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Es geht nicht immer darum, für wen du sterben würdest. Manchmal geht es auch darum, für wen du töten würdest. Und ab und zu einfach nur darum, für wen du leben würdest.
Für Preppy und Dre war das Glück zum Greifen nah. Doch ein unachtsamer Moment genügt, dass plötzlich alles wieder auf dem Spiel steht. Dre ist verschwunden, und Preppy weiß nicht, ob er sie jemals wiedersehen wird. Doch aus dem fremden Mädchen von damals ist seine Liebe, seine Frau, seine Familie geworden - alles was zählt. Und Preppy wird nicht aufgeben, bevor er sie gefunden hat.
Er wird seine Familie retten - und sich bitter rächen!
"Preppy ist großartig!" Kylie Scott, Spiegel-Bestseller-Autorin
Band 7 der King-Reihe von USA-Today-Bestseller-Autorin T. M. Frazier
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Seitenzahl: 293
T. M. FRAZIER
Preppy
Er wird dich erlösen
Roman
Ins Deutsche übertragen von Anja Mehrmann
Es geht nicht immer darum, für wen du sterben würdest. Manchmal geht es auch darum, für wen du töten würdest. Und ab und zu einfach nur darum, für wen du leben würdest.
Für Preppy und Dre war das Glück zum Greifen nah. Doch ein unachtsamer Moment genügt, dass plötzlich alles wieder auf dem Spiel steht. Dre ist verschwunden, und Preppy weiß nicht, ob er sie jemals wiedersehen wird. Doch aus dem fremden Mädchen von damals ist seine Liebe, seine Frau, seine Familie geworden – alles was zählt. Und Preppy wird nicht aufgeben, bevor er sie gefunden hat.
Er wird seine Familie retten – und sich bitter rächen!
»Preppy ist großartig!« Kylie Scott, Spiegel-Bestseller-Autorin
Kurze Bemerkung zur Reihenfolge der Lektüre
Dieses Buch ist das siebte und letzteder King-Reihe. Um »Preppy – Er wird dich erlösen« vollständig verstehen und genießen zu können, ist es notwendig, die ersten sechs Bücher in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu lesen: »King – Er wird dich besitzen«, »King – Er wird dich lieben«, »Lawless«, »Soulless«, »Preppy – Er wird dich verraten«, »Preppy – Er wird dich zerstören« und schließlich »Preppy – Er wird dich erlösen«.
Für meine Leserinnen und Leser
»Die Grenzen, die Leben und Tod scheiden, sind unbestimmt und dunkel. Wer will sagen, wo das eine endet und wo das andere beginnt?«
Edgar Allen Poe, Lebendig Begraben
Es gibt die Art von Bösem, das tief in den Seelen der Menschen wohnt und sie zu grausamen Taten verführt; Dämonen flüstern sie ihnen ein, treiben sie dazu.
Das Böse kann subjektiv sein.
So habe ich es jedenfalls in meiner Zeit mit Preppy erlebt.
Nicht jede niederträchtige Tat entsteht auf dieselbe Weise. Nicht alle Menschen, die diese Dämonen in sich haben, beschließen, sie auf die Welt loszulassen. Es gibt Menschen wie Preppy, wie Bear, wie King, die es vorziehen, diesen Drang zu kanalisieren, ihn abzuschotten wie etwas, auf das sie nur bei Bedarf zurückgreifen.
Wenn sie bedroht werden.
Preppy ist zu beidem fähig: zu Grausamkeit und Mitleid, zu Mord und Erlösung. Er ist Opfer, Verbrecher und Held in einer Person. Ich glaube, er wird niemals begreifen, dass ihm das eine Macht verleiht, nach der die meisten Menschen nicht einmal zu streben wagen. Sein ganzes Leben lang ist er auf dem schmalen Grat zwischen Himmel und Hölle, Sünde und Heiligkeit, zwischen unendlicher Liebe und unerbittlichem Hass balanciert.
Dann ist er gestorben.
Und obwohl sein Atem auch im Tod nicht stillstand, fand er sich doch in der Hölle auf Erden wieder.
Preppy hatte allen Grund, genug Groll zu hegen, um niemals wieder von diesem dunklen Ort zurückzukehren. Er hätte sich vom Teufel in einen dieser Menschen verwandeln lassen können, die ihren Dämonen fraglos folgen.
Ich will nicht sagen, dass Preppy gebrochen worden war. Gebrochen ist das letzte Wort, mit dem ich ihn beschreiben würde. Dazu ist er zu wild. Zu unberechenbar.
Zu sehr Preppy.
Wer Preppy zu brechen versucht, könnte ebenso gut den Wind an die Leine legen.
Dennoch hatte er diese unheimliche Ruhe an sich. Er wirkte konzentriert. Ja, genau. Wenn man hinter sein Lächeln und seine Witze blickte, sah man jemanden, der sich nicht in die Karten schauen ließ und genau wusste, wann er sie ausspielen musste.
So wie jetzt.
Während der Schrei meines Sohnes noch in meinem Kopf widerhallte, wusste ich, dass Preppy kommen und mich holen würde. Er würde seine Karten spielen.
Und gewinnen.
Man sagt, der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.
Der Weg zurück wird mit Blut gepflastert sein.
Ruckartig kam ich wieder zu Bewusstsein, denn mein Kopf knallte an die Seitenwand der Falle, in der ich saß. Ich schlug die Augen auf, aber nichts als Dunkelheit starrte mir entgegen. Das gelegentliche Rumpeln und Summen eines Motors verriet mir, dass ich mich in einem Fahrzeug befand, aber nicht in der Fahrerkabine.
