Prickelnde Flitterwochen mit dem Feind - Caitlin Crews - E-Book

Prickelnde Flitterwochen mit dem Feind E-Book

CAITLIN CREWS

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Beschreibung

Sie soll ihren Erzfeind heiraten? Entsetzt hört Annika, was der Anwalt erklärt: Nur wenn sie und Ranieri Furlan vor den Altar treten, erfüllen sie die Bedingungen im Testament ihres Vaters. Nur dann bekommt Annika das herrschaftliche Schuyler House ihrer Familie in Manhattan, nur dann behält Ranieri den Job als CEO. Doch der skeptische Blick aus Ranieris faszinierenden Bernsteinaugen verrät ihr, dass er genauso wenig von diesem Arrangement hält wie sie. Erwartet sie beide eine kühle Ehe – oder eine prickelnde Überraschung in den Flitterwochen?

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Seitenzahl: 196

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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2022 by Caitlin Crews Originaltitel: „Willed to Wed Him“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA, Band 2588 03/2023 Übersetzung: Cordula Schaetzing

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751518406

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Fassungslos starrte Annika Schuyler die Riege der Rechtsanwälte an, die ihr gegenüber an dem auf Hochglanz polierten Konferenztisch saßen.

„Das ist unmöglich“, sagte sie nun wohl schon zum zehnten Mal. Aber sie war so außer sich, dass ihr das nicht einmal peinlich war.

„Ihr Vater hat seine Wünsche klar und deutlich formuliert“, entgegnete der Chefjurist Stanley Soundso, dem es im Gegensatz zu den anderen Anwälten zu seiner Rechten und Linken gelang, betrübt auszusehen. Als hätte ihn diese Entwicklung selbst überrascht.

Angesichts der eifrigen und gewitzten Mienen der anderen nahm Annika jedoch an, dass sie die Einzige war, die wirklich schockiert war.

„Seine Wünsche mögen klar und deutlich formuliert sein“, brachte sie mühsam hervor, „doch ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht ganz legal sind.“ Panik und Verzweiflung ergriffen sie, aber sie versuchte, sich zu beruhigen.

Sämtliche Mitarbeiter dieser elitären Kanzlei im fünfzigsten Stock eines New Yorker Wolkenkratzers wirkten kühl und professionell. So hatte Annika auch wirken wollen. Sie hatte erwartet, dass die Testamentseröffnung ihres Vaters für sie nicht gerade leicht werden würde. Es spielte keine Rolle, dass Bennett Schuyler, IV, schon viele Jahre vor seinem Tod Anfang dieses Monats nicht mehr wirklich gelebt hatte. Er war immer noch da gewesen, doch nun gab es ihn nicht mehr.

Annika hatte damit gerechnet, dass dieser Termin aus emotionalen Gründen schmerzlich sein würde. Und das war er auch. Trotzdem quälte sie der Gedanke, dass sie inmitten dieser ruhigen Anzugträger als Einzige völlig derangiert aussah. Das war nicht zu leugnen, denn sie konnte ihr Spiegelbild auf der polierten Tischplatte sehen. Dabei hatte sie gehofft, es würde sie beruhigen, zu Fuß von der Upper East Side nach Downtown Manhattan zu laufen. Leider hatte sie nicht bedacht, dass ihre „eleganten und gleichzeitig seriösen“ – wie die Verkäuferin ihr versicherte – Schuhe alles andere als bequem waren.

Und so war sie abgehetzt und mit zerzaustem Haar in den Konferenzraum gehumpelt, während alle anderen souverän und lässig aussahen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob ihr Deodorant diesem übermäßig warmen Septembertag gewachsen war oder dem Schock wegen der Bedingungen im Testament ihres Vaters – und natürlich wegen ihm.

Ranieri Furlan stand mit dem Rücken zum Raum und sah hinaus auf die Stadt, die ihm im Sonnenlicht zu Füßen lag. Ihn umgab eine Aura, die jeden anderen Mann verstummen ließ, sobald Ranieri Furlan den Raum betrat. Sämtliche Frauen jeden Alters himmelten ihn an.

