plusquamperfekt - Michael Amber - E-Book

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Michael Amber

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Beschreibung

Festivals und ihre Eigenheiten. Zu ihnen gehört neben viel Musik und bewusstseinsverändernder Getränke und Substanzen fraglos auch das morgendliche Aufwachen und die Frage nach dem Warum. Dixi-Klos und permanente Beschallung mischen sich mit Mahlzeiten, die im normalen Leben nicht den Weg auf den Esstisch finden würden. Dazu der Normalität des Alltags entrückte Menschen sowie Gerüche, die in der westlichen Zivilisation eher nur noch selten wahrgenommen werden. Frank wagt spät den Sprung in diese Parallelwelt. An Job, Ehe, Kinder und Heim ist bereits der Haken dran. Flüchtige Bekannte einer Party werben ihn an und nehmen ihn mit. Eine innere Kraft schiebt ihn in eine Richtung, die ihm bisher verborgen geblieben ist. Ein Strudel der Ereignisse lässt ihn sich neu kennenlernen.

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„We are the young with a modern attitude breakin´ down the walls - breakin´ all the rules“

(Dan Hartman)

Inhaltsverzeichnis

KOPFSCHMERZEN

TRAUER UND TRETBOOT

IZABELLA MIT ‚Z‘

KAPUZIS UND LÖWEN-T-SHIRTS

DIXIE-KLO-LA-OLA

BÖSCHUNGSBRAND

KONZERT

ZURÜCKKOMMEN

ANFAHRTSSTAU

KUSSMUND KINGSIZE

DER AUFTRAG

TREFFPUNKT BIERBUDE RECHTS VOR DER BÜHNE

PARTY

DIKTATUREN

ERWACHEN

Kopfschmerzen

Frank erwachte. Ein Geräusch riss ihn aus dem nur leichten Schlaf. Zunächst öffnete sich nur das linke Auge. Das reichte bereits. Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Kopf. Frank schloss das Auge sofort wieder. Es änderte sich nichts. Eine tonnenschwere Steinplatte drückte auf das Innere seines Kopfes, gepaart mit leichtem Schwindel. Frank versuchte sich zu organisieren, irgendeinen Plan zu machen.

„Wo sind die Tabletten? Wasser zum Nachspülen? Wasser zur Bekämpfung des Lederhalses. Verdammt, die Blase drückt auch. Jetzt aufstehen? Das ist das Ende.“

Egal. Er musste etwas tun. Langsam erhob er sich und versuchte, das Feuerwerk in seinem Hirn zu ignorieren. Mit leicht zitternden Fingern streckte er die linke Hand vor und fischte eine Ibu aus der Kulturtasche. Das kühle Nass aus der Plastikflasche entspannte ihn. Frank sackte wieder auf seine selbstaufblasbare Luftmatratze, die er vor ein paar Tagen in einem Campingshop im Gewerbegebiet am Stadtrand erworben hatte und erwartete das Einsetzen der Wirkung seiner Gegensteuerung. Aber nach nur wenigen Sekunden erhob er sich wieder. Die Blase drohte zu platzen. Er schälte sich aus dem Schlafsack, den er sich von dem eifrigen Verkäufer mit den blendend weißen Zähnen zusammen mit der Matratze aufschwatzen ließ und öffnete den Zelteingang.

Als er stand, verstärkte sich der Schwindel. Zusätzlich stellte sich ein Brennen in den Augen ein, welches durch die Helligkeit noch zunahm. Frank ließ den Kopf hängen und stützte sich mit den Händen auf dem Knie ab, kam aber schnell wieder hoch, da sich jetzt alles noch schlimmer drehte. Langsam setzt er sich in Bewegung. Schritt für Schritt. Vorbei an Zelten, Gartenpavillions und Campingstühlen für 8,99 Euro aus dem Baumarkt.

