durchaus bewusst, dass Lars sich jegliche Einmischung in polizeiliche Ermittlungen verbot und ich mich in der Vergangenheit nicht unbedingt daran gehalten hatte. Aber in diesem Fall … »Ich habe davon gelesen. So wie jeder andere in der Stadt wahrscheinlich auch«, gab ich zu. »Raubmord, so hieß es. Stimmt das nicht?«
»Warum bist du hier?« Er nahm seinen Schlendergang wieder auf. Die Blätter an den Bäumen hatten begonnen sich zu verfärben. Einige waren schon abgefallen und bildeten hübsche Farbtupfen in der noch grünen Wiese. Nicht umsonst wurde der Hofgarten die ›grüne Lunge‹ des Bayreuther Stadtzentrums genannt. Er grenzte an das neue Schloss und besaß mit seinen Eichen- und Kastanienalleen, den bereits Mitte des 18. Jahrhunderts angelegten Wasserarmen und dem Ruhetempel, der einst vom Bayreuther Markgrafenhaus für die preußische Königin Luise errichtet worden war, seinen ganz eigenen Charme.
»Ähm.« Das war eine gute Frage. Leider fiel mir keine passende Antwort darauf ein. Es lag an Nina, an Anke und an Dr. Hammerbichel. Vielleicht auch an Lars selbst. Ich hatte unsere Zusammentreffen – ob absichtlich oder ungeplant – tatsächlich vermisst. Nina hatte das Gefühl mit ihrem Gerede heute noch verstärkt, und da ich wusste, dass Lars seine Mittagspause gerne im nahegelegenen Hofgarten verbrachte, sofern er Schreibtischarbeit verrichtete, war ich auf gut Glück hier gelandet.
»Wozu brauchst du die Fotos?«, fragte ich statt einer Antwort.
Er lachte. »Ich möchte gerne wissen, was sich in der Praxis an Geschenken befand. Deshalb dachte ich, deine Fotos könnten helfen.«
Das war durchaus plausibel. »Aber die sind schon ein paar Tage alt. Woher weißt du, dass der Doktor die Sachen inzwischen nicht mit nach Hause genommen hat?« Er warf mir einen Seitenblick zu. »Dann war es also Raubmord?«, fragte ich weiter. »Habt ihr schon einen Hinweis auf den Täter?« Er schob die Hände in die Hosentaschen. »Keine Antwort?« Ein seltsam aufgeregtes Kribbeln durchfuhr mich. War da doch mehr dran, als er zugab? »Nun komm schon. Ich bin´s.« Kokett blinzelte ich ihn an.
»Eben.«
Ich rümpfte die Nase. »Na danke!«
Irgendetwas störte mich an der Art und Weise, wie sich Lars gab. War ich, im Gegensatz zu Nina, dem ›Vorfall‹ – also dem Mord – bisher mit Gleichgültigkeit begegnet, merkte ich, dass plötzlich mein Interesse geweckt wurde.
»Ist die Praxis eigentlich schon wieder geöffnet? Wer übernimmt denn jetzt die Patienten? Meine Schwiegermutter hatte einen Termin bei Dr. Hammerbichel.« Das war glattweg gelogen, aber vielleicht kam ich ja über ein Hintertürchen an mehr Informationen.
»Nein, die Räume sind noch versiegelt. Deine Schwiegermutter wird sich gedulden müssen.«
»Ha, da kennst du sie aber schlecht. Geduld ist nicht gerade ihre Stärke.«
»Na, deine aber auch nicht. Muss wohl in der Familie liegen«, scherzte er. Ich fand das nicht besonders witzig. »Ich muss los. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Fälle.«
Ich nickte. »Wie geht es Hartmann? Ist er wieder fit?«
Lars‹ Kollege hatte sich im Sommer den Fuß verletzt. Gebrochen oder so – ich konnte mich nicht mehr richtig erinnern. Aber ich wusste, dass Lars sich deshalb eine Zeit lang als Einzelkämpfer durchschlagen hatte müssen.
Er seufzte. »Nein. Deshalb habe ich auch mehr als genug zu tun. Also, es war schön dich zu sehen, Kati.« Er zwinkerte mir zu und war schon ein paar Schritte von mir entfernt, als er sich nochmals umdrehte. »Und nicht vergessen: die Fotos! Ansonsten immer schön die neugierige Nase raushalten.«
Maria und Erik saßen am Esstisch in der Küche und unterhielten sich, als ich eintrudelte.