Für Annika jedoch war er der nervigste Mann auf Erden. Und sie hatte gehofft, dass sie sich heute endlich von ihm befreien könnte. Nicht …

Himmel, ich kann nicht mal klar denken!

„Ihr Vater hat nicht darauf bestanden, dass Sie sich auf eine bestimmte Weise verhalten“, erklärte Stanley – vielleicht hieß er auch Stuart. „Das wäre in der Tat rechtlich fragwürdig. Lassen Sie mich eines klarstellen: Sie können diesen Raum heute völlig unbelastet von den Wünschen Ihres Vaters verlassen, sofern Sie auf einen Bruchteil Ihres Erbes verzichten. Er hat lediglich für zwei Teile seines Nachlasses gewisse Bedingungen festgelegt und entsprechende Konsequenzen für den Fall, dass bestimmte Eckdaten nicht eingehalten werden. Sollte eine unabhängige Überprüfung seitens dieser Kanzlei drei Monate nach der heutigen Testamentseröffnung feststellen, dass Sie nicht verheiratet sind, geht Schuyler House als Geschenk an die Stadt. Sollte Mr. Furlan innerhalb dieser drei Monate nicht verheiratet sein, verliert er seine Position als CEO der Schuyler Corporation. Sollten Sie beide nicht miteinander verheiratet sein, gibt es erhebliche Strafen: Sie dürfen nicht mehr am Schuyler House arbeiten. Mr. Furlan erhält eine offizielle Abmahnung.“

Annika hatte so gehofft, sie hätte geträumt und sich die Tragweite der Bedingungen des Testaments ihres Vaters nur eingebildet – aber nein. Ihr Vater wollte, dass sie heiratete, oder er würde ihr Schuyler House wegnehmen. Das Museum, in das Annikas Großeltern das während des Gilded Age – des vergoldeten Zeitalters – für ihre Vorfahren erbaute Heim der Familie verwandelt hatten. Es war skurril, schön und angefüllt mit Kunst und Antiquitäten. Schon als Kind hatte Annika es geliebt. Deshalb hatte sie extra ihren Abschluss in Kunstgeschichte am Wellesley College gemacht, um ihr Leben dem greifbaren Nachlass ihrer Vorfahren hier in dem ursprünglichen Heim der Familie Schuyler in der Upper East Side zu widmen. Das ist fast so gut, wie eine Familie zu haben, dachte sie oft.

Annika war die Letzte der Schuylers. Umgeben von den Porträts ihrer Ahnen und den Dingen und Schätzen, die diese zusammengetragen hatten, fühlte sie sich weniger allein. Das Museum verband sie alle miteinander.

Genau aus diesem Grund hatte sie leicht hysterisch reagiert. Doch nachdem sie sich gezwungen hatte, wirklich zuzuhören, musste sie erkennen, dass alles noch viel schlimmer war.

Sollte sie nicht binnen vierundzwanzig Stunden nach der Testamentseröffnung verlobt sein, gab es eine Geldstrafe. Eine weitere, wenn sie nicht mit Ranieri verlobt war. Und falls sie nicht binnen einer Woche mit Ranieri oder dem Mann, mit dem sie verlobt war, zusammenlebte, wurde eine weitere Geldstrafe fällig. Weiterhin musste sie nicht nur binnen eines Monats verheiratet sein, sondern es gab auch noch drastische Geldstrafen, wenn sie nicht mindestens ein Jahr lang verheiratet blieb. Für den Fall, dass es ihr tatsächlich gelang, einige oder sogar alle dieser Vorgaben zu erfüllen, sie letztendlich aber schuld daran sein sollte, wenn etwas schiefging – sie die Verlobung löste, die Scheidung einreichte oder sich weigerte, zu heiraten –, dann würde sie Schuyler House verlieren. Wahrscheinlich sollte es ein kleiner Trost sein, dass Ranieri ebenfalls entsprechende Geldstrafen drohten, die von seiner Gesamtvergütung abgezogen werden würden. Ähnliches galt für jeden anderen armen Kerl, den sie in den nächsten vierundzwanzig Stunden dazu verleiten könnte, ihr einen Heiratsantrag zu machen, was praktisch unmöglich war, da sie schon seit Ewigkeiten kein Date mehr gehabt hatte. Keine Boni, keine Aktien, keine Bestechung in jeglicher Form.