Ein Tetrapack platze, als er unabsichtlich darauf trat. Die restliche Pfirsich-Eistee spritze über den trockenen Boden, der das Zuckerzeug begierig aufsaugte. Die Entfernung zur naheliegenden Dixi-Kloreihe taxierte Frank auf 200 Meter. Die Zeit, die er dorthin brauchte, kam ihm aufgrund seiner Verfassung vor wie eine Ewigkeit. Die letzten Meter rannte er, bis er endlich sein Ziel erreichte. Die Farbe der Dixis wirkte matter als gestern. Im schmutzigen Petrol standen sie in der Morgensonne da, als hätte sie der erste Festivaltag auch äußerlich ruiniert und der Regen vom Abend sie nicht reingewaschen, genauso wie ihn selbst. Vor ihnen standen Leute in einer Schlange an. Sein Muskel drohte zu versagen. Er konnte es nicht mehr anhalten und zwängte sich zwischen zwei Dixireihen. Die Entspannung der Erleichterung durchströmte seinen Körper und ließen ihn für einen kurzen Augenblick sogar den Hubschrauber vergessen, der immer noch seine Rotorblätter tief in sein Hirnfleisch senste.

Als er aus dem Schutz der bleichen Reihen hervorkam, blickten ihn einige Schlangensteher aus ihren roten Augen mit schwarzen Ringen darunter ob seines Verhaltens angewidert an. Frank entschuldigte sich wortlos mit einem Schulterzucken. Er suchte den Weg zurück zu seinem Zelt. Zwischen der St. Pauli Totenkopfflagge und dem Fahnenmast, auf dessen Spitze eine aufgeblasene Gummipuppe steckte, war es aufgebaut. Zunächst ging er in die falsche Richtung, da auch dort eine Kiezclubflagge wehte. Er bemerkte seinen Fehler und drehte wieder um. Am Rand des Trampelpfades stand ein junges Mädchen und hielt ein Schild hoch. Frank blickte auf, um die Aufschrift zu lesen. „Ich halte ein Schild hoch.“ stand darauf und brachte ihn zunächst zum Stutzen und schließlich zum Schmunzeln.

„Alter was hängen hier doch für komische Leute herum.“ dachte er und schüttelte den Kopf. Trotz der Entbehrungen fühlte sich Frank pudelwohl. Er fragte sich, was er sonst jetzt machen würde, statt hier zu sein. Im Supermarktchaos kurz vor oder am Wochenende in der Schlange vor der Kasse stehen, vielleicht auch im Garten mit guter deutscher Chemie Läuse von den Rabatten vertreiben. Oder eines er Kinder vom Übernachtungsgeburtstag abholen. Natürlich mit der obligatorischen Tasse Kaffee beim Vater oder der Mutter des Geburtstagskindes, die froh waren, dass der alljährlich wiederkehrende Horror vorbei war.

Zurück beim Zelt sank Frank auf eine der beiden Bierzeltgarnituren. Sie waren wie die Zelte rundum mit einer Staubschicht bedeckt. Die morgendliche Kühle ließ ihn erschaudern. Er vergrub seinen Kopf in den Händen. Einige Eindrücke des vergangenen Tages schwirrten durch sein Gedächtnis und er versuchte sie zu ordnen. Eine auf einem Pappteller angerichtete undefinierbare Masse aus Tacochips, Hack, Mais und Guacamole - genannt Tex-Mex-Tallrit - hatte ihn am gestrigen Abend gerettet. Die vorherige Druckbetankung mit allerlei holländischem Bier wurde durch diese Masse so einigermaßen aufgefangen. Allerdings bereute er jetzt, dass er die in der Fressbude auf der Theke stehenden aus einer großen Blechdose je nach Geschmack selbst zu entnehmenden Jalapenos großflächig auf den Zutaten seiner Mahlzeit verteilt hatte. Als Spätfolge kam nunmehr Sodbrennen auf und bereitete ihm Schwierigkeiten. Frank versuchte dies so gut es geht zu ignorieren. Ablenkung verhalf ihm dabei die Beobachtung von zwei zwischen den Zelten hin- und her wankenden jungen Burschen. Sie irrten planlos umher. Plötzlich blieb der eine stehen und kratzte sich am Kinn, welches mit einem Ziegenbärtchen veredelt war. Zum anderen Burschen gewandt sagte er:

„Scheiße Alter, lass uns die Suche aufgeben. Wir finden die anderen sowieso nicht.“

Der andere Bursche antwortete nicht. Stattdessen nickte er und beide sanken zwischen zwei Zelten fast zeitgleich nebeneinander nieder. Frank war neugierig, erhob sich und warf einen Blick auf den Ort, wo eben noch die beiden Jungen standen. Sie waren nicht vom Erdboden verschluckt worden, sie lagen ohne Matte oder Decke auf ihm. Der kleinere in den Arm des anderen gekuschelt. Keine Minute war vergangen, da vernahm Frank schon ein Schnarchen.

