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Beschreibung

Die Publikationsberatung ist ein stetig wichtiger werdendes Feld für Universitäten und ihre Bibliotheken. Sie stellt eine erfolgreiche Verbreitung von Forschungsergebnissen sicher und unterstützt vor allem junge Forschende. Die Autor*innen des Bandes liefern sowohl für Mitarbeiter*innen aus der Verwaltung als auch aus der Wissenschaft grundlegende Informationen zu zahlreichen Aspekten des wissenschaftlichen Publikationsprozesses sowie zu relevanten Themen der Publikationsberatung. Dabei vermitteln sie praktische Erfahrungen aus unterschiedlichen Einrichtungen und bieten Anregungen und Empfehlungen für Angebote zur Publikationsunterstützung: grundlegendes Know-how für den Auf- und Ausbau eines bedarfsgerechten Publikationsservices.

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Seitenzahl: 461

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Karin Lackner (Mag. rer. nat., Mag. phil.), geb. 1980, studierte Astronomie und Geschichte an der Universität Wien und ist Fachreferentin für Physik und Astronomie an der Universitätsbibliothek der Universität Graz. Ab 2016 baute sie gemeinsam mit einem kleinen Team die Publikationsservices der Universität Graz auf und berät Forschende zu unterschiedlichen Aspekten des wissenschaftlichen Publizierens. Ihre Themenschwerpunkte liegen dabei auf Bild- und Urheberrecht, Open Access und Fake Journals. ORCID iD: http://orcid.org/0000-0001-6096-1717

Lisa Schilhan (Mag. phil., Dr. phil.), geb. 1982, promovierte in Kunstgeschichte an der Universität Graz und baute als Open-Access-Beauftragte der Universität Graz das institutionelle Repositorium unipub auf. Sie betreut die an der Universität herausgegebenen Gold-Open-Access-Zeitschriften, die auf dem Repositorium publiziert werden, und leitet seit März 2019 die Publikationsservices der Universität Graz. Sie unterstützt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem in den Bereichen Open Access und Academic Search Engine Optimization. ORCID iD: https://orcid.org/0000-0002-1425-850X

Christian Kaier (Mag. phil.), geb. 1975, studierte Anglistik/Amerikanistik an der Universität Graz und war für das juristische Verlagsprogramm eines österreichischen Wissenschaftsverlages verantwortlich, bevor er an die Universitätsbibliothek der Universität Graz wechselte. Er arbeitet im Bereich der Publikationsservices und ist Ansprechpartner für die Themen Wissenschaftliche Kommunikation, Forschungsdatenmanagement und Publikationsförderung. ORCID iD: https://orcid.org/0000-0002-8750-6666

Karin Lackner, Lisa Schilhan, Christian Kaier (Hg.)

Publikationsberatung an Universitäten

Ein Praxisleitfaden zum Aufbau publikationsunterstützender Services

Ergänzend zu diesem Band steht unter https://doi.org/10.25364/publikationsberatung-materialien eine Materialiensammlung zur Verfügung. Die bereitgestellten Materialien können für eigene Vorträge und Workshops weitergenutzt werden.

Publiziert mit Unterstützung der Universität Graz.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell. (Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de)

Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2020 im transcript Verlag, Bielefeld

© Karin Lackner, Lisa Schilhan, Christian Kaier (Hg.)

Covergestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Satz: Michael Rauscher, Bielefeld

Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar

Print-ISBN 978-3-8376-5072-3

PDF-ISBN 978-3-8394-5072-7

EPUB-ISBN 978-3-7328-5072-3

https://doi.org/10.14361/9783839450727

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

 

Vorwort

Danksagung

Einleitung

Karin Lackner, Lisa Schilhan, Christian Kaier

Teil 1: Aspekte des wissenschaftlichen Publizierens

Historische Umbrüche im wissenschaftlichen Publikationswesen und ihr Widerhall in heutigen Techniken

Margo Bargheer

Publizieren in wissenschaftlichen Zeitschriften

Christian Kaier, Xenia van Edig

Publizieren von wissenschaftlichen Büchern

Elisabeth Stadler, Christian Kaier

Forschungsdatenmanagement und Publizieren von Forschungsdaten – Aufbau von Services am Beispiel der TU Wien

Barbara Sánchez Solís, Paloma Marín-Arraiza, Christiane Stork, Magdalena Andrae

Urheberrecht und offene Lizenzen im wissenschaftlichen Publikationsprozess

Walter Scholger

Wissenschaftliche Integrität im Publikationsprozess

Nicole Föger

Qualitätssicherung und Predatory Publishing in der Publikationsberatung

Lisa Schilhan, Karin Lackner

Open-Access-Finanzierung

Ulrike Kändler

Publikationsmonitoring

Stefan Schmeja, Marco Tullney

Bibliometrie als Thema in der Publikationsberatung

Astrid Höller, Christian Kaier

Sichtbarkeit und Auffindbarkeit wissenschaftlicher Publikationen

Lisa Schilhan

Publizieren und Promovieren. Einige Überlegungen unter besonderer Berücksichtigung der Geisteswissenschaften

Gerald Lind

Teil 2: Aufbau und Angebote einer Publikationsberatung

Die Publikationsservices an der Universität Graz – Aufbau und Weiterentwicklung

Karin Lackner

Einführung einer Publikationsberatung an Bibliothek und Archiv der TU Graz

Eva Babonich, Gerlinde Maxl

Serviceleistungen in der Publikationsunterstützung

Lisa Schilhan, Elisabeth Stadler

Wichtige Themen in der Publikationsberatung

Karin Lackner

Zielgruppenspezifisches Marketing von publikationsunterstützenden Angeboten unter besonderer Berücksichtigung des Online-Marketing

Michaela Zottler

Vernetzung von publikationsunterstützenden Angeboten

Christian Kaier

Entwicklung von Policies und Strategien im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens – Erfahrungen aus der Perspektive der Universität Graz

Christian Kaier, Lisa Schilhan

Anhang

Fahrplan zum Aufbau einer Servicestelle für die Publikationsunterstützung

Karin Lackner

Vorwort

Publikationsberatung an Universitäten, Lackner, Schilhan, Kaier (Hg.), 2020, S. 9–10, https://doi.org/10.14361/9783839450727-001

Dieser Beitrag wurde unter der Creative Commons Lizenz 4.0 Attribution (BY) veröffentlicht.

Dieser Band ist als Praxisleitfaden für Personen und Institutionen konzipiert, die eine Stelle zur Publikationsberatung auf- und ausbauen möchten. Während der erste Teil des Bandes verschiedene Aspekte des wissenschaftlichen Publizierens thematisiert, die im Rahmen der Publikationsberatung relevant sind, soll der zweite Teil die praktische Umsetzung publikationsunterstützender Angebote veranschaulichen. Mit diesem Band wollen wir Kolleginnen und Kollegen an Bibliotheken und Universitäten grundlegende Kenntnisse aus dem facettenreichen und dynamischen Bereich des wissenschaftlichen Publizierens vermitteln und ihnen bei der Umsetzung ähnlicher Projekte Hilfestellung geben.

Die Publikationsservices an der Universität Graz entstanden aus der Notwendigkeit heraus, die an der Universitätsbibliothek vorhandenen Open-Access-Angebote besser zu koordinieren. Doch bereits in einer frühen Phase entstand bei den Teammitgliedern der Wunsch, mehr als »nur« Open-Access-Unterstützung zu leisten. Stattdessen sollte in Absprache und Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen der Universität ein umfassenderes Service- und Beratungsangebot aufgebaut werden, das den gesamten Publikationsprozess begleitet.

Zum Zeitpunkt der Gründung der Publikationsservices an der Universität Graz existierten derart umfassende, thematisch breit aufgestellte Beratungsangebote im deutschsprachigen Raum unseres Wissens noch nicht und sind bis heute – nicht zuletzt aufgrund des Ressourcenbedarfs, den ein derartiges Angebot bedeutet – noch selten. Dennoch besteht an vielen wissenschaftlichen Institutionen großes Interesse, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Bereich des Publizierens verstärkt zu unterstützen.

Beratung zu Open Access und die Betreuung eines institutionellen Repositoriums sind hierbei vielfach der Ausgangspunkt für publikationsunterstützende Angebote. Dennoch wollten wir Open Access nicht ins Zentrum dieses Buches stellen, denn es ist als Thema ist insbesondere an wissenschaftlichen Bibliotheken bereits seit Jahren enorm präsent, und entsprechende Kenntnisse der Beratenden können daher in der Regel vorausgesetzt oder an anderer Stelle erworben werden. Als zentrale Entwicklung im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens wird Open Access in zahlreichen Beiträgen dieses Bandes aufgegriffen und bildet in einigen Fällen einen thematischen Schwerpunkt.

Ergänzend zu diesem Band stellen wir eine Materialiensammlung unter https://doi.org/10.25364/publikationsberatung-materialien zur Verfügung. Die dort bereitgestellten Materialien können für eigene Vorträge und Workshops weitergenutzt werden.

Graz, im Jänner 2020

Karin Lackner, Lisa Schilhan, Christian Kaier

Danksagung

Publikationsberatung an Universitäten, Lackner, Schilhan, Kaier (Hg.), 2020, S. 11–12, https://doi.org/10.14361/9783839450727-002

Dieser Beitrag wurde unter der Creative Commons Lizenz 4.0 Attribution (BY) veröffentlicht.

Wir möchten uns bei allen Co-Autorinnen und -Autoren herzlich für ihre Mitarbeit an diesem Band bedanken, den wir allein in dieser Form nicht realisieren hätten können. Ebenso gilt unser Dank den Gutachterinnen und Gutachtern der Beiträge für ihr hilfreiches Feedback.

Der ehemalige Vizerektor für Forschung Univ.-Prof. Dr. Peter Scherrer sowie Dr. Werner Schlacher als Leiter der Universitätsbibliothek Graz gewährten uns große Freiheit beim Aufbau der Publikationsservices und der Ausgestaltung der Serviceangebote. Dafür und für die fortwährende Unterstützung unserer Arbeit möchten wir uns herzlich bedanken.

Für die ausgezeichnete Zusammenarbeit beim Auf- und Ausbau der Publikationsservices danken wir unseren Kolleginnen Mag. Clara Ginther und Mag. Barbara Lagger von der Abteilung Zeitschriften und Datenbanken, Mag. Elisabeth Stadler vom Universitätsverlag sowie Alexander Prettner von der Abteilung Budget und Infrastruktur der UB Graz.

