Problemzonen - Ildikó von Kürthy - E-Book
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Ildikó von Kürthy

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Beschreibung

Klagen. Lachen. Klüger werden. Und dann gemeinsam weiterziehen durch die Problemzonen unseres Lebens. Hier geht es um Sehnsucht und Schokolade. Um die Liebe und ihr Ende, um Freundschaft, Feindschaft, Eltern und nackte Oberarme. «Problemzonen» versammelt die besten «Brigitte»-Kolumnen von Ildikó von Kürthy. Amüsant, scharfsinnig, todernst und lebendig, neurotisch und dramatisch. Dieses Buch ist ein Reiseführer in die Krisengebiete des Alltags. Texte zum Unterhaken für Frauen, die über sich selbst lachen und mit ihren Freundinnen weinen können.

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Seitenzahl: 269

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Ildikó von Kürthy

Problemzonen

Über das Leben, die Sehnsucht und die Liebe danach. Die besten Texte

 

 

 

Mit Illustrationen von Tomek Sadurski

Über dieses Buch

Klagen. Lachen. Klüger werden.Und dann gemeinsam weiterziehen durch die Problemzonen unseres Lebens. Hier geht es um Sehnsucht und Schokolade. Um die Liebe und ihr Ende, um Freundschaft, Feindschaft, Eltern und nackte Oberarme. «Problemzonen» versammelt die besten «Brigitte»-Kolumnen von Ildikó von Kürthy. Amüsant, scharfsinnig, todernst und lebendig, neurotisch und dramatisch. Dieses Buch ist ein Reiseführer in die Krisengebiete des Alltags. Texte zum Unterhaken für Frauen, die über sich selbst lachen und mit ihren Freundinnen weinen können.

Vita

Ildikó von Kürthy ist freie Journalistin und lebt in Hamburg. Ihre Bestseller wurden mehr als sechs Millionen Mal gekauft und in 21 Sprachen übersetzt. Ihr Roman «Mondscheintarif» wurde fürs Kino verfilmt.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, November 2018

Copyright © 2018 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Covergestaltung Hafen Werbeagentur, Hamburg

Coverabbildung Umschlagillustation: Tomek Sadurski

ISBN 978-3-644-20067-8

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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Dieses E-Book ist nicht vollständig barrierefrei.

 

 

www.rowohlt.de

Gewidmet meinen wunderbaren Freundinnen, um die ich mich selbst beneide.

Vor fast zehn Jahren habe ich meine erste BRIGITTE-Kolumne geschrieben. Damals hatte ich noch kein Kind und kein graues Haar. In der Zwischenzeit bin ich Mutter geworden und älter, viel ängstlicher und etwas klüger, dünner und dicker.

Die mir allerliebsten Texte aus diesen Lebensjahren habe ich hier ausgewählt. Großartige Experten kommen darin zu Wort, bei denen ich mich für die Klugheit, die Freundlichkeit und die Geduld bedanken möchte, mit der sie mich durch die Höhen, Tiefen und Ebenen des Lebens begleitet und mir etliche Einsichten geschenkt haben.

Viel Freude in den Problemzonen!

Du stehst mir nun schon so lange bei. Bei all dem Wüsten und Wunderbaren, was einem im Leben so begegnet, wenn man ganz allmählich eben doch erwachsen wird.

Du warst an meiner Seite, als ich, vom ersten Liebeskummer niedergestreckt, vermutete, dass mein Herz für immer eine offene Wunde sein würde. Und Du wurdest nicht müde, mich zu trösten, als sich in den folgenden Jahrzehnten herausstellte, dass ich damit recht hatte.

Auch wenn sich die Menschen und Anlässe änderten, die mir Kummer und Sorgen bereiteten – die Grundbeschaffenheit meiner Persönlichkeit veränderte sich unwesentlich bis gar nicht. Ich bezeichne mich gern als sensibel. Andere würden sagen, dass ich eine sentimentale, neurotische, verfressene Kuh bin mit Überhang zum Drama und der Tendenz, sich selbst zu wichtig und grundsätzlich alles persönlich zu nehmen.

Was soll ich sagen? Ich bin eine ganz normale Frau.

Das Beste an mir bist Du.

Du lachst mich aus, wenn ich es nicht anders verdiene. Du hörst mir zu, auch wenn ich Dir nach einer Flasche Wein und mit triefender Nase ein durchschnittliches Leid klage, das Du so oder so ähnlich schon unzählige Male mit mir geduldig durchlitten hast: Liebt er mich? Liebe ich ihn? Werde ich jemals mit meiner Frisur, meinem Vater und den alten Männern Frieden schließen, die mich ungebeten in riesenhafte Parklücken einwinken? Bin ich gut so, wie ich bin, und könnte das Leben nicht viel besser oder wenigstens ganz anders sein?

Du sagst mir, wenn ich zu weit gehe. Aber Du lässt mich nie allein. Du hast Deine Arme um mich gelegt, als meine Eltern starben, als ich ungeborene Kinder und unbegründete Hoffnungen verlor, als ich Angst hatte vor der Welt und vor mir selbst.