Der Himmel war wolkenverhangen, aber es regnete nicht. Frank erkannte vereinzelte Vögel hoch in der Luft. Ein Blick auf seine alte, aber unverwüstliche Swatch verriet ihm die Uhrzeit. Es war halb sieben.

„Ach du Schande. Das reicht noch nicht.“ dachte er und beschloss, sich nochmal hinzulegen. Er verschwand in seinem Zelt und schlüpfte in den noch warmen Schlafsack.

Trauer und Tretboot

Die Sonne schien. Eigentlich kein Wetter für eine Beerdigung. Das dachten alle. Die Frauen um Birgit, der Pastor und die Kirchendiener, die die Urne über den langen Hauptweg hin zum Grabfeld III/B 4 brachten. Und die anderen, die sich kurz darauf auf der Urnengemeinschaftsgrabanlage vor einer Öffnung in der Erde versammelten.

Frank hörte nicht zu, was der Pastor am Grab sagte. Er betrachtete die um das Loch stehenden Trauernden, als plötzlich die Beine der Witwe nachgaben. Zwei Vertraute fingen Birgit auf, die einen Weinkrampf bekam. Der Pastor redete unbeirrt weiter. Der Psalm 121, 3-8 schien sein Favorit zu sein.

Frank schätzte die Zahl der Anwesenden auf mindestens hundert Leute. „Nein, es mussten mehr sein“, dachte er, „denn die Kapelle fasst nicht mehr.“ Zudem standen noch einige draußen, die keinen Platz mehr gefunden hatten.

„Je jünger der Gestorbene, desto mehr Leute sind da.“ hatte ein älterer Herr in Richtung seines Nachbarn geflüstert.

Viele der Anwesenden kannte Frank nicht. Vielleicht waren ja auch Friedhofstouristen dabei, denn es war eine historische Sehenswürdigkeit. Die Anlage lag auf einem städtebaulichen Filetstück am Rande der Innenstadt. Eine denkmalgeschützte Steinmauer umzog sie und am Haupteingang an der Nordseite gewährten oder verwehrten schmiedeeiserne Tore den Einlass. Obwohl es nur wenig Grünflächen gab, wirkte das alles wie ein Park. Alter Baumbestand zwischen den Grabfeldern erzeugte dieses Gefühl. Die Kapelle, in der eben noch die Andacht stattgefunden hatte, lag genau in der Mittel des Friedhofes. Alter Backstein, schön verziert. Zwischen zwei Predigtabschnitten hatte ein portabler CD-Player ‚Winds of Change‘ von den Scorpions gespielt.

„Der Song kommt nicht bei jedem an.“ dachte Frank und versuchte, Klaus Meines Pfeifen bestmöglich zu überhören. Jetzt wurde die Urne in die Erde gesenkt.

„Heute sind Urnen aus Hanf.“ hörte Frank es hinter sich tuscheln.

„Hanf, echt?“ kam zurück.

„Ja, ich weiß schon, was Du jetzt denkst.“

Der Pastor warf als erster mit eine kleinen Schippe Sand in die Grube und murmelte etwas, was Frank nicht hören konnte. Langsam bildete sich eine Schlange von Menschen, die Abschied nehmen und ebenfalls Erde oder eine Rose platzieren wollten.

Nicolas war kurz vor seinem 40. Geburtstag gestorben. Krebs. Ging aber schnell. Er war ein Nachbar von Frank und dessen Frau Carina, die nicht mit zur Beerdigung wollte. Frank dagegen hatte das Bedürfnis, sich zu verabschieden. Obgleich er mit Nick, wie Nicolas von allen genannt wurde, eigentlich nur wenig zu tun hatte, warf er sich in seinen schwarzen Anzug und kombinierte das weiße Hemd mit einem schwarzen Langbinder nebst schwarzen Slippern.

„Die Einschläge kommen näher.“ hatte ein anderer Nachbar gesagt, als die Neuigkeit von Nick´s Ableben die Runde durch die Straßen der Neubausiedlung machte.