Herzlichen Dank auch, Dad, dachte Annika missmutig.

„Haben Sie verstanden?“, fragte Stephen oder wie immer er auch hieß. Diesmal jedoch empfand Annika den freundlichen Ausdruck auf seinem Gesicht alles andere als ermutigend.

„Ich habe es schon das erste Mal verstanden“, versicherte Annika und lächelte traurig. „Bis heute war ich immer der Meinung, mein Vater liebt mich.“ Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, dass die Armee der Rechtsanwälte nun sicher glaubte, sie sei schrecklich traurig. Dabei hatte sie Mühe, ihren Zorn im Zaum zu halten.

Wirklich, Dad, was hast du dir bloß dabei gedacht?

Annika sah Ranieri zwar nicht direkt an, doch sie spürte, dass er sich in diesem Moment umdrehte und dem Konferenztisch zuwandte. Bestimmt war sie nicht die Einzige, die vor seiner Wildheit zurückschreckte, die er ebenso selbstverständlich trug wie den dunklen Anzug, der hervorragend maßgeschneidert war und seinen schlanken, aber kraftvollen Körper betonte.

Ranieri Furlan stammte aus einer uralten italienischen Familie mit vielen Generationen von Norditalienern, die alle dieselben dunklen Haare, dieselben bernsteinfarbenen Augen und dieselbe beeindruckende Größe hatten. Hier war er etwas Besonderes, dort sicher nur einer unter vielen. Zumindest redete sie sich das gern ein. Sie war ein- oder zweimal in Mailand und jahrelang überzeugt gewesen, dass sie ihn in der Menge verlieren würde, sollten sie zusammen durch die Kathedrale gehen, da er dort einfach nicht hervorstechen würde.

Leider wusste Annika, dass das nicht stimmte. Egal wie sehr sie sich davon zu überzeugen versuchte. Sie hatte den ganzen Norden Italiens durchwandert, ohne je einem Mann zu begegnen, der innerlich zu brodeln schien so wie Ranieri. Irgendwie brachte er es fertig, nach außen hin stets kultiviert zu bleiben, während er innerlich kochte. Sie hatte keine Ahnung, wie er das machte.

Ranieri hatte in London Wirtschaft studiert und dann in Harvard seinen Master gemacht. Gleich darauf hatte er bei der Schuyler Corporation angefangen.

Annika selbst war zu dem Zeitpunkt noch auf die Highschool gegangen. Ihr Vater hatte damals schon länger daran gedacht, seinen Posten als CEO niederzulegen. Ranieri hatte ihn mächtig beeindruckt. Er war nicht nur zielstrebig und konzentriert – so wie alle anderen, die die Position des CEO gern gehabt hätten. Nein, er wollte auch die familiäre Atmosphäre des Unternehmens bewahren.

Ranieri war von Anfang an davon überzeugt gewesen, dass die Anfänge der Schuyler Corporation als Familienunternehmen etwas Einzigartiges waren. Sozusagen der Schlüssel zum Erfolg in dieser Welt voller seelenloser Firmen. Er hatte dieselbe Sprache gesprochen wie Bennett.

Als Teenager war Annika ganz und gar nicht von diesem Eindringling in ihre Familienangelegenheiten beeindruckt gewesen. Allerdings hatte ihr Vater ihr kein Mitspracherecht eingeräumt. Und im Laufe der Zeit musste sogar Annika widerwillig zugeben, dass die Schuyler Corporation unter Ranieri aufblühte. Seit seinem Eintritt waren die Gewinne Jahr für Jahr gestiegen. Auch jetzt arbeitete er weiterhin hart wie eh und je, ließ nicht nach und behielt die Unternehmenswerte bei, an die ihr Vater so sehr glaubte.

Die Börsenzeitungen schwärmten regelrecht von ihm. Genau wie all die unverheirateten Frauen in Manhattan, wenn nicht der ganzen Welt, die verrückt wurden, wenn man nur seinen Namen nannte. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte Annika jahrelang die Rolle der Gastgeberin für ihren Vater übernommen und die seiner Begleiterin zu all den zahllosen gesellschaftlichen Veranstaltungen, die jedes Jahr in New York stattfanden. Bei diesen Gelegenheiten hatte sie Ranieris Wirkung auf die Schickeria Manhattans aus nächster Nähe beobachten können.