Ich lag im Kofferraum.
Meine Hände und Füße waren aneinandergefesselt. Jemand hatte mir einen Knebel so fest um den Kopf gebunden, dass ich den Mund nicht schließen konnte und gezwungen war, auf die Kugel zu beißen.
Mein Herz raste. Ich spürte, wie meine Finger kalt wurden. Ich fühlte mich benommen, und als ich zu schlucken versuchte, stellte ich fest, dass es unmöglich war.
Bloß keine Panik.
Ich atmete tief durch und konzentrierte mich auf die Bilder von Preppy und Bo in meinem Geist. Plötzlich gewann ein Gefühl intensiver Konzentration die Oberhand. Die Entschlossenheit, mich aus diesem Kofferraum zu befreien und zu meiner Familie zurückzukehren.
Aber wie? Irgendwann würde irgendjemand den Kofferraum öffnen. Ich musste bereit sein.
Um meine Fingerspitzen und nackten Füße herum tastete ich nach etwas, das ich als Waffe benutzen konnte, aber ich wurde bald enttäuscht.
Der Kofferraum war leer.
Vor Frustration und Angst hämmerte ich mit gefesselten Handgelenken gegen den Sarg auf Rädern und hörte erst auf, als ich mich plötzlich an etwas erinnerte.
»Andrea, wie ist die Katze in den Kofferraum des Wagens gekommen?«, fragte mich mein Dad.
»Keine Ahnung«, flötete ich und wand mich vor Verlegenheit, als er auf einen Knopf an seinem Schlüsselanhänger drückte und das Schloss sich entriegelte. Mr Wiggles fauchte und sprang aus dem Wagen, als hätte ihn jemand herauskatapultiert. Er blickte mich mit sehr katzenhafter Geringschätzung an und stolzierte zurück ins Haus, wo er zweifellos einen Haarball auf mein Kissen würgen würde, um sich an mir zu rächen.
»Mach das nicht noch mal, hörst du, Andrea?«
»Ich schwöre, ich tu’s nie wieder.« Ich musste mir einen anderen Ort suchen, um Luftschutzbunker zu spielen. Ein Ort, der sich nicht automatisch verriegelte, wenn ich ihn schloss.
»Gut.« Mein Dad nickte, offenbar zufrieden mit meinem Versprechen. Er beugte sich vor und zog leicht an meinem Zopf. »Ich glaube nämlich nicht, dass die Notentriegelung für Katzen geeignet ist.«
Als ich mich an die Worte meines Vaters erinnerte, tastete ich erneut mit den Fingerkuppen im Kofferraum herum, immer verzweifelter wegen meiner gefesselten Hände.
Ich wusste nicht, wohin sie mich bringen wollten, aber ich wusste, dass mir nicht viel Zeit blieb. Wenn ich jetzt nicht handelte, würde ich den Plänen irgendeines Psychos zum Opfer fallen, der dumm genug war, mich zu entführen.
Preppy würde das Arschloch finden und vor nichts zurückschrecken, wenn es darum ging, den Typ bezahlen zu lassen. Der Gedanke trieb mich an, während ich meine Suche fortsetzte. Meine Verzweiflung wuchs. Ich rollte mich auf den Bauch und schob die Finger so weit wie möglich unter den Teppichboden, mit dem der Kofferraum ausgekleidet war. Ich keuchte vor Entzücken in meinen Knebel, denn endlich berührten meine Finger einen Gegenstand aus Plastik. Ich grunzte und tastete mich weiter vor, immer weiter, bis ich die Finger schließlich in die Öffnung stecken konnte.
Jetzt oder nie.
Ich musste mich mit gefesselten Händen und Füßen aus dem Kofferraum wälzen. Durchaus möglich, dass mich jemand anfuhr oder dass ich beim Aufprall sterben würde. Doch ich schob den Gedanken beiseite und konzentrierte mich wieder auf die einzigen beiden Menschen, die mir auf dieser Welt etwas bedeuteten.
Ich drückte mit aller Kraft auf den Hebel in der Öffnung.
Zuerst passierte gar nichts, doch dann versuchte ich es noch einmal, schob und drückte, bis ich das Gefühl hatte, dass mir gleich eine Ader am Hals platzen würde, und endlich öffnete sich der Kofferraumdeckel über mir. Warmer Wind wehte heran und hüllte mich ein, blies mir das Haar ins Gesicht. In der schwülheißen Nachtluft bildeten sich sofort Tropfen auf meiner Haut.
Mir blieb keine Zeit, auch nur bis zehn zu zählen. Keine Zeit, über die Konsequenzen nachzudenken. Ein offener Kofferraum würde nicht unbemerkt bleiben.
Und so war es.
Mit kreischenden Bremsen kam der Wagen zum Stehen, während ich noch dabei war, mich hinauszuwälzen und auf dem Rand zwischen Kofferraum und Stoßstange lag. Dann flog ich durch die Luft und überschlug mich mehrmals. Die Haut an meinen Armen und Beinen schien in Flammen zu stehen, so sehr brannte es, als ich auf die Straße knallte und über die scharfen Muschelstückchen schrammte, die in den Asphalt eingebettet waren.