„Die Einschläge kommen näher.“ spukte seitdem in Franks Kopf herum. Er war im selben Alter.

Kurz darauf im Hotel Heide brachten die Kellnerinnen zwei unterschiedliche Arten von Tabletts. Auf der einen Fraktion war Butterkuchen mit und ohne Füllung, die anderen waren mit Brötchenhälften bestückt. Frank erkannte Kochschinken mit Mandarinenstücken, Käsescheiben -wahrscheinlich Gouda-, Lachs mit einem Spritzer Meerrettich und irgendeinen Mayonnaisensalat. Frank tippte auf den Klassiker, Fleischsalat. Aus weit entfernten Lautsprechern quoll undefinierbarer BarJazz. Am Tisch gegenüber saßen die zwei Männer, die vorhin über die Beschaffenheit der Urne gesprochen hatten. Frank erkannte sie wieder, denn er hatte sich wie einige andere umgedreht, um zu schauen, wer in diesem Moment der Trauer redet. Der eine trug eine dunkle Jeans und ein schwarzes Hemd von Venti. Der andere ignorierte die übliche Trauerbekleidung und war mit einer legeren Stoffhose und einem farbigen T-Shirt mit Tommy-Hilfiger-Aufdruck bekleidet. Sie erzählten Geschichten über Nick und sich, sie feixten und lachten. Die Themen rankten um Legenden aus der Schulzeit und um einem Fahrradunfall im angetrunkenen Zustand.

Wie aus heiterem Himmel gesellte sich ein dritter Mann dazu und die anderen bezogen ihn unmittelbar mit in das Gespräch mit ein. Es ging nunmehr um eine Mannschaftsfahrt mit der Fußballtruppe. Frank hörte den mit dem Ventihemd flüstern, dass einige Kameraden Nick vor Jahren mit einem Mädchen zwischen den Schwimmern eines Tretbootes ertappt hatten. Gedämpftes Lachen war die Folge.

„War Nick eigentlich jemals auf einem Festival?“ fragte Frank in einer Redepause in die Runde.

„Festival, wie kommst Du denn darauf?“ kam es spontan zurück.

„Nur so.“ entgegnete Frank und dachte wieder an die näherkommenden Einschläge.

Izabella mit ‚Z‘

Frank öffnete die Klotür und betrat den Innenraum der Kneipe. Er grinste noch über einen gerade gelesenen Klowandspruch mit einem Hirsch. Gerade begann eine Jazzversion von „Light my fire“, die von einer Frau gesungen wurde, die an Shirley Bassey erinnerte. Zu seiner Linken war eine Theke angeordnet, die an der Rückwand zwischen gut gefüllten Gläser- und Flaschenregalen mit allerlei Schnickschnack ausgestattet war. Ein Schild mit einer Uhr mit lauter Vieren, die wie die eigentlichen Zahlen um die Zeiger angeordnet waren, unter der „Kein Bier vor Vier“ stand, hielt seine gute Laune aufrecht.

Frank wandte sich nach rechts und drang im Raum nach hinten vor. Er erblickte in einer abgelegenen Nische einen Kicker. Interessiert schaute er drei Männern und einer Frau mit Glatze zu und überlegte kurz, mit einzusteigen. Nach drei Ballwechseln wusste er, dass sich hier der Herausforderer-Euro nicht lohnte.

Die Spieler streichelten die Bälle zunächst, um sie dann urplötzlich mit Lichtgeschwindigkeit in das Tor der Gegner zu befördern. Und dabei stellte die Frau ohne Haare die Männer noch locker in den Schatten.

„Nicht deine Liga.“ dachte Frank und wandte sich wieder herum, während er einen gerade frei gewordenen Stehtisch erblickte. Er zog einen freistehenden Hocker zu sich und bemerkte dabei gar nicht, dass eine Frau im genau gleichen Augenblick dasselbe tat. Sie stießen leicht gegeneinander.

„Sorry.“ sagte Frank, bekam aber keine Reaktion. Die Musik hatte inzwischen gewechselt. ‚Chinatown’ von Thin Lizzy erklang und wechselte nach dem eben eher ruhigen Song die Richtung in rockigere, fast harte Gefilde.