Du schonst mich nur, wenn es sein muss, und manchmal bist Du so ehrlich, dass es kaum zu ertragen ist. Mit Dir zusammen ist das Leben immer wieder so leicht, wie es mal war, als die Sommer endlos schienen, die Füße noch keine Hornhaut und das Essen noch keine Kalorien hatte.

Du verstehst mich. Und wenn Du mich nicht verstehst, verurteilst Du mich nicht.

Du hältst immer zu mir.

Du weißt, wie ich bin. Und Du liebst mich. Deswegen. Und trotzdem.

So eine Freundin will ich auch für Dich sein. Deine wackere Begleiterin in die Krisengebiete des Alltags. Wir lachen, wir klagen, wir werden klüger. Und dann ziehen wir weiter, durch die Problemzonen unseres Lebens, wir nehmen Anlauf und überstehen die nächste Katastrophe und auch die übernächste.

Weil ich bei Dir bin.

Weil Du bei mir bist.

Weil wir nicht allein sind.

 

Danke! Herzlich!

Mir ist keine Frau bekannt, die mit ihrer Frisur zufrieden ist

Von Schönheit, Gesundheit, Krankheit und der Sehnsucht, alles essen zu können, was man will

Wo kommt guter Geschmack her – und warum habe ich keinen?

Es ist nicht so, als könnte ich guten Stil nicht erkennen. Im Kreise meiner Freundinnen ist er quasi eine Selbstverständlichkeit. Mit lässiger Eleganz wird da Teures mit Billigem kombiniert oder Teures mit noch Teurerem oder Billiges mit noch Billigerem, je nach Finanzlage. Und immer denke ich: Wie schön! Das will ich auch haben! Wieso bloß bin ich da nicht selbst draufgekommen? Unschwer zu erahnen, dass Biancas Bluse an mir so aussieht wie eine Bluse, die Bianca sehr gut stehen würde, mir hingegen nicht. In meinem Kleiderschrank hausen zu viele Sechzig-Prozent-Klamotten. Mäßig sitzende Hosen. Im günstigsten Fall durchschnittlich schöne Pullover. Und ausnahmslos indiskutable Röcke – eine Kleidungsgattung, die meine Liebe zu ihr dramatisch unerwidert lässt.

Ich habe nicht zu wenig anzuziehen. Ich habe zu viel vom Falschen. Ich habe keinen Geschmack, ich habe keinen eigenwilligen Stil, ich habe kein Gespür für Mode. Und wenn ich mal gut angezogen bin, dann ist das Zufall, oder mein Mann war beim Einkauf dabei.

Ich denke, das hat mit meiner schweren Kindheit zu tun. Meine Mutter brauchte keinen eigenen Geschmack, denn ihre jüngere Schwester hatte welchen. Und mein Vater war blind. Äußerlichkeiten spielten in meinem Elternhaus also notgedrungen eine untergeordnete Rolle.

Aber ich hätte so gern Stil! Wo kriege ich den denn jetzt bloß noch her?

Ich besuche meinen Freund, den phantastischen Modedesigner Guido Maria Kretschmer. Seit er der Stil-Papst der Sendung «Shopping Queen» ist, wird er von kreischenden Teenagern in Fußgängerzonen verfolgt, und Stewardessen raunen ihm zu: «Ich liebe Sie so sehr!»

Guido sagt: «Ich bin der Einzige, den die Leute lieben, weil ich so aussehe wie die.» Nach einem Tag mit ihm im Fernsehstudio habe ich gelernt, dass ein Streublumen-Kleid nur ein Gutes hat: Es schützt vor sexuellen Übergriffen. Plissee ist nix für Walküren, Stil ist mehr als Klamotte, und man wird nicht automatisch sexy, wenn man seine Nippel zur Schau trägt. «Von manchen Dekolletés bin ich bis heute traumatisiert», sagt Guido. «Wenn ich sehe, wie jemand angezogen ist, dann weiß ich, wie der ist.»

«Und wie bin ich angezogen?», frage ich tollkühn.

«Du hast andere Qualitäten als Textil. Fühlen und Reden ist dir wichtiger als Sehen. Wenn man gescheit ist, hilft es immer, was Lustiges zu sagen. Dann achtet keiner mehr auf den Fummel. Du lebst à la carte, du hast nicht nur einen Stil, sondern verschiedene Lieblingsteile. Manche Klamotten sind wie One-Night-Stands: Du brauchst sie nicht, und sie fehlen dir nicht, wenn du sie nicht hast. Guter Geschmack ist zu wissen, wer man ist. Alles andere ist Verkleidung.»

Guido lehnt sich vor und sagt eindringlich: «Wusstest du übrigens, dass Frauen einem in Sachen Mode und Gewicht niemals die Wahrheit verzeihen? Ich bin ja im Grunde meines Herzens eine moppelige Frau. Findest du eigentlich, dass ich dick aussehe auf dem Laufsteg?»

«Nein! Du hast einen wunderbaren Körper!», rufe ich, ohne mit der Wimper zu zucken.

«Du aber auch, Liebchen. Ich habe gleich gesehen, dass du abgenommen hast.»

Danke, Guido.