Ja, sie hatte ihn geradezu studiert.

Er war sehr attraktiv, das konnte sie nicht leugnen. Aber in New York City gab es viele gut aussehende Männer. Und auch viele kultivierte Männer. Aber Ranieri war anders, denn er hatte etwas Besonderes. Sein dunkles Haar war sehr kurz geschnitten, als wolle er, dass der Goldton seiner Augen einen Raum beherrschte, sobald Ranieri ihn betrat. Sicher war das Absicht. Ranieri wusste genau, welche Wirkung er hatte, und nutzte das skrupellos. Seine markante Nase und sein äußerst sinnlicher Mund ließen niemanden kalt. Seine dunklen Augenbrauen waren entweder grimmig zusammen- oder spöttisch hochgezogen. Er lächelte nicht oft und lachte fast nie. Wenn überhaupt nur ein kurzes Bellen, das eher einschüchternd war. Außerdem machte er keinerlei Anstalten, sich in so etwas wie Small Talk verwickeln zu lassen.

Doch wenn er wollte, konnte er sehr charmant sein. Dann konzentrierte er auf seine intensive weltmännische Art seine gesamte Aufmerksamkeit auf die unachtsame Person vor sich und machte sie damit völlig nervös.

In einer Stadt voller glitzernder und glamouröser Persönlichkeiten war Ranieri ein scharfes und elegantes Schwert, das eindeutig töten konnte. Irgendwie schien er nie wirklich zivilisiert. Und heute war es noch schlimmer als sonst.

Die letzten fünf Jahre waren sehr hart gewesen. Der Autounfall ihres Vaters in jenem Winter hatte die Belegschaft vollkommen überrascht, am meisten aber Ranieri und Annika. Zuerst hatten alle geglaubt, Bennett Schuyler würde sich schnell wieder erholen. Vom Krankenhausbett aus hatte er seine Befehle gegeben, als wäre nichts geschehen. Und sie hatten sie befolgt. Wie hätten sie auch ahnen sollen, dass er eine Woche nach seinem Unfall ins Koma fallen würde?

In dem er dann jahrelang blieb, irgendwo zwischen Leben und Tod.

Annika hatte gehofft, die vorübergehende Vormundschaft, auf die ihr Vater bestanden hatte, würde mit seinem Tod enden und Ranieri würde fortan in ihrem Leben keine Rolle mehr spielen. Sie war sehr froh, dass sie zum Zeitpunkt des Unfalls ihr Studium bereits abgeschlossen hatte und nicht so jung gewesen war, dass sie wirklich unter Ranieris Knute gestanden hätte. Deshalb hatte er sie auch nicht so sehr kontrolliert, wie er es gekonnt hätte. Er hatte lediglich das Geld verwaltet und die Rolle des Direktors des Museums übernommen – sehr zu Annikas Verärgerung.

„Du weißt nicht, was mein Vater sich für das Museum wünschte“, hatte sie ihm jahrelang vorgehalten.

„Du auch nicht“, hatte Ranieri jedes Mal unnachgiebig erwidert.

Annika war sich so sicher gewesen, dass sie diesen Mann nach der Testamentseröffnung endgültig los sein würde. Doch da hatte sie sich gründlich geirrt.

Ranieri ließ den Blick durch den Raum schweifen, in dem es still geworden war. Dann sagte er leise: „Lassen Sie uns bitte allein.“

Er musste nicht laut werden. Das tat er selten. Er sprach einfach mit dieser tiefen und kräftigen Stimme und diesem leicht italienischen und leicht englischen Akzent, wodurch er noch intensiver klang.

Noch bevor Annika seinen Befehl überhaupt verarbeiten konnte, hatten sämtliche Anwälte den Raum verlassen, und sie beide waren allein.