„Ich glaube, dass ich zuerst da war.“

Jetzt reagierte die Frau und gab Frank zu verstehen, dass sie den Platz beanspruchte.

„Was hältst Du davon, wenn wir uns den Tisch teilen?“ entgegnete er und lächelte die Frau an. Sie war recht klein von Statur, hatte aber etwas Besonderes an sich. Vielleicht lag das an den wunderbaren braunen Augen, die zu der asymmetrischen Kurzhaarfrisur einen Kontrast bildeten. Sie war mit einer Jeans über der ein Wickelrock gespannt war und ein T-Shirt mit der Aufschrift ‚Little Miss Sunshine’ gekleidet. An den Füßen hatte sie farblich unterschiedliche Chucks.

„Hmmm, muss das?“ antwortete sie und Frank erblickte in einem kurzen Augenblick bei ihr ein Zungenpiercing. Eigentlich stand er gar nicht auf dieses Blech im Gesicht, aber an dieser Frau wirkte es total cool. Er stellte sich die Frage, ob sie wohl auch tätowiert war. Vielleicht ein Schmetterling auf einem Schulterblatt. Vielleicht aber auch ein Drache über die gesamte Fläche ihres bestimmt schönen jugendlichen Rückens.

„Hallo, muss das sein?“ holte die Frau Frank zurück in das Gespräch. Wobei es hier eigentlich kein Gespräch war, eher eine Auseinandersetzung um den Stehtisch. Und damit gab sie Frank zu verstehen, dass sie ohne seine Gesellschaft bleiben wollte. Frank war trotz der ablehnenden Haltung angenehm beeindruckt und antwortete:

„Ja ich möchte gerne hierbleiben und mit Dir einen wunderbaren Abend verleben.“ Er sprach es aus und wunderte sich flugs über sein Gesagtes.

„War ich das?“

Die Frau blickte ihn an und antwortete spontan und sofort:

„Was soll denn diese Chauvi-Scheiße?“

Frank war sich bewusst, dass seine Reaktion tief aus dem Unterbewusstsein hervorgesprudelt war.

„Eigentlich wollte ich nur ausdrücken, dass ich an Deiner Gesellschaft hier eins oder mehrere Biere trinken möchte.“

„Ich glaub das nicht. Wie bist Du denn drauf?“ kam zurück.

„Ich bin ein verheirateter Mann mit zwei Kindern, einem Haus und einem Passat-Kombi, der einfach nur die Welt fühlen will. Ich will Dich nicht ärgern, beleidigen oder auf irgendeine Art und Weise belästigen.“

Pause.

Die Frau schoss nicht zurück. Frank hatte sich auf ein „Verpiss Dich!“ eingestellt, aber die jetzt folgende Reaktion traf ihn unvermittelt:

„O.K., du komischer Spacken. Dann lehne Dich zurück und genieße die Aussicht.“

Sie grinste und spielte damit noch eine Karte ihrer Attraktivität aus. Sie brauchte keine Schminke, kein Dekolleté und keinen in die Hose geschossenen Prachtarsch, um zu beeindrucken. Ihr Lächeln war bezaubernd. Im Hintergrund begann ein Chillversion von „I was made for loving you“. Frank erkannte es erst am Refrain. Wahrscheinlich von einem Cafe del Mar-Sampler, dachte Frank und warf einen prüfenden Blick in die Umgebung. Der von ihm durchquerte vordere Teil des Etablissements war für die Nichtraucher, der hintere, mindestens genauso groß, wenn nicht sogar der größere Teil war dagegen mit Aschenbechern ausgestattet. Dort stand vor dem Kicker ein Billardtisch mittig im Raum. Sowohl im vorderen als auch im hinteren Teil waren alle Stehtische und auch alle Hocker mit Gästen besetzt. Frank fiel auf das die Kundschaft in der Kneipe stark gemischt war. Die Bandbreite reichte vom Studenten bis hin zu nickelbebrillten Menschen des Bildungsbürgertums. Auch Punks und absolut Mainstream gekleidete Leute waren darunter.

„Was machst du hier? Bist du von hier?“ fragte die Frau.

„Bin auf Dienstreise.“ entgegnete er und hielt ihr die rechte Hand entgegen.