Die Diät-Dämonen

Der Mann am Nebentisch hatte offenbar kein Problem mit sich. Leider. Denn die Lautstärke, mit der er seine langatmigen Geschichten erzählte, kündete von der so tiefen wie bedauerlichen Gewissheit, dass sie weit über die eigene Tischgesellschaft hinaus von großem Interesse sein müssten. Ich versuchte, die Beschallung auszublenden und mich auf die Speisekarte zu konzentrieren. Normalerweise kein Problem für mich. Bis ich das sonore Großmaul nebenan rufen höre: «Ein Freund an der Sportuni Köln hat einen Drink entwickelt, von dem einem der Appetit vergeht. Ich habe damit ohne Probleme in zwei Monaten 20 Kilo abgenommen!»

20 Kilo? Ohne Probleme? Meine Ohren spitzen sich wie von selbst, und noch am selben Tag bemühe ich mich um Kontakt zum berühmten Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Seine ernüchternde Antwort: «Einen speziellen Drink zum Abnehmen haben wir an unserer Uni sicher nicht entwickelt! Sorry, aber da bin auch ich überfragt!»

Wie schade. Hätte mich schon mal interessiert. Rein theoretisch und wissenschaftlich. Ich frage jemanden, der über jede Neuheit auf dem übergewichtigen Markt des Abnehmens informiert ist: meinen Freund Guido. Der Modedesigner, den die Stars lieben, besonders die Frauen, denn Guido ist wie wir: Entweder ärgert er sich, dass er zu dick ist, oder er leidet unter den Nebenwirkungen des Schlankseins: Hunger und die ständige, peinigende Angst, wieder zuzunehmen. Guido hat homöopathische Fett-weg-Spritzen ausprobiert, obwohl ihm schon bei der Erwähnung einer Nadel schwarz vor Augen wird. Er hat Pillen genommen, hat mal dieses, mal jenes, mal alles von seinem Speiseplan gestrichen. Nichts half auf Dauer. Aktuell überlegt er, sich so zu lieben, wie er ist, oder in ein Kriegsgebiet zu ziehen, wo es nicht so viel zu essen gibt. «Ich könnte heulen, weil ich zu dick bin. Ich gehöre zu einer Gruppe, zu der ich nicht gehören will. Wenn ich auf Plakaten Ronaldo in Unterwäsche sehe, nehme ich mir sofort vor abzunehmen. Das hält fünf Minuten. Aber in meinem Herzen trage ich bauchfrei, da bin ich für die Zucht gemacht und nicht für die Mast», sagt er, und ich spüre, dass er sich Gedanken über das Abendessen macht.

Meine Frage nach dem Anti-Appetit-Drink wühlt ihn augenblicklich auf. «Das ist doch krank! Andere hungern, während wir uns zwanghaft den Appetit verderben. Pervers ist das!», schimpft er, um nach kurzem Luftholen fortzufahren: «Selbstverständlich würde ich das Zeug sofort nehmen. Als Tee, als Creme – egal wie. Wobei ich eigentlich auch ohne Appetit esse. Ich bin meistens satt – aber ich kaue so gern! Essen beruhigt mich, und ich würde nur mit Dicken auf die Flucht gehen, die sorgen dann schon dafür, dass man immer genug zu essen hat. Neulich, ich hatte mich schon den ganzen Tag auf die Theaterkantine gefreut, hieß es plötzlich: Bombenalarm! Essen auf eigene Gefahr. Es gab Kohlrabi mit Holländischer Soße und Frikadellen. Ich war der Einzige in der Kantine. Man muss Prioritäten setzen. Außerdem denke ich, wenn ich mit der Gabel in der Hand vor einer Bulette sterbe, ist das ein glücklicher Tod.»

Guido gehört wie ich nicht zu den Leuten, die sich wöchentlich ein Stück Zartbitterschokolade langsam auf der Zunge zergehen lassen oder mit 75 Gramm Spaghetti oder einer Kugel Eis auskämen. Guido lässt sein Eis immer auf zwei Waffeln verteilen, damit die Leute nicht denken: «Guck mal, der Moppel, typisch, isst ein Rieseneis ganz allein.» Und wenn er telefonisch ein üppiges Abendessen bestellt, tut er so, als ob noch jemand in der Wohnung sei, und fragt in die Leere des Raumes: «Was war das noch mal für dich, Schatz? Ach ja, ein großer Topf Häagen-Dazs!»

Ich verspreche Guido, ihn sofort zu kontaktieren, sollte ich den Erfinder des Appetitverderber-Drinks doch noch ausfindig machen, so beschämend es für ihn wie für uns Frauen auch ist, dass das brennende Interesse für Fettabbau und die heimliche Hoffnung auf ein Wundermittel niemals nachlässt. Wir erforschen das All, haben Wifi erfunden und die Molekularküche – aber die ernüchternde Formel «Du nimmst nur ab, wenn du mehr verbrennst, als du zu dir nimmst» konnte bisher niemand außer Kraft setzen.

Ich will mich nun endlich von diesen Diät-Dämonen befreien, wieder einen natürlichen und gesunden Zugang zur Aufnahme von Speisen finden, ich will wieder essen, statt mich zu ernähren. Aber falls jemand den Typen kennt, der den Appetitverderber erfunden hat: Bitte melden!