Dann endlich blieb ich liegen. Bremslichter erleuchteten meine verschwommene Sicht. Ich hörte, wie eine Wagentür sich öffnete, gefolgt vom Geräusch von Schritten, die auf dem Pflaster immer näher kamen.
PREPPY
Ich unterhielt mich gerade mit King und Bear am Lagerfeuer über die Zukunft der Granny-Treibhäuser, als Bo hinter mir auftauchte und an meinen Hosenträgern zog. »Hey, Kumpel«, setzte ich an, verstummte aber beim Anblick seines von Tränen verschmierten Gesichts. Ich ging in die Hocke, sodass wir auf Augenhöhe waren, und stellte mein Bier auf dem Rasen ab. Zwar konnte er noch immer nicht sprechen, aber ich hatte ihn von Anfang an problemlos verstanden, und in diesem Augenblick erzählte er mir, dass etwas absolut nicht in Ordnung war. »Wo ist Mommy?«, fragte ich ihn, während mir das Herz in der Brust hämmerte.
Bo nickte und nahm mich bei der Hand. Er zog mich ins Haus, wo eine zerbrochene Weinflasche auf dem Boden lag; Rotwein war in jede Kerbe und jeden Spalt gesickert, die Spuren durchzogen die Küche wie rote Kanäle.
Erst als King die Stimme erhob, merkte ich, dass er und Bear uns gefolgt waren. »Was zum Teufel ist hier passiert?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass wir jetzt los müssen, verdammt«, antwortete ich. Ich drehte mich wieder zu Bo um. »Hast du gesehen, wer Mommy mitgenommen hat?«, fragte ich so ruhig wie möglich, um ihn nicht noch mehr zu verängstigen. Bo schüttelte den Kopf und rieb sich über Kopf und Gesicht. »Hat er eine Maske getragen?«, fragte ich ihn.
Bo nickte, und vor Furcht krampfte sich mein Magen zusammen.
»Wie viele?«, fragte ich.
Er hielt einen Finger hoch.
»Weißt du, ob es ein Mann oder eine Frau war?«
Bo griff sich in den Jeansstoff, der seinen Schritt bedeckte.
»Hast du gesehen, wohin sie gegangen sind?«, wollte ich wissen.
Er schüttelte den Kopf und fing an, auf der Stelle zu laufen.
»Braver Junge«, sagte ich und drückte ihn kurz an mich. »Gut, dass du weggerannt bist.«
Ich ließ Bo los und stürmte aus dem Haus und durch den Garten, wo die Party noch in vollem Gang war, als wäre mein Leben nicht gerade völlig aus der Kontrolle geraten, verdammt. Ich lief zu Kings Tätowierstudio. Dort nahm ich das Bild von der Wand, das den Safe verdeckte. Meine Hände zitterten, als ich die Kombination eingab; glücklicherweise klappte es gleich beim ersten Versuch. Ich fing an, King und Bear Waffen und Munition zuzuwerfen. Die beiden schnallten sich in Rekordzeit Pistolen um und verstauten Messer an allen möglichen Stellen ihrer Körper.
»Was ist los?«, fragte eine Stimme. Ich drehte mich um und sah Dres Dad in der Tür stehen. »Was soll das?«
»Nichts. Ich erklär’s Ihnen später«, zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Junge, ich bin nicht blöd.« Auf eine väterliche Art, die einschüchternd gewesen wäre, wenn ich nicht ich und er nicht er gewesen wäre, verschränkte er die Arme vor der Brust.
»Das weiß ich, Sir«, sagte ich. »Aber wir haben keine Zeit. Jemand hat Dre entführt. Mehr wissen wir nicht. Wir müssen los, und zwar jetzt.«
»Wir … wir sollten die Polizei rufen«, setzte er an, aber Bear unterbrach ihn: »Bei allem Respekt, Sir, aber das werden wir nicht tun.« Sein breiter Südstaaten-Akzent ließ jedes Wort klingen, als spielte seine Zunge damit. »Wir gehen mit solchen Dingen auf unsere Art um. Sie sind jetzt hier im dreckigen Süden.«
King steckte sich eine Pistole in den Bund und griff nach einer weiteren Knarre, ließ das Magazin einrasten und spannte zusätzlich den Hahn. »Wir holen sie zurück«, sagte er zuversichtlich.
Meine Freunde und ich schoben uns an Dres Dad vorbei. »Ich weiß nicht, was Dre Ihnen über mich erzählt hat«, rief ich über die Schulter, während er uns durch den Garten bis zur Zufahrt folgte.
»Sie hat mir genug erzählt, Junge, und es ist mir egal. Nichts davon spielt für mich eine Rolle.« Er zögerte. »Holt … holt einfach unser Mädchen zurück. Bringt sie mir wieder. Egal, um welchen Preis.«
»Hier, nimm die«, sagte Thia, die plötzlich mit dem Baby vor der Brust und in Begleitung von Ray auftauchte. Thia griff in ihre Wickeltasche und warf Bear zwei Pistolen mit pinkfarbenen Griffen zu. »Sind schon geladen«, sagte sie. Bear drückte ihr und dem Baby einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und trabte zu seinem Bike, wo er die Waffen in die Satteltasche schob.
»Schlüssel«, rief ich Ray zu, und ohne zu zögern, warf sie mir das Bund zu.
»Ich passe auf Bo auf«, sagte sie und lächelte traurig.