Dann sah Ranieri sie an. Wenigstens der Ausdruck auf seinem Gesicht war ihr vertraut. Dieser leicht unterkühlte Blick, mit dem er sie immer bedachte. Als könne er nicht glauben, dass die Kreatur vor ihm wirklich die Tochter von Bennett Schuyler war. Dem Mann, der überall auf der Welt bekannt war für seinen Geschäftssinn und seine gesellschaftlichen Umgangsformen. Dass es Annika an beidem mangelte, konnte Ranieri nicht ertragen. Das wusste sie, denn er hatte es ihr gesagt. Und sie sah ihm an, dass er auch heute wieder darauf herumreiten wollte. Na, wunderbar.

„Du siehst schrecklich aus“, bemerkte er düster. Und er hatte natürlich recht. Aber musste er es unbedingt aussprechen? „So willst du deinen Vater ehren?“

„Ha! Mein Vater hat mich geliebt.“ Sie versuchte oft, so grimmig zu klingen wie er, doch es gelang ihr nicht. „Er hat nie unrealistische Ansprüche an mich gestellt.“

„‚Unrealistische Ansprüche‘?“, fragte Ranieri so eiskalt wie der Winterwind, der durch die Straßen New Yorks fegte. „Ich bin auf meinem Weg zum Konferenzraum mehreren Frauen begegnet, die offenbar alle in der Lage waren, sich die Haare zu kämmen.“

Annika warf einen Blick auf ihr Spiegelbild auf der Tischplatte und lachte traurig. „Ich habe mir die Haare gekämmt. Danke, dass du nach meiner Morgenroutine fragst. Ich habe sie mir bloß nicht erneut gekämmt, nachdem ich zu Fuß hierhergekommen bin. Eigentlich hatte ich das vor, aber ich hatte Probleme mit meinen Schuhen und war deshalb spät dran. Ich fürchtete, du würdest ein Aneurysma bekommen, sollte ich mich noch mehr verspäten. Wenn du also unbedingt jemanden beschuldigen willst, dann dich selbst.“

Er spannte die Kinnmuskeln an. „Und trotzdem warst du zu spät.“

Annika winkte ab. „Fünf Minuten zählen nicht.“

„Es waren zehn.“

„In einem Gebäude wie diesem wartet man manchmal so lange auf den Aufzug.“ Sie straffte die Schultern. „Darüber hinaus glaube ich nicht, dass meine Haare hier wirklich das Problem sind.“ Es gab in der Tat viele Probleme. Doch im Moment konzentrierte sie sich auf eines der größten: Ranieris tiefe Abneigung gegen sie.

Früher hatte sie immer gedacht, sie würde sich das nur einbilden. Als sie diesem Mann das erste Mal begegnete, war sie gerade sechzehn Jahre alt gewesen. Ja, er konnte äußerst charmant sein – zu jedem, den er kennenlernte, außer zu ihr. Damals war sie so unbeholfen gewesen. Was für ihre Freunde leicht und natürlich war, fiel ihr unheimlich schwer: was sie anziehen sollte, wie sie sich frisieren sollte und wie sie sich benehmen sollte, um zehn Jahre älter zu wirken, als sie es tatsächlich war. Ihre Mutter hätte ihr dabei sicher helfen können. Doch sie war gestorben, als Annika noch sehr klein war. Manchmal fragte sich Annika, ob sie wirklich eigene Erinnerungen an ihre Mutter hatte oder ob sie sich vielleicht nur daran erinnerte, was ihr andere über sie erzählt hatten. Sie war ja schon froh, wenn sie ihr Kleid richtig herum angezogen hatte.

Der mühelos kultiviert wirkende Ranieri hatte sie immer angesehen, als sei sie ein Tornado in Menschengestalt. Als würde er tatsächlich erwarten, jedes Gebäude, in dem sie saßen, würde zusammenbrechen, wenn man nicht strikt auf sie aufpasste.

Und je älter sie wurde, desto mehr wuchs seine Abneigung ihr gegenüber. Er hatte überdeutlich gesagt, dass sie eine Schande für den Namen Schuyler sei. Und sie wusste auch warum. Ranieri und ihr Vater bemühten sich, dem Namen alle Ehre zu machen, während Annika einfach nur peinlich war und Chaos verbreitete, wo immer sie auftauchte. Stets war sie zu unordentlich, falsch angezogen, zu schusselig, zu ungeschickt und zu unbeholfen.