Die Sucht hat ein hervorragendes Gedächtnis

Ich habe diese armseligen Idioten nie verstanden: Gewöhnen sich mühsam das Rauchen ab, lassen es zwei, zwölf oder zwanzig Jahre lang sein und fangen dann wieder an. «Bloß die eine», denken sie in einem unbedachten, nachlässigen, rührseligen Moment, in dem sie sich für eine Zigarettenlänge fühlen wollen wie mit vierzehn auf der Schultoilette: flüsternd, kichernd, zu dritt in der Kabine, sich eine dilettantisch nassgenuckelte Zigarette der Marke Ernte 23 teilen, geklaut aus Mamas Handtasche, sich verrucht vorkommen und unsterblich und nachher ein paar Tic Tac einwerfen, damit der Mathelehrer nichts riecht.

Und dreißig Jahre später sind sie bloß älter geworden, aber nicht klüger. Bilden sich ein paar Tage lang ein, sie gehörten jetzt zur Gattung der «Genussraucher», und quarzen zwei Wochen darauf trotz Bronchitis vor dem Frühstück und rauchen die Stummel aus den Aschenbechern, wenn die Zigaretten alle sind.

Wie blöd muss man eigentlich sein? Nun, so blöd wie ich, beispielsweise. Nach dreizehn Jahren als rückfallfreier Nichtraucher sieht man mich derzeit frierend und qualmend zwischen den Mahlzeiten vor Restaurants stehen oder vor Zigarettenautomaten verzweifeln, denen man mittlerweile nachweisen muss, dass man über achtzehn ist. Die Zeiten ändern sich, das Gehirn des Rauchers bleibt gleich. Das bestätigt mir der Suchttherapeut Jürgen Selzer, der deutschlandweit in Seminaren die «ProDopa»-Raucherentwöhnungstherapie anbietet: «Für die Sucht gibt es keine Zeit und kein Vergessen. Drogen wirken hauptsächlich im Gehirn, und zwar in den dummen Hirnstrukturen ohne Intelligenz. Dort, wo auch frische Verliebtheit angesiedelt ist. Das ist die Welt der inneren Illusionen, der Schönfärberei, der Fehlinterpretationen und der doofen Ausreden. Für einen Exraucher wie Sie gibt es kein Zurück ins normale Leben. Wenn Sie einmal ziehen, sind Sie sofort wieder dabei. Das Suchtgedächtnis vergisst nie.»

«Ich höre aber bald wieder auf, spätestens an Silvester», höre ich mich dümmlich einwenden und rechne bereits mit einer unerfreulichen Antwort.

«Klar, das sagen alle. Das ist der Klassiker unter den erlaubniserteilenden Sätzen der Raucher. Dicht gefolgt von ‹Ab und zu mal eine Zigarette nach dem Essen ist doch okay› und ‹Helmut Schmidt ist 95 Jahre alt und raucht Kette›. Solche inneren Märchen dienen dazu, die Angst vor dem Rauchen zu reduzieren. Dabei sollten Sie große Angst haben! Jeder Zweite stirbt an den Folgen des Rauchens. Sie sind verliebt in ein Monster, in einen Suchtteufel, in einen Mörder. Man kann Rauchen nicht genießen. Sie reduzieren lediglich ein Verlangen, das der Nichtraucher überhaupt nicht empfindet. Es gibt keinen Nutzen. Sie müssen unbedingt verstehen, dass schon die erste Zigarette süchtig machen kann. Die körperliche Entgiftung dauert beim Raucher drei Wochen – aber Ihre Psyche bleibt für immer vergiftet. Deshalb ist eine Abstinenzentscheidung eine Entscheidung fürs Leben.»

«Okay, okay,» murmele ich eingeschüchtert, während ich mich bemühe, eine Zigarette anzuzünden, ohne dass es der gnadenlose Suchtexperte am Telefon bemerkt.

In einem Monat werde ich meine Abstinenzentscheidung fürs Leben treffen. Dann gehe ich zum Entwöhnungsseminar und lasse mir von Herrn Selzer persönlich die Lust aufs Rauchen verderben.

Doch bis dahin werde ich rauchen, bis die Lunge qualmt. Das Aufhören muss sich ja lohnen. Ich bin eben frisch verliebt! Haben Sie Feuer?

Neuer Mann oder neue Frisur?

Gestern hatte ich die Wahl: Entweder Scheidung oder neue Frisur. Weil die Angelegenheit keinerlei Aufschub duldete und der Anwalt, der sich üblicherweise um meine Scheidungen kümmert, im Urlaub war, entschied ich mich für den Frisör. Drei Stunden später – nur durch Beziehungen und entwürdigendes Betteln hatte ich einen Blitztermin bei Silke Barckmann, Spitzen-Frisörmeisterin in Hamburg-Ottensen, bekommen – waren die Haare ab, und meine Ehe war gerettet.

Ich neige wie alle mir bekannten Frauen dazu, meine Frisur und meinen Mann für meine Stimmungsschwankungen verantwortlich zu machen. Vor einem Jahr beispielweise beschloss ich, dass die sanftmütige, mädchenhafte Seite meines Charakters durch eine entsprechende Kopfgestaltung unterstrichen werden müsse. Also ließ ich wachsen. Es folgten die harten Monate der unansehnlichen Zwischenlänge, in denen du nur ungern das Haus verlässt und Mützen sowie dilettantisch um den Kopf gewundene Tücher zu deinen beliebtesten Kleidungsstücken zählen.