„Frank.“

„Izabella. Mit Z!“ kam es aus der Pistole geschossen zurück und die Hände trafen sich. Sie hatte einen bestimmenden Händedruck. Fast zu viel für ihre zierliche Statur.

„Ein Seminar. Zwei Tage. Und ich bin jetzt schon sehr froh, hier herein gestolpert zu sein.

„Bist Du in der Midlifecrisis?“ grinste Izabella und kratzte sich an der Stirn.

„Nee, aber ich weiß gerade nicht mehr so richtig, was Trumpf ist.“ antwortete Frank.

„Ich will mit ein paar Kumpels auf ein Festival und meine Frau versteht es nicht. Sie hält es für völlig infantiles Verhalten.“

„Wieso denn das? Festivals sind doch total nett. Ich feiere die.“

Frank schätzte Izabella auf Mitte Zwanzig, sie könnte aber auch schon Anfang Dreißig sein.

„Ich war noch nie auf einem. Aber ich glaube nach allem, was ich gehört habe, dass es tatsächlich so ist.“

„Was machst Du denn für ein Seminar?“

„Irgend so einen Bankkram. Die Lebenszeit oder diese Zeit mit Dir ist zu kostbar, um damit zu langweilen.“ Frank wunderte sich erneut über seine Ausdrucksweise.

„Banker sieht man hier selten. Oder man erkennt sie nicht.“ warf Izabella ein.

„Ist vielleicht besser so. Sind viele Spießer dabei.“

Frank erkannte sich schon wieder nicht.

„Und du? Bist du auch einer?“

Frank tat so, als wenn er überlegte.

„Irgendwie schon. Jedenfalls bisher.“

„Und jetzt bin ich die Person, die dich auf den Pfad der Tugend bringt? Ey, dass rockt!“

Frank merkte, wie ihm diese Frau gefühlsmäßig immer näherkam. So etwas hatte er lange nicht erlebt. Und dieses Gefühl irritierte ihn.

„Was würdest Du machen, wenn ich Dich jetzt fragen würde, ob wir augenblicklich zu mir gehen würden?“

Bums! Das saß.

Frank wartete mit der Antwort. In seinem Kopf ging ein Feuerwerk los.

„Was geht denn hier ab?“ dachte er.

„Was wollt ihr trinken?“ fragte der Barmann, ein Anfang zwanzig dünner Typ mit einer am Hinterteil freakig herunter hängender Hose und einer Melone wie John Bonham von Led Zeppelin auf dem Kopf. Frank reagierte instinktiv sofort und stieß hervor:

„Ein Bier. Pils Null Drei.“

„Und Du?“ fragte die Melone nachdem er sich Izabella zugewandt hatte.

„Wir nehmen zwei Tequila.“

Die Bestellung des zwei Meter Hünen mit blauen Haaren, einem Nasenring und einer abgewetzten Lederjacke traf Frank wie ein Keulenschlag.

„Das ist Raffael.“ sagte Izabella und schmiegte sich vertraut an ihn.

„Fffffr….ank.“ stotterte Frank und verstand die Welt nicht mehr.

„Was würdest Du tun?“ wiederholte Izabella ihre eben gestellte Frage. Inzwischen erfüllt ‚Soul Storm’ von Patrice den Raum mit Klang. Frank überlegte fieberhaft, wie er am besten aus dieser emotionalen Zwangslage herauskommen sollte.

„Keine Ahnung.“ rang er um Fassung. Nach einer kurzen Pause fuhr er aufgeregt fort:

„Wahrscheinlich würde ich sagen, dass ich es für eine verdammt gute Idee halte, aber dann würde mich der Mut verlassen und ich würde vorschlagen, noch eine Lage zu trinken zu bestellen.“

„Das habe ich mir gedacht. Du bist echt mittendrin.“

„Wo drin?“ fragte Raffael.

„In der Midlifecrisis.“ antworteten Izabella und

Frank gleichzeitig. Sie lachten spontan.

Raffael tat gelangweilt.

„O.K. Da habt ihr wohl ein Thema und ich bin raus.“

„Jau, so sieht das aus.“ küsste ihn Izabella auf die Wange.

Das reichte jetzt. Frank kam mit der Situation nicht mehr klar.

„Ich wünsche euch noch einen schönen Abend.“ sagte er und erhob sich von seinem Hocker.