Ebenso gilt unser Dank unseren Kooperationspartnerinnen und -partnern an der Universität Graz, insbesondere Dr. Gerald Lind, Dr. Stefanie Lerch-Pesendorfer und Dr. Corinne von der Hellen vom DocService, Mag. Ursula Leiter-Köhrer vom Forschungsmanagement und -service, Mag. Beate Köp und Mag. Barbara Kremsner, MA vom Leistungs- und Qualitätsmanagement sowie Mag. Stefan Pötsch und Mag. Michaela Stark von der Rechts- und Organisationsabteilung.

Für die Möglichkeit, diesen Sammelband umsetzen zu können, bedanken wir uns bei unserer ehemaligen Abteilungsleiterin Frau Dipl.-Ing. Burghild Schubert sowie ihrem Nachfolger, Herrn Dipl.-Ing. (FH) Markus Lackner.

Abschließend danken wir dem Verlag transcript für die gute Zusammenarbeit sowie für das Entgegenkommen bei der Umsetzung zahlreicher Wünsche – inklusive der Open-Access-Verfügbarkeit dieses Bandes und der einzelnen Beiträge.

Einleitung

Karin Lackner1, Lisa Schilhan2, Christian Kaier3

Publikationsberatung an Universitäten, Lackner, Schilhan, Kaier (Hg.), 2020, S. 13–18, https://doi.org/10.14361/9783839450727-023

Dieser Beitrag wurde unter der Creative Commons Lizenz 4.0 Attribution (BY) veröffentlicht.

Ziele und Potenziale von Publikationsberatung an Universitäten

Beschäftigt man sich mit dem Thema Publikationsberatung an Universitäten, stellt sich zunächst die Frage, warum eine Institution Ressourcen für diese Form der Forschungsunterstützung bereitstellen sollte.

Publikationsunterstützende Angebote können

•die Interessen der Institution vertreten: Sie können zur Optimierung der Sichtbarkeit von Forschungsleistungen an einer Institution beitragen sowie das Bewusstsein der Forschenden dafür stärken und damit die Institution etwa in Hinblick auf Hochschulrankings, Ausgabeneffizienz und Initiativen zur Qualitätssicherung unterstützen,

•bestmögliche Bedingungen für die Publikation wissenschaftlicher Forschungsergebnisse schaffen,

•Forschende in den verschiedenen Phasen des Publikationsprozesses und bei der Sichtbarmachung ihrer Forschungsergebnisse unterstützen,

•neutrale, (verlags-)unabhängige Information und Beratung zu publikationsrelevanten Themen bieten,

•einen Beitrag zur Koordination der Publikationstätigkeit an der Institution leisten,

•neue Themen und aktuelle Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene im Auge behalten und entsprechende lokale Services und Angebote aufbauen,

•die Entwicklungen auf nationaler Ebene durch die Mitarbeit in institutionenübergreifenden Arbeitsgruppen und Projekten mitgestalten.

Das Thema Publikationsberatung betrifft die gesamte Institution – Administration und Forschende – bis hin zu Lehrenden, die Doktoratsstudierende im Rahmen der Betreuung von Abschlussarbeiten bei ihren ersten Publikationen unterstützen. Aus der Sicht von Verwaltungseinheiten und insbesondere Bibliotheken ist der Aufbau derartiger Angebote in einem Bereich, der traditionell zu den Kernkompetenzen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zählt, mit Chancen und Risiken verbunden und baut auf vorhandenen Stärken auf, wie die folgende Analyse4 für den Bereich des wissenschaftlichen Publizierens zeigt.

Stärken:

•Insbesondere Bibliothekarinnen und Bibliothekare verfügen über umfassende Kenntnisse in den Bereichen Metadaten, Auffindbarkeit, Datenorganisation, Open Access etc.

•Häufig werden an wissenschaftlichen Einrichtungen bereits Infrastrukturen wie Universitätsverlage und Repositorien bereitgestellt, deren Betrieb praktische Erfahrungen fördert.

Schwächen:

•Universitätsangehörige aus der Verwaltung verfügen in der Regel über wenig bis keine eigene praktische Publikationserfahrung. Dies kann zu einem Glaubwürdigkeitsproblem gegenüber den Forschenden führen.

•Ebenso sind oft wenig bis keine Vorkenntnisse des Verlagswesens und von Publikationsprozessen und Bewertungsmechanismen in der Wissenschaft vorhanden.

Chancen:

•In der Publikationsberatung können wichtige neue Entwicklungen in der wissenschaftlichen Kommunikation vermittelt werden, für deren Recherche Forschende keine Zeit bzw. Ressourcen haben. Als Beispiele dafür seien ORCID, »Plan S«, Predatory Publishing und neue Anforderungen in den Bereichen Open Access und Forschungsdatenmanagement genannt.

•Bibliotheken und Verwaltungseinheiten können verstärkt als Partner in diesem neuen Tätigkeitsfeld wahrgenommen werden.

•Publikationsunterstützende Services können zum Angelpunkt von strategischen Überlegungen der Institution in wichtigen Bereichen werden.

Risiken:

•Möglicherweise nehmen insbesondere etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Angebote nicht als notwendige und sinnvolle Unterstützung ihrer Publikationstätigkeit wahr.

•Publizieren ist eine der Kernkompetenzen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, eine Unterstützung in diesem Bereich durch administratives Personal könnte als »Einmischung« wahrgenommen werden.

•Es könnte der Verdacht einer »Beeinflussung« der Publikationstätigkeit entstehen.

Eine Stelle für die Publikationsberatung kann durch eigene Publikationstätigkeit und die laufende Erweiterung von Kenntnissen zu Publikationsprozessen möglichen Bedenken begegnen. Gleichzeitig können eine bewusst neutrale Beratungstätigkeit – im Unterschied zu Verlagen, die zumeist geschäftliche Interessen verfolgen – und der Nachweis hoher Kompetenz zu wichtigen Themen und aktuellen Entwicklungen des wissenschaftlichen Publizierens ihren Wert für die Institution glaubhaft machen.

Mögliche Ziele einer Stelle für die Publikationsberatung können folgendermaßen umrissen werden:

•Einrichtung einer Task Force, die sich in Spezialthemen einarbeitet, für deren Recherche Forschende wenig bis keine Zeit haben, die aber für sie relevant sind,

•Abstimmung und Bündelung von vorhandenen Angeboten,

•Erkennen und Kommunizieren von Entwicklungen im wissenschaftlichen Publizieren,

•Bewusstseinsbildung für neue Trends in der Publikationslandschaft (z.B.: warum ist es wichtig, Forschungsdaten zu archivieren/freizugeben),

•Rücksichtnahme auf disziplinäre Unterschiede,

•Neutralität in der Beratung: Unterstützung statt Lobbying oder gar »Bevormundung«,

•Mitarbeit an der Ausarbeitung übergreifender Strategien und Policies der Institution.

Als Nicht-Ziele von Publikationsberatung können definiert werden:

•Steuerung des Publikationsverhaltens von Forschenden (Stichwort »Publikationsfreiheit«),

•Monopolisierung des Themas »wissenschaftliches Publizieren« durch eine einzelne Stelle an der Institution: vorhandene Kompetenzen an anderen Stellen sollen gepflegt und vernetzt werden,

•(ausschließliche oder vorrangige) Hinleitung von Forschenden zu eigenen Infrastrukturen (Universitätsverlag etc).

Für die Einrichtung einer Stelle zur Publikationsberatung sind insbesondere ein entsprechender Auftrag bzw. das Commitment der Leitungsebene sowie Personalressourcen und ein Budget für die Beratungstätigkeit unerlässlich.

Institutionen werden nur dann in publikationsunterstützende Angebote investieren, wenn sie sich davon entsprechende positive Effekte erhoffen. Denkbare Parameter für eine Erfolgsmessung in der Publikationsberatung sind:

•Teilnehmerzahl der angebotenen Veranstaltungen, Evaluierung und Feedback der Forschenden auf die Angebote der Publikationsberatung,

•vermehrte Publikationstätigkeit der Forschenden in qualitätsgesicherten Medien,

•Schaffung der Voraussetzungen für die Einwerbung von Drittmitteln durch die Vorbereitung der Forschenden auf Förderbestimmungen in Bereichen wie Open Access und Forschungsdatenmanagement,

•in der Folge: Steigerung der Reputation einer Institution durch aktive Mitgestaltung von Trends und Werten wie Transparenz und Openness.

Es versteht sich von selbst, dass die konkrete Ausgestaltung publikationsunterstützender Angebote ganz unterschiedlich ausfallen kann, abhängig unter anderem von der Organisationsstruktur und Größe der Institution. Insbesondere spielen auch die enormen fachspezifischen Unterschiede und verschiedenen Publikationskulturen eine Rolle: Was genau als Publikation anerkannt wird, ob Zeitschriftenartikel, Buchpublikationen, Conference Proceedings oder andere Publikationsformen im Vordergrund stehen, Anforderungen an und Wertigkeiten von Publikationen, Begutachtungsverfahren, die Rolle von Drittmittelgebern und vieles andere mehr können je nach Disziplin und Institution höchst unterschiedlich sein. Dies erfordert nicht zuletzt auch ein entsprechendes Bewusstsein, Spezialwissen und maßgeschneiderte Angebote in der Publikationsberatung, um die erwartete und angemessene Unterstützung leisten zu können. Dieser Band kann darauf nur in Grundzügen eingehen, er versucht jedoch, einen breiten Überblick über Aspekte des wissenschaftlichen Publizierens und mögliche Beratungsangebote zu geben.