King und ich stiegen in Rays Pick-up, und das Geräusch von Bears Bike, das dröhnend zum Leben erwachte, erfüllte die Fahrerkabine, während wir auf die Straße abbogen und davonfuhren. Ich fuhr, und King hielt den Kopf aus dem Fenster auf der Beifahrerseite, suchte die Straße nach Anzeichen dafür ab, wohin Dre gebracht worden sein konnte.
»Wissen wir überhaupt irgendetwas über unser Ziel?«, fragte King.
»Nein. Aber wer sie auch entführt hat – er kann nicht weit gekommen sein«, antwortete ich. Am Ende der Straße tauchte Bear neben uns auf, zeigte nach links und bog dorthin ab. Ich fuhr in die andere Richtung und trat das Gaspedal durch, bis es den Boden berührte.
Wir waren gerade um die Ecke gefahren, da entdeckten wir einen Wagen, der mitten auf der Straße stand. Als wir näher kamen, raste er los, aber dann erregte etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Da lag etwas auf der Straße.
Nein, nicht etwas.
Jemand.
Heftig trat ich auf die Bremse und riss das Steuer nach links. Der Pick-up kippte auf die Seite. King prallte gegen mich. Während der Wagen über die Straße schlitterte, dachte ich nicht an das Metall, das sich um uns herum verbog und splitterte. In Gedanken war ich bei dem Haufen aus schwarzen Haaren und blasser Haut, der da mitten auf der Straße lag.
Ich hoffte nur, dass ich das Steuer nicht zu spät herumgerissen hatte.
»Also, Freunde«, sagte ich und lehnte mich in Kings Studio an die Wand. »Das ist der lustige Teil dieses Abends, an dem wir zusammengekommen sind, um herauszufinden, wer uns zu verarschen versucht und auf welche Art diese Leute sterben werden.« Ich zog das Messer, das ich mir um den Bauch geschnallt hatte, aus der und fing an, es mit einem Lumpen zu putzen, obwohl es bereits makellos glänzte und ich mein Spiegelbild in der Klinge sehen konnte.
Dre lag oben im ersten Stock; sie war ohnmächtig geworden. Sie hatte einige Schrammen, aber nichts war gebrochen. Bald würde es ihr wieder gut gehen.
Dem verfluchten Gott sei Dank.
Bear saß auf dem Rollhocker, den King beim Tätowieren benutzte. Er schüttelte sich eine Haarsträhne aus der Stirn, legte die Hände zu einem Dreieck zusammen, beugte sich vor, und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Ich habe immer schon gesagt, eine unbekannte Gefahr beseitigt man am besten, indem man erst mal alle bekannten Gefahren ausschaltet«, sagte er mit seiner ernsten Bikerstimme. Die, mit der er zu seinen Brüdern sprach, wenn die Kacke am Dampfen war.
»Dann lasst uns eine Liste machen«, schlug King vor. Seine massive Gestalt nahm jeden verfügbaren Zentimeter des Ledersofas in Anspruch, auf dem er mit gespreizten Knien saß. »Eine Liste der Leute, die auch nur den geringsten Grund haben könnten, uns und unseren Familien etwas anzutun.«
»Und dann?«, fragte ich. Mir dröhnte immer noch der Kopf, und ich kniff mir in die Nasenwurzel.
Bear zuckte mit den Schultern. »Dann bringen wir alle um.«
»Okay«, sagte King und verschränkte die Arme vor der Brust. »Indem wir alle beseitigen, die eine Bedrohung für uns darstellen, egal, aus welchem Grund, besteht die Chance, dass wir damit auch denjenigen ausschalten, der an Dre herankommen wollte.«
»Ausschlussverfahren«, sagte ich und bewegte den Gedanken in Kopf und Herz. Er gefiel mir immer besser, je tiefer er sich dort einnistete. »Obwohl ich nicht glaube, dass man so was üblicherweise mit Massenmord beginnt.«
Bear kicherte.
»Hinter Dre ist niemand her, also muss es definitiv jemand sein, der es auf mich abgesehen hat«, sagte ich.
»Was ist mit diesem anderen Typ, mit dem Dre zusammen war, als ihr euch kennengelernt habt?«, fragte King. »Der, den du nicht umgebracht hast.«
»Eric«, sagte ich, angewidert vom Klang seines Namens. »Bevor Dre das erste Mal abgehauen ist, hatte ich ihn schon aufgespürt, aber es war zu spät. Das Arschloch war schon tot.«
»Gut«, sagte King. »Der ist also raus. Wer noch?«
Bear räusperte sich und sagte: »Wir haben endlich die Adresse des Coroners, der deine Sterbeurkunde unterschrieben hat. Der stand bei Chop auf der Gehaltsliste, wie sollte es auch anders sein. Der Typ ist abgehauen, kurz nachdem sich in der Stadt herumgesprochen hatte, dass du noch lebst. Er hat geglaubt, er könnte sich vor uns verstecken, aber da hat er sich getäuscht. Smoke hat ihn in einem Komplex von Sozialwohnungen in Fort Romig ausgemacht, nur ungefähr eine halbe Stunde Fahrt die Küste entlang.«
»Nah genug, um ihn auch wegen gestern Nacht zu verdächtigen«, sagte ich.
King lachte höhnisch und ließ die Fingerknöchel knacken. »Das Arschloch hätte weiter weglaufen sollen.«
Ich nickte. »Er steht auf der Liste.«
»Der Typ von dem Bestattungsunternehmen, das sich um Chop gekümmert hat … der uns diesen Scheiß erzählt hat, von wegen ein offener Sarg käme nicht infrage, weil beim Einbalsamieren irgendwas schiefgegangen wäre. Um den hat sich Jake Dunn schon gekümmert«, sagte King und machte sich an der Schnalle eines der Ledergürtel zu schaffen, die er am Unterarm trug.