«Ich habe eine Kundin», erzählte mir Silke Barckmann, erfahrene Fachkraft in Sachen Frauenhaar und Frauenseelen, «die sich zwei Jahre mühsam die Haare wachsen ließ, um dann festzustellen, dass sie mit langen Haaren ständig von Männern angesprochen wurde, die überhaupt nicht ihrem Beuteschema entsprachen. Jetzt trägt sie wieder eine Kurzhaarfrisur und ist glücklich mit sich und den Männern. Wenn deine Frisur ganz anders ist als du selbst, ist das für alle Beteiligten irritierend, weil du falsche Signale aussendest.»

Das erinnert mich an meine imposanten Schwangerschaftsbrüste. Die Dinger kommunizierten ohne mein Wissen, also quasi hinter meinem Rücken, mit schlichtgestrickten Männern, die sich konsterniert zurückzogen, wenn sie feststellen mussten, dass die dazugehörige Frau sprechen konnte und eigenes Geld verdiente. Hätte ich schon damals lange Haare gehabt – nicht auszudenken, was für Erfolge ich damit beim sich für stark haltenden Geschlecht erzielt hätte! Ich bin ansonsten nämlich nicht der Typ Frau, der sich über zu viele Verehrer beklagen darf. Ich bin in meinem Leben von exakt drei Männern angesprochen worden, zwei davon habe ich geheiratet, der dritte wollte, dass ich ihn meiner langhaarigen Freundin vorstelle.

Meine Theorie: Deine Haare sind wie dein Charakter. Mir selbst sind zum Beispiel diese Damen unheimlich, die sich alle sechs Wochen nur die Spitzen schneiden lassen. Ein ganzes Leben lang immer dieselbe Frise! Womöglich, ich kann nur spekulieren, sind das auch die Frauen, die mit ihrer Jugendliebe zusammenbleiben, die ganz genau wissen, was ihnen steht, und denen die Achterbahnfahrten eines sich verselbständigenden Body-Mass-Indexes völlig fremd bleiben. Die ausgeglichene, solide Frau braucht ihren Frisör nur zum Erhalt des Bestandes und zum Nachfärben des Ansatzes in ihrer Ursprungsfarbe. Nicht umsonst wechseln irrende, unstete Dinger wie Lady Gaga, Drew Barrymore und ich ihre Frisuren wie ihre Waschlappen. Und nicht umsonst sehen wackere Mädchen wie Steffi Graf, Uschi Glas und Jennifer Aniston seit Jahrzehnten auf dem Kopf immer gleich aus.

«Das täuscht», sagte Silke Barckmann, während sie einen gigantischen Haar-Haufen unter mir zusammenfegte. «Denen fehlt oft der Mut zur Veränderung. Viele trauen sich nix und bleiben tendenziell auch ein Leben lang beim falschen Mann. Frauen, die sich mal die Haare abschneiden, sind experimentierfreudig.»

Das habe ich natürlich gern gehört. Denn man könnte es auch als seelische Unausgeglichenheit missdeuten, dass ich meine Haare immer genau so lange lang wachsen lasse, bis sie endlich lang sind. Und statt dann zufrieden zu sein und mich in der Kunst der Hochsteckfrisur zu üben, nörgele ich ziellos rum und ekele mich vor den Haarbüscheln, die den Abfluss verstopfen. Neulich hatte sich bei dem Versuch, eine locker fallende Farah-Fawcett-Löwenmähne zu kreieren, eine Rundbürste so derbe in meinen Haaren verfangen, dass mich mein Mann befreien musste. Beschämend.

Jetzt sind meine Haare um 20 Zentimeter kürzer, und ich fühle mich befreit. «Das passt viel besser zu Ihnen», sagte Frau Barckmann zum Abschied. Und wenig später bin ich tatsächlich von einem Mann angesprochen worden. Leider nur von meinem eigenen. Er sagte: «Die langen Haare haben mir aber auch gut gefallen.»

Der lange Abschied von dem, der du einmal warst

Manchmal ahnt er noch, wer ich bin. Wir sitzen nebeneinander auf der Bank auf einem Spielplatz. Er liebt Kinder, weil er jetzt, wo er keinen Verstand mehr hat, wieder eins von ihnen ist. Eine Kinderseele. Wir machen ein Selfie, Wange an Wange, strahlend. Er schaut sich das Foto an und ruft erfreut: «Da ist ja Hilde! Und guck mal, wie sie lacht!» Seine Schwester ist seit zwanzig Jahren tot. Aber nicht für ihn. Vielleicht, denke ich, ist er ein glücklicher Mensch. Später, als er von der Toilette zurückkommt, freut er sich, mich zu sehen. Er nimmt mich in den Arm. «Wie schön, dass du mich besuchst!» Er nimmt mich an diesem Nachmittag noch oft in den Arm. Denn sobald er mir den Rücken zukehrt, vergisst er, dass ich da bin. Es ist ein ständiges Wiedersehen.

Ich würde gern darüber lachen können. Aber was überwiegt, ist das Gefühl, ihn schon vor langer Zeit verloren zu haben.