Ausblick

Dieser Band behandelt vergangene und aktuelle Entwicklungen des wissenschaftlichen Publizierens, beschäftigt sich aber nicht explizit mit Szenarien für dessen mögliche Zukunft. Selbstverständlich stellt aber auch dieser Aspekt eine wichtige Komponente einer Gesamtbetrachtung der wissenschaftlichen Kommunikation dar. Für eine weiterführende Lektüre wird daher sehr selektiv auf folgende Dokumente verwiesen: Nosek/Bar-Anan, Scientific Utopia: I. Opening Scientific Communication,5 Empfehlungen zur Zukunft des wissenschaftlichen Publikationssystems der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften,6 Kraker et al., The Vienna Principles – A Vision for Scholarly Communication in the 21st Century,7 Bosman et al., The Scholarly Commons – Principles and Practices to Guide Research Communication8 sowie der Jussieu-Appell für offene Wissenschaft und Bibliodiversität.9 Auch die zahlreichen Policies, Stellungnahmen und Strategiepapiere insbesondere zu Open Access und Open Science auf institutioneller, regionaler, nationaler und internationaler Ebene, von Verlagen und nicht zuletzt von Forschenden geben Aufschluss darüber, wie sich Wissenschafts- und Förderpolitik und damit das wissenschaftliche Publizieren weiterentwickeln könnten. Diese Entwicklungen im Rahmen der Publikationsberatung zu verfolgen und weiterzuvermitteln ist eine lohnende und spannende Aufgabe.

1Publikationsservices, Universitätsbibliothek, Universität Graz.

2Publikationsservices, Universitätsbibliothek, Universität Graz.

3Publikationsservices, Universitätsbibliothek, Universität Graz.

4https://de.wikipedia.org/wiki/SWOT-Analyse, zuletzt geprüft am 28.01.2020.

5Brian A. Nosek und Yoav Bar-Anan, »Scientific Utopia: I. Opening Scientific Communication«, Psychological Inquiry 23, Nr. 3 (2012), doi:10.1080/1047840X.2012.692215

6Mitchell G. Ash et al., Empfehlungen zur Zukunft des wissenschaftlichen Publikationssystems (Berlin: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, 2015), http://www.bbaw.de/publikationen/stellungnahmen-empfehlungen/wisspublikation, zuletzt geprüft am 12.03.2020.

7Peter Kraker et al., »The Vienna Principles: A Vision for Scholarly Communication in the 21st Century«, 2016, doi:10.5281/zenodo.55597

8Jeroen Bosman et al., The Scholarly Commons – Principles and Practices to Guide Research Communication (2017). doi:10.31219/osf.io/6c2xt

9https://jussieucall.org/jussieu-appell/#call, zuletzt geprüft am 28.01.2020.

Teil 1: Aspekte des wissenschaftlichen Publizierens

Historische Umbrüche im wissenschaftlichen Publikationswesen und ihr Widerhall in heutigen Techniken

Margo Bargheer1

Publikationsberatung an Universitäten, Lackner, Schilhan, Kaier (Hg.), 2020, S. 21–52, https://doi.org/10.14361/9783839450727-003

Dieser Beitrag wurde unter der Creative Commons Lizenz 4.0 Attribution (BY) veröffentlicht.

Schlagwörter: Wissenschaftliches Publizieren, Geschichte, Entwicklung, Verlag

Keywords: scholarly publishing, history, development, publisher

Einleitung

Wissenschaftliche Errungenschaften prägen unser heutiges Leben, von der vernetzten Kaffeemaschine bis zum aktuellen Regenradar auf dem Mobiltelefon. Um diese Kulturtechniken zu verwenden, müssen wir weder die zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse durchdringen noch verstehen, wie diese sich verbreiten. Innerhalb der wissenschaftlichen Produktionsstätten wie Universitäten oder Forschungseinrichtungen bilden Kenntnisse zu den Kommunikationsprozessen der Wissenschaft hingegen die Grundlage von ökonomischen Steuerungsprozessen oder Strategien wie die Ausrichtung von Studiengängen. Wer an einer deutschsprachigen Universität ein Vorlesungsverzeichnis durchsucht, stößt auf immer mehr Angebote zum wissenschaftlichen Schreiben und zur Wissenschaftskommunikation. An der Georg-August-Universität Göttingen, von der die folgenden Beispiele stammen, werden diese Lehrangebote dem Bereich der fachspezifischen Professionalisierung zugeordnet. In textorientierten Disziplinen werden im Grundstudium häufig Schreibtechniken als Schlüsselkomponente des wissenschaftlichen Arbeitens vermittelt.

Zunehmend rücken aber auch die Formate der Wissenschaftskommunikation in den Blick, mit denen wissenschaftliche Ergebnisse an unterschiedliche Zielgruppen vermittelt werden. Als erstes Beispiel sei ein Kurs in Göttingen für Studierende der Geowissenschaften2 genannt. In dieser Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten geht es neben dem Handwerkszeug des wissenschaftlichen Arbeitens ausdrücklich auch um das Publizieren als Prozess, wenn etwa die Auswahl geeigneter Fachzeitschriften thematisiert wird. Ein anderer Kurs3 richtet sich an Promovierende der Agrarwissenschaften und führt diese in »den Ablauf des Publikationsprozesses vom Schreiben und Einreichen des Manuskriptes bis zum Reviewverfahren« ein. Weit über die Vermittlung von Schreibtechniken hinaus geht hingegen der Kurs »Webbasiertes Publizieren«4, der Studierenden über alle Erstellungsschritte hinweg an das selbstständige Online-Publizieren auf zwei Publikationsplattformen litlog.de und escripta.de des Germanistischen Seminars heranführt.

Diese drei exemplarischen Lehrveranstaltungen können wir als Hinweis auf verschiedene Aspekte der heutigen Wissenschaftslandschaft lesen. Zum einen zeigen sie auf, dass zur professionellen wissenschaftlichen Ausbildung heutzutage auch die Funktionsweisen des Publizierens und Kenntnisse zu den entsprechenden Publikationskanälen gehören, die dementsprechend strukturiert vermittelt werden müssen, zum anderen, dass durch das Internet neue Publikationswege hinzugetreten sind, welche die konventionellen Rollenteilungen im Wissenschaftsbetrieb aufbrechen und in Frage stellen. Solche Umbrüche gehen nicht ohne Spannungen vonstatten, sondern lassen Beharrungskräfte oder ökonomisch motivierte Hegemonialansprüche zum Vorschein kommen, wie wir im weiteren Verlauf dieses Beitrags sehen werden. Dazu werden schlaglichtartig einige Veränderungen des Publikationswesens analysiert, um sie mit rezenten Praktiken der Wissenschaftskommunikation in Beziehung zu setzen, für die wegen ihrer wachsenden Komplexität durch Digitalisierung, Open Access und zunehmend auch Open Science sowie Gute wissenschaftliche Praxis Beratungsdienste an Universitäten, Forschungseinrichtungen und Hochschulen betrieben werden.

1Zur historischen Entwicklung des Publikationswesens

1.1Sozioökonomische Aspekte des Publikationswesens in der Epoche der Aufklärung

Der Beginn des in Zeitschriften strukturierten wissenschaftlichen Publizierens wird zumeist mit der Herausgabe der 1665 in knappen Abständen erschienenen »Journal des Sçavans« in Frankreich und den »Philosophical Transactions of the Royal Society of London« markiert, die erstmals eine Kollektion aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse präsentierten. Betrachten wir genauer, wie es zu dieser neuen Form des wissenschaftlichen Austausches kam. Die Universitäten der frühen Aufklärung waren weniger Forschungsstätten in unserem heutigen Verständnis, sondern vor allem Orte der Lehre, in denen die Methoden der Scholastik und das Auswendiglernen des tradierten Wissens vorherrschten. Gerade in den protestantischen deutschen Territorien waren Universitäten und Schulen zudem zentrales Instrument der obrigkeitlichen Politik, indem hier die politisch und konfessionell verpflichtete Funktionselite von Juristen und Theologen ausgebildet wurde und die damit den intellektuellen Diskurs in entsprechenden Kommunikationsnetzwerken bestimmten.5 Von den Lehrenden wurde erwartet, dass sie den aktuellen Stand der Forschung an diese Ausbildungsstätten mitbrachten, ohne dass die Wissensgenerierung ähnlich standardisiert wie der Lehrbetrieb war.

Als Grundlage für die Wissensgenerierung standen Ende des 16. Jahrhunderts bereits tausende von in Europa produzierten wissenschaftlichen Büchern zur Verfügung, die von privatwirtschaftlich arbeitenden Druckern – die gleichzeitig die Buchhändler und Verleger waren – hergestellt und vertrieben wurden, um anschließend vornehmlich in herrschaftlichen oder klerikalen Bibliotheken aufgestellt zu werden6. Schon seit 1580 verlegte der Familienbetrieb Elsevier7 in Flandern wissenschaftliche Bücher, so bspw. auch jene von Renato Des Cartes, heute besser bekannt als René Descartes. Die Abnehmer dieser wissenschaftlichen Werke waren gleichzeitig auch ihre Produzenten, was wir heute mit dem Begriff der »peer-to-peer«-Kommunikation bezeichnen würden. 1690 notierte Adrian Beier:

»Der Buchhändler hingegen hat zu seinen Kunden und Abnehmern die Gelehrten/als die ihre Gelehrsamkeit in Büchern suchen/aus Büchern von ander Arbeit urtheilen … und wenn eine Parthey vertrieben ist/er neue Wahren bedarff … so gehet er zu den Gelehrten/Deren Arbeit sucht er. Der Buch-Händler allein ist der Gelehrten eigentlicher Abnehmer.«8

Bemerkenswert ist in dieser Aussage, dass die Aufnahme in das Vertriebsprogramm eine Entscheidung zwischen den Produzenten und den Intermediären war, die anschließende Akzeptanz in der Fachwelt drückte sich durch erfolgreiche Abverkäufe aus. Eine standardisierte unabhängige Begutachtung vor der Drucklegung durch die Rezipienten scheint es vermutlich nur in Einzelfällen gegeben zu haben. Es liegt jedoch nahe, dass besonders die erfahrenen Verleger die Qualität der Inhalte der von ihnen hergestellten und vertriebenen Güter durchaus beurteilen konnten und damit erste Formen des »desk reject« betrieben haben, um ihr Verlagsprogramm auf gut verkäufliche Titel auszurichten und das soziale Verhältnis zu ihren Erfolgsautoren sowie die Verlagsreputation nicht durch minderwertige Titel anderer Autoren zu gefährden. Dass diese Intermediäre sich ihrer zentralen Rolle in der Wissensgenerierung bewusst waren, die sie deshalb auch gegen Markteingriffe der Obrigkeit zu verteidigen suchten, verdeutlicht das Bittgesuch der Leipziger Verleger und Buchhändler von 1616. Die sächsische Regierung hatte verordnet, dass von allen Werken kostenfreie Pflichtexemplare an die Universitätsfakultäten und die staatlichen Bücherkommissionen zu liefern wären. Die daraus resultierenden steigenden Buchpreise, so schrieben die Verleger, würden »alleine oder ie meistentheils […] den ordinem literatorum, Kirchen, Academien, Schulen, Pfarrherrn, Professores, Praeceptores, Scholaren, unndt dergleichen«9 treffen. Klaus Saur nennt bspw. für die im Barock größte Buchmesse in Frankfurt acht Pflichtexemplare, die um 1700 der Erbprinz von Hessen zu Zensurzwecken von den ausstellenden Verlegern verlangte, und die aus wirtschaftlichen Gründen für diese nicht realisierbar waren.10