»Heute Nachmittag repariere ich das Loch im Zaun«, sagte Erik gerade, und Maria nickte zufrieden. Ich wusste, wie froh sie war, dass sie sich um all solche Dinge nun nicht mehr kümmern musste. Früher war das Richards Aufgabenbereich gewesen, und nach dessen Tod hatte Anke eine Zeit lang erwartet, Maria würde das nun auch mit übernehmen. Sie war heillos überfordert gewesen, bis Anke schließlich Einsicht gezeigt und Erik aufgetan hatte.
»Kati! Magst du noch was essen?« Maria stand bereits auf. »Wir sind schon fertig, aber es ist noch genügend für dich da. Heute gibt es Hackbraten.«
»Danke, nein. Heute nicht«, beeilte ich mich zu sagen, denn sie hatte bereits einen frischen Teller in der Hand.
»Du verzichtest auf Marias himmlischen Hackbraten?« Erik zwinkerte der Köchin zu. Prompt legte sich ein rötlicher Hauch über ihre Wangen. So ein Charmeur. Ich unterdrückte ein Grinsen und marschierte zur Kaffeemaschine.
»Machst du mir auch einen?«, hörte ich Erik hinter mir. Die Maschine begann bereits zu gurgeln. Ich griff nach einer weiteren Tasse.
»Wenn du irgendwann mal Zeit hast, könnte ich deinen Rat brauchen«, meinte ich, als ich ihm seine Tasse hinschob und mich zu ihm setzte. Seine Augen leuchten auf, als hätte ich ihm eine Schokoladentorte versprochen. Nicht zum ersten Mal wurden mir die Knie weich.
»Klar. Wie wäre es –«
»Das glaubt doch keiner!« Ankes aufgebrachte Stimme ertönte vom Eingangsbereich und unterbrach damit unser Gespräch. Die große Haustür klatschte geräuschvoll ins Schloss, und schon fegte sie in die Küche.
»Ich komme gerade von Brigitte. Die arme Frau hat es nicht leicht in diesen Tagen. Es ist wirklich nicht einfach, wenn der Mann nicht nur stirbt, sondern auch noch einem Verbrechen zum Opfer fällt«, sprudelte es aus ihr heraus, wie immer in der Erwartung, dass das, was sie von sich gab, grundsätzlich jeden interessierte. Egal, was derjenige gerade tat oder mit wem er sprach. Die Botschaft der Queen hatte immer Vorrang!
Erik war anzusehen, dass er keinen Schimmer hatte, wovon Anke sprach.
»Sie war bei Dr. Hammerbichels Witwe«, informierte Maria uns halblaut. Aber so weit hatte ich schon kombiniert.
Meine Schwiegermutter sprach derweil ungerührt weiter. »Wisst ihr, was mir Brigitte erzählt hat? Es gibt keinerlei Einbruchspuren in der Praxis. Kein eingeschlagenes Fenster, keine aufgebrochene Tür. Und da spricht die Polizei von Raubmord? Das glaubt doch kein Mensch!« Kopfschüttelnd wühlte sie in einer Aktenmappe, die sie in der Hand hielt. »Übrigens, Kati, ich habe die Traueranzeige herausgesucht und einen passenden Text verfasst«, sagte sie kurzangebunden und zog ein Blatt Papier hervor. »Hier.« Sie reichte es mir über den Tisch. Selbstverständlich war ich für die Weiterleitung und Veröffentlichung verantwortlich, auch wenn ich nur hin und wieder mal ein kleines Artikelchen verfasste. Aber das war für Anke unwichtig. Ich arbeitete bei der Tageszeitung und war somit ihr persönlicher Ansprechpartner. Punkt.
Ich warf einen flüchtigen Blick darauf. »Das ist aber ganz schön viel Text.«
»Ein verdienter Nachruf eben. Der Mann muss gewürdigt werden. Schließlich war er ein Meister seines Gebiets.«
»Aha.«
Theatralisch sank meine Schwiegermutter auf einen Stuhl. »Kaffee bitte!«
Maria sprang auf.
»Kaffee ist aber nicht gut für das Weiß deiner Zähne«, flutschte es mir spontan heraus, und ich erntete einen abschätzigen Blick. »Ich meine ja nur. Jetzt, da dein Zahnarzt tot ist. Oder hast du schon einen Ersatz gefunden, der dir die Schönheitsflecken auf deinen Beißerchen wegpoliert?«
Ich hörte ein unterdrücktes Geräusch und sah, wie Erik um Beherrschung rang.
Meine Schiegermutter besaß tatsächlich sehr weiße Zähne. Zum ersten Mal fragte ich mich, ob die echt waren oder Anke sie bleachen lassen hatte. Aber was nützten die weißesten Zähne, wenn sie hinter grimmig verzogenen Lippen verborgen blieben?