«Ich habe versucht, mich auf den Zustand einzulassen, in dem er sich befand, und ihn unter diesen neuen Umständen neu kennenzulernen», sagt Bettina Tietjen, die ihren dementen Vater bis zu seinem Tod vor zweieinhalb Jahren begleitet hat. Die Moderatorin hat ein wunderbares, bewegendes Buch über diese Zeit geschrieben: «Unter Tränen gelacht: Mein Vater, die Demenz und ich». Bettina Tietjen sagt, dass es genau das ist, was vielen Angehörigen fehlt und was viele so unendlich erleichtert: bei allem Kummer lachen zu dürfen. Und vielleicht gleichzeitig zu weinen. Und sich einzugestehen: Du schaffst das nicht alleine.

«Einen dementen Angehörigen zu betreuen verlangt viel Kraft und viel Zeit, und wenn man sich nicht helfen lässt, dann gehen womöglich durch diese Überbelastung die Liebe und die Nähe verloren», sagt Bettina Tietjen. Ihr ist es gelungen, sich von ihrem Vater, so wie er einmal war, ohne Groll und Hadern zu verabschieden. «Was mir geholfen hat, war, anzuerkennen, dass er jetzt so ist, wie er ist. Dass ich ihn liebe, so wie er ist, und dass ich ihm das gebe, was er braucht. Wenn er mich nicht erkennt, so bleibt er doch mein Vater, und wenn ihm mein Name nicht einfällt, so weiß er doch, dass ich ein ihm vertrauter Mensch bin. Ich habe mich, ohne zurückzublicken, auf den Menschen eingelassen, der er jetzt ist, und auf die Bedürfnisse, die er jetzt hat. Wir haben gesungen, alte Gedichte aufgesagt und in Fotoalben gestöbert. Er hatte in dieser Zeit sehr viel Freude am Leben. Und ich, bei aller Verzweiflung ab und an, auch.»

Auf dem Spielplatz wird es langsam kühl. Ich stimme die ersten Zeilen eines Liedes an, das seine Familie früher, viel, viel früher, oft zusammen gesungen hat. «Dat du min Leevsten büst, dat du wohl weeßt.» Dass du mein Liebster bist, das weißt du wohl. Er singt mit und lacht.

Wie schön ist es, schön zu sein?

Jetzt kann ich also wieder einpacken. All die Körperteile, die während der Sommersaison an den wenigen warmen Tagen das Licht der Welt erblicken durften, verschwinden allmählich wieder unter langen Ärmeln, Hosenbeinen und in geschlossenem Schuhwerk. Vorbei die Zeit, in der man abwägen musste, wie viel Haut man zeigen will, ob der Ausschnitt tief, die Ärmel abwesend sein dürfen und der Rock weit über dem Knie oder kurz unter dem Fußknöchel enden soll. Das sind Entscheidungen, die Jahr für Jahr aufs Neue wohlüberlegt getroffen werden wollen, zusammen mit der Entscheidung: Wie gut will ich eigentlich aussehen und für wen, und welche Opfer will ich dafür bringen?

Schönheit, so sagt man, liegt im Auge des Betrachters. Aber manchmal liegt sie auch genau neben mir. Im Freibad zum Beispiel, es ist erst wenige Wochen her, an einem der letzten schönen Tage, machte es sich die amtierende Miss Universum, das vermutete ich jedenfalls, auf der Liege neben mir bequem.

Das augenblicklich eintretende optische Gefälle war mir durchaus bewusst, aber statt mich auf der Stelle unwohl zu fühlen, versuchte ich mich ausnahmsweise mal in die straffe Haut der Schönen zu versetzen. Das gelang mir aber nicht, und so rief ich, um Rat suchend, Ted Linow an. Der Chef der «Mega Model Agency» weiß alles über die Schönen und ihre Schönheit. Er sagt: «Die meisten Models finden sich selbst nicht schön und leiden darunter, auf ihr Aussehen reduziert zu werden. Denn natürlich öffnet Schönheit Türen – aber diese Türen schließen sich auch ganz schnell wieder, falls da nicht mehr kommt als Äußerlichkeit. Es bedeutet immer ein Risiko, wenn man bewundert wird wegen etwas, für das man nichts kann. Die Doofen ruhen sich darauf aus und müssen dafür bezahlen, denn ein doofes Gesicht will keiner sehen. Die anderen arbeiten an sich und wollen wie normale Menschen behandelt werden.»

Das ist leicht gesagt, wenn man doch selbst nicht mehr wie ein normaler Mensch behandelt wird, sobald man neben einer Schönheit steht, sondern wie ein Ascheimer in Tarnfarbe. Ted Linow jedoch plädiert für Verständnis: «Es ist sehr anstrengend, schön zu sein und zu bleiben. Ständig wird man von neidvollen Blicken begleitet, der kleinste Hauch von Orangenhaut wird hämisch registriert, jede Falte mit gehässiger Freude betrachtet. Und auch das Verblühen, der Weg vom Pfirsich zum Tabakbeutel, ist für schöne Menschen besonders hart. Irgendwann erlischt die Bewunderung – das vermisst du natürlich nicht, wenn dir sowieso noch nie einer nachgepfiffen hat.»