1.2Paradigmenwechsel als Voraussetzung für eine Wissenschaft der Aufklärung

Diese historischen Beispiele verdeutlichen zweierlei. Zum einen weisen die Argumentationen der privatwirtschaftlichen Verlagskonsortien eine bemerkenswerte historische Kontinuität auf, wie es ihre aktuelle Lobbyarbeit hinsichtlich öffentlicher Marktsteuerungen (»Plan S« oder etwaige europäische Urheberrechtsreformen zu Gunsten der Wissenschaft) zeigt. Zum anderen kommt einem von staatlicher Lenkung unabhängigem wissenschaftlichen Publikationswesen dann eine besondere Bedeutung zu, wenn das Wissenschaftssystem auch kritikfähig gegenüber der Obrigkeit sein sollte. Die zuvor geschilderten sozioökonomischen Rahmenbedingungen, die zu Zeiten der ersten wissenschaftlichen Zeitschriften herrschten, lassen sich mit Betrachtungen zu den epistemologischen Veränderungen der Wissensgenerierung abrunden, wonach vor allem Descartes und Francis Bacon mit ihren Werken die »methodischen Weichen für die Zukunft« stellten. Sie schufen damit die theoretischen Grundlagen für eine Forschung, die induktiv und deduktiv vorging und sich nicht mehr dem Diktat der klerikalen Interpretation beugen musste, sondern – vor allem aus Bacons Sicht – dem Wohle des Menschen in seiner Lebenswelt dienen sollte.11

1637 veröffentlichte René Descartes anonym das populärwissenschaftliche Werk »Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences, plus la Dioptrique, les Météores et la Géométrie qui sont des essais de cette méthode«, auf Deutsch »Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung«. Darin stellte er vier Prinzipien vor, die bis auf den heutigen Tag unser Rüstzeug in der wissenschaftlichen Hypothesenbildung darstellen. Es sind: die Skepsis, »nichts für wahr halten, was nicht so klar und deutlich erkannt ist, dass es nicht in Zweifel gezogen werden kann«, die Analyse, »schwierige Probleme in Teilschritten erledigen«, die Konstruktion, »vom Einfachen zum Schwierigen fortschreiten (induktives Vorgehen: vom Konkreten zum Abstrakten)« sowie die Rekursion, »stets prüfen, ob bei der Untersuchung Vollständigkeit erreicht ist«.12 Unsere intellektuellen Grundlagen von Guter wissenschaftlicher Praxis und Open Science, dem Anspruch von Unvoreingenommenheit, Nachvollziehbarkeit und Erzielung vollständiger Ergebnisse sind offensichtlich älter, als vielen von uns klar ist. Zeitlos mutet auch Bacons Anspruch einer »scientia activa« an, einem erkenntnistheoretischen Ansatz, der »zugleich Theorie und Methodologie der Wissenschaft sein sollte« und damit die Begrifflichkeit von Forschung als theoriegeleiteten Akt des experimentellen Handelns und der Beobachtung erstmals als Konzept der Wissenschaft formuliert hatte.13

Forschung wurde in dieser Zeit außerhalb der Universitäten und in der späten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den neu gegründeten Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften betrieben, so etwa in der Royal Society of London (1660) und der Académie Royale des Sciences in Paris (1666). Weitere von geistlicher oder weltlicher Obrigkeit gesteuerte Fachgesellschaften wurden in der Folge gegründet,14 womit der wissenschaftliche Diskurs der Aufklärung eine Struktur erhielt, die gleichzeitig die Herrschaftsverhältnisse des Absolutismus nicht in Frage stellten. Es war dies auch der Beginn der Ausdifferenzierung der Disziplinen, die innerhalb des Hoheitsgebiets des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation auch eine Abkehr vom vorherrschenden Prinzip der Vier-Fakultäten-Universitäten (Theologischer, Juristischer, Medizinischer und Philosophischer) mit sich brachte.15

1.3Erste Beispiele der »peer-to-peer«-Begutachtung in der Aufklärung

1731 erschien die erste Ausgabe von »Medical Essays and Observations«, herausgegeben und durchgesehen von einer wissenschaftlichen Gesellschaft in Edinburgh, die aus praktizierenden Nachwuchsprofessoren in der Schule Boerhaaves bestand.16 Die Novität war, dass hier eine Gruppe von gleichgestellten »Peers« eine Sammlung von nützlichen Aufsätzen herausgab, dass diese von ihnen regelmäßig durchgesehen und auch korrigiert wurden. Wir können dies als eines der ersten Beispiele eines Periodikums mit einem innovativen Begutachtungsverfahren, dem »Peer Review«, betrachten, für das der Verleger Ruddiman die Publikationsdienstleistung erbrachte. Die namenlose Fachgesellschaft in Edinburgh hatte sich ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Kommunikationsinstrument geschaffen und dafür einen Infrastrukturdienstleister gefunden, der ihr Konzept mit Hilfe seiner Erfahrung umsetzte. Dass uns das an die Publikationsprozesse erinnert, die wissenschaftliche Bibliotheken heutzutage etwa mit ihren Digital-Humanities-Forschenden im Zusammenhang mit Digitalen Editionen entwickeln, um deren innovative Forschungsprozesse auch in eine adäquate Ergebnisverbreitung umzusetzen, ist also einer langen Tradition geschuldet.

Abb. 1: Titelblatt der Ausgabe III von Medical Essays and Observations

Der Soziologe Richard van Dülmen betrachtete die fortschreitende Gründung von Akademien und Fachgesellschaften als den erfolgreichen Abschluss des Prozesses der »Formierung eines Wissenschaftssystems, das ja nicht nur neues Wissen und neue Erkenntnisse vermittelt, sondern eine neue Philosophie hervorgebracht hat […] ein neues Weltbild, das sich wesentlich vom christlich-mittelalterlichen unterscheidet«.17 Eine wesentliche Rolle spielten dabei die regen Briefwechsel18 zwischen den damaligen Akademien und einzelnen Wissenschaftlern. Mit unseren heutigen Ansätzen der Digital Humanities sowie den retrodigitalisierten Corporae historischer Dokumente können wir einen solchen Fluss von Wissen und Austausch von Ideen nachzeichnen und ihn damit für weitere Forschungsfragen zu Netzwerkbildung und Wissensgenerierung erschließen und zur Verfügung stellen. Folgerichtig haben heutzutage zahlreiche wissenschaftliche Bibliotheken Dienste aufgesetzt, um solche Forschung auf Grundlage der bibliothekarischen Sammlungen zu ermöglichen und das neu generierte Wissen zu verbreiten. Im Zeitalter der Aufklärung standen diese Ansätze jedoch nicht bereit. In den allgemeinen Diskurs fand die Vernetzung also ihren Weg über die gedruckten Publikationen. Sie stellten für die damals neuen Produktionsstätten der Wissenschaft das zentrale Kommunikationsmedium dar und füllten die Bibliotheken der Universitäten und Akademien, die nun ebenfalls überall auf der Welt entstanden. Schon damals werden die Anschaffungsmittel von Bibliotheken endlich gewesen sein und die Entwicklung von Auswahlkriterien und Sammlungsstrategien notwendig gemacht haben.

2Das wissenschaftliche Publikationssystem im 20. Jahrhundert

2.1Objektivierende Ansätze von Wissenschaftsbewertung im 20. Jahrhundert

1927 waren es zwei Chemiker*innen19 des Pomona College, die in der seit 1880 herausgegebenen Zeitschrift »Science« ein Konzept vorstellten, mit welchem eine College-Bibliothek mit begrenzten Mitteln strikt evidenzbasiert die Zeitschriften auswählen konnte, die Collegestudenten die adäquate Literatur für die Aufnahme in die Graduate Schools bereitstellen würde. Als Basis ihres Konzepts wählten sie die Referenzen in laufenden Jahrgängen des »Journal of the American Chemical Society«, die ihrer Meinung nach am ehesten den Stand der damaligen amerikanischen Chemie widerspiegelten. Die Auswertung nahmen sie manuell vor und stellten in dem Artikel auch die Kollektion der Zeitschriften dar, die sie basierend auf ihrer Zitationsauswertung als unerlässlich für die Collegeausbildung betrachteten. Im Jahr 1955 veröffentlichte Eugene Garfield das Konzept einer fachübergreifend anwendbaren Systematik, nach der sich eine Qualitätsgewichtung wissenschaftlicher Artikel über die Messung von Zitationen in den veröffentlichenden Zeitschriften herleiten lässt. Aus heutiger Sicht klingt der folgende Satz fast arrogant: »[w]hat seems to be needed, then, in addition to better and more comprehensive indexes, alphabetical and classified, are new types of bibliographic tools that can help to span the gap between the subject approach of those who create documents – that is, authors – and the subject approach of the scientist who seeks information«20, wenn wir bedenken, dass Eugene Garfield über das 1960 gegründete Institute of Scientific Information bereits 1963 das kommerzielle Instrument zur Operationalisierung dieses Erkenntnisinteresses auf den Markt brachte, den Science Citation Index (SCI).