»Fuck, echt gut, dass wir dieses Arschloch haben«, sagte ich, trank einen Schluck Whiskey aus der Flasche und wischte mir mit dem Handrücken den Mund ab.
»Wer noch?«, fragte Bear. »Was ist mit Bos Mom?«
»Dre ist seine Mom«, korrigierte ich ihn mit schärferer Stimme als beabsichtigt.
»Du weißt schon, was ich meine, Prep. Seine leibliche Mutter. Die Schlampe, die ihn aus ihrer Muschi gedrückt hat«, ergänzte Bear.
»Die ist tot.«
»Du?«, fragte King, weil er wissen wollte, ob ich sie getötet hatte.
Ich schüttelte den Kopf. »Nope. Obwohl das durchaus naheliegend gewesen wäre. Das H, das ich ihr gegeben habe, nachdem sie den Adoptionsantrag unterschrieben hatte, hätte dafür gereicht. Die Schlampe muss das Zeug vertragen haben wie Robert Downey Junior, bevor er Iron Man wurde. Egal. Offenbar war ein Dealer dermaßen sauer auf sie, dass er ihr eine Axt in den Kopf gerammt hat.«
»Aua«, sagte Bear, aber das Arschloch grinste dabei.
»Ja, und ich dachte, ich hätte Kopfschmerzen«, sagte ich lachend. »Wie sieht’s mit der Krankenhauscrew aus?«
»Da herrscht absolutes Chaos«, sagte King verächtlich. »Das Personal zeichnet sich da gegenseitig die Kurvenblätter ab. Der Arzt, der damals für die Notaufnahme verantwortlich war, ist vor einiger Zeit an einem Schlaganfall gestorben. Dann haben wir rausgefunden, dass die Person, die zu dir kommt und dir sagt, dass dein Angehöriger tot ist, nicht unbedingt auch die ist, die ihn behandelt hat. Sie sind unterbesetzt und überarbeitet, also nehmen sie jeden, der bereit ist, irgendwas zu tun. War echt ’ne Katastrophe, das rauszukriegen. Mit dem ganzen Papierkram dreht man sich im Kreis und kommt auf keinen grünen Zweig.«
»Einer meiner Jungs fickt die Oberschwester vom Nachtdienst«, sagte Bear. »Er wird sehen, was er sonst noch rauskriegen kann.«
Ich zündete mir eine Zigarette an. »Der Doktor mit diesem dämlichen Smiley-Tattoo auf der Hand. Dr. Reid. Das Arschloch hatte auf jeden Fall was mit Chop zu tun. Wollte vielleicht über Dre an Preppy rankommen, um den Mist zu vertuschen, den er verzapft hat. Er bräuchte zwar riesige Eier, um das zu versuchen, aber möglich ist es natürlich trotzdem. Wir versuchen seit Monaten vergeblich, ihn aufzuspüren. Er hat im Krankenhaus gekündigt und ist verschwunden, aber wir werden ihn finden. Der taucht schon wieder auf. So läuft das doch immer«, sagte ich.
»Wer weiß, wer noch alles damit zu tun hat. Das war es ja, was uns so aus dem Konzept gebracht hat.« King zündete sich einen Joint an. »Wir müssten die komplette Belegschaft umlegen, um sicher zu sein, dass wir alle erwischt haben, die mit der Sache zu tun hatten.« Lachend reichte er den Joint an Bear weiter.
»Na ja, wir könnten ja …«, setzte ich an, aber Bear unterbrach mich, bevor ich noch ein Wort sagen konnte. »Nein, Preppy, das kommt verdammt noch mal nicht infrage.«
Ich seufzte. »Schon klar. Aber diese Sache macht mich echt fertig. Ich weiß, dass dieser Bullshit seine Zeit dauert, und ich weiß auch, dass wir die Verantwortlichen bezahlen lassen werden, und zwar reichlich.« Ich verstummte und betrachtete meine Hände. »Aber ein anderer Teil von mir findet, dass ich diese Psychopathin namens Rage anrufen sollte, wenn auch nur die geringste Gefahr besteht, dass einer von denen noch mal versucht, an Dre heranzukommen. Dann lasse ich sie dieses verdammte Krankenhaus nämlich in eine Million Teile sprengen.«
»Das könnte unser Plan B sein. Wie wär’s?«, fragte King.
»Abgemacht.« Ich rieb mir die schmerzenden Schultern und ließ die Nackenwirbel knacken.
»Alles okay mit dir, Prep?«, fragte King. Er war bei dem Unfall mit einem Kratzer über dem linken Auge davongekommen.
»Ja, aber es hatte eben nicht jeder so ein flauschiges Preppy-Kissen, auf dem er landen konnte«, sagte ich. »Wen haben wir noch?«
»Da Chop, Isaac und Eli von der Bildfläche verschwunden sind, bleiben nicht mehr viele übrig«, sagte King und wechselte einen Blick mit Bear.
»Raus damit?«, fragte ich. »Was verschweigt ihr mir?«
Bear räusperte sich. »Was ist mit Kevin?«
»Was soll mit ihm sein?«, fragte ich kurz angebunden.