Na, kein Wunder, dass die sich immer neben mich legen. Die wollen sich noch mal so richtig gut fühlen, bevor es auch mit denen bergab geht! Schäbig. Lasst euch gesagt sein: Natürlich seht ihr besser aus als ich. Aber ihr seid nur schön, weil ich es nicht bin! Wenn alle so aussähen wie ihr, würdet ihr ja überhaupt nicht mehr auffallen. Also sonnt euch ruhig weiterhin neben mir in eurer Schönheit, die durch mich erst zum Strahlen gebracht wird. Aber dafür erwarte ich Dankbarkeit! Seid gefälligst nett zu mir, denn ohne mich wärt ihr nichts!

Der ist Sommer vorbei, aber das hat jetzt mal unheimlich gutgetan.

Bis nächstes Jahr, in alter Frische!

Ich will mich nicht ernähren. Ich will lecker essen!

Ich bin es satt, nie satt zu sein. Ich will nicht länger den Supermarkt betreten, als gelte es, einigermaßen unbeschadet Feindesland zu durchqueren.

Ich mag beim Einkaufen nicht mehr jedes Produkt argwöhnisch auf seine Inhaltsstoffe überprüfen wie ein Laborant seine Trägerlösung, und ich will nicht mehr zu den durchgeknallten Gesunden gehören, die alles blind kaufen, bloß weil «frei von» draufsteht, sogar den extra sauteuren, laktosefreien Edamer. Dabei ist Edamer von Natur aus laktosefrei. Demnächst halten wir Wodka für gesund, weil kein Gluten drin ist.

Nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Menschen leidet an ernstzunehmenden Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Allergien. Soll ich den Advent etwa mit Hirse-Soja-Keksen verbringen, nur weil irgendein fragwürdiger Bluttest mir Unverträglichkeiten attestiert hat, von denen ich bis dahin nicht mal was gemerkt hatte? Kein Test kann herausfinden, wie viel Lebensglück mir verlorengeht, wenn ich beim Familien-Pizza-Essen als einzige Putenbrust auf Reiswaffel zu mir nehme.

Seit der Darm in unserer Gesellschaft und in den Bestsellerlisten zum hypersensiblen Superstar geworden ist, hat man ja das Gefühl, ihn bereits mit einem Stückchen Käsekuchen am Sonntagnachmittag gleich zu Tode zu beleidigen.

Gut, dass mein Mann nicht so intolerant ist wie mein Darm. Aber wenn ich nicht aufpasse, kann ich meinen Beziehungsstatus demnächst von «verheiratet» zu «gluten-, laktose- und ehemannfrei» ändern. Mittlerweile sehe ich meinen Mann nach den meisten von mir zubereiteten Mahlzeiten (wahlweise Fisch mit Gemüse, Putenbrust mit Gemüse oder Gemüse pur) wortlos zum Brotkasten gehen, um dort seinen Magen nachträglich mit Grundlagen zu versorgen.

Ich glaube, dass mein Darm im Grunde seines Herzens ein ausgesprochen verträgliches Organ ist. Und wenn man nicht krank ist, sollte man nicht so essen, als sei man krank.

«Verbote machen das Leben schwer», sagt mir Anne Fleck, die wunderbar lustige und kluge Ernährungs- und Präventivmedizinerin mit eigener Fernsehsendung. Die pragmatische Doktorin, die ein Cordon bleu zur rechten Zeit sehr zu schätzen weiß, hält nichts von Ernährungsextremismus. «Essen ist Genuss und Kultur. Allein die Dosis macht das Gift. Wir sind dabei, ein Volk von freudlosen Essern zu werden, mit durch Diäten versauten Körpern und der absurden Vorstellung, dass man von einer Tafel Schokolade zwei Stunden früher stirbt. Die Woche hat sieben Tage. Wenn Sie sich an fünfen davon ausgewogen und gesund ernähren, reicht das völlig. Zu viel Verbissenheit schlägt einem mehr auf den Magen als ein Stück Buttercremetorte.»

Am Wochenende gehen wir Pizza essen. Ich bestelle eine mit einer Portion extra Laktose obendrauf. Da bin ich unheimlich tolerant.

Meine kreative Krampfader

Seit ich mit neunzehn Jahren mein Elternhaus verließ, bemühe ich mich, meine diversen Bleiben irgendwie wohnlich einzurichten. Im Landhaus-Stil. Im Shabby-Chic-Look. Im Long-Island-Style. Ist mir nie gelungen, denn ich habe keinen Geschmack. Ich bin genetisch vorbelastet. Meine Mutter war in Sachen Einrichtung talentfrei, und mein Vater war blind. Das ergänzte sich ungünstig. Bei uns passte nichts zusammen. Die Esszimmergarnitur war ein Albtraum aus dunklem Holz und hellem Kunstleder, wie er selbst in jenen geschmacklich fragwürdigen Zeiten selten zu finden war, und Bilder wurden dort aufgehängt, wo die Tapete Flecken bekommen hatte – also meist auf Kniehöhe.