Literaturanschaffung auf Zitationsanalyseergebnisse zu stützen, war mit der Perspektive von Gross und Gross 1927 noch neutral zu betrachten, weil sie mit begrenzten Mitteln für ihre Studierenden die relevante Literatur auszuwählen hatten, die jenen die besten Chancen zur Aufnahme an amerikanischen Graduate Schools verschaffen würden. Mit dem privatwirtschaftlichen Institute for Scientific Information hatte dieser Ansatz hingegen eine neue Dimension bekommen. Nun ging es um Produkte, die unzweifelhaftes Potenzial für die Evaluierung des Wissenschaftsbetriebs aufwiesen, aber erhebliche Aufwände in der Herstellung mit sich brachten und für die dementsprechend gute Argumente hinsichtlich des hohen Beschaffungspreises geliefert werden mussten. Laut Garfield und Sher ließen sich mit dem SCI Individuen mit ihren Wissenschaftsergebnissen sowie Organisationen mit ihrem gesammelten Output bewerten. »In addition to a general utility for individual scientists, documentalists, and librarians who work with the scientific literature, SCI and ASCA21 also provide, for administrators, interesting capabilities that can be used in studying, evaluation, and improving the effectiveness of research programs«.22

Folgerichtig kamen 1973 der Social Sciences Citation Index (SSCI) und 1978 der Arts and Humanities Citation Index (A&HCI) auf den Markt. Im Jahr 1992 wurde das Institute for Scientific Information an Thomson Reuters verkauft, wo das die Indices übergreifende Produkt »Web of Science« geschaffen wurde, das zusammen mit anderen wissenschaftlichen Diensten schließlich 2016 von Thomson Science für 3 Milliarden Dollar an die Kapitalgesellschaft Clarivate Analytics verkauft wurde. Kernprodukt der Vormachtstellung des Web of Science ist der »Journal Impact Factor« (JIF), der bei aller Kritik weltweit als Messlatte für wissenschaftliche Relevanz von Zeitschriften und damit von Forschungsergebnissen anhand ihrer Verteilung in diesen Publikationskanälen herangezogen wird. Stellt man für einen hochgradig kompetitiven Bereich wie den der international ausgerichteten universitären Forschung Parameter zur Evaluierung und damit indirekten Statusbestimmung ihrer Angehörigen bereit, bleibt das nicht ohne Folgen. Eugene Garfield sah sich deshalb 2005 genötigt, darauf hinzuweisen, dass der Journal Impact Factor nicht zur Bewertung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelt worden war. Letztendlich ist aber genau das eingetreten, was die frühen Vermarktungsargumente versprachen, dass die Effizienz von Forschungsprogrammen evaluiert werden kann und dafür der auf Zitationen beruhende Rang der Publikationsorgane herangezogen wird, in denen es Individuen gelingt, ihre Forschungsergebnisse in Artikeln zu platzieren. Szientometrisch weist der JIF verschiedene Unzulänglichkeiten auf, die mit anderen Metriken überkommen werden könnten, etwa dem Eigenfactor, der Zitationen nach peripheren oder zentralen Zeitschriften für ein Wissenschaftsgebiet gewichtet,23 oder dem SNIP (»Source Normalized Impact per Paper«), der Zitationen gemäß der generellen Zitierhäufigkeit in einem Feld gewichtet.24 Verkürzt betrachtet und polemisierend stellt der Journal Impact Factor (JIF) das prominenteste Symbol jener Instrumente dar, mit denen einflussreiche Verlage – zu denen neben mächtigen Fachgesellschaftsverlagen auch die »Verlagskonglomerate« Elsevier, Springer Nature und Wiley gehören – ihre Reputation, ihre Systemrelevanz in der Wissenschaft sowie ihre Marktdominanz und damit ihre – stetig steigenden – Preise rechtfertigen und fortschreiben.

Trotz der öffentlich breit diskutierten Probleme gilt der JIF vor allem in den international ausgerichteten Lebenswissenschaften weiterhin als Maß der Dinge, der in der gelebten Praxis über Karrierewege, Forschungsprogramme und Grundausstattungen entscheidet. Die Auswüchse des JIF, die mit ihren problematischen Anreizsystemen inzwischen die Integrität der Wissenschaftskommunikation bedrohen25 und Berufungsverfahren und Karriereoptionen verzerren, haben 2012 zur San Francisco Declaration on Research Assessment26 (DORA) geführt. Diese Erklärung listet für alle am Wissenschaftsprozess Beteiligten – Förderer, Forschungseinrichtungen, Verlage, szientometrische Dienste und vor allem die Forschenden selbst – Empfehlungen auf, wie Evaluationen und Bewertungen auf bessere Grundlagen als den JIF gegründet werden können. In der Realität unterzeichnen jedoch nur wenige Einrichtungen die DORA Declaration und noch viel weniger setzen diese auch tatsächlich um. Infolgedessen wird es vermutlich noch lange dauern, bis sich die sozialen Praktiken in dieser Hinsicht zum Besseren wandeln.

2.2Publikationskanäle in der Hand der Wissenschaft

Widmen wir uns nach diesem eher pessimistisch stimmenden Beispiel einem anderen Umbruch. Ähnlich wie die erste als voll begutachtet geltende Zeitschrift »Medical Essays and Observations« ihre spezifische Entstehungsgeschichte hat, hat das vermehrte Aufkommen verlagsunabhängiger Publikationsplattformen, die sogenannten Preprintserver, eine Vorgeschichte. Etwas ausführlicher dargelegt wird deutlich, dass die Ansätze der selbstorganisierten Publikationsformen aus den frühen 1990er-Jahren als Wegbereiter für die Forderung nach einer grundsätzlich anderen Bereitstellungsform wissenschaftlicher Publikationen betrachtet werden können. Sie zeigten im Sinne eines »proof of concept« auf, dass es in den Disziplinen möglich war, Akzeptanz für Publikationen herzustellen, ohne dass diese unter dem Mandat konventioneller Verlage bereitgestellt wurden. Zahlreiche Zusammenstellungen zu den Anfängen von Open Access nehmen deshalb Bezug auf diese ersten Experimente.27 Bereits 2002 schrieb der damalige Herausgeber von The Scientist:

»The Budapest Open Access Initiative (BOAI) may not have quite the same historic impact as the Theses of Martin Luther or the US Declaration of Independence, but it has the potential to shake up the world of academic publishing in a profound way«.28

Da die Anfänge und Auswirkungen von Open Access als disruptive, revolutionäre oder einfach nur organisch entstandene Veränderung des Informationszugriffs und der dahinterliegenden Betriebsmodelle gut aufgearbeitet sind,29 sei zum Thema Open Access auf den Beitrag »Publizieren in wissenschaftlichen Zeitschriften« in diesem Band verwiesen.

Abb. 2: Notiz zur ersten Datenübertragung von Computer zu Computer im Arpanet, 29. Oktober 1969 (public domain)

2.3Forschungsrelevante Technologie als Wegbereiter

Im Herbst 1969, etwa drei Monate nach der spektakulären Landung der Raumfahrtmission Apollo 11, gelang in den USA eine kleine und nur von Expertinnen und Experten wahrgenommene wissenschaftliche Sensation. Erstmals wurden im Arpanet Daten von einem Computer zu einem anderen per Netzwerkprotokoll übertragen, einem Netz, dem es wegen seiner politischen Bedeutung nicht an Ressourcen und dementsprechender Innovationskraft mangelte. Mit dem gelungenen Datentransfer ließ sich das ambitionierte Ziel des Arpanet, ein ausfallsicheres und verteiltes Netz von Datenverarbeitung für den Verteidigungsfall, tatsächlich realisieren – dessen Architektur damit zum Nukleus unseres heutigen Internets werden konnte. 1971 kam Ray Tomlinson, der als Angestellter der Firma BBN für das Betriebssystem des Arpanet zuständig war, die Idee, mit Hilfe des @-Zeichens den Adressaten und Rechnernamen zu koppeln und auf diese Weise Textdateien von Rechner zu Rechner zu schicken. Schon 1973 waren knapp 2.000 Rechner im Netzwerk Arpanet verknüpft, auf denen der Großteil des Datentransfers aus E-Mails bestand, mit denen die vernetzten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommunizierten.30 In diese Jahre fallen auch die Durchbrüche der wissenschaftlich orientierten Formatierungs- und Auszeichnungssprachen. In Tübingen waren es Wilhelm Ott und Kuno Schälkle, die für den professionellen Textsatz31 komplexer Editionen in den Geisteswissenschaften 1973 die Formatierungssprache TUSTEP (TUebinger System von TExtverarbeitungsProgrammen) vorlegten, zu einer Zeit, als die ersten Tischrechner zum Einsatz kamen und damit das Potenzial von maschineller Datenverarbeitung auch in den Geisteswissenschaften erkannt wurde.32 Die frühen Versionen von TUSTEP waren im prozeduralen FORTRAN abgefasst, der ersten höheren Programmiersprache überhaupt, die aus den 1950er-Jahren stammt. Wilhelm Ott, der TUSTEP auf den Erfahrungen seiner eigenen Arbeit an kritischen Editionen entwickelte, weil er zwar die Potenziale der maschinellen Verarbeitung erkannte, aber keinerlei geeignete Werkzeuge vorfand, schrieb 2000 zu diesen ersten Ansätzen:

»Die Zeit, in der die Grundkonzepte von TUSTEP entstanden sind, war die Zeit der Großrechner, die mit Lochkarten ›gefüttert‹ wurden. […] Wir hatten in der Tat, so absurd dies klingen mag, geradezu ideale Voraussetzungen bei der Entwicklung: unsere Phantasie war nicht eingeschränkt dadurch, daß wir uns an Leistungsmerkmalen vorhandener Software orientieren mußten – es gab ja keine Software für unser Feld. […] Ich […] bin überzeugt, daß es heute nicht mehr gelingen würde, ein System wie TUSTEP zu entwickeln. Zu dominant wären die Vorgaben, die z.B. die (für viele wissenschaftlichen Zwecke noch immer unzureichenden) Möglichkeiten der Zeichenkodierung von Unicode bedeuten, oder die Vorgaben zur Textauszeichnung, die mit Standards wie XML und, auf unserem Gebiet, mit den Empfehlungen der Text Encoding Initiative (TEI) heute existieren.«33

Donald Knuth, Mathematiker und Sohn eines Typographen, entwickelte im Laufe eines Jahrzehnts an der Stanford University das auf PASCAL beruhende Satzsystem TeX, das er erstmals 1978 vorstellte. TeX ermöglichte es, Struktur und Inhalt von wissenschaftlichen Artikeln so zu differenzieren, dass die semantischen Inhalte, die Konfigurierung der Arbeitsumgebung und alle Standarddateien mit den vorherrschenden Technologien verteilt werden und durch die vollständige Parametrisierung des Inhaltes die Struktur des Textes unabhängig von der Arbeitsumgebung des Empfängers gerendert werden konnte.34 Da TeX zudem entwickelt wurde, um mathematische Formeln unabhängig vom anzeigenden Betriebssystem wissenschaftlich standardisiert darzustellen, hatte sich dieses Format rasch in der Community der messungsintensiven und mathematisch orientierten Disziplinen wie der theoretischen Physik verbreitet.