King zuckte mit den Schultern. »Wir wissen nicht viel über ihn. Der Typ taucht auf und behauptet, dass er dein Bruder ist.« Er trank einen großen Schluck Bier. »Das heißt nicht, dass er mit der Sache zu tun hat. Dass er dein Bruder ist, wenn er das tatsächlich ist, gibt ihm keinen Grund, auf dich oder Dre loszugehen. Aber wir listen nur auf, was möglich ist, stimmt’s? Denn der Junge könnte durchaus dazugehören.«
»Was ist eigentlich mit ihm los?«, fragte Bear.
Ich kniff mir in die Nasenwurzel. »Hab noch nicht besonders viel mit ihm geredet. War zu sehr damit beschäftigt, dass Dre verschwunden war, und dann damit, sie wieder nach Hause zu holen. Und außerdem mussten wir Bo finden und ihn in Sicherheit bringen. Mit Kevin habe ich höchstens ein paar Worte gewechselt, und das auch nur, weil ich ihn loswerden wollte. Gestern Abend auf der Party habe ich ihn seit Ewigkeiten zum ersten Mal gesehen.« Ein merkwürdiges Schuldbewusstsein nistete sich in meinem Hirn ein. »Schätze, dieses Gespräch ist längst überfällig.«
»Was sollen wir mit ihm machen?«, fragte King.
»Überlass das mit Kevin einfach mir«, sagte ich.
Bear setzte sich aufrechter hin. »Und wie stellst du dir das vor? Willst du ihn umbringen?«
»Nein«, antwortete ich.
King und Bear warfen mir Blicke zu, die einerseits Mitgefühl, andererseits aber die Überzeugung ausdrückten, dass auch Kevin von der Bildfläche verschwinden musste.
Ich blickte zwischen meinen beiden Freunden hin und her.
»Jedenfalls noch nicht.«
Bremsen kreischten, laut und immer lauter. Ein schrilles, schürfendes Geräusch zerriss die Stille der Nacht. Die Luft roch nach brennendem Gummi.
Ich hob den Kopf gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ein schnell fahrender Pick-up vom Boden abhob und mit einem lauten Knall auf der Fahrerseite landete. Metall schrammte über das Pflaster. Orangefarbene Funken stoben von der Unterseite des Pick-ups auf, der weiter über den Asphalt schlitterte.
Direkt auf mich zu.
Ich schlug die Augen auf. Verwirrt stellte ich fest, dass ich mich in demselben Raum befand, in dem ich entdeckt hatte, dass Preppy noch lebte. Dieselben pinkfarben gestrichenen Wände. Dieselbe Barbie-Uhr an der Wand. Natürlich wurde mir schnell klar, dass ich mich in Max’ Zimmer befand.
Ich schlug die Bettdecke zurück und bemerkte, dass ich nur ein viel zu großes Button-down-Hemd und einen Slip trug.
Warum bin ich hier?
Ich forschte in meinem Gedächtnis nach dem Grund, warum ich im Zimmer von Max war, der Tochter von Ray und King, aber mein Kopf war wie leer gefegt. Vergeblich versuchte ich, die Arme über den Kopf zu heben. Die Schmerzen sorgten dafür, dass ich sie kaum auf Brusthöhe bekam.
Der Stoff des Hemds strich über meinen Oberschenkel, und vor Schmerz atmete ich zischend zwischen zusammengebissenen Zähnen ein. Ich hob den Saum und sah, dass der größte Teil meines Oberschenkels bis zur Arschbacke mit einem großen Verband bedeckt war.
Plötzlich überfluteten Erinnerungen an die Nacht zuvor mein wiedererwachtes Bewusstsein. Der Raum begann sich um mich zu drehen. Und da war ein saurer Geschmack hinten in meinem Mund, den ich offenbar nicht hinunterschlucken konnte.
Dass mir mein Traum so echt vorkam, hatte einen Grund.
Es war kein Traum.
Mit der Erkenntnis kam auch die Erinnerung. Der Pick-up. Der Fahrer. Ein Gewicht auf meiner Brust, der Gedanke, dass ich ihn vielleicht verloren hatte … es erdrückte mich.
Schon wieder.
»Neiiiin!!! Preppy!!! Neiiiin!!!«, schrie ich und fühlte, wir mir beim bloßen Gedanken an das, was hätte passieren können, das Herz brach. Ich sprang auf und hechtete zur Tür. Sie öffnete sich, bevor ich den Knauf drehen konnte, und vor mir stand das Schönste, das ich je gesehen hatte. Der Mann, den ich niemals wiederzusehen geglaubt hatte.
Nur langsam stellte sich Erleichterung ein. Ich befand mich noch im Zustand völliger Panik, als ich Preppy von Kopf bis Fuß musterte. Sein Oberkörper war nackt, Schnitte und Schrammen bedeckten seine Schulter und die linke Brust. Die Hosenträger waren ihm von den Schultern gerutscht und hingen zu beiden Seiten der Oberschenkel an den Hosenbeinen herab. Ich musterte ihn von Kopf bis Fuß, vom zerzausten Haar bis zu den nackten Füßen. Seine Augen waren blutunterlaufen, dunkle Ringe umgaben sie.
Ich streckte die Hand aus, und ein Teil von mir rechnete damit, dass sie einfach durch ihn hindurchgreifen würde wie durch ein Trugbild. Doch dann umgab mich die Wärme seiner Hand, und ich seufzte und schloss fest die Augen.