»Du musst es ja wissen. Wenn mich nicht alles täuscht, fließt durch deine Adern statt Blut purer Kaffee«, konterte Anke.
Eins zu null für sie. Damit hatte sie leider recht. Kaffee war mein Lebenselixier. Vielleicht war ich deshalb auch oft so hibbelig. Wie gerade eben. Ich konnte regelrecht spüren, wie die Nervenenden in meinem Körper vibrierten. Aber ich bezweifelte, dass das am Kaffee lag. Es hatte vielmehr mit dem zu tun, was Anke gerade berichtet hatte. Keine Einbruchspuren in der Arztpraxis. Hinzu kam Lars‹ ausweichendes Verhalten. Es könnte in der Tat damit zu tun haben, dass er keine internen Informationen an mich herausgeben durfte oder wollte. Doch nicht nur er kannte mich inzwischen recht gut – dasselbe traf umgekehrt genauso zu. Schlagartig hatte ich das dringende Bedürfnis, mehr über die ganze Sache zu erfahren. Oh, oh.
Nein, Kati! Diesmal hältst du dich raus!, warnte meine innere Stimme. Aber wir wussten beide, dass es bereits zu spät war.
Dr. Roland Hammerbichel war ein ziemlich netter Mensch gewesen, immer freundlich und immer ein Lächeln im runden Gesicht. Möglicherweise eines seiner Erfolgsrezepte, um ängstliche Patienten zu beruhigen und für sich einzunehmen. Seine Praxis lief so gut, dass sie zwischendurch keine neuen Patienten annehmen konnte. Ich selbst hatte zwei-, dreimal bei ihm auf dem Zahnarztstuhl gesessen, weil meine Zahnärztin im Urlaub gewesen war. Als meinen festen Zahnarzt hatte ich ihn trotzdem nicht gewollt. Das lag nicht daran, dass ich an seiner Kompetenz gezweifelt hätte, sondern dass ich mit meiner eigenen Zahnärztin hochzufrieden war. Außerdem war Dr. Hammerbichel der Leibarzt Ihrer Majestät, und zu viele Berührungspunkte mit Anke versuchte ich nach Kräften zu vermeiden. Es reichte schon, dass meine Schwiegermutter ihn in den Himmel lobte, wann immer es ging. Nun, da war er jetzt vermutlich auch gelandet. Manch einer hätte diese Gedankenverknüpfung als pietätlos empfunden, so war es aber gar nicht gemeint. Ich hatte schlichtweg einen Hang zum Galgenhumor, besonders dann, wenn ich mich ermittlungstechnisch mit einem Fall befasste. Man könnte sagen, es war Fluch und Segen zugleich, denn durch meine etwas schräg-humorvolle Art war ich deutlich furchtloser, und das war mir schon in so manchen Situationen zugutegekommen.
Aber zurück zu dem guten Doktor. Ich hatte ihn zuletzt auf der Party zum Praxisjubiläum gesehen. Er hatte auf mich wie immer gut gelaunt und mit sich und der Welt zufrieden gewirkt. Das war, dem Anlass entsprechend, aber auch zu erwarten gewesen. Mit seiner Frau Brigitte hatte ich bislang nichts zu tun gehabt. Ebenso wie ihr Mann war sie leicht untersetzt, hatte eine spitze Nase – das fiel mir bei unserem ersten Treffen sofort auf –, dafür sehr schöne und gerade Zähne, was wohl zum Prestige eines Zahnarzthaushalts gehörte. Soweit ich wusste, war das Paar kinderlos geblieben. Abgesehen vom Jubiläum, hatte Dr. Hammerbichel gemäß Ankes Aussage einen oder zwei Tage davor seinen sechzigsten Geburtstag feiern dürfen. Entsprechend üppig fielen die Geschenke an besagtem Partyabend aus. Ich erinnerte mich, mehrere geschmackvolle Blumenarrangements mit Strelizien oder Anthurien, Cognacgläser aus Kristall und eine kleine goldene Kaminuhr gesehen zu haben, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.
Seine Praxisräume befanden sich am Meyernberg, dem westlichsten Stadtteil Bayreuths. Soweit mir bekannt war, lag sein Wohnhaus im nahen Eckersdorf. Ganz in der Nähe zum Schloss Fantaisie und den zugehörigen Parkanlagen.
Gleich nach meiner Frühstücksschicht radelte ich mit meinem alten Hollandrad, das ich innig liebte, in besagte Richtung. Bereits der Meyernberg ließ mich in die Pedale treten, aber der Matzenberg, der auf dem Weg nach Eckersdorf bezwungen werden musste, forderte dann erst richtig meine Kräfte. Getreu nach dem Motto: ›Wer sein Rad liebt, der schiebt‹, überwand ich die letzten Meter zur Anhöhe dann zu Fuß. Die Mittagssonne schien und heizte meinem ohnehin schon erhitzten Körper noch zusätzlich ein.