Mit TeX konnten professionell gesetzte Papers in verlagsüblicher Qualität hergestellt werden, ohne dass diese durch den Herstellungsprozess (Satz, Layout, Formelsatz) der Verlage laufen mussten, der normalerweise erst nach dem erfolgreichen Durchlaufen des Begutachtungsprozesses und der Aufnahme ins Verlagsprogramm erfolgen würde. Der Durchbruch von wissenschaftlichen Formatierungssprachen wie TUSTEP, TeX oder auch später LaTeX ist in der Tatsache begründet, dass die Urheberinnen und Urheber der Wissenschaftsinformation über den gesamten Produktionsprozess volle Kontrolle über das Erscheinungsbild ihrer Forschungsergebnisse behalten. Dazu noch einmal Ott 2000: »[D]as Korrigieren der Setzer-Fehler in diesem Material, bei dem es auf jedes Zeichen und jede Ziffer ankommt, wäre ein ebenso langwieriger und teurer wie selbst wieder fehleranfälliger Prozeß gewesen.«35 Wer schon einmal Korrekturfahnen, die von kommerziellen Verlagen in Billiglohnländer ausgelagert wurden, sichten und Zeile für Zeile nach Setzerfehlern suchen musste, kann sich lebhaft vorstellen, welch ein Fortschritt damals diese autorenseitige Kontrolle über die Druckvorstufe für Fächer wie Mathematik, Physik, Chemie, Linguistik oder Editionsvorhaben bedeutete, bei denen die Forschungsleistung in jedem einzelnen Zeichen steckt.

2.4Neue Formen der Wissenschaftsvernetzung

1989 erklärte sich die Nachwuchswissenschaftlerin Joanne Cohn bereit, auf Anregung ihres Kollegen Paul Ginsparg aktuelle Tagungsbeiträge im TeX-Format per E-Mail an ihre Peers zu verteilen. Diese waren wegen ihrer Aktualität noch nicht in Zeitschriften verfügbar, sondern lagen als Preprints vor. Weitere Preprints in TeX folgten, weitere Peers waren an Verbreitung ohne Verzögerung durch verlegerische Bearbeitung, Druck und Versand interessiert. Das Interesse, die eigenen Ideen so zu versenden als auch sie so von anderen zu erhalten, stieg, und schnell wuchs Joanne Cohns Verteiler auf 180 Personen in 20 Ländern an. In diesen frühen 1990er-Jahren war TeX bereits so weit verbreitet, dass von ambitionierten Studierenden36 erwartet wurde, dass sie ihre Diplomarbeiten in TeX vorlegten. Der manuelle Versand begann jedoch unübersichtlich zu werden, sodass Paul Ginsparg im Sommer 1991 Cohn anbot, die Verteilung der Preprints per Script für sie zu automatisieren. Am 14. August 1991 nahm Paul Ginsparg die Scripts auf einem Server in Betrieb – der Beginn des arXiv.org.37

3Das moderne wissenschaftliche Publikationssystem

3.1Spannungsreiche Umbrüche

Elf Jahre später schrieb Matthias Rauner in der ZEIT 2002 dazu:

»Ein unscheinbarer Computer, der lange Zeit unter dem Schreibtisch des String-Theoretikers Paul Ginsparg vor sich hin surrte, versetzt Wissenschaftler in Entzücken und Verlage in Aufregung. […] innerhalb von zehn Jahren mauserte sich sein Server zur erfolgreichsten Drehscheibe für wissenschaftliche Publikationen aus der gesamten Physik, der Informatik und der Mathematik. Nun steht das wissenschaftliche Publizieren vor dem Neubeginn, nicht die Physik. Unter www.arxiv.org zählt Ginsparg jede Woche eine Million Zugriffe, jeden Monat 3.000 neue Arbeiten. Weder Leser noch Autoren zahlen dafür Geld. Für die Verlage ist das Ginsparg-Modell eine ähnliche Bedrohung, wie es die Tauschbörsen à la Napster für die Musikindustrie sind. Die Apologeten des elektronischen Publizierens haben Ginsparg zum Gutenberg des 21. Jahrhunderts ernannt und zum Sturz der traditionellen Fachzeitschriften aufgerufen.«38

Rauners Einschätzung der Bedrohung des verlegerischen Geschäftsmodells ist vermutlich korrekt. Anders als in der Musikindustrie, in der die Bedrohung ihres herkömmlichen Geschäftsmodells von Napster als illegalem Filesharing-Modell zwischen den Konsumentinnen und Konsumenten der Inhalte ausging, musste die wissenschaftliche Verlagswelt akzeptieren, dass die Preprintserver vor allem den Wissensproduzierenden dienten, deren Inhalte den Kern ihres Geschäfts bilden, und dass sie deshalb nicht mit urheberrechtlich begründeten Sanktionen aus der Welt zu schaffen waren. In den Lebenswissenschaften konnten Zeitschriftenverlage mit Verweis auf die Ingelfinger-Regel39 erwirken, dass frühe Preprint-Experimente wieder eingestellt wurden.40 Die Charakteristika von Preprintservern konnten sich nach diesem ersten Experiment nur in Grundzügen in PubMed Central erhalten, indem zumindest die letzte Autorenversion nach Begutachtung dort archiviert werden durfte. Die Lancierung des medArXiv ab 2017 war von kontroversen Diskussionen begleitet, zumal im Bereich der Medizin der verlegerischen Begutachtung eine gewichtige Rolle im Patientenschutz zukommt, wonach Behandlungsansätze erst fachlich begutachtet werden müssen, bevor sie an die Öffentlichkeit gelangen.41

Im Jahr 2016 akquirierte Elsevier den vormals unabhängigen und international etabliertesten Preprintserver für den gesellschaftswissenschaftlichen Bereich »Social Sciences Research Network« (SSRN) – was zu Recht kritische Diskussionen verursacht.42 Nutzen nämlich einflussreiche Akteure ihre dominante Position, um weitere systemrelevante Dienste zu akquirieren, entstehen »Lock-in«-Situationen, wie sie Peter Kraker und Maxi Schramm (2019) in der nachfolgenden Grafik (vgl. Abb. 3) visualisiert haben. Werden neben den konventionellen Publikationskanälen wie Zeitschriften und Bücher auch Elemente des Forschungsprozesses selbst (etwa Forschungsdatenmanagement, Literaturverwaltungsprogramme oder Preprint-Server) von kommerziellen Firmen in der Wissenschaft vermarktet, können sich diese nur soweit zum Wohle der Wissenschaft entwickeln, wie es den ökonomischen Interessen der Anbieter nicht entgegenläuft.43 Der Bibliothekar John Dupuis schrieb dazu in seinem Blog:

»I think that [the acquisition of Mendeley and SSRN] reflect more where Elsevier wants to be in ten or twenty years, focused on providing high-value services to researchers and institutions rather than still weighed down by the legacy subscription business. They see that the old fashioned soak-libraries-for-all-they’re-worth business model is (very) slowly becoming… a dodo bird.«44

Abb. 3: Black hole of dark knowledge45

Diese strategische Verlagsinvestition in ein konkurrierendes Produkt verdeutlicht dessen Stellenwert im Kommunikationsprozess der Gesellschaftswissenschaften. Welche Risiken dabei entstehen, visualisiert die Grafik von Peter Kraker und Maxi Schramm in aller Deutlichkeit. Eine von Marktinteressen unverzerrte Wissenschaftslandschaft ist unter solchen Bedingungen jedenfalls nicht zu erlangen und erfordert zumindest Aufklärung und Beratung, wie es die vermehrt entstehenden Publikationsberatungen an Universitäten und Forschungseinrichtungen täglich leisten. Da Verlage aber auf die Zusammenarbeit mit den Produzierenden, den wissenschaftlichen Autorinnen und Autoren, Herausgebenden und Begutachtenden angewiesen sind, kommt diesen eine erhebliche Macht in der Wertschöpfungskette zu, auch wenn sich nur eine Minderheit dieser Macht bewusst ist und sie dementsprechend nutzt. Kaum ein seriöser wissenschaftlicher Verlag kann es sich heutzutage mehr erlauben, keine klare Regelung zum Recht auf Selbstarchivierung zu formulieren, siehe SHERPA/RoMEO-Liste,46 unabhängig davon, dass die den Autorinnen und Autoren eingeräumten Rechte aus wissenschaftlicher Sicht häufig unzulänglich sind.

3.2Preprintserver als einflussreiches Phänomen

Auch wenn die ersten Preprintserver entweder auf Druck von privatwirtschaftlichen Verlagen wieder eingestellt wurden oder auf wenige Disziplinen beschränkt blieben, ist durch die technologischen Möglichkeiten und die fortbestehende krisenhafte Situation auf dem Publikationsmarkt vermutlich eine kritische Masse erreicht. Die an die Schreibweise des arXiv.org angelehnten disziplinären Preprintserver, die vermehrt ab 2016 entstanden – ChemRxiv, SocArXiv, AgriXiv, bioRxiv, LawArXiv, medRxiv oder PsyArXiv –, belegen, dass für zahlreiche Disziplinen ein Bedarf an verlässlichen und zitierfähigen Publikationsplattformen besteht, die den Zeitpunkt der wissenschaftlichen Verfügbarkeit nicht an den verlagsseitig organisierten Begutachtungsprozess koppeln. Inzwischen ist arXiv.org bei über 8.000 Preprints pro Monat angelangt und stellt für manche Verlage in der Physik oder Mathematik eine sinnvolle Plattform für die Einreichung von Zeitschriftenartikeln dar. Die Finanzierung der Infrastruktur, die an der Cornell University betrieben wird, ist über freiwillige Beiträge von Bibliotheken »gesichert«,47 die es als ihre Verantwortung ansehen, einen fachlichen Service zu finanzieren, der seine Dienste niemandem in Rechnung stellt und der den Zugriff auf seine Angebote nicht mit Bezahlschranken verknappt.