Ich wollte es anders machen. Stilvoll, schlicht, gemütlich, edel. Wie bei feinen Leuten, nicht wie bei uns. Doch trotz jahrzehntelangen Studiums von Wohnzeitschriften pflastern Fehlkäufe meinen Weg: kleine Kommoden, die nirgends hinpassen, Bilderrahmen, die nirgends dazupassen, und Möbel, die im Geschäft noch gut aussahen. Ich war immer gezwungen, mein eigenes Geld zu verdienen, denn niemand sonst hätte mir meine Wohnirrtümer finanziert.

Auch der letzte Versuch, meinem Arbeitszimmer eine aristokratisch-warme Atmosphäre zu verleihen, misslang. Ich hatte bei der Auswahl der bräunlich gemusterten Tapete kein glückliches Händchen bewiesen. Das Zimmer sah aus, als hätte jemand 30 Jahre lang ununterbrochen Zigarre geraucht und zwischendurch sein Sputum gegen die Wand abgehustet. Mein Mann war mit seinem guten Geschmack geschäftlich unterwegs gewesen, ohne eine Chance zu intervenieren. Ich ließ die Tapete wenige Wochen später beschämt entfernen. Auch die Experimente, mit hellem Teppich und weißen Sofahussen schwedenhafte Atmosphäre ins Wohnzimmer zu zaubern und unserem Schlafzimmer mit floral gemusterten Vorhangstoffen einen ländlich-lieblichen Charakter zu verleihen, gingen schief. Im Bekanntenkreis spricht man bereits höhnisch von meiner «kreativen Krampfader».

Wie mit dem Essen, so ist es auch mit dem Wohnen bei mir: Ich kann nicht kochen, aber ich esse gerne lecker. Ich kann nicht einrichten, aber ich hab’s gern schön zu Hause. Das Leben hat mich also eine gewisse Vorsicht gelehrt beim Möbelkauf und Umgang mit Wandfarben, Vorhangstoffen etc. Ich ging auch nur deshalb in das unheimlich schnieke Einrichtungshaus «Bornhold», weil direkt davor ein Parkplatz frei war, ich noch eine halbe Stunde Zeit hatte und seit ewigen Zeiten von einem Ecksofa träume. In der Welt des schönen Wohnens begrüßte mich die Inneneinrichterin Ariane Juniel.

Seither habe ich Geschmack! Und zwar ihren.

Die Frau, die etlichen prominenten Hamburgern zum ganz eigenen Stil verholfen hat, ist eine Freundin des offenen Wortes. Sie hat schon bei wildfremden Leuten geklingelt, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass die Lampe in ihrem Fenster exakt die falschen Proportionen hat.

«Geschmack kann man nicht lernen, aber es gibt gewisse Regeln beim Einrichten», sagt Frau Juniel. «Man muss sich immer fragen: ‹Wie lebe ich, und was brauche ich?› Viele Leute richten ihre Wohnung nicht für sich, sondern für die anderen ein. Aber wie oft kommen die anderen? Auf dem Sofa kann die Schwiegermutter aufrecht sitzen und Tee trinken, aber die Familie hat beim Fernsehen nicht genug Platz. Am Esstisch stehen zehn Stühle, es sieht aus wie in einem Konferenzsaal, aber wie oft hat man so viele Gäste? Schlafzimmer werden in Deutschland aufs schlimmste vernachlässigt. Dort werden der Wäscheständer, das Bügelbrett und der Korb mit Schmutzwäsche versteckt. Das muss nicht sein. Und Stil ist keine Frage des Geldes. Das Budget ist egal, ich muss es nur vorher wissen, dann setze ich keine Kunst für 250000 Euro an der Wand ein. Ich habe auch schon Einrichtungsberatungen komplett mit Ikea-Möbeln gemacht.»

«Ist es nicht irgendwie peinlich, wenn man jemanden wie Sie braucht?», frage ich, als Frau Juniel wenige Tage später engagiert durch unser Wohnzimmer krabbelt. Meine Ecksofa-Phantasie wird sich nun endlich erfüllen. «Ach was!», ruft die Spitzen-Einrichterin und nimmt Maß. «Es ist immer gut, wenn man einsieht, dass man etwas nicht kann. Sie schneiden sich ja auch nicht die Haare selbst!»

Bei der Sichtung der übrigen Räume bitte ich Frau Juniel, sich mit Kommentaren bezüglich unserer Wohnsituation nicht zurückzuhalten. Sie sagt: «Dieses Lämpchen ist aber hübsch! Wir werden sicher einen Platz finden, wo es auch hinpasst. Drehen Sie Ihren Schreibtisch einfach mal um, hängen Sie den Fernseher zehn Zentimeter tiefer und die Papierlampe im Kinderzimmer zehn Zentimeter höher. Stellen Sie zwei der Esszimmerstühle in den Keller und rücken Sie dieses Regal unter das Fenster. Und an dieser Wand fehlt ein Bild.»

Natürlich hatte sie mit allem recht. Jetzt warte ich auf mein nougatfarbenes Ecksofa. Mein Mann wird schon nervös, denn im Keller ist kein Platz mehr für meine Wohnirrtümer, und selbst bei Ebay bin ich meinen letzten Spontankauf, das chinesische Hochglanzlack-Schränkchen, nicht losgeworden. Ich aber bleibe gelassen. Denn ich habe jetzt Stil. Und die Handy-Nummer von Ariane Juniel.

Schluss mit dem Tag: Gute Nacht!

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