Wenig später stand ich vor einem Einfamilienhaus mit heller Ziegelfassade und schieferschwarzen Fledermausgauben, das der Bauart nach schätzungsweise aus den achtziger Jahren stammen musste, und drückte beherzt auf den Klingelknopf. Links und rechts neben der schwarzbraun-verglasten Haustür befand sich eine großzügige ovale Einfassung, in der je eine Busch-Kiefer, eine große Azalee, eine Yuccapalme und irgendwelche grünen Bodendecker Platz fanden. Alles in allem vermittelte das Haus samt Grundstück dem Betrachter den Eindruck, dass hier Leute wohnten, die finanziell gut gepolstert waren. Nun ja, wer zu Ankes Freundes- oder Bekanntenkreis gehörte, war das auch. Aber bevor ich weitere Überlegungen anstellen konnte, schwang die Tür auf und Brigitte Hammerbichel stand mir gegenüber.
»Ja?«
»Frau Hammerbichel, ich wollte Ihnen mein Beileid zum Verlust Ihres Mannes aussprechen.«
Einen Moment lang starrte sie mich an. Sie trug ein schwarzes Kleid, und ihr Gesichtsausdruck schien ausdruckslos. »Wer sind Sie?«
»Oh, ich vergaß mich vorzustellen. Wir sind uns bisher nur flüchtig begegnet. Ich bin Kati Blum, die –«
»Ah, Ankes Schwiegertochter. Bitte, kommen Sie doch rein«, forderte sie mich sofort auf und trat beiseite. Manchmal konnte der Name Blum durchaus hilfreich sein.
»Bitte.« Sie führte mich ins Wohnzimmer, dessen Einrichtung zwar nicht gerade modern war, dafür aber ordentlich und sehr gepflegt. Zögernd setzte ich mich aufs Sofa.
»Möchten Sie eine Tasse Kaffee oder Tee?«
Ich wählte natürlich Kaffee. Während ich wartete, hatte ich Zeit mich umzusehen. Ein Stapel Kondolenzkarten lag ausgebreitet am Couchtisch, während im krassen Gegensatz dazu im Wohnzimmerschrank, der sich die gesamte Seitenwand entlang zog, die Glückwunsch- und Geburtstagskarten sauber aufgereiht standen. Am Boden davor waren viele noch verpackte Geschenke abgelegt worden, zwischendrin standen drei große Fresskörbe. Gleich vor dem ausladenden Fenster, das den Blick in den Garten freigab, befand sich eines der Blumengestecke, das ich bei der Jubiläumsfeier schon bewundert hatte. Die kleine goldene Kaminuhr sah ich nirgendwo.
Frau Hammerbichel stellte ein kleines Tablett auf dem Tisch ab und nahm mir gegenüber im Sessel Platz.
»Danke. Wie geht es Ihnen?«
»Ach«, seufzte sie. »Sie wissen, wie das ist. Sie sind doch vor gar nicht allzu langer Zeit selbst zur Witwe geworden.«
Die Formulierung fand ich etwas seltsam. »Schon, aber nicht auf derart tragische Weise.«
Ich dachte daran, wie Thorsten im letzten Jahr einfach so umgefallen war, während er den Müll hinuntergetragen hatte. Und da sollte jemand mal sagen, dass Hausarbeit keine Arbeit und nicht anstrengend war! Aber da sprach schon wieder mein schwarzer Humor aus mir.
Sie zuckte mit den Schultern. »So zu sterben ist vermutlich wirklich nicht schön. Kurz und schmerzlos wahrscheinlich eher, aber nicht so brutal. Ach, keine Ahnung.«
Ich runzelte die Stirn. »Was meinen Sie mit ›brutal‹?«
Mir wurde klar, dass ich bisher nicht einmal wusste, wie genau der Doktor umgebracht worden war. Nachdem ich den Zeitungsartikel gelesen hatte, war ich irgendwie automatisch davon ausgegangen, dass er … na, eben einfach leblos auf einem seiner Behandlungsstühle vorgefunden worden war. Unblutig, vielleicht Genickbruch oder sowas.
Brigitte Hammerbichel sah mich reglos an. »Habe ich das gesagt?«, fragte sie dann und schüttelte den Kopf. »Bitte vergessen Sie, was ich gesagt habe. Der nette junge Mann bat mich, nicht darüber zu sprechen.« Sichtlich unwohl strich sie sich mit der rechten Hand über ihren linken Unterarm.
»Meinen Sie Herrn Winkelmann?«