»Hast du mich gesucht, Doc?«, fragte Preppy. Obwohl seine Stimme leicht belustigt klang, lag tiefe Besorgnis in seinem Blick, als er mich zum dritten Mal, seit er die Tür geöffnet hatte, von oben bis unten musterte. Preppy zog die Augenbrauen hoch und zuckte zusammen. Behutsam strich er über die Naht, die einen fünf Zentimeter langen Schnitt über seinem rechten Auge zusammenhielt.
Erleichterung durchströmte mich, die Knie wurden mir weich. Preppy hielt mich an den Schultern fest, bevor ich hinfallen konnte, dann drückte er mich an seine Brust. Tränen stiegen mir in die Augen, und sosehr ich es auch versuchte, ich fand nicht die richtigen Worte, um auszudrücken, was ich empfand. Ich wusste gar nicht, was ich empfand. Mir war nur klar, dass ich ihn nie mehr loslassen wollte. »Bist du okay?«, fragte ich nervös. »Geht es Bo gut? Wo ist er?«
Preppy löste sich von mir und hob mein Kinn an, sodass ich ihm in seine bernsteinfarbenen Augen sehen musste. »Pssst! Alles ist gut. Mir geht’s gut. Bo auch. Ray und Thia sind mit den Kindern an den Strand gefahren und bleiben den ganzen Tag dort. Ein paar von Bears Jungs passen auf sie auf, nur zur Sicherheit.« Er legte meine Hand auf seine nackte Brust, als wollte er mir beweisen, dass er wirklich da war. Dann machte er dasselbe bei mir, legte mir seine Hand über dem Hemd auf die Herzgegend. Und erst da merkte ich, dass Preppys Oberkörper nackt war. Sein Hemd trug ich.
Ohne mich loszulassen, macht er einen Schritt auf mich zu, schob sich mit mir zusammen ins Zimmer und zog die Tür hinter uns zu.
Anscheinend war ich nicht die Einzige, der es die Sprache verschlagen hatte, denn mehrere Minuten lang standen wir schweigend da und spürten einfach nur, wie unsere Herzen schlugen. »Wie fühlst du dich?«, fragte Preppy schließlich und führte mich wieder zum Bett. Ich setzte mich auf den Rand, meine Kniekehlen berührten die Matratze. Preppy ragte über mir auf und musterte mich auf der Suche nach Verletzungen von oben bis unten.
»Haben sie … bist du verletzt worden? Hat dir jemand wehgetan?«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Nein. Jedenfalls nichts, was nicht wieder weggeht. Gebrochen ist auch nichts, soweit ich weiß. Mir geht’s gut, tut nur ein bisschen weh«, sagte ich. »Genau genommen fühlt sich das hier nicht besonders gut an.« Ich hob Preppys Hemd an und zog eine Ecke des Verbands oben an meinem Schenkel zur Seite, sodass die raue Oberfläche der Schürfwunde darunter zum Vorschein kam.
»Lass es drauf. Es verheilt schon«, sagte Preppy und ging vor mir in die Hocke. Er legte mir die Hände auf die Knie.
»Du hast es aus dem Wagen geschafft«, sagte ich. »Du lebst.«
»Doc, inzwischen solltest du wissen, dass nicht mal der Tod ein Arschloch wie mich kleinkriegt«, sagte Preppy mit teuflischem Grinsen und zuckte mit den Schultern. »Außerdem hätte mich King mit seinem monströsen Körper fast zermalmt, aber dann wurden wir irgendwie umgedreht, und ich bin auf ihm gelandet. Ich hab dem Arsch gesagt, dass er mit seinen Proteinshakes aufhören soll, bevor er mit seinem Gewicht noch jemand umbringt. Das nennt man Dienst an der Öffentlichkeit, Mann.«
Ich lächelte, immer noch unfähig zu glauben, dass wir beide zwar ziemlich ramponiert, aber immerhin lebend eine Nacht überstanden hatten, die ganz anders und vor allem tödlich hätte enden können.
Preppy seufzte und spielte mit dem Saum des Hemds auf meinen Knien herum. »Ich will im Augenblick echt nicht über diesen Scheiß reden. Eigentlich sollst du dich ja ausruhen, aber ich muss dich das trotzdem fragen, Doc. Hast du gesehen, wer es war?«
Ich schüttelte den Kopf und blickte zur Wand, konzentrierte mich ganz auf die Cinderella-Uhr drüben über der Badezimmertür und hoffte, dass mir etwas Hilfreiches einfallen würde.
»Ein Auto vielleicht? Eine Marke oder ein Modell?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Farbe?«
Ich schloss die Augen und suchte nach Antworten auf seine Fragen, aber mir fiel absolut nichts ein. »Ich … ich lag im Kofferraum. Ich hab die Notfallentriegelung aufbekommen.«
Preppy verzog das Gesicht, setzte aber gleich wieder ein sanftes Lächeln auf. »Das … das hast du gut gemacht, Doc. Sehr geistesgegenwärtig. Und Notfallentriegelungen wurden erst in den frühen Zweitausenderjahren eingebaut, das ist also schon mal ein Anfang. Noch was?«
Ich dachte weiter nach. »Der Wagen hat angehalten, als der Fahrer merkte, dass der Kofferraum aufgesprungen war. Sie wollten hinter mir her. Ich habe sie gehört, aber eure Scheinwerfer müssen sie abgeschreckt haben. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass euer Wagen auf mich zu schlitterte und ein paar Zentimeter vor mir zum Stehen kam, aber ab dann ist alles weg. Ich weiß nicht mal, wie ich hierhergekommen bin.«
»Du bist ohnmächtig geworden. Der Schock«, sagte Preppy. »Ich habe dich hergebracht.«
»Bist du nicht verletzt?« Ich deutete auf einen Schnitt auf seiner Brust, aus dem immer noch Blut sickerte.