Abb. 4: Überblick zu neugegründeten Preprintservern48

Ist damit das eingetreten, was Rauner 2002 als möglich ansah, der Zusammenbruch des etablierten Systems der Wissenschaftsverlage? Auch in der Hochenergiephysik hat das Publizieren in verlagsbetriebenen Zeitschriften weiterhin große Bedeutung in der wissenschaftlichen Kommunikation, obwohl die Verbreitungsfunktion49 der überwältigenden Mehrheit der Forschungsergebnisse bereits durch die vorherige Publikation auf arXiv.org erfüllt wurde. Anders als in den Lebenswissenschaften, in denen es bisher keine tatsächlichen Verschiebungen der Marktanteile von Großverlagen durch Transformationsverträge gibt – auch die unter DEAL verhandelten Verträge schreiben Marktanteile und Gewinnerwartungen der Anbieter fort, wenn auch mit einer Open-Access-Komponente –, ist es jedoch mit dem konsortialen Open-Access-Modell SCOAP³ in der Hochenergiephysik gelungen, echte Veränderung zu initiieren. Das aus der Wissenschaft initiierte Konsortialmodell hat zu einer Ausbildung von moderaten Open-Access-Artikelpreisen, verbesserten Autorenrechten und größerer Elastizität der Marktanteile geführt.50 Es liegt auf der Hand, dass die Dominanz von arXiv.org als wissenschaftseigenem Instrument der Wissensverbreitung wesentlichen Einfluss auf den Erfolg von SCOAP³ und seine aufwändigen Verhandlungen mit Verlagen hatte, das in einem folgenden Abschnitt noch einmal näher beleuchtet wird.

3.3Technologische Veränderung und ihre spezifischen Rahmenbedingungen

Was können die Beispiele von TUSTEP und TeX, von arXiv.org und der Welle neuer Preprintserver nahelegen? Benötigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Technologien oder Methoden für die Kommunikation ihrer Forschungsergebnisse, die ihnen der Markt nicht oder nicht zu adäquaten Bedingungen stellt, entwickeln sie diese selbst – vor allem dann, wenn ihnen deren Grundelemente im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit bereits zur Verfügung stehen. Für den Erfolg von SCOAP³ ist beispielsweise die Notwendigkeit der Teilchenphysik, für die aufwändigen Mega-Forschungsinfrastrukturen wie CERN oder DESY in organisatorischer und wissenschaftlicher Hinsicht internationale Kooperationen zu organisieren, ein entscheidender Faktor gewesen. Denn die dafür notwendigen Kommunikationswege und Governance-Strukturen bestanden bereits und haben für den neuen Anwendungsfall »konsortiales Open-Access-Publikationsmodell« als Ausgangspunkt gedient. Nutzen wissenschaftliche Gemeinschaften die genannten Instrumente und Strukturen, verankern sie in ihrer Community und behalten die Hoheit über sie, müssen auch große gewinnorientierte Verlage ihre Gewinnerwartungen an diesen Methoden und selbst verwalteten Kommunikationswegen und -plattformen ausrichten und diese in Kauf nehmen.

Der Erfolg von arXiv.org und SCOAP³ unterstützt die Auffassung Thomas R. Kuhns von wissenschaftlichen Gemeinschaften oder »scientific communities« als Konsenskohorten, die er 1974 erstmals formulierte, um bei aller Diversität der Paradigmen in einem Feld die Übereinkünfte zu betonen, die sich für die Mitglieder einer »scientific community« aus der Arbeit an ähnlichen Fragestellungen mit fachspezifischen Methoden, ihrer vergleichbaren Ausbildung und Sozialisation im Fach sowie den geteilten Informationsnetzwerken ergibt.51 Aufbau und Erhalt von Publikationsplattformen von der Wissenschaft für die Wissenschaft ohne das Spezifikum von einflussreichen Verlagen, ihr Angebot am Reputationsgewinn per Statusbestimmung und Konkurrenz unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Institutionen auszurichten, ist als erhebliche Konsensleistung52 zu bewerten.

3.4Digitalität – Chancen und Risiken

Im September 1990 erschien mit »Postmodern Culture«53 die erste wissenschaftliche Zeitschrift, die vollständig auf eine gedruckte Version verzichtete und von der Johns Hopkins University Press herausgegeben wurde. Gerade die großen Verlagskonsortien und gut aufgestellten mittelständischen Verlage (zu denen auch ein erheblicher Teil der angloamerikanischen Universitätsverlage zu rechnen ist) hatten zu dieser Zeit bereits vollständig digitalisierte Arbeitsabläufe und konnten dementsprechend Inhalte und Metadaten in digitaler Form an Bibliotheken ausliefern. Mit dem Umstieg auf digitale Inhalte sanken jedoch keineswegs die Preise der Zeitschriftenlizenzen, sondern sie stiegen sogar deutlich über Inflationsraten und erwartbare Mehrkosten, welche sich mit der zusätzlichen Aufbereitung der digitalen Volltexte rechtfertigen ließ.54 Der US-amerikanische Ökonom Mark McCabe, der 1998 die geplante Fusion zwischen Wolters Kluwer und Reed Elsevier im Auftrag des Departments of Justice begutachtete und die problematischen Auswirkungen auf Preisbildungsmechanismen in einer oligopolistischen Situation wie dem wissenschaftlichen Zeitschriftenmarkt für den »Science Technology Medicine« (STM)-Sektor herausarbeitete, bezeichnete dies als »true market failure«.55 Wenn zwischen Anbietern (Verlagen) und Abnehmern (wissenschaftliche Produzierende sowie Leserinnen und Leser) kein direktes ökonomisches Verhältnis besteht, sondern durch Intermediäre mit Versorgungsauftrag (Bibliotheken) vermittelt wurde, können Preise sich nicht elastisch im Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage ausbilden. Denn Zeitschriftentitel konnten bei zu hohen Preisen nicht wie im Konsumgüterbereich durch günstigere Angebote substituiert werden, weil die darin enthaltenen Artikel mit ihren spezifischen Inhalten den Zeitschriften aus wissenschaftlicher Sicht ein Alleinstellungsmerkmal verleihen. Stattdessen wurde die Situation noch verschärft, indem die marktmächtigen Verlage ihre digitalen Angebote in großen Lizenzpaketen vertrieben, auf deren Einfluss die Intermediäre wenig Einfluss hatten und in denen eine Quersubventionierung von weniger nachgefragten Zeitschriften zu den Toptiteln bestand. Damit wurden Bibliotheksbudgets weit über Gebühr strapaziert.56

3.5Standards als Wegbereiter für neue Services und Markteintritte

Die Etablierung des digitalen Zugriffs auf Zeitschriftenartikel war jedoch nicht mehr aufzuhalten. Hier ist besonders ein Industriestandard des Publikationswesens zu nennen, der auf Betreiben der großen kommerziellen Verlage ins Leben gerufen wurde. Seinen Erfolg aber verdankt er der Regelgebundenheit auf den exakten Anwendungsfall und seinen dahinterliegenden sozialen Strukturen, in denen alle Akteure der wissenschaftlichen Wertschöpfungskette im Publikationswesen vertreten sind. Gemeint ist der DOI (Digital Object Identifier), der damit nicht auf die Verwendung durch kommerzielle Akteure beschränkt ist. Bereits 1991 wiesen alle Dokumente auf arXiv.org einen persistenten Identifier57 auf, der auf einer Syntax beruhte, die Publikationen einem Kontext zuweisen und sie datieren konnte. Damit erfüllte arXiv.org eine der wesentlichen Merkmale des verlegerischen Publizierens, nämlich fachliche Kontextualisierung und Zeitstempel. Der DOI als unscheinbarer, aber wirkmächtiger Publikationsstandard nahm 1996 seinen Ausgangspunkt in einem Projekt der Association of American Publishers mit dem CNRI,58 um einen persistenten Identifier ähnlich der ISBN für Bücher zu schaffen, »to link customers with publishers, facilitate electronic commerce, and enable copyright management systems«.59 Grundlage des DOI war das in Repositorien wie arXiv.org bereits verbreitete Handle-System, das ein zuverlässiges System des Link-Resolvings ermöglichen sollte. Nach einer intensiven Arbeitsphase mit einigen interessierten Verlagen konnte der DOI zur Frankfurter Buchmesse 1998 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden.60 Die besondere Stärke des DOI liegt in dem Konzept, dass die feste Relation zwischen dem Namen der Ressource und dem Identifier besteht, der eigentliche Speicherort oder die Datenintegritätsverantwortung hingegen wechseln können. Dieses flexible Konzept trägt der Tatsache Rechnung, dass im wissenschaftlichen Publikationswesen laufend Umstrukturierungen von tatsächlichen Speicherorten und ihrer Referenzierung notwendig sind, etwa durch Plattformmigrationen, Verlagswechsel oder Merging-and-Acquisition-Prozesse.

Der DOI als Quasi-Standard für wissenschaftliche Publikationen (vermehrt auch Buchkapitel und Bücher wie das vorliegende) hat neue Services ermöglicht, die für Endnutzerinnen und Endnutzer kostenlos sowie für Content Provider kostengünstig nutzbar sind und damit auch kleineren und institutionellen Verlagen die Möglichkeit gibt, bei der Analyse und Verbreitung digitaler Objekte konkurrenzfähig zu Verlagen mit erheblichen technischen und finanziellen Ressourcen zu sein. Hier ist zum einen die Reichweitenmessung von wissenschaftlichen Ergebnissen in sozialen Medien und Nachrichtenkanälen zu nennen, wie es Altmetrics mit dem Donut visualisiert, die vor allem Autorinnen und Autoren Aufschluss über die Nutzung ihrer Forschungsergebnisse gibt, sowie die Querreferenzierung von Artikeln untereinander, ohne kostenpflichtige Indices wie SCOPUS oder Web of Science als Intermediäre nutzen zu müssen. Zum anderen ermöglichen beide Standards es auch Publikationsplattformen aus der Wissenschaft wie Repositorien und Preprintservern, unabhängig von verlegerischen Strukturen Publikationen und Forschungsergebnisse voll zitierfähig vorzuhalten, auch wenn sie sich noch in vorläufigen Stadien befinden. CrossRef ist mit großem Abstand für den privatwirtschaftlichen Verlagssektor die wichtigste Registrierungsagentur, zusammen mit dem wissenschaftlichen Konsortium DataCite, über das ein auf Forschungsdaten zugeschnittenes Datenmodell und die entsprechende Registrierungsagentur bereitstehen.

Es bedurfte intensiver Diskussionen im CrossRef-Steuerungsgremium, bis auch CrossRef DOIs ab 2015 für Preprints registriert werden durften.