Bevor sie Ranieri kennenlernte, hatte Annika immer gedacht, dies alles gehöre zu ihrem ureigenen Charme. Ihr Vater hatte stets liebevoll gelächelt und gesagt, ihre Mutter sei ebenfalls ein Tornado gewesen. Doch er hatte es so klingen lassen, als sei das etwas Positives. Eigentlich war Annika es nicht gewohnt, dass Menschen sie nicht mochten. Natürlich liebten sie nicht alle, aber die meisten lehnten sie auch nicht regelrecht ab. Sie war nicht der Typ Frau, der starke Gefühle in anderen hervorrief. Das hatte sie akzeptiert.

Nur Ranieri hatte deutlich gemacht, dass er sie nicht mochte. Mehr noch, dass sie eine Beleidigung für all seine Sinne sei. Nur dieser Mann. Nur gut, dass das ihre Gefühle inzwischen nicht mehr verletzte.

„Ich will Schuyler House. Und ich nehme an, du willst dein CEO-Ding weitermachen.“ Sie schenkte ihm ein höfliches Lächeln, dabei hätte sie am liebsten vor Wut und Entsetzen aufgeheult. Doch das hätte er als Schwäche angesehen. „Also, was sollen wir tun? Durchbrennen?“

Er musterte sie, als hätte sie etwas komplett Geschmackloses vorgeschlagen. Hm, geschmacklose Dinge und Ranieri Furlan, dachte sie und spürte plötzlich Schmetterlinge in ihrem Bauch. Das gefiel ihr ganz und gar nicht.

„‚Durchbrennen‘?“, fragte er, als wäre ihm das Wort nicht bekannt.

Wie meistens, wenn Annika eine Idee im Kopf hatte, konnte sie nicht anders, als diese weiterzuspinnen. „Das wäre die perfekte Lösung“, erklärte sie fröhlich.

Er stand immer noch am Ende des Konferenztischs. Wahrscheinlich eine Art Machtspielchen. Andererseits musste Ranieri keine Machtspielchen spielen. Er war einfach machtvoll.

Aber Annika musste sich nicht mit ihm messen. Sie drehte den Stuhl herum, lehnte sich zurück und sah Ranieri an, als wäre sie selbst so von sich überzeugt, dass sie nicht aufstehen musste, um sich ihm entgegenzustellen.

„Ich bin nicht ganz sicher, warum mein Vater es für eine gute Idee hielt, die ihm verbleibende kurze Zeit mit Eheanbahnung zu vergeuden“, fuhr sie fort. „Doch ich denke, es ist sehr leicht, seine Regeln genauestens zu befolgen, ohne uns selbst allzu große Unannehmlichkeiten zu bereiten. Wir können einfach durchbrennen, und damit wäre dann auch alles andere gelöst. Auch unter einem Dach zu leben, ist kein Problem. Soweit ich weiß, hast du das Loft in Downtown. Dann ist da noch das Apartment der Familie. Ich bin sicher, beide sind groß genug, dass wir jeder unser eigenes Leben führen können. Nach einem Jahr trennen sich unsere Wege, und jeder gewinnt.“ Sie sah ihn an und lächelte verbindlich.

Ranieri schien unbewegt. Er schien immer unbewegt. Er war wie Stonehenge, nur weniger zugänglich.

„Und wie glaubst du, wird dein Plan für andere aussehen?“ Er stellte die Frage, als stünden sie vor Gericht und Annika wäre eine bekannte Mörderin oder etwas ähnlich Schreckliches. „Für den zufälligen Beobachter?“

Annika erwiderte seinen Blick, ohne seinen Tonfall oder die Worte wirklich zu verstehen. „Das ist doch egal.“

Er kniff die Lippen zusammen. „Dir ist das natürlich egal. Das überrascht mich nicht. Aber ich habe einen Ruf zu wahren, Annika. Ich kann nicht einfach durchs Leben schlendern, ohne die Konsequenzen meiner Handlungen für die Schuyler Corporation in Betracht zu ziehen.“

Er machte eine Pause, damit sie über seine Vorwürfe nachdenken konnte. Doch sie reagierte nicht. Warum auch? Es war ohnehin immer die alte Leier.