Preppy schüttelte den Kopf. »Dich zu verlieren wäre das Einzige gewesen, was mich ernsthaft verletzt hätte.«
»Geht mir genauso«, sagte ich und spürte, dass mir erneut die Tränen kamen. In meinem Nacken fing es an zu jucken. Als ich mich kratzte, stellte ich fest, dass eine Art Verbandsmull auf meiner Haut klebte. »Was ist das?«, fragte ich und berührte den Verband.
»Nicht«, sagte Preppy. Sanft umfasste er mein Handgelenk und drückte mir einen Kuss auf die Fingerknöchel. »Es ist nur ein Schnitt. Nur ein paar Stiche. Du willst die Wunde doch nicht aufreißen. Genäht zu werden schmerzt sehr viel mehr, wenn man bei Bewusstsein ist.« Er drückte meine Hand aufs Bett und verschränkte seine Finger mit meinen. Ich spürte, wie ich mich entspannte, meine Schultern fielen nach vorn, und die schützende Mauer um mich herum stürzte ein.
Preppy streichelte meinen Arm, während er weiterredete, ließ die Finger über meine Haut tanzen. »Ich dachte, ich hätte dich verloren«, sagte er und lachte, aber das Lachen erreichte seine Augen nicht. »Schon wieder.«
»Nee. So leicht wirst du mich nicht los«, erwiderte ich und schmiegte mich an ihn. »Was glaubst du, wer könnte das getan haben?«
»Dasselbe wollte ich dich auch gerade fragen. Ich habe mit King und Bear darüber gesprochen, aber wir sind nur zu dem Schluss gekommen, dass Bear sich weiterhin große Mühe geben wird, um herauszufinden, wer vielleicht für Chop gearbeitet und allen verheimlicht hat, dass ich noch am Leben war. Mitarbeiter im Leichenschauhaus, Coroner, Ärzte, Krankenschwestern. Scheiße, sogar die Leute vom Bestattungsinstitut.«
»Du glaubst also, es war jemand, der befürchtet, dass Bear der Wahrheit womöglich zu nahe gekommen ist?«, fragte ich.
»Kann sein, aber das erklärt nicht, warum sie hinter dir her waren und nicht gleich hinter mir. Die andere Theorie besagt, dass es jemand war, dem einfach nicht gefällt, dass ich wieder da bin und noch atme, und der über dich an mich herankommen wollte. Ich meine, ich bin echt ein cooler Typ, deshalb habe ich keine Ahnung, wer das sein könnte. Wir überprüfen jeden. Einschließlich Kevin.«
»Deinen Bruder?«, fragte ich.
»Sehen wir den Tatsachen ins Auge, Doc. Er ist aufgetaucht wie aus dem Nichts, und ich weiß im Grunde immer noch nicht, was mit ihm los ist. Ich werde etwas mehr Zeit mit ihm verbringen. Herausfinden, was dahintersteckt«, sagte Preppy. Seine Augenbrauen zogen sich zu einem steilen V zusammen, die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. »Hör mal, Dre. Es tut mir echt verdammt leid …«
»Nein«, unterbrach ich ihn. »Hör auf. Ich hätte dich auch verlieren können. Das halte ich nicht noch einmal aus, hörst du? Ich kann das einfach nicht mehr.«
Preppy stand auf und beugte sich über mich, sodass ich gezwungen war, mich rückwärts auf die Matratze sinken zu lassen. Seine Hände stützte er rechts und links von mir auf den Bettrand. Er sah wütend aus, als er sagte: »Ich werde dich niemals verlassen, und du wirst mich niemals verlassen. Kapiert?«
»Kapiert«, sagte ich.
Die Luft zwischen uns wurde dick. Mit einem Finger wischte ich das Blut von dem Schnitt auf seiner Brust ab. Der Tropfen war größer, als ich gedacht hätte. Er lief in die Linien auf meiner Handfläche und färbte meine Haut mit seinem Blut.
Ich blickte wieder auf zu der Stelle, wo sich das Blut um Preppys harten Nippel gesammelt hatte. Ich presste die Schenkel zusammen, schenkte dem Schmerz und dem wunden Gefühl, das meine Beine ausstrahlten, keine Beachtung, und konzentrierte mich stattdessen auf Preppys Nasenflügel, die sich animalisch blähten, als er das Blut auf meiner Hand anstarrte.
Dann folgte er meinem Blick zu seiner Brust.
Meine Haut rötete sich, und plötzlich fühlte ich mich benommen.
Ein Schauer lief mir über den Rücken.
Noch einmal berührte ich ihn, zog die Hand aber zurück, weil sie so zitterte.
»Scheiße«, fluchte Preppy, als er sah, dass langsam, aber stetig Blut aus der Wunde sickerte. Er blickte von der Schramme zu mir. Keiner von uns machte Anstalten, das Blut von sich selbst oder dem anderen abzuwischen, wir starrten uns einfach nur immer weiter an.
Mein Mund wurde trocken.
Von meinem Slip konnte ich das nicht behaupten.