»Adding preprints as a content type was controversial at the time. The board discussed the topic of ›duplicative works‹ for about two years with strong opinions on all sides. The working group delivered a good set of policies and technical specifications and in the July 2015 board meeting there was a majority – but not 100% – agreement on the motion to approve. We implemented preprints as a content type just in time to accommodate the snowballing of preprint servers emerging from existing and new members.«61

Diese wegweisende Entscheidung hat wesentlich zum Erfolg der großen Welle von Preprint-Servern beigetragen, weil damit nicht nur Verlagspublikationen – ausgestattet mit reichen Metadaten – dauerhaft zitierfähig und infolgedessen mit deutlich höherem Stellenwert im wissenschaftlichen Diskurs bereitstanden, als es die sogenannte »graue Literatur« je sein konnte.

3.6Wissenschaftseigene Verlage

Weitere Erfolge von den zuvor genannten wissenschaftlichen Konsensleistungen stellen andere Publikationsplattformen dar, welche die Wissenschaft selbst steuert, und zwar die Universitätsverlage der »dritten Welle«,62 die mit den Potenzialen des Internets als Kommunikations- und Verbreitungsmedium gegründet wurden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ergingen zwei politische Empfehlungen von jeweils wenigen Seiten in Deutschland, die wir als den Auslöser dieser Welle betrachten können. So empfahlen der Wissenschaftsrat (WR)63 und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK)64 angesichts der zunehmend als krisenhaft wahrgenommenen Situation auf dem Wissenschaftsmarkt, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft wieder ins Zentrum der Wertschöpfungskette gerückt werden müsse und Hochschulen eigene Publikationswege aufbauen sollten. Die Bereitstellung im Open Access wurde dabei besonders betont, und zwar zu einer Zeit, als dieser Begriff sich definitorisch noch in seiner Ausprägungsphase befand und lediglich in Ansätzen bereits in der Operationalisierungsphase. Den Hochschulbibliotheken wurde in diesem Prozess eine Rolle zugewiesen, die – über deren Kernkompetenz der Literaturversorgung hinaus – die Schaffung von Publikationsmöglichkeiten vorsah.65

Dass den Bibliotheken so früh ausdrücklich Verantwortung für die aktive Unterstützung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in ihrer Rolle als Wissensproduzierende zugewiesen wurde, während die Beherrschung der »serial crisis«66 und die fortschreitende Digitalisierung das Tagesgeschäft der meisten Bibliotheken zu bestimmen schien, mag überraschen. Tatsächlich waren an diesen Vorschlägen einige engagierte Universitätsbibliotheksleitungen67 beteiligt, die das Potenzial in ihren eigenen Häusern identifiziert hatten, konkurrenzfähige Publikationsdienste wie zum Beispiel Universitätsverlage selbst zu betreiben. Die genannten Empfehlungen von HRK und WR sind demnach als politische Mandatierung von Entwicklungen zu betrachten, welche die Infrastruktureinrichtungen bereits selbst auf Schiene gesetzt hatten. Hier seien beispielhaft zu nennen das Projekt Diss-Online, das Mitte der 1990er-Jahre die ersten verlässlichen Repositorien für die rein digitale Veröffentlichung und Verbreitung von Dissertationsschriften möglich machte, erste Überlegungen etwa zum Oldenburger oder Göttinger Universitätsverlag,68 der Aufbau von Infrastrukturen für die Massenretrodigitalisierung von Altbeständen, aber auch die bibliothekarische Routine der Sicherung von »grauer Literatur« sowie die Herausgabe von Ausstellungskatalogen und Schriften zu den eigenen Spezialsammlungen. Alleine die deutschsprachigen Universitätsverlage haben inzwischen an die 8.000 Bücher Open Access veröffentlicht.

3.7Neue Formen der Wissenschaftskommunikation

Unter diesen Büchern befinden sich vereinzelt bereits Publikationen, die sich als »Enhanced Publications« (siehe den Beitrag »Publizieren in wissenschaftlichen Zeitschriften« in diesem Band) bezeichnen lassen und die im freien Zugriff im Internet die vollen Potenziale des digitalen Publizierens ermöglichen, etwa wenn Struktur und Inhalt maschinenlesbar differenziert sind und die wissenschaftliche Präzision durch nutzerseitige Parametrisierung kontrolliert wird. Den institutionell verantworteten Universitätsverlagen kommt dabei wegen ihrer Nähe zu den Forschenden ihrer Einrichtung eine besondere Rolle zu. Denn der zunehmende Umstieg auf XML-basiertes Publizieren in der Wissenschaft ist nicht mehr nur auf investitionsstarke Großverlage beschränkt.69 Der XML-Einsatz wird den bruchlosen Übergang von Wissenschaftsergebnissen in parametrisierter Form in die Präsentationsform (Layout, Zusatzfunktionalitäten) zwar erleichtern, aber zunächst auch Experimentieren im Sinne einer Grundlagenforschung ohne den Druck erfordern, dass sich solche Experimente in gegebener Zeit für den Verlagspartner »rechnen müssen«.

Open-Science-Ansätze werden dabei voraussichtlich tiefgreifende Veränderungen im wissenschaftlichen Kommunikationsprozess nach sich ziehen, wo die Disziplinen von ihrem Forschungsansatz her darauf angewiesen sind, komplexe Daten zu prozessieren sowie auszuwerten und diese Prozesse nachvollziehbar und überprüfbar zu präsentieren. Veröffentlicht werden so nicht nur die textuellen Repräsentationen der Forschungsergebnisse, sondern auch die zugrundeliegenden Daten sowie die Auswertungsprozesse oder Datenkompilierungen und -visualisierungen. Dass dies als vollwertige Publikation mit dem Potenzial des Reputationsgewinns betrachtet wird, ist bisher noch die Ausnahme und findet dementsprechend erst zögerlich seinen Weg in die konventionelle Verlagswelt. SAGE Campus70 bildet eine interessante Ausnahme, indem SAGE sein Profil als partnerschaftlicher Verlag für die datengetriebenen Gesellschaftswissenschaften stärkt und Onlinekurse zu R (Datenvisualisierung) oder zu der Scriptsprache Python bereitstellt.

Epilog

Wir können gewiss sein, dass die Kreativität und der Entwicklungsdrang von Forschenden weiterhin zu technischen und organisatorischen Neuerungen im Publikationswesen führen werden und dass die Intermediäre und Verlage sich darauf einstellen, indem sie entweder engagiert mitgehen, sich anpassen oder mit ökonomischem Druck gegenhalten und ihre Interessen durchzusetzen versuchen. Es ist dabei eine besondere Verantwortung und gleichzeitig Chance der Wissenschaft, dass sie sich weder Tempo noch Ausgestaltung dieser Neuerungen von der gewinnorientierten Verlagswelt diktieren lässt, sondern diesen Prozess entlang ihrer Bedürfnisse ausgestaltet. Den Publikationsberatungen an den Produktionsstätten der Wissenschaft kommt dabei die ehrenvolle Rolle zu, diesen Prozess mit Kompetenz und Serviceanspruch zu begleiten.

Kurzbiografie

Margo Bargheer, M.A., lernte in den Pionierzeiten des Desktop Publishing Grafikerin und studierte anschließend Ethnologie und Medienwissenschaften in Göttingen. Sie leitet an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek den Bereich des Elektronischen Publizierens, zu dem der Universitätsverlag Göttingen, die universitären Repositorien für paralleles Open Access und elektronische Dissertationen gehören, außerdem das universitäre Publikationsdatenmanagement, die Open-Access-Beratung und der Open-Access-Publikationsfonds für die Universität. Sie schreibt und lehrt zu den Themen Open Access und Gute wissenschaftliche Praxis. ORCID iD: https://orcid.org/0000-0001-8246-8210

Materialiensammlung zum Thema Publikationsberatung:https://doi.org/10.25364/publikationsberatung-materialien

1SUB Göttingen

2»Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten und Publizieren«, Prof. Dr. Alexander Schmidt und Dr. Christina Beimforde; https://flexnow2.uni-goettingen.de/modulbeschreibungen/59974.pdf

3»Scientific Writing and Publishing in Crop Sciences«, Prof. Dr. Stefan Siebert, https://flexnow2.uni-goettingen.de/modulbeschreibungen/12947.pdf

4»Webbasiertes Publizieren« auf den Plattformen litlog.de und escripta.de; apl. Prof. Dr. Albert Busch; https://flexnow2.uni-goettingen.de/modulbeschreibungen/4876.pdf

5Vgl. Anton Schindling, »Die protestantischen Universitäten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter der Aufklärung«, in Universitäten und Aufklärung, hg. v. Notker Hammerstein, Das achtzehnte Jahrhundert Supplementa 3 (Göttingen: Wallstein, 1995), 9.

6Ausführlicher dazu Rupert Hacker, Beiträge zur Geschichte der Bayerischen Staatsbibliothek (Berlin, New York: De Gruyter Saur, 2000), doi:10.1515/9783110957396

71620 entwarf Issac Elsevier das noch heute genutzte Emblem des Verlags. Mit dem lateinischen Schriftzug Non Solus – »nicht allein« – unterstrich Isaac Elsevier die Aussage seines Imprints: Nur im Austausch mit anderen können sich alle Elemente – Erfahrung, Wissen, Weisheit – in einer symbiotischen Beziehung zueinander entfalten. 1712 starb das letzte Familienmitglied der Elseviers ohne Nachfolger. 1880 erwarb der niederländische Buchhändler Jacobus George Robbers die Rechte an dem Emblem und dem Namen.

8Zitiert nach: »I. KAPITEL. Probleme der Rezeptionsgeschichte der Barockliteratur Daniel Casper von Lohenstein und sein Publikum«, in Daniel Casper von Lohenstein: Geschichte seiner Rezeption: Band I: 1661–1800, hg. v. Alberto Martino (Berlin, Boston: De Gruyter, 1978), 29.

9Ebd., 30.

10Vgl. Klaus. G. Saur, »Kleine Geschichte der Buchmesse in Leipzig«, in Die innovative Bibliothek, hg. v. Erland Kolding Nielsen, Klaus G. Saur und Klaus Ceynowa (Berlin, Boston: De Gruyter Saur, 2005).

11Vgl. Richard van Dülmen, Religion, Magie, Aufklärung: 16.–18. Jahrhundert, 3. Aufl., Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit (München: Beck, 2005) 3, 204f.

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