Also fuhr er fort: „Derartige Forderungen erfüllen zu müssen, nur um eine Position zu behalten, die ich mir bereits verdient habe, ist beleidigend.“ Er sah sie an, und der kalte Blick seiner bernsteinfarbenen Augen war wie eine Ohrfeige. „Die Vorstellung, wie Kollegen und auch Rivalen sich über die Bestimmungen deines Vaters amüsieren, ist absolut geschmacklos. Wie soll man mich je wieder ernst nehmen?“

Annika hatte immer gedacht, er sei ebenso ernst wie ein Herzinfarkt, doch das sagte sie nicht. „Wenn du es nicht willst, müssen wir ja niemandem sagen, dass dies die Bestimmungen aus seinem Testament sind. Mir ist egal, was die Leute über mich denken.“

„Das ist offensichtlich.“

Sie war seine Beleidigungen gewohnt, aber diese Bemerkung traf sie doch ein wenig. Dennoch reagierte sie nicht. Denn wenn ihr Temperament mit ihr durchging, würde er nur wieder überrascht tun, weil sie so „emotional“ sei. Das wusste sie aus Erfahrung.

„Aber es bringt uns in eine weitere Zwickmühle“, erklärte Ranieri. Seine Augen funkelten. Es schien ihm Freude zu bereiten, sie von oben herab anzusehen. Als würde er sich große Mühe geben, ihr klarzumachen, für wie viel besser er sich hielt. Wenn er diese Energie auch bei seinen Geschäftsbesprechungen an den Tag legte, überraschte es Annika nicht, dass sämtliche Gesprächspartner sich ihm reihenweise zu Füßen warfen. „Es ist zwar völlig glaubhaft, dass du mich heiraten möchtest, aber …“

„Nur wenn man mich nicht kennt“, warf Annika ein. Seine Bemerkung verletzte sie mehr, als sie zugeben wollte.

Ranieri ignorierte sie. „Niemand würde bezweifeln, dass du dich dein ganzes Leben lang nach mir verzehrt hast“, sagte er, und das Schlimmste daran war, dass er nicht einmal eine Antwort erwartete. Er schien nicht einmal zu bemerken, wie empört Annika war. Offensichtlich glaubte er, was er sagte. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte ihm widersprochen, doch er bedachte sie mit einem weiteren kalten Blick. „Aber ich befürchte, Annika, niemand wird es je für möglich halten, dass ich ausgerechnet dich heiraten will.“ Und dann lachte er. Als wäre die Idee so absurd, dass es tatsächlich komisch war.

Annika öffnete den Mund, um ihm vorzuschlagen, er könne gern aus dem Fenster springen und sich auf dem Weg nach unten darauf konzentrieren, sie und alles, was mit ihr zu tun hatte, zu vergessen. Doch sie kniff die Lippen zusammen. Beinahe hätte sie vergessen, was für sie auf dem Spiel stand. Er dagegen sicher nicht. Er war ein Meister im Manipulieren, das gehörte zu seinem Job.

„Sei nicht albern“, sagte sie stattdessen. „Es ist zwar allgemein bekannt, dass du nur mit Supermodels ausgehst. Aber es wird niemanden überraschen, dass ein solcher Mann letztendlich bei einer normalen Frau landet. Männer wie du heiraten immer unauffällige Frauen. So zeigt ihr, dass ihr die Ehe ernst nehmt. Ein althergebrachter Übergangsritus für eine bestimmte Gruppe tragischerweise sehr oberflächlicher Männer.“

„Ich bitte dich, Annika.“ Ranieri musterte sie von Kopf bis Fuß. „Bleiben wir realistisch. Es liegt nicht daran, dass du unauffällig bist. Sondern daran, dass ich nun mal ich bin.“ Er schüttelte den Kopf, als sollte er ihr das eigentlich nicht erklären müssen. „Ich bin ein Mann mit einem äußerst anspruchsvollen Geschmack. Wer würde auch nur eine Sekunde lang annehmen, dass ich bereit sei, mich an eine Frau zu binden, die so wenig Wert auf ihr Äußeres legt? Wer würde glauben, dass ich so ein unansehnliches Desaster am Arm haben wolle?“